SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
EVGENI TANCHEV
vom 5. Dezember 2018(1)
Verbundene Rechtssachen C‑473/17 und C‑546/17
Repsol Butano SA (C‑473/17),
DISA Gas SAU (C‑546/17)
gegen
Administración del Estado,
Beteiligte:
Redexis Gas SL,
Repsol Butano SA
(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Supremo [Oberster Gerichtshof, Spanien])
„Vorabentscheidungsersuchen – Energie – Erdgasbinnenmarkt – Richtlinie 2009/73/EG – Urteil vom 20. April 2010, Federutility u. a. (C‑265/08, EU:C:2010:205) – Mitgliedstaatliche Maßnahme zur Festlegung des Höchstverkaufspreises für Flaschen mit Flüssiggas aus Erdöl (LPG) – Verpflichtung zur Hauszustellung – Dienste im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“
I. Einleitung
1. In den vorliegenden Rechtssachen wird der Gerichtshof um Hinweise zur Vereinbarkeit bestimmter Maßnahmen eines Mitgliedstaats zur Regulierung der Preise im Energiesektor mit der Richtlinie 2009/73/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG(2), wie sie in der Rechtsprechung des Gerichtshofs und insbesondere im Grundsatzurteil Federutility u. a.(3)ausgelegt worden ist, ersucht.
2. Mit dem Urteil Federutility und nachfolgenden Urteilen (im Folgenden: Federutility-Rechtsprechung)(4) hat der Gerichtshof einen Rahmen festgelegt, der es dem jeweiligen nationalen Gericht ermöglichen soll, die Vereinbarkeit staatlicher Eingriffe in die Preisbildung im Erdgassektor mit dem Unionsrecht zu prüfen, und erläutert, anhand welcher Kriterien diese Prüfung erfolgen muss(5).
3. Die Fragen, die das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) dem Gerichtshof in den vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen vorlegt, beziehen sich auf mitgliedstaatliche Maßnahmen zur Festlegung eines Höchstverkaufspreises und einer Verpflichtung zur Hauszustellung für bestimmte Arten von Flaschen mit Flüssiggas aus Erdöl (liquefied petroleum gas, im Folgenden: LPG).
4. LPG ist ein Erzeugnis aus der Mineralölherstellung, das aus anderen Stoffen als Erdgas besteht (üblicherweise aus Propan- und Butangas sowie geringen Mengen anderer Gase)(6), und wird in der Regel in flüssigem Aggregatzustand in Flaschen und Tanks gelagert. Wird LPG verwendet, wird es durch ein Ventil langsam aus dem Behälter freigesetzt, wodurch es gasförmig wird und als Brennstoff zum Kochen, Heizen und zur Stromerzeugung genutzt werden kann(7). Die Bezeichnung „LPG in Flaschen“ bezieht sich auf LPG, das in solchen Behältern oder Flaschen wie denen geliefert wird, um die es in den Ausgangsverfahren geht(8).
5. Diese beiden Rechtssachen geben dem Gerichtshof daher erstmals Gelegenheit, sich zur Anwendung der Richtlinie 2009/73 und der Federutility-Rechtsprechung auf den LPG-Sektor zu äußern.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
6. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2009/73 lautet:
„Die mit dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften für Erdgas, einschließlich verflüssigtem Erdgas (LNG), gelten auch in nichtdiskriminierender Weise für Biogas und Gas aus Biomasse oder anderen Gasarten, soweit es technisch und ohne Beeinträchtigung der Sicherheit möglich ist, diese Gase in das Erdgasnetz einzuspeisen und durch dieses Netz zu transportieren.“
B. Spanisches Recht
7. Art. 1 Abs. 3 der Ley 34/1998, de 7 de octubre, del sector de hidrocarburos(9) (Gesetz 34/1998 vom 7. Oktober 1998 über den Sektor Kohlenwasserstoffe in geänderter Fassung, im Folgenden: Gesetz 34/1998) sieht vor:
„Die Tätigkeiten zur Lieferung von flüssigen und gasförmigen Kohlenwasserstoffen werden in Einklang mit den Grundsätzen der Objektivität, der Transparenz und des freien Wettbewerbs ausgeübt.“
8. Art. 37 Abs. 1 des Gesetzes 34/1998 bestimmt, soweit es hier von Bedeutung ist:
„Die Tätigkeiten der Raffination von Rohöl sowie Transport, Lagerung, Verteilung und Verkauf von Mineralölprodukten, insbesondere aus Erdöl gewonnenen Flüssiggasen, können nach Maßgabe dieses Gesetzes grundsätzlich frei vorgenommen werden. …“
9. In Art. 38 des Gesetzes 34/1998 heißt es weiter:
„Die Preisbildung bei Mineralölprodukten ist frei.“
10. Allerdings gestattete die vierte Übergangsbestimmung des Gesetzes 34/1998 der spanischen Regierung, einen maximalen Endkundenpreis für den Verkauf von LPG in Flaschen einzuführen, „solange die auf diesem Markt bestehenden Konkurrenz- und Wettbewerbsbedingungen als nicht ausreichend angesehen werden“. Nach dieser Bestimmung umfasste der Höchstverkaufspreis auch die Kosten der Hauszustellung.
11. Mit Art. 5 des Real Decreto-ley 15/1999, de 1 octubre, por el que se aprueban medidas de liberalización, reforma estructural e incremento de la competencia en el sector de hidrocarburos(10) (Königliches Gesetzesdekret 15/1999 vom 1. Oktober 1999 zur Annahme von Maßnahmen zur Liberalisierung, strukturellen Reform und Verstärkung des Wettbewerbs im Sektor Kohlenwasserstoffe, im Folgenden: Königliches Gesetzesdekret 15/1999) wurde ein System zur Bestimmung des Höchstverkaufspreises für LPG in Behältern mit einem Inhalt von mindestens 8 kg festgelegt, solange „die auf diesem Markt bestehenden Konkurrenz- und Wettbewerbsbedingungen als nicht ausreichend angesehen werden“.
12. Mit dem Real Decreto-ley 8/2014, de 4 de julio, de aprobación de medidas urgentes para el crecimiento, la competividad y la eficiencia(11) (Königliches Gesetzesdekret 8/2014 vom 4. Juli 2014 zur Annahme von Eilmaßnahmen für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz, im Folgenden: Königliches Gesetzesdekret 8/2014) wurden die vierte Übergangsbestimmung des Gesetzes 34/1998 und Art. 5 des Königlichen Gesetzesdekrets 15/1999 aufgehoben(12), und die 33. Zusatzbestimmung wurde in das Gesetz 34/1998 eingefügt(13).
13. Die 33. Zusatzbestimmung des Gesetzes 34/1998 sieht vor:
„1. Nutzer mit einem Vertrag über die Lieferung von Flüssiggas aus Erdöl in Behältern mit einem Gewicht von mindestens 8 kg und weniger als 20 kg, ausgenommen Behälter mit einer Mischung von Flüssiggas aus Erdöl zur Verwendung als Kraftstoff, haben Anspruch auf Hauszustellung.
Auf der Halbinsel und in den Insel- und exterritorialen Gebieten ist der LPG-Anbieter mit dem größten Marktanteil im LPG-Sektor beim Verkauf von Flaschen mit einem Gewicht von mindestens 8 kg und weniger als 20 kg, ausgenommen Behälter mit einer Mischung von Flüssiggas aus Erdöl zur Verwendung als Kraftstoff, verpflichtet, die Hauszustellung an alle Personen durchzuführen, die dies in dem entsprechenden Gebiet verlangen.
2. Die Liste der LPG-Anbieter, die zur Hauszustellung verpflichtet sind, wird alle drei Jahre durch Entscheidung des Generaldirektors für Energiepolitik und Bergbau festgelegt. Diese Entscheidung wird im Boletín Oficial del Estado [BOE] veröffentlicht.
Wenn die Entwicklung des Marktes und der wirtschaftlichen Struktur des Sektors es erfordern, mindestens jedoch alle fünf Jahre, überprüft die Regierung die Bedingungen der Erfüllung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Verpflichtung oder beschließt, sie aufzuheben.
3. Ungeachtet der Bestimmungen in Art. 38 dieses Gesetzes bestimmt der Minister für Industrie, Energie und Tourismus, solange die auf diesem Markt bestehenden Konkurrenz- und Wettbewerbsbedingungen als nicht ausreichend angesehen werden, nach Zustimmung der Delegiertenkommission der Regierung für wirtschaftliche Angelegenheiten den maximalen Endkundenpreis von Flüssiggas aus Erdöl in Behältern mit einem Gewicht von mindestens 8 kg und weniger als 20 kg, deren Leergewicht 9 kg übersteigt, ausgenommen Behälter mit einer Mischung von Flüssiggas aus Erdöl zur Verwendung als Kraftstoff, indem er die konkreten Preise oder ein System für ihre Ermittlung und automatische Aktualisierung festlegt. Der Preis umfasst die Kosten der Hauszustellung.
4. Unbeschadet der Bestimmungen der vorstehenden Absätze erstreckt sich für den Fall, dass ein LPG-Anbieter, der zur Hauszustellung verpflichtet ist, keine Behälter mit einem Gewicht von mindestens 8 kg und weniger als 20 kg, deren Leergewicht 9 kg übersteigt, verwendet, die Verpflichtung zur Hauszustellung zum Höchstpreis gemäß Absatz 3 in dem entsprechenden Gebiet auch auf Behälter mit einem Leergewicht unter 9 kg.
5. Die LPG-Anbieter stellen der Generaldirektion für Energiepolitik und Bergbau die Informationen zur Verfügung, die für die Erfüllung ihrer Verpflichtungen erforderlich sind, insbesondere im Hinblick auf die Anwendung, Prüfung und Überwachung der Verpflichtung zur Hauszustellung, die durchgeführten Lieferungen von Flüssiggas aus Erdöl und die maximalen Endkundenpreise gemäß den vorstehenden Absätzen.“
14. Art. 58 des Königlichen Gesetzesdekrets 8/2014 enthielt die Liste der Hauptanbieter, die für ihr jeweiliges Gebiet zur Hauszustellung von LPG in Flaschen verpflichtet waren: Die Repsol Butano SA für die Iberische Halbinsel und die Balearen, die DISA Gas SA für die Kanarischen Inseln und die Atlas SA Combustibles y Lubrificantes für Ceuta und Melilla. Diese Liste wurde durch die Resolución de 28 de junio de 2017, de la Dirección General de Política Energética y Minas, por la que se establece el listado de operadores al por mayor de gases licuados del petróleo con obligación de suministro domiciliario(14) (Entscheidung der Generaldirektion für Energiepolitik und Bergbau vom 28. Juni 2017 zur Feststellung der Liste der Großhändler von Flüssiggas aus Erdöl, die zur Hauszustellung verpflichtet sind) für den folgenden Dreijahreszeitraum (2017–2020) aufrechterhalten.
15. Nach den vorangegangenen Änderungen des Gesetzes 34/1998 durch das Königliche Gesetzesdekret 8/2014 wurde die Orden IET/389/2015, de 5 de marzo, por la que se actualiza el sistema de determinación automática de precios máximos de venta, antes de impuestos, de los gases licuados del petróleo envasados y se modifica el sistema de determinación automática de las tarifas de venta, antes de impuestos, de los gases licuados del petróleo por canalización(15) (Verordnung IET/389/2015 vom 5. März 2015 zur Aktualisierung des Systems zur automatischen Bestimmung von Vor-Steuer-Höchstpreisen beim Verkauf von abgefüllten Flüssiggasen aus Erdöl und zur Änderung des Systems zur automatischen Bestimmung der Vor-Steuer-Abgabepreise für Flüssiggase aus Erdöl über Leitungen, im Folgenden: Verordnung IET/389/2015) erlassen.
16. Nach Art. 1 der Verordnung IET/389/2015 besteht deren Zweck in der Aktualisierung des Systems zur automatischen Bestimmung des Höchstverkaufspreises für LPG in Flaschen. Art. 3 der Verordnung enthält die Formel zur Bestimmung dieser Preise und sieht in Abs. 5 vor, dass diese in Zweimonatsabständen überprüft werden müssen.
III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
17. Die Repsol Butano SA (im Folgenden: Repsol Butano) und die DISA Gas SAU (im Folgenden: DISA Gas) sind spanische Unternehmen des LPG-Sektors.
18. Repsol Butano und DISA Gas erhoben getrennte Klagen gegen den spanischen Staat vor dem Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) und beantragten die Nichtigerklärung der Verordnung IET/389/2015 (im Folgenden: angefochtene Verordnung), mit der das System zur Bestimmung des Höchstverkaufspreises für LPG in Flaschen aktualisiert wird (siehe Nrn. 15 und 16 der vorliegenden Schlussanträge).
19. Aus den Vorlagebeschlüssen geht hervor, dass die angefochtene Verordnung auf die 33. Zusatzbestimmung des Gesetzes 34/1998, eingefügt durch das Königliche Gesetzesdekret 8/2014, gestützt ist. Diese Vorschriften sehen Maßnahmen zur Bestimmung eines Höchstverkaufspreises einschließlich der Kosten der Hauszustellung für LPG in Flaschen mit einem Gewicht zwischen 8 und 20 kg und einem Leergewicht von über 9 kg, und verpflichten den Großhändler mit dem größten Marktanteil in einem bestimmten Gebiet, diese Flaschen auf Verlangen den Verbrauchern nach Hause zu liefern, solange „die in diesem Markt bestehenden Konkurrenz- und Wettbewerbsbedingungen als nicht ausreichend angesehen werden“. Verwendet der Großhändler in einem bestimmten Gebiet keine Flaschen mit einem Leergewicht von über 9 kg, erstreckt sich die Verpflichtung zur Hauszustellung zum Höchstpreis auf Flaschen mit einem Leergewicht von unter 9 kg (siehe Nr. 13 der vorliegenden Schlussanträge).
20. Gemäß dieser Vorschriften ist Repsol Butano der Anbieter, der auf dem Gebiet der Iberischen Halbinsel und der Balearen zur Hauszustellung verpflichtet ist, während DISA Gas der auf dem Gebiet der Kanarischen Inseln zur Hauszustellung verpflichtete Anbieter ist (siehe Nr. 14 der vorliegenden Schlussanträge).
21. Zur Begründung ihrer Klagen machen Repsol Butano und DISA Gas geltend, dass das Urteil Federutility zur Auslegung der Richtlinie 2003/55/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG(16) analog anzuwenden sei und dass es einen eindeutigen Widerspruch zwischen den spanischen Rechtsvorschriften und dem Unionsrecht gebe, so dass diese Vorschriften unangewendet bleiben müssten und die angefochtene Verordnung für nichtig zu erklären sei.
22. Der spanische Staat macht geltend, dass die Richtlinie 2009/73, die die Richtlinie 2003/55 ersetzt habe, und das Urteil Federutility auf LPG in Flaschen nicht anwendbar seien und dass die angefochtene Verordnung, selbst wenn die Richtlinie 2009/73 analog angewandt würde, gerechtfertigt sei, weil der Wettbewerb auf diesem Markt nicht ausreichend sei.
23. Folgerichtig stellt das vorlegende Gericht zuerst die Frage, ob das Urteil Federutility, obwohl es die Auslegung einer Richtlinie über Erdgas betrifft, auf den Sachverhalt der Ausgangsverfahren anwendbar ist, in denen es um LPG in Flaschen geht.
24. Insoweit führt das vorlegende Gericht in den Vorlagebeschlüssen aus, dass es in seinem Urteil vom 19. Juni 2012(17) die Verordnung ITC/2608/2009(18), die inhaltlich mit der angefochtenen Verordnung vergleichbar sei, für nichtig erklärt habe, ohne dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen. In jenem Urteil habe es die Auffassung vertreten, dass das Urteil Federutility, obwohl es eine Richtlinie betreffe, die sich auf den Erdgasmarkt beziehe, hinreichend konkrete Auslegungshinweise enthalte, die sich auf die staatliche Regulierung benachbarter Sektoren wie des LPG-Sektors übertragen ließen, wenn der fragliche Markt (in diesem Fall der spanische Markt als Ganzes) eine gemeinschaftsweite Bedeutung habe, auch wenn es keine Richtlinie gebe, die speziell auf LPG anwendbar sei.
25. Da es davon ausgehe, dass das Urteil Federutility auf den Markt für LPG in Flaschen anzuwenden sei, habe es Zweifel, ob die Maßnahmen zur Festlegung eines Höchstverkaufspreises und einer Verpflichtung zur Hauszustellung für bestimmte Arten von Flaschen mit LPG mit den in diesem Urteil aufgestellten Kriterien vereinbar seien, insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
26. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass diese Maßnahmen unbestreitbar als Maßnahmen zum Schutz sozial schwacher und in abgelegenen Gebieten wohnender Nutzer anzusehen seien und dem allgemeinen wirtschaftlichen Interesse daran dienten, dass die Endverbraucherpreise für die Lieferung von LPG in Flaschen auf einem angemessenen Niveau gehalten würden.
27. Dennoch bestünden Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit dem Unionsrecht, und zwar aufgrund von drei Umständen. Erstens handele es sich um allgemeine Maßnahmen, die alle Verbraucher ungeachtet ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Lage beträfen. Zweitens seien diese Maßnahmen über einen Zeitraum von mehr als 18 Jahren seit der Verabschiedung des Gesetzes 34/1998 aufrechterhalten worden, obwohl sie ausdrücklich auf eine Übergangsbestimmung gestützt worden seien. Drittens hätten sie möglicherweise Auswirkungen auf den Wettbewerb in diesem Markt, da sie ein wirksames Hindernis für den Markteintritt neuer Anbieter darstellen und dazu beitragen könnten, dass die geringe Wettbewerbsintensität dauerhaft fortbestehe.
28. Unter diesen Umständen hat das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) in der Rechtssache C‑473/17 beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist mit Blick auf die mit dem Urteil vom 20. April 2010, Federutility u. a. (C‑265/08, EU:C:2010:205), begründete Rechtsprechung die Bestimmung eines Höchstpreises für Flüssiggasflaschen als Maßnahme zum Schutz sozial schwacher Nutzer mit dieser Rechtsprechung oder dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar, wenn alternativ oder kumulativ die im Folgenden genannten Umstände vorliegen?
– Die Maßnahme wird mit allgemeinem Charakter für sämtliche Verbraucher und auf unbeschränkte Zeit, nämlich „solange die in diesem Markt bestehenden Konkurrenz- und Wettbewerbsbedingungen als nicht ausreichend angesehen werden“, eingeführt.
– Die Maßnahme dauert bereits 18 Jahre an.
– Die Maßnahme trägt möglicherweise dazu bei, dass die geringe Wettbewerbsintensität dauerhaft fortbesteht, da sie ein Hindernis für den Eintritt neuer Marktteilnehmer darstellt.
2. Ist mit Blick auf die mit dem Urteil vom 20. April 2010, Federutility u. a. (C‑265/08, EU:C:2010:205), begründete Rechtsprechung die Verpflichtung zur Verteilung von abgefülltem Flüssiggas durch Hauszustellung als Maßnahme zum Schutz sozial schwacher oder in schwer zugänglichen Gebieten wohnender Nutzer mit dieser Rechtsprechung oder mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar, wenn alternativ oder kumulativ die in Frage 1 genannten Umstände vorliegen?
29. Unter diesen Umständen hat das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) auch in der Rechtssache C‑546/17 beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, die nahezu gleichlautend formuliert sind:
1. Ist mit Blick auf die mit dem Urteil vom 20. April 2010, Federutility u. a. (C‑265/08, EU:C:2010:205), begründete Rechtsprechung die Bestimmung eines Höchstpreises für Flüssiggasflaschen als Maßnahme zum Schutz sozial schwacher Nutzer mit dieser Rechtssache ergangenen Urteil oder dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar, wenn alternativ oder kumulativ die im Folgenden genannten Umstände vorliegen?
– Die Maßnahme wird mit allgemeinem Charakter für sämtliche Verbraucher und auf unbeschränkte Zeit, nämlich „solange die in diesem Markt bestehenden Konkurrenz- und Wettbewerbsbedingungen als nicht ausreichend angesehen werden“, eingeführt.
– Die Maßnahme dauert bereits 18 Jahre an.
– Die Maßnahme trägt möglicherweise dazu bei, dass die geringe Wettbewerbsintensität dauerhaft fortbesteht, da sie ein Hindernis für den Eintritt neuer Marktteilnehmer darstellt.
2. Ist mit Blick auf die mit dem Urteil vom 20. April 2010, Federutility u. a. (C‑265/08, EU:C:2010:205), begründete Rechtsprechung die Verpflichtung des beherrschenden Anbieters eines bestimmten räumlichen Bereichs zur Belieferung von Haushalten mit abgefülltem Flüssiggas als Maßnahme zum Schutz sozial schwacher oder in schwer zugänglichen Gebieten wohnender Nutzer mit dieser Rechtsprechung oder dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar, wenn alternativ oder kumulativ die in Frage 1 genannten Umstände vorliegen?
IV. Verfahren vor dem Gerichtshof
30. Schriftliche Erklärungen wurden in der Rechtssache C‑473/17 von Repsol Butano, der spanischen Regierung und der Kommission und in der Rechtssache C‑546/17 von DISA Gas, der spanischen Regierung und der Kommission eingereicht.
31. Durch Beschluss des Gerichtshofs wurden die beiden Rechtssachen zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
32. Repsol Butano, DISA Gas, die spanische Regierung und die Kommission haben an der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2018 teilgenommen.
V. Erklärungen der Verfahrensbeteiligten
33. Repsol Butano und DISA Gas tragen vor, die Richtlinie 2009/73 in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof in der Federutility-Rechtsprechung sei auf den Markt für LPG in Flaschen anwendbar.
34. Für den Energiebinnenmarkt bestehe eine geteilte Zuständigkeit der Union und der Mitgliedstaaten. Dass die Union ihre Zuständigkeit im LPG-Sektor noch nicht ausgeübt habe, bedeute nicht, dass die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit ausüben könnten, ohne die gemeinsamen Kriterien der Union zur Schaffung eines offenen und wettbewerbsfähigen Energiemarkts, wie sie bereits in den Richtlinien über Erdgas und Elektrizität festgelegt worden seien, zu berücksichtigen. Es gebe keinen rechtlichen Grund, diese gemeinsamen Kriterien in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof nicht auf den Markt für ein anderes Energieerzeugnis wie LPG anzuwenden.
35. Nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2009/73 fielen in deren Anwendungsbereich auch „andere Gasarten“ – und dazu gehöre LPG –, „soweit es technisch und ohne Beeinträchtigung der Sicherheit möglich ist, diese Gase in das Erdgasnetz einzuspeisen und durch dieses Netz zu transportieren.“ Die Federutility-Rechtsprechung sei auch in Bezug auf Märkte für andere Energieerzeugnisse, die anstelle von oder zusätzlich zu Erdgas verwendet würden, wie den Markt für LPG in Flaschen, heranzuziehen.
36. Darüber hinaus haben Repsol Butano und DISA Gas in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass diese Rechtsprechung wegen der Nähe zwischen Erdgas- und LPG-Markt in der Union und des Umstands einschlägig sei, dass die Bestimmungen der Verträge und insbesondere jene über die Grundfreiheiten – Art. 34 und Art. 106 Abs. 2 AEUV – auf den Markt für LPG in Flaschen anzuwenden seien. Insoweit müssten die Mitgliedstaaten, obwohl sie nach Art. 14 AEUV Unternehmen mit Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauen könnten, dabei die Bestimmungen der Verträge einhalten, und die in der Federutility-Rechtsprechung festgelegten Kriterien seien in diesem Zusammenhang von Bedeutung.
37. Auf dieser Grundlage machen Repsol Butano und DISA Gas geltend, die angefochtenen Maßnahmen beachteten nicht die in der Federutility-Rechtsprechung festgelegten Kriterien, die erfüllt sein müssten, damit Mitgliedstaaten Unternehmen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegen dürften.
38. Insbesondere sei die Festlegung eines Höchstverkaufspreises wegen ihrer Dauer, ihrer allgemeinen Natur und ihrer wettbewerbswidrigen Wirkungen unverhältnismäßig. Erstens sei die Maßnahme, statt vorübergehend oder zeitlich befristet zu gelten, zu einer dauerhaften Maßnahme geworden, nachdem seit dem Beitritt Spaniens zur Europäischen Union 32 Jahre und seit der Liberalisierung durch das Gesetz 34/1998 fast 20 Jahre verstrichen seien. Zweitens habe sie zwar den Schutz wirtschaftlich schwacher und in abgelegenen Gebieten wohnender Nutzer zum Ziel, sei aber trotzdem allgemeiner Natur, weil sie für alle Verbraucher gelte und nicht auf die Zielgruppe beschränkt sei. Drittens stehe sie einem wettbewerbsbestimmten LPG-Markt und dem Eintritt neuer Wirtschaftsteilnehmer in diesen Markt im Weg. So sei Spanien derzeit der einzige Mitgliedstaat mit einer Höchstpreisregelung für LPG in Flaschen, der den Anbieter mit dem größten Marktanteil zur Hauszustellung verpflichte, und der Höchstpreis sei erheblich niedriger als die Preise auf den Märkten anderer Mitgliedstaaten.
39. Die Verpflichtung zur Hauszustellung sei auch aufgrund ihres allgemeinen und unbefristeten Charakters und ihrer wettbewerbswidrigen Wirkungen unverhältnismäßig und zudem stünden alternative Maßnahmen zur Verfügung wie z. B. die Einführung eines regulierten Rabatts für bestimmte schutzbedürftige Verbraucher (des sogenannten „bono social“), den es in anderen Energiesektoren gebe. Zudem sei die Verpflichtung zur Hauszustellung gemessen an den in der Federutility-Rechtsprechung festgelegten Kriterien diskriminierend, weil sie nur für den Anbieter mit dem größten Marktanteil in einem bestimmten Gebiet gelte, wodurch andere in dem jeweiligen Gebiet tätige Anbieter ausgeschlossen würden und für Unternehmen in der Union kein gleichberechtigter Zugang zu den spanischen Verbrauchern gewährleistet sei.
40. Die spanische Regierung trägt vor, die Richtlinie 2009/73 regele den Markt für LPG in Flaschen nicht, da ihr Anwendungsbereich auf Erdgas und andere Gasarten beschränkt sei, die das Erdgasnetz nutzten(19). Die Richtlinie 2009/73 und die Federutility-Rechtsprechung könnten nicht analog auf den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Fall angewendet werden, weil es in der fraglichen unionsrechtlichen Bestimmung keine Regelungslücke gebe. Für den LPG-Sektor, bei dem es sich um einen anderen Sektor als den Erdgassektor handele, seien bislang keine Harmonisierungsvorschriften zum Zweck der Verwirklichung des Binnenmarkts auf Unionsebene erlassen worden.
41. Die spanische Regierung hält die Vorlagefragen daher für unzulässig, weil es unmöglich sei, den Anwendungsbereich von im Hinblick auf einen anderen Sachverhalt erlassenen Unionsvorschriften über den Willen des Unionsgesetzgebers und der Gesetzgeber der Mitgliedstaaten hinaus auszudehnen.
42. Dessen ungeachtet trägt die spanische Regierung vor, dass der Gerichtshof, um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, die Fragen umformulieren solle, und zwar aus dem Blickwinkel der Art. 14 und 106 AEUV in Verbindung mit dem Protokoll (Nr. 26) über Dienste von allgemeinem Interesse (im Folgenden: Protokoll Nr. 26)(20), die dahin auszulegen seien, dass sie Maßnahmen wie jenen in den Ausgangsverfahren nicht entgegenstünden.
43. Die spanische Regierung verweist insbesondere auf das in Art. 14 AEUV und im Protokoll Nr. 26 verankerte und in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 106 Abs. 2 AEUV anerkannte Ermessen der Mitgliedstaaten bei der Wahrnehmung ihrer Befugnis, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu regeln. Die Voraussetzungen von Art. 106 AEUV im Hinblick auf das allgemeine wirtschaftliche Interesse und die Verhältnismäßigkeit der streitgegenständlichen Maßnahmen seien erfüllt.
44. In der mündlichen Verhandlung hat die spanische Regierung betont, dass der Regelungsrahmen für die vorliegenden Rechtssachen auf Bestimmungen des primären Unionsrechts einschließlich der Grundfreiheiten, Art. 106 Abs. 2 AEUV, dem Protokoll Nr. 26 und Art. 36 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) beruhe, der das Grundrecht auf Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse gewährleiste. Zu den Grundfreiheiten hat die spanische Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die streitgegenständlichen Maßnahmen zwar als eine Beschränkung im Sinne der Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr angesehen werden könnten, dass sie aber jedenfalls gerechtfertigt und verhältnismäßig seien. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit müsse insoweit nicht am Maßstab der Federutility-Rechtsprechung, sondern vielmehr am Maßstab der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und unter Berücksichtigung von Art. 36 der Charta erfolgen.
45. Zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit führt die spanische Regierung u. a. aus, dass die Maßnahmen nicht alle Kunden bzw. alle Arten von Flaschen beträfen, sondern stattdessen in erster Linie auf den einheimischen Verbrauch und auf schutzbedürftige Verbraucher abzielten und zudem einer regelmäßigen Überprüfung durch die zuständigen nationalen Behörden unterlägen. Darüber hinaus sprächen bestimmte Umstände, die den spanischen Markt für LPG in Flaschen kennzeichneten, für die Beibehaltung eines Höchstverkaufspreises(21). Verschiedene alternative Maßnahmen einschließlich eines möglichen „bono social“ seien in Betracht gezogen, aber als im Vergleich zu den angefochtenen Maßnahmen weniger verhältnismäßig angesehen worden.
46. Die Kommission trägt vor, die Richtlinie 2009/73 sei auf LPG in Flaschen nicht anwendbar, da es in Art. 1 der Richtlinie 2009/73 nicht erwähnt werde und es auch nicht im Sinne dieser Bestimmung „technisch und ohne Beeinträchtigung der Sicherheit möglich ist, diese Gase in das Erdgasnetz einzuspeisen und durch dieses Netz zu transportieren“.
47. Allerdings seien die Grundfreiheiten und Art. 106 Abs. 2 AEUV auf den LPG-Flaschen-Sektor anwendbar. Deshalb solle der Gerichtshof die Vorlagefragen dahin beantworten, dass es Sache des vorlegenden Gerichts sei, zu prüfen, inwieweit die Grundfreiheiten auf diesen Sektor anzuwenden seien, ob die angefochtenen Maßnahmen eine Beschränkung dieser Freiheiten darstellten, und wenn ja, ob sie gerechtfertigt und verhältnismäßig seien. Hierzu könnten die in der Federutility-Rechtsprechung zur Frage der Verhältnismäßigkeit festgelegten Kriterien herangezogen werden.
48. Insbesondere lasse sich nicht ausschließen, dass die angefochtenen Maßnahmen geeignet seien, die Einfuhr von LPG aus anderen Mitgliedstaaten nach Spanien – wenn auch nur mittelbar oder potenziell – zu erschweren, und somit ein Hindernis für den freien Warenverkehr darstellten. Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung weiter vorgetragen, dass die Besonderheiten des spanischen Marktes für LPG in Flaschen, wie sie von der spanischen Regierung dargestellt worden seien, die Hauptursache für den Mangel an Neueintritten von Anbietern in diesen Markt seien. Die angefochtenen Maßnahmen seien nicht diskriminierend und verhältnismäßig, da keine auf dem Markt tätigen Unternehmen von vornherein ausgeschlossen würden, und die spanische Regierung habe das ihr im Rahmen der Bestimmung des zur Erreichung der gemeinwirtschaftlichen Zwecke am besten geeigneten und verhältnismäßigen Instruments zustehendes Ermessen nicht überschritten.
VI. Würdigung
49. Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob bestimmte mitgliedstaatliche Maßnahmen, durch die Unternehmen aufgrund des allgemeinen wirtschaftlichen Interesses am Markt für LPG in Flaschen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegt werden, insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit den in der Federutility-Rechtsprechung festgelegten Kriterien vereinbar sind. Die fraglichen mitgliedstaatlichen Maßnahmen umfassen erstens die Bestimmung eines Höchstverkaufspreises einschließlich der Kosten der Hauszustellung für LPG in Flaschen mit einem Gewicht zwischen 8 und 20 kg und einem Leergewicht von über 9 kg(22), und verpflichten zweitens den größten Anbieter in dem jeweiligen Gebiet, diese Flaschen auf Verlangen den Kunden nach Hause zu liefern.
50. Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass LPG in Flaschen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/73 fällt und dass diese Richtlinie und die Federutility-Rechtsprechung nicht analog auf den LPG-Flaschen-Sektor angewendet werden können. Daher bin ich der Auffassung, dass die Richtlinie 2009/73 in der Auslegung durch den Gerichtshof in der Federutility-Rechtsprechung mitgliedstaatlichen Maßnahmen wie den in den Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht.
51. Ich bin außerdem der Ansicht, dass der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen nicht im Hinblick auf die Anwendbarkeit anderer Vorschriften des Unionsrechts umformulieren sollte.
52. Meine Erwägungen werde ich nachstehend darlegen, aber zunächst möchte ich auf die Frage der Zulässigkeit der Vorlagen eingehen.
A. Zulässigkeit
53. Die spanische Regierung macht im Wesentlichen geltend, die Vorlagen seien unzulässig, weil der Streitgegenstand der Ausgangsverfahren nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/73 falle (siehe Nr. 41 der vorliegenden Schlussanträge). Zwar schlägt die spanische Regierung dem Gerichtshof vor, die ihm vorgelegten Fragen – umformuliert im Hinblick auf die Auslegung der Art. 14 und 106 AEUV in Verbindung mit dem Protokoll Nr. 26 – zu beantworten, aber auf ihre Einrede sollte trotzdem eingegangen werden.
54. Zunächst gibt es, soweit diese Einrede nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen abzielt, keinerlei Grundlage für die Behauptung, die Vorlagefragen stünden offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität des Ausgangsrechtsstreits oder das Problem sei hypothetischer Natur oder der Gerichtshof verfüge nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich seien, mit der die Vermutung der Entscheidungserheblichkeit widerlegt werden könnte(23).
55. Sodann betrifft die Frage, ob die Richtlinie 2009/73 in der Auslegung durch den Gerichtshof in der Federutility-Rechtsprechung auf den LPG-Flaschen-Sektor anzuwenden ist, nicht die Zulässigkeit der Vorlagefragen, sondern deren sachliche Prüfung(24).
56. Die Einrede der Unzulässigkeit der Vorlagen ist daher zurückzuweisen.
B. Beantwortung der Fragen
1. Anwendbarkeit der Richtlinie 2009/73 und der Federutility-Rechtsprechung auf den Ausgangsfall
a) Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/73
57. Der Gerichtshof hat sich bisher noch nicht zur Frage des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2009/73 im Zusammenhang mit LPG geäußert(25).
58. Wie der Gerichtshof festgestellt hat, bezweckt die Richtlinie 2009/73, die Verwirklichung eines vollständig und tatsächlich offenen und wettbewerbsbestimmten Erdgasbinnenmarkts zu verfolgen, in dem alle Kunden ihre Lieferanten frei wählen können und in dem alle Anbieter ihre Kunden frei beliefern können(26).
59. Zu diesem Zweck ist in Art. 1 der Richtlinie 2009/73 ihr Gegenstand und ihr Anwendungsbereich geregelt. In Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2009/73 heißt es, dass mit dieser Richtlinie gemeinsame Vorschriften für die Fernleitung, die Verteilung, die Lieferung und die Speicherung von Erdgas erlassen werden.
60. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2009/73 bestimmt, dass die mit dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften für Erdgas, einschließlich verflüssigtem Erdgas (LNG), „auch in nichtdiskriminierender Weise für Biogas und Gas aus Biomasse oder anderen Gasarten [gelten], soweit es technisch und ohne Beeinträchtigung der Sicherheit möglich ist, diese Gase in das Erdgasnetz einzuspeisen und durch dieses Netz zu transportieren“(27).
61. Weder in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2009/73 noch in einer anderen Bestimmung dieser Richtlinie wird LPG erwähnt.
62. Wie sich aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2009/73 ergibt, ist der Umstand, dass LPG als andere „Gasart“(28) oder als Alternative oder Ergänzung zu Erdgas(29) angesehen werden kann, als solcher nicht ausschlaggebend oder ausreichend, um den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/73 abzugrenzen. Vielmehr fallen die fraglichen „anderen Gasarten“ nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2009/73 nur dann in deren Anwendungsbereich, wenn sie dazu geeignet sind, technisch und ohne Beeinträchtigung der Sicherheit in das Erdgasnetz eingespeist und durch dieses Netz transportiert zu werden.
63. Wie die Kommission und die spanische Regierung vorgetragen haben, ist es nicht im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2009/73 technisch und ohne Beeinträchtigung der Sicherheit möglich, LPG in das Erdgasnetz einzuspeisen und durch dieses Netz zu transportieren. Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, dass dies zutrifft, ist davon auszugehen, dass LPG nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/73 fällt.
64. Es sei darauf hingewiesen, dass dieses Ergebnis den Gesetzesmaterialien der Richtlinie 2009/73 zu entsprechen scheint.
65. Die Richtlinie 2009/73 ist Bestandteil des sogenannten dritten Energiepakets, das eine Reihe von Maßnahmen der Union im Erdgas- und Elektrizitätssektor umfasst(30). Im Anschluss an die früheren Maßnahmenpakete, zu denen im Hinblick auf Erdgas erstens die Richtlinie 98/30(31) und zweitens die Richtlinie 2003/55 gehörten, bezweckt die Richtlinie 2009/73 die vollständige Verwirklichung der Liberalisierung des Erdgassektors, wobei die noch bestehenden Hindernisse für die Lieferung von Erdgas in der gesamten Union beseitigt werden sollen(32).
66. Was ursprünglich den Anwendungsbereich der Richtlinie 98/30 anbelangt, erwähnte Art. 1 dieser Richtlinie nur „de[n] Erdgassektor, auch in Bezug auf verflüssigtes Erdgas (LNG)“. Aufgrund von Änderungen durch das Europäische Parlament(33) hatte Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2003/55 einen ähnlichen Wortlaut(34) wie der jetzige Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2009/73 (mit kleinen Änderungen)(35). Im Verlauf dieser Änderungen scheint LPG nie Gegenstand der Überlegungen gewesen zu sein.
67. Das scheint auch im Kontext des jüngsten Vorschlags der Kommission zur Änderung der Richtlinie 2009/73(36) mit dem Ziel, offensichtliche Lücken im EU-Rechtsrahmen für Erdgasleitungen in und aus Drittstaaten zu schließen, der Fall zu sein. Insbesondere enthalten vorbereitende Dokumente des Europäischen Parlaments, auch wenn dieses seine erste Lesung des Vorschlags noch nicht beendet hat, einen Vorschlag für eine Änderung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2009/73, um „erneuerbare Energie aus umweltfreundlichem Wasserstoff und synthetischem Methan“ in den Anwendungsbereich der Richtlinie aufzunehmen(37). LPG hingegen wird nicht erwähnt.
68. Angesichts dessen, dass umweltfreundlicher Wasserstoff und synthetisches Methan (das auch als Biogas bzw. Substitute Natural Gas [SNG] bezeichnet wird) gasförmige Kraftstoffe sind, die in Erdgasleitungen eingespeist werden können(38), lässt sich aus diesem Änderungsvorschlag in Verbindung mit den früheren Änderungen der Richtlinie 2009/73 ableiten, dass nach dem Willen des Unionsgesetzgebers der Anwendungsbereich dieser Richtlinie auf Erdgas und andere Gasarten, die das Erdgasleitungsnetz nutzen können, beschränkt sein soll.
69. Darüber hinaus steht es im Einklang mit einigen anderen Maßnahmen der Europäischen Union im Bereich des Energierechts, die zwischen LPG und Erdgas als unterschiedlichen Energieerzeugnissen differenzieren, wenn LPG vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/73 ausgenommen wird. So wird LPG in der Verordnung Nr. 1099/2008 über die Energiestatistik(39) generell in die Kategorie der Rohöl- und Mineralölprodukte eingestuft und nicht in die Kategorie Erdgas. Auch in der Richtlinie 2014/94/EU über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe(40) werden Erdgas und LPG bei der Bestimmung des Begriffs „alternative Kraftstoffe“ für die Zwecke dieser Richtlinie in unterschiedlichen Kategorien aufgeführt.
b) Analoge Anwendung der Richtlinie 2009/73 und der Federutility-Rechtsprechung
70. Ich bin nicht überzeugt, dass die Richtlinie 2009/73 und die Federutility-Rechtsprechung, wie Repsol Butano und DISA Gas vortragen, analog auf den Sachverhalt der Ausgangsverfahren angewendet werden können, und zwar aus den im Folgenden dargestellten Gründen.
71. Erstens liegen die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Richtlinie 2009/73 auf die Ausgangsverfahren nicht vor.
72. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs setzt die analoge Anwendung erstens das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke im Unionsrecht, die durch Anwendung einer unionsrechtlichen Regelung für gleichartige Fälle geschlossen werden soll, und zweitens die Vergleichbarkeit der Interessenlage zwischen untersuchtem und geregeltem Fall voraus(41).
73. Darüber hinaus ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs und insbesondere nach dem Urteil Kernkraftwerke Lippe-Ems(42) die analoge Anwendung einer Richtlinienbestimmung abzulehnen, wenn damit unter Verstoß gegen die ausdrücklichen Bestimmungen der Richtlinie deren Anwendungsbereich erweitert würde.
74. Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Cristal Union(43) erörtert habe, wurde der Gerichtshof in der Rechtssache Kernkraftwerke Lippe-Ems gefragt, ob die in Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96/EG des Rates zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom(44) vorgesehene zwingende Ausnahmeregelung auf Kernbrennstoff anzuwenden sei, weil dieser zwar, wie es diese Bestimmung verlange, „bei der Stromerzeugung verwendet“ werde, aber nicht unter den „Energieerzeugnissen“ aufgeführt sei, auf die die Richtlinie 2003/96 gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 anzuwenden sei. Der Gerichtshof hat entschieden, dass Kernbrennstoff nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, und wies das Argument zurück, dass diese Richtlinie analog auf bei der Stromerzeugung verwendeten Kernbrennstoff angewendet werden solle. Es steht außer Frage, dass der Gerichtshof, wenn er die betreffende Ausnahmeregelung auf bei der Stromerzeugung verwendeten Kernbrennstoff angewendet hätte, den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/96 unter Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie erweitert hätte(45).
75. In den vorliegenden Rechtssachen ist die Tatsache, dass LPG in Flaschen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/73 fällt, keine Regelungslücke, sondern scheint vielmehr dem Willen des Unionsgesetzgebers zu entsprechen, dass sich diese Richtlinie nicht auf LPG in Flaschen erstrecken soll. Würde der Gerichtshof die in der Richtlinie 2009/73 niedergelegten Regeln auf den LPG-Flaschen-Sektor analog anwenden, würde er den Anwendungsbereich dieser Richtlinie über den ausdrücklichen Wortlaut von deren Art. 1 Abs. 2 hinaus ausdehnen.
76. Dieselben Überlegungen gelten für die analoge Anwendung der Federutility-Rechtsprechung auf den Sachverhalt der Ausgangsverfahren, da in dieser Rechtsprechung die Richtlinie 2009/73 ausgelegt wird.
77. In der fraglichen Rechtsprechung hat der Gerichtshof festgestellt, dass eine staatliche Intervention bei der Preisfestsetzung im Erdgassektor zwar ein Hindernis für die Verwirklichung eines funktionsfähigen Erdgasmarkts darstellt, im Rahmen der Richtlinie 2009/73(46) und insbesondere gestützt auf deren Art. 3 Abs. 2(47) aber gleichwohl zulässig sein kann, so dass Unternehmen im allgemeinen Interesse Gemeinwohlverpflichtungen auferlegt werden können, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens muss die Maßnahme ein Ziel von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse verfolgen, zweitens muss sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, und drittens muss sie Gemeinwohlverpflichtungen vorsehen, die klar festgelegt, transparent, nicht diskriminierend und überprüfbar sind und den gleichberechtigten Zugang von Erdgasunternehmen in der Union zu den Verbrauchern sicherstellen(48).
78. In dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof dem betreffenden nationalen Gericht außerdem im Hinblick auf die zweite Voraussetzung, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit betrifft, die folgenden Hinweise gegeben, um sicherzustellen, dass die Gemeinwohlverpflichtungen, die gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2009/73 den Unternehmen auferlegt werden können, die freie Festlegung des Lieferpreises für Erdgas nach dem 1. Juli 2007 nur insoweit beeinträchtigen, wie es zur Erreichung des mit ihnen verfolgten, im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegenden Ziels erforderlich ist: Erstens muss die Maßnahme geeignet sein, die Verwirklichung des Ziels von allgemeinem Interesse zu gewährleisten; zweitens muss die Dauer der staatlichen Preisintervention auf das zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels strikt Notwendige begrenzt werden; drittens darf die angewandte Interventionsmethode nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erforderlich ist, und viertens muss die Maßnahme auch im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich und insbesondere im Hinblick auf die von ihr Begünstigten beurteilt werden(49).
79. Hervorzuheben ist, dass die Federutility-Rechtsprechung in dem durch die Richtlinie 2009/73 geschaffenen harmonisierten Rechtsrahmen angesiedelt ist, mit dem ein Ausgleich angestrebt wird zwischen – auf der einen Seite – dem Primärziel, innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens einen vollständig offenen und wettbewerbsbestimmten Erdgasbinnenmarkt zu schaffen, und – auf der anderen Seite – der Zulässigkeit bestimmter staatlicher Eingriffe in die Preisregulierung in Form der Auferlegung von Gemeinwohlverpflichtungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse gemäß Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie, sofern die strengen Kriterien, die sich aus dieser Bestimmung und aus der ihre Auslegung betreffenden Federutility-Rechtsprechung ergeben, eingehalten werden(50). Davon ausgehend halte ich die vom Gerichtshof in dieser Rechtsprechung festgelegten Kriterien nicht für allgemein formuliert und außerhalb dieses harmonisierten Rechtsrahmens auf einen Sektor anwendbar, der nicht Gegenstand einer Unionsrichtlinie über eine sektorale Liberalisierung ist.
80. Auf einer Linie mit den Ausführungen meines Kollegen Generalanwalt Szpunar in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kernkraftwerke Lippe-Ems(51) bin ich der Ansicht, dass die Ausdehnung der Kriterien der Federutility-Rechtsprechung auf den LPG-Flaschen-Sektor einen Eingriff in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/73 und in die Befugnis der Mitgliedstaaten, außerhalb des von dieser Richtlinie abgedeckten harmonisierten Bereichs Regelungen zu erlassen, darstellen würde.
81. Dementsprechend bin ich der Auffassung, dass LPG nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/73 fällt und dass die Richtlinie 2009/73 und die Federutility-Rechtsprechung nicht analog auf den Sachverhalt der Ausgangsverfahren anzuwenden sind.
82. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, auf die Vorlagefragen in den vorliegenden Rechtssachen zu antworten, dass die Richtlinie 2009/73 in der Auslegung durch den Gerichtshof in der Federutility-Rechtsprechung nationalen Maßnahmen wie jenen, um die es in den Ausgangsverfahren geht, nicht entgegensteht.
2. Anwendbarkeit anderer Bestimmungen des Unionsrechts auf die Ausgangsverfahren
83. In den Vorlagefragen, so wie sie formuliert sind, wird nach der Vereinbarkeit der fraglichen mitgliedstaatlichen Maßnahmen mit der Federutility-Rechtsprechung „oder mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“ gefragt (siehe Nrn. 28 und 29 der vorliegenden Schlussanträge). Sollte der Gerichtshof daher zu dem Ergebnis kommen, dass die Richtlinie 2009/73 und die Federutility-Rechtsprechung nicht auf den Sachverhalt der Ausgangsverfahren anwendbar sind, könnte man annehmen, dass er mit den Vorlagefragen um Hinweise zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit jener Maßnahmen außerhalb dieses Rahmens ersucht wird.
84. Allerdings kann die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit nicht in einem Vakuum erfolgen(52). Wie sich aus ihren Erklärungen vor dem Gerichtshof ergibt, schlagen die Verfahrensbeteiligten drei unterschiedliche Herangehensweisen an die Prüfung der Vereinbarkeit der angefochtenen Maßnahmen mit dem Unionsrecht und insbesondere mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor. Während Repsol Butano und DISA Gas sich auf die in der Federutility-Rechtsprechung, die die Richtlinie 2009/73 auslegt, festgelegten Kriterien stützen, zieht die spanische Regierung die Vertragsbestimmungen über Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, darunter die Art. 14 und 106 AEUV, in Verbindung mit dem Protokoll Nr. 26 und Art. 36 der Charta heran. Die spanische Regierung scheint auch den Erklärungen der Kommission über die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten und insbesondere des freien Warenverkehrs in den vorliegenden Rechtssachen beizupflichten.
85. Zwar trifft es zu, dass der Gerichtshof nach seiner Rechtsprechung, auch wenn das vorlegende Gericht seine Fragen auf die Auslegung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts beschränkt hat, nicht gehindert ist, diesem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zu diesem Zweck befugt ist, auf der Grundlage u. a. der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise zu geben(53). Um dem vorlegenden Gericht sachdienlich zu antworten, kann der Gerichtshof ferner die Vorlagefragen umformulieren und auf unionsrechtliche Vorschriften eingehen, die in den Vorlagefragen nicht angeführt sind(54).
86. Gleichwohl bin ich der Ansicht, dass es unter den Umständen der vorliegenden Verfahren nicht angebracht ist, die vorgelegten Fragen den Ausführungen der spanischen Regierung und der Kommission entsprechend umzuformulieren, und zwar aus den folgenden Gründen.
87. Erstens verleihen die Art. 14 und 106 AEUV zwar der Bedeutung der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse(55) in der Rechtsordnung der Union Ausdruck, sie können aber für sich genommen nicht als Grundlage für die Beurteilung der angefochtenen Maßnahmen nach dem Unionsrecht und insbesondere für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit unter den Umständen der vorliegenden Rechtssachen dienen(56).
88. Art. 14 AEUV verankert zusammen mit dem Protokoll Nr. 26 den Stellenwert, den Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse innerhalb der gemeinsamen Werte der Union einnehmen(57). Art. 14 AEUV(58) ist eine „Bestimmung mit allgemeiner Geltung“ für die verschiedenen Politikbereiche und Tätigkeiten der Union, die u. a. vorsieht, dass die Grundsätze für das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sein müssen, dass diese ihren Aufgaben nachkommen können, und zwar unbeschadet des Art. 4 EUV und der Art. 93, 106 und 107 AEUV und unter der Verantwortung der Union und der Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse im Anwendungsbereich der Verträge. Wie der Gerichtshof in der Federutility-Rechtsprechung festgestellt hat, erkennt das Protokoll Nr. 26 den Behörden der Mitgliedstaaten bei der Lieferung, der Ausführung und der Organisation der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse explizit eine wichtige Rolle und einen weiten Ermessensspielraum zu(59).
89. Wie der Gerichtshof in der Federutility-Rechtsprechung ebenfalls betont hat, soll Art. 106 Abs. 2 AEUV(60) das Interesse der Mitgliedstaaten am Einsatz bestimmter Unternehmen als Instrument der Wirtschafts- oder Sozialpolitik mit dem Interesse der Union an der Einhaltung der Wettbewerbsregeln und der Wahrung der Einheit des Binnenmarkts in Einklang bringen(61). In diesem Zusammenhang sind die Mitgliedstaaten berechtigt, unter Beachtung des Rechts der Union den Umfang und die Organisation ihrer Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu bestimmen, und können insbesondere Ziele berücksichtigen, die ihrer nationalen Politik eigen sind(62). Allerdings beruft sich die spanische Regierung in ihren Erklärungen(63) nicht auf Art. 106 Abs. 2 AEUV, um eine Ausnahme von der Anwendung bestimmter Vorschriften der Verträge zu rechtfertigen(64).
90. Darüber hinaus werden die Grundfreiheiten in den Erklärungen der Verfahrensbeteiligten zwar erwähnt, aber meines Erachtens reichen die Angaben in den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht aus, um zu bestimmen, welche Grundfreiheit im Zusammenhang mit den angefochtenen Maßnahmen anzuwenden ist, und dem Gerichtshof als Grundlage für seine Hinweise zur Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu dienen. In dieser Hinsicht hat die Kommission auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass nicht genügend Angaben vorhanden seien, um eindeutig zu bestimmen, welche Grundfreiheiten anwendbar seien, und dass zwar auf den freien Warenverkehr Bezug genommen werde, die anderen Grundfreiheiten und die Dienstleistungsrichtlinie(65) aber nicht ausgeschlossen werden könnten.
91. Daher ist der Gerichtshof, obwohl es zutreffen mag, dass andere Vorschriften des Unionsrechts wie die Grundfreiheiten oder das Wettbewerbsrecht auf den Sachverhalt in den Ausgangsverfahren anwendbar sein könnten, vom vorlegenden Gericht nicht um die Auslegung jener Vorschriften ersucht worden, und für eine solche Beurteilung verfügt er auch nicht über hinreichende tatsächliche und rechtliche Angaben(66). Eine diesbezügliche Änderung des Gehalts der Vorlagen wäre mit der Verpflichtung des Gerichtshofs unvereinbar, den Mitgliedstaaten und den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zu verschaffen, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union Erklärungen abzugeben, wobei zu berücksichtigen ist, dass nur die Vorlageentscheidung den Verfahrensbeteiligten im Sinne dieser Vorschrift zugestellt wird(67).
92. Daher bin ich der Ansicht, dass der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen nicht umformulieren, sondern vielmehr in seiner Antwort darauf hinweisen sollte, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, die Anwendbarkeit der Bestimmungen der Verträge, insbesondere über die Grundfreiheiten, im Zusammenhang mit den angefochtenen Maßnahmen festzustellen. Natürlich steht es diesem Gericht frei, eine weitere Vorlage nach Art. 267 AEUV einzureichen.
VII. Ergebnis
93. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:
1. Die Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG in der Auslegung im Urteil vom 20. April 2010, Federutility u. a. (C‑265/08, EU:C:2010:205), und in der nachfolgenden Rechtsprechung steht einer Maßnahme zur Bestimmung eines Höchstpreises für LPG in Flaschen als Maßnahme zum Schutz sozial schwacher Nutzer nicht entgegen, wenn alternativ oder kumulativ die im Folgenden genannten Umstände vorliegen:
– Die Maßnahme wird mit allgemeinem Charakter für sämtliche Verbraucher und auf unbeschränkte Zeit, nämlich „solange die in diesem Markt bestehenden Konkurrenz- und Wettbewerbsbedingungen als nicht ausreichend angesehen werden“, eingeführt;
– die Maßnahme dauert bereits 18 Jahre an;
– die Maßnahme trägt möglicherweise dazu bei, dass die geringe Wettbewerbsintensität dauerhaft fortbesteht, da sie ein Hindernis für den Eintritt neuer Marktteilnehmer darstellt.
2. Die Richtlinie 2009/73 in der Auslegung im Urteil vom 20. April 2010, Federutility u. a. (C‑265/08, EU:C:2010:205), und in der nachfolgenden Rechtsprechung steht einer Maßnahme, die eine Verpflichtung zur Hauszustellung von LPG in Flaschen als Maßnahme zum Schutz sozial schwacher oder in schwer zugänglichen Gebieten wohnender Nutzer vorsieht, nicht entgegen, wenn alternativ oder kumulativ die in der vorstehenden Nummer genannten Umstände vorliegen.