Language of document : ECLI:EU:F:2016:197

BESCHLUSS DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
DER EUROPÄISCHEN UNION
(Erste Kammer)

2. August 2016

Rechtssache F‑102/13

Soldimar Urena de Poznanski

gegen

Europäische Kommission

„Öffentlicher Dienst – Beamte – Ruhegehälter – Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts – Übertragung von nach anderen Ruhegehalts‑ bzw. Rentenversicherungssystemen erworbenen Ruhegehalts‑ bzw. Rentenversicherungsansprüchen auf das Versorgungssystem der Union – Entscheidung, mit der die ruhegehaltsfähigen Dienstjahre unter Anwendung der neuen ADB zu den Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts angerechnet werden – Art. 81 der Verfahrensordnung – Teilweise offensichtlich unzulässige und teilweise offensichtlich unbegründete Klage“

Gegenstand:      Klage nach Art. 270 AEUV, der gemäß Art. 106a EA auch für den EAG‑Vertrag gilt, auf Aufhebung der Entscheidung der Europäischen Kommission über die Anrechnung der ruhegehaltsfähigen Dienstjahre der Klägerin im Versorgungssystem der Europäischen Union nach der Übertragung ihrer vor dem Eintritt in den Dienst der Union erworbenen Ruhegehaltsansprüche

Entscheidung:      Die Klage wird als teils offensichtlich unzulässig und teils offensichtlich unbegründet abgewiesen. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Leitsätze

1.      Handlungen der Organe – Zeitliche Geltung – Unmittelbare Geltung der neuen Vorschrift für die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist – Erlass neuer allgemeiner Vorschriften zur Durchführung der Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts – Anwendung auf die vor Erlass der neuen Regelung beantragte, jedoch nach deren Inkrafttreten vorgenommene Übertragung der erworbenen Ruhegehaltsansprüche – Verletzung der wohlerworbenen Rechte und des Grundsatzes des Vertrauensschutzes – Fehlen

(Beamtenstatut, Anhang VIII Art. 11 Abs. 2)

2.      Beamte – Versorgungsbezüge – Vor dem Eintritt in den Dienst der Union erworbene Ruhegehaltsansprüche – Übertragung auf das System der Union – Erlass neuer allgemeiner Vorschriften zur Durchführung der Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts – Unterschiedliche Behandlung von Beamten, bei denen der Kapitalwert ihrer Ruhegehaltsansprüche auf das System der Union übertragen wurde, je nachdem, ob die Übertragung vor oder nach Inkrafttreten dieser Vorschriften erfolgte – Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz – Fehlen

(Beamtenstatut, Anhang VIII Art. 11 Abs. 2)

1.      Die Anwendung neuer Durchführungsvorschriften zu den Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts auf eine vor Erlass dieser Vorschriften beantragte, jedoch nach deren Inkrafttreten durchgeführte Übertragung von in einem anderen Versorgungssystem erworbenen Ruhegehaltsansprüchen auf das Versorgungssystem der Union verstößt nicht gegen Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts.

Nach einem allgemein anerkannten Grundsatz ist eine neue Vorschrift, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, unmittelbar auf den entstehenden Sachverhalt sowie auf die künftigen Folgen eines Sachverhalts anwendbar, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden, aber noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Etwas anderes gilt nur für unter der Geltung der früheren Vorschrift entstandene und abgeschlossene Sachverhalte, die wohlerworbene Rechte begründen. Ein Recht gilt als wohlerworben, wenn der Tatbestand, der dieses Recht begründet, vor der Gesetzesänderung erfüllt ist. Dies ist jedoch nicht der Fall bei einem Recht, dessen begründender Tatbestand sich nicht unter der Geltung der Rechtsvorschriften vor ihrer Änderung verwirklicht hat.

Zum einen steht Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts einer solchen unmittelbaren Anwendung neuer Durchführungsvorschriften nicht entgegen.

Zum anderen werden weder durch die Übermittlung eines Vorschlags zur Anrechnung von ruhegehaltsfähigen Dienstjahren an den Beamten oder sonstigen Bediensteten, der einen Antrag auf Übertragung von in einem anderen Versorgungssystem erworbenen Ruhegehaltsansprüchen auf das Versorgungssystem der Union gestellt hat, noch erst recht durch die bloße Stellung eines solchen Antrags die rechtliche Stellung des Betroffenen verändert oder verbindliche rechtliche Wirkungen erzeugt. Daher bestanden für einen Beamten oder einen sonstigen Bediensteten keine wohlerworbenen Rechte, die durch die Anwendung der neuen Vorschriften hätten verletzt werden können.

Außerdem entsteht der Anspruch eines Beamten oder Bediensteten auf Anrechnung von ruhegehaltsfähigen Dienstjahren vollständig erst, nachdem der Kapitalwert seiner in einem anderen System erworbenen Ansprüche auf das Versorgungssystem der Union übertragen worden ist.

Zudem können sich Einzelne nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen, um sich der Anwendung einer neuen Rechtsvorschrift zu widersetzen, insbesondere in einem Bereich, in dem der Gesetzgeber über ein weites Ermessen verfügt.

(vgl. Rn. 23 bis 26, 28 und 35)

Verweisung auf:

Gericht der Europäischen Union: Urteil vom 13. Oktober 2015, Kommission/Verile und Gjergji, T‑104/14 P, EU:T:2015:776, Rn. 151 bis 154 und 170 und die dort angeführte Rechtsprechung

2.      Durch den Erlass neuer allgemeiner Durchführungsvorschriften für die Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts, aus denen sich eine unterschiedliche Behandlung von Beamten ergibt, je nachdem, ob bei ihnen der Kapitalwert ihrer in einem anderen System erworbenen Ruhegehaltsansprüche an das Versorgungssystem der Union vor oder nach Inkrafttreten der genannten Vorschriften übertragen wurde, verstößt das Organ nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, da die unterschiedliche Behandlung Beamte betrifft, die nicht ein und derselben Gruppe angehören.

Beamte, bei denen der Kapitalwert ihrer in einem anderen System erworbenen Ruhegehaltsansprüche im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Vorschriften nicht auf das Versorgungssystem der Union übertragen worden war, befanden sich nämlich nicht in derselben rechtlichen Lage wie die Beamten, deren vor ihrem Dienstantritt erworbene Ruhegehaltsansprüche bereits vor diesem Zeitpunkt auf das Versorgungssystem der Union in Form von Kapital übertragen worden waren und in Bezug auf die im Rahmen des letztgenannten Systems bereits eine Entscheidung über die Anrechnung der ruhegehaltsfähigen Dienstjahre getroffen worden war. Während die Erstgenannten noch Ruhegehaltsansprüche in einem anderen Versorgungssystem hatten, war bei den Zweitgenannten bereits ein Kapitaltransfer mit der Folge des Erlöschens dieser Rechte und der entsprechenden Anrechnung der ruhegehaltsfähigen Dienstjahre im Versorgungssystem der Union erfolgt.

Außerdem beruht diese unterschiedliche Behandlung auch auf einem objektiven und vom Willen des betreffenden Organs unabhängigen Kriterium, nämlich auf der Schnelligkeit des externen Versorgungssystems bei der Bearbeitung des Antrags auf Übertragung des Kapitals des Betroffenen.

(vgl. Rn. 36)

Verweisung auf:

Gericht der Europäischen Union: Urteil vom 13. Oktober 2015, Kommission/Verile und Gjergji, T‑104/14 P, EU:T:2015:776, Rn. 177 bis 180