Language of document : ECLI:EU:T:2011:405

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTS

29. Juli 2011 (*)

„Vorläufiger Rechtsschutz – Wettbewerb – Auskunftsverlangen – Art. 18 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Antrag auf einstweilige Anordnung – Dringlichkeit“

In der Rechtssache T‑302/11 R

HeidelbergCement AG mit Sitz in Heidelberg (Deutschland),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte U. Denzel, T. Holzmüller und P. Pichler,

Antragstellerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer, R. Sauer und C. Hödlmayr als Bevollmächtigte,

Antragsgegnerin,

wegen Aussetzung des Vollzugs des Beschlusses K (2011) 2361 endgültig der Kommission vom 31. März 2011 in einem Verfahren nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates (Sache 39520 – Zement und verwandte Produkte)

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

folgenden

Beschluss

 Sachverhalt und Verfahren

1        Wie aus den Akten hervorgeht, leitete die Kommission im Oktober 2008 gegen die Antragstellerin sowie gegen weitere von dieser kontrollierte Gesellschaften Ermittlungen in Form von Nachprüfungen gemäß Art. 20 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102] [AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1, S. 1) ein. Im Anschluss daran beantwortete die Antragstellerin mehrere auf Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 gestützte Auskunftsverlangen der Kommission.

2        Am 6. Dezember 2010 beschloss die Kommission nach Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 die förmliche Einleitung eines Verfahrens wegen etwaiger wettbewerbswidriger Verhaltensweisen gegen die Antragstellerin, einschließlich ihrer in der Europäischen Union ansässigen Tochtergesellschaften, sowie gegen eine Reihe anderer Zementhersteller. Die mutmaßlichen Zuwiderhandlungen bestanden der Kommission zufolge vor allem in Einschränkungen des Handelsverkehrs im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), einschließlich der Beschränkung von Einfuhren in den EWR, in einer Marktaufteilung sowie in Preisabsprachen auf den Märkten für Zement und verwandte Produkte.

3        Am 30. März 2011 erließ die Kommission sodann den Beschluss K (2011) 2361 endgültig in einem Verfahren nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 (Sache 39520 – Zement und verwandte Produkte, im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem sie der Antragstellerin aufgab, innerhalb von zwölf Wochen, d. h. bis zum 27. Juni 2011, zahlreiche Daten und Informationen (Fragenkomplexe 1 bis 10) bzw. innerhalb von zwei Wochen Angaben zu Kontakten und Sitzungen (Fragenkomplex 11) zu übermitteln.

4        Zuvor hatte die Kommission am 8. November 2010 der Antragstellerin eine Entwurfsversion des angefochtenen Beschlusses zugeleitet und ihr Gelegenheit gegeben, sich zur Existenz der verlangten Angaben sowie zu eventuellen Schwierigkeiten der Daten- und Informationsbeschaffung zu äußern. Eine entsprechende Stellungnahme gab die Antragstellerin am 16. November 2010 ab, wobei sie den Aufwand zur Ermittlung der geforderten Daten darlegte, sich zur Verfügbarkeit einzelner Daten äußerte und erklärte, dass sie für die Zusammenstellung der verlangten Daten deutlich mehr Zeit als von der Kommission vorgesehen benötigen werde.

5        Nachdem die Antragstellerin am 18. April 2011 Informationen zur Beantwortung des Fragenkomplexes 11 übermittelt hatte, stellte sie am 27. Mai 2011 bei der Kommission den Antrag, die Frist zur Beantwortung der übrigen Fragenkomplexe um 18 Wochen zu verlängern. Mit Schreiben vom 31. Mai 2011 wies die Kommission diesen Antrag zurück, erklärte sich allerdings bereit, eine Fristverlängerung für die Beantwortung einzelner Fragen zu gewähren, sofern jeweils der Bearbeitungsaufwand und der Grund der Verzögerung dargelegt würden. Einen entsprechenden Verlängerungsantrag hat die Antragstellerin jedoch deshalb nicht gestellt, weil die verlangten ausführlichen Begründungen ihres Erachtens genau die Ressourcen binden würden, die für den Versuch einer fristgemäßen Beantwortung der zahlreichen Fragenkomplexe dringend erforderlich seien.

6        Mit Klageschrift, die am 10. Juni 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin Klage mit dem Ziel erhoben, Art. 1 und Art. 2 des angefochtenen Beschlusses für nichtig zu erklären. Zur Begründung macht sie geltend, Art und Umfang der abgefragten Daten seien zur Aufklärung des Tatvorwurfs im Sinne von Art. 18 Verordnung Nr. 1/2003 nicht erforderlich. Außerdem verstoße das Vorgehen der Kommission gegen die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Bestimmtheit. Der angefochtene Beschluss sei auch nicht ordnungsgemäß begründet. Schließlich habe die Kommission die garantierten Verteidigungsrechte der Antragstellerin verletzt.

7        Mit besonderem Schriftsatz, der am 17. Juni bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, der darauf abzielt,

–        den Vollzug des angefochtenen Beschlusses bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen;

–        hilfsweise, jede andere oder zusätzliche einstweilige Anordnung zu treffen, die der Präsident des Gerichts für erforderlich oder angemessen hält;

–        die Entscheidung über die Verfahrenskosten der Hauptsache vorzubehalten.

8        Nachdem mit Beschluss der Kommission vom 27. Juni 2011 die Frist zur Beantwortung der Fragenkomplexe 1 bis 10 für die Antragstellerin um fünf Wochen bis zum 2. August 2011 verlängert wurde, hat Letztere mit Schriftsatz vom 8. Juli 2011 gemäß Art. 64 der Verfahrensordnung des Gerichts beantragt,

–        ihr zu gestatten, auf die erwartete Stellungnahme der Kommission zu ihrem Eilantrag mit einem weiteren Schriftsatz zu erwidern;

–        hilfsweise, eine mündliche Anhörung anzuberaumen.

9        In ihrer schriftlichen Stellungnahme zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, die am 12. Juli 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, beantragt die Kommission,

–        den Antrag auf Aussetzung des Vollzugs des angefochtenen Beschlusses zurückzuweisen;

–        der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

 Gründe

10      Nach Art. 278 AEUV und Art. 279 AEUV in Verbindung mit Art. 256 Abs. 1 AEUV kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der vor dem Gericht angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

11      Gemäß Art. 104 § 2 der Verfahrensordnung müssen Anträge auf einstweilige Anordnungen den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter kann somit die Aussetzung des Vollzugs anordnen und einstweilige Anordnungen treffen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass diese Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht notwendig (Fumus boni iuris) und dringlich in dem Sinne sind, dass es zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, sie bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache zu erlassen und wirksam werden zu lassen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 19. Juli 1995, Kommission/Atlantic Container Line u. a., C‑149/95 P[R], Slg. 1995, I‑2165, Randnr. 22). Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so dass der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen ist, sofern es an einer von ihnen fehlt (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. Oktober 1996, SCK und FNK/Kommission, C‑268/96 P[R], Slg. 1996, I‑4971, Randnr. 30). Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der bestehenden Interessen vor (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 23. Februar 2001, Österreich/Rat, C‑445/00 R, Slg. 2001, I‑1461, Randnr. 73, und Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 4. April 2002, Technische Glaswerke Ilmenau/Kommission, T‑198/01 R, Slg. 2002, II‑2153, Randnr. 50).

12      Im Übrigen verfügt der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter im Rahmen dieser Gesamtprüfung über ein weites Ermessen; er kann im Einzelfall die Art und Weise, in der diese verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge dieser Prüfung frei bestimmen, da keine Vorschrift des Unionsrechts ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt (Beschluss Kommission/Atlantic Container Line u. a., oben in Randnr. 12 angeführt, Randnr. 23, und Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 3. April 2007, Vischim/Kommission, C‑459/06 P[R], nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 25).

13      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass für die von den Organen der Union erlassenen Rechtsakte die Vermutung der Rechtmäßigkeit spricht. Art. 278 AEUV stellt daher den Grundsatz auf, dass Klagen keine aufschiebende Wirkung haben. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter kann daher nur ausnahmsweise die Durchführung der vor dem Gericht angefochtenen Handlung aussetzen oder einstweilige Anordnungen treffen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. Juli 2000, Niederlande/Parlament und Rat, C‑377/98 R, Slg. 2000, I‑6229, Randnr. 44, und Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 17. Dezember 2009, Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission, T‑396/09 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 42).

14      Die schriftlichen Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten enthalten alle für die Entscheidung über den Eilantrag erforderlichen Informationen. Es besteht somit kein Anlass zu einer mündlichen Anhörung, weshalb der dahin gehende Antrag der Antragstellerin (siehe oben, Randnr. 8) zurückzuweisen ist.

15      Vorliegend ist zunächst die Dringlichkeit der beantragten Eilentscheidung zu prüfen.

16      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich die Dringlichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach ständiger Rechtsprechung danach beurteilt, ob die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist, um zu verhindern, dass dem Antragsteller ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Schaden entsteht. Der Antragsteller ist dafür beweispflichtig, dass er die Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne einen solchen Schaden zu erleiden (vgl. Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 15. November 2001, Duales System Deutschland/Kommission, T‑151/01 R, Slg. 2001, II‑3295, Randnr. 187 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 4. Dezember 2007, Cheminova u. a./Kommission, T‑326/07 R, Slg. 2007, II‑4877, Randnrn. 50 und 51; Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 24. März 2009, Cheminova u. a./Kommission, C‑60/08 P[R], nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 35).

17      Darüber hinaus muss der Eintritt des behaupteten Schadens sicher sein oder zumindest mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegt werden, wobei es dem Antragsteller obliegt, die Tatsachen zu beweisen, die die Erwartung eines solchen Schadens begründen sollen. Der Antragsteller hat insoweit konkrete und spezifische Informationen zu liefern, die durch die Vorlage detaillierter Urkundenbeweise gestützt werden müssen. Ein rein hypothetischer Schaden, der vom Eintritt künftiger und ungewisser Ereignisse abhängt, vermag den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. Dezember 1999, HFB u. a./Kommission, C‑335/99 P[R], Slg. 1999, I‑8705, Randnr. 67; Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 15. Januar 2001, Le Canne/Kommission, T‑241/00 R, Slg. 2001, II‑37, Randnr. 37, vom 19. Dezember 2001 Government of Gibraltar/Kommission, T‑195/01 R und T‑207/01 R, Slg. 2001, II‑3915, Randnr. 101, und vom 29. Oktober 2009, Novácke chemické závody/Kommission, T‑352/09 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 55). Vielmehr muss der vom Antragsteller beanstandete Rechtsakt die ausschlaggebende Ursache des geltend gemachten Schadens sein (Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 26. März 2010, SNF/ECHA, T‑1/10 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 66).

18      Im vorliegenden Fall macht die Antragstellerin zunächst geltend, die mit dem angefochtenen Beschluss auferlegte Pflicht zur Bereitstellung und Aufarbeitung der angeforderten Unternehmensdaten sei für sie mit ganz erheblichen betrieblichen Lasten verbunden, die mit jedem Tag, an dem der angefochtene Beschluss Bestand habe, weiter anwüchsen. Weil sie zur Abwendung eines drohenden Bußgelds alles versuchen müsse, um einen möglichst großen Teil der angeforderten Informationen fristgerecht beizubringen, habe sie erhebliche Personalkapazitäten (weit über 150 Mitarbeiter) von anderen Tätigkeiten abgezogen und für die Beantwortung des streitigen Fragebogens mit einem Aufwand von 15 000 Arbeitsstunden abgestellt. Hinzu kämen erhebliche Kosten für die erforderliche Inanspruchnahme externer Berater. Diese wirtschaftlichen Einbußen könne sie selbst im Fall eines Obsiegens in der Hauptsache allenfalls hypothetisch ersetzt bekommen, da sich die enormen Belastungen für ihre Mitarbeiter sowie die strukturelle Belastung ihres Geschäftsbetriebs in einem eventuellen Schadensersatzprozess nur sehr schwer beziffern ließen.

19      Dazu ist festzustellen, dass der geltend gemachte finanzielle Schaden der Antragstellerin zum Teil bereits effektiv entstanden ist, insoweit nämlich, als sie schon Kosten für die Beantwortung des streitigen Fragenkatalogs aufwenden musste. Nach ständiger Rechtsprechung kann das Eilverfahren vor dem Gericht jedoch nicht mit dem Ziel betrieben werden, den Ersatz eines bereits erlittenen Schadens zu erlangen (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 27. August 2008, Melli Bank/Rat, T‑246/08 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 53, und die dort angeführte Rechtsprechung). Für diesen Teil des geltend gemachten finanziellen Schadens ist die Dringlichkeit der beantragten Eilmaßnahme daher zu verneinen.

20      Im Übrigen wird nach gefestigter Rechtsprechung ein rein finanzieller Schaden grundsätzlich nur dann als schwer und irreparabel angesehen, wenn er im Fall eines Obsiegens des Antragstellers im Verfahren zur Hauptsache nicht vollständig ersetzt werden könnte. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der geltend gemachte Schaden die Existenz des Antragstellers bedroht oder wenn sich der Schaden selbst bei seinem Eintritt nicht beziffern lässt (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 21. März 1997, Antillean Rice Mills/Rat, T‑41/97 R, Slg. 1997, II‑447, Randnr. 47, sowie vom 3. Dezember 2002, Neue Erba Lautex/Kommission, T‑181/02, Slg. 2002, II‑5081, Randnr. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang behauptet, die enormen Belastungen für ihre Mitarbeiter sowie die strukturelle Belastung ihres Geschäftsbetriebs ließen sich nur sehr schwer beziffern, genügt der Hinweis, dass sie, wie die Kommission zurecht bemerkt, den entsprechenden Personalaufwand selbst detailliert zeitlich erfasst und in der Anlage A 3 zu ihrem Eilantrag vorgelegt hat. Die Antragstellerin hat nicht dargetan, weshalb es ihr unmöglich sein sollte, den Wert jeder geleisteten Arbeitsstunde aufgrund des nach Zeitstunden und jeweils beauftragten Mitarbeitern aufgeschlüsselten Personalaufwands (mit Erfassung des Namens und der Position der betreffenden Mitarbeiter) zu ermitteln, zu beziffern und im Rahmen einer Schadensersatzklage geltend zu machen. Dass die Erfolgsaussichten einer solchen Klage ungewiss sind, spielt dabei keine Rolle, da die Irreparabilität eines finanziellen Schadens nach der Rechtsprechung grundsätzlich bereits dann ausgeschlossen ist, wenn die bloße Möglichkeit besteht, eine Schadensersatzklage gemäß Art. 268 AEUV und 340 AEUV zu erheben (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. Dezember 2001, Kommission/Euroalliages u. a. C‑404/01 P[R], Slg. 2001, I‑10367, Randnrn. 70 bis 75, und des Gerichts vom 24. April 2009, Nycomed Danmark/EMEA, T‑52/09 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 72 und 73).

22      Zu dem von der Antragstellerin geltend gemachten finanziellen Schaden, der sich tatsächlich nicht quantifizieren lässt, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Schaden den Erlass der beantragten Eilmaßnahmen nur dann rechtfertigen könnte, wenn er auch als schwer zu bezeichnen wäre. Die Antragstellerin hat jedoch keinerlei konkrete Angaben zu ihrer aktuellen finanziellen Lage gemacht und sich insbesondere nicht zu einer etwaigen Existenzbedrohung geäußert. Deshalb ist es dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter unmöglich, die etwaige Schwere dieses Schadens zu beurteilen. Auch insoweit ist daher keine Dringlichkeit dargetan.

23      Die Antragstellerin trägt weiter vor, ein irreparabler Schaden drohe ihr auch dadurch, dass die unter extremem Zeitdruck abgefragten Marktdaten von der Kommission ausgewertet und gegebenenfalls zum Anlass für weitere Ermittlungen genommen würden. Es sei ihr nicht zumutbar, die mit solchen Ermittlungen verbundenen Lasten zu tragen, wenn die Datengrundlage in rechtswidriger Weise ermittelt worden sei und wegen des Zeitdrucks befürchtet werden müsse, dass die Daten, auf deren Grundlage die Kommission ihre Auswertungen anzustellen und womöglich gar eine förmliche Beschuldigung zu erheben gedenke, inkonsistent und fehlerhaft seien. Dieser Schaden sei irreparabel, weil die unrechtmäßig abgefragten Daten und die von der Kommission daraus gezogenen Rückschlüsse über mögliche wettbewerbswidrige Vorgänge nicht wieder „gelöscht“ werden könnten, sondern in den Händen der Kommission verblieben, die auch bei Annullierung des angefochtenen Beschlusses daraus weiter Erkenntnisse gewinnen könnte. Im Übrigen würden ihre hochsensiblen Unternehmensdaten Gegenstand der Verfahrensakten und wären damit dem potenziellen Zugriff Dritter im Wege der Akteneinsicht nach der Verordnung Nr. 1/2003, nach Art. 15 Abs. 3 AEUV oder nach der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43) ausgesetzt. Dass diese Gefahr nicht völlig hypothetischer Natur sei, zeige die wachsende Zahl von Rechtsstreitigkeiten über die Frage der Zugänglichkeit von im Zuge von Kartellverfahren übermittelten Unternehmensdaten.

24      Dazu ist zu bemerken, dass die Kommission im Fall einer Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses durch das Gericht daran gehindert wäre, Unterlagen oder Beweisstücke, die sie sich aufgrund des streitigen Auskunftsverlangens verschafft hat, in einem Verfahren wegen Verstoßes gegen die Art. 101 AEUV und 102 AEUV zu verwenden, weil sie sonst Gefahr liefe, dass ihre Entscheidung über einen Wettbewerbsverstoß vom Gericht für nichtig erklärt würde, soweit sie auf derartige Beweismittel gestützt wäre. Wenn der angefochtene Beschluss also für rechtswidrig erklärt würde, wäre die Kommission gezwungen, die von dieser Rechtswidrigkeit betroffenen Schriftstücke aus ihren Akten zu entfernen, so dass es ihr unmöglich wäre, sie als Beweiselemente zu verwenden (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 27. September 2004, Kommission/Akzo und Akros, C‑7/04 P[R], Slg. 2004, I‑8739, Randnrn. 37 und 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Unter diesen Umständen hat die Möglichkeit, dass die Kommission in einem Verfahren wegen Verstoßes gegen die Art. 101 AEUV und 102 AEUV zu Unrecht angeforderte und erlangte Schriftstücke rechtswidrig verwenden könnte, nur theoretischen Charakter und ist jedenfalls wenig wahrscheinlich (vgl. in diesem Sinne Beschluss Kommission/Akzo und Akros, Randnr. 40). Die bloße Behauptung der Antragstellerin, ein Verstoß der Kommission gegen dieses Verwertungsverbot sei nicht auszuschließen, gestattet es dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter jedenfalls nicht, den Vollzug des angefochtenen Beschlusses ausnahmsweise aussetzen (siehe oben, Randnr. 13), zumal diese unbewiesene Behauptung von der Kommission bestritten wird.

26      Diesem Ergebnis kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, wegen der Komplexität und Menge der in Rede stehenden Daten sei es praktisch unmöglich, im Nachhinein festzustellen, ob die Kommission im Rahmen einer gegen die Antragstellerin erhobenen förmlichen Beschuldigung rechtmäßig oder unrechtmäßig erlangte Informationen benutze. Auch ein solches Vorbringen ist als rein hypothetisch anzusehen, da die Antragstellerin nicht dargetan hat, dass es, falls die Kommission Maßnahmen ergreifen sollte, zu denen sie durch rechtswidrig erlangte Informationen angeregt worden ist, tatsächlich objektiv unmöglich wäre, das Bestehen eines Zusammenhangs zwischen diesen Informationen und den getroffenen Maßnahmen aufzuzeigen (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 30. Oktober 2003, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission, T‑125/03 R und T‑253/03 R, Slg. 2003, II‑4771, Randnr. 174). Die Antragstellerin hat insbesondere nichts dazu vorgetragen, geschweige denn dargetan, weshalb es etwa einem sachverständigen Wirtschaftswissenschaftler offensichtlich unmöglich sein sollte, mit Hilfe von Modellversuchen auf der Grundlage eines geeigneten Datensatzes zu überprüfen, ob die Kommission in einem gegen sie gerichteten Wettbewerbsverfahren tatsächlich illegal erlangte Daten verwendet hat. Sie hat ebenso wenig dargelegt, aus welchen Gründen sie nicht in der Lage sein sollte, sich in einem solchen Verfahren unter Verwendung eines von allen illegalen Daten bereinigten Datensatzes sachgerecht zu verteidigen.

27      Soweit die Antragstellerin befürchtet, die aufgrund des angefochtenen Beschlusses an die Kommission übermittelten Daten könnten dort dem Zugriff Dritter ausgesetzt sein, ist festzustellen, dass der entsprechende Schaden zum Großteil bereits eingetreten ist, da die Kommission bereits im Besitz einer Vielzahl der streitigen Daten ist. Die Antragstellerin hat nämlich erklärt, sie habe den Fragenkomplex 11 am 18. April 2011 fristgerecht beantwortet (Antrag, Randnr. 13). Außerdem beanstandet sie, dass die Kommission mit dem angefochtenen Beschluss in großem Umfang Informationen abfrage, die sie bereits in früheren Auskunftsersuchen abgefragt und in der Folge auch erhalten habe (Antrag, Randnrn. 30 und 31). Insoweit ist die Dringlichkeit der beantragten Eilmaßnahme daher zu verneinen (siehe oben, Randnr. 19).

28      Im Übrigen ist auf die allgemeine Verschwiegenheitspflicht der Kommission gemäß Art. 339 AEUV und Art. 28 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie auf die einschlägige Rechtsprechung hinzuweisen, die ein Unternehmen vor der unbefugten Weitergabe sensibler Unternehmensdaten bewahrt (Urteile des Gerichtshofs vom 19. Mai 1994, SEP/Kommission, C‑36/92 P, Slg. 1994, I‑1911, Randnrn. 36 bis 41, vom 29. Juni 2010, Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, C‑139/07 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 61 und 67, und vom 14. Juni 2011, Pfleiderer, C‑360/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 26 und 27). Was die von der Antragstellerin angesprochene, zur Zeit anhängige Rechtssache T‑437/08 (CDC Hydrogene Peroxide/Kommission) betrifft, so geht es dabei nicht um die etwaige Übermittlung einzelner sensibler Unternehmensdaten an Dritte, sondern lediglich um den Zugang zum Inhaltsverzeichnis der Verfahrensakte eines Kartellverfahrens, wobei die Kommission sogar diesen Zugang unter Hinweis auf die sonst drohende Gefährdung ihrer Untersuchungstätigkeit sowie der geschäftlichen Interessen der am Kartell beteiligten Unternehmen verweigert hat. Schließlich scheint selbst die Antragstellerin das Risiko einer unbefugten Benutzung ihrer Daten im vorliegenden Fall nicht allzu dramatisch eingeschätzt zu haben, da sie sich mit einer Verlängerung der Antwortfrist um 18 Wochen offenbar zufrieden gegeben hätte (Antrag, Randnr. 14).

29      Die Antragstellerin behauptet noch, ein irreparabler Schaden drohe nicht zuletzt durch die Ahndung einer – aus ihrer Sicht unabwendbaren – Verletzung der Beantwortungsfrist. Die Kommission habe keinen Zweifel daran gelassen, dass sie bei einer Missachtung dieser Frist oder bei Antworten, die in Form und Umfang nicht ihren Erwartungen entsprächen, zur Verhängung von Bußgeldern bereit sei. Ein solches Bußgeld nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1/2003 wäre auch im Fall eines Obsiegens in der Hauptsache nicht ohne Weiteres ersatzfähig. Ebenfalls nicht wieder gutzumachen sei der materielle und immaterielle geschäftliche Schaden, der für die Antragstellerin durch den Ansehensverlust in der Öffentlichkeit infolge einer Bebußung durch die Kommission entstehen würde. Allein der Umstand, dass die Kommission gegen ein Unternehmen im Zusammenhang mit einer Kartellermittlung ein Bußgeld verhängt habe, führe in aller Regel zu Umsatzeinbußen und zum Verlust anderer Erwerbschancen, die für sich genommen bereits eine erhebliche Belastung darstellten. Hinzu kämen schwer zu beziffernde Schäden wie der Ansehensverlust oder das Absinken des Firmenwerts.

30      Insoweit genügt der Hinweis, dass der befürchtete Schaden rein hypothetischer Natur ist. Selbst wenn nicht auszuschließen ist, dass die Antragstellerin das Auskunftsverlangen der Kommission fehlerhaft und/oder verspätet beantwortet, kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass die Kommission sie deswegen ohne Rücksicht auf die von ihr für diese Unrichtigkeiten und Verspätungen angeführten Gründe mit einem Zwangsgeld bzw. mit einer Geldbuße belegen wird. In einem vergleichbaren Zusammenhang hatte die Kommission nämlich bereits ihre Bereitschaft erkennen lassen, eine Fristverlängerung für die Beantwortung einzelner Fragen zu gewähren (siehe oben, Randnr. 5). Außerdem hat sie mit Beschluss vom 27. Juni 2011 die Frist zur Beantwortung der Fragenkomplexe 1 bis 10 für die Antragstellerin schon einmal (bis zum 2. August 2011) verlängert (siehe oben, Randnr. 8).

31      Im Übrigen könnten die befürchteten Sanktionen nur durch Beschluss gemäß Art. 23 bzw. Art. 24 der Verordnung Nr. 1/2003 verhängt werden. Es stünde der Antragstellerin frei, hiergegen den Rechtsweg beschreiten und im Rahmen einer Nichtigkeitsklage sowie gegebenenfalls eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz die Rechtswidrigkeit der ihr auferlegten Sanktionen unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit des Auskunftsverlangens geltend zu machen. Die Behauptung, bei sofortigem Vollzug des angefochtenen Beschlusses drohe der Antragstellerin ein schweres und irreparables Bußgeldrisiko, ist daher im gegenwärtigen Verfahrensstadium als verfrüht zurückzuweisen.

32      Dies gilt zwangsläufig auch für den von der Antragstellerin befürchteten materiellen und immateriellen geschäftlichen Schaden, der infolge einer – wie soeben ausgeführt rein hypothetischen – Bebußung durch die Kommission entstehen würde. Im Übrigen hat die Antragstellerin diesen Schaden in keiner Weise präzisiert. Sie hat nicht einmal Schadensparallelen zu dem Bußgeld in Höhe von mehr als 7 Mio. Euro gezogen, das bereits gegen ihre Rechtsvorgängerin rechtskräftig festgesetzt worden ist (vgl. Entscheidung 94/815/EG der Kommission vom 30. November 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG‑Vertrag [Sache IV/33.126 und 33.322 – Zement, ABl. L 343, S. 1]; Urteil des Gerichts vom 15. März 2000, Cimenteries CBR/Kommission, T‑25/95, T‑26/95, T‑30/95 bis T‑32/95, T‑34/95 bis T‑39/95, T‑42/95 bis T‑46/95, T‑48/95, T‑50/95 bis T‑65/95, T‑68/95 bis T‑71/95, T‑87/95, T‑88/95, T‑103/95 und T‑104/95, Slg. 2000, II‑491; Urteil des Gerichtshofs vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123).

33      Schließlich hätte das geltend gemachte Sanktionsrisiko, falls es sich tatsächlich realisieren sollte, als solches für die Antragstellerin einen rein finanziellen Schaden zur Folge, der den Erlass der beantragten Eilmaßnahmen nur dann rechtfertigen könnte, wenn die Existenz der Antragstellerin auf dem Spiel stünde oder der Schaden nicht quantifizierbar wäre (siehe oben, Randnr. 20). Zu einer etwaigen Existenzbedrohung aufgrund des Sanktionsrisikos hat sich die Antragstellerin aber nicht geäußert, so dass insoweit nicht von einem schweren und irreparablen Schaden die Rede sein kann. Dies gilt auch für die angeblich schwer zu beziffernden Schäden (Ansehensverlust und Absinken des Firmenwerts). Die Antragstellerin haben nämlich keinerlei konkrete Angaben zu ihrer aktuellen finanziellen Lage gemacht (siehe oben, Randnr. 22). Deshalb ist es dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter unmöglich, die etwaige Schwere dieser Schäden zu beurteilen.

34      Da nach alledem weder das geltend gemachte Bußgeldrisiko noch die befürchtete Übermittlung unvollständiger oder irreführender Informationen, noch der gerügte Bearbeitungsaufwand geeignet ist, die von der Antragstellerin behauptete Dringlichkeit zu begründen, ist ihrem Antrag, ihr weiteren Sachvortrag zu dem Beschluss vom 27. Juni 2011 zu gestatten (siehe oben, Randnr. 8), nicht stattzugeben.

35      Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist somit mangels Dringlichkeit zurückzuweisen, ohne dass das Vorbringen zum Fumus boni iuris geprüft oder eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der Verfahrensbeteiligten vorgenommen zu werden braucht.

Aus diesen Gründen hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1.     Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2.     Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 29. Juli 2011.

Der Kanzler

 

       Der Präsident

E. Coulon

 

       M. Jaeger


* Verfahrenssprache: Deutsch.