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Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Stuttgart (Deutschland) eingereicht am 18. September 2020 - S. gegen AD GmbH

(Rechtssache C-440/20)

Verfahrenssprache: Deutsch

Vorlegendes Gericht

Landgericht Stuttgart

Parteien des Ausgangsverfahrens

Klägerin: S.

Beklagte: AD GmbH

Vorlagefragen

1.    Auslegung des Begriffs „Abschalteinrichtung“

1-1:    Ist Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/20071 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass der Begriff „Konstruktionsteil“ nur ausschließlich mechanische Elemente eines physischen Gebildes erfasst?

Für den Fall, dass Frage 1-1 verneint wird:

1-2:    Ist Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass vom Emissionskontrollsystem nur die im Motorstrang nachgelagerte Abgasreinigungsanlage (z. B. in Form von Diesel-Oxidations-Katalysatoren, Dieselpartikelfilter, NOx-Reduktionskatalysatoren) erfasst wird?

1-3:    Ist Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass vom Emissionskontrollsystem sowohl innermotorische als auch außermotorische Maßnahmen zur Emissionsminderung erfasst werden?

2.    Auslegung des Begriffs „normale Betriebsbedingungen“

2-1:    Ist Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass der Begriff der „normalen Betriebsbedingungen“ nur die Fahrbedingungen im NEFZ-Zyklus umschreibt?

Für den Fall, dass die Frage 2-1 verneint wird:

2-2:    Ist Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 iVm. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass die Hersteller gewährleisten müssen, dass die in Anhang I der Verordnung festgelegten Grenzwerte auch im Alltagsgebrauch eingehalten werden?

Für den Fall, dass Frage 2-2 bejaht wird:

2-3:    Ist Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass der Begriff der „normalen Betriebsbedingungen“ die tatsächlichen Fahrbedingungen im Alltagsgebrauch umschreibt?

Für den Fall, dass Frage 2-3 verneint wird:

2-4:    Ist Art. 5 Abs. 1 der Verordnung dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass der Begriff der „normalen Betriebsbedingungen“ die tatsächlichen Fahrbedingungen im Alltagsgebrauch unter Zugrundelegung einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 33,6 km/h und einer Maximalgeschwindigkeit von 120,00 km/h umschreibt?

3.    Zulässigkeit temperaturabhängiger Emissionsminderungsstrategien

3-1:    Ist Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass eine Ausrüstung eines Fahrzeugs unzulässig ist, bei der ein Bauteil, welches das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflusst, so konstruiert ist, dass die Abgasrückführrate so geregelt wird, dass nur zwischen 20° und 30°C ein schadstoffarmer Modus gewährleistet ist und sie außerhalb dieses Temperaturfensters sukzessive verringert wird?

Für den Fall, dass Frage 3-1 verneint wird:

3-2:    Ist Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass eine Abschalteinrichtung gleichwohl unzulässig ist, wenn sie fortlaufend außerhalb des Temperaturfensters zwischen 20° und 30°C zum Schutz des Motors arbeitet und dadurch die Abgasrückführung erheblich verringert ist?

4.    Auslegung des Begriffs „notwendig“ iSd. Ausnahmetatbestandes

4-1:    Ist Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a) der Verordnung Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass eine Notwendigkeit für den Einsatz von Abschalteinrichtungen im Sinne der Norm nur dann zu bejahen ist, wenn auch unter Einsatz der im Zeitpunkt der Erlangung der Typgenehmigung für das jeweilige Fahrzeugmodell verfügbaren Spitzentechnologie der Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und der sichere Betrieb des Fahrzeuges nicht zu gewährleisten war?

Für den Fall, dass die Frage 4-1 verneint wird:

4-2:    Ist Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a) der Verordnung dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass eine Notwendigkeit für den Einsatz von Abschalteinrichtungen im Sinne der Norm zu verneinen ist, wenn die in der Motorsteuerung hinterlegten Parameter so gewählt sind, dass die Abgasreinigung aufgrund ihrer vorgegebenen Temperaturabhängigkeit wegen der gewöhnlich zu erwartenden Temperaturen während eines Großteils des Jahres nicht oder nur eingeschränkt aktiviert wird?

5.    Auslegung des Begriffs „Beschädigung“ iSv. des Ausnahmetatbestands

5-1:    Ist Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a) der Verordnung Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass nur der Motor vor Beschädigung geschützt werden soll?

5-2:    Ist Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a) der Verordnung Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass der Begriff der Beschädigung zu verneinen ist, wenn sog. Verschleißteile (wie z. B. das AGR-Ventil) betroffen sind?

5-3:    Ist Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a) der Verordnung Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass auch andere Bauteile des Fahrzeugs, insbesondere die im Abgasstrang nachgelagerten Komponenten vor Beschädigung oder Unfall geschützt werden sollen?

6.    Rechts- und Sanktionswirkungen der Verstöße gegen EU-Recht

6-1:    Sind Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2, Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 13 der Verordnung Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass sie zumindest auch das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Erwerbers eines Fahrzeugs schützen, das nicht den Anforderungen der Verordnung Nr. 715/2007 entspricht?

Für den Fall, dass die Frage 6-1 verneint wird:

6-2:    Sind Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2, Art 5 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 13 der Verordnung Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass die Mitgliedstaaten einen Sanktionsmechanismus vorsehen müssen, welcher den Fahrzeugerwerbern aus Gründen des effet utile eine Klageberechtigung zur Durchsetzung des marktordnenden Unionsrecht einräumt?

6-3:    a) Ist der Begriff der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Maßnahme im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen, dass ein normativ erlittener Schaden des Fahrzeugerwerbers nicht durch die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit eines der Verordnung Nr. 715/2007 nicht entsprechenden Fahrzeugs aufgezehrt oder gemindert werden kann?

b)    Gebietet der dem Unionsrecht innewohnende Gedanke des effet utile, dass der Begriff der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Maßnahme im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 715/2007 danach zu differenzierten ist, ob der Verstoß iSv. Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 vorsätzlich oder nur fahrlässig erfolgt ist und nur im letztgenannten Fall eine Verrechnung der tatsächlichen Nutzungsmöglichkeit des erworbenen Fahrzeugs rechtfertigt?

c)    Ist der Begriff der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Maßnahme im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen, dass auch im Falle einer Vorteilsanrechnung der Hersteller des Fahrzeugs wirtschaftlichen Nutzungsersatz aus dem gezogenen Kapital, der Gegenleistung, zu leisten, diesen also zu verzinsen hat?

d)    Ist der Begriff der „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Maßnahme im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen, dass es dem Hersteller eines nicht mit der Verordnung Nr. 715/2007 konformen Fahrzeugs jedenfalls ab dem Zeitpunkt der ersten ernsthaften Rücknameaufforderung durch den Erwerber verwehrt sein muss, sich auf eine Verrechnung der tatsächlichen Nutzungsmöglichkeit mit der Gegenleistung zu berufen?

6-4:    Sind Art. 18 Abs. 1 und 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG2 dahin auszulegen und anzuwenden, dass der Hersteller gegen seine Pflicht zur Erteilung einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung nach Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46 verstößt, wenn er in das Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung iSv. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 eingebaut hat und das Inverkehrbringen eines solchen Fahrzeugs gegen das Verbot des Verkaufs ohne gültige Übereinstimmungsbescheinigung nach Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46 verstößt?

6-5:    Ist es Zweck und Intention der Verordnung Nr. 715/2007 sowie der Richtlinie 2007/46/EG, dass die in Anhang I der Verordnung Nr. 715/2007 festgelegten Grenzwerte bzw. die Übereinstimmungsbescheinigung iSv. Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG iVm. der Verordnung (EG) Nr. 385/20093 käuferschützende Rechte dergestalt begründen, dass der Verstoß gegen die qualitätsbegründenden Grenzwerte der Verordnung bzw. gegen das Zulassungsrecht eine Anrechnung von Nutzungsvorteilen bei der Rückabwicklung des Fahrzeugs gegenüber dem Hersteller unionsrechtlich verbietet?

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1 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007, L 171, S. 1.)

2 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) (ABl. 2007, L 263, S. 1).

3 Verordnung der Kommission vom 7. Mai 2009 zur Ersetzung des Anhangs IX der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge („Rahmenrichtlinie“) (ABl. 2009, L. 118, S. 13).