Language of document : ECLI:EU:F:2012:171

URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST DER EUROPÄISCHEN UNION

(Dritte Kammer)

5. Dezember 2012

Verbundene Rechtssachen F‑88/09 und F‑48/10

Z

gegen

Gerichtshof der Europäischen Union

„Öffentlicher Dienst – Beamte – Umsetzung – Dienstliches Interesse – Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten – Verteidigungsrechte – Mobbing – Art. 12 des Statuts – Fürsorgepflicht – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Disziplinarverfahren – Disziplinarstrafe – Schriftliche Verwarnung – Verteidigungsrechte und Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens“

Gegenstand: Klage von Z nach den Art. 236 EG und 152 EA sowie nach Art. 270 AEUV, der gemäß Art. 106a EA auch für den EAG-Vertrag gilt, in erster Linie auf Aufhebung der Entscheidung vom 18. Dezember 2008, mit der sie umgesetzt wurde, und auf Aufhebung der Entscheidung vom 10. Juli 2009, mit der die Disziplinarstrafe der schriftlichen Verwarnung gegen sie verhängt wurde

Entscheidung: Die Klagen in den verbunden Rechtssachen F‑88/09 und F‑48/10 werden abgewiesen. In der Rechtssache F‑88/09 trägt Z drei Viertel ihrer Kosten; in der Rechtssache F‑48/10 trägt Z ihre eigenen Kosten und wird verurteilt, die Kosten des Gerichtshofs zu tragen. In der Rechtssache F‑88/09 trägt der Gerichtshof seine eigenen Kosten und wird verurteilt, ein Viertel der Kosten von Z zu tragen.

Leitsätze

1.      Beamte – Organisation der Dienststellen – Dienstliche Verwendung des Personals – Ermessen der Verwaltung – Umfang – Gerichtliche Nachprüfung – Grenzen – Recht des Beamten, spezifische Aufgaben wahrzunehmen – Fehlen

(Beamtenstatut, Art. 7)

2.      Beamte – Organisation der Dienststellen – Dienstliche Verwendung des Personals – Umsetzung eines Beamten im dienstlichen Interesse aufgrund von Schwierigkeiten in den zwischenmenschlichen Beziehungen – Ermessensmissbrauch – Fehlen

(Beamtenstatut, Art. 7 Abs. 1)

3.      Beamte – Organisation der Dienststellen – Dienstliche Verwendung des Personals – Umsetzung – Berücksichtigung der Gleichwertigkeit der Dienstposten – Umfang – Berücksichtigung der Aufgaben, auf die sich das vom Betroffenen bestandene Auswahlverfahren bezieht – Grenzen

(Beamtenstatut, Art. 7; Anhang I)

4.      Beamte – Grundsätze – Verteidigungsrechte – Verpflichtung, den Betroffenen vor Erlass einer ihn beschwerenden Maßnahme zu hören – Umfang – Anwendung auf Umsetzungsmaßnahmen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2)

5.      Beamtenklage – Vorherige Verwaltungsbeschwerde – Übereinstimmung von Beschwerde und Klage – Identität von Gegenstand und Grund

(Beamtenstatut, Art. 90 und 91)

6.      Beamte – Rechte und Pflichten – Meinungsfreiheit – Verbreitung eines Sachverhalts, der eine rechtswidrige Handlung oder einen schwerwiegenden Verstoß vermuten lässt – Schutz vor disziplinarrechtlicher Verfolgung – Voraussetzungen

(Beamtenstatut, Art. 22a und Art. 22b)

7.      Beamte – Rechte und Pflichten – Pflicht zur Unabhängigkeit und Integrität – Gefahr eines Interessenkonflikts im Fall beruflicher Beziehungen zwischen einem Beamten, der sich zu einer Angelegenheit zu äußern hat, und einem in diese Angelegenheit verwickelten Dritten – Fehlen

(Beamtenstatut, Art. 11a)

8.      Beamte – Umsetzung – Fürsorgepflicht der Verwaltung – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Ausgleich mit dem dienstlichen Interesse

(Beamtenstatut, Art. 24)

9.      Beamte – Rechte und Pflichten – Meinungsfreiheit – Ausübung – Grenzen – Ansehen des Amtes – Handlungen, die dem Ansehen des Amtes abträglich sein können – Begriff – Anzeige eines angeblich rechtswidrigen Sachverhalts – Pflichten des Beamten

(Beamtenstatut, Art. 12)

10.    Beamte – Rechte und Pflichten – Wahrung des Ansehens des Amtes – Umfang – Anzeige eines angeblichen Mobbings – Öffentliche Verbreitung, die den angeblich Mobbenden diskreditieren kann – Unzulässigkeit

(Beamtenstatut, Art. 12 und 22a)

11.    Beamte – Disziplinarordnung – Untersuchung vor Eröffnung des Disziplinarverfahrens – Ermessen der Verwaltung – Umfang

(Beamtenstatut, Art. 86; Anhang IX Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3)

12.    Beamte – Disziplinarordnung – Disziplinarverfahren – Anhörung des Betroffenen durch die Anstellungsbehörde – Pflicht zur Erstellung eines Protokolls – Umfang

1.      In Anbetracht des weiten Ermessens, das den Organen bei der Organisation ihrer Dienststellen entsprechend den ihnen übertragenen Aufgaben und bei der Verwendung des ihnen zur Verfügung stehenden Personals für diese Aufgaben zusteht, sofern die Verwendung im dienstlichen Interesse geschieht und der Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten beachtet wird, muss sich die Kontrolle durch den Unionsrichter, ob das dienstliche Interesse gewahrt wurde, auf die Frage beschränken, ob sich die Anstellungsbehörde innerhalb vernünftiger, nicht zu beanstandender Grenzen gehalten und von ihrem Ermessen nicht offensichtlich fehlerhaft Gebrauch gemacht hat.

Daher ist der Unionsrichter, sofern eine Umsetzungsmaßnahme im dienstlichen Interesse geschieht und der Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten beachtet wird, nicht befugt, festzustellen, ob andere Maßnahmen angebrachter gewesen wären. Denn die Verwaltung hat zwar jedes Interesse daran, die Beamten nach Maßgabe ihrer spezifischen Fähigkeiten und ihrer persönlichen Präferenzen zu verwenden, doch kann einem Beamten nicht das Recht zuerkannt werden, spezifische Tätigkeiten auszuüben.

(vgl. Randnrn. 121, 122 und 202)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 21. Juni 1984, Lux/Rechnungshof, 69/83, Randnr. 17; 7. März 1990, Hecq/Kommission, C‑116/88 und C‑149/88, Randnr. 11

Gericht erster Instanz: 18. Juni 1992, Turner/Kommission, T‑49/91, Randnr. 34; 16. Dezember 1993, Turner/Kommission, T‑80/92, Randnr. 53; 28. Mai 1998, W/Kommission, T‑78/96 und T‑170/96, Randnr. 105; 12. Dezember 2000, Dejaiffe/HABM, T‑223/99, Randnr. 53; 21. September 2004, Soubies/Kommission, T‑325/02, Randnr. 50

2.      Schwierigkeiten in den zwischenmenschlichen Beziehungen können, wenn dadurch Spannungen entstehen, die einem reibungslosen Dienstbetrieb abträglich sind, die Versetzung eines Beamten gerade im dienstlichen Interesse rechtfertigen, ohne dass es erforderlich wäre, festzustellen, wer für die fraglichen Vorfälle verantwortlich ist und inwiefern die wechselseitig erhobenen Vorwürfe zutreffen.

Dass ein Beamter über große Qualitäten verfügt oder in einer Dienststelle eine hohe Personalfluktuation herrscht, bedeutet nicht, dass der Betroffene nicht umgesetzt werden könnte, denn die Verwaltung hat zwar ein Interesse daran, einen Beamten auf einer Stelle zu verwenden, die seinen Kenntnissen und seinen beruflichen Ambitionen entspricht, kann aber durch andere Erwägungen wie u. a. die Notwendigkeit, einen friedlichen Dienstbetrieb zu gewährleisten, dazu veranlasst werden, einen Beamten unter Wahrung des Grundsatzes der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten auf einer anderen Stelle zu verwenden. Das gilt umso mehr, wenn der Betroffene seine Aufgaben auf einer Dienststelle gut erfüllt hat und die Verwaltung daher erwarten kann, dass er dies auch auf einer ihm eventuell zugewiesenen anderen Stelle tun wird.

Ist eine Umsetzungsmaßnahme nicht für mit dem dienstlichen Interesse unvereinbar befunden worden, kann auch keine Rede von einem Ermessensmissbrauch sein. Der Begriff des Ermessensmissbrauchs hat nämlich eine sehr präzise Bedeutung und betrifft den Fall, dass eine Verwaltungsbehörde ihre Befugnisse zu einem anderen Zweck als dem ausgeübt hat, zu dem sie übertragen worden sind. Eine Entscheidung ist nur dann ermessensmissbräuchlich, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, dass sie zu anderen als den angegebenen Zwecken oder mit dem Ziel erlassen worden ist, ein Verfahren zu umgehen, das die anwendbaren Vorschriften speziell vorsehen, um die konkrete Sachlage zu bewältigen.

(vgl. Randnrn. 123, 127, 155, 156, 201, 311 und 312)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 14. Juli 1983, Nebe/Kommission, 176/82, Randnr. 25; 5. Juni 2003, O’Hannrachain/Parlament, C‑121/01 P, Randnr. 46

Gericht erster Instanz: 10. Juli 1992, Eppe/Kommission, T‑59/91 und T‑79/91, Randnr. 57; 11. Juni 1996, Anacoreta Correia/Kommission, T‑118/95, Randnr. 25; W/Kommission, Randnr. 91; 17. November 1998, Gómez de Enterría y Sanchez/Parlament, T‑131/97, Randnr. 62; 6. Juli 1999, Séché/Kommission, T‑112/96 und T‑115/96, Randnr. 139; 6. März 2001, Campoli/Kommission, T‑100/00, Randnrn. 62 und 63; 14. Oktober 2004, Sandini/Gerichtshof, T‑389/02, Randnr. 123; 7. Februar 2007, Clotuche/Kommission, T‑339/03, Randnr. 71; 7. Februar 2007, Caló/Kommission, T‑118/04 und T‑134/04, Randnrn. 99, 115 und 116

Gericht für den öffentlichen Dienst: 25. Januar 2007, de Albuquerque/Kommission, F‑55/06, Randnrn. 60 und 61 und die dort angeführte Rechtsprechung

3.      Der Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten erfordert bei einer Änderung des Aufgabenbereichs eines Beamten nur einen Vergleich zwischen seiner gegenwärtigen Tätigkeit und seiner Besoldungsgruppe innerhalb der Hierarchie. Eine tatsächliche Verringerung der Aufgaben eines Beamten verstößt daher nur dann gegen den Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten, wenn seine neuen Aufgaben unter Berücksichtigung ihrer Art, ihrer Bedeutung und ihres Umfangs insgesamt eindeutig hinter denen zurückbleiben, die seiner Besoldungsgruppe und seinem Dienstposten entsprechen, und zwar unabhängig davon, wie der Betroffene seine neuen Aufgaben wahrnimmt.

Diese Feststellung wird weder dadurch in Frage gestellt, dass die neuen Aufgaben des klagenden Beamten möglicherweise keinen Zusammenhang mit seinen früheren Aufgaben aufweisen, noch durch die Bekanntmachung des von ihm bestandenen Auswahlverfahrens, durch Anhang I des Statuts oder durch den Umstand, dass Beamte, die ähnliche Aufgaben wahrnehmen wie er, in niedrigere Besoldungsgruppen eingestuft sind. Bei einer Änderung des Aufgabenbereichs eines Beamten erfordert nämlich der Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten nur einen Vergleich zwischen der gegenwärtigen Tätigkeit und der Besoldungsgruppe innerhalb der Hierarchie und nicht einen Vergleich zwischen den gegenwärtigen und den früheren Aufgaben des Betroffenen. Insoweit kann aus dem weiten Ermessen der Organe bei der Verwendung der ihnen zur Verfügung stehenden Beamten gefolgert werden, dass die Aufgaben, die in der Bekanntmachung eines Auswahlverfahrens aufgeführt sind, zwangsläufig nur der Information dienen, sofern der Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten gewahrt bleibt.

Außerdem können identische oder ähnliche Aufgaben von Personen in unterschiedlichen Besoldungsgruppen wahrgenommen werden, wie sich aus Anhang I des Statuts ergibt, der für die Mehrzahl der dort aufgeführten Aufgaben vorsieht, dass sie von Beamten in unterschiedlichen Besoldungsgruppen wahrgenommen werden können. Der Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten wird somit nur verletzt, wenn die wahrgenommenen Aufgaben insgesamt eindeutig hinter denen zurückbleiben, die der Besoldungsgruppe und dem Dienstposten des betroffenen Beamten entsprechen.

(vgl. Randnrn. 131, 135, 136 und 138)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: Eppe/Kommission, Randnr. 49; 16. April 2002, Fronia/Kommission, T‑51/01, Randnr. 53; Urteil Clotuche/Kommission, Randnr. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung

4.      Da eine Umsetzungsmaßnahme, bei der nicht erwiesen ist, dass sie nicht im dienstlichen Interesse ergangen ist, nicht Teil eines gegen den betroffenen Beamten eingeleiteten Verfahrens ist, lässt sich aus dem Umstand, dass eine Handlung die statutarische Stellung eines Beamten berührt, nicht ohne Berücksichtigung der Art des gegen den Betroffenen eingeleiteten Verfahrens automatisch schließen, dass die Verteidigungsrechte anzuwenden wären.

Die Verteidigungsrechte umfassen zwar u. a. das in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegte verfahrensmäßige Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird.

Ist es zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör oder allgemeiner der Verteidigungsrechte gekommen, kann jedoch der entsprechende Klagegrund nur dann die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Folge haben, wenn das Verfahren ohne diesen Rechtsfehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Erkennt der Beamte selbst an, dass er sich in einem offenen Konflikt mit seinem Vorgesetzten befindet, darf die Verwaltung davon ausgehen, dass sie ihn zum Bestehen dieses Konflikts nicht anzuhören braucht, bevor sie Umsetzungsmaßnahmen erlässt, zu deren Erlass sie aufgrund dieses Konflikts im dienstlichen Interesse berechtigt ist. Etwaige Erläuterungen zu den Umständen des Falles, die der Beamte vor Erlass der Umsetzungsentscheidung hätte geben können, hätten nicht zu einer anderen Entscheidung der Verwaltung führen können.

(vgl. Randnrn. 144, 146, 149 und 299)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 24. Oktober 1996, Kommission/Lisrestal u. a., C‑32/95 P, Randnr. 21; 9. November 2006, Kommission/De Bry, C‑344/05 P, Randnr. 37

Gericht erster Instanz: 27. November 1997, Kaysersberg/Kommission, T‑290/94, Randnr. 108; 3. Juli 2001, E/Kommission, T‑24/98 und T‑241/99, Randnr. 93; 16. März 2004, Afari/EZB, T‑11/03, Randnr. 90; 17. Oktober 2006, Bonnet/Gerichtshof, T‑406/04, Randnr. 76

Gericht für den öffentlichen Dienst: 11. September 2008, Bui Van/Kommission, F‑51/07, Randnr. 81; 30. November 2009, Wenig/Kommission, F‑80/08, Randnr. 48

Gericht der Europäischen Union: 12. Mai 2010, Bui Van/Kommission, T‑491/08 P, Randnr. 24

5.      Der Grundsatz der Übereinstimmung von Beschwerde und Klage kommt nur dann zum Tragen, wenn die Anträge im Klageverfahren nicht denselben Gegenstand haben wie die Beschwerde oder nicht auf denselben Gründen beruhen wie die Beschwerde, und zwar insbesondere dann, wenn sich eine im gerichtlichen Stadium vorgebrachte Rüge auf Behauptungen und tatsächliche Erwägungen stützt, die sich nicht aus den Akten des Vorverfahrens ergeben.

(vgl. Randnr. 170)

Verweisung auf:

Gericht für den öffentlichen Dienst: 1. Juli 2010, Mandt/Parlament, F‑45/07, Randnr. 119

6.      Zwar wird Beamten und Bediensteten, die ihr Organ auf ein Verhalten eines anderen Beamten oder Bediensteten hinweisen, das möglicherweise eine schwerwiegende Verletzung seiner Dienstpflichten darstellt, nach Art. 22a des Statuts Schutz gewährt, doch setzt dieser Schutz voraus, dass die Beamten oder Bediensteten, die den Hinweis geben, selbst das Verfahren der Art. 22a und 22b des Statuts eingehalten haben, mit dem die Berufsehre des Beamten oder Bediensteten, der von den Hinweisen an das Organ betroffen ist, gewahrt werden soll, solange sich die Disziplinarbehörde nicht geäußert hat. Die Art. 22a und 22b des Statuts gewähren nämlich den Beamten, die von diesen Bestimmungen Gebrauch machen, keinen Schutz gegen alle sie möglicherweise beschwerenden Entscheidungen, sondern nur gegen schädigende Verhaltensweisen und Entscheidungen, die aufgrund der Informationsweitergabe erlassen werden, die von dem Verfahren nach diesen Bestimmungen erfasst wird.

Daher kann ein Beamter, der sich dazu entschlossen hat, seine Behauptungen unter dem gesamten Personal seines Referats zu verbreiten, anstatt von dem Verfahren nach Art. 22b des Statuts Gebrauch zu machen, nicht in den Genuss des Schutzes nach Art. 22a des Statuts kommen.

(vgl. Randnrn. 184 und 253)

Verweisung auf:

Gericht für den öffentlichen Dienst: 24. Februar 2010, Menghi/ENISA, F‑2/09, Randnr. 139; 13. Januar 2011, Nijs/Rechnungshof, F‑77/09, Randnr. 62

7.      Fehlen Hinweise, die auf einen Interessenkonflikt schließen lassen, kann das Bestehen beruflicher Beziehungen zwischen dem Kanzler des Gerichtshofs und dem Ehegatten eines Dritten oder dem Dritten selbst nicht bereits bedeuten, dass seine Unabhängigkeit beeinträchtigt war, nur weil er sich zu einer Angelegenheit äußern musste, die diesen Dritten mittelbar betroffen hat. Ebenso lässt sich aus dem Umstand, dass der Kanzler des Gerichtshofs in seiner Eigenschaft als Ernennungsbehörde entschieden hat, Beschäftigungsverträge mit diesem Dritten abzuschließen und zu verlängern und eine Disziplinarstrafe gegen einen Beamten zu verhängen, der an das Personal des Organs eine E-Mail zu diesem angeblichen Interessenkonflikt verschickt hat, nicht ableiten, dass die berufliche Beziehung zwischen ihm und diesem Dritten über den normalen Rahmen hinausgegangen ist oder dass er eine Entscheidung über die Umsetzung dieses Beamten in der Absicht getroffen hat, ihn dafür zu bestrafen, dass er eine geltend gemachte Vorzugsbehandlung des Dritten aufgedeckt hat.

(vgl. Randnrn. 190 und 281)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: 11. September 2002, Willeme/Kommission, T‑89/01, Randnr. 58; 12. März 2008, Giannini/Kommission, T‑100/04, Randnr. 224

8.      Die Fürsorgepflicht der Verwaltung spiegelt gegenüber ihren Bediensteten zwar das Gleichgewicht zwischen den wechselseitigen Rechten und Pflichten wider, die das Statut im Verhältnis zwischen der Behörde und den öffentlichen Bediensteten geschaffen hat, doch können die Erfordernisse dieser Pflicht die Anstellungsbehörde nicht daran hindern, die Maßnahmen zu ergreifen, die sie im dienstlichen Interesse für erforderlich hält. Daher kann ein Beamter der Verwaltung nicht unter Berufung auf die Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung oder die Fürsorgepflicht vorwerfen, eine Umsetzungsentscheidung getroffen zu haben, um zu verhindern, dass sich eine Situation zwischenmenschlicher Schwierigkeiten innerhalb des Referats des Betroffenen weiter verschlechtert.

(vgl. Randnr. 200)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 25. November 1976, Küster/Parlament, 123/75, Randnr. 10

Gericht erster Instanz: 13. Dezember 1990, Moritz/Kommission, T‑20/89, Randnr. 39; W/Kommission, Randnr. 95; 26. November 2002, Cwik/Kommission, T‑103/01, Randnr. 52

9.      Ein Beamter verstößt gegen seine Pflicht nach Art. 12 des Statuts, sich jeder Handlung und jedes Verhaltens zu enthalten, die dem Ansehen seines Amtes abträglich sein könnten, wenn er öffentlich schwere Beleidigungen äußert, die für die davon betroffenen Personen ehrenrührig sind, nicht nur weil die Anschuldigungen geeignet sind, ihre Würde als Personen zu beschädigen, sondern auch weil die Behauptungen ihre berufliche Ehrenhaftigkeit in Verruf bringen können. Die Form dieser Behauptungen ist unerheblich, da sowohl unmittelbare Anschuldigungen als auch Behauptungen erfasst werden, die in anzweifelnder, mittelbarer oder versteckter Form durch Andeutungen oder in der Weise aufgestellt werden, dass sie sich auf eine nicht ausdrücklich genannte Person beziehen, die jedoch identifiziert werden kann.

Zwar ist nämlich die Meinungsfreiheit ein Grundrecht, dessen Wahrung der Unionsrichter gewährleistet und das das Recht der Beamten und Beschäftigten der Europäischen Union umfasst, mündlich oder schriftlich konstruktive Kritik zu äußern, doch wird die Ausübung dieses Rechts u. a. durch Art. 12 des Statuts begrenzt.

Um festzustellen, ob Anschuldigungen durch einen Beamten innerhalb der Grenzen der Meinungsfreiheit geblieben sind, sind daher zum einen die Gesichtspunkte abzuwägen, die einen Eingriff in die Würde darstellen können, nämlich die Schwere der erhobenen Anschuldigungen, deren Form, die Art und Weise der Verbreitung, und zum anderen der Kontext, in dem die Anschuldigungen erfolgt sind, die etwaige Unmöglichkeit, andere Ausdrucksformen zu wählen, die die Würde der betroffenen Person weniger angreifen, und der konstruktive Charakter der Kritik, der voraussetzt, dass sie bei vernünftiger Betrachtung als begründet erscheinen kann, im dienstlichen Interesse geäußert worden ist und nicht über das hinausgeht, was für ihr Verständnis erforderlich ist.

Zeigt ein Beamter eine angeblich rechtswidrige Handlung an, muss er die Zurückhaltung und Mäßigung üben, die ihm die Pflicht zur Objektivität und Unparteilichkeit sowie die Wahrung der Amtswürde, des Ansehens der Personen und der Unschuldsvermutung auferlegen. Das ist nicht der Fall, wenn der Beamte, anstatt die ihm nach den Art. 22a und 22b des Statuts eröffneten gesetzlichen Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen, an das gesamte Personal seines Referats E-Mails versandt hat, die schwere Anschuldigungen enthielten, mit der die Ehre mehrerer Beamte verletzt und ihre berufliche Ehrenhaftigkeit beeinträchtigt wurde.

(vgl. Randnrn. 242, 246, 247, 251 und 252)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 13. Dezember 1989, Oyowe und Traore/Kommission, C‑100/88, Randnr. 16; 6. März 2001, Connolly/Kommission, C‑274/99 P, Randnrn. 43 bis 49

Gericht erster Instanz: 7. März 1996, Williams/Rechnungshof, T‑146/94, Randnrn. 66 und 67; 12. September 2000, Teixeira Neves/Gerichtshof, T‑259/97, Randnrn. 29, 30 und 47; 28. Oktober 2004, Meister/HABM, T‑76/03, Randnrn. 157 und 159

Gericht für den öffentlichen Dienst: 8. November 2007, Andreasen/Kommission, F‑40/05, Randnr. 234; Nijs/Rechnungshof, Randnrn. 67, 70 und 73

10.    Ein Beamter, insbesondere wenn seine Vorgesetzten nicht auf seine Beschwerden reagiert haben, kann sich unter Umständen dazu veranlasst sehen, ein Mobbing, dessen Opfer er sein soll, öffentlich anzuzeigen, ohne dass ein solches Verhalten nach Art. 12 des Statuts vorwerfbar wäre, und zwar selbst dann, wenn die öffentliche Anzeige eines solchen Sachverhalts aus sich heraus geeignet ist, den angeblich Mobbenden oder die Verwaltung zu diskreditieren.

Das ist jedoch nicht der Fall, wenn der betroffene Beamte bei dieser Beschreibung oder dieser Kritik nach Ton und Inhalt seiner Äußerungen über eine Beschreibung des Rahmens, in dem das geltend gemachte Mobbing erfolgt sein soll, des darin verwickelten Personenkreises und des Kontexts, der es ermöglicht hat, hinausgeht.

Das gilt umso mehr, als das Verfahren nach Art. 22a des Statuts für Mobbing-Situationen im eigentlichen Sinne, die spezifische Maßnahmen seitens der Verwaltung erfordern, nicht besonders geeignet ist.

(vgl. Randnrn. 257 und 258)

11.    Nach Art. 86 des Statuts verfügt die Anstellungsbehörde bei der Entscheidung, ob in Anbetracht der ihr zur Kenntnis gebrachten Umstände eine Verwaltungsuntersuchung einzuleiten ist, um zu prüfen, ob ein Verstoß des betroffenen Beamten gegen seine durch das Statut auferlegten Pflichten vorliegt, über ein weites Ermessen. Wenn dieses Ermessen nicht in Frage gestellt werden soll, kann sich daher ein anderer Beamter, der die Verletzung von durch das Statut auferlegten Pflichten behauptet hat, für den Nachweis, dass die Behörde bei der Verhängung einer Disziplinarstrafe gegen ihn nicht objektiv war, nicht allein darauf berufen, dass die Anstellungsbehörde es nicht für angebracht gehalten habe, eine Verwaltungsuntersuchung über diese Behauptungen einzuleiten.

Hingegen ergibt sich im Fall der Einleitung einer Verwaltungsuntersuchung zwar aus Art. 3 des Anhangs IX des Statuts, dass sich die Anstellungsbehörde für die Eröffnung des Disziplinarverfahrens auf einen Untersuchungsbericht stützen muss, was voraussetzt, dass sie eine unparteiische und kontradiktorische Untersuchung führt, um zu ermitteln, ob der behauptete Sachverhalt und die dazugehörigen Umstände zutreffen, doch ist in keiner anwendbaren Bestimmung vorgesehen, dass diese Untersuchung unter Berücksichtigung sowohl der belastenden als auch der entlastenden Umstände zu führen wäre.

Zwar verpflichtet der Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung die Anstellungsbehörde, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des ihr unterbreiteten Falles zu untersuchen, doch muss sie sich nicht an die Stelle des beschuldigten Beamten setzen, um an seiner Stelle alle Umstände zu ermitteln, die ihn entlasten oder die eventuell zu verhängende Sanktion abmildern könnten.

Jedoch ergibt sich aus Art. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 des Anhangs IX des Statuts, dass dem betroffenen Beamten am Ende der Untersuchung, aber bevor die Anstellungsbehörde ihn betreffende Schlussfolgerungen zieht, Gelegenheit gegeben werden muss, zu dem ihn betreffenden Sachverhalt Stellung zu nehmen.

(vgl. Randnrn. 266, 267, 270 und 285)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 11. Juli 1968, Van Eick/Kommission, 35/67; 14. Februar 1989, Star Fruit/Kommission, 247/87, Randnr. 11

Gericht erster Instanz: 18. Dezember 1997, Daffix/Kommission, T‑12/94, Randnr. 104; 20. März 2002, ABB Asea Brown Boveri/Kommission, T‑31/99, Randnr. 99

12.    Muss die Verwaltung ein Anhörungsprotokoll erstellen, weil eine Vorschrift sie dazu verpflichtet, sie sich auf die in der Anhörung gemachten Aussagen berufen möchte oder der Betroffene dies spätestens zu Beginn der Anhörung beantragt, sind nur die wesentlichen und nicht alle in der Anhörung getanen Äußerungen schriftlich festzuhalten.

(vgl. Randnr. 305)