Language of document : ECLI:EU:T:2019:378

URTEIL DES GERICHTS (Achte Kammer)

6. Juni 2019(*)

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das das Fahrzeug VW Caddy Maxi darstellt – Älteres Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsgrund – Eigenart – Informierter Benutzer – Anderer Gesamteindruck – Art. 6 und Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Dem Antragsteller, der die Nichtigerklärung beantragt, obliegende Beweislast – Anforderungen an die Wiedergabe des älteren Geschmacksmusters“

In der Rechtssache T‑191/18

Rietze GmbH & Co. KG mit Sitz in Altdorf (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Krogmann,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUlPO), vertreten durch S. Hanne als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Volkswagen AG mit Sitz in Wolfsburg (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt C. Klawitter,


betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 11. Januar 2018 (Sache R 1203/2016-3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Rietze und Volkswagen

erlässt

DAS GERICHT (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. M. Collins (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Kancheva und des Richters G. De Baere,

Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 16. März 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 31. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 29. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2019

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Streithelferin, die Volkswagen AG, ist Inhaberin des Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nr. 762851-0001, das beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) am 23. Juli 2007 angemeldet und eingetragen sowie am 28. September 2007 im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 2007/131 veröffentlicht wurde (im Folgenden: angegriffenes Geschmacksmuster).

2        Das angegriffene Geschmacksmuster ist zur Verwendung für die Erzeugnisse „Kraftfahrzeuge“ in Klasse 12-08 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung bestimmt. Das angegriffene Geschmacksmuster wird wie folgt wiedergegeben:




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Ansicht 1

Ansicht 2

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Ansicht 7


3        Am 29. Dezember 2014 stellte die Klägerin, die Rietze GmbH & Co. KG, die Fahrzeugmodelle vertreibt, beim EUIPO nach Art. 52 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) einen Antrag auf Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters, der auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der genannten Verordnung beruhte. Zur Begründung brachte die Klägerin vor, das angegriffene Geschmacksmuster sei nicht neu im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 und habe keine Eigenart im Sinne von Art. 6 der genannten Verordnung.

4        Zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung machte die Klägerin geltend, das angegriffene Geschmacksmuster sei ein Geschmacksmuster, das das Fahrzeug VW Caddy Maxi darstelle, das von der Streithelferin im Jahre 2007 auf den Markt gebracht worden sei. Um zu belegen, dass ein älteres Geschmacksmuster offenbart worden war, verwies die Klägerin auf das Vorgängermodell dieses Fahrzeugs, den VW Caddy (2K) Life, den die Streithelferin im Jahre 2004 auf den Markt gebracht habe. Sie stützte ihren Antrag insbesondere auf das Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 49895-0002, dessen von der Streithelferin am 7. Juli 2003 beantragte Eintragung am 9. Dezember 2003 veröffentlicht wurde (im Folgenden: älteres Geschmacksmuster).

5        Mit Entscheidung vom 6. Juni 2016 erklärte die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO das angegriffene Geschmacksmuster wegen fehlender Eigenart im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig.

6        Am 30. Juni 2016 legte die Streithelferin gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung Beschwerde nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 ein.

7        Mit Entscheidung vom 11. Januar 2018 (Sache R 1203/2016-3) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) gab die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO der Beschwerde unter Aufhebung der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung statt und wies den Antrag auf Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters zurück. Die Beschwerdekammer entschied, das angegriffene Geschmacksmuster sei neu im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 und habe Eigenart im Sinne von Art. 6 derselben Verordnung.

 Anträge der Parteien

8        Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig zu erklären;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

9        Das EUIPO und die Streithelferin beantragen,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

10      Die Klägerin macht als einzigen Klagegrund einen Verstoß gegen Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 geltend. Sie rügt im Wesentlichen, dass die Beschwerdekammer davon ausgegangen sei, dass das angegriffene Geschmacksmuster Eigenart habe, da sich sein Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorrufe, von dem Gesamteindruck unterscheide, den das ältere Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorrufe.


11      Der Klagegrund besteht aus vier Teilen. Erstens habe sich die Beschwerdekammer fälschlicherweise auf eine bloße Aufzählung angeblicher Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern beschränkt, ohne diese zu gewichten und ohne zwischen ästhetischen und technischen Merkmalen zu differenzieren. Zweitens habe sie einen unzulässig hohen Aufmerksamkeitsgrad des informierten Benutzers zugrunde gelegt und infolgedessen den Unterschieden zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern zu große Bedeutung beigemessen. Drittens habe die Beschwerdekammer bei der Beurteilung der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers Fehler begangen. Viertens schließlich habe sie bestimmte Beweismittel nicht berücksichtigt.

12      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

13      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster für nichtig erklärt werden muss, wenn es die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung nicht erfüllt.

14      Nach Art. 4 der Verordnung Nr. 6/2002 wird ein Geschmacksmuster durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.

15      Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 ist die Eigenart eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Hinblick auf den von ihm beim informierten Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck zu beurteilen, der sich von dem Gesamteindruck unterscheiden muss, den ein anderes Geschmacksmuster, das der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist, hervorruft. Durch Art. 6 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 wird klargestellt, dass bei dieser Beurteilung der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters zu berücksichtigen ist.

16      So ergibt sich die Eigenart eines Geschmacksmusters aus einem Gesamteindruck der Unähnlichkeit oder des Fehlens eines „déjà vu“ aus der Sicht des informierten Benutzers im Vergleich zum vorbestehenden Formschatz älterer Geschmacksmuster, ungeachtet der Unterschiede, die – auch wenn sie über unbedeutende Details hinausgehen – nicht markant genug sind, um diesen Gesamteindruck zu beeinträchtigen, aber unter Berücksichtigung von Unterschieden, die hinreichend ausgeprägt sind, um einen unähnlichen Gesamteindruck hervorzurufen (vgl. Urteil vom 7. November 2013, Budziewska/HABM – Puma [Springende Raubkatze], T‑666/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:584, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).


17      Bei der Beurteilung, ob ein Geschmacksmuster Eigenart in Bezug auf den vorbestehenden Formschatz aufweist, sind die Art des Erzeugnisses, bei dem das Geschmacksmuster benutzt wird oder in das es aufgenommen wird, und insbesondere der jeweilige Industriezweig und der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters, eine mögliche Sättigung des Stands der Technik, durch die der informierte Benutzer für Unterschiede zwischen den verglichenen Geschmacksmustern aufmerksamer wird, sowie die Art der Benutzung des fraglichen Erzeugnisses, insbesondere im Hinblick auf die dafür übliche Bedienungsweise, zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 7. November 2013, Springende Raubkatze, T‑666/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:584, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Beschwerdekammern ausschließlich anhand der Verordnung Nr. 6/2002 in ihrer Auslegung durch den Unionsrichter zu prüfen ist, und nicht auf der Grundlage einer nationalen Rechtsprechung, selbst wenn diese auf Vorschriften beruht, die denen der Verordnung entsprechen (vgl. Urteil vom 4. Juli 2017, Murphy/EUIPO – Nike Innovate [Elektronisches Uhrenarmband], T‑90/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:464, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19      Im Licht dieser Erwägungen ist das Vorbringen der Klägerin zu prüfen.

20      Zunächst ist auf den zweiten Teil des einzigen Klagegrundes einzugehen, der den Aufmerksamkeitsgrad des informierten Benutzers betrifft, bevor dessen erster Teil untersucht wird, der die Beurteilung des von den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern aus der Sicht dieses Benutzers hervorgerufenen Gesamteindrucks betrifft, und schließlich der dritte und vierte Teil des einzigen Klagegrundes zu prüfen ist.

 Zum zweiten Teil des einzigen Klagegrundes: Aufmerksamkeitsgrad des informierten Benutzers

21      Nach Ansicht der Klägerin hat die Beschwerdekammer einen unzulässig hohen Aufmerksamkeitsgrad des informierten Benutzers zugrunde gelegt und infolgedessen den Unterschieden zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern zu große Bedeutung beigemessen.

22      Zunächst führt die Klägerin aus, der informierte Benutzer sei über die durch die Benutzung des das angegriffene Geschmacksmuster verkörpernden Produkts erworbenen Erfahrungen hinaus nicht in der Lage, die durch die technische Funktion gebotenen äußeren Aspekte des Produkts von dessen gewillkürten Aspekten zu unterscheiden. Die von der Beschwerdekammer genannten Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern beträfen technische Details, die für eine Person mit gewissen Kenntnissen in Bezug auf die Elemente, die Kraftfahrzeuge für gewöhnlich aufwiesen, nicht wahrnehmbar seien. Dies gelte insbesondere für Stoßfänger und Scheinwerfer sowie für Blinkleuchten und Heckklappen. Zur Stützung dieses Vorbringens verweist die Klägerin auf die Gegenüberstellungen auf den Seiten 4 bis 6 ihres an die Nichtigkeitsabteilung gerichteten Schriftsatzes vom 11. September 2015.

23      Sodann macht die Klägerin geltend, der informierte Benutzer messe Unterschieden zwischen unmittelbar aufeinanderfolgenden Fahrzeugmodellen desselben Herstellers eine geringere Bedeutung bei als Unterschieden zwischen Fahrzeugmodellen unterschiedlicher Hersteller. Bei den Fahrzeugmodellen desselben Herstellers achte der informierte Benutzer weniger auf das Design als vielmehr auf technische Neuigkeiten und Weiterentwicklungen in Bezug auf Sicherheit, Fahrleistung und Fahrkomfort. Darüber hinaus entscheide sich ein Käufer nicht aufgrund eines Vergleichs zu früheren Baureihen für den Kauf eines VW Caddy Maxi, sondern aufgrund eines Vergleichs zu den Fahrzeugen anderer Hersteller. Zur Stützung dieses Vorbringens nimmt die Klägerin auf eine Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung vom 13. September 2016 in dem Nichtigkeitsverfahren Nr. ICD 9742 Bezug. Der Erfolg des VW Caddy beruhe nicht auf seiner Gestaltung, sondern auf seiner Zuverlässigkeit.

24      Schließlich stützt sich die Klägerin auf mehrere in der deutschen Automobilpresse erschienene Artikel sowie auf eine Pressemitteilung der Streithelferin, die die fehlenden Unterschiede zwischen dem VW Caddy Maxi und dem VW Caddy (2K) Life hervorhöben. Die Beschwerdekammer habe deren Inhalt verkannt, da diese Artikel und die Pressemitteilung konkrete Anhaltspunkte für die Wahrnehmung des informierten Benutzers enthielten.

25      Nach der Rechtsprechung setzt die Benutzereigenschaft voraus, dass die betroffene Person das Produkt, das das Geschmacksmuster verkörpert, zu dem für dieses Produkt vorgesehenen Zweck benutzt. Außerdem setzt die Bezeichnung „informiert“ voraus, dass der Benutzer, ohne ein Entwerfer oder technischer Sachverständiger zu sein, verschiedene Geschmacksmuster kennt, die es in dem betroffenen Wirtschaftsbereich gibt, dass er gewisse Kenntnisse in Bezug auf die Elemente besitzt, die diese Geschmacksmuster für gewöhnlich aufweisen, und dass er diese Produkte aufgrund seines Interesses an ihnen mit verhältnismäßig großer Aufmerksamkeit benutzt (vgl. Urteile vom 20. Oktober 2011, PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic, C‑281/10 P, EU:C:2011:679, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 22. Juni 2010, Shenzhen Taiden/HABM – Bosch Security Systems [Fernmeldegeräte], T‑153/08, EU:T:2010:248, Rn. 46 und 47).

26      Der Begriff des informierten Benutzers ist als Begriff zu verstehen, der zwischen dem im Markenbereich anwendbaren Begriff des Durchschnittsverbrauchers, von dem keine speziellen Kenntnisse erwartet werden und der im Allgemeinen keinen direkten Vergleich zwischen den einander gegenüberstehenden Marken anstellt, und dem des Fachmanns als Sachkundigen mit profunden technischen Fertigkeiten liegt. Somit kann der Begriff des informierten Benutzers als Bezeichnung eines Benutzers verstanden werden, dem keine durchschnittliche Aufmerksamkeit, sondern eine besondere Wachsamkeit eigen ist, sei es wegen seiner persönlichen Erfahrung oder seiner umfangreichen Kenntnisse in dem betreffenden Bereich (Urteil vom 20. Oktober 2011, PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic, C‑281/10 P, EU:C:2011:679, Rn. 53).

27      Schließlich hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Natur des informierten Benutzers an sich bedingt, dass er, soweit möglich, einen direkten Vergleich zwischen dem älteren Geschmacksmuster und dem angegriffenen Geschmacksmuster vornimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2012, Neuman und Galdeano del Sel/Baena Grup, C‑101/11 P und C‑102/11 P, EU:C:2012:641, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer in den Rn. 17 und 19 der angefochtenen Entscheidung den informierten Benutzer als eine Person beschrieben, die, ohne ein Entwerfer oder technischer Sachverständiger zu sein, verschiedene Geschmacksmuster, die es im Bereich von Kraftfahrzeugen gibt, kennt, gewisse Kenntnisse in Bezug auf die Merkmale besitzt, die solche Kraftfahrzeuge für gewöhnlich aufweisen, und derartige Kraftfahrzeuge aufgrund ihres Interesses an ihnen mit großer Aufmerksamkeit benutzt. Der informierte Benutzer von Kraftfahrzeugen sei eine Person, die sich für solche Fahrzeuge interessiere, diese fahre und benutze und aufgrund der Lektüre einschlägiger Zeitschriften sowie Besuche von Ausstellungen und Autohäusern mit den am Markt verfügbaren Modellen vertraut sei. Er sei sich dessen bewusst, dass die Hersteller Modelle, die gut am Markt eingeführt seien, sowohl technisch als auch in ihrem Erscheinungsbild regelmäßig modernisierten. Der informierte Benutzer wisse auch, dass diese „Modellpflege“ dazu diene, gewisse modische Trends umzusetzen ohne jedoch die charakteristischen Erscheinungsmerkmale des jeweiligen Fahrzeugmodells völlig aufzugeben. Nach Ansicht der Beschwerdekammer wird keiner der in den nachstehenden Rn. 37 bis 40 genannten Unterschiede dem so beschriebenen informierten Benutzer entgehen.

29      Das Vorbringen der Klägerin stellt die oben wiedergegebene Beurteilung des Aufmerksamkeitsgrads des informierten Benutzers durch die Beschwerdekammer nicht in Frage.

30      Zunächst ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, wonach die von der Beschwerdekammer festgestellten Unterschiede hinsichtlich der Stoßfänger, Scheinwerfer, Blinkleuchten und Heckklappen für den informierten Benutzer nicht wahrnehmbar seien, da sie technische Details beträfen. Aus der angefochtenen Entscheidung geht hervor, dass die von der Beschwerdekammer festgestellten Unterschiede das Aussehen dieser Teile betreffen und nicht ihre technischen Details. Deshalb können sie vom informierten Benutzer wahrgenommen werden. Dass eine Änderung einiger dieser Elemente auch eine technische Wirkung habe könnte, ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang.

31      In ihrer Klageschrift hat die Klägerin auf die Seiten 4 bis 6 ihres an die Nichtigkeitsabteilung gerichteten Schriftsatzes vom 11. September 2015 Bezug genommen. Es ist festzustellen, dass diese Seiten lediglich eine Reihe von Abbildungen der den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern entsprechenden Fahrzeuge enthalten. Diese Abbildungen sind für sich genommen nicht geeignet, die vorliegende Rüge zu stützen. Darüber hinaus wäre ein pauschaler Verweis der Klägerin auf ihren an die Nichtigkeitsabteilung gerichteten Schriftsatz nach Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der nach Art. 53 Abs. 1 dieser Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, und gemäß Art. 76 Buchst. d der Verfahrensordnung des Gerichts, der nach Art. 171 und Art. 177 Abs. 1 dieser Verfahrensordnung im Bereich des geistigen Eigentums Anwendung findet, unzulässig (vgl. Urteil vom 9. März 2018, Recordati Orphan Drugs/EUIPO – Laboratorios Normon [NORMOSANG], T‑103/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:126, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Sodann kann das Vorbringen der Klägerin nicht durchgreifen, wonach der informierte Benutzer Unterschieden zwischen unmittelbar aufeinanderfolgenden Fahrzeugmodellen desselben Herstellers eine geringere Bedeutung beimesse als Unterschieden zwischen Fahrzeugmodellen unterschiedlicher Hersteller. Die Klägerin bringt nämlich zur Stützung dieser Argumentation keinen rechtlichen oder tatsächlichen Umstand vor, der geeignet wäre, die Beurteilung der Beschwerdekammer hinsichtlich des Aufmerksamkeitsgrads des informierten Benutzers beim Vergleich der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster in Frage zu stellen. Der von der Klägerin zur Untermauerung des vorliegenden Arguments genannte Teil der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung vom 13. September 2016 ist insoweit nicht relevant, da er nicht den Aufmerksamkeitsgrad betrifft, den der informierte Benutzer unmittelbar aufeinanderfolgenden Fahrzeugmodellen desselben Herstellers widmet im Vergleich zu dem, der Modellen unterschiedlicher Hersteller gewidmet wird. Zudem ist in Anbetracht der oben in den Rn. 25 und 26 angeführten Rechtsprechung das Vorbringen der Klägerin betreffend den Grund für Kaufentscheidungen und den Umstand, dass ihrer Ansicht nach der Erfolg des VW Caddy nicht auf seiner Gestaltung, sondern auf seiner Zuverlässigkeit beruht, ohne Belang.

33      Schließlich ist das Vorbringen zurückzuweisen, wonach die Beschwerdekammer die in der deutschen Automobilpresse und in der Pressemitteilung der Streithelferin zum Ausdruck gebrachten Standpunkte hätte berücksichtigen müssen. Es ist grundsätzlich nicht auszuschließen, dass solche Dokumente berücksichtigt werden können, aber die Beschwerdekammer ist dazu nicht verpflichtet, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, der Ansicht ist, dass der darin geäußerte Standpunkt nicht relevant sei, weil er nicht den beim informierten Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck widerspiegele.


34      Folglich ist der zweite Teil des einzigen Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum ersten Teil des einzigen Klagegrundes: Gesamteindruck beim informierten Benutzer

35      Nach Auffassung der Klägerin geht aus der Rechtsprechung hervor, dass das EUIPO die Merkmale der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster gewichten müsse, weil die Erscheinungsform eines Geschmacksmusters von einzelnen Merkmalen stärker oder schwächer beeinflusst werden könne. So hätte sich die Beschwerdekammer zum einen mit den Gemeinsamkeiten der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster auseinandersetzen müssen. Eine solche Analyse hätte sie zu dem Schluss veranlasst, dass die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster in Bezug auf die Grundform der Karosserie, die Silhouette, die Form und Anordnung der Fenster, Frontscheibe und Motorhaube, Kühlergrill und Scheinwerfer nahezu identisch seien. Zum anderen hätte die Beschwerdekammer zwischen ästhetischen und technischen Merkmalen differenzieren müssen, da der informierte Benutzer Scheinwerfern aufgrund ihrer überwiegend technischen Funktion und lediglich farblichen Unterschieden bei Stoßstange und Kühlergrill nur eine untergeordnete Bedeutung in seiner Gesamtbetrachtung beimesse. Hingegen könne die Beschwerdekammer aufgrund einer bloß listenartigen Beschreibung der behaupteten Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern, wie sie diese in den Rn. 24 ff. und Rn. 31 ff. der angefochtenen Entscheidung vorgenommen habe, nicht beurteilen, ob ein abweichender Gesamteindruck beim informierten Benutzer geweckt werde.

36      Es ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer in den Rn. 22 bis 31 der angefochtenen Entscheidung die Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters, nämlich des VW Caddy Maxi, im Vergleich zum älteren Geschmacksmuster beurteilt hat. Als Grundlage für ihre Beurteilung hat sie die folgenden Abbildungen der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster herangezogen:

Angegriffenes Geschmacksmuster

Älteres Geschmacksmuster

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Ansicht 1/7

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Ansicht 2/7

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Ansicht 3/7

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Ansicht 4/7

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Ansicht 5/7

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Ansicht 6/7

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Ansicht 7/7

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Ansicht 2/5

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Ansicht 3/5

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Ansicht 4/5

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Ansicht 1/5

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Ansicht 5/5



37      In den Rn. 24 bis 27 der angefochtenen Entscheidung ist die Beschwerdekammer zu dem Ergebnis gelangt, dass die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster deutliche Unterschiede aufwiesen.

38      Erstens hat die Beschwerdekammer auf der Grundlage der Seitenansichten den Schluss gezogen, dass das Fahrzeug gemäß dem angegriffenen Geschmacksmuster deutlich länger sei als das Fahrzeug gemäß dem älteren Geschmacksmuster. Die Seiten‑, Vorder- und Rückansichten zeigten in ihrer Gesamtheit, dass die Motorhaube beim angegriffenen Geschmacksmuster kürzer sei und das Fahrzeug im Gesamteindruck breiter und gedrungener wirke, während das Fahrzeug gemäß dem älteren Geschmacksmuster schmäler und kastenförmiger wirke. Die Unterschiede in der Fahrzeuglänge zögen weitere Unterschiede in der Aufteilung der Seitenfenster und der Anordnung der hinteren Tür nach sich. Beim angegriffenen Geschmacksmuster zeigten die Seitenansichten (Ansichten 2/7 und 6/7), dass die hintere Schiebetür deutlich vom Radkasten getrennt sei; die Schiebetür habe ein quadratisches Fenster, während das Fenster über dem Radkasten fast doppelt so breit sei. Beim älteren Geschmacksmuster rage die Schiebetür in den Radkasten hinein und die jeweiligen Fenster der Tür und über dem Radkasten hätten die gleiche quadratische Größe (Ansicht 3/5).

39      Zweitens hat die Beschwerdekammer auf der Grundlage der Vorderansichten festgestellt, dass es Unterschiede in der Form und der Anordnung der Scheinwerfer und der vorderen Stoßstange gebe. Beim angegriffenen Geschmacksmuster sei der dunkle Kühlergrill deutlich von den Scheinwerfern und der in der Wagenfarbe gehaltenen Stoßstange abgesetzt (Ansicht 4/7). Beim älteren Geschmacksmuster schließen die Scheinwerfer unmittelbar an den dunklen Kühlergrill an, der zusammen mit der ebenfalls dunklen Stoßstange eine kompakte Einheit bilde, die im farblichen Kontrast zur übrigen Karosserie stehe (Ansicht 1/5). Sodann hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass weitere Unterschiede in der Ausgestaltung der Seitenspiegel bestünden. Beim angegriffenen Geschmacksmuster seien sie in der Wagenfarbe gehalten, seitlich einklappbar, wie man am linken Seitenspiegel sehe, und insgesamt von bauchiger Form, während die des älteren Geschmacksmusters flach und dunkel seien, und daher im Kontrast zur Wagenfarbe stünden.

40      Drittens hat die Beschwerdekammer auf der Grundlage der Rückansichten festgehalten, dass das angegriffene Geschmacksmuster eine einteilige Heckklappe mit einem Griff unterhalb des Nummernschilds und eine in der Wagenfarbe gehaltene Stoßstange zeige. Im älteren Geschmacksmuster befinde sich die Heckklappe oberhalb des Nummernschilds und die dunkle Stoßstange sei optisch von der Wagenfarbe abgesetzt. Aufgrund der optisch in die Karosserie integrierten Stoßstange wirke die Rückansicht des angegriffenen Geschmacksmusters insgesamt „bulliger“ als die des älteren Geschmacksmusters.

41      Die Beschwerdekammer ist zu dem Schluss gelangt, dass keiner der oben in den Rn. 38 bis 40 genannten Unterschiede dem informierten Benutzer werde entgehen können. Sie riefen einen Gesamteindruck des Fahrzeugs gemäß dem angegriffenen Geschmacksmuster hervor, der sich von dem des Fahrzeugs gemäß dem älteren Geschmacksmuster unterscheide.

42      Das Vorbringen der Klägerin stellt die Beurteilung der Beschwerdekammer in den Rn. 22 bis 31 der angefochtenen Entscheidung, die oben in den Rn. 37 bis 41 wiedergegeben worden ist, nicht in Frage.

43      Zunächst ist festzustellen, dass sich die Beschwerdekammer entgegen der Behauptung der Klägerin nicht auf eine bloße Aufzählung der Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern beschränkt hat. Zum einen geht aus Rn. 23 der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die Beschwerdekammer die Übereinstimmung der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster durch die kastenförmige Karosserie sowie Anzahl und Anordnung der Fenster, Türen, Scheinwerfer, Rücklichter und Seitenspiegel berücksichtigt hat. Zum anderen ergibt sich aus den Rn. 24 bis 31 der angefochtenen Entscheidung, dass sie den von den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern hervorgerufenen Gesamteindruck bewertet hat, indem sie diese anhand ihrer Vorder‑, Seiten- und Rückansichten, jeweils für sich genommen und in ihrer Kombination, analysiert hat.

44      Zur Stützung ihres Vorbringens, wonach sich die Beschwerdekammer mit den Gemeinsamkeiten der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster hätte auseinandersetzen müssen, verweist die Klägerin darauf, dass das Gericht in Rn. 73 des Urteils vom 22. Juni 2010, Fernmeldegeräte (T‑153/08, EU:T:2010:248), entschieden habe, dass eine auf dem angegriffenen Geschmacksmuster der in Rede stehenden Rechtssache vorhandene stilisierte Verzierung die festgestellten Ähnlichkeiten nicht aufwiegen könne und demzufolge nicht ausreiche, um dem genannten Geschmacksmuster Eigenart zu verleihen. Die betreffende Feststellung stellt eine dem konkreten Fall eigene Tatsachenfeststellung dar und ist keine rechtliche Anforderung im Hinblick darauf, wie die Eigenart eines Geschmacksmusters zu beurteilen ist.

45      Sodann ist festzustellen, dass nach der oben in den Rn. 16 und 17 angeführten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs keine Gewichtung der Merkmale erforderlich ist, um zu beurteilen, ob das angegriffene Geschmacksmuster beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck hervorruft als das ältere Geschmacksmuster. Wenn, wie im vorliegenden Fall, die Beurteilung der hinreichend ausgeprägten Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern mit einem hinreichenden Grad an Klarheit zeigt, dass das angegriffene Geschmacksmuster beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck als das ältere Geschmacksmuster hervorruft, kann vom EUIPO nicht verlangt werden, eine Gewichtung jedes einzelnen Merkmals der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster vorzunehmen.

46      Schließlich kann dem Argument, wonach die Beschwerdekammer zwischen ästhetischen und technischen Merkmalen hätte differenzieren müssen, nicht gefolgt werden. Zum einen ist festzustellen, dass die Klägerin keinen tatsächlichen oder rechtlichen Umstand zur Stützung ihrer Behauptung vorbringt, wonach der informierte Benutzer Scheinwerfern aufgrund ihrer überwiegend technischen Funktion und farblichen Unterschieden bei Stoßstange und Kühlergrill nur eine untergeordnete Bedeutung in seiner Gesamtbetrachtung beimesse. Zum anderen sind diese Merkmale, selbst wenn sie eine technische Funktion haben, nicht rein funktionell; vielmehr kann ihr Erscheinungsbild verändert werden, so dass eventuelle Unterschiede in ihrer Form und ihrer Anordnung den Gesamteindruck beeinflussen können, den das Erzeugnis hervorruft, in das sie integriert worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juli 2017, Elektronisches Uhrenarmband, T‑90/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:464, Rn. 61).


47      Folglich ist der erste Teil des einzigen Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum dritten Teil des einzigen Klagegrundes: Gestaltungsfreiheit des Entwerfers

48      In Rn. 16 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers von Personenkraftfahrzeugen beschrieben. Diese sei durch die technische Funktion eines Kraftfahrzeugs eingeschränkt, das der Beförderung von Personen und Lasten diene. Daneben bestünden gesetzliche Vorgaben, insbesondere im Bereich der Verkehrssicherheit, die u. a. die Ausstattung mit Scheinwerfern, Rückleuchten und Seitenspiegeln beträfen. Hingegen unterliege die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers hinsichtlich der Ausgestaltung dieser technisch und gesetzlich vorgegebenen Merkmale keinen Beschränkungen. Die potenziellen Erwartungen des Marktes oder bestimmte Designtrends stellten keine relevanten Einschränkungen der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers dar.

49      Die Klägerin macht geltend, dass zum einen die im Rahmen der ersten beiden Teile des einzigen Klagegrundes vorgebrachten Argumente umso mehr gälten, als der Entwerfer über eine große Gestaltungsfreiheit verfüge. Zum anderen dürfe das Vorliegen etwaiger dem Entwerfer vom Markt auferlegter Beschränkungen bei der Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters keine Berücksichtigung finden.

50      Das EUIPO entgegnet, die Klägerin bringe keine Rüge vor, so dass es dazu nicht Stellung nehmen könne.

51      Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 21 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der gemäß deren Art. 53 Abs. 1 auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, und nach Art. 177 Abs. 1 Buchst. d der Verfahrensordnung die Klageschrift u. a. eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss. Diese Darstellung muss so klar und genau sein, dass sie dem Beklagten die Vorbereitung seines Verteidigungsvorbringens und dem Gericht die Entscheidung über die Klage ermöglicht. Ebenso muss jeder Antrag in einer Weise begründet sein, die sowohl dem Beklagten als auch dem Richter die Beurteilung seiner Begründetheit ermöglicht. Somit müssen die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf denen die Klage beruht, zumindest in gedrängter Form, jedenfalls aber zusammenhängend und verständlich aus dem Wortlaut der Klageschrift selbst hervorgehen. Entsprechende Anforderungen gelten, wenn eine Rüge oder ein Argument zur Stützung eines Klagegrundes vorgebracht wird (vgl. Urteil vom 13. März 2013, Biodes/HABM – Manasul Internacional [FARMASUL], T‑553/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:126, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).


52      Die Klägerin beanstandet nicht die Feststellungen der Beschwerdekammer, wonach die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers insoweit eingeschränkt sei, dass zum einen das Fahrzeug zur Beförderung von Personen oder Waren diene und zum anderen rechtliche Vorgaben insbesondere im Bereich der Verkehrssicherheit bestünden. Darüber hinaus räumen sowohl das EUIPO als auch die Klägerin ein, dass potenzielle Erwartungen des Marktes oder bestimmte Designtendenzen keine relevanten Beschränkungen der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2014, Sachi Premium-Outdoor Furniture/HABM – Gandia Blasco [Sessel], T‑357/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:55, Rn. 23 und 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53      Zudem legt die Klägerin keinen tatsächlichen oder rechtlichen Umstand zur Stützung dieses Teils ihres einzigen Klagegrundes vor. Sie erläutert nicht, worin der Fehler bestehe, den die Beschwerdekammer bei der Beurteilung des Grades der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers begangen haben soll.

54      Folglich ist der dritte Teil des einzigen Klagegrundes als unzulässig zurückzuweisen.

 Zum vierten Teil des einzigen Klagegrundes: Die Beschwerdekammer hätte bestimmte Beweismittel berücksichtigen müssen

55      Nach Auffassung der Klägerin hätte die Beschwerdekammer die in einem Artikel der Online-Enzyklopädie Wikipedia gezeigte Abbildung „VW Caddy Life (2004-2010)“, die sie ihrem Antrag auf Nichtigerklärung als Anlage beigefügt habe, berücksichtigen müssen. Die Berücksichtigung dieser Abbildung sei deshalb von Bedeutung, weil das dort abgebildete Fahrzeug eine Stoßstange in Wagenfarbe zeige. Der in der angefochtenen Entscheidung mehrfach hervorgehobene farbliche Unterschied in Bezug auf die Stoßstange sei daher unbeachtlich.

56      Darüber hinaus habe die Beschwerdekammer zum einen drei Online-Artikel, nämlich die Anlagen 7 bis 9 ihres Antrags auf Nichtigerklärung vom 11. September 2015, und zum anderen die Fahrzeugabbildungen in den Anlagen 10 bis 13 desselben Antrags nicht berücksichtigt.

57      Die Beschwerdekammer hat die in einem Artikel der Online-Enzyklopädie Wikipedia gezeigte Abbildung bei ihrer Analyse zu Recht außer Acht gelassen. Es ist festzustellen, dass bei der Beurteilung des Beweiswerts eines Dokuments die Wahrscheinlichkeit und die Glaubhaftigkeit der darin enthaltenen Information zu prüfen sind. Insbesondere sind zu berücksichtigen die Herkunft des Dokuments, die Umstände seiner Ausarbeitung, sein Adressat und die Frage, ob es seinem Inhalt nach vernünftig und verlässlich erscheint (vgl. Urteil vom 9. März 2012, Coverpla/HABM – Heinz-Glas [Fläschchen], T‑450/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:117, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). In Anbetracht des Umstands, dass Wikipedia eine Online-Enzyklopädie ist, die jederzeit von jedem Internetnutzer geändert werden kann, ist vorliegend davon auszugehen, dass die genannte Abbildung einen äußerst begrenzten Beweiswert aufweist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Februar 2010, O2 (Germany)/HABM [Homezone], T‑344/07, EU:T:2010:35, Rn. 46).

58      Sodann ist festzuhalten, dass die Beschwerdekammer auch die Online-Artikel, nämlich die Anlagen 7 bis 9 des Antrags auf Nichtigerklärung vom 11. September 2015, zu Recht nicht berücksichtigt hat, da der darin zum Ausdruck gebrachte Standpunkt nicht relevant war, weil er keinen Aufschluss über den beim informierten Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck gab. Darüber hinaus ist die Feststellung in Rn. 32 der angefochtenen Entscheidung, wonach die in Rede stehenden Artikel der Stellungnahme der Antragstellerin des Nichtigkeitsantrags nicht tatsächlich beigefügt gewesen seien, eine ergänzende Erwägung, so dass die Rüge der Klägerin, dass die Beschwerdekammer diese Artikel hätte berücksichtigen müssen, weil sie sehr wohl beigefügt gewesen seien, ins Leere geht.

59      Schließlich kann auch die Rüge keinen Erfolg haben, mit der beanstandet wird, dass die Beschwerdekammer die Abbildungen von Fahrzeugen in den Anlagen 10 bis 13 des Nichtigkeitsantrags vom 11. September 2015 nicht berücksichtigt habe. Die Klägerin hat weder dargelegt, inwiefern ihr dadurch ein Schaden entstanden sein soll, noch, warum diese Abbildungen nicht Geschmacksmuster zeigen, die denen entsprechen, die die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung angeführt hat.

60      Nach alledem ist der vierte Teil des einzigen Klagegrundes zurückzuweisen und die Klage daher insgesamt abzuweisen, ohne dass über die Zulässigkeit des zweiten Antrags entschieden zu werden braucht, der darauf gerichtet ist, dass das angegriffene Geschmacksmuster vom Gericht für nichtig erklärt werde.

 Kosten

61      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen des EUIPO und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat


DAS GERICHT (Achte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Rietze GmbH & Co. KG trägt die Kosten.

Collins

Kancheva

De Baere

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 6. Juni 2019.

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

      S. Gervasoni


*      Verfahrenssprache: Deutsch.