Language of document : ECLI:EU:F:2010:72

URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
DER EUROPÄISCHEN UNION (Plenum)

1. Juli 2010(*)

„Öffentlicher Dienst – Beamte – Hinterbliebenenversorgung – Art. 79 des Statuts – Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts – Hinterbliebener Ehegatte – Anerkennung von zwei Personen als hinterbliebene Ehegatten – Kürzung um 50 % – Vertrauensschutz – Grundsatz der Übereinstimmung“

In der Rechtssache F‑45/07

betreffend eine Klage nach den Art. 236 EG und 152 EA,

Wolfgang Mandt, wohnhaft in Kreuztal (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin B. Kolb,

Kläger,

gegen

Europäisches Parlament, zunächst vertreten durch K. Zejdová, J. F. de Wachter und U. Rösslein als Bevollmächtigte, dann durch J. F. de Wachter, K. Zejdová und S. Seyr als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Kurt-Wolfgang Braun-Neumann, verstorben am 9. Oktober 2009, alleinbeerbt von Shirley Meyer, wohnhaft in Bedburg-Hau (Deutschland), die seine Anträge übernimmt, Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt P. Ames,

Streithelfer,

erlässt

DAS GERICHT FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST (Plenum)

unter Mitwirkung des Präsidenten P. Mahoney, des Kammerpräsidenten S. Gervasoni sowie der Richter H. Kreppel, H. Tagaras (Berichterstatter) und S. Van Raepenbusch,

Kanzlerin: W. Hakenberg,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2009

folgendes

Urteil

1        Mit Klageschrift, die am 16. Mai 2007 per Telefax (und urschriftlich am 21. Mai 2007) eingegangen ist, beantragt Herr Mandt die Aufhebung der Entscheidung der Anstellungsbehörde des Europäischen Parlaments vom 8. Februar 2007 über die Zurückweisung seiner Beschwerde gegen die Entscheidung vom 8. September 2006, mit der das Parlament entschieden hatte, ab dem 1. April 2006 die Hinterbliebenenversorgung um 50 % zu kürzen, die er als hinterbliebener Ehegatte von Frau Mandt, geborene Neumann (im Folgenden: Frau Neumann), einer ehemaligen Beamtin des Parlaments, bezog. Der Grund für diese Kürzung lag darin, dass das Parlament mit Entscheidung vom 8. September 2006 auf einen Antrag von Herrn Braun-Neumann, der darauf gerichtet war, als hinterbliebener Ehegatte von Frau Neumann ebenfalls eine Hinterbliebenenversorgung zu beziehen, beschlossen hatte, diesem ab 1. April 2006 eine Hinterbliebenenversorgung in Höhe von 50 % zu zahlen.

 Rechtlicher Rahmen

2        Art. 79 des Statuts der Beamten der Europäischen Union (im Folgenden: Statut) bestimmt:

„Der überlebende Ehegatte eines Beamten oder eines ehemaligen Beamten hat unter den in Anhang VIII Kapitel 4 vorgesehenen Bedingungen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung in Höhe von 60 v. H. des Ruhegehalts oder des Invalidengelds, das der Beamte bezogen hat oder das ihm zugestanden hätte, wenn er ohne die Voraussetzung einer Mindestdienstzeit oder eines Mindestalters zum Zeitpunkt seines Todes hierauf Anspruch gehabt haben würde.

…“

3        Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts sieht vor:

„Der überlebende Ehegatte des ehemaligen Beamten, der ein Ruhegehalt bezog, hat vorbehaltlich des Artikels 22 und sofern die Ehe vor dem Ausscheiden aus dem Dienst geschlossen worden war und mindestens ein Jahr bestand, Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung in Höhe von 60 v. H. des Ruhegehalts, das der ehemalige Beamte am Tag seines Todes bezog. Die Hinterbliebenenversorgung beträgt mindestens 35 v. H. des letzten Grundgehalts, darf aber keinesfalls höher als das Ruhegehalt sein, das der ehemalige Beamte am Tag seines Todes bezog.

…“

4        In Art. 22 des Anhangs VIII des Statuts heißt es:

„Hinterlässt ein Beamter einen überlebenden Ehegatten und zugleich Waisen aus früherer Ehe oder andere Rechtsnachfolger, so wird die Gesamtversorgung so berechnet wie die Hinterbliebenenversorgung für einen überlebenden Ehegatten, der für unterhaltsberechtigte Personen zu sorgen hat, und entsprechend den Versorgungsbezügen, die den einzelnen Anspruchsberechtigten gesondert zuerkannt worden wären, auf die in Betracht kommenden Personengruppen anteilig aufgeteilt.

…“

5        Art. 27 des Anhangs VIII lautet:

„Der geschiedene Ehegatte eines Beamten oder ehemaligen Beamten hat Anspruch auf die Hinterbliebenenversorgung nach den Vorschriften dieses Kapitels, sofern er nachweisen kann, dass er für sich selbst beim Tod seines früheren Ehegatten Anspruch auf eine Unterhaltszahlung zu dessen Lasten hatte, die entweder durch richterliche Entscheidung oder durch amtlich eingetragene und rechtswirksame Vereinbarung zwischen den ehemaligen Ehegatten festgelegt wurde.

Die Hinterbliebenenversorgung darf jedoch die Unterhaltszahlung, die zum Zeitpunkt des Todes des früheren Ehegatten geleistet wurde, nicht übersteigen, wobei letztere nach den Modalitäten des Artikels 82 des Statuts angepasst wird.

Der Anspruch des geschiedenen Ehegatten erlischt, wenn er vor dem Tod seines früheren Ehegatten eine neue Ehe eingeht. Geht er nach dessen Tod eine neue Ehe ein, so findet Artikel 26 auf ihn Anwendung.“

6        Art. 28 des Anhangs VIII des Statuts sieht vor:

„Beanspruchen mehrere geschiedene Ehefrauen oder ein oder mehrere geschiedene Ehegatten und ein überlebender Ehegatte Hinterbliebenenversorgung, so wird dieses entsprechend der jeweiligen Dauer der Ehe aufgeteilt. In diesem Falle findet Artikel 27 Absätze 2 und 3 Anwendung.

…“

 Sachverhalt

7        Frau Neumann, damals Beamtin des Europäischen Parlaments, und Herr Braun-Neumann, beide deutsche Staatsangehörige, schlossen am 3. Mai 1993 in Straubing (Deutschland) die Ehe und ließen sich in Andenne (Belgien) nieder. Nach Angaben des Klägers hat Herr Braun-Neumann strafbare Handlungen begangen, aufgrund deren er inhaftiert und später in eine psychiatrische Klinik eingewiesen gewesen sei.

8        Das Zusammenleben von Herrn Braun-Neumann und seiner Ehefrau beschränkte sich auf kurze Zeiträume des auf ihre Eheschließung folgenden Jahres. Die Ehe wurde mit Versäumnisurteil des Tribunal de première instance de Namur (Belgien) vom 6. September 1995, das in der Folge in Belgien rechtskräftig geworden sein soll, geschieden.

9        Der Antrag von Frau Neumann auf Anerkennung des Scheidungsurteils des Tribunal de première instance de Namur in Deutschland wurde zuletzt mit Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. Oktober 1999 abgelehnt. Die Anerkennung wurde in erster Linie deshalb verweigert, weil die Verteidigungsrechte von Herrn Braun-Neumann im Verfahren, das zum Erlass des Scheidungsurteils geführt habe, insoweit nicht gewahrt worden seien, als Herrn Braun-Neumann, der in Deutschland inhaftiert gewesen sei, die Ladung zur mündlichen Verhandlung verspätet übermittelt worden sei.

10      Am 25. April 2000 schloss der Kläger mit Frau Neumann in New York (Vereinigte Staaten) die Ehe.

11      Im Jahr 2001 trat Frau Neumann in den Ruhestand und bezog daraufhin ein Ruhegehalt. Nach Angaben des Klägers zog sie im April 2002 nach Deutschland. Ein „certificat de résidence historique“ (Bescheinigung über die gemeldeten Anschriften) der Stadt Andenne, die vom Kläger nach der mündlichen Verhandlung vorgelegt wurde (siehe Randnr. 33 des vorliegenden Urteils), führt nur Adressen in Belgien an.

12      Im Jahr 2003 leitete Herr Braun-Neumann in Deutschland ein Scheidungsverfahren ein und beantragte die Auflösung seiner Ehe mit Frau Neumann.

13      Frau Neumann verstarb am 25. Juli 2004 in Deutschland.

14      Am 11. August 2004 stellte der Kläger einen Antrag auf Hinterbliebenenversorgung, dem das Parlament am 23. September 2004 mit Wirkung vom 1. November 2004 stattgab.

15      Mit Urteil vom 25. August 2004 gab das Amtsgericht-Familiengericht Merzig dem Scheidungsantrag von Herrn Braun-Neumann statt, stellte allerdings mit Verfügung vom 21. Januar 2005 fest, dass das Scheidungsverfahren in der Hauptsache als erledigt anzusehen sei, da dessen Ehe mit Frau Neumann mit deren Ableben am 25. Juli 2004 aufgelöst worden sei.

16      In das von den zuständigen deutschen Behörden geführte Familienbuch des Ehepaars Braun-Neumann wurde am 19. Januar 2005 ein Vermerk eingetragen, dass die Ehefrau „außerdem verheiratet“ ist mit dem Kläger, unter Angabe von Ort und Datum der Eheschließung. Ein entsprechender Vermerk über die erste Ehe von Frau Neumann wurde am 6. April 2006 in das Familienbuch des Ehepaars Mandt-Neumann eingetragen.

17      Mit Beschluss vom 25. Januar 2006 stellte das Amtsgericht Siegen, das vom Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein – Standesamtsaufsicht – befasst worden war, darüber hinaus fest, dass der Sterbeeintrag von Frau Neumann dahin gehend zu berichtigen sei, dass darin neben Herrn Mandt auch Herr Braun-Neumann als ihr Ehegatte anzugeben sei. Die entsprechend berichtigte Sterbeurkunde wurde am 23. März 2006 ausgestellt.

18      Nach den Angaben des Parlaments stellte Herr Braun-Neumann am 29. März 2006 einen Antrag auf Hinterbliebenenversorgung als hinterbliebener Ehegatte von Frau Neumann; mit diesem Antrag übermittelte er dem Parlament den Beschluss des Amtsgerichts Siegen vom 25. Januar 2006 sowie die auf diesen Beschluss hin berichtigte Sterbeurkunde.

19      Mit Schreiben vom 8. September 2006 teilte die Anstellungsbehörde Herrn Braun-Neumann mit, dass sie beschlossen habe, ihm rückwirkend zum 1. April 2006 50 % der Hinterbliebenenversorgung nach Frau Neumann zu zahlen. Mit Schreiben vom selben Tag teilte die Anstellungsbehörde dem Kläger mit, dass die von ihm in voller Höhe bezogene Hinterbliebenenversorgung ab 1. April 2006 um die Hälfte gekürzt werde, während die andere Hälfte ab diesem Zeitpunkt Herrn Braun-Neumann als hinterbliebenem Ehegatten von Frau Neumann gezahlt werde; nach dem Personenstandsregister sei Frau Neumann nämlich zum Zeitpunkt ihres Ablebens sowohl mit ihm als auch mit Herrn Braun-Neumann verheiratet gewesen. Außerdem habe die Anstellungsbehörde das Scheidungsurteil des Tribunal de première instance de Namur und das Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts geprüft. Am 18. Oktober 2006 stellte das Parlament die Ansprüche von Herrn Braun-Neumann fest und sprach ihm ab 1. April 2006 50 % der Hinterbliebenenversorgung nach Frau Neumann zu.

20      Der Kläger wandte sich gegen die an ihn gerichtete Entscheidung vom 8. September 2006 mit einer Beschwerde, die sein Vertreter mit Schreiben vom 13. September 2006, ergänzt durch Schreiben vom 5. Oktober 2006, einlegte; der Kläger legte sein Vorbringen auch dem Parlament mit Schreiben vom 30. September und 4. Oktober 2006 ausführlich dar. Mit Entscheidung vom 8. Februar 2007 wies die Anstellungsbehörde die Beschwerde des Klägers unter Bezugnahme auf diese vier Schreiben zurück.

21      Herr Braun-Neumann seinerseits erhob, nachdem seiner Beschwerde bezüglich der rückwirkenden Zahlung der Hälfte der Hinterbliebenenversorgung für den Zeitraum vom 1. August 2004 bis zum 31. März 2006 teilweise stattgegeben worden war, eine Klage beim Gericht auf Zahlung der weiteren Hälfte dieser Hinterbliebenenversorgung rückwirkend zum 1. August 2004. Mit Beschluss vom 23. Mai 2008 hat das Gericht die Klage als unzulässig abgewiesen (Braun-Neumann/Parlament, F‑79/07, Slg. ÖD 2008, I‑A‑1‑181 und II‑A‑1‑957); das von Herrn Braun-Neumann gegen diesen Beschluss erhobene Rechtsmittel ist mit Beschluss des Gerichts erster Instanz vom 15. Januar 2009, Braun-Neumann/Parlament (T‑306/08 P, Slg. ÖD 2009, I‑B‑1‑1 und II‑B‑1‑1) zurückgewiesen worden.

 Anträge der Parteien und Verfahren

22      Der Kläger beantragt,

–        die Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 8. Februar 2007 aufzuheben;

–        das Parlament zu verurteilen, ihm rückwirkend zum 1. April 2006 sowie fortlaufend jeweils monatlich weitere 50 % der Hinterbliebenenversorgung nach Frau Neumann zu zahlen.

23      Der Kläger beantragt ferner,

–        Deutsch als Verfahrenssprache gemäß Art. 35 Abs. 2 Buchst. c der Verfahrensordnung zuzulassen.

24      Der Kläger hat zwar zu Beginn seiner Klageschrift auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt, im weiteren Verlauf der Klageschrift aber ausgeführt, dass ein entsprechender Antrag nachgereicht werde. Ein solcher Antrag ist jedoch nicht gestellt worden.

25      Das Parlament beantragt,

–        die Klage teilweise für unzulässig zu erklären;

–        die Klage im Übrigen als unbegründet abzuweisen;

–        über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

26      Mit Schreiben vom 30. November 2007 und 30. April 2008 hat das Gericht die Parteien nach den Art. 55 und 56 der Verfahrensordnung aufgefordert, zu bestimmten Aspekten des Rechtsstreits Stellung zu nehmen. Die Parteien haben diesen prozessleitenden Maßnahmen innerhalb der gesetzten Fristen Folge geleistet.

27      Mit Schreiben vom 24. Oktober 2008 hat das Gericht den Parteien mitgeteilt, dass es beabsichtige, Herrn Braun-Neumann nach Art. 111 Abs. 1 der Verfahrensordnung aufzufordern, dem Verfahren als Streithelfer beizutreten, und sie um Stellungnahme gebeten. Der Kläger hat dem Gericht mitgeteilt, dass er nicht Stellung nehme; das Parlament hat fristgerecht erklärt, keine grundsätzlichen Einwände gegen diese Aufforderung zu haben.

28      Mit Schreiben vom 21. November 2008 hat das Gericht Herrn Braun-Neumann gebeten, sich zu der an ihn gerichteten Aufforderung zur Streithilfe zu äußern. Herr Braun-Neumann hat geantwortet, dass er dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Anträge des Parlaments beizutreten wünsche.

29      Mit Schreiben vom 16. Dezember 2008 hat das Gericht die Parteien gefragt, ob sie wünschten, dass bestimmte, von ihnen als geheim oder vertraulich angesehene Aktenstücke Herrn Braun-Neumann nicht übermittelt werden. Das Parlament hat dem Gericht fristgerecht mitgeteilt, dass dies nicht der Fall sei; der Kläger hat die Frage des Gerichts nicht beantwortet.

30      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 3. März 2009, der den Parteien am 4. März 2009 zugestellt worden ist, ist Herr Braun-Neumann in der vorliegenden Rechtssache als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Parlaments zugelassen worden.

31      In seinem am 20. April 2009 eingereichten Streithilfeschriftsatz hat Herr Braun-Neumann beantragt, die Klage abzuweisen. Mit Schreiben vom 30. April 2009 hat das Gericht den Parteien mitgeteilt, dass sie auf den Streithilfeschriftsatz in der mündlichen Verhandlung eingehen könnten.

32      In der mündlichen Verhandlung haben die Parteien und der Streithelfer beantragt, im Rahmen des Verfahrens neue Unterlagen und Schriftstücke einreichen zu können. Am Ende der Sitzung hat der Präsident des Gerichts festgestellt, dass das mündliche Verfahren nicht zu schließen sei.

33      Mit Schreiben vom 17. Juni 2009 hat das Gericht den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt, dass sie innerhalb einer bestimmten Frist die in der mündlichen Verhandlung angekündigten Unterlagen einreichen könnten. Der Kläger und Herr Braun-Neumann haben schriftlich verschiedene Unterlagen eingereicht. Zu den von Herrn Braun-Neumann eingereichten Unterlagen gehört erstens ein Schreiben des Klägers vom 22. September 1997, mit dem dieser Herrn Braun-Neumann aufforderte, „[s]eine Frau“ in Ruhe zu lassen, zweitens eine Entscheidung des Amtsgerichts Nürnberg vom 10. Dezember 1999, mit dem Frau Neumann zur Zahlung eines monatlichen Trennungsunterhalts von 400 DM verurteilt wurde, drittens ein Versäumnisurteil des Landgerichts Koblenz vom 27. November 2007, mit dem der Sohn von Frau Neumann zur Zahlung eines Pflichtteils in Höhe von 150 000 Euro verurteilt worden war, und viertens ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Siegen an Herrn Braun-Neumann vom 16. Februar 2006, mit dem diesem mitgeteilt wurde, dass das auf die Anzeige wegen Bigamie, die er am 17. März 2005 gegen den Kläger erstattet hatte, eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Verjährung einzustellen sei.

34      Darüber hinaus hat das Gericht am 10. Juli 2009 weitere prozessleitende Maßnahmen erlassen, denen fristgerecht Folge geleistet wurde.

35      Am 11. September 2009 hat das Gericht den Termin, bis zu dem die Verfahrensbeteiligten zur Vorlage und zum Inhalt der in Randnr. 33 des vorliegenden Urteils genannten Unterlagen Stellung nehmen konnten, auf den 25. September 2009 festgesetzt. Nur der Kläger hat eine Stellungnahme eingereicht, in der er u. a. ausgeführt hat, dass er sich an das Schreiben vom 22. September 1997 nicht erinnere und dass die Entscheidung des Landgerichts Koblenz vom 27. November 2007 auf unzutreffenden Angaben von Herrn Braun-Neumann beruhe.

36      Der Prozessbevollmächtigte des Streithelfers hat dem Gericht mitgeteilt, dass Herr Braun-Neumann am 9. Oktober 2009 verstorben sei, und eine Abschrift der Sterbeurkunde übermittelt.

37      Am 12. November 2009 hat das Gericht zum einen den Termin, bis zu dem die Parteien zu den Auswirkungen des Ablebens von Herrn Braun-Neumann auf das vorliegende Verfahren Stellung nehmen konnten und zum anderen der Prozessbevollmächtigte von Herrn Braun-Neumann mitzuteilen hatte, ob dessen Rechtsnachfolger das Verfahren fortsetzen, auf den 26. November 2009 festgesetzt.

38      Mit am 12. November 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingereichtem Schreiben hat das Parlament dem Gericht mitgeteilt, dass es aufgrund des Ablebens von Herrn Braun-Neumann mit Entscheidung vom 11. November 2009 den Betrag der Hinterbliebenenversorgung von Herrn Mandt insoweit angepasst hat, als dieser ab 1. November 2009 die volle Hinterbliebenenversorgung nach Frau Neumann bezieht.

39      Mit am 25. November 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schreiben hat der Kläger zu den Auswirkungen des Ablebens von Herrn Braun-Neumann auf das vorliegende Verfahren Stellung genommen. Seiner Meinung nach beurteilt sich die Rechtslage nach dem Ableben von Herrn Braun-Neumann nicht anders als zu seinen Lebzeiten. Allerdings sei der Umstand, dass nunmehr die volle Hinterbliebenenversorgung an den Kläger gezahlt werde, als ein Hinweis darauf zu sehen, dass seine Ansprüche berechtigt seien; das Parlament erkenne nämlich erneut die Scheidung der Ehe zwischen Frau Neumann und Herrn Braun-Neumann sowie die Rechtmäßigkeit der Ehe zwischen Frau Neumann und Herrn Mandt an. Demzufolge habe sein Anspruch auf Auszahlung der vollen Hinterbliebenenversorgung auch in der Vergangenheit im Zeitraum zwischen dem Tod von Frau Neumann und der Klageerhebung, immerhin vom 1. August 2004 bis zum 1. April 2006, bestanden.

40      Am 26. November 2009 hat das Parlament seine Stellungnahme zu den Auswirkungen des Ablebens von Herrn Braun-Neumann auf das vorliegende Verfahren eingereicht und insbesondere ausgeführt, dass die Frage, ob Herr Mandt als einziger überlebender Ehegatte zu betrachten sei oder die Hinterbliebenversorgung zwischen Herrn Mandt und Herrn Braun-Neumann aufgeteilt werden müsse, auch nach dessen Ableben ungeklärt sei.

41      Mit am 26. November 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schreiben hat der Prozessbevollmächtigte des Streithelfers dem Gericht zum einen mitgeteilt, aus dem Testament von Herrn Braun-Neumann gehe hervor, dass Frau Shirley Meyer dessen alleinige unbeschränkte Erbin sei, und diese wünsche, ihm in dieser Eigenschaft in seiner Position als Streithelfer im vorliegenden Verfahren nachzufolgen. Dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Streithelfers waren Abschriften des Testaments vom 7. Januar 2008 und des Protokolls des Amtsgerichts‑Nachlassgericht Merzig vom 3. November 2009 beigefügt. In diesem Schreiben versichert der Prozessbevollmächtigte des Streithelfers, seine Bevollmächtigung nachzureichen, was am 9. Dezember 2009 erfolgt ist.

42      Am 5. Januar 2010 ist das mündliche Verfahren geschlossen und die Rechtssache zur Beratung gestellt worden.

 Gegenstand des Rechtsstreits

43      Der Kläger beantragt die Aufhebung der Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 8. Februar 2007, mit der seine Beschwerde zurückgewiesen wurde. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass ein Aufhebungsantrag, der formal gegen die Entscheidung über die Zurückweisung einer Beschwerde gerichtet ist, in einem Fall, in dem diese Entscheidung keinen eigenständigen Gehalt hat, bewirkt, dass das Gericht mit der Maßnahme befasst wird, gegen die die Beschwerde gerichtet ist (Urteil des Gerichtshofs vom 17. Januar 1989, Vainker/Parlament, 293/87, Slg. 1987, 23, Randnr. 8; Urteile des Gerichts erster Instanz vom 10. Dezember 1992, Williams/Rechnungshof, T‑33/91, Slg. 1992, II‑2499, Randnr. 23, und vom 6. April 2006, Camós Grau/Kommission, T‑309/03, Slg. 2006, II‑1173, Randnr. 43; Urteil des Gerichts vom 4. Juni 2009, Mölling/Europol, F‑11/08, Slg. ÖD 2009, I‑A‑1‑159 und II‑A‑1‑899, Randnr. 27). Im vorliegenden Fall richtete sich die Beschwerde des Klägers, die am 8. Februar 2007 von der Anstellungsbehörde zurückgewiesen wurde, gegen die Entscheidung vom 8. September 2006, mit der die Hinterbliebenenversorgung nach Frau Neumann ab 1. April 2006 um die Hälfte gekürzt wurde. Da die Entscheidung vom 8. Februar 2007 insoweit keinen eigenständigen Gehalt hat, als sie lediglich die Entscheidung vom 8. September 2006 bestätigt und – überdies – mit einer Begründung, die diejenige dieser Entscheidung im Wesentlichen, wenn auch etwas weiter ausgeführt, übernimmt, ist davon auszugehen, dass sich die Klage allein gegen die gegenüber dem Kläger erlassene Entscheidung vom 8. September 2006 richtet (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

44      Zum Antrag des Klägers auf Zulassung des Deutschen als Verfahrenssprache ist festzustellen, dass die Verfahrenssprache nach Art. 35 §§ 1 und 2 der zum Zeitpunkt der Klageerhebung anwendbaren Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz vom Kläger – unter den 23 Amtssprachen der Europäischen Union – gewählt wird, vorbehaltlich der Bestimmungen des Art. 35 § 2 Buchst. a und c dieser Verfahrensordnung, die hier nicht anwendbar sind. Jedenfalls finden nach Art. 29 der seit dem 1. November 2007 anwendbaren Verfahrensordnung des Gerichts die Bestimmungen der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz über die Sprachenregelung, d. h. die genannten Art. 35 §§ 1 und 2, auf das Gericht entsprechende Anwendung. Im vorliegenden Fall hat sich das Gericht daher nicht zum Antrag des Klägers auf Zulassung des Deutschen als Verfahrenssprache zu äußern, da dieser von sich aus Deutsch als Verfahrenssprache wählen kann, was er auch getan hat.

45      Weiter ist festzustellen, dass das Ableben von Herrn Braun-Neumann am 9. Oktober 2009 den beim Gericht anhängigen Rechtsstreit nur insoweit gegenstandslos macht, als der Antrag auf Verurteilung des Parlaments die Zeit nach dem 31. Oktober 2009 betrifft, denn der Kläger bezieht seitdem die volle Hinterbliebenenversorgung nach Frau Neumann (siehe Randnr. 38 des vorliegenden Urteils). Damit wird der Antrag des Klägers auf Verurteilung des Parlaments, soweit er sich auf diesen Zeitraum bezieht, gegenstandslos. Für den Zeitraum vor dem Ableben von Herrn Braun-Neumann hat sich dieser Antrag dagegen nicht erledigt.

 Zum Aufhebungsantrag

 Vorbringen der Parteien

46      Zur Stützung seines Aufhebungsantrags macht der Kläger geltend, dass die angefochtene Entscheidung gegen das Unionsrecht verstößt. Im Rahmen seines Vorbringens führt er neun Rügen an.

47      Die erste Rüge besteht aus zwei Teilen. Erstens habe gegen den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. Oktober 1999 (siehe Randnr. 9 des vorliegenden Urteils) namentlich beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof kein Rechtsmittel eingelegt werden können, so dass die Rechte von Frau Neumann und die des Klägers eingeschränkt gewesen seien. Zweitens gehe der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts von unzutreffenden Voraussetzungen aus und sei darüber hinaus zum Zeitpunkt der Abfassung des Beschlusses insbesondere nicht mit dem Unionsrecht vereinbar gewesen. Zunächst lasse der Beschluss nicht erkennen, ob das Bayerische Oberste Landesgericht die Behauptungen von Herrn Braun-Neumann zum Ablauf des Scheidungsverfahrens vor dem Tribunal de première instance de Namur überprüft habe; ferner sei die Ladung vor das Tribunal de première instance de Namur Herrn Braun-Neumann den Regeln des geltenden internationalen Privatrechts entsprechend übermittelt worden, so dass dieser zwischen der Aushändigung der Ladung am 4. August 1995 und dem Scheidungsurteil des Tribunal de première instance de Namur vom 6. September 1995 ausreichend Zeit gehabt habe, sich schriftsätzlich gegenüber diesem Gericht zu äußern; Herr Braun-Neumann habe überdies und entgegen seinen Erklärungen kein Rechtsmittel gegen das Scheidungsurteil eingelegt.

48      Mit der zweiten Rüge macht der Kläger unter Verweis auf Art. 27 des am 30. Juni 1958 in Bonn unterzeichneten Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen, das zum Zeitpunkt des Erlasses des Scheidungsurteils des Tribunal de première instance de Namur galt, und auf das Vorbringen im Rahmen der ersten Rüge geltend, dass sich Herr Braun-Neumann auf das Verfahren vor dem Tribunal de première instance de Namur eingelassen habe und dass er sich, selbst wenn er sich nicht eingelassen hätte, noch hätte verteidigen können.

49      Mit der dritten Rüge trägt der Kläger vor, dass die angefochtene Entscheidung gegen die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1) verstoße, weil keine Gründe für die Nichtanerkennung des Scheidungsurteils des Tribunal de première instance de Namur im Sinne des Art. 22 der Verordnung Nr. 2201/2003 bestünden.

50      Mit seiner vierten Rüge macht der Kläger geltend, dass das Scheidungsurteil des Tribunal de première instance de Namur Bestand habe, weil der letzte gemeinsame Aufenthalt von Frau Neumann und Herrn Braun-Neumann in Belgien gewesen sei; dies gelte trotz der falschen Angaben, die dieser im Verfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht, das zum Beschluss vom 11. Oktober 1999 geführt habe, wider besseres Wissen gemacht habe.

51      Die fünfte Rüge richtet sich gegen die angefochtene Entscheidung, soweit diese auf den Beschluss des Amtsgerichts Siegen vom 25. Januar 2006 Bezug nimmt, da dieser Beschluss für die Frage der Anerkennung des Scheidungsurteils des Tribunal de première instance de Namur unerheblich sei und außerdem in der Europäischen Union, in der eine Mehrfachehe unzulässig sei, nicht gelten könne.

52      Mit seiner sechsten Rüge macht der Kläger geltend, dass die Ehe zwischen Frau Neumann und Herrn Braun-Neumann weniger als ein Jahr gedauert habe, so dass dieser keinen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts habe.

53      Die siebte Rüge beruht zum einen darauf, dass die Entscheidung vom 8. Februar 2007 über die Zurückweisung der Beschwerde des Klägers auf das deutsche Recht verweise, insbesondere auf die §§ 23 und 29 des Ehegesetzes, die zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidung nicht mehr gegolten hätten, und zum anderen darauf, dass ein Grund für die Aufhebung der zwischen Herrn Braun-Neumann und Frau Neumann geschlossenen Ehe bestanden habe, weil Frau Neumann diese Ehe in Unkenntnis der Veranlagung und der Verurteilungen ihres Ehegatten geschlossen habe, auch wenn der Kläger einräumt, dass er einen solchen Antrag wegen fehlender Antragsberechtigung nicht stellen könne.

54      Mit der achten Rüge macht der Kläger geltend, dass das Parlament Frau Neumann nach Rechtskraft des Urteils des Tribunal de première instance de Namur als geschieden im Sinne des Statuts angesehen habe, mit allen damit verbundenen finanziellen Folgen. Nach ihrer Eheschließung mit dem Kläger sei sie vom Parlament erneut als verheiratete Frau „mit allen Zu- und Abschlägen einkommens- wie auch pensionsrechtlich“ behandelt worden. Unter diesen Umständen habe das Parlament bei Frau Neumann und beim Kläger einen Vertrauenstatbestand hinsichtlich ihrer Eigenschaft als Ehegatten geschaffen.

55      Mit seiner neunten Rüge trägt der Kläger vor, dass nach Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts die Eigenschaft als überlebender Ehegatte ausreiche, um 100 % der Hinterbliebenenversorgung zu beziehen, so dass er als überlebender Ehegatte die volle Versorgung beanspruchen könne. Der Beschluss des Amtsgerichts Siegen vom 25. Januar 2006 stelle nämlich nicht die Tatsache in Frage, dass er mit Frau Neumann in New York wirksam die Ehe geschlossen habe.

56      Auf die verschiedenen Rügen des Klägers entgegnet das Parlament im Wesentlichen, dass der Unionsrichter nicht befugt sei, nationale Gerichtsentscheidungen oder Handlungen nationaler Behörden zu kontrollieren. Etwaige Fehler der deutschen nationalen Gerichte könnten vom Kläger vor dem Gericht nicht geltend gemacht werden, und die Anstellungsbehörde sei verpflichtet gewesen, die Sterbeurkunde, wie sie von der zuständigen Behörde geändert worden sei, zu berücksichtigen und die Feststellung der Versorgungsansprüche des Klägers entsprechend abzuändern. Das Parlament weist außerdem darauf hin, dass die Verordnung Nr. 2201/2003 am 6. September 1995, als das Scheidungsurteil des Tribunal de première instance de Namur ergangen sei, nicht gegolten habe. Überdies seien die §§ 23 und 29 des Ehegesetzes zwar aufgehoben, aber durch § 1313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB) ersetzt worden, der inhaltsgleich sei. Zur Dauer der Ehe zwischen Frau Neumann und Herr Braun-Neumann stellt das Parlament fest, dass diese Ehe, selbst wenn davon auszugehen sein sollte, dass sie durch das Scheidungsurteil des Tribunal de première instance de Namur aufgelöst worden sei, zwei Jahre gedauert habe, da Herr Neumann und Frau Braun-Neumann am 3. Mai 1993 geheiratet hatten. Schließlich könne sich der Kläger wegen des Grundsatzes der Übereinstimmung von Beschwerde und Klage nicht erstmals in der Klageschrift auf Vertrauensschutz berufen.

57      In seinem Streihilfeschriftsatz übernimmt Herr Braun-Neumann im Wesentlichen die Argumente des Parlaments, fügt aber zwei Gesichtspunkte hinzu. Zum einen trägt er hilfsweise vor, dass der bloße Umstand, dass das Parlament die volle Hinterbliebenenversorgung an den Kläger gezahlt habe, nicht als eine Zusicherung der Verwaltung angesehen werden könne, da eine bloße Zahlung beim Empfänger kein Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit einer Leistung begründen könne. Zum anderen habe das Parlament, da es für jeden Beamten nur einen Ruhegehaltsanspruch geben könne, die Hinterbliebenenversorgung nach Frau Neumann zu Recht – unter den beiden überlebenden Ehegatten – aufgeteilt.

 Würdigung durch das Gericht

58      Mit den ersten fünf und der siebten Rüge bestreitet der Kläger in Wirklichkeit, dass Herr Braun-Neumann überlebender Ehegatte ist. Mit seiner sechsten Rüge geht der Kläger von der Annahme aus, dass Herr Braun-Neumann überlebender Ehegatte sei, wirft dem Parlament aber vor, gegen Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts verstoßen zu haben, weil Herr Braun-Neumann nicht während der danach erforderlichen Mindestdauer eines Jahres Ehemann von Frau Neumann gewesen sei. Mit der achten Rüge macht er eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes geltend. Mit der neunten Rüge macht der Kläger schließlich einen Verstoß gegen Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts geltend, da das Parlament ihm mit der Anerkennung als überlebender Ehegatte die volle Hinterbliebenenversorgung zahlen müsse, selbst wenn es auch Herrn Braun-Neumann als solchen anerkenne.

59      Aus den Ausführungen in den beiden vorstehenden Randnummern ergibt sich, dass das Vorbringen des Klägers im Wesentlichen aus zwei Klagegründen besteht.

60      Der erste Klagegrund betrifft einen Verstoß gegen Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts und besteht aus drei Teilen. Mit dem ersten Teil, der den ersten fünf Rügen und der siebten Rüge des Klägers entspricht, wird die Eigenschaft von Herr Braun-Neumann als überlebender Ehegatte bestritten. Der zweite Teil dieses Klagegrundes entspricht der sechsten Rüge und geht dahin, dass die Ehe zwischen Frau Neumann und Herrn Braun-Neumann die in dieser Bestimmung genannte Voraussetzung einer Mindestehedauer nicht erfülle. Der dritte Teil, der der neunten Rüge entspricht, betrifft die Höhe der Hinterbliebenenversorgung, die dem überlebenden Ehegatten eines verstorbenen Beamten zusteht, wenn einer weiteren Person diese Eigenschaft zuerkannt wird.

61      Mit dem zweiten Klagegrund, der der achten Rüge entspricht, wird eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes geltend gemacht.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts

–       Zum ersten Teil des ersten Klagegrundes: Bestreiten der Eigenschaft von Herrn Braun-Neumann als überlebender Ehegatte

62      Nach der Rechtsprechung ergibt sich aus den Erfordernissen einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts und des Gleichheitsgrundsatzes, dass den Begriffen einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die nähere Bestimmung ihres Sinns und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel eine autonome Auslegung zu geben ist, die unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziels zu ermitteln ist (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 18. Januar 1984, Ekro, 327/82, Slg. 1984, 107, Randnr. 11; Urteile des Gerichts erster Instanz vom 18. Dezember 1992, Díaz García/Parlament, T‑43/90, Slg. 1992, II‑2619, Randnr. 36, und vom 22. Februar 2006, Adam/Kommission, T‑342/04, Slg. ÖD 2006, I‑A‑2‑23 und II‑A‑2‑107, Randnr. 32). Aus dieser Rechtsprechung geht jedoch auch hervor, dass die Anwendung des Unionsrechts, auch wenn eine ausdrückliche Verweisung fehlt, gegebenenfalls eine Bezugnahme auf das Recht der Mitgliedstaaten verlangen kann, insbesondere wenn der Unionsrichter dem Unionsrecht oder den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts keine Anhaltspunkte entnehmen kann, die es ihm erlauben, dessen Inhalt und Tragweite durch eine autonome Auslegung zu ermitteln.

63      Dies ist u. a. bei personenstands- und familienrechtlichen Begriffen der Fall (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 17. April 1986, Reed, 59/85, Slg. 1986, 1283, Randnr. 15, und insbesondere vom 31. Mai 2001, D und Königreich Schweden/Rat, C‑122/99 P und C‑125/99 P, Slg. 2001, I‑4319, Randnrn. 34 bis 38), da die Rechtsordnung der Union auf diesem Gebiet keine geschriebenen Regeln enthält. In diesem Zusammenhang ist insbesondere entschieden worden, dass sich die Frage der Formwirksamkeit einer Unterhaltsvereinbarung als Voraussetzung dafür, dass einem geschiedenen Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung nach Art. 27 des Anhangs VIII des Statuts gewährt wird, nach nationalem Recht bestimmt (Urteil des Gerichts erster Instanz vom 21. April 2004, M/Gerichtshof, T‑172/01, Slg. 2004, II‑1075, Randnrn. 72 und 73).

64      Es bleibt jedoch zu bestimmen, wie der Verweis auf nationale Rechtsordnungen zu verstehen ist, wenn es um einen im Statut vorgesehenen finanziellen Vorteil geht und wenn zum einen die Gewährung dieses Vorteils vom Familienstand des Beamten abhängt und zum anderen dieser Familienstand von zwei nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich beurteilt wird.

65      Im Einzelnen stellt sich im vorliegenden Fall die Frage, ob die zuständige Stelle der Union die Frage, ob eine Person als „überlebender Ehegatte“ betrachtet werden kann, anhand der Regeln des internationalen Privatrechts und damit auf der Grundlage der nach diesen Regeln ermittelten nationalen Rechtsordnung entscheidet. Einer Heranziehung des internationalen Privatrechts stehen aber nicht nur offenkundige Erfordernisse der Verwaltungsführung, sondern auch und in erster Linie rechtliche Erwägungen entgegen.

66      Erstens gibt es in der Rechtsordnung der Union zwar einige Vorschriften des internationalen Privatrechts zur Frage des Personenstands, insbesondere die Verordnung Nr. 2201/2003, doch ist diese Verordnung kaum hilfreich bei der Bestimmung der einschlägigen nationalen Rechtsordnung, wenn der Familienstand eines Beamten von zwei Rechtsordnungen unterschiedlich beurteilt wird. Zunächst sieht die Verordnung Nr. 2201/2003 die Anerkennung kraft Gesetzes von Entscheidungen zur Auflösung einer Ehe vor. Außerdem gibt es Urteile, in denen diese Verordnung angewandt wird, d. h. Urteile, mit denen die Auflösung einer Ehe anerkannt wird (Urteile, auf die sich die zuständige Stelle der Union bei der Ausübung der in Randnr. 64 des vorliegenden Urteils genannten Befugnis stützen könnte), nur insoweit, als die Anerkennung einer solchen Auflösung bestritten wird und eine Partei das für Rechtsstreitigkeiten über die Anerkennung zuständige Gericht anruft. Sodann ist hervorzuheben, dass bei Entscheidungen über die Auflösung einer Ehe Rechtstreitigkeiten über die Anerkennung zu abweichenden nationalen Urteilen führen können, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat die Gerichte angerufen worden sind. Schließlich ist diese Verordnung nicht auf Entscheidungen anwendbar, die in Drittstaaten ergangen sind, und kann nur in Mitgliedstaaten, mit Ausnahme von Dänemark, in Bezug auf dort ergangene Entscheidungen geltend gemacht werden.

67      Zweitens mögen die in der vorstehenden Randnummer genannten Rechtsakte der Union zwar die Frage des Personenstands betreffen, doch enthalten sie im Wesentlichen Vorschriften über die internationale Zuständigkeit. Beim gegenwärtigen Stand des geltenden Rechts enthält die Rechtsordnung der Union als solche aber keine personenstandsrechtlichen Kollisionsnormen. Es steht jedoch fest, dass die Vorschriften der nationalen Rechtsordnungen auf diesem Gebiet nicht übereinstimmen. Denn alle nationalen Kollisionsregelungen versuchen zwar, den Personenstand dem Recht zu unterstellen, mit dem der Betroffene am engsten verbunden ist, doch manche halten die Staatsangehörigkeit, andere den Wohnsitz für den geeigneten Anknüpfungspunkt und wieder andere wählen vermittelnde Lösungen.

68      In Anbetracht des Fehlens einer abschließenden Regelung des internationalen Privatrechts im Unionsrecht und der Unterschiede der nationalen Systeme des internationalen Privatrechts würde es sich für eine Verwaltungsstelle der Union als eine juristisch besonders komplexe und in ihrem Ausgang höchst ungewisse Aufgabe erweisen, im Hinblick auf die Anwendung einer Bestimmung des abgeleiteten Rechts – wie Art. 79 des Statuts oder Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts – die nationale Rechtsordnung festzustellen, die allein „zuständig“ für die Ermittlung des Personenstands ist, ganz abgesehen von den Verwaltungserfordernissen und ‑zwängen (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge von Generalanwalt Warner in der Rechtssache P./Kommission (Urteil des Gerichtshofs vom 5. Februar 1981, 40/79, Slg. 1981, 382 f.). Zudem sollte sich der Unionsrichter auch nicht auf ein derartiges Unternehmen einlassen, da er sich damit als Gesetzgeber betätigen würde (angeführte Schlussanträge von Generalanwalt Warner, S. 383).

69      Im vorliegenden Fall hat sich das Parlament bei der Prüfung, ob Herr Braun-Neumann als überlebender Ehegatte anzusehen ist, ohne für seinen Standpunkt ausdrücklich Erwägungen des internationalen Privatrechts anzuführen, hauptsächlich auf Erwägungen im Zusammenhang mit dem materiellen Recht und der Rechtsordnung eines Landes gestützt, nämlich Deutschlands, das offenkundig sehr enge Verbindungen sowohl mit der Lage von Herrn Braun-Neumann als auch mit dem Rechtsstreit insgesamt aufweist.

70      In der Tat besaß Herr Braun-Neumann die deutsche Staatsangehörigkeit und wohnte in Deutschland. Darüber hinaus wurde die Ehe mit Frau Neumann in Deutschland geschlossen, und Frau Neumann, deren überlebender Ehegatte er zu sein behauptet, war ebenfalls deutscher Staatsangehörigkeit und scheint, nachdem sie, solange sie berufstätig war, in Belgien wohnhaft war, nach ihrem Eintritt in den Ruhestand ihren Wohnsitz nach Deutschland verlegt zu haben; der Kläger hat zwar in der mündlichen Verhandlung eine belgische Meldebescheinigung vorgelegt, in der für Frau Neumann bis zu ihrem Ableben Anschriften in Belgien angegeben waren, doch ist erstens festzustellen, dass der Kläger in seinem Antwortschreiben vom 9. Juni 2008 auf vom Gericht beschlossene prozessleitende Maßnahmen selbst eingeräumt hat, dass sich Frau Neumann im April 2002 in Deutschland niedergelassen hatte, und zweitens, dass den Meldebescheinigungen nur ein sehr relativer Beweiswert zukommt, da die ausstellenden Behörden den tatsächlichen Wohnsitz nicht überprüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 8. April 2008, Bordini/Kommission, F‑134/06, Slg. ÖD 2008, I‑A‑1‑87 und II‑A‑1‑435, Randnr. 76). Überdies war die andere Person, die geltend gemacht hat, überlebender Ehegatte von Frau Neumann zu sein, nämlich der Kläger, ebenfalls deutscher Staatsangehöriger und in Deutschland wohnhaft.

71      In Anbetracht solch enger Verbindungen mit Deutschland durfte das Parlament – ohne dass ermittelt werden muss, ob Deutschland das mit Herrn Braun-Neumann oder dem Rechtsstreit insgesamt vergleichsweise am engsten verbundene Land ist, was im Übrigen sehr wahrscheinlich ist – für die Beantwortung der Frage, ob Herr Braun-Neumann überlebender Ehegatte ist, auf das deutsche materielle Recht und die deutsche Rechtsordnung verweisen.

72      Es lässt sich darüber hinaus nicht bestreiten, dass sich der Familienstand von Herr Braun-Neumann auch nach den meisten nationalen Rechtsordnungen nach deutschem materiellen Recht bestimmen würde und derjenige wäre, der ihm nach der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats zuerkannt würde.

73      Es kann aber kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass Herr Braun-Neumann nach deutschem materiellen Recht und nach der deutschen Rechtsordnung seit dem Ableben von Frau Neumann und bis zu seinem eigenen Ableben deren überlebender Ehegatte war.

74      Zunächst ist unstreitig, dass Herr Braun-Neumann am 3. Mai 1993 in Deutschland mit Frau Neumann die Ehe geschlossen hat und damit ihr Ehegatte wurde.

75      Weiter steht fest, dass das Bayerische Oberste Landesgericht in dem von Frau Neumann in Deutschland eingeleiteten Verfahren zur Anerkennung des Scheidungsurteils des Tribunal de première instance de Namur die Anerkennung dieses Urteils in der deutschen Rechtsordnung verweigert hat.

76      Im Übrigen ist ebenfalls unstreitig, dass das Amtsgericht-Familiengericht Merzig mit Verfügung vom 21. Januar 2005 festgestellt hat, dass das von Herr Braun-Neumann bei ihm angestrengte Scheidungsverfahren gegen Frau Neumann, in dem am 25. August 2004 die Scheidung ausgesprochen worden war, in der Hauptsache als erledigt anzusehen sei, da die Ehe mit dem Ableben von Frau Neumann am 25. Juli 2004 aufgelöst worden sei.

77      Ferner hat das Amtsgericht Siegen mit Beschluss vom 25. Januar 2006 angeordnet, dass der Sterbeeintrag von Frau Neumann dahin gehend zu berichtigen sei, dass darin neben dem bereits eingetragenen Kläger auch Herr Braun-Neumann als ihr Ehegatte anzugeben sei. Die berichtigte Sterbeurkunde, in der sowohl der Kläger als auch Herr Braun-Neumann als Ehegatten von Frau Neumann aufgeführt waren, wurde am 23. März 2006 ausgestellt.

78      Überdies haben die zuständigen deutschen Behörden nicht nur das Familienbuch des Ehepaars Braun-Neumann/Neumann nach der Eheschließung von Frau Neumann mit dem Kläger im Jahr 2000 aufrechterhalten, sondern sie haben in dieses Familienbuch auch den Vermerk eingetragen, dass Frau Neumann „außerdem verheiratet“ mit Herrn Braun-Neumann sei.

79      Aus den Ausführungen in den beiden vorstehenden Randnummern geht hervor, dass die Ehe zwischen Frau Neumann und Herrn Braun-Neumann nach deutschem materiellen Recht und nach der deutschen Rechtsordnung bis zum Ableben von Frau Neumann am 25. Juli 2004 bestand, und dass Frau Neumann und Herr Braun-Neumann zumindest nach deutschem materiellen Recht und nach der deutschen Rechtsordnung bis zu diesem Zeitpunkt als Ehegatten zu betrachten sind, so dass sich Herr Braun-Neumann seit dem 25. Juli 2004 auf seine Eigenschaft als überlebender Ehegatte im Sinne von Art. 79 des Statuts von Frau Neumann berufen konnte.

80      Das Vorbringen des Klägers, mit dem er bestreitet, dass Herr Braun-Neumann überlebender Ehegatte ist, kann diese Schlussfolgerung nicht entkräften.

81      Dies gilt insbesondere für die Gründe für die Aufhebung der Ehe, die in der Person von Herr Braun-Neumann bestanden haben sollen. Diese Ehe ist nämlich zu keiner Zeit vor einem Gericht angefochten worden.

82      Ferner kann der Umstand, dass die Entscheidung vom 8. Februar 2007, mit der die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen wurde, auf Bestimmungen des deutschen Rechts Bezug nimmt, die zum Zeitpunkt ihres Erlasses nicht mehr in Kraft gewesen sein sollen, weder die Eigenschaft von Herrn Braun-Neumann als überlebender Ehegatte in Frage stellen noch zur Ungültigkeit der Entscheidung führen. Denn zum einen sind die in der Entscheidung in Bezug genommenen §§ 23 und 29 des Ehegesetzes, wie das Parlament – vom Kläger unwidersprochen – ausgeführt hat, zwar aufgehoben, aber jedenfalls durch den im Wesentlichen inhaltsgleichen § 1313 BGB ersetzt worden; zum anderen geht aus der Entscheidung hervor, dass die fraglichen Bestimmungen keineswegs der Grund sind, auf den die Anstellungsbehörde die Zurückweisung der Beschwerde gestützt hat, sondern nur als nationale Referenzbestimmungen für die Anfechtung der Gültigkeit einer Ehe in der deutschen Rechtsordnung angeführt wurden.

83      Was die Frage der Gültigkeit des Scheidungsurteils des Tribunal de première instance de Namur angeht, trifft es zwar zu, dass seine Gültigkeit in der belgischen Rechtsordung nicht bestritten ist, doch sagt seine Gültigkeit in Belgien nichts über seine Gültigkeit in anderen nationalen Rechtsordnungen, insbesondere in Deutschland, aus, wo seine Anerkennung, wie bereits ausgeführt, verweigert wurde.

84      Auch die Beanstandungen des Klägers, die zum einen die Versagung der Anerkennung des Scheidungsurteils des Tribunal de première instance de Namur in der deutschen Rechtsordnung und zum anderen den Beschluss des Amtsgerichts Siegen vom 25. Januar 2006 (siehe die Randnrn. 49 und 51 des vorliegenden Urteils) betreffen, sind zurückzuweisen. Denn es ist weder Sache des Unionsrichters noch die der Unionsorgane, bei der Anwendung des Statuts die Begründetheit von Entscheidungen nationaler Gerichte zu prüfen, insbesondere unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens. Schließlich fällt das Scheidungsurteil des Tribunal de première instance de Namur nicht in den zeitlichen Geltungsbereich der vom Kläger angeführten Verordnungen Nr. 1347/2000 und Nr. 2201/2003.

85      Da das Vorbringen des Klägers, mit dem er bestreitet, dass Herr Braun-Neumann überlebender Ehegatte ist, damit zurückgewiesen ist, ist noch darauf hinzuweisen, dass die Zuerkennung dieser Eigenschaft an Herrn Braun-Neumann durch das Parlament weder im Widerspruch zur Zuerkennung derselben Eigenschaft an den Kläger steht, noch mit der öffentlichen Ordnung in der Union unvereinbar ist.

86      Erstens hat die deutsche Rechtsordnung ausdrücklich und in vielfacher Weise (siehe insbesondere Randnrn. 77 und 78 des vorliegenden Urteils) anerkannt, dass sowohl Herr Neumann als auch Herr Braun-Neumann überlebende Ehegatten sind. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang auf den Standpunkt des Parlaments hinzuweisen, wonach eine Ehe nach deutschem Recht, selbst wenn sie unter Verletzung der geltenden gesetzlichen Verbote geschlossen worden sei, so lange rechtswirksam sei, bis sie durch eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben worden sei.

87      Zweitens bedeutet der Umstand, dass ein Unionsorgan in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen zwei Personen im Hinblick auf die Gewährung eines finanziellen Vorteils als überlebende Ehegatten ein und desselben verstorbenen ehemaligen Beamten anerkennt, jedenfalls keine – auch keine stillschweigende – Anerkennung einer Mehrfachehe auf Unionsebene, die die Frage der Vereinbarkeit mit Rechtsgrundsätzen und höherrangigen Rechtsnormen aufwerfen könnte, insbesondere wenn beide Betroffenen den für „den“ überlebenden Ehegatten vorgesehenen finanziellen Vorteil zur Gänze bezögen (siehe zu dieser Frage Randnrn. 99 bis 102 des vorliegenden Urteils). Das betroffene Organ hat im vorliegenden Fall jedenfalls nur die Konsequenzen aus der Anwendung der nationalen familienrechtlichen Vorschriften gezogen.

88      Darüber hinaus ist unabhängig von den vorstehenden Erwägungen festzustellen, dass die Anerkennung von Herr Braun-Neumann als überlebender Ehegatte im Hinblick auf die Anwendung von Art. 79 des Statuts und Art. 18 von Anhang VIII des Statuts im Einklang mit der Zielsetzung dieser Vorschriften steht, die darin liegt, für den überlebenden Ehegatten den aus dem Ableben des Beamten oder des ehemaligen Beamten folgenden Verlust der Einkünfte auszugleichen, wobei die Hinterbliebenenversorgung im Hinblick auf diese Zielsetzung ein Ersatzeinkommen darstellt (vgl. Urteil des Gerichts vom 21. Oktober 2009, Ramaekers-Jørgensen/Kommission, F‑74/08, Slg. ÖD 2009, I‑A‑1‑411 und II‑A‑1‑2229, Randnrn. 53 und 70). Herrn Braun-Neumann war nämlich mit Entscheidung des Amtsgerichts Nürnberg vom 10. Dezember 1999 ein monatlicher Unterhalt von 400 DM zugesprochen worden, den er seit dem Ableben von Frau Neumann nicht mehr beanspruchen konnte. So konnte die Hinterbliebenenversorgung entsprechend ihrer Zielsetzung den Wegfall dieses Einkommens ausgleichen.

89      Daraus folgt, dass der erste Teil des ersten Klagegrundes, mit dem bestritten wird, dass Herr Braun-Neumann überlebender Ehegatte ist, zurückzuweisen ist.

–       Zum zweiten Teil des ersten Klagegrundes: die in Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts vorgesehene Voraussetzung einer Mindestdauer der Ehe von einem Jahr

90      Der Kläger macht geltend, dass die Ehe zwischen Frau Neumann und Herrn Braun-Neumann weniger als ein Jahr bestanden habe, so dass dieser keine Hinterbliebenenversorgung beanspruchen könne, da die in Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts genannte Voraussetzung nicht erfüllt sei.

91      Hierzu ist festzustellen, dass Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts klar und bestimmt ist und keinen Zweifel an seiner Auslegung lässt. Denn indem dieser Artikel vorsieht, dass der überlebende Ehegatte des ehemaligen Beamten, der ein Ruhegehalt bezog, Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung hat, „sofern die Ehe … mindestens ein Jahr bestand“, stellt er mit Gewissheit und eindeutig fest, dass sich die Mindestdauer von einem Jahr auf den Bestand der Ehe bezieht und nicht, wie der Kläger implizit vorzutragen scheint, auf das Bestehen eines Zusammenlebens der Ehegatten.

92      Selbst wenn Herr Braun-Neumann, der Frau Neumann am 3. Mai 1993 geheiratet und sich mit ihr in Andenne niedergelassen hat, die eheliche Wohnung, wie der Kläger unwidersprochen geltend gemacht hat, im Juli 1993 verlassen haben sollte, wurde ihre Scheidung in der belgischen Rechtsordnung erst am 6. September 1995, d. h. nach zwei Jahren Ehe, ausgesprochen. Außerdem konnte ihre Ehe, wie zum ersten Teil des ersten Klagegrundes ausgeführt, in der deutschen Rechtsordnung erst mit dem Ableben von Frau Neumann am 25. Juli 2004 als aufgelöst angesehen werden.

93      Demnach ist die in Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts aufgestellte Mindestvoraussetzung einer einjährigen Ehe bei der von Frau Neumann und Herrn Braun-Neumann geschlossenen Ehe jedenfalls erfüllt.

94      Auch dieser Teil des ersten Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

–       Zum dritten Teil des ersten Klagegrundes: Höhe der Hinterbliebenenversorgung, die einem überlebenden Ehegatten gezahlt wird, wenn diese Eigenschaft auch einem anderen zuerkannt wird

95      Mit dem dritten Teil des ersten Klagegrundes wird die Frage aufgeworfen, ob das Parlament die dem Kläger gewährte Hinterbliebenenversorgung mit der Begründung um 50 % kürzen durfte, dass Herr Braun-Neumann als überlebender Ehegatte von Frau Neumann ebenfalls Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung nach Art. 79 des Statuts habe.

96      Es steht fest, dass der Gesetzgeber einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens nicht im Auge hatte, in dem zwei Personen eine Hinterbliebenenversorgung beanspruchen und sich dafür auf ihre Eigenschaft als überlebender Ehegatte ein und desselben ehemaligen Beamten, der ein Ruhegehalt bezogen hat, berufen, indem sie jeweils auf Heiratsurkunden und Gerichtsentscheidungen verschiedener Staaten (oder sogar ein und desselben Staates) verweisen, so dass es sich in Anbetracht dieser Dokumente in der Tat als wahrscheinlich darstellen kann, dass beide diese Eigenschaft besitzen. Art. 79 des Statuts und Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts sehen einen solchen Fall nicht vor und weisen lediglich darauf hin, dass dem überlebenden Ehegatten eines ehemaligen Beamten eine Hinterbliebenenversorgung gewährt wird, ohne näher zu erläutern, wie die Hinterbliebenenversorgung in einem Fall wie dem in dieser Randnummer beschriebenen, d. h. dem vorliegenden Fall, zu gewähren ist.

97      Bei Fehlen einer Vorschrift des Statuts über die Modalitäten der Gewährung der Hinterbliebenenversorgung in einem solchen Fall oblag es dem Parlament, eine Methode zu bestimmen, um die bei ihm anhängige Streitigkeit beizulegen, was es dadurch getan hat, dass es die Hinterbliebenenversorgung zu gleichen Teilen zwischen dem Kläger und Herrn Braun-Neumann aufgeteilt hat.

98      Der Kläger wendet sich gegen den Standpunkt des Parlaments, indem er geltend gemacht hat, dass er die volle Hinterbliebenenversorgung beanspruchen könne, weil er die Voraussetzungen nach Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts erfülle, und dass sein Anspruch durch die Entscheidung des Parlaments, Art. 18 des Anhangs VIII auch auf eine andere Person anzuwenden, die nach Auffassung des Parlaments ebenfalls überlebender Ehegatte von Frau Neumann sei, nicht berührt werde.

99      Der Auffassung des Klägers, die zur Folge hätte, dass die Beträge, die als Hinterbliebenenversorgung wegen des Ablebens ein und desselben Beamten oder Bediensteten gezahlt würden, 100 % des Betrags dieser Versorgung, wie er in Art. 79 des Statuts und Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts festgelegt ist, überschreiten würden, kann nicht gefolgt werden.

100    Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass das Statut zwar nicht den Fall vorsieht, dass sich zwei Personen darauf berufen, überlebender Ehegatte zu sein, dass es jedoch in Art. 28 seines Anhangs VIII den häufig auftretenden Fall regelt, dass mehrere geschiedene Ehegatten oder einer oder mehrere geschiedene Ehegatten und ein überlebender Ehegatte Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung haben; in einem solchen Fall sieht das Statut ausdrücklich eine Aufteilung der Hinterbliebenenversorgung entsprechend der jeweiligen Dauer der Ehe vor. Die Aufteilung der Hinterbliebenenversorgung ist auch in Art. 22 des Anhangs VIII des Statuts ausdrücklich vorgesehen, wenn es einen überlebenden Ehegatten und Waisen aus einer früheren Ehe oder andere Rechtsnachfolger gibt. Zwar können diese Bestimmungen theoretisch auch e contrario ausgelegt, statt analog herangezogen zu werden, das Gericht ist jedoch der Ansicht, dass die in diesen Bestimmungen aufgestellte Regel, dass nur eine einzige Hinterbliebenenversorgung gewährt werden kann, auch in Bezug auf Art. 79 des Statuts und Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts gilt; das Schweigen dieser Bestimmungen zu dem Fall, dass mehrere Personen die betreffende Leistung beanspruchen, kann nur auf das Ungewöhnliche eines solchen Falles zurückzuführen sein, nicht aber auf einen erklärten Willen des Gesetzgebers, zwei oder sogar drei volle Hinterbliebenenversorgungen nach einem einzigen Beamten oder Bediensteten zu gewähren.

101    Da zweitens der Beamte bei seinem Eintritt in den Ruhestand nur Anspruch auf ein einziges Ruhegehalt der Union hat (und dasselbe für die Hinterbliebenenversorgung gilt, wenn diese nach den Art. 22 und 28 des Anhangs VIII des Statuts zwischen mehreren Anspruchsberechtigten aufzuteilen ist), muss das auch bei Durchführung von Art. 79 des Statuts und Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts gelten, wenn es mehr als einen überlebenden Ehegatten gibt.

102    Drittens wäre es unabhängig davon, ob hier die vom Parlament angeführte Rechtsprechung, wonach Vorschriften, durch die Ansprüche auf finanzielle Leistungen begründet werden, eng auszulegen sind, herangezogen werden kann, nur schwer mit der Pflicht zur wirtschaftlichen Haushaltsführung und zur Kontrolle der Haushaltsausgaben der Organe, die in der Union gelten müssen, zu vereinbaren, wenn zugelassen würde, dass die Eigenschaft als überlebender Ehegatte unmittelbar zu einem Anspruch auf eine volle Hinterbliebenenversorgung führt, so dass das Organ eine doppelte oder dreifache Hinterbliebenenversorgung auszahlen müsste, wenn mehreren Personen diese Eigenschaft zuerkannt werden kann.

103    Da die Beträge, die den als überlebende Ehegatten anerkannten Personen auszuzahlen sind, daher insgesamt 100 % des in Art. 79 des Statuts und in Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts genannten Betrags nicht übersteigen dürfen, stellt sich die Frage der Aufteilung des Betrags zwischen diesen Personen.

104    Zwar wären außer der vom Parlament gewählten Aufteilungsmethode, d. h. der Aufteilung zwischen dem Kläger und Herrn Braun-Neumann zu gleichen Teilen, auch andere Methoden denkbar gewesen. Jedoch ist das Gericht der Ansicht, dass die Methode, die im vorliegenden Fall gewählt wurde, nicht dem Wortlaut, dem Aufbau oder der Zielsetzung von Art. 79 des Statuts und Art. 18 des Anhangs VIII des Statuts oder der Bestimmungen des ganzen Kapitels über die Hinterbliebenenversorgung dieses Statuts widerspricht, zumal das Kriterium der Ehedauer, wie es in Art. 28 des Anhangs VIII des Statuts festgelegt ist, zum einen nicht einfach auf einen Fall wie den hier vorliegenden übertragbar wäre und zum anderen gegen die Zielsetzung des Art. 79 des Statuts verstoßen würde.

105    Die Dauer der Ehe zwischen Frau Neumann und Herrn Braun-Neumann ist nämlich streitig und hängt von der Bestimmung der nationalen Rechtsordnung ab, auf die für ihre Ermittlung abzustellen ist, eine, wie in Randnr. 68 des vorliegenden Urteils ausgeführt, juristisch besonders komplexe und in ihrem Ausgang höchst ungewisse Aufgabe.

106    Geht man davon aus, dass das Kriterium der Ehedauer auf die beiden überlebenden Ehegatten unter Bezugnahme auf die im Hinblick auf die Anwendung dieses Kriteriums jeweils günstigere nationale Rechtsordnung, d. h. auf die belgische Rechtsordnung für den Kläger und die deutsche Rechtsordnung für Herrn Braun-Neumann, Anwendung finden könnte, so hat die Ehe des Klägers vier Jahre und drei Monate, die Ehe von Herrn Braun-Neumann hingegen elf Jahre und etwas über zwei Monate gedauert. Eine Aufteilung der Hinterbliebenenversorgung, die Herrn Braun-Neumann einen höheren Anteil als denjenigen zusprechen würde, den der Kläger beanspruchen kann, würde allerdings eindeutig der Zielsetzung von Art. 79 des Statuts, wie in Randnr. 88 des vorliegenden Urteils angeführt, zuwiderlaufen. Denn nicht nur hat das Zusammenleben von Frau Neumann und Herrn Braun-Neumann nur wenige Monate gedauert, sondern es hat überdies mehrere Scheidungsverfahren gegeben, erstens das von Frau Neumann vor dem Tribunal de première instance de Namur eingeleitete, das 1995 zu einem Scheidungsurteil geführt hat, d. h. nur zwei Jahre nach der Eheschließung, und zweitens das Verfahren, das sich wegen des Ablebens von Frau Neumann erledigt hat (siehe Randnrn. 15 und 76 des vorliegenden Urteils) und das 2003 von Herrn Braun-Neumann eingeleitet worden war, der gleichwohl mit einer beim Gericht erhobenen und mit Beschluss vom 23. Mai 2008, Braun-Neumann/Parlament (siehe Randnr. 21 des vorliegenden Urteils), abgewiesenen Klage die volle Hinterbliebenenversorgung beansprucht hat.

107    Aus allen diesen Gründen erweist sich das vom Parlament gewählte Aufteilungskriterium als nicht rechtswidrig, so dass die Rüge des Klägers zur Höhe der Hinterbliebenenversorgung, die einem überlebenden Ehegatten zu gewähren ist, wenn diese Eigenschaft auch einer anderen Person zuerkannt wird, zurückzuweisen ist.

 Zum zweiten Klagegrund: Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes

108    Der Kläger trägt vor, das Parlament habe bei ihm und Frau Neumann einen Vertrauenstatbestand hinsichtlich ihrer Eigenschaft als Ehegatten geschaffen. Das Parlament hält diesen Klagegrund wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Übereinstimmung von Beschwerde und Klage für unzulässig.

109    In der Tat ergibt sich der vom Parlament angeführte Grundsatz der Übereinstimmung, dessen Nichtbeachtung den Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes unzulässig machen würde, aus einer in die 70er Jahre zurückreichenden Rechtsprechung, nach der Klage und Beschwerde in Gegenstand und Grund übereinstimmen müssen (vgl. insbesondere Urteile des Gerichtshofs vom 1. Juli 1976, Sergy/Kommission, 58/75, Slg. 1976, 1139, Randnrn. 31 bis 33, und vom 20. März 1984, Razzouk und Beydoun/Kommission, 75/82 und 117/82, Slg. 1984, 1509, Randnr. 9). In späteren Entscheidungen ist der Begriff „Grund“ mit dem der „Rügen“ in Zusammenhang gebracht worden (vgl. Urteile des Gerichtshofs vom 7. Mai 1986, Rihoux u. a./Kommission, 52/85, Slg. 1986, 1555, Randnrn. 12 und 14, und vom 19. November 1998, Parlament/Gaspari, C‑316/97 P, Slg. 1998, I‑7597, Randnrn. 17 und 18), wobei mehrere Urteile bei der Prüfung des Grundsatzes der Übereinstimmung in erster Linie auf letzteren Begriff abstellen (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 14. März 1989, Del Amo Martinez/Parlament, 133/88, Slg. 1989, 689, Randnr. 10; Urteil des Gerichts erster Instanz vom 31. Mai 2005, Dionyssopoulou/Rat, T‑284/02, Slg. ÖD 2005, I‑A‑131 und II‑597, Randnr. 62).

110    Nach der in der vorstehenden Randnummer dargestellten Rechtsprechung findet der Grundsatz der Übereinstimmung seine Rechtfertigung im Zweck des Vorverfahrens, das es der Verwaltung ermöglichen soll, ihre Entscheidung zu überprüfen und so eine außergerichtliche Beilegung – in den meisten Urteilen als „gütliche Beilegung“ bezeichnet – des zwischen den Beamten und der Verwaltung entstandenen Streits zu erreichen. Dieses Verfahren kann seinen Zweck nur erfüllen, wenn die Anstellungsbehörde von den Rügen der Betroffenen gegen die angegriffene Entscheidung hinreichend genau Kenntnis nehmen kann.

111    Da das Vorverfahren jedoch informeller Natur ist und die Betroffenen in dieser Phase ohne Mitwirkung eines Rechtsanwalts handeln können, darf die Verwaltung nach ständiger Rechtsprechung Beschwerden nicht eng auslegen, sondern muss sie aufgeschlossen prüfen (Urteil Del Amo Martinez/Parlament, Randnr. 11; Urteil des Gerichts erster Instanz vom 13. April 2005, Nielsen/Rat, T‑353/03, Slg. ÖD 2005, I‑A‑95 und II‑443, Randnr. 23). So ist insbesondere entschieden worden, dass die vor dem Unionsrichter vorgetragenen Klageanträge zwar denselben Gegenstand haben müssen wie die in der Beschwerde enthaltenen Anträge und nur Rügen enthalten dürfen, die auf demselben Grund beruhen wie die in der Beschwerde genannten Rügen, dass diese Rügen vor dem Unionsrichter jedoch durch das Vorbringen von Gründen und Argumenten weiterentwickelt werden können, die nicht notwendigerweise in der Beschwerde enthalten sind, sich aber eng an diese anlehnen (Urteil des Gerichtshofs vom 26. Januar 1989, Koutchoumoff/Kommission, 224/87, Slg. 1989, 99, Randnr. 10; Urteile des Gerichts erster Instanz vom 8. Juni 1995, Allo/Kommission, T‑496/93, Slg. ÖD 1995, I‑A‑127 und II‑405, Randnr. 26, und Dionyssopoulou/Rat, Randnr. 62; Urteil des Gerichts du 18. Mai 2009, Meister/HABM, F‑138/06 und F‑37/08, Slg. ÖD 2009, I‑A‑1‑131 und II‑A‑1‑727, Randnr. 145).

112    Auch wenn der Unionsrichter seit Einführung des Grundsatzes der Übereinstimmung diesen nicht immer mit der gleichen Flexibilität angewandt hat (zu Fällen, in denen dieser Grundsatz, möglicherweise wegen des zwischen dem Begriff des Grundes des Rechtsstreits und dem der Rügen hergestellten Zusammenhangs, streng angewandt worden ist, vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 13. Dezember 2001, Cubero Vermurie/Kommission, C‑446/00 P, Slg. 2001, I‑10315, Randnrn. 12, 13 und 16; Urteil des Gerichts erster Instanz vom 28. Mai 1998, W/Kommission, T‑78/96 und T‑170/96, Slg. ÖD 1998, I‑A‑239 und II‑745, Randnrn. 62 bis 64; Beschluss des Gerichts vom 11. Dezember 2007, Martin Bermejo/Kommission, F‑60/07, Slg. ÖD 2007, I‑A‑1‑407 und II‑A‑1‑2259, Randnrn. 36 bis 39), entspricht die weite Auslegung dieses Grundsatzes sowohl dem Zweck des Vorverfahrens, wie in Randnr. 110 des vorliegenden Urteils angeführt, als auch den für das Vorverfahren geltenden Kostenvorschriften.

113    Zum einen wird die außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten, die Zweck des Vorverfahrens ist, nämlich dadurch erheblich erleichtert, dass dieses Verfahren nicht durch rechtlichen Formalismus geprägt ist. Deshalb ist es nach der Rechtsprechung im Übrigen nicht erforderlich, dass die vom Beamten zur Stützung seiner Beschwerde angeführten Rügen juristisch formuliert sind (Urteile des Gerichts erster Instanz vom 5. November 1997, Barnett/Kommission, T‑12/97, Slg. ÖD 1997, I‑A‑313 und II‑863, Randnr. 68, und Nielsen/Rat, Randnr. 26). Würde der Grundsatz der Übereinstimmung eng ausgelegt und entsprechend angewandt, sähe sich der Beamte, der befürchten müsste, dass der Umfang des Rechtsstreits im Vorverfahren endgültig festgelegt wird, veranlasst, schon in diesem Stadium einen Anwalt in Anspruch zu nehmen, obwohl es in dieser Phase weniger um die Vorbereitung als vielmehr um die Vermeidung einer Klage geht. Durch die Inanspruchnahme eines Anwalts würde der Beschwerdeführer das Vorverfahren belasten, was offensichtlich seinem Zweck zuwiderlaufen würden.

114    Zum anderen gelten die Aufwendungen des Beamten vor Klageerhebung als nicht erstattungsfähige Kosten (Beschluss des Gerichts erster Instanz vom 10. Januar 2002, Starway/Rat, T‑80/97 DEP, Slg. 2002, II‑1, Randnr. 25, und vom 7. Dezember 2004, Lagardère und Canal+/Kommission, T‑251/00 DEP, Slg. 2004, II‑4217, Randnrn. 21 und 22) im Gegensatz zu den Aufwendungen für das eigentliche gerichtliche Verfahren, d. h. dasjenige, das mit der Klageerhebung eingeleitet wird. Durch diese Unterscheidung soll der Beamte nach dem Willen des Gesetzgebers u. a. eben davon abgehalten werden, im Vorverfahren einen Anwalt in Anspruch zu nehmen.

115    Eine weite Auslegung des Erfordernisses der Übereinstimmung von Beschwerde und Klage ist heute erst recht geboten.

116    Erstens nämlich fügt sich diese Auslegung in die Rechtsprechung ein, die die zunehmende Bedeutung des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes als eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts widerspiegelt, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, in den Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert ist und im Übrigen in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C‑402/05 P und C‑415/05 P, Slg. 2008, I‑6351, Randnr. 335), die nach Art. 6 Abs. 1 EUV mit den Verträgen rechtlich gleichrangig ist. Wenn die Bedeutung, die dieser Grundsatz für eine Rechtsgemeinschaft hat, eine weite Auslegung der primärrechtlichen Bestimmungen über die Befugnisse des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren im Rahmen des EU-Vertrags in seiner Fassung vor dem Vertrag von Lissabon rechtfertigt (vgl. u. a. Urteile des Gerichtshofs vom 27. Februar 2007, Gestoras Pro Amnistía u. a./Rat, C‑354/04 P, Slg. 2007, I‑1579, Randnr. 53, und Segi u. a./Rat, C‑355/04 P, Slg. 2007, I‑1657, Randnr. 53, und vom 3. Mai 2007, Advocaten voor de Wereld, C‑303/05, Slg. 2007, I‑3633, Randnr. 18), muss sie auch im Rahmen des Rechts des öffentlichen Dienstes eine Auslegung des Grundsatzes der Übereinstimmung rechtfertigen, die geeignet ist, die Beschränkungen, die dieser Grundsatz dem Kläger hinsichtlich der Klagegründe und des Vorbringens auferlegt, die sein Rechtsbeistand in der Klageschrift geltend machen darf, möglichst weitgehend zu lockern. Denn weitere Beschränkungen, z. B. diejenigen, die sich auf neue Beweismittel und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel (vgl. Art. 42 und 43 der Verfahrensordnung des Gerichts) beziehen, sind untrennbar mit dem ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahren vor dem Gericht verbunden und verletzen daher nicht den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes; dieser würde dagegen erheblich an Substanz verlieren, wenn der den Kläger vertretende Anwalt mit dem Vorbringen von Angriffs‑ oder Verteidigungsmitteln, die sich für den Ausgang des Rechtsstreits als entscheidend herausstellen könnten, deshalb ausgeschlossen ist, weil der Kläger selbst nicht daran gedacht hatte, diese Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Vorverfahren geltend zu machen.

117    Zweitens trägt der Beamte seit dem Inkrafttreten des Beschlusses 2004/752/EG, Euratom des Rates vom 2. November 2004 zur Errichtung des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union (ABl. L 333, S. 7) (im Folgenden: Beschluss zur Errichtung des Gerichts), der in Art. 7 Abs. 5 seines Anhangs I vorsieht, dass die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen ist, ein höheres finanzielles Risiko als zu der Zeit, da die Rechtsprechung den Grundsatz der Übereinstimmung von Beschwerde und Klage entwickelt hat und zu der der Beamte davon befreit war, die Kosten des obsiegenden Organs zu tragen. Zwar gleicht die mit dem Beschluss zur Errichtung des Gerichts eingeführte Neuerung die Kostenregelung in beamtenrechtlichen Rechtssachen der allgemeinen Kostenregelung für Rechtssachen vor dem Unionsrichter an, doch geht diesen Rechtssachen, sowohl bei Anfechtungsklagen als auch bei Haftungsklagen, nicht zwangsläufig ein Vorverfahren voraus, und es unterliegt keinen Beschränkungen, wie sie sich aus dem Grundsatz der Übereinstimmung ergeben. Zum Ausgleich des neuen finanziellen Risikos, das der Beschluss zur Errichtung des Gerichts den Beamten, die sich an das Gericht wenden wollen, auferlegt, ist es daher angemessen und entspricht geordneter Rechtspflege, die Beschränkungen, denen sie unterliegen, dadurch zu lockern, dass insbesondere ihren Rechtsbeiständen erlaubt wird, sich nicht auf die Beanstandungen des Beamten zu beschränken, der meist kein Jurist ist und jedenfalls nicht als Jurist und erst recht nicht als Rechtsanwalt handelt.

118    Drittens hat einer der Hauptgründe für den von der Rechtsprechung in den 70er Jahren entwickelten Grundsatz der Übereinstimmung, nämlich die Erleichterung der außergerichtlichen Beilegung von Rechtssachen in dem in Randnr. 110 des vorliegenden Urteils dargelegten Sinne, sowohl durch die Entwicklung der Verwaltungspraxis als auch durch die Verbürgung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz vor einem Gericht allmählich an Bedeutung verloren. Denn erstens ist zwar unbestreitbar, dass das vorgeschaltete Beschwerdeverfahren weiterhin die Aufgabe, die Beanstandungen zu filtern, wirksam erfüllt und der Verwaltung vor der Anrufung des Richters die Gelegenheit gibt, etwaige Unregelmäßigkeiten zu berichtigen oder die Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidungen zu verteidigen. Doch ist fraglich, ob das Vorverfahren weiterhin die Gelegenheit für eine aktive und konkrete Suche nach einer gütlichen Beilegung von Streitigkeiten bietet. Im Übrigen sind die insoweit festgestellten Unzulänglichkeiten der Grund dafür, dass im Beschluss zur Errichtung des Gerichts ein besonderer Akzent auf die Prüfung der Möglichkeiten für eine gütliche Beilegung der Streitsachen in jedem Stadium des Verfahrens vor dem Gericht des öffentlichen Dienstes der Union gelegt worden ist. Zweitens wird die Garantie eines effektiven Rechtsbehelfs vor dem Gericht als Ausdruck des in Randnr. 116 des vorliegenden Urteils genannten Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zwar nach – vor allem verfahrensrechtlichen – Vorschriften ausgeübt, die ihre Anwendung und ihren Umfang regeln, doch darf diese Garantie in Anbetracht ihres grundlegenden Charakters nicht zu sehr den Zielen des der Befassung des Gerichts vorgeschalteten Verfahrens untergeordnet werden, da sie sonst übermäßig beeinträchtigt würde. Die außergerichtliche Beilegung, so wünschenswert sie sein mag, ist kein Grundrecht und kann daher keine radikale Beschränkung der den Beamten offenstehenden Möglichkeiten der gerichtlichen Anfechtung rechfertigen.

119    In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass der Grundsatz der Übereinstimmung im Einklang mit der in Randnr. 109 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung nur dann zum Tragen kommt, wenn die Klage den Gegenstand der Beschwerde oder ihren Grund ändert, wobei der Begriff „Grund“ weit auszulegen ist. Nach dieser Auslegung ist bei einem Aufhebungsantrag, wie er hier beim Gericht bezüglich der Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 8. September 2006 gestellt worden ist, unter „Grund des Rechtsstreits“ entweder das Bestreiten der materiellen oder aber das Bestreiten der formellen Rechtmäßigkeit – eine in der Rechtsprechung wiederholt anerkannte Unterscheidung – der angefochtenen Handlung zu verstehen (Urteil des Gerichtshofs vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, Slg. 1998, I‑1719, Randnr. 67; Urteil des Gerichts vom 21. Februar 2008, Putterie-De-Beukelaer/Kommission, F‑31/07, Slg. ÖD 2008, I‑A‑1‑53 und II‑A‑1‑261, Randnrn. 57 ff., gegen das ein Rechtsmittel beim Gericht der Europäischen Union anhängig ist, Rechtssache T‑160/08 P, und Urteil des Gerichts vom 11. September 2008, Smadja/Kommission, F‑135/07, Slg. ÖD 2008, I‑A‑1‑299 und II‑A‑1‑1585, Randnr. 40, gegen das ein Rechtsmittel beim Gericht der Europäischen Union anhängig ist, Rechtssache T‑513/08 P).

120    Vorbehaltlich von Einreden der Rechtswidrigkeit und selbstverständlich von Amts wegen zu prüfender Gesichtspunkte liegt daher normalerweise nur dann eine Änderung des Grundes des Rechtsstreits und damit eine Unzulässigkeit wegen fehlender Wahrung des Grundsatzes der Übereinstimmung vor, wenn der Kläger, der in seiner Beschwerde nur die formelle Gültigkeit der beschwerenden Maßnahme einschließlich ihrer verfahrensrechtlichen Aspekte bestritten hat, in der Klageschrift materiell-rechtliche Klagegründe geltend macht oder, umgekehrt, wenn der Kläger, nachdem er in seiner Beschwerde nur die materielle Rechtmäßigkeit der beschwerenden Maßnahme bestritten hat, eine Klageschrift einreicht, die Klagegründe hinsichtlich ihrer formellen Gültigkeit einschließlich ihrer verfahrensrechtlichen Aspekte enthält.

121    Bei Einreden der Rechtswidrigkeit, und zwar auch dann, wenn sie sich auf einen anderen Rechtsgrund beziehen als den in der Beschwerde genannten, würde die Unzulässigkeit wegen fehlender Wahrung des Grundsatzes der Übereinstimmung das Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Verfahrensrechte des Beamten und dem Zweck des Vorverfahrens stören und eine unverhältnismäßige und ungerechtfertigte Sanktion für den Beamten darstellen. Wegen der wesensgemäß rechtlichen Natur einer Rechtswidrigkeitseinrede und der Überlegungen, die den Betroffenen dazu veranlassen, eine solche Rechtswidrigkeit zu suchen und geltend zu machen, kann von dem Beamten oder sonstigen Bediensteten, der die Beschwerde einlegt und nicht unbedingt über einschlägige juristische Fachkompetenz verfügt, nicht – bei Meidung späterer Unzulässigkeit – verlangt werden, eine solche Einrede im vorgerichtlichen Stadium zu erheben. Dies gilt umso mehr, als die Erhebung einer Rechtswidrigkeitseinrede im vorgerichtlichen Stadium kaum dazu führen wird, dass der Beschwerdeführer in diesem Stadium obsiegt, weil es unwahrscheinlich ist, dass die Verwaltung beschließt, eine geltende Bestimmung, die möglicherweise gegen eine höherrangige Rechtsnorm verstößt, nur zu dem Zweck unangewendet zu lassen, eine außergerichtliche Beilegung der Streitigkeit zu ermöglichen.

122    Aus den vorstehenden Erwägungen, insbesondere aus den Randnrn. 119 bis 121, ergibt sich, dass es nicht gegen den Grundsatz der Übereinstimmung verstößt, wenn in der Klageschrift der Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes angeführt wird. Denn als der Kläger in der Beschwerdeschrift die Begründung der Entscheidung des Parlaments zur hälftigen Kürzung der Hinterbliebenenversorgung, die er als überlebender Ehegatte bezog, beanstandete, die darauf abstellte, dass es einen weiteren überlebenden Ehegatten gab, bestritt er offensichtlich die materielle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme. Der sich auf den Vertrauensschutz beziehende Klagegrund ist aber ganz offenkundig ein die materielle Rechtmäßigkeit betreffender Gesichtspunkt. Der Klagegrund ist demnach für zulässig zu erklären.

123    Da der Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes zulässig ist, ist zu prüfen, ob er begründet ist.

124    Zur Begründetheit ist jedoch abgesehen davon, dass sich der Kläger auf sein berechtigtes Vertrauen darauf, dass ihn das Parlament als überlebenden Ehegatten von Frau Neumann anerkennt, berufen hat und nicht auf irgendein berechtigtes Vertrauen in Bezug auf die Hinterbliebenenversorgung oder gar auf sein etwaiges Recht auf die volle Hinterbliebenenversorgung, festzustellen, dass die in der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für eine Berufung auf den Vertrauensschutz (Urteile des Gerichts erster Instanz vom 27. Februar 1996, Galtieri/Parlament, T‑235/94, Slg. ÖD 1996, I‑A‑43 und II‑129, Randnrn. 63 und 65, und vom 16. März 2005, Ricci/Kommission, T‑329/03, Slg. ÖD 2005, I‑A‑69 und II‑315, Randnr. 79; Urteile des Gerichts vom 21. Februar 2008, Skoulidi/Kommission, F‑4/07, Slg. ÖD 2008, I‑A‑1‑47 und II‑A‑1‑229, Randnr. 79, und vom 4. November 2008, Van Beers/Kommission, F‑126/07, Slg. ÖD 2008, I‑A‑1‑355 und II‑A‑1‑1929, Randnr. 70) im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind, weil sich der Kläger nicht auf präzise, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Zusicherungen der Verwaltung berufen kann.

125    Erstens ist die – auch mehrjährige – Zahlung von Geldleistungen an den Betroffenen durch die Verwaltung für sich allein nicht als eine präzise, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Zusicherung im Sinne der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung anzusehen. Andernfalls würde nämlich jede Entscheidung der Verwaltung, mit der eine dem Betroffenen über mehrere Jahre ungerechtfertigt gezahlte Geldleistung für die Zukunft und unter Umständen rückwirkend versagt wird, vom Unionsrichter wegen Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes systematisch aufgehoben und hätte zur Folge, dass insbesondere Art. 85 des Statuts über die Rückforderung zuviel gezahlter Beträge einen großen Teil seiner praktischen Wirksamkeit verlöre. Somit konnte die Zahlung der Haushaltszulage an Frau Neumann wegen ihrer Ehe mit dem Kläger und dann der Hinterbliebenenversorgung an diesen für sich allein kein berechtigtes Vertrauen des Klägers auf seine Anerkennung als Ehegatte und auf die Rechtmäßigkeit dieser Zahlungen schaffen, weil das Parlament keine sonstige Zusicherung in diesem Sinne abgegeben hatte.

126    Zweitens kann der Umstand, dass das Parlament, sobald das Urteil des Tribunal de première instance de Namur bestandskräftig geworden war, Frau Neumann als im Sinne des Statuts als geschieden (mit sämtlichen damit verbundenen finanziellen Folgen, nämlich insbesondere des Wegfalls der Haushaltszulage), dann als mit dem Kläger verheiratet betrachtet hat (verbunden mit dem neuerlichen Bezug der Haushaltszulage), in Anbetracht der besonderen Umstände des vorliegenden Falls beim Kläger kein berechtigtes Vertrauen darauf hervorrufen, dass ihm künftig die volle Hinterbliebenenversorgung gewährt würde.

127    In Analogie zu dem, was für Art. 85 des Statuts gilt (siehe Randnr. 125 des vorliegenden Urteils), ist es nämlich unbestreitbar nicht Sache der Verwaltung eines Organs, freiwillig und von sich aus Nachforschungen zum Familienstand der Beamten anzustellen, sondern sie muss lediglich die von diesen übermittelten Angaben nach Maßgabe der durch Vorlage von amtlichen Schriftstücken oder von Gerichtsentscheidungen erbrachten Beweise berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Angaben und Unterlagen muss die Verwaltung die entsprechenden finanziellen Konsequenzen ziehen und Entscheidungen treffen. Dies ist hier hinsichtlich des Parlaments der Fall, das sich, wie aus der Prüfung der Rechtssache hervorgeht, darauf beschränkt hat, die Angaben von Frau Neumann und die von ihr vorgelegten entsprechenden Belege über die Jahre und gemäß der Entwicklung ihrer persönlichen Situation zu berücksichtigen. Dagegen hatte das Parlament, wie es in der mündlichen Verhandlung – vom Kläger unwidersprochen – vorgetragen hat, weder Kenntnis von dem von Frau Neumann am 16. Dezember 1996 beim Bayerischen Staatsministerium der Justiz gestellten Antrag noch von der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. Oktober 1999, die Anerkennung des Scheidungsurteils des Tribunal de première instance de Namur zu verweigern, noch von der Scheidungsklage, die Herrn Braun-Neumann 2003 beim Amtsgericht-Familiengericht Merzig erhoben hat.

128    Hätte das Parlament über diese Informationen verfügt, hätte es sehr wahrscheinlich dem Kläger gegenüber eine andere Entscheidung getroffen oder zumindest Zweifel an dessen Familienstand geäußert.

129    Die fehlende Übermittlung dieser Angaben und Unterlagen ist Frau Neumann und, zumindest nach ihrem Ableben, dem Kläger anzulasten; es ist nämlich unwahrscheinlich, dass dem Kläger (der, wie sich aus dem Schreiben vom 22. September 1997 ergibt, das den von Herrn Braun-Neumann nach der mündlichen Verhandlung übermittelten Unterlagen beigefügt war [siehe Randnr. 33 des vorliegenden Urteils], bereits 1997 mit Frau Neumann liiert war und von der Existenz von Herrn Braun-Neumann wusste) die 1993 zwischen diesem und Frau Neumann geschlossene Ehe oder der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. Oktober 1999, die Anerkennung des Scheidungsurteils des Tribunal de première instance de Namur in Deutschland zu verweigern, verborgen geblieben ist. Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass sich der Kläger zu dem Zeitpunkt, als er beim Parlament die Hinterbliebenenversorgung beantragte, d. h. am 11. August 2004, bewusst war, dass es möglicherweise eine andere Person gab, die sich beim Parlament auf die Eigenschaft als überlebender Ehegatte berufen und die Hinterbliebenenversorgung beantragen könnte. In diesem Zusammenhang ist außerdem zum einen auf die Beschwerde vom 17. März 2005 wegen Bigamie hinzuweisen, die Herr Braun-Neumann gegen den Kläger erhoben hatte, der dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Siegen vom 16. Februar 2006 zufolge (siehe Randnr. 33 des vorliegenden Urteils) die ihm zur Last gelegten Tatsachen bestritt, was bedeutet, dass er sie kannte, und zum anderen auf das Verfahren vor dem Amtsgericht Siegen, in dem er als Partei vertreten war, so dass er offensichtlich den Beschluss vom 25. Januar 2006 kannte, auf den der genannte Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts ausdrücklich Bezug nimmt; sowohl das mit der Beschwerde wegen Bigamie eingeleitete Verfahren als auch dasjenige, das zum Beschluss vom 25. Januar 2006 führte, liegen zeitlich beträchtlich vor dem Zeitpunkt, zu dem Herr Braun-Neumann beim Parlament die Hinterbliebenenversorgung beantragt hat. Unter diesen Umständen musste der Kläger zweifellos damit rechnen, dass Herr Braun-Neumann eines Tages beim Parlament als überlebender Ehegatte die Hinterbliebenenversorgung beantragen würde.

130    Aus allen diesen Gründen ist der Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes zurückzuweisen, wobei in diesem Zusammenhang außerdem darauf hinzuweisen ist, dass das Parlament beschlossen hat, vom Kläger, obwohl es Herrn Braun-Neumann rückwirkend zum 1. August 2004 50 % der Hinterbliebenenversorgung nach Frau Neumann gewährt hatte, nicht die ihm zu viel gezahlten Beträge in Gestalt der 50 % der Hinterbliebenenversorgung zurückzufordern, die er zwischen dem 1. August 2004 und dem Zeitpunkt, zu dem die angefochtene Entscheidung wirksam wurde, zu viel bezogen hatte.

131    Nach alledem sind der Aufhebungsantrag und damit der Antrag auf Verurteilung des Parlaments, dem Kläger rückwirkend zum 1. April 2006 und fortlaufend bis zum 31. Oktober 2009 jeweils monatlich weitere 50 % der Hinterbliebenenversorgung nach Frau Neumann zu zahlen, zurückzuweisen.

 Kosten

132    Nach Art. 122 der Verfahrensordnung finden die Bestimmungen des Achten Kapitels des Zweiten Titels über die Prozesskosten und Gerichtskosten nur auf die Rechtssachen Anwendung, die ab dem Inkrafttreten dieser Verfahrensordnung beim Gericht, d. h. ab dem 1. November 2007, anhängig gemacht werden. Die insoweit geltenden Bestimmungen der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz finden weiterhin entsprechende Anwendung auf die Rechtssachen, die beim Gericht vor diesem Zeitpunkt anhängig waren.

133    Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 88 dieser Verfahrensordnung tragen in den Streitsachen zwischen den Organen und ihren Bediensteten die Organe ihre Kosten selbst.

134    Nach Art. 87 § 4 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz kann das Gericht entscheiden, dass ein Streithelfer seine eigenen Kosten trägt.

135    Da der Kläger hier mit seiner Klage unterlegen ist, sind jeder Partei ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

136    Was den Streithelfer betrifft, hat das Gericht diesen zwar von sich aus aufgefordert, sich am vorliegenden Verfahren zu beteiligen, doch steht fest, dass er erstens daraufhin beantragt hat, dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Anträge des Parlaments beizutreten, dass dieser Beitritt ihm zweitens die Vertretung seiner Interessen in diesem Verfahren gewährleistet hat und dass er drittens und hauptsächlich damit seine Rechte den Forderungen des Klägers gegenüber geltend machen und verteidigen konnte, was sich für ihn als günstig erwiesen hat, da sein Beitritt sich durchaus auf die Erwägungen des Gerichts, das die Anträge des Klägers zurückgewiesen hat, ausgewirkt hat. Demnach sind dem Streithelfer seine eigenen Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
(Plenum)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Über den Antrag, der darauf gerichtet ist, dass das Parlament Herrn Mandt die volle Hinterbliebenenversorgung auszahlt, ist nicht zu entscheiden, soweit er sich auf den Zeitraum nach dem 31. Oktober 2009 bezieht.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Die Parteien und der Streithelfer tragen jeweils ihre eigenen Kosten.



Mahoney

Gervasoni

Kreppel

Tagaras

 

      Van Raepenbusch

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 1. Juli 2010.

Die Kanzlerin

 

       Der Präsident

W. Hakenberg

 

       P. Mahoney


* Verfahrenssprache: Deutsch.