Language of document : ECLI:EU:F:2015:108

URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
DER EUROPÄISCHEN UNION
(Erste Kammer)

22. September 2015

Rechtssache F‑82/14

Roberto Gioria

gegen

Europäische Kommission

„Öffentlicher Dienst – Allgemeine Auswahlverfahren – Auswahlverfahren EPSO/AST/126/12 – Verwandtschaftsverhältnis zwischen einem Mitglied des Prüfungsausschusses und einem Bewerber – Interessenkonflikt – Art. 27 des Statuts – Einstellung von Beamten, die in Bezug auf Integrität höchsten Ansprüchen genügen – Entscheidung, den Bewerber vom Auswahlverfahren auszuschließen“

Gegenstand:      Klage nach Art. 270 AEUV, der gemäß Art. 106a EA auch für den EAG-Vertrag gilt, auf Aufhebung der Entscheidung vom 15. Mai 2014, mit der der Prüfungsausschusses für das allgemeine Auswahlverfahren EPSO/AST/126/2012 den Ausschluss des Klägers von diesem Auswahlverfahren bestätigt hat, und auf Ersatz des geltend gemachten immateriellen Schadens

Entscheidung:      Die Klage wird abgewiesen. Herr Gioria trägt die Hälfte seiner eigenen Kosten. Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten und wird verurteilt, die Hälfte der Kosten von Herrn Gioria zu tragen.

Leitsätze

1.      Beamte – Einstellung – Auswahlverfahren – Bewerber – Unterlassene Mitteilung des Verwandtschaftsverhältnisses zu einem Mitglied des Prüfungsausschusses – Verstoß gegen das Erfordernis der Integrität – Ausschluss des Bewerbers – Verstoß gegen die Pflicht eines Mitglieds des Prüfungsausschusses zur Enthaltung bei Vorliegen eines Verwandtschaftsverhältnisses zu einem Bewerber – Keine Auswirkung

(Beamtenstatut, Art. 11a und 27)

2.      Beamte – Auswahlverfahren – Prüfungsausschuss – Wahrung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Objektivität – Unregelmäßigkeiten, die den Zweck von Art. 27 des Statuts beeinträchtigen können – Folgen

(Beamtenstatut, Art. 27)

3.      Beamtenklage – Schadensersatzklage – Selbständigkeit gegenüber der Anfechtungsklage – Zulässigkeit trotz fehlenden Vorverfahrens nach dem Statut – Voraussetzung – Schadensersatzantrag, der mit einem Aufhebungsantrag in Zusammenhang steht

(Beamtenstatut, Art. 90 und 91)

1.      Die Tatsache allein, dass ein Mitglied eines Prüfungsausschusses, das mit einem Bewerber verwandt ist, unter Verstoß gegen die ihm nach Art. 11a des Statuts obliegenden Pflichten seine Kollegen im Prüfungsausschuss des Auswahlverfahrens, an dem sein Verwandter teilnimmt, nicht davon in Kenntnis gesetzt hat, kann diesen in seiner Eigenschaft als Bewerber um ein Amt, für das gemäß Art. 27 des Statuts bei der Einstellung die höchsten Ansprüche an die Integrität gestellt werden, nicht von seiner Verantwortung dafür entbinden, dass er selbst es nicht für sachdienlich erachtet hat, das Europäische Amt für Personalauswahl und/oder den Prüfungsausschuss über sein Verwandtschaftsverhältnis zu einem Mitglied des Prüfungsausschusses zu unterrichten, da ein solches Vorgehen das Mindeste ist, was von einem Bewerber, der als Beamter der Europäischen Union eingestellt werden möchte, erwartet werden kann, und zwar erst recht in einem Kontext, in dem das Europäische Amt für Personalauswahl die Bewerber wiederholt auf das Verbot hingewiesen hat, zu den Mitgliedern des Prüfungsausschusses Kontakt aufzunehmen.

Daher darf ein Prüfungsausschuss, der gemäß Art. 30 des Statuts zur Aufstellung des Verzeichnisses der geeigneten Bewerber befugt ist, im Rahmen seines weiten Ermessens davon ausgehen, dass sich ein Bewerber aufgrund eines Verwandtschaftsverhältnisses zu einem seiner Mitglieder – selbst wenn dieses ein benachbartes Sachgebiet prüft – ohne sein Wissen in einer hervorgehobenen Stellung gegenüber den anderen Bewerbern des allgemeinen Auswahlverfahrens befindet und dass diese Stellung die wesentliche Bedingung eines jeden Auswahlverfahrens beeinträchtigen kann, nämlich die Garantie, dass alle Bewerber gleichbehandelt werden.

(vgl. Rn. 36 und 53)

2.      Der Grundsatz der Gleichbehandlung stellt ein Grundprinzip des Unionsrechts dar, das insbesondere für Auswahlverfahren gilt und auf dessen Wahrung der Prüfungsausschuss bei der Durchführung eines Auswahlverfahrens strikt achten muss. Der Prüfungsausschuss hat daher sicherzustellen, dass bei den von ihm vorgenommenen Beurteilungen aller geprüften Bewerber die Bedingungen der Gleichheit und der Objektivität beachtet werden, und die Bewertungskriterien müssen einheitlich sein und auf alle Bewerber kohärent angewandt werden.

Jede Begebenheit oder Situation, die geeignet ist, die Einhaltung der fundamentalen Garantien der Gleichbehandlung der Bewerber und der Objektivität der unter diesen getroffenen Auswahl zu stören, kann nämlich den Zweck beeinträchtigen, den Art. 27 des Statuts jedem Einstellungsverfahren zuweist, nämlich „dem Organ die Mitarbeit von Beamten zu sichern, die in Bezug auf Befähigung, Leistung und Integrität höchsten Ansprüchen genügen“.

Der Prüfungsausschuss eines Auswahlverfahrens verfügt über ein weites Ermessen, wenn er mit Unregelmäßigkeiten konfrontiert wird, die diesen Zweck beeinträchtigen können.

Daher bleibt einem Prüfungsausschuss, wenn das Vorliegen eines Verwandtschaftsverhältnisses zu einem Zeitpunkt entdeckt wird, zu dem die Auswahlprüfungen bereits stattgefunden haben, nichts anderes übrig, als den betreffenden Bewerber von einem allgemeinen Auswahlverfahren auszuschließen, damit gewährleistet ist, dass dieses Verfahren unter strikter Beachtung der im Hinblick auf den Zweck von Art. 27 des Statuts erforderlichen Bedingungen der Gleichheit fortgeführt werden kann.

(vgl. Rn. 50 bis 52 und 54)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: Urteile vom 17. Januar 2001, Gerochristos/Kommission, T‑189/99, EU:T:2001:12, Rn. 25; vom 20. Januar 2004, Briganti/Kommission, T‑195/02, EU:T:2004:10, Rn. 31; vom 5. April 2005, Christensen/Kommission, T‑336/02, EU:T:2005:115, Rn. 43, und vom 13. September 2005, Pantoulis/Kommission, T‑290/03, EU:T:2005:316, Rn. 90

Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteile vom 29. September 2009, Aparicio u. a./Kommission, F‑20/08, F‑34/08 und F‑75/08, EU:F:2009:132, Rn. 77, und vom 12. Februar 2014, De Mendoza Asensi/Kommission, F‑127/11, EU:F:2014:14, Rn. 43

3.      Eine Schadensersatzklage, der kein entsprechender Antrag bei der Verwaltung vorausgeht, ist zwar zulässig, wenn zwischen dieser Klage und der Anfechtungsklage ein unmittelbarer Zusammenhang besteht; anders verhält es sich jedoch, wenn der geltend gemachte Schaden auf Fehlern oder Unterlassungen der Verwaltung beruht. In diesem Fall, in dem der geltend gemachte Schaden nicht auf dem Rechtsakt, dessen Aufhebung beantragt wird, sondern auf angeblichen Fehlern und Unterlassungen beruht, muss das vorprozessuale Verfahren zwingend mit einem Antrag beginnen, mit dem die Verwaltung zum Ersatz des Schadens aufgefordert wird.

Daher ist ein Antrag auf Ersatz des Schadens, der einem Bewerber dadurch entstanden sein soll, dass er aus in keiner Vorschrift vorgesehenen Gründen, d. h. infolge eines rechtswidrigen Verhaltens des Prüfungsausschusses, zu Unrecht von einem Auswahlverfahren ausgeschlossen worden sei, und der nicht unmittelbar durch die angefochtene Entscheidung verursacht worden sein soll, unzulässig, wenn vor der Klage auf Ersatz dieses Schadens kein Antrag gemäß Art. 90 Abs. 1 des Statuts gestellt wurde.

Da der immaterielle Schaden jedoch durchaus auf den Erlass der angefochtenen Entscheidung zurückzuführen ist, die erging, um zu gewährleisten, dass das Auswahlverfahren unter strikter Beachtung der im Hinblick auf den Zweck von Art. 27 des Statuts erforderlichen Bedingungen der Gleichheit abläuft, und der Aufhebungsantrag zurückgewiesen worden ist, ohne dass eine Rechtswidrigkeit festgestellt worden wäre, ist der Schadensersatzantrag folglich zurückzuweisen.

(vgl. Rn. 74, 76 und 77)

Verweisung auf:

Gerichtshof: Urteil vom 27. Juni 1989, Giordani/Kommission, 200/87, EU:C:1989:259, Rn. 22

Gericht erster Instanz: Urteil vom 11. Mai 2005, de Stefano/Kommission, T‑25/03, EU:T:2005:168, Rn. 78

Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteil vom 24. April 2013, Demeneix/Kommission, F‑96/12, EU:F:2013:52, Rn. 87