Language of document : ECLI:EU:T:1998:118

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

9. Juni 1998 (1)

„Nacherhebung von Zöllen — Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 — Verordnung (EWG) Nr. 2454/93“

In den verbundenen Rechtssachen T-10/97 und T-11/97

Unifrigo Gadus Srl, Gesellschaft italienischen Rechts mit Sitz in Neapel (Italien),

und

CPL Imperial 2 SpA, Gesellschaft italienischen Rechts mit Sitz in Pescara (Italien),

vertreten durch Rechtsanwalt Giuseppe Celona, Mailand, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Georges Margue, 20, rue Philippe II, Luxemburg,

Klägerinnen,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten zunächst durch Fernando Castillo de la Torre und Paolo Stancanelli, sodann durch Herrn Stancanelli, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung C(96) 2780 endg. vom 8. Oktober 1996, mit der die Nacherhebung von Zöllen angeordnet wird, und Ersatzes des den Klägerinnen angeblich entstandenen Schadens

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tiili sowie der Richter C. P. Briët und A. Potocki,

Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. März 1998,

folgendes

Urteil

Der Klage zugrunde liegender Sachverhalt und Ablauf des Verfahrens

1.
    Die Klägerinnen handeln mit Fischereierzeugnissen.

2.
    1990 und 1991 führten sie verschiedene Partien Kabeljau aus Norwegen ein. Bei diesen Einfuhren wurden Bescheinigungen nach dem Vordruck EUR 1 vorgelegt, die den norwegischen Ursprung der Erzeugnisse auswiesen. Für diese Einfuhren galt daher die Zollpräferenzregelung, die auf diese Art von Erzeugnissen im Rahmen der Gemeinschaftszollkontingente anwendbar ist, die in der Verordnung (EWG) Nr. 3692/89 des Rates vom 4. Dezember 1989 zur Eröffnung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Kabeljau und Fische der Art Boreogadus saida, getrocknet, gesalzen oder in Salzlake, mit Ursprung in Norwegen (1990) (ABl. L 362, S. 3) und der Verordnung (EWG) Nr. 3523/90 des Rates vom 4. Dezember 1990 zur Eröffnung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für einige Agrar- und Fischereierzeugnisse mit Ursprung in bestimmten EFTA-Ländern (ABl. L 343, S. 4) vorgesehen sind.

3.
    Im Jahr 1993 unterrichtete die norwegische Zollverwaltung die italienischen Behörden von sich aus darüber, daß nach ihren Feststellungen der Exporteur nicht den norwegischen Ursprung der Erzeugnisse habe nachweisen können.

4.
    Das Zollamt von Verona teilte der Klägerin CPL Imperial 2 SpA (im folgenden: CPL) am 4. August 1993 und der Klägerin Unifrigo Gadus Srl (im folgenden: Unifrigo) am 23. November 1993 seine Entscheidung mit, die Zölle nachzuerheben.

5.
    Unter Berufung auf ihre Gutgläubigkeit ersuchte die Klägerin CPL die italienischen Behörden unter Vermittlung eines sie vertretenden Zollagenten mit Schreiben vom 3. Dezember 1993, die Einfuhrabgaben nicht nachzuerheben. Sie erklärte, die Abgaben seien wegen eines Irrtums der zuständigen Behörden nicht erhoben worden, den ein gutgläubiger Wirtschaftsteilnehmer nicht habe entdecken können. Außerdem bat die Klägerin die italienischen Behörden, die Kommission mit dieser Frage zu befassen. Die Klägerin Unifrigo trägt vor, in gleicher Weise vorgegangen zu sein.

6.
    Die Klägerinnen bestätigten den italienischen Behörden gegenüber am 30. Januar 1996 durch ihren Vertreter, daß sie Kenntnis von den Akten erhalten hätten, die die italienischen Behörden an die Kommission weiterzuleiten sich anschickten, und daß sie hierzu keinen Kommentar abzugeben hätten.

7.
    Mit am 12. April 1997 eingegangenem Schreiben vom 6. Februar 1996 übermittelten die italienischen Behörden der Kommission die Akten über das Ersuchen der Klägerinnen und eines dritten Unternehmens, das nicht Partei der vorliegenden Rechtsstreitigkeiten ist. Sie baten die Kommission, zu prüfen, ob es im vorliegenden Fall nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet (ABl. L 197, S. 1), gerechtfertigt sei, von einer Nacherhebung der Eingangsabgaben in Höhe von insgesamt 148 890 000 LIT abzusehen.

8.
    Dieser Antrag wurde im Rahmen des in den Artikeln 871 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 253, S. 1) beschriebenen Verfahrens geprüft.

9.
    Die Kommission hörte in der Sitzung des Ausschusses für den Zollkodex vom 3. Juni 1996 die die Mitgliedstaaten repräsentierenden Sachverständigen an. Am 8. Oktober 1996 erließ sie die Entscheidung C(96) 2780 endg. (im folgenden: Entscheidung), deren Artikel 1 lautet: „Die Einfuhrabgaben in Höhe von 148 890 000 LIT, die Gegenstand des Antrags Italiens vom 2. Februar 1996 sind, sind nachzuerheben.“

10.
    Aufgrund der Entscheidung erhielten beide Klägerinnen von der Zolldirektion ein auf den 22. November 1996 datiertes Schreiben, das eine Abschrift der

Entscheidung enthielt und mit dem sie zur Zahlung von Zollabgaben in Höhe von 31 200 000 LIT (Unifrigo) bzw. 95 010 000 LIT (CPL) zuzüglich Verzugszinsen aufgefordert wurden. Der von der Klägerin CPL verlangte Betrag umfaßt auch den Zollbetrag, der dem Zollschein Nr. 7338 F entspricht.

11.
    Unter diesen Umständen haben die Klägerinnen mit Klageschriften, die am 17. Januar 1997 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden sind, die vorliegenden Klagen erhoben.

12.
    Durch Beschluß des Präsidenten der Dritten Kammer vom 9. Februar 1998 sind die Rechtssachen T-10/97 und T-11/97 gemäß Artikel 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

13.
    Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Die Klägerinnen sind im Rahmen prozeßleitender Maßnahmen zur Vorlage einiger Schriftstücke aufgefordert worden; dieser Aufforderung haben sie mit Schreiben vom 23. Januar 1998 Folge geleistet.

14.
    Die Parteien haben in der Sitzung vom 3. März 1998 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

15.
    Die Klägerinnen beantragen,

—    die Klagen für unzulässig zu erklären;

—    die Entscheidung für nichtig zu erklären;

—    hilfsweise, festzustellen, daß sich die Entscheidung nicht auf ihren Anspruch auf ein Absehen von der Nacherhebung des fraglichen Zolles auswirkt;

—    weiter hilfsweise, die Kommission zu verurteilen, ihnen sämtliche Beträge zurückzuerstatten, die sie als nacherhobene Abgaben, Geldbußen und damit zusammenhängenden Kosten zu zahlen haben;

—    jedenfalls die Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit die Zinsen betroffen sind;

—    der Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

16.
    In der Rechtssache T-11/97 beantragt die Klägerin CPL darüber hinaus

—    hilfsweise, die Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären, als sie die Nacherhebung des dem Zollschein Nr. 7338 F entsprechenden Zollbetrags anordnet.

17.
    Die Kommission beantragt,

—    die Klagen abzuweisen;

—    den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung

18.
    Zunächst ist festzustellen, daß nach ständiger Rechtsprechung Verfahrensvorschriften im allgemeinen auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigen Verfahren anwendbar sind, während materiell-rechtliche Vorschriften gewöhnlich nicht auf vor ihrem Inkrafttreten erworbene Rechtsstellungen anwendbar sind (vgl. insbesondere Urteil vom 6. Juli 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-121/91 und 122/91, CT Control [Rotterdam] und JCT Benelux/Kommission, Slg. 1993, I-3873, Randnr. 22).

19.
    Daraus folgt — und die Parteien haben dem nicht widersprochen —, daß die auf das Verfahren vor der Kommission anwendbaren Vorschriften diejenigen der Verordnung Nr. 2454/93 und die auf den vorliegenden Fall anwendbaren materiell-rechtlichen Vorschriften diejenigen des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 sind.

20.
    Die Klägerinnen haben ihren Nichtigkeitsantrag im wesentlichen auf fünf Gründe gestützt.

Zum ersten Klagegrund: Unzuständigkeit der Kommission

Vorbringen der Parteien

21.
    Die Klägerinnen tragen vor, nach Artikel 873 der Verordnung Nr. 2454/93 sei die Kommission uneingeschränkt befugt, zu entscheiden, ob eine nachträgliche buchmäßige Erfassung vorzunehmen sei, und zwar auch dann, wenn die nationalen Zollbehörden der Auffassung seien, daß die Voraussetzungen von Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) (oder — ehemals — Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79) erfüllt seien. Diese Bestimmung verstoße gegen die in der Rechtsprechung des Gerichtshofes aufgestellten Grundsätze, wonach der Importeur bei Erfüllung der Voraussetzungen des Artikels 220 Absatz 2 Buchstabe b einen Anspruch darauf habe, daß von einer Nacherhebung von Abgaben abgesehen werde. Die Kommission sei daher zum Erlaß der Entscheidung nicht befugt gewesen.

22.
    Die Kommission macht zunächst geltend, der Klagegrund sei unzulässig, da die Klägerinnen als juristische Personen von der Verordnung Nr. 2454/93 nicht unmittelbar und individuell betroffen seien.

23.
    Entgegen der Auffassung der Klägerinnen erlaubten die Artikel 871 ff. der Verordnung Nr. 2454/93 es ihr auch nicht, den Anspruch des Abgabenschuldners auf Nichterhebung der Zollabgaben zu umgehen, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt seien.

Würdigung durch das Gericht

24.
    Die geltend gemachte Unzulässigkeit des Klagegrundes würde voraussetzen, daß die Klägerinnen nach Artikel 173 des Vertrages die Nichtigerklärung von Bestimmungen der Verordnung Nr. 2454/93 begehren. Dies ist jedoch nicht der Fall. Wie die Klägerinnen in ihrer Erwiderung ausgeführt haben, ist ihr Klagegrund vielmehr als Antrag auf Auslegung dieser Bestimmungen nach den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts zu verstehen.

25.
    Daher ist der Einwand der Unzulässigkeit des Klagegrundes zurückzuweisen.

26.
    Was die materiell-rechtliche Prüfung angeht, so ist unstreitig, daß der Abgabenschuldner einen Anspruch darauf hat, daß von einer Nacherhebung abgesehen wird, wenn die Voraussetzungen des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 erfüllt sind (vgl. insbesondere Urteile des Gerichtshofes vom 27. Juni 1991 in der Rechtssache C-348/89, Mecanarte, Slg. 1991, I-3277, Randnr. 12, vom 4. Mai 1993 in der Rechtssache C-292/91, Weis, Slg. 1993, I-2219, Randnr. 15, und vom 14. Mai 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-153/94 und C-204/94, Faroe Seafood u. a., Slg. 1996, I-2465, Randnr. 84).

27.
    Im übrigen bestimmt Artikel 871 der Verordnung Nr. 2454/93: „Sind die Zollbehörden in anderen Fällen als denen nach Artikel 869 der Meinung, daß die Voraussetzungen des Artikels 220 Absatz 2 Buchstabe b) des Zollkodex vorliegen, oder hegen sie hinsichtlich der genauen Tragweite der Voraussetzungen der genannten Vorschrift in dem betreffenden Fall Zweifel, so legen sie den Fall mit allen entscheidungserheblichen Einzelheiten der Kommission zur Prüfung nach dem Verfahren der Artikel 872 bis 876 vor.“ Artikel 873 dieser Verordnung sieht vor: „[D]ie Kommission [entscheidet], ob der geprüfte Sachverhalt es zuläßt, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung abzusehen oder nicht.“

28.
    Somit steht nach den Artikeln 871 bis 873 der Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission insbesondere in den Fällen eine Entscheidungsbefugnis zu, in denen die zuständigen Behörden der Ansicht sind, daß die Voraussetzungen für einAbsehen von der Nacherhebung der Zölle erfüllt sind.

29.
    Durch diese Entscheidungsbefugnis soll die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts gewährleistet werden (vgl. zu der vor Inkrafttreten von Artikel 871 der Verordnung Nr. 2454/93 anwendbaren Bestimmung Urteile des Gerichtshofes vom 26. Juni 1990 in der Rechtssache C-64/89, Deutsche Fernsprecher, Slg. 1990, I-2535, Randnr. 13, Mecanarte, Randnr. 33, und Faroe Seafood u. a., Randnr. 80).

30.
    Der Mechanismus der Verweisung an die Kommission wäre jedoch bedeutungslos, wenn die Kommission verpflichtet wäre, der Auffassung zu folgen, die von den Zollbehörden in ihrem an sie gerichteten Antrag vertreten wird.

31.
    Gleichwohl gibt diese Entscheidungsbefugnis der Kommission keineswegs das Recht, den Anspruch des Abgabenschuldners darauf, daß von einer Nacherhebung der Abgaben abgesehen wird, zu verletzen, wenn sie am Ende ihrer Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, daß die Voraussetzungen für ein solches Absehen von der Nacherhebung zugunsten des Unternehmens erfüllt sind.

32.
    Der erste Klagegrund ist mithin zurückzuweisen.

Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen die Artikel 871 bis 874 der Verordnung Nr. 2454/93

Vorbringen der Parteien

33.
    Die Klägerinnen weisen mit dem ersten Teil dieses Klagegrundes darauf hin, daß die Kommission nach Artikel 871 der Verordnung Nr. 2454/93 zusätzliche Angaben anfordern könne und folglich auch müsse, „wenn sich herausstellt, daß die von dem Mitgliedstaat mitgeteilten Angaben nicht ausreichen, um in voller Kenntnis der Sachlage über den Fall zu entscheiden“.

34.
    Die Kommission habe sich daher nicht allein auf den Standpunkt der norwegischen Behörden beziehen dürfen, mit dem die Gültigkeit der Ursprungsbescheinigungen in Frage gestellt worden sei, da diese Feststellung sogar vom obersten norwegischen Gerichtshof, dem Høyesterett, in einem Urteil vom 2. April 1993 lange vor Erlaß der Entscheidung bezweifelt worden sei. Wenn die Kommission keine zusätzliche Prüfung durchgeführt hätte, hätte sie nicht in voller Kenntnis der Sachlage entschieden.

35.
    Mit dem zweiten Teil dieses Klagegrundes machen die Klägerinnen geltend, daß die Nacherhebung der Abgaben angesichts der in den Artikeln 871 bis 874 der Verordnung Nr. 2454/93 vorgesehenen eindeutigen Fristen nicht hätte angeordnet werden dürfen. Im vorliegenden Fall hätten nämlich die Einfuhren 1990 und 1991 stattgefunden, und die Klägerinnen hätten die nationalen italienischen Behörden im Dezember 1993 um Anrufung der Kommission ersucht; die Entscheidung sei jedoch erst am 8. Oktober 1996 erlassen und den Klägerinnen erst am 22. November 1996 übermittelt worden.

36.
    Die Kommission wendet ein, sie sei gemäß den Vorschriften der Artikel 871 bis 874 der Verordnung Nr. 2454/93 vorgegangen (vgl. insbesondere Urteile des Gerichtshofes vom 7. Dezember 1993 in der Rechtssache C-12/92, Huygen u. a., Slg. 1993, I-6381, und Faroe Seafood u. a., Randnrn. 16 und 63; Urteil des Gerichts

vom 9. November 1995 in der Rechtssache T-346/94, France-aviation/Kommission, Slg. 1995, II-2841, Randnrn. 30 bis 36).

Würdigung durch das Gericht

37.
    Zum ersten Teil dieses Klagegrundes ist daran zu erinnern, daß nach Artikel 871 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 „die Zollbehörden ... den Fall mit allen entscheidungserheblichen Einzelheiten der Kommission zur Prüfung ... vor[legen]“. Artikel 871 Absatz 3 bestimmt: „Die Kommission kann zusätzliche Angaben anfordern, wenn sich herausstellt, daß die von dem Mitgliedstaat mitgeteilten Angaben nicht ausreichen, um in voller Kenntnis der Sachlage über den Fall zu entscheiden.“

38.
    Im vorliegenden Fall haben die norwegischen Behörden ihre italienischen Amtskollegen darüber unterrichtet, daß der Exporteur außerstande sei, den norwegischen Ursprung der Waren nachzuweisen. Wenn sich aber bei einer nachträglichen Kontrolle der in der Bescheinigung EUR 1 angegebene Ursprung der Ware nicht bestätigen läßt, so ist daraus zu schließen, daß ihr Ursprung unbekannt ist und daß die Bescheinigung EUR 1 zu Unrecht ausgestellt und der Vorzugstarif zu Unrecht gewährt worden ist. Die Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats müssen in diesem Fall die bei der Einfuhr nicht erhobenen Zölle grundsätzlich nacherheben (Urteile Huygen u. a., Randnr. 17, und Faroe Seafood u. a., Randnr. 16).

39.
    Nachdem die norwegischen Behörden den italienischen mitgeteilt hatten, daß der Exporteur den norwegischen Ursprung der fraglichen Waren nicht habe nachweisen können, haben weder die italienischen Behörden noch die Klägerinnen diese Schlußfolgerung beanstandet.

40.
    Insbesondere haben sich die Klägerinnen zwar auf ihre Gutgläubigkeit berufen, sie haben jedoch in ihrem Schriftwechsel mit den italienischen Behörden die Angaben der norwegischen Behörden nicht bezweifelt. Der Vertreter der Klägerinnen hat im übrigen mit Schreiben vom 30. Januar 1996 dargelegt, daß den der Kommission von den italienischen Behörden übermittelten Unterlagen nichts hinzuzufügen sei.

41.
    Unter diesen Umständen durfte die Kommission davon ausgehen, daß die ihr übermittelten Unterlagen vollständig waren und daß für sie kein Anlaß bestehe, zusätzliche Informationen anzufordern.

42.
    Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß von den Beweismitteln, auf die sich die Klägerinnen berufen, nur das Urteil des Høyesterett vom 2. April 1993 nicht in den der Kommission übersandten Unterlagen enthalten war. Bei diesem Urteil ging es jedoch um die Strafverfolgung zweier Personen wegen Fälschung von Gesundheitsbescheinigungen für Fischereierzeugnisse, die in verschiedene Länder ausgeführt worden waren. Wie die Kommission feststellt, hat das Høyesterett nur

über diese Frage entschieden und nicht festgestellt, daß die fraglichen Erzeugnisse norwegischen Ursprungs gewesen seien.

43.
    Zum zweiten Teil des Klagegrundes ist auf Artikel 871 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2454/93 hinzuweisen, wonach „[d]ie Kommission ... dem betreffenden Mitgliedstaat unverzüglich den Eingang der Vorlage [der Zollbehörden dieses Mitgliedstaats bestätigt]“. Artikel 872 Absatz 1 dieser Verordnung lautet: „Innerhalb von 15 Tagen nach Eingang der Vorlage nach Artikel 871 erster Unterabsatz übersendet die Kommission den Mitgliedstaaten eine Abschrift davon.“ Nach Artikel 873 Absatz 2 Satz 1 ist „diese Entscheidung ... innerhalb von sechs Monaten nach Eingang der Vorlage nach Artikel 871 erster Unterabsatz bei der Kommission zu treffen“. Schließlich ist nach Artikel 874 Absatz 1 „die in Artikel 873 genannte Entscheidung ... dem betreffenden Mitgliedstaat unverzüglich, spätestens jedoch 30 Tage nach Ablauf der dort vorgesehenen Frist bekanntzugeben“.

44.
    Im vorliegenden Fall machen die Klägerinnen nichts geltend, womit dargetan werden könnte, daß diese Bestimmungen verletzt worden wären. So sind diese Bestimmungen weder auf den Zeitraum von den Einfuhren bis zum Erlaß der Entscheidung der Kommission noch auf denjenigen anwendbar, der zwischen dem Ersuchen der Unternehmen an die nationalen Behörden, die Kommission zu befassen, und der tatsächlichen Befassung der Kommission liegt. Diese Zeiträume haben daher keine Auswirkungen auf die Frage, ob die Kommission die in diesen Bestimmungen vorgesehenen Fristen eingehalten hat.

45.
    Demgemäß ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.

Zum dritten und zum vierten Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 und den allgemeinen Grundsatz des Vertrauensschutzes

Vorbringen der Parteien

46.
    Die Klägerinnen tragen vor, ein Zoll könne nur dann nacherhoben werden, wenn der Importeur habe erkennen müssen, daß ihm ein Irrtum oder eine Unaufmerksamkeit der Zollbehörde zugute gekommen sei (Urteile des Gerichtshofes vom 15. Dezember 1983 in der Rechtssache 283/82, Schoellershammer/Kommission, Slg. 1983, 4219, Randnr. 7, vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 160/84, Oryzomyli Kavallas u. a./Kommission, Slg. 1986, 1633, Randnr. 21, und vom 1. April 1993 in der Rechtssache C-250/91, Hewlett Packard France, Slg. 1993, I-1819, Randnrn. 45 und 46).

47.
    Wenn also, wie im vorliegenden Fall, die Fälschung der Ursprungsbescheinigungen durch das Ausfuhrunternehmen vom Einfuhrunternehmen nicht habe erkannt werden können, dürfe es keine Nacherhebung geben (Urteile Deutsche Fernsprecher, Randnr. 17, und Hewlett Packard France, Randnr. 28; Urteil des

Gerichtshofes vom 18. Januar 1996 in der Rechtssache C-446/93, SEIM, Slg. 1996, I-73, Randnrn. 40 bis 48).

48.
    Außerdem habe die Kommission in ihrer Entscheidung zu Unrecht die Ansicht vertreten, daß die etwaige Ungültigkeit von Bescheinigungen EUR 1 zum kaufmännischen Risiko gehöre.

49.
    Die Klägerinnen schließen daraus, daß die Anordnung einer Nacherhebung der Zölle gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen würde, da sie den begangenen Fehler nicht hätten erkennen können. Insoweit verweisen sie darauf, daß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 nach der Rechtsprechung Ausdruck einer allgemeinen Billigkeitsvorschrift sei.

50.
    Die Kommission trägt vor, eine der drei kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79, wie dieser in der Rechtsprechung ausgelegt werde — daß nämlich die Nichterhebung der Zölle auf einen Irrtum der zuständigen Behörden zurückzuführen sei —, sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt (insbesondere Urteile Mecanarte und Faroe Seafood u. a.).

51.
    Außerdem könne sich ein Abgabenschuldner in einer Lage wie derjenigen des vorliegenden Falles nicht auf ein berechtigtes Vertrauen berufen (insbesondere Urteil des Gerichtshofes vom 13. November 1984 in den verbundenen Rechtssachen 98/83 und 230/83, Van Gend & Loos und Bosman/Kommission, Slg. 1984, 3763, und Urteile Mecanarte und Faroe Seafood u. a.).

52.
    Daher müsse der Abgabenschuldner das kaufmännische Risiko tragen, das sich aus einer unrichtigen Ursprungsanmeldung des Ausführers ergebe (Urteile des Gerichtshofes vom 11. Dezember 1980 in der Rechtssache 827/79, Acampora, Slg. 1980, 3731, Randnr. 8, und SEIM, Randnr. 45); gegen dieses Risiko müsse er sich absichern (Urteil Faroe Seafood u. a., Randnr. 114).

Würdigung durch das Gericht

53.
    Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 bestimmt: „Die zuständigen Behörden können von einer Nacherhebung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben absehen, deren Nichterhebung auf einen Irrtum der zuständigen Behörden zurückzuführen ist, sofern dieser Irrtum vom Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnte und letzterer gutgläubig gehandelt und alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet hat.“

54.
    Nach ständiger Rechtsprechung müssen die Voraussetzungen dieser Bestimmung kumulativ erfüllt sein (insbesondere Urteile Mecanarte, Randnr. 12, und Faroe Seafood u. a., Randnr. 83).

55.
    Die erste dieser Voraussetzungen ist das Vorliegen eines Irrtums der zuständigen Behörden.

56.
    Die norwegischen Zollbehörden sind unstreitig zuständige Behörden im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 (Urteile Mecanarte, Randnr. 22, und Faroe Seafood u. a., Randnr. 88).

57.
    Im vorliegenden Fall steht fest, daß der den vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Irrtum derjenige ist, der vom Exporteur begangen wurde, der für die Waren einen norwegischen Ursprung angegeben hat, was er später nicht beweisen konnte.

58.
    Nach dem Wortlaut von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 ist das berechtigte Vertrauen des Abgabenschuldners nur dann im Sinne dieser Bestimmung schutzwürdig, wenn die Grundlage für das Vertrauen des Abgabenschuldners gerade von den zuständigen Behörden geschaffen wurde. Somit begründen lediglich solche Irrtümer, die auf ein Handeln der zuständigen Behörde zurückzuführen sind, einen Anspruch auf ein Absehen von der Nacherhebung (Urteil Mecanarte, Randnr. 23, und Faroe Seafood u. a., Randnr. 91).

59.
    Diese Voraussetzung kann nicht als erfüllt angesehen werden, wenn die zuständigen Behörden durch unrichtige Erklärungen des Exporteurs insbesondere zum Warenursprung, deren Gültigkeit sie nicht festzustellen oder zu überprüfen haben, irregeführt werden (Urteile Mecanarte, Randnr. 24, und Faroe Seafood u. a., Randnr. 92).

60.
    Der Abgabenschuldner kann zudem kein geschütztes Vertrauen in die Gültigkeit von Bescheinigungen daraus herleiten, daß diese von den Zollstellen eines Mitgliedstaats zunächst angenommen wurden; denn die Rolle dieser Dienste bei der ersten Entgegennahme der Erklärungen steht späteren Prüfungen nichtentgegen (Urteil Faroe Seafood u. a., Randnr. 93).

61.
    Für das Vorliegen eines Irrtums der zuständigen Behörden im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 genügt es daher nicht, daß die zuständigen norwegischen Behörden in den Bescheinigungen EUR 1 den norwegischen Warenursprung bescheinigt oder daß die zuständigen italienischen Behörden den in den Bescheinigungen angegebenen Warenursprung zunächst akzeptiert haben (Urteil Faroe Seafood u. a., Randnr. 94).

62.
    Zwar kann die Möglichkeit, die Bescheinigung EUR 1 nach der Einfuhr zu überprüfen, ohne daß der Importeur darauf zuvor hingewiesen wurde, diesem Schwierigkeiten bereiten, wenn er im Vertrauen auf Bescheinigungen, die — ohne daß er es wußte — unrichtig oder gefälscht waren, gutgläubig annahm, unter Zollpräferenzen fallende Waren einzuführen. Zunächst ist jedoch festzustellen, daß die Gemeinschaft nicht die nachteiligen Folgen des rechtswidrigen Verhaltens der Lieferanten von Importeuren zu tragen hat, sodann, daß der Importeur Klage auf Schadensersatz gegen den Urheber der Fälschung erheben kann, und schließlich, daß ein umsichtiger und mit der Rechtslage vertrauter Unternehmer bei der

Einschätzung der Vorteile, die sich aus dem Handel mit Waren ergeben können, für die möglicherweise Zollpräferenzen gewährt werden, die Risiken berücksichtigen muß, die auf dem Markt, auf dem er akquiriert, bestehen, und sie als Teil der normalen Unzuträglichkeiten des Geschäftslebens in Kauf nehmen muß (Urteil des Gerichtshofes vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-97/95, Pascoal & Filhos, Slg. 1997, I-4209, Randnr. 59).

63.
    Es ist nämlich Sache der Wirtschaftsteilnehmer, im Rahmen ihrer vertraglichen Beziehungen die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um sich gegen die Risiken einer Nacherhebung abzusichern (Urteile Faroe Seafood u. a., Randnr. 114, und Pascoal & Filhos, Randnr. 60).

64.
    Infolgedessen ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß im vorliegenden Fall kein Irrtum der zuständigen Behörden im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 vorliege und daß die Klägerinnen sich nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen könnten.

65.
    Da die Voraussetzungen von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 kumulativ vorliegen müssen und die erste Voraussetzung jedenfalls nicht erfüllt war, brauchte die Kommission die weiteren Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung nicht zu prüfen. Ebensowenig ist das Vorbringen der Klägerinnen zu diesen weiteren Voraussetzungen zu prüfen.

66.
    Der dritte und der vierte Klagegrund sind somit zurückzuweisen.

Zum fünften Klagegrund: Verstoß gegen die Begründungspflicht

Vorbringen der Parteien

67.
    Die Klägerinnen werfen der Kommission vor, in der Entscheidung ohne Nachweis lediglich behauptet zu haben, daß die Bescheinigungen EUR 1 „nicht gültig [waren]“.

68.
    Aufgrund einer eingehenderen Prüfung, die um so mehr gerechtfertigt gewesen wäre, als die Klägerinnen am Verfahren nicht beteiligt gewesen seien, hätte die Kommission jedoch feststellen können, daß das von den norwegischen Gerichten gegen das norwegische Ausfuhrunternehmen erlassene erstinstanzliche Urteil, mit dem festgestellt worden sei, daß das Ursprungszeugnis eine von diesem Ausfuhrunternehmen angefertigte Fälschung gewesen sei, durch ein Urteil des Høyesterett vom 2. April 1993 gerade in bezug auf den Ursprung der Waren aufgehoben worden sei.

69.
    Da die Klägerinnen das Urteil des Høyesterett als Anlage zu ihren Klageschriften in den vorliegenden Rechtssachen vorgelegt hätten, trage die Kommission zu Unrecht vor, daß der Mangel der Gültigkeit der Ursprungszeugnisse nicht beanstandet worden sei.

70.
    Nach Ansicht der Kommission genügt die Entscheidung den Erfordernissen des Artikels 190 des Vertrages.

Würdigung durch das Gericht

71.
    Nach ständiger Rechtsprechung muß die nach Artikel 190 des Vertrages notwendige Begründung die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, so klar und unzweideutig wiedergeben, daß die Betroffenen zur Wahrnehmung ihrer Rechte die tragenden Gründe für die Maßnahme erfahren können und daß der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann (u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 1990 in der Rechtssache C-323/88, Sermes, Slg. 1990, I-3027, Randnr. 38).

72.
    Im vorliegenden Fall hat die Kommission in den Begründungserwägungen der Entscheidung nacheinander ausgeführt, daß die Bescheinigungen EUR 1 nicht gültig seien, daß diese Ungültigkeit zum kaufmännischen Risiko gehöre, daß die ursprüngliche Annahme dieser Bescheinigungen durch die Zollbehörden nicht zu einem berechtigten Vertrauen bei den Importeuren habe führen können und daß ein von den zuständigen Behörden begangener Irrtum im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 nicht vorliege.

73.
    Die Entscheidung gibt somit klar und unzweideutig die Begründung der Kommission wieder.

74.
    Der Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum Hilfsantrag auf Feststellung, daß die Entscheidung keine Wirkungen zeitigt

75.
    Für den Fall, daß das Gericht die Entscheidung nicht für nichtig erklärt, beantragen die Klägerinnen, festzustellen, daß sich die Entscheidung nicht auf ihren Anspruch auf ein Absehen von einer Nacherhebung der Zölle auswirkt.

76.
    Nach Artikel 174 des Vertrages erklärt das Gericht die angefochtene Handlung für nichtig, wenn die Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 des Vertrages begründet ist. Ein Hilfsantrag wie der von den Klägerinnen gestellte fällt somit nicht in die Zuständigkeit des Gerichts und ist daher unzulässig.

Zum Hilfsantrag, die Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären, als sich der geforderte Zollbetrag auf den Zollschein Nr. 7338 F erstreckt

Vorbringen der Parteien

77.
    In der Rechtssache T-11/97 macht die Klägerin geltend, aus dem Schreiben der Zollbehörden von Verona vom 22. November 1996, mit dem ihr der nachzuerhebende Zollbetrag mitgeteilt worden sei, gehe hervor, daß dieser

Gesamtbetrag auch den Betrag aus dem Zollschein Nr. 7338 F vom 27. September 1990 umfasse, der keine Waren betreffe, deren Ursprung bezweifelt worden sei.

78.
    Die Entscheidung sei daher insoweit für nichtig zu erklären, als sie sich auf diesen Betrag, nämlich 12 614 070 LIT, beziehe.

79.
    Der Betrag der Zollschuld sei in Artikel 1 der Entscheidung ausdrücklich angeführt.

80.
    Die Kommission wendet ein, dieser Klagegrund sei unzulässig. Sie weist darauf hin, daß sie von den italienischen Behörden auf Antrag der Klägerin nur zu dem Zweck angerufen worden sei, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 erfüllt seien. Sie habe sich mithin weder zur Fälligkeit noch zur Höhe der fraglichen Zollschuld geäußert. Die Klägerin könne daher gegen die Entscheidung keine Gründe vorbringen, mit denen nachgewiesen werden solle, daß die Entscheidungen der zuständigen nationalen Behörden, mit denen die Zahlung der streitigen Abgaben verlangt werde, rechtswidrig seien. Für eine derartige Rüge seien daher nur die nationalen Gerichte zuständig (Urteil des Gerichtshofes vom 12. März 1987 in den verbundenen Rechtssachen 244/85 und 245/85, Cerealmangimi und Italgrani/Kommission, Slg. 1987, 1303, Randnrn. 9 bis 13, und Urteil CT Control [Rotterdam] und JCT Benelux/Kommission, Randnrn. 42 bis 46).

Würdigung durch das Gericht

81.
    Die der Kommission in den Artikeln 871 und 873 der Verordnung Nr. 2454/93 zuerkannte Entscheidungsbefugnis bezieht sich nur auf die Frage, ob bei Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 erfüllt sind.

82.
    Die Kommission bestimmt somit nicht die Höhe der Schuld, deren Begleichung verlangt werden kann. Daher ist die Bezugnahme auf den Zollschein Nr. 7338 F auch erst im Schreiben der italienischen Behörden an das Unternehmen vom 22. November 1996 erfolgt.

83.
    Zwar bestimmt Artikel 1 der Entscheidung: „Die Einfuhrabgaben in Höhe von 148 890 000 LIT, die Gegenstand des Antrags Italiens vom 2. Februar 1996 sind, sind nachzuerheben.“ Der angegebene Betrag entspricht jedoch nicht einer eigenen Berechnung der Kommission, sondern allein dem Gesamtbetrag, der von den italienischen Behörden in ihrem Antrag angegeben war, auf den Artikel 1 des verfügenden Teils ausdrücklich Bezug nimmt.

84.
    Unter diesen Umständen ist dieser Antrag zurückzuweisen, da er keinen Einfluß auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung haben kann und für ihn vielmehr das nationale Gericht zuständig ist, das über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts der italienischen Behörden zu entscheiden hat, mit dem die Nacherhebung der Abgaben angeordnet wurde.

Zum Hilfsantrag, die Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären, als sie die Zahlung von Zinsen betrifft

Vorbringen der Parteien

85.
    Die Klägerinnen tragen vor, der Betrag, dessen Zahlung die Zollbehörden im Schreiben vom 22. November 1996 von ihnen verlangten, enthalte auch Zinsen und unterliege weiter der Verzinsung wegen Verzugs.

86.
    Artikel 7 der Verordnung Nr. 1697/79, der auf den Sachverhalt des vorliegenden Falles anwendbar sei, verbiete jedoch die Erhebung von Verzugszinsen für die nachgeforderten Beträge, wenn die geschuldeten Zölle infolge eines Irrtums der zuständigen Behörden nicht erhoben worden seien.

87.
    Aus den bereits genannten Gründen (siehe oben, Randnr. 80) hält die Kommission diesen Klagegrund jedoch für unzulässig. Die Voraussetzung für die Anwendung von Artikel 7 liege jedenfalls nicht vor, da die Nichterhebung der Zölle nicht auf einen Irrtum der zuständigen Behörden zurückzuführen sei.

Würdigung durch das Gericht

88.
    Dieser Antrag ist aus den gleichen Gründen wie den bereits dargelegten (siehe oben, Randnrn. 81 bis 84) zurückzuweisen.

Zum Schadensersatzantrag

Vorbringen der Parteien

89.
    Die Klägerinnen führen aus, entgegen der Auffassung der Kommission sei der Schadensersatzantrag nicht unzulässig (Urteil des Gerichts vom 24. September 1996 in der Rechtssache T-485/93, Dreyfus/Kommission, Slg. 1996, II-1101, Randnr. 73).

90.
    In materiell-rechtlicher Hinsicht vertreten sie die Ansicht, die Kommission habe bei der Prüfung der Sache insoweit einen Fehler begangen, als sie zum einen nicht mit der nach der Verordnung Nr. 2454/93 gebotenen Sorgfalt vorgegangen sei und zum anderen keine zusätzlichen Informationen eingeholt habe, wozu sie jedoch verpflichtet gewesen wäre (Urteil des Gerichtshofes vom 24. Februar 1994 in der Rechtssache C-368/92, Chiffre, Slg. 1994, I-605, Randnrn. 19 und 30).

91.
    Der aufgrund dieses Fehlers entstandene Schaden entspreche dem Zollbetrag, den die Klägerinnen letztlich an die italienischen Behörden zahlen müßten.

92.
    Die Kommission macht geltend, nach der Rechtsprechung sei ein Schadensersatzantrag für unzulässig zu erklären, wenn er in Wirklichkeit darauf gerichtet sei, die Wirkungen der Entscheidung zu beseitigen, deren Nichtigerklärung

außerdem beantragt werde, wie dies hier der Fall sei (Urteil des Gerichtshofes vom 26. Februar 1986 in der Rechtssache 175/84, Krohn/Kommission, Slg. 1986, 753).

93.
    Hilfsweise macht die Kommission geltend, der Antrag sei unbegründet, da ihr im vorliegenden Fall kein Fehlverhalten zur Last gelegt werden könne.

Würdigung durch das Gericht

94.
    Nach der Rechtsprechung kann die Unzulässigkeit einer auf Artikel 173 des Vertrages gestützten Nichtigkeitsklage ausnahmsweise die Unzulässigkeit einer nach Artikel 215 des Vertrages erhobenen Schadensersatzklage nach sich ziehen, wenn mit dieser in Wirklichkeit die Aufhebung einer rechtskräftig gewordenen Einzelfallentscheidung begehrt wird (u. a. Urteil Krohn/Kommission, Randnr. 33).

95.
    Im vorliegenden Fall beruft sich die Kommission nicht auf die Unzulässigkeit, sondern nur auf die Unbegründetheit der Nichtigkeitsklage. Die von ihr angeführte Rechtsprechung ist somit auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

96.
    In materiell-rechtlicher Hinsicht ist festzustellen, daß das von den Klägerinnenangeführte Fehlverhalten dem ersten und dem zweiten Teil des für den Nichtigkeitsantrag angeführten Klagegrundes entspricht.

97.
    Da die Beurteilung dieser beiden Teile des Klagegrundes durch das Gericht keinen Rechts- oder Tatsachenirrtum der Kommission ergeben hat, ist zu folgern, daß die Klägerinnen zu Unrecht einen Fehler der Kommission geltend machen.

98.
    Unter diesen Umständen ist der Antrag auf Ersatz des angeblich entstandenen Schadens zurückzuweisen.

99.
    Folglich ist die Klage insgesamt abzuweisen.

Kosten

100.
    Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen gemäß den Anträgen der Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.    Die Klagen werden abgewiesen.

2.    Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.

Tiili
Briët
Potocki

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. Juni 1998.

Der Kanzler

Die Präsidentin

H. Jung

V. Tiili


1: Verfahrenssprache: Italienisch.