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Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Sofia-grad (Bulgarien), eingereicht am 30. Juli 2018 – BT/Balgarska narodna banka

(Rechtssache C-501/18)

Verfahrenssprache: Bulgarisch

Vorlegendes Gericht

Administrativen sad Sofia-grad

Parteien des Ausgangsverfahrens

Klägerin: BT

Beklagte: Balgarska narodna banka

Vorlagefragen

Folgt aus den unionsrechtlichen Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität, dass ein nationales Gericht verpflichtet ist, von Amts wegen eine Klage als wegen Nichterfüllung einer Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) durch einen Mitgliedstaat erhoben einzustufen, wenn die Klage die außervertragliche Haftung des Mitgliedstaats für Schäden aus einem Unionsrechtsverstoß zum Gegenstand hat, die eine Behörde eines Mitgliedstaats verursacht haben soll, und

Art. 4 Abs. 3 EUV nicht ausdrücklich als Rechtsgrundlage in der Klageschrift angegeben wurde, sich aber aus der Begründung der Klage ergibt, dass der Schaden wegen Verstoßes gegen unionsrechtliche Bestimmungen geltend gemacht wird;

der Schadensersatzanspruch auf eine nationale Vorschrift über die Haftung des Staates für bei der Ausübung von Verwaltungstätigkeit entstandene Schäden gestützt wurde, die verschuldensunabhängig ist und unter folgenden Voraussetzungen ausgelöst wird: Rechtswidrigkeit eines Rechtsakts, Tuns oder Unterlassens einer Behörde oder eines Bediensteten bei oder anlässlich der Ausübung von Verwaltungstätigkeit; eingetretener Schaden materieller oder immaterieller Natur; direkter und unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem rechtswidrigen Verhalten der Behörde;

nach dem Recht des Mitgliedstaats das Gericht die Rechtsgrundlage der Haftung des Staates für die Tätigkeit der Justizbehörden aufgrund der Umstände, auf die die Klage gestützt ist, von Amts wegen bestimmen muss?

Folgt aus dem 27. Erwägungsgrund der Verordnung (EU) Nr. 1093/20101 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), dass die auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 3 der Verordnung herausgegebene Empfehlung, in der eine Verletzung des Unionsrechts durch die Zentralbank eines Mitgliedstaats im Zusammenhang mit den Fristen für die Auszahlung der gesicherten Einlagen an die Einleger in dem jeweiligen Kreditinstitut festgestellt wurde, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens:

den Einlegern bei diesem Kreditinstitut das Recht verleiht, sich vor einem nationalen Gericht auf die Empfehlung zu berufen, um eine Klage auf Schadensersatz wegen ebendieses Verstoßes gegen das Unionsrecht zu begründen, wenn man die Befugnis der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde berücksichtigt, Verletzungen des Unionsrechts festzustellen und wenn man beachtet, dass die Einleger keine Adressaten der Empfehlung sind und auch nicht sein können und diese keine unmittelbaren Rechtsfolgen für sie begründet;

im Hinblick auf die Voraussetzung gültig ist, dass die verletzte Vorschrift klare und unbedingte Verpflichtungen vorsehen muss, wenn man berücksichtigt, dass Art. 1 Nr. 3 Ziff. i der Richtlinie 94/19/EG2 über Einlagensicherungssysteme, wenn er in Verbindung mit den Erwägungsgründen 12 und 13 dieser Richtlinie ausgelegt wird, nicht alle Elemente enthält, die notwendig sind, um eine klare und unbedingte Verpflichtung für die Mitgliedstaaten zu begründen und den Einlegern keine unmittelbaren Rechte verleiht, sowie unter Beachtung der Tatsache, dass diese Richtlinie nur eine Mindestharmonisierung vorsieht, die nicht die Anhaltspunkte umfasst, anhand deren nichtverfügbare Einlagen festzustellen sind, und dass die Empfehlung nicht mit anderen klaren und unbedingten Vorschriften des Unionsrechts in Bezug auf diese Anhaltspunkte begründet wurde, nämlich u. a. die Beurteilung der fehlenden Liquidität und die gegenwärtig fehlende Aussicht auf Auszahlung; eine bestehende Verpflichtung zur Anordnung von Frühinterventionsmaßnahmen und zur Fortführung der Geschäftstätigkeit des Kreditinstituts;

angesichts des Gegenstands, der Einlagensicherung, und der Befugnis der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde, nach Art. 26 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 Empfehlungen zum Einlagensicherungssystem herauszugeben, in Bezug auf die nationale Zentralbank gültig ist, die keinen Bezug zum nationalen Einlagensicherungssystem hat und keine zuständige Behörde gemäß Art. 4 Nr. 2 Ziff. iii dieser Verordnung ist?

Folgt aus den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. Oktober 2004, Paul u. a. (C-222/02, EU:C:2004:606, Rn. 38, 39, 43 und 49 bis 51), vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame (C-46/93 und C-48/93, EU:C:1996:79, Rn. 42 und 51), vom 15. Juni 2000, Dorsch Consult/Rat und Kommission (C-237/98 P, EU:C:2000:321, Rn. 19), und vom 2. Dezember 1971, Zuckerfabrik Schöppenstedt/Rat (5/71, EU:C:1971:116 Rn. 11), auch unter Berücksichtigung des heutigen Stands des für das Ausgangsverfahren relevanten Unionsrechts, dass:

A)    die Vorschriften der Richtlinie 94/19, insbesondere deren Art. 7 Abs. 6, den Einlegern das Recht verleihen, gegen einen Mitgliedstaat Schadensersatzansprüche wegen unzureichender Aufsicht über das Kreditinstitut, das ihre Einlagen verwaltet, geltend zu machen und sind diese Rechte auf die gesicherte Höhe der Einlagen beschränkt oder ist der Begriff „Entschädigungsanspruch“ in dieser Vorschrift weit auszulegen?

B)    die von der Zentralbank eines Mitgliedstaats angeordneten Aufsichtsmaßnahmen zur Sanierung eines Kreditinstituts wie die im Ausgangsverfahren, darunter die Aussetzung der Zahlungen, die insbesondere in Art. 2 siebter Gedankenstrich der Richtlinie 2001/24/EG3 vorgesehen sind, eine nicht gerechtfertigte und unverhältnismäßige Beschränkung des Eigentumsrechts der Einleger darstellen, die die außervertragliche Haftung für Schäden aus einem Unionsrechtsverstoß auslöst, wenn angesichts Art. 116 Abs. 5 des Gesetzes über die Kreditinstitute sowie Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 und Art. 94 Abs. 1 Nr. 4 des Bankeninsolvenzgesetzes das Recht des jeweiligen Mitgliedstaats vorsieht, dass für die Dauer der Maßnahmen vertragliche Zinsen berechnet werden und die die gesicherte Höhe der Einlagen übersteigenden Forderungen im allgemeinen Insolvenzverfahren befriedigt werden sowie dass Zinsen gezahlt werden können?

C)    die im nationalen Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen Voraussetzungen für die außervertragliche Haftung für Schäden, die aufgrund von Tun und Unterlassen im Zusammenhang mit der Ausübung der vom Anwendungsbereich des Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV umfassten Aufsichtsbefugnisse durch die Zentralbank eines Mitgliedstaats, entstanden sind, nicht den nach dem Unionsrecht geltenden Voraussetzungen und Grundsätzen dieser Haftung zuwiderlaufen dürfen, und zwar konkret: dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Schadensersatzklage von der Nichtigkeitsklage und der festgestellten Unzulässigkeit einer Voraussetzung nach dem nationalen Recht, dass eine rechtliche Handlung oder ein Unterlassen, weswegen Schadensersatz begehrt wird, zuvor aufgehoben werden muss; der Unzulässigkeit einer Voraussetzung nach dem nationalen Recht über das Verschulden von Behörden oder Bediensteten, wegen deren Verhalten Schadensersatz verlangt wird; der Voraussetzung für Klagen auf Ersatz des materiellen Schadens, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Klageerhebung einen tatsächlichen und sicheren Schaden erlitten hat?

D)    aufgrund des unionsrechtlichen Grundsatzes der Unabhängigkeit der Schadensersatzklage von der Nichtigkeitsklage die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit des entsprechenden Verhaltens der Behörde erfüllt sein muss, die der Voraussetzung des nationalen Rechts des Mitgliedstaats gleich steht, wonach die rechtliche Handlung oder das Unterlassen, weswegen Schadensersatz begeht wird, nämlich die Maßnahmen zur Sanierung eines Kreditinstituts, aufgehoben werden müssen, wenn man die Umstände des Ausgangsverfahrens sowie Folgendes berücksichtigt:

dass diese Maßnahmen nicht an die Klägerin, die Einlegerin bei einem Kreditinstitut ist, gerichtet sind sowie dass sie nach dem nationalen Recht und nach der nationalen Rechtsprechung nicht berechtigt ist, die Aufhebung der einzelnen Entscheidungen, mit denen diese Maßnahmen angeordnet wurden, zu beantragen und dass diese Entscheidungen bestandskräftig geworden sind;

dass das Unionsrecht, in diesem Bereich konkret die Richtlinie 2001/24, den Mitgliedstaaten keine ausdrückliche Verpflichtung auferlegt, die Möglichkeit der Anfechtung der Aufsichtsmaßnahmen zugunsten aller Gläubiger vorzusehen, um die Gültigkeit der Maßnahmen feststellen zu lassen;

dass im Recht eines Mitgliedstaats keine außervertragliche Haftung für Schäden vorgesehen ist, die aufgrund eines rechtmäßigen Verhaltens von Behörden oder Bediensteten entstanden sind?

E)    Sind für den Fall, dass eine Auslegung dahin vorgenommen wird, dass die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit des jeweiligen Verhaltens der Behörde unter den Umständen des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar ist, auf Klagen von Einlegern bei einem Kreditinstitut auf Schadensersatz wegen Tuns und Unterlassens der Zentralbank eines Mitgliedstaats und insbesondere auf Zahlung von Zinsen für nicht fristgemäß ausgezahlte gesicherte Einlagen sowie auf Auszahlung der die gesicherte Höhe übersteigenden Einlagen, die als Entschädigung wegen Verstoßes gegen die Art. 63 bis 65 und 120 AEUV, Art. 3 EUV und Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geltend gemacht werden, die vom Gerichtshof der Europäischen Union festgelegten Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung für Schäden anwendbar:

die aufgrund eines rechtmäßigen Verhaltens einer Behörde entstanden sind, und zwar konkret die drei kumulativen Voraussetzungen, nämlich das Vorliegen eines tatsächlichen Schadens, eines Kausalzusammenhangs zwischen diesem und dem betreffenden Handeln sowie einer außergewöhnlichen und besonderen Art des Schadens, insbesondere bei Klagen auf Zahlung von Zinsen wegen nicht fristgemäßer Auszahlung der gesicherten Einlagen, oder

im Bereich der Wirtschaftspolitik insbesondere die Voraussetzung „nur wenn eine hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz der Einzelnen dienenden Rechtsnorm vorliegt“ vor allem bei Klagen von Einlegern auf Auszahlung der die gesicherte Höhe übersteigenden Einlagen, die als Schaden geltend gemacht wurden und für die das vom nationalen Recht vorgesehene Verfahren gilt, wenn man den weiten Ermessensspielraum berücksichtigt, über den die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV und den Maßnahmen nach der Richtlinie 2001/24 verfügen und wenn die das Kreditinstitut und die Schadensersatz begehrende Person betreffenden Umstände Bezug nur zu einem Mitgliedstaat haben, aber für alle Einleger dieselben Vorschriften und der verfassungsrechtliche Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz gelten?

Folgt aus der Auslegung von Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Nr. 3 Ziff. i und Art. 7 Abs. 6 der Richtlinie 94/19 sowie den Rechtsausführungen im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21. Dezember 2016, Vervloet u. a. (C-76/15, EU:C:2016:975, Rn. 82 bis 84), dass vom Anwendungsbereich der Vorschriften der Richtlinie Einleger erfasst sind,

deren Einlagen während des Zeitraums von der Aussetzung der Zahlungen des Kreditinstituts bis zur Entziehung seiner Zulassung für Bankgeschäfte nicht aufgrund von Verträgen und gesetzlichen Vorschriften rückzahlbar waren und der jeweilige Einleger nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass er die Rückzahlung begehrt,

die einer Klausel zugestimmt haben, die die Auszahlung der Einlagen in gesicherter Höhe nach dem im Recht eines Mitgliedstaats geregelten Verfahren, auch konkret nach Entziehung der Zulassung des Kreditinstituts, das die Einlagen verwaltet, vorsieht, und diese Voraussetzung erfüllt ist sowie

die genannte Klausel des Einlagenvertrags nach dem Recht des Mitgliedstaats Gesetzeskraft zwischen den Vertragsparteien hat?

Folgt aus den Vorschriften dieser Richtlinie oder aus anderen unionsrechtlichen Vorschriften, dass das nationale Gericht eine solche Klausel des Einlagenvertrags nicht berücksichtigen darf und die Klage eines Einlegers auf Zahlung von Zinsen wegen nicht fristgerechter Auszahlung von Einlagen in gesicherter Höhe gemäß diesem Vertrag nicht anhand der Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung für Schäden [Or. 6] aus einem Unionsrechtsverstoß und auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 6 der Richtlinie 94/19 prüfen darf?“

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1     Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission (ABl. 2010, L 331, S. 12).

2     Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994 über Einlagensicherungssysteme (ABl. 1994, L 135, S. 5).

3     Richtlinie 2001/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten (ABl. 2001, L 125, S. 15).