Language of document : ECLI:EU:C:2019:219

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

19. März 2019(*)

[Text berichtigt mit Beschluss vom 30. April 2019]

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – Richtlinie 2013/32/EU – Art. 33 Abs. 2 Buchst. a – Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig durch die Behörden eines Mitgliedstaats, weil zuvor in einem anderen Mitgliedstaat subsidiärer Schutz gewährt wurde – Art. 52 – Zeitlicher Anwendungsbereich der Richtlinie – Art. 4 und 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Systemische Mängel des Asylverfahrens in dem anderen Mitgliedstaat – Systematische Ablehnung der Asylanträge – Tatsächliche und erwiesene Gefahr, unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden – Lebensbedingungen der Personen, denen im letzteren Staat subsidiärer Schutz zuerkannt wurde“

In den verbundenen Rechtssachen C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidungen vom 23. März 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Mai 2017 (C‑297/17) und am 30. Mai 2017 (C‑318/17 und C‑319/17), sowie mit Entscheidung vom 1. Juni 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Juli 2017 (C‑438/17), in den Verfahren

Bashar Ibrahim (C‑297/17),

Mahmud Ibrahim,

Fadwa Ibrahim,


Bushra Ibrahim,

Mohammad Ibrahim,

Ahmad Ibrahim (C‑318/17),

Nisreen Sharqawi,

Yazan Fattayrji,

Hosam Fattayrji (C‑319/17)

gegen

Bundesrepublik Deutschland

und

Bundesrepublik Deutschland

gegen

Taus Magamadov (C‑438/17)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan und F. Biltgen, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe und des Kammerpräsidenten C. Lycourgos sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, M. Ilešič (Berichterstatter), J. Malenovský, L. Bay Larsen und D. Šváby,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 2018,


[Berichtigt mit Beschluss vom 30. April 2019] unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Bashar Ibrahim, Herrn Mahmud Ibrahim, Frau Fadwa Ibrahim, Herrn Bushra Ibrahim sowie den minderjährigen Kindern Mohammad Ibrahim und Ahmad Ibrahim und von Frau Sharqawi sowie ihren minderjährigen Kindern Yazan Fattayrji und Hosam Fattayrji, vertreten durch Rechtsanwältin D. Kösterke-Zerbe,

–        von Herrn Magamadov, vertreten durch Rechtsanwältin I. Stern,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, R. Kanitz, M. Henning und V. Thanisch als Bevollmächtigte,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch C. Van Lul und P. Cottin als Bevollmächtigte,

–        der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, E. de Moustier und E. Armoët als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. Cordi und L. D’Ascia, avvocati dello Stato,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und M. M. Tátrai als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch J. Langer, M. Bulterman, C. S. Schillemans und M. Gijzen als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brandon und C. Crane als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell, Barrister,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und C. Ladenburger als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juli 2018

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a und Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60, im Folgenden: Verfahrensrichtlinie) sowie der Art. 4 und 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2        Sie ergehen im Rahmen von vier Rechtsstreitigkeiten zwischen Herrn Bashar Ibrahim (Rechtssache C‑297/17), Herrn Mahmud Ibrahim, Frau Fadwa Ibrahim, Herrn Bushra Ibrahim, den minderjährigen Kindern Mohammad und Ahmad Ibrahim (Rechtssache C‑318/17) sowie Frau Nisreen Sharqawi und ihren minderjährigen Kindern Yazan und Hosam Fattayrji (Rechtssache C‑319/17) auf der einen und der Bundesrepublik Deutschland auf der anderen Seite sowie zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Herrn Taus Magamadov (Rechtssache C‑438/17) wegen Bescheiden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Deutschland, im Folgenden: Bundesamt), mit denen den Betroffenen das Recht auf Asyl versagt wurde.

 Rechtlicher Rahmen

 Völkerrecht

3        Art. 3 („Verbot der Folter“) der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bestimmt:

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“

 Unionsrecht

 Charta

4        Art. 1 („Würde des Menschen“) der Charta lautet:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“

5        Art. 4 („Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung“) der Charta lautet:

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

6        Art. 18 („Asylrecht“) der Charta bestimmt:

„Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des [am] 28. Juli 1951 [in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954])] und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie nach Maßgabe des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden ‚die Verträge‘) gewährleistet.“

7        Art. 47 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“) Abs. 1 der Charta lautet:

„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.“

8        Art. 51 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Charta bestimmt:

„Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden.“

9        Art. 52 („Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze“) Abs. 3 der Charta lautet:

„Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die [EMRK] garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.“

 Anerkennungsrichtlinie

10      In Art. 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9, im Folgenden: Anerkennungsrichtlinie) heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚internationaler Schutz‘ die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus …

d)      ‚Flüchtling‘ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;

e)      ‚Flüchtlingseigenschaft‘ die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder eines Staatenlosen als Flüchtling durch einen Mitgliedstaat;

f)      ‚Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz‘ einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland oder, bei einem Staatenlosen, in das Land seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Artikels 15 zu erleiden, und auf den Artikel 17 Absätze 1 und 2 keine Anwendung findet und der den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will;

g)      ‚subsidiärer Schutzstatus‘ die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen durch einen Mitgliedstaat als Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat;

h)      ‚Antrag auf internationalen Schutz‘ das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und wenn er nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie ersucht;

…“

11      In Kapitel II der Anerkennungsrichtlinie sind die Voraussetzungen für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz festgelegt.

12      Zu Kapitel II gehört Art. 4 („Prüfung der Tatsachen und Umstände“) der Anerkennungsrichtlinie, der in Abs. 3 bestimmt:

„Die Anträge auf internationalen Schutz sind individuell zu prüfen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:

a)      alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden;

b)      die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte oder einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. erleiden könnte;

c)      die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind;

…“

13      In Kapitel III der Anerkennungsrichtlinie sind die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling festgelegt. In diesem Rahmen sehen die Art. 9 („Verfolgungshandlungen“) und 10 („Verfolgungsgründe“) der Richtlinie die Anhaltspunkte vor, die bei der Prüfung zu berücksichtigen sind, ob der Antragsteller verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte.

14      Kapitel IV („Flüchtlingseigenschaft“) der Anerkennungsrichtlinie enthält deren Art. 13 („Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft“), der lautet:

„Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und III erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zu.“

15      In den Kapiteln V und VI der Anerkennungsrichtlinie sind die Voraussetzungen für subsidiären Schutz bzw. der subsidiäre Schutzstatus festgelegt.

16      In Kapitel VII der Anerkennungsrichtlinie, der deren Art. 20 bis 35 enthält, ist der Inhalt des internationalen Schutzes festgelegt.

 DublinII-Verordnung und DublinIII-Verordnung

17      Mit der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin‑III-Verordnung) wurde die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 50, S. 1, im Folgenden: Dublin‑II-Verordnung) aufgehoben und ersetzt.


18      Während die Dublin‑II-Verordnung nach ihrem Art. 1 in Verbindung mit ihrem Art. 2 Buchst. c nur die Kriterien und Verfahren festlegte, die bei der Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags im Sinne des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (im Folgenden: Genfer Konvention) zuständig ist, zur Anwendung gelangen, soll die Dublin‑III‑Verordnung – wie aus ihrem Art. 1 hervorgeht – nunmehr diese Kriterien und Verfahren für Anträge auf internationalen Schutz festlegen, bei denen es sich nach der Definition in Art. 2 Buchst. b der Dublin‑III‑Verordnung, der auf die Definition in Art. 2 Buchst. h der Anerkennungsrichtlinie verweist, um Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf Gewährung des subsidiären Schutzstatus handelt.

19      Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Dublin‑III-Verordnung sieht vor, dass der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat verpflichtet ist, einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, wieder aufzunehmen.

20      Art. 49 („Inkrafttreten und Anwendbarkeit“) der Dublin‑III-Verordnung bestimmt:

„Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Die Verordnung ist auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Für einen Antrag auf internationalen Schutz, der vor diesem Datum eingereicht wird, erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach den Kriterien der [Dublin‑II-]Verordnung …

…“

 Richtlinie 2005/85 und Verfahrensrichtlinie

21      Mit der Verfahrensrichtlinie ist die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 2005, L 326, S. 13) neu gefasst worden.


22      Die Richtlinie 2005/85 hatte nach ihrem Art. 1 den Zweck, Mindestnormen für die Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft festzulegen. Art. 2 Buchst. b der Richtlinie bestimmte den Begriff „Asylantrag“ als den von einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen gestellten Antrag, der als Ersuchen um internationalen Schutz eines Mitgliedstaats im Sinne der Genfer Konvention betrachtet werden konnte.

23      Art. 25 der Richtlinie 2005/85 bestimmte:

„(1)      Zusätzlich zu den Fällen, in denen ein Asylantrag nach Maßgabe der [Dublin‑II-]Verordnung … nicht geprüft wird, müssen die Mitgliedstaaten nicht prüfen, ob der Antragsteller als Flüchtling … anzuerkennen ist, wenn ein Antrag gemäß dem vorliegenden Artikel als unzulässig betrachtet wird.

(2)      Die Mitgliedstaaten können einen Asylantrag gemäß diesem Artikel als unzulässig betrachten, wenn

a)      ein anderer Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat;

…“

24      Nach Art. 1 der Verfahrensrichtlinie werden mit ihr gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes gemäß der Anerkennungsrichtlinie eingeführt.

25      Art. 2 Buchst. b der Verfahrensrichtlinie bestimmt den Begriff „Antrag auf internationalen Schutz“ als das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und der nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs der Anerkennungsrichtlinie ersucht.

26      Art. 10 Abs. 2 der Verfahrensrichtlinie lautet:

„Bei der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz stellt die Asylbehörde zuerst fest, ob der Antragsteller die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling erfüllt; ist dies nicht der Fall, wird festgestellt, ob der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat.“

27      Art. 33 („Unzulässige Anträge“) der Verfahrensrichtlinie bestimmt:

„(1)      Zusätzlich zu den Fällen, in denen nach Maßgabe der [Dublin‑III‑]Verordnung … ein Antrag nicht geprüft wird, müssen die Mitgliedstaaten nicht prüfen, ob dem Antragsteller der internationale Schutz im Sinne der [Anerkennungsrichtlinie] zuzuerkennen ist, wenn ein Antrag auf der Grundlage des vorliegenden Artikels als unzulässig betrachtet wird.

(2)      Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten, wenn

a)      ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat;

d)      es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der [Anerkennungsrichtlinie] als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind …

…“

28      Art. 40 („Folgeanträge“) Abs. 2 bis 4 der Verfahrensrichtlinie sieht vor:

(2)      Für die Zwecke der gemäß Artikel 33 Absatz 2 Buchstabe d zu treffenden Entscheidung über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz wird ein Folgeantrag auf internationalen Schutz zunächst daraufhin geprüft, ob neue Elemente oder Erkenntnisse betreffend die Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der [Anerkennungsrichtlinie] als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind.

(3)      Wenn die erste Prüfung nach Absatz 2 ergibt, dass neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der [Anerkennungsrichtlinie] als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, wird der Antrag gemäß Kapitel II weiter geprüft. Die Mitgliedstaaten können auch andere Gründe festlegen, aus denen der Folgeantrag weiter zu prüfen ist.

(4)      Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Antrag nur dann weiter geprüft wird, wenn der Antragsteller ohne eigenes Verschulden nicht in der Lage war, die in den Absätzen 2 und 3 dargelegten Sachverhalte im früheren Verfahren insbesondere durch Wahrnehmung seines Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 vorzubringen.“

29      Art. 51 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um den Artikeln 1 bis 30, Artikel 31 Absätze 1, 2 und 6 bis 9, den Artikeln 32 bis 46, den Artikeln 49 und 50 sowie dem Anhang I bis spätestens 20. Juli 2015 nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.“

30      Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten wenden die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Artikel 51 Absatz 1 auf förmlich gestellte Anträge auf internationalen Schutz sowie auf eingeleitete Verfahren zur Aberkennung des internationalen Schutzes nach dem 20. Juli 2015 oder früher an. Für vor diesem Datum förmlich gestellte Anträge und vor diesem Datum eingeleitete Verfahren zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gelten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Maßgabe der Richtlinie [2005/85].“

31      Gemäß Art. 53 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie wird die Richtlinie 2005/85 im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten, die durch diese Richtlinie gebunden sind, unbeschadet der Verpflichtungen dieser Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang II Teil B genannten Frist für die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht mit Wirkung vom 21. Juli 2015 aufgehoben.

32      Nach ihrem Art. 54 Abs. 1 „tritt [die Verfahrensrichtlinie] am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft“; dies war der 29. Juni 2013.

 Deutsches Recht

33      § 29 („Unzulässige Anträge“) des Asylgesetzes (im Folgenden: AsylG) in der mit Wirkung vom 6. August 2016 geänderten Fassung des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBI. 2016 I, S. 1939) sieht vor:

„(1)      Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn

1.      ein anderer Staat

a)      nach Maßgabe der [Dublin‑III-]Verordnung … oder

b)      auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages

für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist,

2.      ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat,

…“

34      § 77 Abs. 1 AsylG bestimmt:

„In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. …“

 Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

 Verbundene Rechtssachen C297/17, C318/17 und C319/17

35      Die Kläger der Ausgangsverfahren sind staatenlose palästinensische Asylbewerber, die ihren Wohnsitz in Syrien hatten.

36      Herr Bashar Ibrahim, der Kläger des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑297/17, ist der Sohn von Herrn Mahmud Ibrahim und von Frau Ibrahim sowie der Bruder der drei weiteren Kinder von Herrn und Frau Ibrahim, die wie ihre Eltern Kläger des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑318/17 sind. Frau Nisreen Sharqawi und ihre minderjährigen Kinder sind die Kläger des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑319/17.

37      Diese Betroffenen verließen Syrien im Jahr 2012 und reisten nach Bulgarien ein, wo ihnen mit Entscheidungen vom 26. Februar und 7. Mai 2013 subsidiärer Schutz gewährt wurde. Im November 2013 reisten sie über Rumänien, Ungarn und Österreich weiter nach Deutschland, wo sie am 29. November 2013 erneut Asylanträge stellten.

38      Am 22. Januar 2014 richtete das Bundesamt mehrere Ersuchen um Wiederaufnahme der Betroffenen an die für Flüchtlinge zuständige bulgarische Verwaltung, die sie mit Schreiben vom 28. Januar und 10. Februar 2014 ablehnte. Die bulgarische Verwaltung gab an, dass der den Klägern der Ausgangsverfahren in Bulgarien bereits zuerkannte subsidiäre Schutz die Wiederaufnahmeregelung der Dublin‑III-Verordnung im vorliegenden Fall unanwendbar mache. Außerdem sei die zuständige bulgarische Behörde die dortige Grenzpolizei.

39      Mit Bescheiden vom 27. Februar und 19. März 2014 lehnte das Bundesamt die Anträge der Betroffenen ohne inhaltliche Prüfung mit der Begründung ab, dass sie aus einem sicheren Drittstaat eingereist seien. Das Bundesamt ordnete ihre Abschiebung nach Bulgarien an.

40      Mit Urteilen vom 20. Mai und 22. Juli 2014 wies das Verwaltungsgericht Trier (Deutschland) die gegen diese Bescheide erhobenen Klagen ab.

41      Mit Urteilen vom 18. Februar 2016 hob das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Deutschland) die gegen die Betroffenen gerichteten Abschiebungsanordnungen nach Bulgarien auf, wies die Berufungen im Übrigen jedoch zurück. Die Feststellung, dass die Betroffenen kein Recht auf Asyl in Deutschland hätten, sei rechtmäßig, da sie aus einem sicheren Drittstaat, nämlich Österreich, nach Deutschland eingereist seien. Die Abschiebungsanordnungen nach Bulgarien seien hingegen rechtswidrig, weil nicht feststehe, ob die Republik Bulgarien weiterhin bereit sei, die Berufungskläger wieder aufzunehmen.

42      Die Kläger der Ausgangsverfahren legten gegen diese teilweise Zurückweisung ihrer Berufungen Revision beim Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) ein. Sie machen u. a. geltend, dass gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 2 der Dublin‑III-Verordnung ihre Situation weiterhin unter die Dublin‑II-Verordnung falle und die Dublin‑II-Verordnung auch nach Gewährung subsidiären Schutzes anwendbar sei. Nach den Bestimmungen der Dublin‑II-Verordnung sei die ursprüngliche Zuständigkeit der Republik Bulgarien jedoch im Laufe des durch diese Verordnung vorgesehenen Verfahrens auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen.

43      Die Bundesrepublik Deutschland ist der Auffassung, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Asylanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, der inhaltlich Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie entspreche, nunmehr unzulässig seien.

44      Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass das Bundesamt die Prüfung der bei ihm gestellten Asylanträge nicht mit der Begründung habe ablehnen dürfen, dass die Kläger aus einem sicheren Drittstaat eingereist seien. Da das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen sei, könne ein sicherer Drittstaat nämlich nur ein Staat sein, der nicht Mitgliedstaat der Union sei. Daher sei festzustellen, ob die streitigen Bescheide in auf die Unzulässigkeit der Asylanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützte ablehnende Entscheidungen umgedeutet werden könnten.

45      Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht beschlossen, die Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende, in den Rechtssachen C‑297/17, C‑318/17 und C‑319/17 gleichlautende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Steht die Übergangsbestimmung in Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, wonach in Umsetzung der gegenüber der Vorgängerregelung erweiterten Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie ein Antrag auf internationalen Schutz unzulässig ist, wenn dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, soweit die nationale Regelung mangels nationaler Übergangsregelung auch auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge anzuwenden ist?

Erlaubt die Übergangsbestimmung in Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie den Mitgliedstaaten insbesondere eine rückwirkende Umsetzung der erweiterten Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie mit der Folge, dass auch vor der nationalen Umsetzung dieser erweiterten Ermächtigung gestellte, zum Zeitpunkt der Umsetzung aber noch nicht bestandskräftig beschiedene Asylanträge unzulässig sind?

2.      Räumt Art. 33 der Verfahrensrichtlinie den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht ein, ob sie einen Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit (Dublin-Verordnung) oder nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie als unzulässig ablehnen?

3.      Falls Frage 2 bejaht wird: Ist ein Mitgliedstaat unionsrechtlich gehindert, einen Antrag auf internationalen Schutz wegen der Gewährung subsidiären Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat in Umsetzung der Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie als unzulässig abzulehnen, wenn

a)      der Antragsteller eine Aufstockung des ihm in einem anderen Mitgliedstaat gewährten subsidiären Schutzes begehrt (Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) und das Asylverfahren in dem anderen Mitgliedstaat mit systemischen Mängeln behaftet war und weiterhin ist oder

b)      die Ausgestaltung des internationalen Schutzes, namentlich die Lebensbedingungen für subsidiär Schutzberechtigte, in dem anderen Mitgliedstaat, der dem Antragsteller bereits subsidiären Schutz gewährt hat,

–        gegen Art. 4 der Charta bzw. Art. 3 EMRK verstößt oder

–        den Anforderungen der Art. 20 ff. der Anerkennungsrichtlinie nicht genügt, ohne bereits gegen Art. 4 der Charta bzw. Art. 3 EMRK zu verstoßen?

4.      Falls Frage 3b) zu bejahen ist: Gilt dies auch dann, wenn subsidiär Schutzberechtigten keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen gewährt werden, sie insoweit aber nicht anders behandelt werden als die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats?

5.      Falls Frage 2 zu verneinen ist:

a)      Findet die Dublin‑III-Verordnung in einem Verfahren auf Gewährung internationalen Schutzes Anwendung, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014, das Wiederaufnahmegesuch aber erst nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist und der Antragsteller zuvor (im Februar 2013) bereits in dem ersuchten Mitgliedstaat subsidiären Schutz erhalten hat?

b)      Ist den Dublin-Regelungen ein – ungeschriebener – Zuständigkeitsübergang auf den um Wiederaufnahme eines Antragstellers ersuchenden Mitgliedstaat zu entnehmen, wenn der ersuchte zuständige Mitgliedstaat die fristgerecht beantragte Wiederaufnahme nach den Dublin-Bestimmungen abgelehnt und stattdessen auf ein zwischenstaatliches Rückübernahmeabkommen verwiesen hat?

 Rechtssache C438/17

46      Herr Magamadov, ein Asylbewerber russischer Staatsangehörigkeit und nach eigenen Angaben tschetschenischer Volkszugehörigkeit, reiste 2007 nach Polen ein, wo ihm mit Bescheid vom 13. Oktober 2008 subsidiärer Schutz gewährt wurde. Im Juni 2012 reiste er mit seiner Ehefrau und seinem Kind nach Deutschland ein, wo er am 19. Juni 2012 einen Asylantrag stellte.

47      Am 13. Februar 2013 richtete das Bundesamt ein Ersuchen um Wiederaufnahme des Betroffenen und seiner Familie an die polnischen Behörden, die sich am 18. Februar 2013 bereit erklärten, sie wieder aufzunehmen.

48      Mit Bescheid vom 13. März 2013 stellte das Bundesamt ohne inhaltliche Prüfung fest, dass die Asylanträge des Klägers und seiner Familie unzulässig seien, da die Republik Polen für die Prüfung dieser Anträge zuständig sei, und ordnete ihre Überstellung nach Polen an. Da die Überstellung wegen medizinischer Probleme der Ehefrau von Herrn Magamadov nicht fristgerecht erfolgte, hob das Bundesamt mit Bescheid vom 24. September 2013 seinen Bescheid vom 13. März 2013 auf, da die Bundesrepublik Deutschland wegen Ablaufs dieser Frist für die Prüfung dieser Anträge zuständig geworden sei. Mit Bescheid vom 23. Juni 2014 stellte das Bundesamt fest, dass dem Kläger aufgrund seiner Einreise nach Deutschland aus einem sicheren Drittstaat, nämlich Polen, kein internationaler Schutz und kein Recht auf Asyl zustehe, und ordnete seine Abschiebung dorthin an.

49      Mit Urteil vom 19. Mai 2015 wies das Verwaltungsgericht Potsdam (Deutschland) die Klage gegen den zuletzt genannten Bescheid ab.

50      Mit Urteil vom 21. April 2016 hob das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Deutschland) den Bescheid des Bundesamts vom 23. Juni 2014 auf. Es war nämlich der Ansicht, dass die Regel, dass einem aus einem sicheren Staat eingereisten ausländischen Staatsangehörigen kein Asylrecht zustehe, im Ausgangsverfahren nicht anwendbar sei, weil die in § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG vorgesehene Ausnahme vorliege, nach der die Regel des sicheren Drittstaats nicht greife, wenn die Bundesrepublik Deutschland – wie hier – nach Unionsrecht für die Prüfung des Antrags des Betroffenen auf Schutz zuständig geworden sei. Da der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Asylantrag vor dem 20. Juli 2015 gestellt worden sei, sei die Richtlinie 2005/85 hier anwendbar. Die Richtlinie lasse die Abweisung eines Asylantrags ohne inhaltliche Prüfung aber nur dann zu, wenn ein anderer Mitgliedstaat der betreffenden Person die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt habe.

51      Die Bundesrepublik Deutschland legte gegen dieses Urteil beim Bundesverwaltungsgericht Revision ein. Sie macht u. a. geltend, der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Asylantrag sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in der Fassung des Integrationsgesetzes nunmehr unzulässig, da Herrn Magamadov in Polen internationaler Schutz gewährt worden sei. Der Betroffene ist der Ansicht, dass sein am 19. Juni 2012 gestellter Asylantrag nicht unzulässig sei, da ihm die Republik Polen nicht die Flüchtlingseigenschaft, sondern lediglich subsidiären Schutz zuerkannt habe.

52      Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass das Bundesamt die Prüfung des bei ihm gestellten Asylantrags nicht mit der Begründung habe ablehnen dürfen, dass der Kläger aus einem sicheren Drittstaat eingereist sei. Da das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen sei, könne ein sicherer Drittstaat nur ein Staat sein, der kein Mitgliedstaat der Union sei. Daher sei festzustellen, ob der streitige Bescheid in eine auf die aus § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG folgende Unzulässigkeit des Asylantrags gestützte ablehnende Entscheidung umgedeutet werden könne.

53      Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Steht die Übergangsbestimmung in Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, wonach in Umsetzung der gegenüber der Vorgängerregelung erweiterten Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie ein Antrag auf internationalen Schutz unzulässig ist, wenn dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, soweit die nationale Regelung mangels nationaler Übergangsregelung auch auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge anzuwenden ist? Gilt dies jedenfalls dann, wenn der Asylantrag nach Art. 49 der Dublin‑III-Verordnung noch vollständig dem Anwendungsbereich der Dublin‑II-Verordnung unterfällt?

2.      Erlaubt die Übergangsbestimmung in Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie den Mitgliedstaaten insbesondere eine rückwirkende Umsetzung der erweiterten Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie mit der Folge, dass auch vor dem Inkrafttreten der Verfahrensrichtlinie und vor der nationalen Umsetzung dieser erweiterten Ermächtigung gestellte, zum Zeitpunkt der Umsetzung aber noch nicht bestandskräftig beschiedene Asylanträge unzulässig sind?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

54      Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 9. Juni 2017 sind die Rechtssachen C‑297/17, C‑318/17 und C‑319/17 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamem Urteil verbunden worden, da die Vorlagefragen in diesen drei Rechtssachen identisch sind. Ferner sind mit Beschluss des Gerichtshofs vom 30. Januar 2018 diese Rechtssachen und die Rechtssache C‑438/17 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.

55      In seinen Vorabentscheidungsersuchen hat das vorlegende Gericht die Anwendung des beschleunigten Verfahrens gemäß Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt. Diese Anträge sind mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. Juli 2017, Ibrahim u. a. (C‑297/17, C‑318/17 und C‑319/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:561), und vom 19. September 2017, Magamadov (C‑438/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:723), zurückgewiesen worden.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage in den Rechtssachen C297/17, C318/17 und C319/17 und zu den Fragen in der Rechtssache C438/17

56      Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat gestattet, eine unmittelbare Anwendung der Bestimmung des nationalen Rechts zur Umsetzung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie auf noch nicht bestandskräftig beschiedene Asylanträge vorzusehen, die vor dem 20. Juli 2015 und vor dem Inkrafttreten der Bestimmung des nationalen Rechts gestellt worden sind. Im Rahmen der Rechtssache C‑438/17 möchte das vorlegende Gericht zudem wissen, ob dies auch dann gilt, wenn der Asylantrag vor dem Inkrafttreten der Verfahrensrichtlinie gestellt worden ist und nach Art. 49 der Dublin‑III-Verordnung noch vollständig in den Geltungsbereich der Dublin‑II-Verordnung fällt.

57      Gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie können die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten, wenn ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat.

58      Durch die Möglichkeit, dass ein Mitgliedstaat einen solchen Antrag auch in den Situationen, in denen dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat nur subsidiärer Schutz gewährt wurde, als unzulässig ablehnen kann, erweitert diese Bestimmung die zuvor in Art. 25 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2005/85 vorgesehene Befugnis, die eine solche Zurückweisung nur gestattete, wenn dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden war.

59      Aus Art. 51 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen hatten, die erforderlich waren, um u. a. Art. 33 der Richtlinie bis spätestens 20. Juli 2015 nachzukommen. Ferner wurde die Richtlinie 2005/85 gemäß Art. 53 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie mit Wirkung vom 21. Juli 2015 aufgehoben.

60      Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie enthält Übergangsbestimmungen.

61      Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 1 der Verfahrensrichtlinie wenden die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Art. 51 Abs. 1 auf förmlich gestellte Anträge auf internationalen Schutz sowie auf eingeleitete Verfahren zur Aberkennung des internationalen Schutzes „nach dem 20. Juli 2015 oder früher“ an.

62      Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 2 der Verfahrensrichtlinie gelten für vor dem 20. Juli 2015 förmlich gestellte Anträge und „vor diesem Datum“ eingeleitete Verfahren zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Maßgabe der Richtlinie 2005/85.

63      Aus der Prüfung der Vorarbeiten zur Verfahrensrichtlinie und insbesondere aus einem Vergleich des am 6. Juni 2013 festgelegten Standpunkts (EU) Nr. 7/2013 des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, C 179 E, S. 27) mit dem Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzstatus (KOM[2009] 554 endgültig) ergibt sich, dass die Wendung „oder früher“ in Art. 52 Abs. 1 Satz 1 der Verfahrensrichtlinie im Gesetzgebungsverfahren hinzugefügt wurde (Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto, C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 71).

64      Folglich geht ungeachtet des Spannungsverhältnisses zwischen den Sätzen 1 und 2 von Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie aus diesen Vorarbeiten hervor, dass der Unionsgesetzgeber es den Mitgliedstaaten, die dies wünschten, gestatten wollte, ihre zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften mit sofortiger Wirkung auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden (Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto, C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 72).

65      Des Weiteren enthalten diese Vorarbeiten keine Anhaltspunkte dafür, dass der Unionsgesetzgeber diese Befugnis, die Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie den Mitgliedstaaten eröffnet, allein auf die Vorschriften beschränken wollte, die für Personen, die internationalen Schutz beantragen, günstiger sind als die zuvor zur Umsetzung der Richtlinie 2005/85 erlassenen Vorschriften.

66      Gleichwohl wurde den Mitgliedstaaten durch Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie zwar gestattet, ihre Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, aber sie wurden nicht dazu verpflichtet. Da diese Bestimmung durch den Gebrauch der Wendung „nach dem 20. Juli 2015 oder früher“ in zeitlicher Hinsicht mehrere Anwendungsmöglichkeiten bietet, muss – damit bei der Umsetzung des Unionsrechts die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gleichheit vor dem Gesetz gewahrt sind, so dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, vor Willkür geschützt sind – jeder der durch diese Richtlinie gebundenen Mitgliedstaaten die in seinem Hoheitsgebiet im selben Zeitraum gestellten Anträge auf internationalen Schutz vorhersehbar und einheitlich prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto, C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 73).

67      Aus den Vorlageentscheidungen ergibt sich, dass die Bestimmung zur Umsetzung des in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie vorgesehenen zusätzlichen Unzulässigkeitsgrundes in deutsches Recht, nämlich § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, am 6. August 2016 in Kraft trat und das vorlegende Gericht in Ermangelung nationaler Übergangsbestimmungen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG bei seiner Entscheidung in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung bzw. im Fall der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung und folglich auf § 29 AsylG in der dann gültigen Fassung abzustellen hat, sofern Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie nicht verbietet, dass diese Fassung auf vor ihrem Inkrafttreten gestellte, aber noch nicht bestandskräftig beschiedene Anträge unmittelbar angewandt wird.

68      Insoweit ist erstens festzustellen, dass eine nationale Bestimmung wie § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG gewährleistet, dass Anträge auf internationalen Schutz, die im selben Zeitraum im deutschen Hoheitsgebiet gestellt und beim Inkrafttreten von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG noch nicht bestandskräftig beschieden worden sind, vorhersehbar und einheitlich geprüft werden.

69      Wie sich zweitens aus den Ausführungen in den Rn. 64 und 65 des vorliegenden Urteils ergibt, verbietet Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie nicht, dass eine nationale Bestimmung zur Umsetzung des in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie vorgesehenen zusätzlichen Unzulässigkeitsgrundes nach nationalem Recht in zeitlicher Hinsicht auf Asylanträge angewandt werden kann, die vor dem 20. Juli 2015 und vor dem Inkrafttreten dieser Übergangsbestimmung gestellt, aber noch nicht bestandskräftig beschieden worden sind.

70      Drittens verbietet Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie zwar ebenso wenig grundsätzlich eine unmittelbare Anwendung der Bestimmungen dieser Richtlinie auf vor ihrem Inkrafttreten gestellte Anträge, doch ist festzustellen, dass die unmittelbare Anwendung des in ihrem Art. 33 Abs. 2 Buchst. a vorgesehenen zusätzlichen Unzulässigkeitsgrundes in einer Situation wie der in der Rechtssache C‑438/17 in Rede stehenden an ihre Grenzen stößt, in der sowohl der in Deutschland gestellte Asylantrag als auch das Wiederaufnahmegesuch vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, so dass der Asylantrag nach Art. 49 der Dublin‑III-Verordnung noch vollständig in den Geltungsbereich der Dublin‑II-Verordnung fällt.

71      Die Verfahrensrichtlinie, die am selben Tag wie die Dublin‑III-Verordnung erlassen wurde, sieht ebenso wie diese Verordnung nämlich vor, dass ihr Anwendungsbereich gegenüber der Richtlinie 2005/85, die ihre Vorgängerin ist und nur das Asylverfahren regelte, auf Anträge auf internationalen Schutz erstreckt wird. In dieses weiter gefasste Regelwerk wurde der in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie vorgesehene zusätzliche Unzulässigkeitsgrund eingeführt, der es den Mitgliedstaaten gestattet, einen Asylantrag auch dann als unzulässig abzulehnen, wenn dem Antragsteller von einem anderen Mitgliedstaat kein Recht auf Asyl, sondern nur subsidiärer Schutz gewährt worden ist.

72      Des Weiteren verweist Art. 33 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie anders als Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85, der sich auf die Dublin‑II-Verordnung bezog, auf die Dublin‑III-Verordnung.

73      Somit ergibt sich aus der Systematik der Dublin‑III-Verordnung und der der Verfahrensrichtlinie sowie aus dem Wortlaut von Art. 33 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie, dass der in deren Art. 33 Abs. 2 Buchst. a vorgesehene zusätzliche Unzulässigkeitsgrund nicht dazu bestimmt ist, auf einen Asylantrag angewandt zu werden, der noch vollständig in den Geltungsbereich der Dublin‑II-Verordnung fällt.

74      Nach alledem ist auf die erste Frage in den Rechtssachen C‑297/17, C‑318/17 und C‑319/17 und auf die Fragen in der Rechtssache C‑438/17 zu antworten, dass Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat gestattet, eine unmittelbare Anwendung der nationalen Bestimmung zur Umsetzung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie auf noch nicht bestandskräftig beschiedene Asylanträge vorzusehen, die vor dem 20. Juli 2015 und vor dem Inkrafttreten der nationalen Bestimmung gestellt worden sind. Dagegen verbietet Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie insbesondere in Verbindung mit deren Art. 33 diese unmittelbare Anwendung in einer Situation, in der sowohl der Asylantrag als auch das Wiederaufnahmegesuch vor dem Inkrafttreten der Verfahrensrichtlinie gestellt worden sind und nach Art. 49 der Dublin‑III-Verordnung noch vollständig in den Geltungsbereich der Dublin‑II-Verordnung fallen.

 Zur zweiten Frage in den Rechtssachen C297/17, C318/17 und C319/17

75      Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass das vorlegende Gericht mit dieser Frage wissen möchte, ob Art. 33 der Verfahrensrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er es den Mitgliedstaaten gestattet, einen Asylantrag nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie als unzulässig abzulehnen, ohne dass sie vorrangig auf das von der Dublin‑II-Verordnung oder der Dublin‑III-Verordnung vorgesehene Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahren zurückgreifen müssen.

76      Gemäß Art. 33 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie müssen die Mitgliedstaaten zusätzlich zu den Fällen, in denen nach Maßgabe der Dublin‑III-Verordnung ein Antrag nicht geprüft wird, nicht prüfen, ob dem Antragsteller der internationale Schutz im Sinne der Anerkennungsrichtlinie zuzuerkennen ist, wenn ein Antrag auf der Grundlage von Art. 33 der Verfahrensrichtlinie als unzulässig betrachtet wird. Art. 33 Abs. 2 der Verfahrensrichtlinie zählt abschließend die Situationen auf, in denen die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten können.

77      Aus dem Wortlaut von Art. 33 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie, insbesondere aus der Wendung „[z]usätzlich zu den Fällen, in denen nach Maßgabe der [Dublin‑III-]Verordnung … ein Antrag nicht geprüft wird“, sowie aus dem mit dieser Bestimmung verfolgten Ziel der Verfahrensökonomie geht hervor, dass sie es in den in Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie genannten Situationen den Mitgliedstaaten gestattet, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, ohne dass sie vorrangig auf die von der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahren zurückgreifen müssen.

78      Darüber hinaus kann ein Mitgliedstaat bei Anträgen auf internationalen Schutz wie den in den Rechtssachen C‑297/17, C‑318/17 und C‑319/17 in Rede stehenden, die zum Teil unter die Dublin‑III-Verordnung fallen, einen anderen Mitgliedstaat nicht im Rahmen der durch diese Verordnung festgelegten Verfahren wirksam darum ersuchen, einen Angehörigen eines Drittstaats aufzunehmen oder wieder aufzunehmen, der im ersten Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem ihm im zweiten Mitgliedstaat subsidiärer Schutz gewährt worden ist.

79      Für diese Situation hat der Unionsgesetzgeber nämlich die Auffassung vertreten, dass die Ablehnung eines solchen Antrags auf internationalen Schutz durch eine Unzulässigkeitsentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie und nicht durch eine Überstellungsentscheidung ohne Prüfung gemäß Art. 26 der Dublin‑III-Verordnung sicherzustellen sei (vgl. Beschluss vom 5. April 2017, Ahmed, C‑36/17, EU:C:2017:273, Rn. 39 und 41).

80      Daher ist auf die zweite Frage in den Rechtssachen C‑297/17, C‑318/17 und C‑319/17 zu antworten, dass in einer Situation wie der in diesen Rechtssachen in Rede stehenden Art. 33 der Verfahrensrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er es den Mitgliedstaaten gestattet, einen Asylantrag nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie als unzulässig abzulehnen, ohne dass sie vorrangig auf das von der Dublin‑III-Verordnung vorgesehene Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahren zurückgreifen müssen oder dürfen.

 Zu den Fragen 3 und 4 in den Rechtssachen C297/17, C318/17 und C319/17

81      Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verbietet, die durch diese Bestimmung eingeräumte Befugnis auszuüben, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als unzulässig abzulehnen, weil dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat bereits subsidiärer Schutz gewährt worden ist, wenn die Lebensbedingungen der Personen, denen in dem anderen Mitgliedstaat subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, entweder gegen Art. 4 der Charta verstoßen oder den Bestimmungen in Kapitel VII der Anerkennungsrichtlinie nicht genügen, ohne jedoch gegen Art. 4 der Charta zu verstoßen. Es möchte wissen, ob dies gegebenenfalls auch dann gilt, wenn diesen subsidiär Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen gewährt werden, sie insoweit aber nicht anders behandelt werden als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats.

82      Zum anderen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verbietet, diese Befugnis auszuüben, wenn das Asylverfahren in dem anderen Mitgliedstaat mit systemischen Mängeln behaftet war und weiterhin ist.

83      Was erstens die in Rn. 81 des vorliegenden Urteils genannte Situation betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht auf der grundlegenden Prämisse beruht, dass jeder Mitgliedstaat mit allen anderen Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer Werte teilt – und anerkennt, dass sie sie mit ihm teilen –, auf die sich, wie es in Art. 2 EUV heißt, die Union gründet. Diese Prämisse impliziert und rechtfertigt die Existenz gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten bei der Anerkennung dieser Werte und damit bei der Beachtung des Unionsrechts, mit dem sie umgesetzt werden, und gegenseitigen Vertrauens darauf, dass die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der in der Charta anerkannten Grundrechte, insbesondere ihren Art. 1 und 4, in denen einer der Grundwerte der Union und ihrer Mitgliedstaaten verankert ist, zu bieten (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C‑163/17, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).

84      Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten hat im Unionsrecht fundamentale Bedeutung, da er die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglicht. Konkret verlangt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, namentlich in Bezug auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, von jedem Mitgliedstaat, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C‑163/17, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).

85      Folglich muss im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C‑163/17, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies gilt insbesondere bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie, in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck kommt.

86      Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernsthafte Gefahr besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, in diesem Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C‑163/17, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).

87      In diesem Kontext ist in Anbetracht des allgemeinen und absoluten Charakters des Verbots in Art. 4 der Charta, das eng mit der Achtung der Würde des Menschen verbunden ist und ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbietet, festzustellen, dass es für die Anwendung von Art. 4 der Charta gleichgültig ist, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffende Person einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, eine solche Behandlung zu erfahren (vgl. entsprechend Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C‑163/17, Rn. 88).

88      Daher ist das Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein neuer Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wurde, in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die der Antragsteller vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem bereits subsidiären Schutz gewährenden Mitgliedstaat nachzuweisen, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. entsprechend Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C‑163/17, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).

89      Insoweit ist festzustellen, dass die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Schwachstellen nur dann unter Art. 4 der Charta, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, fallen, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C‑163/17, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).

90      Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C‑163/17, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).

91      Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C‑163/17, Rn. 93).


92      Im Hinblick auf die insoweit vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen ist festzustellen, dass unter Berücksichtigung der Bedeutung, die der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens für das Gemeinsame Europäische Asylsystem hat, Verstöße gegen Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungsrichtlinie, die nicht zu einer Verletzung von Art. 4 der Charta führen, die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, ihre durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie eingeräumte Befugnis auszuüben.

93      Der vom vorlegenden Gericht ebenfalls genannte Umstand, dass subsidiär Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der dem Antragsteller diesen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Antragsteller dort tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende Behandlung zu erfahren, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die den in den Rn. 89 bis 91 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien entspricht.

94      Jedenfalls kann der bloße Umstand, dass in dem Mitgliedstaat, in dem der neue Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als in dem bereits subsidiären Schutz gewährenden Mitgliedstaat, nicht die Schlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung in den zuletzt genannten Mitgliedstaat tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende Behandlung zu erfahren (vgl. entsprechend Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C‑163/17, Rn. 97).

95      Was zweitens die in Rn. 82 des vorliegenden Urteils genannte Situation betrifft, geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass die vom vorlegenden Gericht angeführten Mängel im Asylverfahren nach seinen Angaben darin bestehen, dass der subsidiären Schutz gewährende Mitgliedstaat Personen, die internationalen Schutz beantragen, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorhersehbar und unter Verstoß gegen die Anerkennungsrichtlinie verweigere und unter Verstoß gegen Art. 40 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie ebenso wenig Folgeanträge trotz Vorliegens neuer Elemente oder Erkenntnisse, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitrügen, dass der Antragsteller als Flüchtling anzuerkennen sei, prüfe.


96      Das vorlegende Gericht möchte insoweit wissen, ob Art. 18 der Charta in Verbindung mit Art. 78 AEUV es gebietet, dass in einer solchen Situation ein Mitgliedstaat den neuen Antrag auf internationalen Schutz entgegen einer Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie umsetzenden nationalen Rechtsvorschrift prüft.

97      Es ist festzustellen, dass sowohl die Anerkennungsrichtlinie als auch die Verfahrensrichtlinie auf der Grundlage von Art. 78 AEUV verabschiedet worden sind, damit das in ihm genannte Ziel verwirklicht und die Einhaltung von Art. 18 der Charta gewährleistet wird.

98      Nach der Anerkennungsrichtlinie, insbesondere ihrem Art. 13, müssen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und III der Richtlinie erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen. Um festzustellen, ob dies der Fall ist, müssen sie nach Art. 4 Abs. 3 dieser Richtlinie jeden Antrag auf internationalen Schutz individuell prüfen. Daher dürfen die Mitgliedstaaten nur dann, wenn sie nach dieser individuellen Prüfung feststellen, dass eine diesen Schutz beantragende Person nicht die Voraussetzungen von Kapitel III, sondern die von Kapitel V der Richtlinie erfüllt, diesem Antragsteller anstatt der Flüchtlingseigenschaft den subsidiären Schutzstatus zuerkennen.

99      Sollte das Asylverfahren in einem Mitgliedstaat dazu führen, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen und die Voraussetzungen der Kapitel II und III der Anerkennungsrichtlinie erfüllen, systematisch und ohne echte Prüfung die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verweigert wird, so könnte die Behandlung der Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat nicht als mit den Pflichten nach Art. 18 der Charta im Einklang stehend angesehen werden.

100    Nichtsdestotrotz können die übrigen Mitgliedstaaten den neuen Antrag, den der Betroffene bei ihnen gestellt hat, nach dem im Licht des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens auszulegenden Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie als unzulässig ablehnen. In einem solchen Fall hat der subsidiären Schutz gewährende Mitgliedstaat das Verfahren zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wieder aufzunehmen.

101    Nach alledem sind die Fragen 3 und 4 in den Rechtssachen C‑297/17, C‑318/17 und C‑319/17 wie folgt zu beantworten:

–        Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verbietet, die durch diese Bestimmung eingeräumte Befugnis auszuüben, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als unzulässig abzulehnen, weil dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat bereits subsidiärer Schutz gewährt worden ist, wenn der Antragsteller keiner ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat als subsidiär Schutzberechtigten erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta zu erfahren. Der Umstand, dass Personen, denen solch ein subsidiärer Schutz zuerkannt wird, in dem Mitgliedstaat keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch insofern anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Antragsteller dort tatsächlich einer solchen Gefahr ausgesetzt wäre, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände.

–        Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verbietet, diese Befugnis auszuüben, wenn das Asylverfahren in dem anderen Mitgliedstaat, der dem Antragsteller subsidiären Schutz gewährt hat, dazu führt, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen und die Voraussetzungen der Kapitel II und III der Anerkennungsrichtlinie erfüllen, systematisch und ohne echte Prüfung die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verweigert wird.

 Zur fünften Frage in den Rechtssachen C297/17, C318/17 und C319/17

102    Insbesondere unter Berücksichtigung der Antwort auf die zweite Frage in den Rechtssachen C‑297/17, C‑318/17 und C‑319/17 braucht die in diesen Rechtssachen gestellte fünfte Frage nicht mehr beantwortet zu werden.

 Kosten

103    Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat gestattet, eine unmittelbare Anwendung der nationalen Bestimmung zur Umsetzung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie auf noch nicht bestandskräftig beschiedene Asylanträge vorzusehen, die vor dem 20. Juli 2015 und vor dem Inkrafttreten der nationalen Bestimmung gestellt worden sind. Dagegen verbietet Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie insbesondere in Verbindung mit ihrem Art. 33 diese unmittelbare Anwendung in einer Situation, in der sowohl der Asylantrag als auch das Wiederaufnahmegesuch vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2013/32 gestellt worden sind und nach Art. 49 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, noch vollständig in den Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, fallen.

2.      In einer Situation wie der in den Rechtssachen C297/17, C318/17 und C319/17 in Rede stehenden ist Art. 33 der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen, dass er es den Mitgliedstaaten gestattet, einen Asylantrag nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie als unzulässig abzulehnen, ohne dass sie vorrangig auf das von der Verordnung Nr. 604/2013 vorgesehene Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahren zurückgreifen müssen oder dürfen.

3.      Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32 ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verbietet, die durch diese Bestimmung eingeräumte Befugnis auszuüben, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als unzulässig abzulehnen, weil dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat bereits subsidiärer Schutz gewährt worden ist, wenn der Antragsteller keiner ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat als subsidiär Schutzberechtigten erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu erfahren. Der Umstand, dass Personen, denen solch ein subsidiärer Schutz zuerkannt wird, in dem Mitgliedstaat keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch insofern anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Antragsteller dort tatsächlich einer solchen Gefahr ausgesetzt wäre, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände.

Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32 ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verbietet, diese Befugnis auszuüben, wenn das Asylverfahren in dem anderen Mitgliedstaat, der dem Antragsteller subsidiären Schutz gewährt hat, dazu führt, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen und die Voraussetzungen der Kapitel II und III der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes erfüllen, systematisch und ohne echte Prüfung die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verweigert wird.

Lenaerts

Prechal

Vilaras

Regan

Biltgen

Jürimäe

Lycourgos

Rosas

Juhász

Ilešič

 

      Malenovský

Bay Larsen

 

Šváby

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. März 2019.

Der Kanzler

 

Der Präsident

A. Calot Escobar

 

K. Lenaerts


*      Verfahrenssprache: Deutsch.