Language of document : ECLI:EU:C:2018:327

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 17. Mai 2018(1)

Rechtssache C585/16

Serin Alheto

gegen

Zamestnik-predsedatel na Darzhavna agentsia za bezhantsite

(Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Sofia-grad, Sofia, Bulgarien)

„Vorabentscheidungsersuchen – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Grenzen, Asyl und Einwanderung – Rechtsvorschriften über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft – Richtlinien 2004/83 und 2011/95 – Person, die den Schutz und den Beistand des UNRWA genießt – Verfahren zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz – Richtlinien 2005/85 und 2013/32 – Zulässigkeit des Antrags – Erster Asylstaat – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf“






1.        Das Vorabentscheidungsersuchen, das Gegenstand der vorliegenden Schlussanträge ist, betrifft die Auslegung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95(2) sowie von Art. 33 Abs. 2 Buchst. b, Art. 34, Art. 35 Unterabs. 1 Buchst. b und Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32(3). Es wurde vom Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia, Bulgarien) im Rahmen einer Nichtigkeitsklage von Frau Alheto, einer Staatenlosen palästinensischer Herkunft, gegen den Verwaltungsbescheid der bulgarischen Behörden vorgelegt, mit dem ihr Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Internationales Recht

1.      Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge

2.        Art. 1 Abschnitt D des am 28. Juli 1951 in Genf geschlossenen Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, das am 22. April 1954 in Kraft getreten ist (im Folgenden: Genfer Konvention)(4), sieht Folgendes vor:

„Dieses Abkommen findet keine Anwendung auf Personen, die zurzeit den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge [United Nations High Commissioner for Refugees, im Folgenden: UNHCR] genießen.

Ist dieser Schutz oder diese Unterstützung aus irgendeinem Grunde weggefallen, ohne dass das Schicksal dieser Person endgültig gemäß den hierauf bezüglichen Entschließungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen geregelt worden ist, so fallen diese Personen ipso facto unter die Bestimmungen dieses Abkommens.“

2.      Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge

3.        Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, im Folgenden: UNRWA) wurde nach dem arabisch-israelischen Konflikt von 1948 durch die Resolution 302(IV) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 8. Dezember 1949 gegründet. Seine Aufgabe ist es, den palästinensischen Flüchtlingen in seinem Zuständigkeitsbereich Hilfe, Gesundheitsversorgung, soziale Dienste und Mikrofinanzierung, Bildung und Nothilfe, auch in Zeiten bewaffneter Konflikte, zu leisten und die Bedingungen in den Lagern, in denen sie aufgenommen werden, zu verbessern(5). Derzeit sind etwa 5 Millionen palästinensische Flüchtlinge beim UNRWA registriert. Dieses Hilfswerk ist in Syrien, im Gazastreifen, im Libanon, in Jordanien und im Westjordanland (einschließlich Ostjerusalem) tätig. In Ermangelung einer Lösung der palästinensischen Flüchtlingsfrage wurde das Mandat des UNRWA regelmäßig verlängert, zuletzt bis zum 30. Juni 2020(6).

4.        Das UNRWA ist eine der in Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention und in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 angesprochenen Organisationen der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR(7).

B.      Unionsrecht

1.      Richtlinie 2011/95

5.        Nach Art. 12 („Ausschluss“) Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2011/95 ist ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, „wenn er … den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des [UNHCR] gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt“. In Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 heißt es: „Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie.“

2.      Richtlinie 2013/32

6.        Gemäß Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 müssen die Mitgliedstaaten nicht prüfen, ob dem Antragsteller der internationale Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95 zuzuerkennen ist, wenn ein Antrag auf der Grundlage von Abs. 2 dieses Artikels als unzulässig betrachtet wird. Gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie können die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz insbesondere dann als unzulässig betrachten, wenn „ein Staat, der kein Mitgliedstaat ist, als erster Asylstaat des Antragstellers gemäß Artikel 35 [dieser Richtlinie] betrachtet wird“. Nach Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie kann „[e]in Staat … als erster Asylstaat für einen Antragsteller angesehen werden, wenn a) der Antragsteller in dem betreffenden Staat als Flüchtling anerkannt wurde und er diesen Schutz weiterhin in Anspruch nehmen darf oder b) ihm in dem betreffenden Staat anderweitig ausreichender Schutz, einschließlich der Anwendung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung, gewährt wird“.

7.        Gemäß Art. 46 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2013/32 stellen „die Mitgliedstaaten … sicher, dass Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht haben gegen … eine Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz, einschließlich einer Entscheidung, … einen Antrag als unbegründet in Bezug auf die Flüchtlingseigenschaft und/oder den subsidiären Schutzstatus zu betrachten“. Nach Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie stellen „[z]ur Einhaltung des Absatzes 1 … die Mitgliedstaaten sicher, dass der wirksame Rechtsbehelf eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorsieht, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt und bei der gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie 2011/95/EU zumindest in Rechtsbehelfsverfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht beurteilt wird“.

C.      Nationales Recht

8.        In Bulgarien wird die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz durch den Zakon za ubezhishteto i bezhantsite (Asyl- und Flüchtlingsgesetz, im Folgenden: ZUB) geregelt. Die Richtlinien 2011/95 und 2013/32 wurden durch Änderungen des ZUB durch zwei Gesetze, die am 16. Oktober bzw. am 28. Dezember 2015 in Kraft traten, in bulgarisches Recht umgesetzt(8). Das ZUB sieht zwei Formen des internationalen Schutzes vor: die Flüchtlingseigenschaft (Art. 8 ZUB) und den humanitären Status (Art. 9 ZUB), der dem subsidiären Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95 entspricht.

9.        Gemäß Art. 6 ZUB in der derzeit geltenden Fassung werden die Befugnisse nach dem Gesetz von der Darzhavna agentsia za bezhantsite (Staatliche Agentur für Flüchtlinge, im Folgenden: DAB) ausgeübt. Diese prüft alle Tatsachen und Umstände, die für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz relevant sind.

10.      Art. 12 Abs. 1 ZUB in der derzeit geltenden Fassung bestimmt:

„Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, der:

4.      den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des [UNHCR] genießt; wenn dieser Schutz oder Beistand nicht weggefallen ist(9) und die Lage des Betroffenen nicht gemäß den einschlägigen Resolutionen der Vereinten Nationen geklärt worden ist, genießt eine solche Person mit vollem Recht den Schutz der [Genfer] Konvention.“

11.      Art. 12 Abs. 1 ZUB, im Jahr 2007 durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/83(10) in den ZUB eingefügt, lautete in der vor dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95 geltenden Fassung:

„Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt,

4.      wenn er den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des [UNHCR] genießt und ein solcher Schutz oder Beistand nicht beendet wurde und die Lage des Betroffenen nicht gemäß den einschlägigen Resolutionen der Vereinten Nationen geklärt worden ist“.

12.      Art. 13 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 ZUB sieht in der derzeit geltenden Fassung vor, dass das Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes nicht eröffnet wird oder geschlossen wird, wenn dem Ausländer „die Flüchtlingseigenschaft in einem Drittstaat zuerkannt oder anderweitig ausreichender Schutz, einschließlich der Anwendung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, gewährt wurde, vorausgesetzt, dass er von diesem Staat aufgenommen wird“ oder, wenn der Ausländer „aus einem sicheren Drittstaat kommt, vorausgesetzt, dass er von diesem Staat aufgenommen wird“.

13.      Art. 13 Abs. 2 Nr. 2 ZUB in der vor der Umsetzung der Richtlinie 2013/32 geltenden Fassung bestimmte:

„Das Verfahren zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des humanitären Status wird nicht eröffnet oder wird ausgesetzt, wenn [dem Antragsteller]:

2.      die Flüchtlingseigenschaft von einem sicheren Drittland zuerkannt wurde, vorausgesetzt, dass er von diesem Staat wieder aufgenommen wird“.

14.      Art. 13 Nr. 13 ZUB in der Fassung vor der Umsetzung der Richtlinie 2013/32 sah vor, dass ein Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des humanitären Status als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, wenn die Voraussetzungen von Art. 8 Abs. 1 und 9 oder von Art. 9 Abs. 1, 6 und 8 ZUB nicht erfüllt waren und der Ausländer „aus einem sicheren Herkunftsstaat oder einem sicheren Drittstaat kam, der auf der vom Rat der Europäischen Union angenommenen gemeinsamen Minimalliste oder auf den vom Ministerrat angenommenen nationalen Listen aufgeführt ist“. Nach Art. 13 Abs. 3 ZUB war der Umstand, dass der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat oder einem sicheren Drittstaat stammt, für sich genommen kein Grund, seinen Antrag für offensichtlich unbegründet zu erklären.

15.      Gemäß Art. 75 Abs. 2 ZUB in der derzeit geltenden Fassung werden „[b]ei der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz … alle relevanten Tatsachen, Erklärungen oder Dokumente, die sich auf die persönliche Situation des Antragstellers beziehen, bewertet …“(11).

16.      Der Administrativnoprotsesualen Kodeks (Verwaltungsverfahrensordnung, im Folgenden: APK) findet nach seinem Art. 2 Abs. 1, sofern die gesetzlichen Bestimmungen nichts anderes vorsehen, auf Verwaltungsverfahren vor allen bulgarischen Behörden Anwendung. Art. 168 Abs. 1 APK definiert den Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung im Falle einer Klage gegen einen Verwaltungsbescheid vor dem erstinstanzlichen Gericht wie folgt: „Das Gericht beschränkt sich nicht auf die Prüfung der vom Kläger geltend gemachten Gründe, sondern ist verpflichtet, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsbescheids anhand der von den Parteien vorgelegten Beweise unter Berücksichtigung aller in Art. 146 [APK] erwähnten Gründe zu überprüfen“.

17.      Nach Art. 172 Abs. 2 APK „kann das Gericht den angefochtenen Bescheid der Verwaltungsbehörde für nichtig erklären, ganz oder teilweise aufheben, ändern oder die Klage abweisen“. In Art. 173 Abs. 1 APK heißt es: „Wird die Angelegenheit der Verwaltungsbehörde nicht zur Beurteilung vorgelegt, nachdem der angefochtene Bescheid für nichtig erklärt oder aufgehoben worden ist, entscheidet das Gericht in der Sache“. In Art. 173 Abs. 2 APK heißt es: „Abgesehen von den in Abs. 1 genannten Fällen, verweist das Gericht, wenn der Bescheid wegen Unzuständigkeit nichtig ist oder wenn er seiner Art nach eine Entscheidung in der Sache nicht zulässt, die Rechtssache an die zuständige Verwaltungsbehörde, wobei es verbindliche Anweisungen zur Auslegung und Anwendung des Rechts erteilt“.

II.    Sachverhalt, Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

18.      Frau Serin Auad Alheto, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, ist eine Staatenlose palästinensischer Herkunft, die am 29. November 1972 in der Stadt Gaza, Palästina, geboren ist. Sie ist im Besitz eines von der Palästinensischen Autonomiebehörde am 1. April 2014 ausgestellten Passes, der bis zum 31. März 2019 gültig ist.

19.      Frau Alheto reiste am 10. August 2014 mit einem Visum für eine organisierte Reise nach Bulgarien ein, das am 7. August 2014 vom Konsulat der Republik Bulgarien in Amman (Jordanien) ausgestellt wurde und bis zum 1. September 2014 gültig war. Am 24. August 2014 wurde dieses Visum von den bulgarischen Behörden bis zum 17. November 2014 verlängert. Am 25. November 2014 stellte Frau Alheto bei der DAB einen Antrag auf internationalen Schutz. In der persönlichen Anhörung vom 2. Dezember 2014 erklärte Frau Alheto, dass sie den Gazastreifen am 15. Juli 2014 illegal durch unterirdische Tunnel verlassen und zuerst Ägypten erreicht habe, wo sie sich zwei Tage aufgehalten habe; anschließend sei sie nach Jordanien gelangt, wo sie sich 23 Tage aufgehalten habe, bevor sie mit dem Flugzeug nach Bulgarien abgereist sei. In dieser Anhörung gab Frau Alheto an, dass sie Christin sei. Sie wurde am 24. Februar und am 5. März 2015 zu zwei weiteren persönlichen Anhörungen vorgeladen. Nach ihren Aussagen war Frau Alheto gezwungen, den Gazastreifen wegen der Verschlechterung der dortigen Situation und ihrer Konflikte mit der Hamas, der Organisation, die den Gazastreifen kontrolliert, aufgrund ihrer sozialen Arbeit der Information über die Rechte der Frauen, zu verlassen. Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass Frau Alheto bei der Anhörung vom 5. März 2015 erklärte, im Besitz eines vom UNRWA ausgestellten Dokuments zu sein. Dieses Dokument wurde dem vorlegenden Gericht vorgelegt und bescheinigt die Registrierung von Frau Alheto bei dieser Organisation als palästinensischer Flüchtling(12).

20.      Am 12. Mai 2015 lehnte der stellvertretende Vorsitzende der DAB den Antrag von Frau Alheto nach Prüfung ab und versagte ihr sowohl die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 8 ZUB als auch den humanitären Status im Sinne von Art. 9 ZUB (im Folgenden: Bescheid der DAB). Nach seiner Ansicht waren die Aussagen von Frau Alheto nicht geeignet, ein Verfolgungsrisiko festzustellen, enthielten Widersprüche, insbesondere hinsichtlich ihrer Religionszugehörigkeit, und waren teilweise nicht schlüssig. Im Gegensatz zu dem, was aus diesen Aussagen hervorgehe, sei Frau Alheto nicht gezwungen gewesen, den Gazastreifen zu verlassen, wo die Situation stabil sei, sondern sie habe ihre Ausreise bereits vor Juni oder Juli 2014 geplant, da ihr Pass am 1. April 2014 ausgestellt worden sei.

21.      Frau Alheto focht den Bescheid der DAB vor dem Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia) an. In ihrer Klage macht sie geltend, dass dieser Bescheid gegen die Art. 8 und 9 ZUB sowie gegen Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 in der Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil vom 17. Februar 2009, Elgafaji (C‑465/07, EU:C:2009:94), verstoße. Die Schlussfolgerung des stellvertretenden Vorsitzenden der DAB, wonach die Lage im Gazastreifen stabil sei, beruhe ausschließlich auf einem Bericht der Direktion „Europäische Angelegenheiten, internationale Angelegenheiten und Europäischer Flüchtlingsfonds“ der DAB vom 9. April 2015, der keine angemessene Bewertung der Lage in diesem Gebiet im Hinblick auf die Anwendung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung ermögliche.

22.      Laut dem Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia) hätte die DAB, da Frau Alheto eine beim UNRWA registrierte staatenlose Person palästinensischer Herkunft sei, deren Antrag auf internationalen Schutz nicht als Antrag im Sinne von Art. 1 Abschnitt A der Genfer Konvention, sondern als unter Abschnitt D dieses Artikels fallend und dementsprechend im Licht von Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 ZUB und nicht auf der Grundlage der Art. 8 und 9 dieses Gesetzes prüfen müssen. Dieses Gericht fragt sich, ob das Recht der Europäischen Union es erlaube, einen Antrag auf internationalen Schutz, den ein Staatenloser in der Situation von Frau Alheto gestellt hat, nicht in Anbetracht der Rechtsvorschrift zu prüfen, die Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 in nationales Recht umsetzt, und wenn nicht, ob es unter den Umständen des Ausgangsverfahrens seine Sache sei, eine solche Prüfung durchzuführen, oder ob es einfach die Entscheidung der DAB aufheben und die Akte zur weiteren Prüfung an die DAB zurückverweisen müsse. Der Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia) wirft auch die Frage nach dem Umfang der gerichtlichen Überprüfung des erstinstanzlichen Gerichts im Rahmen des Bescheids über die Versagung des internationalen Schutzes gemäß Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 auf, insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit für dieses Gericht, die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz auf der Grundlage von Art. 33 dieser Richtlinie auch dann zu prüfen, wenn die zuständige Behörde diese Prüfung nicht durchgeführt hat, oder erstmals zu prüfen, ob der Antragsteller in das Land, in dem er vor Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zurückgeschickt werden könnte.

23.      Vor diesem Hintergrund hat der Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia) mit Entscheidung vom 8. November 2016 das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Folgt aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 und Art. 78 Abs. 2 Buchst. a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, dass

a)      er es zulässt, dass der Antrag auf internationalen Schutz eines beim UNRWA als Flüchtling registrierten und vor der Antragstellung in dessen Einsatzgebiet (dem Gazastreifen) ansässigen Staatenlosen palästinensischer Herkunft als Antrag nach Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 anstatt als Antrag auf internationalen Schutz nach Art. 1 Abschnitt D Satz 2 dieser Konvention geprüft wird, unter der Voraussetzung, dass die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags aus anderen als familiären oder humanitären Gründen übernommen wurde und die Prüfung des Antrags durch die Richtlinie 2011/95 geregelt wird;

b)      er es zulässt, dass ein solcher Antrag nicht im Hinblick auf die Voraussetzungen nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 geprüft und dementsprechend die Auslegung dieser Vorschrift durch den Gerichtshof … nicht angewandt wird?

2.      Ist Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit deren Art. 5 dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 ZUB entgegensteht, der in der jeweils geltenden Fassung keine ausdrückliche Klausel über den ipso facto Schutz für palästinensische Flüchtlinge sowie nicht die Voraussetzung vorsieht, dass der Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt wird, sowie dahin, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 hinreichend genau und unbedingt ist und daher unmittelbare Wirkung hat, so dass er auch anwendbar ist, ohne dass sich die internationalen Schutz suchende Person ausdrücklich darauf berufen hat, wenn der Antrag als solcher nach Art. 1 Abschnitt D Satz 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu prüfen ist?

3.      Folgt aus Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95, dass er es in einem Rechtsbehelfsverfahren vor einem Gericht gegen einen in Übereinstimmung mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 erlassenen Bescheid über die Versagung des internationalen Schutzes und unter Berücksichtigung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens zulässt, dass das erstinstanzliche Gericht den Antrag auf internationalen Schutz als solchen nach Art. 1 Abschnitt D Satz 2 der Genfer Flüchtlingskonvention behandelt und die Beurteilung nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 vornimmt, wenn ein beim UNRWA als Flüchtling registrierter und vor der Antragsstellung in dessen Einsatzgebiet (dem Gazastreifen) ansässiger Staatenloser palästinensischer Herkunft den Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und im Bescheid über die Versagung des internationalen Schutzes dieser Antrag nicht im Hinblick auf die genannten Vorschriften geprüft wurde?

4.      Folgt aus den Bestimmungen des Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 bezüglich des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Zusammenhang mit dem Erfordernis einer „umfassenden Ex-nunc-Prüfung, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt“, ausgelegt in Verbindung mit den Art. 33 und 34 sowie mit Art. 35 Abs. 2 dieser Richtlinie und mit Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95, in Verbindung mit den Art. 18, 19 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, dass sie in einem Rechtsbehelfsverfahren vor einem Gericht gegen einen in Übereinstimmung mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 erlassenen Bescheid über die Versagung des internationalen Schutzes Folgendes zulassen:

a)      dass das erstinstanzliche Gericht erstmals über die Zulässigkeit des Antrags auf internationalen Schutz und über die Zurückweisung des Staatenlosen in das Land, in dem er vor der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz ansässig war, entscheidet, nachdem es die Asylbehörde verpflichtet hat, die dafür erforderlichen Beweise vorzulegen und der Person Gelegenheit zur Stellungnahme zur Zulässigkeit des Antrags gegeben hat oder

b)      dass das erstinstanzliche Gericht wegen eines wesentlichen Verfahrensverstoßes den Bescheid aufhebt und die Asylbehörde verpflichtet, unter Beachtung der Anweisungen hinsichtlich der Gesetzesauslegung und ‑anwendung erneut über den Antrag auf internationalen Schutz zu entscheiden, indem sie auch die in Art. 34 der Richtlinie 2013/32 vorgesehene Anhörung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung durchführt und über die Frage entscheidet, ob es möglich ist, den Staatenlosen in das Land zurückzuführen, in dem er vor der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz ansässig war;

c)      dass das erstinstanzliche Gericht die Sicherheit in dem Land beurteilt, in dem die Person zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw., falls wesentliche Änderungen der Lage eingetreten sind, auf die in der Entscheidung zugunsten der Person abzustellen ist, zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils ansässig war?

5.      Ist der vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) gewährte Beistand ein anderweitig ausreichender Schutz im Sinne von Art. 35 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 im jeweiligen Staat im Einsatzgebiet des Hilfswerks, wenn dieser Staat den Grundsatz der Nichtzurückweisung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention … in Bezug auf die vom Hilfswerk unterstützten Personen anwendet?

6.      Folgt aus Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte, dass das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Zusammenhang mit der Bestimmung, wonach „gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie 2011/95… beurteilt wird“ das erstinstanzliche Gericht im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Bescheid, mit dem der Antrag auf internationalen Schutz in der Sache geprüft und der internationale Schutz versagt wurde, zum Erlass eines Urteils verpflichtet,

a)      das über die Frage der Rechtmäßigkeit der Versagung hinaus auch bezüglich des Bedürfnisses des Antragstellers nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie 2011/95 in Rechtskraft erwächst, und zwar auch dann, wenn nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats internationaler Schutz nur durch Entscheidung einer Verwaltungsbehörde gewährt werden kann;

b)      über die Erforderlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes im Wege der angemessenen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz, ungeachtet der von der Asylbehörde bei der Prüfung des Antrags begangenen Verfahrensverstöße?

III. Rechtliche Würdigung

A.      Einleitende Bemerkungen

24.      Aus den Erwägungsgründen 4, 23 und 24 der Richtlinie 2011/95 geht hervor, dass die Genfer Konvention einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen darstellt und dass die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Voraussetzungen der Anerkennung als Flüchtling und über den Inhalt des Flüchtlingen zu gewährenden Schutzes erlassen wurden, um die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Genfer Konvention auf der Grundlage gemeinsamer Konzepte und Kriterien zu leiten(13). Ferner ist dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95 zu entnehmen, dass der Unionsgesetzgeber im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere versucht hat sicherzustellen, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem, zu dessen Festlegung diese Richtlinie beiträgt, auf der uneingeschränkten und umfassenden Anwendung der Genfer Konvention beruht(14).

25.      Die Bestimmungen der Richtlinie 2011/95 sind daher in Anbetracht der allgemeinen Struktur und des Zwecks der Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention und einschlägigen anderen Verträgen, auf welche Art. 78 Abs. 1 AEUV Bezug nimmt, auszulegen. Diese Auslegung muss auch, wie aus dem 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95 hervorgeht, im Einklang mit den in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Rechten erfolgen(15). Unter Berücksichtigung dieser Auslegungskriterien sind die Fragen des Vorabentscheidungsersuchens, das Gegenstand dieser Schlussanträge ist, zu prüfen.

26.      Diese Fragen werden in der folgenden Reihenfolge behandelt. Ich werde zunächst die erste, die zweite und die dritte Vorlagefrage prüfen, die beiden ersten zur Auslegung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 und die dritte zur Zuständigkeit des nationalen Gerichts, erstmals im Rahmen eines Gerichtsverfahrens eine Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz auf der Grundlage dieser Bestimmung durchzuführen. Danach komme ich zur fünften Vorlagefrage, die die Auslegung der Art. 33 und 35 der Richtlinie 2013/32 betrifft. Abschließend werde ich die vierte und die sechste Vorlagefrage zur Auslegung von Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 zusammen prüfen.

B.      Zur ersten Vorlagefrage

27.      Mit der ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz prüfen kann, der von einem beim UNRWA registrierten Staatenlosen palästinensischer Herkunft gestellt wird, ohne den in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 festgelegten Rechtsrahmen zu berücksichtigen, der eine Klausel enthält, die Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die in den Anwendungsbereich von Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention fallen, von der Ankerkennung als Flüchtling ausschließt.

28.      Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention gilt für eine bestimmte Gruppe von Personen, die zwar für die Anerkennung als Flüchtlinge im Sinne von Art. 1 Abschnitt A der Konvention in Betracht kommen, aber nach Art. 1 Abschnitt D Satz 1 vom Schutz der Konvention ausgeschlossen sind, weil sie Schutz oder Beistand von anderen Organisationen oder Institutionen der Vereinten Nationen als dem UNHCR erhalten.

29.      Palästinenser, die nach den arabisch-israelischen Konflikten von 1948 und 1967 als Flüchtlinge betrachtet werden, die den Schutz und den Beistand des UNRWA genießen und auf die die in Art. 1 Abschnitte C, E und F der Genfer Konvention genannten Situationen nicht zutreffen, fallen in den Anwendungsbereich von Art. 1 Abschnitt D der Konvention(16) und damit in den Anwendungsbereich von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95(17). Gegenwärtig ist dies die einzige Gruppe von Flüchtlingen, die unter diese Bestimmungen fällt.

30.      Wenn Art. 1 Buchst. D Abs. 1 der Genfer Konvention eine Ausschlussklausel enthält, nach der bestimmte Personen keinen Schutz im Sinne dieses Artikels genießen, so enthält Art. 1 Buchst. D Abs. 2 eine Einschlussklausel, die für Flüchtlinge gilt, für die, aus welchen Gründen auch immer, der Schutz oder Beistand durch die in Abs. 1 genannte Organisation oder Institution der Vereinten Nationen weggefallen ist und deren Lage nicht endgültig gemäß den von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Resolutionen geregelt worden ist(18). Für diese Personen gilt uneingeschränkt der Schutz der Genfer Konvention.

31.      Parallel dazu enthält Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 eine Einschlussklausel, die nahezu identisch mit den in Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention verwendeten Klauseln ist. Personen, die in den Anwendungsbereich von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2011/95 fallen, genießen, wenn die Bedingungen der Einschlussklausel in Satz 2 dieser Bestimmung erfüllt sind, „ipso facto den Schutz dieser Richtlinie“(19).

32.      Der Gerichtshof hatte bereits Gelegenheit, über den Anwendungsbereich und die Anwendungsbedingungen der Ausschluss- und der Einschlussklausel in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 zu entscheiden, die denselben Inhalt wie die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2011/95 haben.

33.      Was die erste dieser Klauseln anbelangt, hat der Gerichtshof zum einen festgestellt, dass von dieser Vorschrift über den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2004/83 nur Personen erfasst sind, die den Schutz oder den Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR „tatsächlich in Anspruch nehmen“(20) (Urteil vom 17. Juni 2010, Bolbol, C‑31/09, EU:C:2010:351, Rn. 51), und zum anderen, dass dieser Ausschluss nicht wegen der bloßen Abwesenheit desjenigen, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt, vom oder seinem freiwilligen Verlassen des Einsatzgebiets dieser Organisation oder Institution entfällt (Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a., C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 49 bis 52).

34.      Hinsichtlich der Bedingungen für die Anwendung der Einschlussklausel hat der Gerichtshof geklärt, dass die Beendigung des Schutzes oder des Beistands durch eine Organisation oder Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 „aus irgendeinem Grund“ nicht nur durch die Auflösung der Organisation oder Institution, die den Schutz oder den Beistand gewährt, bestimmt wird, sondern auch dann, wenn es der Organisation oder Institution unmöglich ist, ihre Aufgaben zu erfüllen(21). Die Beendigung dieses Schutzes oder Beistands beziehe sich auch auf die Situation einer Person, der, nachdem sie diesen Schutz oder Beistand tatsächlich in Anspruch genommen hatte, dieser aus einem von ihr nicht zu kontrollierenden und von ihrem Willen unabhängigen Grund nicht länger gewährt wird(22).

35.      Zu den Auswirkungen der Einschlussklausel hat der Gerichtshof schließlich erläutert, dass dann, wenn die zuständigen Behörden des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats festgestellt haben, dass die Voraussetzung, dass der in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2004/83 genannte Schutz oder Beistand der Organisation oder Institution der Vereinten Nationen nicht länger gewährt wird, beim Antragsteller erfüllt ist, der Umstand, dass er ipso facto „den Schutz dieser Richtlinie [genießt]“, wie in deren Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 vorgesehen, für den Antragsteller die Anerkennung als Flüchtling im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft von Rechts wegen durch diesen Mitgliedstaat nach sich zieht, sofern er nicht von Art. 12 Abs. 1 Buchst. b oder Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie erfasst wird(23).

36.      Ganz allgemein hat der Gerichtshof im Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826), anerkannt, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 eine bestimmte Gruppe von Personen betrifft, die aufgrund der sie kennzeichnenden Lage eine Sonderbehandlung erhalten, die ihnen zu gewähren die Unterzeichnerstaaten der Genfer Konvention im Jahr 1951 ausdrücklich beschlossen haben(24). Zu dieser Gruppe zählende Personen sind von der internationalen Gemeinschaft bereits als Flüchtlinge anerkannt und kommen als solche in den Genuss eines gesonderten Schutzprogramms, das den Organisationen der Vereinten Nationen übertragen wurde.

37.      Wie der Gerichtshof weiter ausgeführt hat, verfolgt Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention über die Bestätigung des diesen Personen zuerkannten Sonderstatus hinaus das Ziel, die Fortdauer des Schutzes für den Fall zu gewährleisten, dass sie nicht mehr unter den Schutz oder den Beistand der Organisationen der Vereinten Nationen fallen(25). Gleichzeitig soll mit diesem Artikel eine Überschneidung der Zuständigkeiten zwischen den genannten Organisationen und dem UNHCR vermieden werden(26).

38.      Es liegt somit auf der Hand, dass, will man die Verwirklichung der mit Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention verfolgten Ziele gewährleisten und den Status wahren, den die internationale Gemeinschaft der in jenem Artikel genannten Personengruppe zuerkannt hat, indem sie diesen Personen die Sonderbehandlung gewährt, auf die sie nach der Konvention Anspruch haben, die Anwendung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 auf einen zu dieser Gruppe zählenden Asylbewerber nicht dem Ermessen der seinen Antrag prüfenden nationalen Behörden überlassen werden darf.

39.      Die Situation der vom UNRWA unterstützten Palästinenser, die in einem Mitgliedstaat einen Asylantrag stellen, ist nicht mit der eines anderen Asylbewerbers vergleichbar, der eine begründete Furcht vor Verfolgung nachweisen muss, um als „Flüchtling“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 anerkannt zu werden(27). Die Prüfung eines solchen Antrags kann daher zumindest zu Beginn nicht im Sinne dieser Bestimmung, die Art. 1 Abschnitt A Abs. 2 der Genfer Konvention wiedergibt, sondern muss unter Berücksichtigung der in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 festgelegten Kriterien erfolgen.

40.      Die in diesem Artikel genannten Ausschluss- und Einschlussklauseln sind jedoch zusammen zu lesen, und ihre Anwendbarkeit auf einen Asylbewerber ist in einer einzigen, schrittweise erfolgenden Prüfung zu beurteilen(28). Sobald festgestellt ist, dass die betreffende Person zur Gruppe der palästinensischen Flüchtlinge zählt, für die gemäß Art. 1 Abschnitt D Satz 1 der Genfer Konvention die Regelung der Konvention und damit die Richtlinie 2011/95 nicht gilt, ist unter Berücksichtigung der Erklärungen der betreffenden Person zu prüfen, ob sie gleichwohl gemäß Art. 1 Abschnitt D Satz 2 unter diese Regelung und folglich gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 unter die der Richtlinie 2011/95 fällt, weil der Schutz oder der Beistand des UNRWA für diese Person in der Zwischenzeit weggefallen ist.

41.      Konkret muss, wie der Gerichtshof im Urteil vom 17. Juni 2010, Bolbol (C‑31/09, EU:C:2010:351), ausgeführt hat, die für die Prüfung eines von einem palästinensischen Flüchtling gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständige nationale Behörde zunächst prüfen, ob der Antragsteller den Schutz oder den Beistand des UNRWA in Anspruch genommen hat. Kann dies nicht festgestellt werden, kann der Antragsteller nicht gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Richtlinie 2011/95 als von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen angesehen werden, und sein Antrag auf internationalen Schutz ist im Licht von Art. 2 Buchst. c(29) und gegebenenfalls von Art. 2 Buchst. f dieser Richtlinie zu prüfen(30).

42.      Wird hingegen festgestellt, dass der Antragsteller den Schutz oder den Beistand des UNRWA in Anspruch genommen hat, hat die zuständige nationale Behörde eine individuelle Prüfung aller maßgeblichen Umstände vorzunehmen, um festzustellen, ob der Wegzug des Betroffenen aus dem Einsatzgebiet des UNRWA durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen(31). Dies ist der Fall, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA unmöglich ist, ihr in seinem Einsatzgebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der ihm obliegenden Aufgabe im Einklang stehen(32).

43.      Auch wenn diese Prüfung in mancherlei Hinsicht derjenigen ähnelt, die bei der Beurteilung des Antrags auf internationalen Schutz im Licht von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 durchzuführen ist, da sie zumindest teilweise auf einer Untersuchung derselben Tatsachen und Umstände (insbesondere der individuellen Lage und der persönlichen Umstände des Antragstellers, der Situation in seinem Herkunftsstaat oder im Gebiet seines gewöhnlichen Aufenthalts, der von ihm abgegebenen Erklärungen und der vorgelegten einschlägigen Unterlagen) beruht(33), ist doch der Zweck ein anderer.

44.      Die in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 vorgeschriebene Prüfung dient der Feststellung, ob der Schutz oder der Beistand des UNRWA für den Asylbewerber tatsächlich entfallen ist, was, wie sich gezeigt hat, der Fall sein kann, wenn diese Organisation aus objektiven Gründen oder aus Gründen, die sich auf die individuelle Situation des Antragstellers beziehen, nicht mehr in der Lage ist, ihm Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der ihr obliegenden Aufgabe im Einklang stehen, oder wenn der Antragsteller aufgrund praktischer, rechtlicher oder sicherheitsbedingter Hindernisse im betreffenden Einsatzgebiet des UNRWA nicht dorthin zurückkehren kann(34).

45.      In diesem Zusammenhang muss der Asylbewerber keine Furcht vor Verfolgung im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 nachweisen, um als Flüchtling anerkannt zu werden – obwohl der Nachweis einer solchen Furcht ihn in vollem Umfang für die Einschlussklausel in Art. 12 Abs. 1 Buchst a Satz 2 dieser Richtlinie qualifizieren würde – sondern es genügt, wenn er beispielsweise eine Unterbrechung des Schutzes oder des Beistands durch den UNRWA oder das Vorhandensein bewaffneter Konflikte oder ganz allgemein von Gewalt oder Unsicherheit nachweist, so dass dieser Schutz oder Beistand unwirksam oder nicht vorhanden ist, auch wenn diese Situationen, wenn sie von einem nicht in den Anwendungsbereich von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 fallenden Antragsteller geltend gemacht werden, eher die Gewährung des subsidiären Schutzstatus als des Flüchtlingsstatus rechtfertigen könnten.

46.      Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, dass unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Prüfung des von Frau Alheto, einer Asylbewerberin palästinensischer Herkunft, gestellten Antrags auf internationalen Schutz von der DAB auf der Grundlage der innerstaatlichen Bestimmungen zur Umsetzung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 und 2 der Richtlinie 2011/95 durchgeführt werden musste. Da die Eintragung eines palästinensischen Flüchtlings in das UNRWA-Registrierungssystem ein schlüssiges Indiz dafür ist, dass dieser Flüchtling ein Empfänger des Schutzes oder des Beistands des UNRWA ist oder war(35), fällt Frau Alheto, die eine solche Registrierung nachgewiesen hat, unter Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention und damit unter Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95. Die DAB hätte daher auf der Grundlage einer individuellen Prüfung und unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände prüfen müssen, ob Frau Alheto unter die Einschlussklausel in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 fällt. Zu diesem Zweck hätte sie prüfen müssen, ob die Ausreise von Frau Alheto aus dem Gazastreifen durch von ihrem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt war, die sie zum Verlassen dieses Gebiets gezwungen und somit daran gehindert haben, den vom UNRWA gewährten Schutz oder Beistand zu genießen(36). Wenn ja, hätte die DAB Frau Alheto die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen müssen, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass es keine anderen Ausschlussgründe gibt.

47.      Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich darauf hinweisen, dass bei der Überprüfung, ob der Schutz oder der Beistand des UNRWA gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 weggefallen ist, die für die Prüfung des Antrags eines palästinensischen Antragstellers zuständige nationale Behörde allein die Situation im Einsatzgebiet des UNRWA berücksichtigen darf, in dem der Antragsteller vor der Einreichung eines Asylantrags seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte – im Falle von Frau Alheto im Gazastreifen – auch wenn diese andere Gebiete dieses Bereichs durchquert hat, bevor sie das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erreichte(37).

48.      Nach alledem bin ich der Auffassung, dass auf die erste Vorabentscheidungsfrage zu antworten ist, dass die Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass der Antrag eines beim UNRWA registrierten Staatenlosen palästinensischer Herkunft, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Einsatzgebiet dieser Organisation hatte, auf internationalen Schutz, unter Berücksichtigung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie zu prüfen ist.

C.      Zur zweiten Vorlagefrage

49.      Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 unmittelbare Wirkung hat und ob er ungeachtet dessen im Streitfall Anwendung finden kann, dass sich Frau Alheto nicht auf ihn berufen hat.

50.      Der Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia) stellt fest, dass die Fassung von Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 ZUB in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95(38)ratione temporis auf die Situation von Frau Alheto(39) nicht anwendbar sei, während die Fassung vor dieser Änderung Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 unvollständig umsetze, da sie nicht die in dessen Satz 2 vorgesehene Einschlussklausel enthalte(40).

51.      Da das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95 in bulgarisches Recht ratione temporis nicht anwendbar ist, werde ich auf die Änderungen, die durch dieses Gesetz in Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 ZUB aufgenommen wurden, nicht eingehen und mich auch nicht zur Übereinstimmung dieses Artikels in der derzeit geltenden Fassung mit Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 äußern, obwohl der Gerichtshof in bestimmten Passagen des Vorlagebeschlusses und im ersten Teil der zweiten Vorlagefrage aufgefordert wird, zu dieser Frage Stellung zu nehmen.

52.      Was die Fassung von Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 ZUB vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95 angeht, verhehle ich nicht, auch wenn es nicht Sache des Gerichtshofs ist, die Auslegung des eigenen innerstaatlichen Rechts durch das nationale Gericht in Frage zu stellen, dass ich einige Zweifel daran habe, ob es tatsächlich unmöglich ist, wie der Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia) ausgeführt hat, diese Bestimmung im Einklang mit Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 auszulegen. Obwohl die Einschlussklausel in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 dort nicht ausdrücklich wiedergegeben wurde, wies diese Bestimmung gleichwohl eindeutig darauf hin, dass die Ausschlussklausel hinsichtlich der Anerkennung als Flüchtling nur solange anwendbar ist, bis der Schutz oder der Beistand durch die Organisation oder Institution der Vereinten Nationen nicht mehr besteht. Die Feststellung, dass der Schutz oder der Beistand weggefallen sei, konnte daher nur zur Nichtanwendung der Ausschlussklausel führen, mit den vom Gerichtshof im Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826), klargestellten Folgen. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung von den nationalen Gerichten verlangt, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles zu tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem vom Unionsrecht verfolgten Ziel im Einklang steht(41).

53.      Vor diesem Hintergrund besteht, um die Frage des vorlegenden Gerichts zu beantworten, meines Erachtens kein Zweifel daran, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95, soweit er eindeutig das Recht der palästinensischen Flüchtlinge festlegt, die in den Anwendungsbereich von Satz 1 dieser Bestimmung fallen und sich nicht mehr auf den Schutz oder den Beistand des UNRWA berufen können, um Zugang zu dem durch die Richtlinie gewährten Schutz zu erhalten, inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist, um von den betroffenen Personen vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden zu können(42).

54.      Zur Frage, ob Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 vom vorlegenden Gericht angewandt werden kann, obwohl sich die Klägerin im Ausgangsverfahren nicht auf ihn berufen hat, möchte ich darauf hinweisen, dass der Gerichtshof bereits Gelegenheit hatte, festzustellen, dass „das anerkannte Recht des Betroffenen, sich, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind, vor dem nationalen Gericht auf eine Richtlinie zu berufen, deren Umsetzungsfrist abgelaufen ist, nicht die Berechtigung für das nationale Gericht ausschließt, diese Richtlinie zu berücksichtigen, auch wenn sich die Partei nicht auf sie beruft“, und spezifische unbedingte Bestimmungen dieser Richtlinie unmittelbar anzuwenden, wobei es das zu diesen Bestimmungen in Widerspruch stehende innerstaatliche Recht unangewendet lässt.

55.      Vor diesem Hintergrund bin ich der Ansicht, dass auf die zweite vom Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia) zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage zu antworten ist, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 eine Bestimmung enthält, die hinreichend genau und unbedingt ist, um von den betroffenen Personen vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden zu können. Der Umstand, dass eine Bestimmung des Unionsrechts, die unmittelbare Wirkung hat, von der betroffenen Partei in einem Gerichtsverfahren nicht geltend gemacht wurde, hindert das nationale Gericht nicht daran, sie unmittelbar anzuwenden, wenn es dies für erforderlich hält.

D.      Zur dritten Vorlagefrage

56.      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob sich aus Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 ergibt, dass das erstinstanzliche Gericht im Rahmen einer Klage gegen einen Bescheid, mit dem der Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes abgelehnt wurde, den ein beim UNRWA registrierter Staatenloser palästinensischer Herkunft gestellt hatte, diesen Antrag auch dann auf der Grundlage der in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 festgelegten Grundsätze prüfen darf, wenn eine solche Prüfung nicht zuvor von der zuständigen Behörde durchgeführt wurde.

57.      Zunächst stellt sich die Frage, ob die Richtlinie 2013/32 ratione temporis auf das Ausgangsverfahren angewendet werden kann.

58.      Gemäß Art. 51 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 lief die Frist, die den Mitgliedstaaten zur Umsetzung der in dieser Bestimmung genannten Artikel, darunter Art. 46, eingeräumt wurde, am 20. Juli 2015 ab. Gemäß Art. 52 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie wenden „[d]ie Mitgliedstaaten … die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Artikel 51 Absatz 1 [dieser Richtlinie] auf förmlich gestellte Anträge auf internationalen Schutz … nach dem 20. Juli 2015 oder früher an“. Nach ihrem Art. 52 Abs. 1 Satz 2 gelten für „vor diesem Datum [20. Juli 2015] gestellte Anträge … die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Maßgabe der Richtlinie 2005/85 …“.

59.      Obwohl die Abstimmung zwischen Art. 52 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Richtlinie 2013/32 nicht offensichtlich ist(43), scheinen die Worte „oder früher“ in Satz 1, deren Aufnahme in den Text der Richtlinie vom Rat gewollt war(44), dahin auszulegen zu sein, dass die Mitgliedstaaten das Recht hatten, im Rechtsakt zur Umsetzung der Richtlinie vorzusehen, dass die nationalen Vorschriften zur Einhaltung der in Art. 51 Abs. 1 der Richtlinie genannten Artikel auch für Anträge auf internationalen Schutz gelten, die vor dem in diesem Artikel genannten Zeitpunkt gestellt wurden. Für den Fall, dass von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht wird, sah Art. 52 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2013/32 vor, dass die Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 2005/85 weiterhin gelten.

60.      Der Unionsgesetzgeber hat daher besondere Übergangsregelungen vorgesehen, um die zeitliche Anwendung der Bestimmungen der neuen Richtlinie (Richtlinie 2013/32) und die der aufgehobenen Richtlinie (Richtlinie 2005/85) zu koordinieren. Nach dieser Regelung sind Anträge auf internationalen Schutz, die vor dem 20. Juli 2015 gestellt wurden, gemäß den Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 2005/85 zu prüfen, sofern der nationale Gesetzgeber nichts anderes bestimmt.

61.      Auf ein Ersuchen um Klarstellung gemäß Art. 101 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs hat das vorlegende Gericht erläutert, dass Art. 37 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2013/32, das am 28. Dezember 2015 in Kraft getreten sei, besage, dass die vor diesem Zeitpunkt eingeleiteten Verfahren auf der Grundlage der zuvor geltenden Bestimmungen abgeschlossen würden. Daraus folgt, dass der bulgarische Gesetzgeber, wenn auch implizit, beschlossen hat, von der in Art. 52 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen Möglichkeit, die Anwendung der nationalen Bestimmungen zur Umsetzung dieser Richtlinie auch auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge auf internationalen Schutz vorzusehen, keinen Gebrauch zu machen.

62.      Da Frau Alheto ihren Antrag auf internationalen Schutz am 25. November 2014 gestellt hat, musste dieser Antrag, der sowohl dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2013/32 in bulgarisches Recht als auch dem in Art. 52 Abs. 1 Satz 1 dieser Richtlinie festgelegten Zeitpunkt vorausging, sowohl nach nationalem Recht (Art. 37 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2013/32) als auch nach Unionsrecht (Art. 52 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2013/32) auf der Grundlage der Bestimmungen geprüft werden, mit denen die Richtlinie 2005/85 in bulgarisches Recht umgesetzt wurde(45).

63.      Daher ist die Richtlinie 2013/32 ratione temporis nicht auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar. Die vom vorlegenden Gericht angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Gerichte der Mitgliedstaaten während der für die Umsetzung einer Richtlinie vorgesehenen Frist so weit wie möglich davon absehen müssen, das innerstaatliche Recht in einer Weise auszulegen, die die Erreichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels nach Ablauf der Umsetzungsfrist ernsthaft gefährden könnte(46), ist meines Erachtens auf das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen nicht anwendbar. Obwohl der bulgarische Gesetzgeber, wie der Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia) feststellt, keine besonderen Bestimmungen zur Umsetzung von Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 erlassen hat, so dass die vor der Umsetzung dieser Richtlinie bestehenden Bestimmungen als „in den Anwendungsbereich [dieser Richtlinie] fallend“(47) angesehen werden müssen, sieht diese Richtlinie nämlich, obwohl sie in Kraft getreten war, bevor Frau Alheto ihren Asylantrag gestellt hat, ausdrücklich vor, dass dieser Antrag, da er vor dem 20. Juli 2015 gestellt wurde, auf der Grundlage der Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 2005/85 zu prüfen ist, sofern das nationale Recht nichts anderes vorsieht.

64.      Aus den oben genannten Gründen ist die dritte Vorabentscheidungsfrage meines Erachtens für unzulässig zu erklären(48). Die folgenden Überlegungen erfolgen daher lediglich hilfsweise.

65.      Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 und die mit ihm eingeführte Bestimmung des Umfangs der gerichtlichen Überprüfung von Verwaltungsbescheiden im Asylbereich haben bei den nationalen Gerichten ein gewisses Interesse geweckt, wie die Tatsache zeigt, dass Fragen nach der Auslegung dieser Bestimmung in weiteren fünf derzeit beim Gerichtshof anhängigen Vorabentscheidungsverfahren aufgeworfen wurden(49). Im Vergleich zu Art. 39 der Richtlinie 2005/85, der lediglich die Verpflichtung enthält, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf zu gewährleisten, es den Mitgliedstaaten aber überlässt, den Umfang dieses Rechts(50) festzulegen, kommt in Art. 46 der Richtlinie 2013/32 im Ergebnis eine Perspektivenverlagerung zum Ausdruck, die auch den unterschiedlichen Grad der Harmonisierung der beiden Rechtsakte widerspiegelt.

66.      Aus der in diesem Artikel verwendeten Terminologie geht klar hervor, dass sich der Unionsgesetzgeber bei der Festlegung der Standards, die die Mitgliedstaaten gemäß Abs. 3 einhalten müssen, um der Verpflichtung nach Abs. 1 nachzukommen, einem Antragsteller auf internationalen Schutz einen wirksamen Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen, an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Rahmen der Anwendung von Art. 13 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in Verbindung mit deren Art. 3 orientiert hat(51).

67.      Nach Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 ist ein Rechtsbehelf wirksam, wenn er „eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorsieht, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt und bei der gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie 2011/95“ beurteilt wird.

68.      Die Notwendigkeit einer „umfassenden Prüfung“, nicht nur der Einhaltung der geltenden Rechtsnormen, sondern auch der Feststellung und Würdigung der Tatsachen, wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits seit langem festgestellt. Seiner Ansicht nach erfordern die Bedeutung von Art. 3 EGMR und der nicht wiedergutzumachende Schaden, der im Falle eines Verstoßes gegen ihn verursacht werden könnte, eine „genaue Prüfung“(52) und eine „unabhängige, strenge“(53) und umfassende(54) Prüfung der Gründe, die sich auf die Gefahr von nach diesem Artikel verbotenen Behandlungen beziehen. Diese Prüfung „muss jeden Zweifel, sofern legitim, an der Unbegründetheit des Antrags auf internationalen Schutz ausräumen, unabhängig vom Umfang der Zuständigkeit der für die Prüfung zuständigen Behörde“(55). Die Notwendigkeit einer umfassenden Prüfung bedeutet, dass die Überprüfung durch das Gericht über eine bloße Prüfung der Verfälschung von Tatsachen oder Beweismitteln und einen offensichtlichen Beurteilungsfehler hinausgeht.

69.      Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 sieht ferner vor, dass die umfassende Prüfung der Rechtsbehelfsgründe sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht ex nunc zu erfolgen hat, d. h. nicht auf der Grundlage der Umstände, die der Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, zum Zeitpunkt des Erlasses bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, sondern auf der Grundlage derjenigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts vorliegen(56). Dies bedeutet einerseits die Möglichkeit für den Antragsteller, sich auf neue Elemente zu berufen, die nicht vor der Behörde, die den Antrag auf internationalen Schutz geprüft hat, vorgebracht worden waren(57), und andererseits die Befugnis des den Rechtsbehelf prüfenden Gerichts, von Amts wegen die für die Beurteilung der Lage des Antragstellers relevanten Elemente zusammenzutragen.

70.      Die Prüfung des „Bedürfnis[ses] nach internationalem Schutz“ des Antragstellers, die auch zu dem in Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 festgelegten Standard gehört, bietet dem Gericht die Möglichkeit – sofern es der Auffassung ist, dass ihm alle erforderlichen Informationen dazu vorliegen („gegebenenfalls“) –, über die jeder der in Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 aufgeführten Entscheidungen zugrunde liegende Frage zu befinden, nämlich die, ob der Antragsteller Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf den subsidiären Schutzstatus hat.

71.      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine „Anerkennung“ und kein konstitutiver Akt(58) ist, was, wie der Gerichtshof im Urteil vom 24. Juni 2015, H. T. (C‑373/13, EU:C:2015:413, Rn. 63)(59), festgestellt hat, dazu führt, dass die Mitgliedstaaten – und damit die für die Prüfung von Asylanträgen zuständigen nationalen Behörden – verpflichtet sind, einer Person, die die Mindestanforderungen des Unionsrechts erfüllt, diesen Status zu gewähren und „in dieser Hinsicht keinen Ermessensspielraum haben“. Bei der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz nehmen diese Behörden daher eine rechtliche Beurteilung des Sachverhalts vor, ohne dabei irgendein Verwaltungsermessen auszuüben. Ist das Gericht der Auffassung, dass diese Beurteilung unrichtig ist, muss es gemäß Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32, sofern die ihm zur Verfügung stehenden Informationen dies zulassen, die Prüfung des Bedürfnisses nach internationalem Schutz des Antragstellers selbst vornehmen können, ohne verpflichtet zu sein, den Fall an die Behörde zurückzuverweisen. Kommt das Gericht auf der Grundlage dieser Prüfung zu dem Schluss, dass der Antragsteller die Kriterien für die Anerkennung als Flüchtling oder für die Gewährung subsidiären Schutzes erfüllt, muss das Gericht, wenn es nach nationalem Recht nicht zuständig ist, die den internationalen Schutz gewährende Maßnahme zu erlassen, und daher die angefochtene Entscheidung nicht ändern kann, dennoch befugt sein, bindende Angaben zum Bedürfnis des Antragstellers nach internationalem Schutz zu machen, denen die für den Erlass dieser Maßnahme zuständige Behörde nachkommen muss.

72.      Vor diesem Hintergrund bin ich der Auffassung, dass das vorlegende Gericht, sollte Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar sein, verpflichtet wäre, die Regeln des APK so weit wie möglich dahin auszulegen, dass es in einer Situation wie der von Frau Alheto im Licht von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 für die Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist und, falls eine solche Auslegung nicht möglich ist, diejenigen dieser Regeln, die es daran hindern, diese Prüfung durchzuführen, unangewendet zu lassen.

73.      Ich glaube jedoch nicht, dass man auf der Grundlage von Art. 39 der Richtlinie 2005/85 zu dem gleichen Ergebnis gelangen kann, und zwar aus den oben in Nr. 65 genannten Gründen.

E.      Zur fünften Vorlagefrage

74.      Mit seiner fünften Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der vom UNRWA in seinem Einsatzgebiet gewährte Beistand als „ausreichender Schutz“ im Sinne von Art. 35 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 angesehen werden kann. Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass diese Frage zur Beurteilung dessen gestellt wird, ob unter den Umständen des Ausgangsverfahrens Jordanien als „erster Asylstaat“ von Frau Alheto angesehen werden kann. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte, sollte dies der Fall sein, der von ihr eingereichte Antrag auf internationalen Schutz auf der Grundlage von Art. 33 der Richtlinie 2013/32 als unzulässig angesehen werden.

75.      Bevor ich diese Frage beantworte, möchte ich darauf hinweisen, dass Art. 35 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 den Wortlaut von Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2005/85, der Vorläuferin der Richtlinie 2013/32, wiedergibt. Da im Licht der Ausführungen in den Nrn. 58 bis 63 der vorliegenden Schlussanträge auf den Antrag von Frau Alheto auf internationalen Schutz nur die gemäß der Richtlinie 2005/85 erlassenen Bestimmungen des bulgarischen Rechts anwendbar sind, ist die fünfte Vorlagefrage, nach Umformulierung, als Bezugnahme auf die Auslegung von Art. 26 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie anzusehen.

76.      Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85 sah – wie der derzeitige Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 – vor, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sein sollten, einen Asylantrag in der Sache zu prüfen, wenn er aus einem der in Abs. 2 genannten Gründe als unzulässig angesehen wurde. Zu diesen Gründen zählte nach Art. 25 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2005/85 der Umstand, dass ein Drittstaat gemäß Art. 26 dieser Richtlinie als „erster Asylstaat“ des Antragstellers betrachtet wurde. In Abs. 1 Buchst. a und b dieses Artikels waren zwei verschiedene Situationen genannt, in denen ein Drittland als „erster Asylstaat“ des Antragstellers angesehen werden konnte. Die erste betraf den Fall, dass die Person „in dem betreffenden Staat als Flüchtling anerkannt wurde“ und diesen Schutz weiterhin in Anspruch nehmen konnte. Die zweite betraf den Fall, dass der Person „in dem betreffenden Staat anderweitig ausreichender Schutz, einschließlich der Anwendung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung, gewährt wird“.

77.      Aus dem Vorlagebeschluss(60) geht nun hervor, dass die auf den Antrag von Frau Alheto anwendbare Fassung von Art. 13 Abs. 2 Nr. 2 ZUB den zweiten Fall gemäß Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2005/85 nicht berücksichtigt. Wie das vorlegende Gericht ausführt, hat der bulgarische Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie beschlossen, die Möglichkeit, einen Asylantrag nach Art. 25 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie für unzulässig zu erklären, allein auf den Fall zu beschränken, in dem dem Antragsteller in einem sicheren Drittstaat der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Erst mit der Umsetzung der Richtlinie 2013/32 hat der Gesetzgeber, wie dem Vorlagebeschluss zu entnehmen ist, in Art. 13 Abs. 2 Nr. 2 des ZUB auch den Grund für die Unzulässigkeit eines Antrags eingeführt, dass dem Antragsteller in einem Drittstaat ein „wirksamer Schutz, einschließlich der Anwendung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung“ gewährt wird. Diese Fassung von Art. 13 Abs. 2 Nr. 2 ZUB gilt jedoch nicht für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens.

78.      Gemäß Art. 5 der Richtlinie 2005/85 konnten die Mitgliedstaaten „bei den Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft günstigere Bestimmungen einführen oder beibehalten, soweit diese Bestimmungen mit dieser Richtlinie vereinbar [waren]“. Aus dem Wortlaut von Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85 ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, nicht aber die Pflicht hatten, in ihren nationalen Verfahren zur Prüfung von Asylanträgen die Unzulässigkeitsgründe gemäß Art. 25 Abs. 2 dieser Richtlinie vorzusehen, während deren 22. Erwägungsgrund besagt, dass ihr Art. 25 eine Ausnahme von der Regel darstelle, nach der alle Asylanträge von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten in der Sache geprüft werden müssten(61).

79.      Daraus folgt, dass der bulgarische Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie 2005/85 rechtswirksam beschließen konnte – wie er es getan hat –, nicht alle in Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2005/85 vorgesehenen Gründe für die Unzulässigkeit des Asylantrags, insbesondere den sich aus Art. 25 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie in Verbindung mit deren Art. 26 Abs. 1 Buchst. b ergebenden Grund, umzusetzen(62).

80.      Unter diesen Umständen ist, da nach dem für die Prüfung des Antrags von Frau Alheto auf internationalen Schutz anwendbaren bulgarischen Recht dieser Antrag jedenfalls aus dem in Art. 25 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2005/85 in Verbindung mit deren Art. 26 Abs. 1 Buchst. b vorgesehenen Grund keinesfalls für unzulässig erklärt werden konnte, die fünfte Vorlagefrage, da sie, wie sie umformuliert worden ist, die Auslegung dieser Bestimmungen betrifft, hypothetischer Natur und daher unzulässig(63).

81.      Deshalb befasse ich mich nur hilfsweise kurz mit dieser Frage.

82.      Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2005/85 sollte in Anbetracht ihres bereits erwähnten 22. Erwägungsgrundes gelesen werden, wonach die Mitgliedstaaten sich der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz in der Sache entziehen können, wenn „aus gutem Grund davon ausgegangen werden kann, dass ein anderer Staat … für einen ausreichenden Schutz sorgen würde“, insbesondere, „wenn der erste Asylstaat dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat oder ihm anderweitig ausreichenden Schutz gewährt und die Rückübernahme des Antragstellers in diesen Staat gewährleistet ist“.

83.      Aus diesem Erwägungsgrund geht jedoch eindeutig hervor, dass nur ein Schutz, der von dem Staat gewährt wird, der als erster Asylstaat des Antragstellers angesehen werden kann, für die Anwendung des in Art. 25 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2005/85 in Verbindung mit deren Art. 26 Abs. 1 Buchst. b festgelegten Unzulässigkeitsgrundes relevant sein kann. Und es könnte nicht anders sein, da der Schutz vor Zurückweisung, der Teil des Schutzes gemäß Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2005/85 ist, nur von dem Staat gewährleistet werden kann, in den der Antragsteller zurückkehren würde, vorausgesetzt, er wird in diesen Staat zurückgeschickt, wenn sein Antrag aufgrund des in Art. 25 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehenen Grundes als unzulässig betrachtet wird. Eine Organisation wie das UNRWA kann zwar Beistand und wesentliche Dienstleistungen erbringen, die teilweise mit denen staatlicher Stellen im Rahmen eines internationalen oder humanitären Schutzes vergleichbar sind, sie kann jedoch den Personen in ihrem Wirkungsbereich nicht garantieren, dass ihnen, wenn sie aus von ihrem Willen unabhängigen Gründen das Gebiet, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, verlassen, um in einen anderen Staat innerhalb des Einsatzgebiets dieser Organisation zu reisen, nicht von diesem Staat in das Gebiet, aus dem sie ausgereist sind, zurückgeschickt werden.

84.      Die Verbindung zwischen Art. 26 Unterabs. 1 Buchst. a und Buchst. b der Richtlinie 2005/85 legt außerdem nahe, dass nur der Schutz, der darin zum Ausdruck kommt, dass dem Antragsteller von dem Staat, der als erster Asylstaat angesehen wird, ein besonderer Status zuerkannt wird, der zwar nicht der Flüchtlingseigenschaft im Sinne der einschlägigen internationalen Übereinkünfte entspricht, ihn aber wirksam schützt(64), insbesondere vor Zurückweisung(65), als „ausreichender Schutz“ im Sinne von Art. 26 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie gelten kann. Mit anderen Worten reicht es, so wie die bloße Möglichkeit für den Antragsteller, die Flüchtlingseigenschaft zu beantragen und zu erlangen, nicht ausreicht, um den betreffenden Staat als ersten Asylstaat im Sinne von Art. 26 Buchst. a der Richtlinie 2005/85 zu betrachten, nicht aus, lediglich ein Schutzsystem vorzusehen, zu dem der Antragsteller Zugang haben könnte, würde er in diesem Land wieder aufgenommen, um die Anwendung von Art. 26 Buchst. b dieser Richtlinie zu begründen und seinen Antrag auf internationalen Schutz gemäß deren Art. 25 Abs. 2 Buchst. b als unzulässig zu betrachten.

85.      Aus dem Vorlagebeschluss geht jedoch nicht hervor, dass Frau Alheto, die vor ihrer Ankunft in Bulgarien durch Jordanien gereist ist und sich 23 Tage dort aufgehalten hat, in diesem Land einen besonderen Status genießt, der es ihr insbesondere ermöglicht, vor einer möglichen Abschiebung in den Gazastreifen geschützt zu sein(66). Allein die Tatsache, dass Frau Alheto zu einer Gruppe von Personen (bei dem UNRWA registrierte palästinensische Flüchtlinge) gehört, die einen von Jordanien(67) anerkannten internationalen Sonderstatus genießen, reicht für die Anwendung von Art. 25 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2005/85 nicht aus, da die Voraussetzungen, unter denen die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz für unzulässig erklären können, unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Antragstellers geprüft werden müssen.

86.      Ebenso wenig gibt es im Vorlagebeschluss einen Hinweis darauf, dass Frau Alheto nach ihrer Rückkehr nach Jordanien Zugang zum Schutz oder Beistand des UNRWA in diesem Land hätte.

87.      In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass der UNHCR in seinen Leitlinien vom Dezember 2017 zur Anwendung von Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention auf palästinensische Flüchtlinge(68) festgelegt hat, dass „kein Staat mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass ein palästinensischer Flüchtling in einem Einsatzgebiet des UNRWA, in dem er sich nie aufgehalten hat oder bei dem es sich nicht um seinen früheren Wohnort handelt, Zugang zum Schutz oder Beistand [dieser Organisation] haben wird“(69). Die Anwendung einer solchen Vermutung würde nach Ansicht des UNHCR „unzumutbare und unüberwindbare Hindernisse für den Antragsteller“ bedeuten und die Realität der internationalen Beziehungen, die auf dem Grundsatz der Souveränität der Staaten beruhen, ignorieren. Mit anderen Worten, die Tatsache, dass ein beim UNRWA registrierter Asylbewerber in dem Gebiet, in dem er vor seiner Einreise in die Union seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Schutz und den Beistand dieser Organisation in Anspruch genommen hat, bietet keine Garantie dafür, dass er in einem anderen Land im Einsatzgebiet der UNRWA, zu dem er keine frühere Bindung hat, weiterhin in den Genuss dieses Schutzes oder Beistands kommen kann. Im Fall von Frau Alheto wird im Vorlagebeschluss keine familiäre oder sonstige Bindung zu Jordanien erwähnt.

88.      Vor diesem Hintergrund bin ich der Auffassung, dass es unter den Umständen des Ausgangsverfahrens keine ausreichenden Garantien dafür gibt, dass Frau Alheto Zugang zum Beistand des UNRWA in Jordanien hätte, wenn sie in diesem Staat wieder aufgenommen würde, und dass sie in diesem Staat keinen „ausreichenden Schutz“ im Sinne von Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2005/85 genießen würde.

89.      Abschließend möchte ich betonen, dass die Genfer Konvention zwar nicht ausdrücklich den Rückgriff auf Maßnahmen vorsieht oder ausschließt, die darauf abzielen, den „Schutz anderswo“ anzuerkennen (durch die Anwendung von Begriffen wie „erster Asylstaat“ oder „sicheres Drittland“), diese Maßnahmen jedoch nicht als mit dieser Konvention vereinbar angesehen werden können, es sei denn, sie gewährleisten die Anwendung der darin verankerten Rechte auf Personen, die unter die Flüchtlingsdefinition in Art. 1 der Konvention fallen. Die Behörden des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats, die den Begriff „erster Asylstaat“ im Sinne von Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2005/85 und jetzt Art. 35 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 heranziehen wollen, müssen daher prüfen, ob der Schutz, den dieses Land dem Antragsteller gewährt, wirksam ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn dieses Land, was etwa auf Jordanien zutrifft, bereits eine große Zahl an Flüchtlingen aufgenommen hat(70).

F.      Zur vierten und zur sechsten Vorlagefrage

90.      Mit seiner vierten Vorlagefrage möchte der Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht, Sofia) wissen, ob Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 dem mit einer Klage gegen einen Bescheid, mit dem ein Antrag auf internationalen Schutz in der Sache abgelehnt wird, befassten Gericht erlaubt, erstmals i) über die Zulässigkeit dieses Antrags auf der Grundlage der in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a bis c der Richtlinie 2013/32 genannten Gründe zu entscheiden, auch wenn die Anhörung gemäß Art. 34 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht stattgefunden hat, ii) über die Zurückweisung des Antragstellers in den Herkunftsstaat oder den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts zu entscheiden.

91.      Diese Frage ist meines Erachtens aus den in den Nrn. 57 bis 63 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Gründen in ihrer Gesamtheit unzulässig. Ziff. i dieser Frage ist darüber hinaus aus den in den Nrn. 76 bis 80 der vorliegenden Schlussanträge genannten Gründen unzulässig(71).

92.      Hinsichtlich der Ziff. ii beschränke ich mich rein hilfsweise auf die Feststellung, dass bei der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz die Risiken zu berücksichtigen sind, denen der Antragsteller ausgesetzt wäre, wenn er in sein Herkunftsland oder in das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts, bevor er den Antrag gestellt hat, zurückgeschickt würde, um festzustellen, ob die Kriterien für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des internationalen Schutzes erfüllt sind und der Grundsatz der Nichtzurückweisung eingehalten wird. Daraus ergibt sich, dass allein die Tatsache, dass die zuständige Behörde in ihrem Bescheid über die Versagung des internationalen Schutzes nicht zu der Frage Stellung genommen hat, ob der Antragsteller unverzüglich aus dem Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats ausgewiesen werden kann, um in seinen Herkunftsstaat oder den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts zurückgeschickt zu werden, keine Unterlassung darstellt, die zur Aufhebung dieses Bescheids führen kann, wenn diese Behörde die Risiken im Rahmen einer Prüfung im Einklang mit den in Kapitel II der Richtlinie 2013/32 festgelegten Grundsätzen und Garantien korrekt bewertet hat. Im Rahmen der ihm gemäß Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 übertragenen Befugnisse kann das Gericht, bei dem eine Klage gegen diesen Bescheid anhängig ist, erstmals über diese Frage entscheiden, wenn es dies für angemessen hält. Es ist klar, dass, um die Einhaltung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung zu gewährleisten, in jedem Fall die Situation des Antragstellers von der zuständigen Behörde zum Zeitpunkt der Entscheidung über seine Ausweisung und vor ihrem Vollzug berücksichtigt werden muss.

93.      Mit seiner sechsten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, über welche Befugnisse das mit der Klage gegen den Bescheid über die Versagung des internationalen Schutzes befasste Gericht nach Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 verfügt und ob es sich insbesondere darauf beschränken sollte, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids zu überprüfen, oder ob es über das Bedürfnis des Antragstellers nach internationalem Schutz befinden kann, auch wenn dieser Schutz nach dem nationalen Recht nur durch Entscheidung der Verwaltungsbehörde gewährt werden kann.

94.      Auch diese Vorlagefrage ist aus den in den Nrn. 57 bis 63 der vorliegenden Schlussanträge genannten Gründen unzulässig. Zu diesem Sachverhalt verweise ich auf die hilfsweise dargelegten Argumente in den Nrn. 74 und 75 der vorliegenden Schlussanträge.

IV.    Ergebnis

95.      Unter Berücksichtigung aller vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen 3, 4, 5 und 6 des Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia, Bulgarien) für unzulässig zu erklären und auf die erste und die zweite Vorlagefrage wie folgt zu antworten:

Die Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass der Antrag auf internationalen Schutz, der von einem beim UNRWA registrierten Staatenlosen palästinensischer Herkunft gestellt wird, dessen gewöhnlicher Aufenthalt sich vor der Einreise in die Union im Einsatzgebiet dieser Organisation befand, auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie geprüft werden muss.

Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 enthält eine Bestimmung, die hinreichend genau und unbedingt ist, um von den Betroffenen vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden zu können. Der Umstand, dass sich der Betroffene in einem Gerichtsverfahren nicht auf eine Bestimmung des Unionsrechts mit unmittelbarer Wirkung berufen hat, hindert das nationale Gericht nicht daran, sie unmittelbar anzuwenden, wenn es dies für erforderlich hält.


1      Originalsprache: Italienisch.


2      Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) (ABl. 2011, L 337, S. 9).


3      Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung) (ABl. 2013, L 180, S. 60).


4      Die Genfer Konvention wurde durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ergänzt, das am 31. Januar 1967 angenommen wurde und am 4. Oktober 1967 in Kraft trat.


5      Vgl. Internetseite des UNRWA unter https://www.unrwa.org/who-we-are. Das UNRWA besitzt oder betreibt jedoch keine Flüchtlingslager, für die allein die Behörden im jeweiligen Gastland verantwortlich sind, https://www.unrwa.org/palestine-refugees.


6      Vgl. https://www.unrwa.org/who-we-are/frequently-asked-questions. Zur Rolle des UNRWA siehe zuletzt die Resolution 72/82 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 7. Dezember 2017.


7      Vgl. Urteil vom 17. Juni 2010, Bolbol (C‑31/09, EU:C:2010:351, Rn. 44).


8      Es handelt sich um die Ergänzenden Bestimmungen zur Änderung und Ergänzung des ZUB, veröffentlicht im Bulgarischen Gesetzblatt (Darzhaven Vestnik, im Folgenden: DV) Nr. 80 von 2015, und die Ergänzenden Bestimmungen zur Änderung und Ergänzung des ZUB, veröffentlicht in DV Nr. 101 von 2015.


9      Der Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 des ZUB in seiner derzeit geltenden Fassung gibt Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 fast wörtlich wieder, unterscheidet sich aber von Letzterer dadurch, dass er die negative Formulierung „nicht weggefallen ist“ anstelle der positiven Formulierung „nicht länger gewährt“ verwendet.


10      Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2004, L 304, S. 12). Das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie in bulgarisches Recht wurde in DV Nr. 52 von 2007 veröffentlicht.


11      Art. 75 Abs. 2 ZUB in der Fassung vor der Umsetzung der Richtlinien 2011/95 und 2013/32 enthielt Bestimmungen, die im Wesentlichen mit den oben genannten identisch waren.


12      In einer anderen Passage des Vorlagebeschlusses heißt es, dass Frau Alheto behaupte, das Dokument des UNRWA bei der Anhörung bei der DAB vorgelegt zu haben, aber dass das UNRWA sich geweigert habe, es zu den Akten zu nehmen.


13      Vgl. entsprechend Urteil vom 1. März 2016, Kreis Warendorf und Osso (C‑443/14 und C‑444/14, EU:C:2016:127, Rn. 28). Vgl. auch, in Bezug auf die Richtlinie 2004/83, Urteil Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 42).


14      Vgl. Urteil vom 1. März 2016, Kreis Warendorf und Osso (C‑443/14 und C‑444/14, EU:C:2016:127, Rn. 30).


15      Vgl. Urteil vom 1. März 2016, Kreis Warendorf und Osso (C‑443/14 und C‑444/14, EU:C:2016:127, Rn. 29). Vgl. auch, in Bezug auf die Richtlinie 2004/83, Urteil Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 43).


16      Vgl. Note on UNHCR’s Interpretation of Article 1D of the 1951 Convention relating to the Status of Refugees and Article 12(1)(a) of the EU Qualification Directive in the context of Palestinian refugees seeking international protection, Mai 2013, abrufbar unter der Internetadresse http://www.refworld.org/docid/518cb8c84.html. In diesem Dokument (S. 2 und 3) heißt es, dass zwei Gruppen von palästinensischen Flüchtlingen und ihre Nachkommen in den Anwendungsbereich von Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention fallen: 1. Palästinenser, die „Palästina-Flüchtlinge“ im Sinne der Resolution 194 (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 11. Dezember 1948 und der nachfolgenden Resolutionen der Generalversammlung sind und infolge des arabisch-israelischen Konflikts 1948 aus dem Teil des britischen Mandatsgebiets in Palästina, der zu Israel wurde, vertrieben wurden; und 2. Palästinenser, die nicht in der vorangegangenen Kategorie erfasst sind und vertriebene Personen im Sinne der Resolution 2252 (ES‑V) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 4. Juli 1967 und nachfolgender einschlägiger Resolutionen sind und infolge des arabisch-israelischen Konflikts 1967 aus den von Israel seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten vertrieben wurden, ohne dorthin zurückkehren zu können. Vgl. auch UNHCR, Guidelines on International protection n. 13, Applicability of article 1D of the 1951 Convention relating to the status of refugees to Palestinian refugees, Dezember 2017, abrufbar im Internet unter http://www.refworld.org/publisher, UNHCR, THEMGUIDE, 5a1836804,0.html, Abs. 8.


17      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juni 2010, Bolbol (C‑31/09, EU:C:2010:351, Rn. 47 und 48).


18      Dies sind die Resolution 194 (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 11. Dezember 1948 und nachfolgende Resolutionen. Die Versammlung der Vereinten Nationen überprüft regelmäßig die Durchführung der gegenüber den palästinensischen Flüchtlingen getroffenen Maßnahmen und passt sie, erforderlichenfalls, an die Entwicklung der Lage in den betreffenden Gebieten an. Die chronologisch jüngste Resolution 72/80 vom 7. Dezember 2017 über die Hilfe für palästinensische Flüchtlinge, in der die Generalversammlung der Vereinten Nationen in Abs. 1 bedauert, „dass weder eine Rückkehr noch eine Entschädigung, wie in Abs. 11 ihrer Resolution Nr. 194 (III) vorgesehen, stattgefunden hat und dass die Lage der palästinensischen Flüchtlinge aufgrund dieser Situation nach wie vor Anlass zu ernster Besorgnis gibt“.


19      Es sei darauf hingewiesen, dass sich Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 zwar allgemein auf den „Schutz“ dieser Richtlinie bezieht, dass aber die Einschlussklausel ebenso wie die Ausschlussklausel in Satz 1 dieser Bestimmung nur die „Anerkennung als Flüchtling“, d. h. die Flüchtlingseigenschaft betrifft, siehe in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 67).


20      Diese Auslegung wird vom UNHCR nicht geteilt, da sie auf einer zu formalistischen und restriktiven Auslegung von Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention beruhe. Nach Ansicht dieser Einrichtung fällt nicht nur derjenige, der tatsächlich den Schutz oder den Beistand des UNRWA in Anspruch genommen hat, in den Anwendungsbereich dieses Artikels, sondern jede Person, die zwar nie von diesem Schutz oder Beistand Gebrauch gemacht hat, aber Anspruch darauf hat, weil sie unter das Mandat des UNRWA fällt; vgl. in diesem Sinne UNHCR, Guidelines on International protection n. 13, Applicability of article 1D of the 1951 Convention relating to the status of refugees to Palestinian refugees,Abs. 12 und 13 und Fußnote auf S. 27.


21      Vgl. Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 56).


22      Vgl. Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 65 und Nr. 1 des Tenors).


23      Vgl. Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 81 und Nr. 2 des Tenors).


24      Vgl. Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 80).


25      Vgl. Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 62).


26      Vgl. UNHCR, Guidelines on International protection n. 13, Applicability of article 1D of the 1951 Convention relating to the status of refugees to Palestinian refugees, Abs. 6 und 7.


27      Vgl. Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 79).


28      Vgl. in Bezug auf Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention, UNHCR, Guidelines on International protection n. 13, Applicability of article 1D of the 1951 Convention relating to the status of refugees to Palestinian refugees, Abs. 11.


29      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juni 2010, Bolbol (C‑31/09, EU:C:2010:351, Rn. 54).


30      Im Einklang mit der Regelung in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32.


31      Vgl. Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 61 und 64).


32      Vgl. Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 63, vgl. auch Rn. 65 und Nr. 1 des Tenors).


33      Vgl. Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 64), in dem der Gerichtshof bestätigt hat, dass Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 (jetzt Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95) auf die gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 dieser Richtlinie durchzuführende individuelle Prüfung entsprechend anwendbar ist.


34      Vgl. in Bezug auf Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention, UNHCR, Guidelines on International protection n. 13, Applicability of article 1D of the 1951 Convention relating to the status of refugees to Palestinian refugees, Abs. 22.


35      Vgl. Urteil vom 17. Juni 2010, Bolbol (C‑31/09, EU:C:2010:351, Rn. 52). Vgl. auch UNHCR, Guidelines on International protection n. 13, Applicability of article 1D of the 1951 Convention relating to the status of refugees to Palestinian refugees, Abs. 42, sowie die konsolidierte Fassung der Hinweise zur Berechtigung und Registrierung (Consolidated Eligibility and Registration Instructions) des UNRWA, 1. Januar 2009, Abschnitt III.A.1, S. 3, abrufbar unter der Internetadresse http://www.refworld.org/docid/520cc3634.html CERI 2009, Abschnitt III.A 1, S. 3. Die Registrierung beim UNRWA ist jedoch keine notwendige Voraussetzung dafür, dass eine solche Person in den Anwendungsbereich von Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention und von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 fällt, vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juni 2010, Bolbol (C‑31/09, EU:C:2010:351, Rn. 46 und 52).


36      In diesem Zusammenhang möchte ich lediglich darauf hinweisen, dass Frau Alheto den Gazastreifen am 15. Juli 2014 verlassen hat, d. h. einige Tage nach Beginn der israelischen Operation „Operation starker Fels“ (8. Juli 2014), auf die ein 51 Tage dauernder Krieg folgte, in dem nach Angaben der UNO Tausende von Zivilisten getötet wurden, vgl. die während des Konflikts vom UN-Menschenrechtsrat am 23. Juli 2014 verabschiedete Resolution.


37      Vgl. im Gegensatz dazu Rn. 77 des Urteils vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826). Vgl. UNHCR, Guidelines on International protection n. 13, Applicability of article 1D of the 1951 Convention relating to the status of refugees to Palestinian refugees, Abs. 22 Buchst. k. In diesem Zusammenhang verweise ich auch auf die Ausführungen in Nr. 87 der vorliegenden Schlussanträge.


38      Art. 12 der Richtlinie 2011/95 erforderte in Wirklichkeit keine Umsetzungsmaßnahmen, da er mit Art. 12 der Richtlinie 2004/83 im Wesentlichen identisch war (er gehört in der Tat nicht zu den in Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 aufgeführten Artikeln, für die die Mitgliedstaaten Umsetzungsvorschriften erlassen müssen), doch wollte der bulgarische Gesetzgeber die Umsetzung der Richtlinie 2011/95 offensichtlich nutzen, um den Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 ZUB, mit dem Art. 12 der Richtlinie 2004/83 unzutreffend umgesetzt worden war, zu berichtigen.


39      Die Entscheidung der DAB, den Antrag von Frau Alheto auf internationalen Schutz abzulehnen, wurde am 12. Mai 2015 erlassen, während das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95 am 16. Oktober 2015 in Kraft trat und nach bulgarischem Recht nicht rückwirkend anwendbar ist.


40      Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 stimmt inhaltlich mit Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 überein.


41      Siehe Urteil vom 11. November 2015, Klausner Holz Niedersachsen (C‑505/14, EU:C:2015:742, Rn. 34). Vgl. entsprechend auch Urteil Dominguez (C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).


42      Vgl. u. a. Urteil vom 7. September 2017, H. (C‑174/16, EU:C:2017:637, Rn. 69).


43      Die beiden Bestimmungen scheinen insofern widersprüchlich zu sein, als die erste die Anwendung der nationalen Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 2013/32 auf vor dem 20. Juli 2015 eingereichte Anträge auf internationalen Schutz gestattet, während die zweite vorsieht, dass diese Anträge auf der Grundlage der nationalen Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 2005/85 geprüft werden.


44      Vgl. Standpunkt (EU) Nr. 7/2013 des Rates vom 6. Juni 2013 (ABl. 2013, C 179 E, S. 27).


45      Diese Schlussfolgerung wird auch, was das bulgarische Recht angeht, vom vorlegenden Gericht geteilt, das darauf hingewiesen hat, dass eine rückwirkende Anwendung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2013/32 auf Frau Alheto gegen die bulgarische Verfassung verstieße.


46      Vgl., u. a., Urteile vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a. (C‑212/04, EU:C:2006:443, Rn. 122 und 123), und vom 23. April 2009, VTB-VAB und Galatea (C‑261/07 und C‑299/07, EU:C:2009:244, Rn. 37). Das vorlegende Gericht verweist auch auf den Standpunkt des Generalanwalts Mazák in der Rechtssache Kadzoev (C‑357/09 PPU, EU:C:2009:691, Rn. 32 bis 35).


47      Vgl. Urteil vom 23. April 2009, VTB-VAB und Galatea (C‑261/07 und C‑299/07, EU:C:2009:244, Rn. 37).


48      Vgl. allerdings Urteil vom 26. Juli 2017, Sacko (C‑348/16, EU:C:2017:591), in dem der Gerichtshof die vom Tribunale di Milano (Gericht Mailand, Italien) vorgelegte Vorabentscheidungsfrage beantwortet hat, ohne zuvor geprüft zu haben, ob die Richtlinie 2013/32 auf das Verfahren der Prüfung des von Herrn Sacko (vor dem 20. Juli 2015 gestellten, aber erst danach abgelehnten) Antrags auf internationalen Schutz zeitlich anwendbar war.


49      Es handelt sich um zwei weitere Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen Sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia) (Rechtssachen C‑652/16 und C‑56/17), um ein Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs der Slowakischen Republik in einem Kontext, der dadurch gekennzeichnet ist, dass aufeinander folgende, jedes Mal auf Klage des Antragstellers aufgehobene Bescheide über die Versagung des internationalen Schutzes ergingen, in dem sich das vorlegende Gericht fragt, ob es das Recht auf effektiven gerichtlichen Schutz als erfüllt ansehen darf (C‑113/17), ein ungarisches Vorabentscheidungsersuchen (C‑556/17) und ein Vorabentscheidungsersuchen des niederländischen Staatsrats (neue Asylgründe) (C‑586/17).


50      Im zweiten Satz des 27. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2005/85 wird insoweit ausgeführt, dass die „Wirksamkeit des Rechtsbehelfs, auch hinsichtlich der Prüfung der relevanten Tatsachen … von dem – als ein Ganzes betrachteten – Verwaltungs- und Justizsystem jedes einzelnen Mitgliedstaats ab[hängt]“.


51      Bekanntlich ist in Art. 3 EMRK das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung festgelegt, während in Art. 13 das Recht auf eine wirksame Beschwerde im Falle einer Verletzung der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten festgelegt ist.


52      Vgl. EGMR, Urteil vom 12. April 2005, Chamaiev u. a./Georgien und Russland (ECLI:CE:ECHR:2005:0412JUD003637802, Rn. 448).


53      EGMR, Urteile vom 11. Juli 2000, Jabari/Türkei (ECLI:CE:ECHR:2000:0711JUD004003598, Rn. 50), und vom 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien (ECLI:CE:ECHR:2011:0121JUD003069609, Rn. 293 und 388).


54      EGMR, Urteil vom 2. Oktober 2012, Singh u. a./Belgien (ECLI:CE:ECHR:2012:1002JUD003321011, Rn. 103). Vgl. auch Urteile vom 28. Juli 2011, Samba Diouf (C‑69/10, EU:C:2011:524, Rn. 56), und vom 31. Januar 2013, HID und BA (C‑175/11, EU:C:2013:45, Rn. 75).


55      EGMR, Urteil vom 2. Oktober 2012, Singh u. a./Belgien (ECLI:CE:ECHR:2012:1002JUD003321011, Rn. 103). In diesem Sinne hat der Gerichtshof im Urteil vom 28. Juli 2011, Samba Diouf (C‑69/10, EU:C:2011:524, Rn. 56), ausgeführt, dass „die Gründe, aus denen die zuständige Stelle den Asylantrag als unbegründet abgelehnt hat, … einer eingehenden Prüfung durch den nationalen Richter [unterzogen werden können müssen]“.


56      Vgl. in diesem Sinne bereits EGMR, Urteil vom 2. Oktober 2012, Singh u. a./Belgien (ECLI:CE:ECHR:2012:1002JUD003321011, Rn. 91).


57      Vgl. in diesem Sinne EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien (ECLI:CE:ECHR:2011:0121JUD003069609, Rn. 389).


58      Siehe den 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95. Logischerweise müsste auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus von gleicher Art sein.


59      Der Gerichtshof hat sich hier auf den 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 gestützt, nach dem in ähnlicher Terminologie „die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein deklaratorischer Akt ist“.


60      Rn. 49 dieses Beschlusses.


61      Dasselbe gilt derzeit für Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 (siehe deren 43. Erwägungsgrund, der den gleichen Inhalt wie der 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/85 hat). Ich stelle jedoch fest, dass der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens für den internationalen Schutz in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU (COM[2016] 467 final) in Art. 36 Abs. 1 Buchst. a die Verpflichtung für die Mitgliedstaaten vorsieht, die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz auf der Grundlage des in Art. 44 dieses Vorschlags definierten Grundsatzes „erster Asylstaat“ zu prüfen.


62      Aus einer vergleichenden Studie des UNHCR geht auch hervor, dass Bulgarien nicht nur Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2005/85 nicht umgesetzt hat, sondern in der Praxis, zumindest bis 2010, das Konzept des „ersten Asylstaats“ nicht angewendet hat und dass die Tatsache, dass einer Person die Flüchtlingseigenschaft in einem Drittstaat zuerkannt wurde, eher als Grund für die Ablehnung des Asylantrags denn als Grund für seine Unzulässigkeit angesehen wurde, siehe UNHCR, Improving asylum procedures: comparative analysis and recommendations for law and practice, detailed research on key asylum procedures, März 2010, S. 285, abrufbar unter http://www.unhcr.org/4c7b71039.pdf.


63      Vgl. u. a. Beschluss vom 22. Juni 2017, Fondul Proprietatea (C‑556/15 und C‑22/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:494, Rn. 20 und 21).


64      Wie vom UNHCR empfohlen, sollten die Mitgliedstaaten, die den Begriff „erster Asylstaat“ anwenden, „ausreichenden Schutz“ im Sinne von Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2005/85, und jetzt von Art. 35 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2013/32, als „wirksamen und tatsächlich verfügbaren“ Schutz auslegen, vgl. UNHCR, Improving asylum procedures: comparative analysis and recommendations for law and practice, detailed research on key asylum procedures, März 2010, S. 282 und 291, abrufbar unter http://www.unhcr.org/4c7b71039.pdf; vgl. auch UNHCR, Summary Conclusions on the Concept of „Effective Protection“ in the Context of Secondary Movements of Refugees and Asylum-Seekers Directive (Lisbon Expert Roundtable, 9. und 10. Dezember 2002), Februar 2003, abrufbar unter http://www.unhcr.org/protection/globalconsult/3e5f323d7/lisbon-expert-roundtable-summary-conclusions-concept-effective-protection.html.


65      Ich möchte darauf hinweisen, dass die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat, in dem er Gefahr läuft, in seinen Herkunftsstaat zurückgeschickt zu werden, eine indirekte Zurückweisung unter Verstoß gegen Art. 33 der Genfer Konvention darstellt. Der erste Asylstaat muss daher echte Garantien dafür bieten, dass dieser Grundsatz in der Praxis gegenüber dem Antragsteller eingehalten wird. In diesem Zusammenhang stelle ich fest, dass Jordanien, obwohl es eine große Zahl palästinensischer Flüchtlinge aufnimmt, die Genfer Konvention nicht unterzeichnet hat.


66      In diesem Zusammenhang stelle ich fest, dass mehrere Fälle der Abschiebung palästinensischer Flüchtlinge, insbesondere aus Syrien, von Human Rights Watch in Jordanien registriert wurden, siehe hierzu Global Detention Project (GDP), Immigration Detention in Jordan, März 2015, abrufbar auf der Website: http://www.refworld.org/docid/556738404.html, S. 11. Zur Achtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung durch Jordanien siehe auch Human Rights Watch, World Report, 2018, S. 307.


67      Jordanien stellte Palästinensern, die 1967 den Gazastreifen verließen, einen vorläufigen Pass aus, eine Art Ausweis, der den Aufenthalt auf jordanischem Gebiet bescheinigte. Zur Funktionsweise des vorläufigen Passes siehe die Studie von A. Tiltnes und H. Zhang, Progress, challenges, diversity, Insights into the socio-economic conditions of Palestinan refugees in Jordan, abrufbar unter der Internetadresse https://www.unrwa.org/sites/default/files/insights_into_the_socio-economic_conditions_of_palestinian_refugees_in_jordan.pdf, S. 32. Diese Studie beleuchtet die Situation der besonderen Armut und die Beschränkungen des Zugangs zu Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsdiensten für Palästinenser aus dem Gazastreifen, die keine jordanischen Staatsbürger sind, obwohl sie Inhaber solcher Pässe sind, siehe insbesondere S. 258 ff. Die Registrierung beim UNRWA scheint keinen wesentlichen Einfluss auf die Zugänglichkeit zu bestimmten wesentlichen Dienstleistungen für diese Personen zu haben, siehe zur Krankenversicherung insbesondere S. 99 ff.


68      Angeführt in Fn.16 der vorliegenden Schlussanträge.


69      Vgl. Abs. 22 Nr. IV Buchst. k dieser Leitlinien.


70      In Jordanien leben etwa zwei Millionen palästinensische Flüchtlinge und Vertriebene. Zur Situation dieser Menschen siehe die bereits angeführte Studie von A. Tiltnes und H. Zhang, Progress, challenges, diversity, Insights into the socio-economicconditions of Palestinan refugees in Jordan.


71      Trotz eines Verweises im Vorlagebeschluss auf den Begriff des sicheren Drittstaats gemäß Art. 38 der Richtlinie 2013/32 ist aus dem Wortlaut der vierten Vorlagefrage nicht ersichtlich, dass der Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht, Sofia) den Gerichtshof auch nach dem Unzulässigkeitsgrund gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2013/32 fragen wollte.