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Vorabentscheidungsersuchen des Sofiyski rayonen sad (Bulgarien), eingereicht am 9. September 2020 – Strafverfahren gegen HN

(Rechtssache C-420/20)

Verfahrenssprache: Bulgarisch

Vorlegendes Gericht

Sofiyski rayonen sad

Angeklagter

HN

Vorlagefragen

Ist eine Einschränkung des in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren1 vorgesehenen Rechts der beschuldigten Personen, in der sie betreffenden Verhandlung persönlich anwesend zu sein, durch nationale Rechtsvorschriften, wonach gegen förmlich beschuldigte Ausländer ein verwaltungsrechtliches Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Land, in dem das Strafverfahren durchgeführt wird, verhängt werden darf, zulässig?

Falls die erste Frage bejaht werden sollte, wären die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 Buchst. а und/oder b der Richtlinie 2016/343 für die Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit der beschuldigten ausländischen Person erfüllt, wenn diese ordnungsgemäß über die Strafsache und über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde und von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten wird, der entweder von der beschuldigten Person oder vom Staat bestellt wurde, ihrem persönlichen Erscheinen aber ein im Verwaltungsverfahren erlassenes Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Land, in dem das Strafverfahren durchgeführt wird, entgegensteht?

Ist es zulässig, das Recht der beschuldigten Person gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein, durch nationale Rechtsvorschriften in eine verfahrensrechtliche Pflicht dieser Person umzuwandeln? Konkret: Gewährleisten die Mitgliedstaaten auf diese Weise ein höheres Schutzniveau im Sinne des Erwägungsgrundes 48 oder ist ein solches Vorgehen mit dem Erwägungsgrund 35 der Richtlinie, wo es heißt, dass das Recht des Beschuldigten nicht absolut gilt und darauf verzichtet werden kann, vielmehr unvereinbar?

Ist ein Vorabverzicht des Beschuldigten auf das Recht gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343, in der ihn betreffenden Verhandlung persönlich anwesend zu sein, der im Laufe des Ermittlungsverfahrens unmissverständlich erklärt wurde, zulässig, sofern der Beschuldigte über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde?

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1 ABl. 2016, L 65, S. 1.