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Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts (Deutschland) eingereicht am 22. Juni 2020 - Bundesrepublik Deutschland gegen SW

(Rechtssache C-273/20)

Verfahrenssprache: Deutsch

Vorlegendes Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Parteien des Ausgangsverfahrens

Revisionsklägerin: Bundesrepublik Deutschland

Revisionsbeklagte: SW

Beigeladene: Stadt Darmstadt

Vorlagefragen

1.     a) Kann beim Nachzug zu einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling nach Art. 10 Abs. 3 Buchst. a und Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2003/86/EG1 das Fortbestehen der Minderjährigkeit „Bedingung“ im Sinne des Art. 16 Abs. l Buchst. a dieser Richtlinie? Ist mit den vorgenannten Bestimmungen eine Regelung eines Mitgliedstaats vereinbar, die nachgezogenen Eltern eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings im Sinne von Art. 2 Buchst. f der vorgenannten Richtlinie nur so lange ein (abgeleitetes) Aufenthaltsrecht in dem Mitgliedstaat gewährt, wie der Flüchtling tatsächlich noch minderjährig ist?

b) Falls die Fragen la) zu bejahen sind: Ist Art. 16 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 10 Abs. 3 Buchst. a und Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2003/86 dahin auszulegen, dass es einem Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften das (abgeleitete) Aufenthaltsrecht der Eltern auf den Zeitraum bis zur Volljährigkeit des Kindes begrenzt ist, erlaubt ist, einen Antrag der noch im Drittstaat aufhältigen Eltern auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung abzulehnen, wenn der Flüchtling vor der abschließenden Entscheidung über einen innerhalb von drei Monaten nach der Flüchtlingsanerkennung gestellten Antrag im behördlichen oder gerichtlichen Verfahren volljährig geworden ist?

2.     Falls in Beantwortung der Fragen 1 eine Ablehnung der Familienzusammenführung nicht zulässig ist:

Welche Anforderungen sind an die tatsächlichen familiären Bindungen im Sinne des Art. 16 Abs. l Buchst. b der Richtlinie 2003/86 in Fällen des Elternnachzuges zu einem Flüchtling zu stellen, der vor der Entscheidung über den Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung volljährig geworden ist? Insbesondere:

a) Reicht dafür die Verwandtschaft in gerader aufsteigender Linie ersten Grades (Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86) aus oder ist auch ein tatsächliches Familienleben erforderlich?

b) Falls es auch eines tatsächlichen Familienlebens bedarf:

Welche Intensität ist dafür erforderlich? Genügen dazu etwa gelegentliche oder regelmäßige Besuchskontakte, bedarf es des Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt oder ist darüber hinaus eine Beistandsgemeinschaft erforderlich, deren Mitglieder aufeinander angewiesen sind?

c) Erfordert der Nachzug der Eltern, die sich noch im Drittstaat befinden und einen Antrag auf Familienzusammenführung zu einem als Flüchtling anerkannten, zwischenzeitlich volljährig gewordenen Kind gestellt haben, die Prognose, dass das Familienleben nach der Einreise in der gemäß Frage 2b) geforderten Weise im Mitgliedstaat (wieder) aufgenommen wird?

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1     Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. 2003, L 251, S. 12).