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Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

25. April 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom – Richtlinie 2003/96/EG – Besteuerung gemäß dem Grundsatz der tatsächlichen Verwendung dieser Erzeugnisse – Anhang I – In dieser Richtlinie vorgesehene Mindeststeuerbeträge für Energieerzeugnisse – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 2 Abs. 1 Buchst. a – Steuertatbestand – Art. 63 – Steueranspruch – Art. 78 Abs. 1 Buchst. a – Steuerbemessungsgrundlage – Rückverbringung von Energieerzeugnissen in das Steuerlager – Durch das nationale Recht vorgeschriebene Voraussetzungen – Zusätzlich festgesetzte Verbrauchsteuer und zusätzlich festgesetzte Mehrwertsteuer als Sanktion für die Nichtbeachtung dieser Voraussetzungen – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C‑657/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul Prahova (Regionalgericht Prahova, Rumänien) mit Entscheidung vom 29. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Oktober 2022, in dem Verfahren

SC Bitulpetrolium Serv SRL

gegen

Administraţia Judeţeană a Finanţelor Publice Prahova – Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Ploieşti

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Piçarra (Berichterstatter) sowie der Richter N. Jääskinen und M. Gavalec,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane und A. Rotăreanu als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und F. Moro als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 3, Art. 5 und Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABl. 2003, L 283, S. 51), der Art. 2, 250 und 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) sowie der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Neutralität der Mehrwertsteuer.

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SC Bitulpetrolium Serv SRL (im Folgenden: Bitulpetrolium) auf der einen und der Administrația Județeană a Finanțelor Publice Prahova – Direcția Generală Regională a Finanțelor Publice Ploiești (Kreisverwaltung für öffentliche Finanzen Prahova – Regionale Generaldirektion für öffentliche Finanzen Ploiești, Rumänien) auf der anderen Seite über zusätzliche Verbrauchsteuer und zusätzliche Mehrwertsteuer, die diese Behörde gegenüber Bitulpetrolium als Sanktion für die Nichtbeachtung der Voraussetzungen festgesetzt hat, die für den Fall gelten, dass ein von ihr vermarktetes Energieerzeugnis in das Steuerlager zurückverbracht wird.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2003/96

3        In den Erwägungsgründen 3, 9, 17 und 18 der Richtlinie 2003/96 heißt es:

„(3)      Das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und die Erreichung der Ziele der anderen Gemeinschaftspolitiken erfordern die Festsetzung von gemeinschaftlichen Mindeststeuerbeträgen für die meisten Energieerzeugnisse einschließlich elektrischen Stroms, Erdgas und Kohle.

(9)      Den Mitgliedstaaten sollte die nötige Flexibilität für die Festlegung und die Durchführung von auf den jeweiligen nationalen Kontext abgestimmten politischen Maßnahmen eingeräumt werden.

(17)      Je nach Verwendung der Energieerzeugnisse und des elektrischen Stroms sind unterschiedliche gemeinschaftliche Mindeststeuerbeträge festzusetzen.

(18)      Die zu bestimmten industriellen und gewerblichen Zwecken sowie als Heizstoff verwendeten Energieerzeugnisse werden in der Regel niedriger besteuert als die als Kraftstoff verwendeten Energieerzeugnisse.

…“

4        Nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2003/96 „bezeichnet der Begriff ‚Steuerbetrag‘ die Gesamtheit der als indirekte Steuern (mit Ausnahme der Mehrwertsteuer) erhobenen Abgaben, die zum Zeitpunkt der Überführung in den freien Verkehr direkt oder indirekt anhand der Menge an Energieerzeugnissen und elektrischem Strom berechnet werden“.

5        Anhang I Tabellen A, B und C der Richtlinie 2003/96 legt die Mindeststeuerbeträge für „Kraftstoffe“, „Kraftstoffe, die für die in Artikel 8 Absatz 2 [dieser Richtlinie] genannten Zwecke verwendet werden“ und „für Heizstoffe und elektrischen Strom“ fest. Gasöl, das zur Verwendung als Kraftstoff bestimmt ist, unterliegt einem Mindeststeuerbetrag von 330 Euro pro 1 000 l und 21 Euro pro 1 000 l, wenn es zu bestimmten industriellen und gewerblichen Zwecken als Kraftstoff verwendet wird. Wird es als Heizstoff verwendet, unterliegt Gasöl einem Mindeststeuerbetrag von 21 Euro pro 1 000 l. Der Mindeststeuerbetrag für „schweres Heizöl“, das zur Verwendung als Heizstoff bestimmt ist, liegt bei 15 Euro pro 1 000 kg.

 Richtlinie 2006/112

6        In Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 heißt es:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

a)      Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;

…“

7        Art. 63 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.“

8        Art. 78 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„In die Steuerbemessungsgrundlage sind folgende Elemente einzubeziehen:

a)      Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst;

…“

 Rumänisches Recht

9        Art. 425 der Legea nr. 227/2015 privind Codul fiscal (Gesetz Nr. 227/2015 über das Steuergesetzbuch) vom 8. September 2015 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 688 vom 10. September 2015) (im Folgenden: Steuergesetzbuch) bestimmt:

„(1)      Die in Art. 355 Abs. 3 Buchst. g [Heizöl] genannten Energieerzeugnisse oder diesen unter dem Gesichtspunkt des Verbrauchsteuersatzes gleichgestellte Energieerzeugnisse dürfen nur dann in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt werden, außerhalb eines Steuerlagers in Besitz gehalten, u. a. im Verfahren der Steueraussetzung befördert, im Hoheitsgebiet Rumäniens verwendet, zum Verkauf angeboten oder verkauft werden, wenn sie … gekennzeichnet und gefärbt sind.

(2)      Von den Bestimmungen des Abs. 1 ausgenommen sind die in Art. 355 Abs. 3 Buchst. g [Heizöl] genannten Energieerzeugnisse oder diesen unter dem Gesichtspunkt des Verbrauchsteuersatzes gleichgestellte Energieerzeugnisse:

d)      für die der Besitzer den Nachweis erbringen kann, dass er die [Verbrauchsteuer] in Höhe des für Gasöl … festgelegten Satzes an den Staatshaushalt entrichtet hat.“

10      Art. 427 Abs. 7 des Steuergesetzbuchs bestimmt:

„Für die in Art. 355 Abs. 3 Buchst. g [Heizöl] genannten Energieerzeugnisse oder diesen unter dem Gesichtspunkt des Verbrauchsteuersatzes gleichgestellten Energieerzeugnisse, die in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt werden, außerhalb eines Steuerlagers in Besitz gehalten, u. a. im Verfahren der Steueraussetzung befördert, im Hoheitsgebiet Rumäniens verwendet, zum Verkauf angeboten oder verkauft werden und die nicht gekennzeichnet und gefärbt oder nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet und gefärbt sind, sowie in dem Fall, dass die Wirtschaftsteilnehmer die Verpflichtungen hinsichtlich der Modalitäten und der Verfahren der steuerlichen Überwachung, die in den Durchführungsvorschriften festgelegt sind, nicht erfüllen, wird Verbrauchsteuer in der für Gasöl vorgesehenen Höhe fällig.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11      Bitulpetrolium ist eine Gesellschaft rumänischen Rechts mit beschränkter Haftung, die die Herstellung und den Großhandel mit festen, flüssigen und gasförmigen Brennstoffen sowie mit deren Derivaten zum Gegenstand hat. Sie besaß eine Zulassung als Steuerlager, die bis zum 1. Oktober 2018 gültig war.

12      Bei einer stichprobenartigen Steuerprüfung, die sich u. a. auf den Zeitraum von Juni 2014 bis Dezember 2017 erstreckte, stellte die Inspecția fiscală (Steuerinspektion, Rumänien) fest, dass Bitulpetrolium für ein zur Verwendung als Heizstoff bestimmtes Energieerzeugnis, das von ihren Kunden in einer Gesamtmenge von 238 383 kg in das Steuerlager retourniert worden war, Empfangserklärungen und „Storno“‑Rechnungen ohne Angaben zur Kennzeichnung oder Färbung dieses Erzeugnisses ausgestellt hatte. Die Steuerinspektion wies außerdem darauf hin, dass Bitulpetrolium der Autoritatea vamală (Zollbehörde, Rumänien) die Rückverbringung dieses Erzeugnisses in das Steuerlager, in dem es bis zu seinem Verkauf an andere Kunden verblieben sei, unter Verstoß gegen die geltenden Zollvorschriften nicht schriftlich mitgeteilt habe.

13      Im Anschluss an diese Steuerprüfung erließ die Steuerinspektion am 7. August 2020 einen Steuerbescheid und verpflichtete Bitulpetrolium zur Zahlung zusätzlich festgesetzter Verbrauchsteuer in Höhe von 310 309 rumänischen Lei (RON) (63 146 Euro) und zur Zahlung zusätzlich festgesetzter Mehrwertsteuer in Höhe von 65 901 RON (13 410 Euro).

14      Bitulpetrolium erhob beim Tribunalul Prahova (Regionalgericht Prahova, Rumänien), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Aufhebung dieses Steuerbescheids und machte zum einen geltend, dass das in Rede stehende Energieerzeugnis den Kunden mit dem Nachweis seiner Kennzeichnung und seiner Färbung sowie der Zahlung der Verbrauchsteuer geliefert worden sei, und zum anderen, dass dieses Erzeugnis aufgrund von Qualitätsproblemen oder seiner Inkompatibilität mit den Wärmeanlagen der Kunden in das Steuerlager retourniert worden sei.

15      Bitulpetrolium trägt darüber hinaus vor, dass sie bei der Rückverbringung des in Rede stehenden Energieerzeugnisses in das Steuerlager keine Erstattung der Verbrauchsteuer beantragt habe, da die Rückverbringung nicht zum Zweck der Wiederaufbereitung, des Recyclings oder der Zerstörung dieses Erzeugnisses erfolgt sei, sondern zu dessen späterer Vermarktung. Daher befinde sie sich in keiner der Situationen, für die im Steuergesetzbuch eine Mitteilung an die Zollbehörde über die Rückverbringung von Energieerzeugnissen vorgesehen sei. Die Steuerinspektion habe zu Unrecht zum einen das Fehlen einer solchen Mitteilung dem Besitz, dem Transport und der Vermarktung von Energieerzeugnissen ohne Kennzeichnung, ohne Färbung und ohne Entrichtung der Verbrauchsteuer gleichgestellt und zum anderen auf das in Rede stehende Energieerzeugnis den höheren Verbrauchsteuersatz für zur Verwendung als Kraftstoff bestimmtes Gasöl angewandt.

16      Unter diesen Umständen hat das Tribunalul Prahova (Regionalgericht Prahova) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Verstoßen nationale Vorschriften und Praktiken wie die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden, wonach die Rückverbringung eines Heizstoffs (Heizöl) in ein Steuerlager ohne zollamtliche Überwachung einen Verstoß gegen das Steuerlagerverfahren darstellen soll, der die Anwendung einer Verbrauchsteuer in Höhe des Satzes, der für Gasöl – einen Brennstoff, bei dem die Verbrauchsteuer mehr als das 21-fache der Verbrauchsteuer auf Heizöl beträgt – festgelegt ist, rechtfertigt, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie gegen Art. 2 Abs. 3, Art. 5 und Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2003/96?

2.      Verstoßen nationale Vorschriften und Praktiken wie die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden, wonach Mehrwertsteuer auf Beträge erhoben wird, die von den Steuerbehörden zusätzlich als Verbrauchsteuer auf Gasöl als Sanktion für die Nichtbeachtung – seitens des Steuerpflichtigen – der Regelung der zollamtlichen Überwachung festgesetzt wurden, nachdem der Steuerpflichtige Energieerzeugnisse vom Typ „Heizöl“, für die bereits Verbrauchsteuer entrichtet worden war, die von den Kunden abgelehnt wurden und die nicht kontaminiert waren, in das Steuerlager zurückverbracht hat, bis ein Käufer gefunden wird, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer und die Art. 2, 250 und 273 der Richtlinie 2006/112?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit

17      Die rumänische Regierung bestreitet die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens mit der Begründung, dass das vorlegende Gericht unter Verstoß gegen Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs weder die Gründe nenne, die es dazu veranlasst hätten, die Vorlagefragen zu stellen, noch diejenigen, aus denen es die von ihm genannten Vorschriften des Unionsrechts für auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar halte. Was insbesondere die zweite Frage betreffe, seien die vom vorlegenden Gericht angeführten Vorschriften der Richtlinie 2006/112 für die Beantwortung dieser Vorlagefrage nicht einschlägig.

18      Nach Art. 94 der Verfahrensordnung muss jedes Vorabentscheidungsersuchen „eine kurze Darstellung des Streitgegenstands und des maßgeblichen Sachverhalts, wie er vom vorlegenden Gericht festgestellt worden ist, oder zumindest eine Darstellung der tatsächlichen Umstände, auf denen die Fragen beruhen“, „den Wortlaut der möglicherweise auf den Fall anwendbaren nationalen Vorschriften und gegebenenfalls die einschlägige nationale Rechtsprechung“ sowie „eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt“, enthalten.

19      Insoweit ist festzustellen, dass das Vorabentscheidungsersuchen den dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalt, wie ihn das vorlegende Gericht festgestellt hat, darstellt und die nationalen Vorschriften anführt, die auf diesen Rechtsstreit anwendbar sind. Das Gleiche gilt für den Zusammenhang, den das vorlegende Gericht zwischen den an den Gerichtshof gerichteten Fragen und dem Gegenstand dieses Rechtsstreits herstellt. Zwar wurde dieser Zusammenhang nicht gesondert in der Vorlageentscheidung angegeben, jedoch ergibt er sich aus deren Gesamtheit.

20      Unter Berücksichtigung der Vermutung der Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht wirkt sich außerdem der Umstand, dass nicht alle in der Vorlageentscheidung zur zweiten Frage angeführten Vorschriften des Unionsrechts gegebenenfalls auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar sind oder dass in dieser Entscheidung bestimmte Vorschriften des Unionsrechts, die sich als erforderlich erweisen, um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, nicht genannt werden, nicht auf die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens aus, sondern betrifft den Inhalt der Vorlagefragen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. März 2024, Roheline Kogukond u. a., C‑234/22, EU:C:2024:211, Rn. 27 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Nach alledem ist festzustellen, dass das Vorabentscheidungsersuchen den Anforderungen von Art. 94 der Verfahrensordnung entspricht. Folglich sind die Vorlagefragen zulässig.

 Zur Beantwortung der Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

22      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2003/96 und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Vorschriften und Praktiken entgegenstehen, wonach im Fall der Rückverbringung von zur Verwendung als Heizstoff bestimmten Energieerzeugnissen in das Steuerlager zwecks ihrer späteren Vermarktung das Fehlen einer Mitteilung an die zuständige Behörde über diese Rückverbringung sowie das Fehlen von Angaben zur Kennzeichnung und Färbung dieser Erzeugnisse in den Empfangserklärungen und Stornorechnungen dazu führen, dass als Sanktion für die Nichtbeachtung dieser Voraussetzungen auf diese Erzeugnisse unabhängig von ihrer tatsächlichen Verwendung der höhere Verbrauchsteuersatz, der für zur Verwendung als Kraftstoff bestimmtes Gasöl vorgesehen ist, angewandt wird.

23      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sowohl die allgemeine Systematik als auch der Zweck der Richtlinie 2003/96 auf dem Grundsatz beruhen, dass Energieerzeugnisse nach ihrer tatsächlichen Verwendung besteuert werden, wobei namentlich die in den Erwägungsgründen 17 und 18 dieser Richtlinie vorgenommene klare Unterscheidung zwischen Kraft- und Heizstoffen berücksichtigt wird, auf die sich diese Richtlinie stützt. Außerdem trägt die Festlegung des „Steuerbetrags“ für Energieerzeugnisse im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2003/96 nach ihrer Verwendung als Kraftstoff oder als Heizstoff zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes, einem u. a. im dritten Erwägungsgrund dieser Richtlinie genannten Ziel, bei, indem sie es ermöglicht, etwaige Verzerrungen des Wettbewerbs zwischen Energieerzeugnissen mit demselben Verwendungszweck zu vermeiden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. Juni 2016, ROZ-ŚWIT, C‑418/14, EU:C:2016:400, Rn. 31 bis 33, und vom 7. November 2019, PetrotelLukoil, C‑68/18, EU:C:2019:933, Rn. 50 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Da die Richtlinie 2003/96 im Übrigen weder einen bestimmten Mechanismus zur Kontrolle der tatsächlichen Verwendung der Energieerzeugnisse noch Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der Verwendung dieser Erzeugnisse vorsieht, obliegt es, wie im neunten Erwägungsgrund dieser Richtlinie ausgeführt ist, den Mitgliedstaaten, solche Mechanismen und Maßnahmen, einschließlich Sanktionen für die Nichtbeachtung der zu diesem Zweck auf den nationalen Kontext abgestimmten Voraussetzungen, unter Beachtung des Unionsrechts und seiner allgemeinen Grundsätze, einschließlich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, vorzusehen. Gleichwohl kann das den Mitgliedstaaten eingeräumte Ermessen nicht den Grundsatz in Frage stellen, dass Energieerzeugnisse nach ihrer tatsächlichen Verwendung besteuert werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2019, Petrotel-Lukoil, C‑68/18, EU:C:2019:933, Rn. 52 und 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die Steuerbehörde zum einen aufgrund der fehlenden Mitteilung an die zuständige Zollbehörde über die Rückverbringung eines zur Verwendung als Heizstoff (Heizöl) bestimmten Energieerzeugnisses in das Steuerlager und zum anderen aufgrund fehlender Angaben zur Kennzeichnung und Färbung dieses Erzeugnisses in den Empfangserklärungen und Stornorechnungen diese Unterlassungen dem Besitz, dem Transport und der Vermarktung eines nicht gekennzeichneten und nicht gefärbten Energieerzeugnisses gleichgestellt und auf der Grundlage des nationalen Rechts als Sanktion auf dieses Erzeugnis den Verbrauchsteuersatz angewandt hat, der für zur Verwendung als Kraftstoff bestimmtes Gasöl vorgesehen ist.

26      In ihren schriftlichen Erklärungen macht die rumänische Regierung geltend, dass sowohl die Pflicht zur Mitteilung über die Rückverbringung von Energieerzeugnissen in das Steuerlager als auch die Pflicht zur Kennzeichnung und Färbung dieser Erzeugnisse dazu dienten, Steuerhinterziehung und ‑vermeidung vorzubeugen, indem verhindert werde, dass die Verwendung solcher Erzeugnisse als Kraftstoff den für Heizstoffe vorgesehenen niedrigeren Verbrauchsteuersätzen unterlägen, während höhere Steuersätze anzuwenden seien, wenn dieselben Energieerzeugnisse tatsächlich als Kraftstoffe verwendet würden. In der mündlichen Verhandlung hat sich die rumänische Regierung auch auf Gründe der nationalen Steuerpolitik berufen, um die höhere Besteuerung von Gasöl zu rechtfertigen.

27      Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, das das nationale Recht so weit wie möglich im Einklang mit dem Unionsrecht auszulegen hat, festzustellen, ob die im vorliegenden Fall anwendbaren Vorschriften, ohne dass dies zu einer Auslegung contra legem dieser Vorschriften führen würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2021, technoRent International u. a., C‑844/19, EU:C:2021:378, Rn. 54 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), gemäß der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Richtlinie 2003/96 dahin auszulegen sind, dass das Fehlen einer Mitteilung über die Rückverbringung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Energieerzeugnisses in das Steuerlager zwecks seiner späteren Vermarktung und das Fehlen von Angaben zur Kennzeichnung und Färbung dieses Erzeugnisses in den Empfangserklärungen und Stornorechnungen dazu führen, dass auf dieses Erzeugnis der Verbrauchsteuersatz, der für zur Verwendung als Kraftstoff bestimmtes Gasöl vorgesehen ist, nur dann angewandt wird, wenn das in Rede stehende Energieerzeugnis tatsächlich zur Verwendung als Kraftstoff bestimmt ist. Die betreffenden Vorschriften dürfen ein Energieerzeugnis nämlich nicht einer Besteuerung unterwerfen, die nicht seiner tatsächlichen Verwendung entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2019, Petrotel-Lukoil, C‑68/18, EU:C:2019:933, Rn. 53).

28      Selbst wenn man annimmt, dass die in Rede stehenden Vorschriften des nationalen Rechts im Einklang mit der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Richtlinie 2003/96 dahin ausgelegt werden können, dass diese Vorschriften den Grundsatz der Besteuerung von Energieerzeugnissen nach ihrer tatsächlichen Verwendung wahren, ist zu prüfen, ob die in Rede stehende Sanktion mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Nach diesem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts müssen die Mitgliedstaaten Mittel einsetzen, mit denen sich das Ziel der nationalen Regelung wirksam, aber unter möglichst geringer Beeinträchtigung der in Rede stehenden unionsrechtlichen Prinzipien erreichen lässt (Urteil vom 22. Dezember 2022, Shell Deutschland Oil, C‑553/21, EU:C:2022:1030, Rn. 32), und er steht Vorschriften und Praktiken des nationalen Rechts entgegen, die über das hinausgehen, was erforderlich ist, um Steuerhinterziehung und ‑vermeidung im Bereich der Verbrauchsteuer zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2019, Petrotel-Lukoil, C‑68/18, EU:C:2019:933, Rn. 58).

29      Es ist Sache der nationalen Gerichte, u. a. die Art und die Schwere des Verstoßes, der mit dieser Sanktion bestraft werden soll, sowie die Methoden für die Bestimmung der Höhe dieser Sanktion zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juni 2016, ROZŚWIT, C‑418/14, EU:C:2016:400, Rn. 40).

30      Insoweit ist festzustellen, dass der Umstand, dass auf ein Energieerzeugnis wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende der höhere Verbrauchsteuersatz für Gasöl, das zur Verwendung als Kraftstoff bestimmt ist, als Sanktion für die Nichtbeachtung der in Rn. 25 des vorliegenden Urteils genannten formellen Voraussetzungen erhoben wird – ein Umstand, der nach Ansicht des vorlegenden Gerichts dazu führt, dass dieses Energieerzeugnis mit einer um das 21-fache höheren Verbrauchsteuer belegt wird –, ohne dass dem betreffenden Wirtschaftsteilnehmer der Nachweis der tatsächlichen Verwendung dieses Erzeugnisses ermöglicht wird, über das hinausgeht, was erforderlich ist, um Steuerhinterziehung und ‑vermeidung zu verhindern.

31      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2003/96 und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Vorschriften und Praktiken entgegenstehen, wonach im Fall der Rückverbringung von zur Verwendung als Heizstoff bestimmten Energieerzeugnissen in das Steuerlager zwecks ihrer späteren Vermarktung das Fehlen einer Mitteilung an die zuständige Behörde über diese Rückverbringung sowie das Fehlen von Angaben zur Kennzeichnung und Färbung dieser Erzeugnisse in den Empfangserklärungen und Stornorechnungen dazu führen, dass als Sanktion für die Nichtbeachtung dieser Voraussetzungen auf diese Erzeugnisse unabhängig von ihrer tatsächlichen Verwendung der höhere Verbrauchsteuersatz angewandt wird, der für zur Verwendung als Kraftstoff bestimmtes Gasöl vorgesehen ist.

 Zur zweiten Frage

32      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, Art. 63 und Art. 78 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Vorschriften und Praktiken entgegenstehen, wonach im Fall der Rückverbringung von zur Verwendung als Heizstoff bestimmten Energieerzeugnissen in das Steuerlager die Mehrwertsteuer auf einen Betrag erhoben wird, der von den Steuerbehörden zusätzlich als Verbrauchsteuer festgesetzt wurde, weil auf diese Erzeugnisse der Verbrauchsteuersatz angewandt wird, der für zur Verwendung als Kraftstoff bestimmtes Gasöl vorgesehen ist.

33      Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 unterliegen Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt, der Mehrwertsteuer.

34      Nach Art. 63 dieser Richtlinie entsteht der Steueranspruch zu dem Zeitpunkt, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird, also zum Zeitpunkt der Ausführung des betreffenden Umsatzes, unabhängig davon, ob die für diesen Umsatz geschuldete Gegenleistung bereits entrichtet worden ist (Urteil vom 28. Oktober 2021, X-Beteiligungsgesellschaft [Mehrwertsteuer Aufeinanderfolgende Zahlungen], C‑324/20, EU:C:2021:880, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Nach Art. 78 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 sind Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst in die Steuerbemessungsgrundlage einzubeziehen. Damit diese Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben in die Steuerbemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer eingehen können, obwohl sie keinen Mehrwert darstellen und nicht die wirtschaftliche Gegenleistung für die Lieferung des Gegenstands darstellen, müssen sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Lieferung stehen. Die Frage, ob der Entstehungstatbestand dieser Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben mit dem der Mehrwertsteuer zusammenfällt, ist ein maßgeblicher Aspekt für die Annahme eines solchen Zusammenhangs (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Dezember 2010, Kommission/Österreich, C‑433/09, EU:C:2010:817, Rn. 34, sowie vom 11. Juni 2015, Lisboagás GDL, C‑256/14, EU:C:2015:387, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Im vorliegenden Fall verlangt Art. 78 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 zwar, dass die im Fall von Bitulpetrolium zusätzlich angewandte Verbrauchsteuer von vornherein in die Steuerbemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer einzubeziehen ist, jedoch kann eine solche Einbeziehung nur erfolgen, wenn dieser Zuschlag wie die Verbrauchsteuer, die er erhöht, u. a. den Grundsatz der Besteuerung von Energieerzeugnissen nach ihrer tatsächlichen Verwendung wahrt, der sich aus der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Richtlinie 2003/96 ergibt. Unter diesen Umständen wird nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Art. 63 der Richtlinie 2006/112 die auf diese zusätzliche Verbrauchsteuer berechnete zusätzliche Mehrwertsteuer nur bei einem steuerpflichtigen Umsatz erhoben und fällig, der in einer Lieferung des in Rede stehenden Energieerzeugnisses zur Verwendung als Kraftstoff besteht.

37      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, Art. 63 und Art. 78 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Vorschriften und Praktiken entgegenstehen, wonach im Fall der Rückverbringung von zur Verwendung als Heizstoff bestimmten Energieerzeugnissen in das Steuerlager die Mehrwertsteuer auf einen Betrag erhoben wird, der von den Steuerbehörden zusätzlich als Verbrauchsteuer festgesetzt wurde, weil auf diese Erzeugnisse der Verbrauchsteuersatz angewandt wird, der für zur Verwendung als Kraftstoff bestimmtes Gasöl vorgesehen ist, es sei denn, dass ein steuerpflichtiger Umsatz erfolgt, der in einer Lieferung des betreffenden Energieerzeugnisses zur Verwendung als Kraftstoff besteht.

 Kosten

38      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

sind dahin auszulegen, dass

sie nationalen Vorschriften und Praktiken entgegenstehen, wonach im Fall der Rückverbringung von zur Verwendung als Heizstoff bestimmten Energieerzeugnissen in das Steuerlager zwecks ihrer späteren Vermarktung das Fehlen einer Mitteilung an die zuständige Behörde über diese Rückverbringung sowie das Fehlen von Angaben zur Kennzeichnung und Färbung dieser Erzeugnisse in den Empfangserklärungen und Stornorechnungen dazu führen, dass als Sanktion für die Nichtbeachtung dieser Voraussetzungen auf diese Erzeugnisse unabhängig von ihrer tatsächlichen Verwendung der höhere Verbrauchsteuersatz angewandt wird, der für zur Verwendung als Kraftstoff bestimmtes Gasöl vorgesehen ist.

2.      Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, Art. 63 und Art. 78 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem

sind dahin auszulegen, dass

sie nationalen Vorschriften und Praktiken entgegenstehen, wonach im Fall der Rückverbringung von zur Verwendung als Heizstoff bestimmten Energieerzeugnissen in das Steuerlager die Mehrwertsteuer auf einen Betrag erhoben wird, der von den Steuerbehörden zusätzlich als Verbrauchsteuer festgesetzt wurde, weil auf diese Erzeugnisse der Verbrauchsteuersatz angewandt wird, der für zur Verwendung als Kraftstoff bestimmtes Gasöl vorgesehen ist, es sei denn, dass ein steuerpflichtiger Umsatz erfolgt, der in einer Lieferung des betreffenden Energieerzeugnisses zur Verwendung als Kraftstoff besteht.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Rumänisch.