Language of document : ECLI:EU:C:2015:470

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

16. Juli 2015(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Staatliche Beihilfen – Art. 107 Abs. 1 AEUV – Veräußerung landwirtschaftlicher Grundstücke durch die öffentliche Hand – Nationale Rechtsvorschrift, nach der die zuständigen Behörden die Veräußerung eines Grundstücks verhindern können, wenn der angebotene Preis in einem ‚groben Missverhältnis‘ zum Marktwert steht – Bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen gewährter Vorteil – Kriterium des privaten Kapitalgebers – Bestimmung des ‚Marktwerts‘“

In der Rechtssache C‑39/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. November 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Januar 2014, in der Landwirtschaftssache

BVVG Bodenverwertungs- und ‑verwaltungs GmbH,

Beteiligte:

Thomas Erbs,

Ursula Erbs,

Landkreis Jerichower Land,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano (Berichterstatter), der Richter A. Borg Barthet und E. Levits, der Richterin M. Berger sowie des Richters F. Biltgen,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der BVVG Bodenverwertungs- und ‑verwaltungs GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt C. von Donat,

–        von Herrn und Frau Erbs, vertreten durch Rechtsanwalt T. Rehmann,

–        des Landkreises Jerichower Land, vertreten durch W. Sonderhoff als Bevollmächtigten,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und B. Beutler als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch P.-J. Loewenthal und R. Sauer als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. März 2015

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 107 Abs. 1 AEUV.

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der BVVG Bodenverwertungs- und ‑verwaltungs GmbH (im Folgenden: BVVG) und dem Landkreis Jerichower Land über dessen Weigerung, den Verkauf eines landwirtschaftlichen Grundstücks an Herrn und Frau Erbs (im Folgenden: Eheleute Erbs) zu genehmigen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Abschnitt II Ziff. 1 Abs. 1 der Mitteilung der Kommission vom 10. Juli 1997 betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand (ABl. C 209, S. 3, im Folgenden: Mitteilung) bestimmt:

„Der Verkauf von Bauten oder Grundstücken nach einem hinreichend publizierten, allgemeinen und bedingungsfreien Bietverfahren (ähnlich einer Versteigerung) und die darauf folgende Veräußerung an den meistbietenden oder den einzigen Bieter stellt grundsätzlich einen Verkauf zum Marktwert dar und enthält damit keine staatliche Beihilfe. …“

4        In Abschnitt II Ziff. 2 Buchst. a der Mitteilung heißt es:

„Wenn die öffentliche Hand nicht beabsichtigt, das unter [Abschnitt II Ziff. 1] dargelegte Verfahren anzuwenden, sollte vor den Verkaufsverhandlungen eine unabhängige Bewertung durch (einen) unabhängige(n) Sachverständige(n) für Wertermittlung erfolgen, um auf der Grundlage allgemein anerkannter Marktindikatoren und Bewertungsstandards den Marktwert zu ermitteln. …

Unter Marktwert ist der Preis zu verstehen, der zum Zeitpunkt der Bewertung aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages über Bauten oder Grundstücke zwischen einem verkaufswilligen Verkäufer und einem ihm nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen Käufer unter den Voraussetzungen zu erzielen ist, wobei das Grundstück offen am Markt angeboten wurde, die Marktverhältnisse einer ordnungsgemäßen Veräußerung nicht im Wege stehen und eine der Bedeutung des Objektes angemessene Verhandlungszeit zur Verfügung steht …“

 Deutsches Recht

5        § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und zur Sicherung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (Grundstückverkehrsgesetz – GrdstVG) vom 28. Juli 1961 (BGBl. I 1091) bestimmt:

„Die Vorschriften dieses Abschnitts gelten für landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Grundstücke …“

6        § 2 Abs. 1 GrdstVG sieht vor:

„Die rechtsgeschäftliche Veräußerung eines Grundstücks und der schuldrechtliche Vertrag hierüber bedürfen der Genehmigung. …“

7        § 4 GrdstVG bestimmt:

„Die Genehmigung ist nicht notwendig, wenn

1.      der Bund oder ein Land als Vertragsteil an der Veräußerung beteiligt ist;

…“

8        § 9 GrdstVG sieht vor:

„(1)      Die Genehmigung darf nur versagt oder durch Auflagen (§ 10) oder Bedingungen (§ 11) eingeschränkt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass

1.      die Veräußerung eine ungesunde Verteilung des Grund und Bodens bedeutet oder

2.      durch die Veräußerung das Grundstück oder eine Mehrheit von Grundstücken, die räumlich oder wirtschaftlich zusammenhängen und dem Veräußerer gehören, unwirtschaftlich verkleinert oder aufgeteilt würde oder

3.      der Gegenwert in einem groben Missverhältnis zum Wert des Grundstücks steht.

(4)      Wird das Grundstück für andere als land- oder forstwirtschaftliche Zwecke veräußert, so darf die Genehmigung aus Absatz 1 Nr. 3 nicht versagt werden.

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

9        Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass die BVVG eine juristische Person des Privatrechts ist, deren Geschäftsanteile der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) zustehen. Die BVVG erfüllt u. a. den gesetzlichen Auftrag, staatseigene land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen und Gebäude zu privatisieren. Dabei handelt sie als zivilrechtliche Eigentümerin im eigenen Namen, jedoch auf Rechnung der BvS.

10      Nach einer öffentlichen Ausschreibung, bei der sie das Höchstgebot abgegeben hatten, kauften die Eheleute Erbs mit notariell beurkundetem „Kauf- und Übereignungsvertrag“ vom 31. März 2008 von der BVVG eine ca. 2,6 Hektar große Landwirtschaftsfläche für 29 000 Euro (im Folgenden: fragliches Grundstück).

11      Mit Bescheid vom 5. Juni 2008 versagte der Landkreis Jerichower Land als die für die Genehmigung dieser Veräußerung und des Vertrags hierüber zuständige örtliche Behörde die Genehmigung dieses Geschäfts gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG mit der Begründung, der vereinbarte Kaufpreis stehe in einem groben Missverhältnis zu dem landwirtschaftlichen Verkehrswert des fraglichen Grundstücks.

12      Aus der einschlägigen nationalen Rechtsprechung ergibt sich nämlich, dass ein solches Missverhältnis vorliegt, wenn der Kaufpreis den „landwirtschaftlichen Verkehrswert des Grundstücks“ um mehr als 50 % übersteigt. Dieser Wert ist der Preis, der für Grundstücke gleicher Art und Lage im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags im Grundstücksverkehr unter Landwirten zu erzielen ist. Auch Veräußerungen an Nichtlandwirte sind bei der Ermittlung dieses Werts zu berücksichtigen, sofern die Veräußerung zwecks weiterer landwirtschaftlicher Nutzung des Grundstücks erfolgt.

13      Die BVVG und die Eheleute Erbs beantragten beim Amtsgericht – Landwirtschaftsgericht, diesen Bescheid des Landkreises Jerichower Land aufzuheben. Das Amtsgericht wies ihren Antrag auf der Grundlage einer Schätzung des Verkehrswerts des fraglichen Grundstücks durch einen Gutachterausschuss zurück.

14      Das mit einer Beschwerde gegen diese Entscheidung befasste Beschwerdegericht holte ein zweites Sachverständigengutachten ein, aus dem sich ergab, dass der landwirtschaftliche Verkehrswert des Grundstücks bei Einbeziehung anderer BVVG-Verkäufe in dem betreffenden Gebiet in den Vergleich 14 168,61 Euro und ohne Einbeziehung 13 648,19 Euro betrage. Das Beschwerdegericht bestätigte daher, dass der von den Eheleuten Erbs angebotene Preis von 29 000 Euro den Verkehrswert des fraglichen Grundstücks um mehr als 50 % übersteige und dass somit ein „grobes Missverhältnis“ im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG gegeben sei.

15      Das Beschwerdegericht führte weiter aus, dass eine Genehmigung eines Verkaufs an Hobbylandwirte wie die Eheleute Erbs zu diesem Preis ungünstige Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Betriebe hätte, weil Landwirte bei überhöhten Preisen der noch verfügbaren landwirtschaftlichen Grundstücke ein zur Aufstockung ihres Betriebs benötigtes Grundstück nicht mehr erwerben könnten. Die Genehmigung des Verkaufs eines landwirtschaftlichen Grundstücks könne jedoch nur dann versagt werden, wenn es einen Landwirt gebe, der zum Erwerb des Grundstücks bereit sei. Das Beschwerdegericht stellte fest, dass mindestens ein Berufslandwirt, auch wenn er nicht an der öffentlichen Ausschreibung teilgenommen habe, bereit gewesen sei, das fragliche Grundstück zu einem Preis, der bis zu 50 % über dem landwirtschaftlichen Verkehrswert liege, zu erwerben, und wies daher die Beschwerde der BVVG und der Eheleute Erbs zurück.

16      Die BVVG rief den Bundesgerichtshof mit einer Rechtsbeschwerde an. Das vorlegende Gericht hat Zweifel, ob der Verkauf von öffentlichem Grundeigentum durch die BVVG zu einem Preis, der unter dem durch eine öffentliche Ausschreibung ermittelten Preis liege, zu einer Begünstigung des Käufers führe, und, falls ja, ob diese Begünstigung durch den Zweck von § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG, die Interessen der landwirtschaftlichen Betriebe zu schützen, gerechtfertigt sein könne. Ferner stelle sich die Frage, ob die Versagung des Verkaufs zu dem in einer öffentlichen Ausschreibung ermittelten Preis gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV verstoße, da zum Zeitpunkt der Versagung noch nicht entschieden sei, an wen das betreffende Grundstück verkauft werde.

17      Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Steht Art. 107 Abs. 1 AEUV einer nationalen Regelung wie § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG entgegen, welche es zur Verbesserung der Agrarstruktur einer dem Staat zuzurechnenden Einrichtung wie der BVVG im Ergebnis verbietet, ein zum Verkauf stehendes landwirtschaftliches Grundstück an den Höchstbietenden einer öffentlichen Ausschreibung zu verkaufen, wenn das Höchstgebot in einem groben Missverhältnis zu dem Wert des Grundstücks steht?

 Zur Vorlagefrage

18      Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt.

19      Angesichts der Formulierung der Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nicht befugt ist, über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Unionsrecht zu entscheiden. Er kann auch nicht über die Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe oder einer Beihilferegelung mit dem Binnenmarkt entscheiden, da hierfür ausschließlich die Kommission zuständig ist, die dabei der Kontrolle des Unionsrichters unterliegt (Urteil Fallimento Traghetti del Mediterraneo, C‑140/09, EU:C:2010:335, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Es ist jedoch Sache des Gerichtshofs, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen, für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache über die Frage der Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit diesem Recht zu befinden. Was staatliche Beihilfen anbelangt, kann er dem vorlegenden Gericht vor allem die Hinweise zur Auslegung geben, die es diesem ermöglichen, festzustellen, ob eine nationale Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne des Unionsrechts angesehen werden kann (Urteil Fallimento Traghetti del Mediterraneo, C‑140/09, EU:C:2010:335, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Die Vorlagefrage ist daher so zu verstehen, dass mit ihr geklärt werden soll, ob Art. 107 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung, die es zum Schutz der Interessen der landwirtschaftlichen Betriebe einer dem Staat zuzurechnenden Einrichtung verbietet, ein landwirtschaftliches Grundstück an den Höchstbietenden einer öffentlichen Ausschreibung zu verkaufen, wenn dessen Angebot nach Ansicht der zuständigen örtlichen Behörde in einem groben Missverhältnis zu dem geschätzten Wert des Grundstücks steht, als staatliche Beihilfe qualifiziert werden kann.

22      Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV, soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

23      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt die Qualifizierung als „Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV, dass alle dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind (Urteil Banco Privado Português und Massa Insolvente do Banco Privado Português, C‑667/13, EU:C:2015:151, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Somit kann eine nationale Maßnahme nur dann als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV qualifiziert werden, wenn es sich erstens um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handelt, zweitens die Maßnahme geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, drittens dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil gewährt wird und sie viertens den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht (Urteil Trapeza Eurobank Ergasias, C‑690/13, EU:C:2015:235, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Im Ausgangsverfahren ist das vorlegende Gericht im Wesentlichen der Auffassung, dass § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG zwar die in der vorstehenden Randnummer genannten Tatbestandsmerkmale eins, zwei und vier erfülle, hat jedoch Zweifel hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des dritten Tatbestandsmerkmals, wonach die fragliche Maßnahme ihrem Begünstigten einen selektiven Vorteil gewähren muss.

26      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff der Beihilfe nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur positive Leistungen wie Subventionen, Darlehen oder Beteiligungen am Kapital von Unternehmen erfasst, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Lasten verringern, die ein Unternehmen sonst zu tragen hätte, und die somit, ohne Subventionen im strengen Sinne des Wortes darzustellen, diesen nach Art und Wirkung gleichstehen (Urteil Seydaland Vereinigte Agrarbetriebe, C‑239/09, EU:C:2010:778, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Hierzu muss zum Zweck der Feststellung des Vorliegens einer staatlichen Beihilfe ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen dem Vorteil, der dem Begünstigten gewährt wird, einerseits und der Verringerung eines Postens des Staatshaushalts oder einem hinreichend konkreten wirtschaftlichen Risiko für dessen Belastung andererseits dargetan werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Bouygues und Bouygues Télécom/Kommission u. a. und Kommission/Frankreich u. a., C‑399/10 P und C‑401/10 P, EU:C:2013:175, Rn. 109).

27      Grundsätzlich lässt sich daher, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, nicht ausschließen, dass ein Verkauf öffentlichen Grundeigentums zu einem geringeren Preis als dem Marktpreis eine staatliche Beihilfe darstellen kann (Urteil Seydaland Vereinigte Agrarbetriebe, C‑239/09, EU:C:2010:778, Rn. 31).

28      Ein solcher Verkauf kann nämlich dem Käufer als dem Begünstigten einen Vorteil verschaffen, der im Wesentlichen zu einer Verringerung eines Postens des Staatshaushalts führt, die darin besteht, dass der Staat auf die Differenz zwischen dem Verkehrswert des Grundstücks und dem vom Käufer gezahlten geringeren Preis verzichtet.

29      Insbesondere hat der Gerichtshof zur Veräußerung eines Grundstücks oder eines Gebäudes durch die öffentliche Hand an ein Unternehmen oder an einen Einzelnen, der eine wirtschaftliche Tätigkeit wie die Land- oder Forstwirtschaft ausübt, entschieden, dass eine solche Veräußerung Elemente einer staatlichen Beihilfe umfassen kann, insbesondere wenn sie nicht zum Marktwert erfolgt, d. h. zu dem Preis, den ein unter normalen Marktbedingungen handelnder privater Investor hätte festsetzen können (Urteil Seydaland Vereinigte Agrarbetriebe, C‑239/09, EU:C:2010:778, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Folglich muss, wenn das nationale Recht Regeln über die Berechnung des Marktwerts von Flächen im Hinblick auf ihre Veräußerung durch die öffentliche Hand enthält, die Anwendung dieser Regeln, um Art. 107 AEUV zu genügen, in allen Fällen zu einem möglichst nahe beim Marktwert liegenden Preis führen (vgl. in diesem Sinne Urteil Seydaland Vereinigte Agrarbetriebe, C‑239/09, EU:C:2010:778, Rn. 35).

31      Zu Preisen, die dem tatsächlichen Marktwert entsprechen, können mehrere Methoden führen, zu denen, wie in Abschnitt II Ziff. 1 und 2 der Mitteilung ausgeführt, der Verkauf an den Meistbietenden und das Sachverständigengutachten gehören. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass dieses Ergebnis auch mit anderen Methoden erreicht werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Seydaland Vereinigte Agrarbetriebe, C‑239/09, EU:C:2010:778, Rn. 35 und 39).

32      Zur Methode des Verkaufs an den Meistbietenden hat der Gerichtshof in einer Rechtssache, in der es um den Verkauf durch die öffentliche Hand eines ihrer Unternehmen ging, bereits entschieden, dass, wenn dieser Verkauf im Wege eines offenen, transparenten und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahrens erfolgt, vermutet werden kann, dass der Marktpreis dem höchsten Angebot entspricht, wobei erstens festzustellen ist, ob dieses Angebot verpflichtend und verlässlich sei, und zweitens, ob es nicht gerechtfertigt sei, andere wirtschaftliche Faktoren als den Preis zu berücksichtigen (Urteil Land Burgenland u. a./Kommission, C‑214/12 P, C‑215/12 P und C‑223/12 P, EU:C:2013:682, Rn. 94).

33      Unter derartigen Voraussetzungen ist es, wie der Gerichtshof weiter ausgeführt hat, nicht erforderlich, zum Zweck der Überprüfung des Marktpreises andere Mittel, wie etwa unabhängige Gutachten, heranzuziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Land Burgenland u. a./Kommission, C‑214/12 P, C‑215/12 P und C‑223/12 P, EU:C:2013:682, Rn. 95).

34      Nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung kann die zuständige örtliche Behörde nach einer öffentlichen Ausschreibung die Genehmigung des Verkaufs eines dem Staat gehörenden landwirtschaftlichen Grundstücks an den Meistbietenden jedoch versagen, wenn sie der Auffassung ist, dass der angebotene Preis in einem groben Missverhältnis zum Wert des Grundstücks stehe.

35      Wie in Rn. 12 des vorliegenden Urteils ausgeführt, liegt ein solches Missverhältnis nach der nationalen Rechtsprechung vor, wenn der Kaufpreis den „landwirtschaftlichen Verkehrswert des Grundstücks“ um mehr als 50 % übersteigt, wobei dieser Wert nach dem für Grundstücke gleicher Art und Lage im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags im innerlandwirtschaftlichen Grundstücksverkehr zu erzielenden Preis bemessen wird. Im Rahmen dieser Beurteilung werden zur Ermittlung dieses Werts auch Veräußerungen an Nichtlandwirte berücksichtigt, sofern sie zwecks weiterer landwirtschaftlicher Nutzung des Grundstücks erfolgen.

36      Somit kann die Anwendung von § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG die Verwirklichung der Ziele eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens beeinträchtigen, da sie zur Ablehnung des höchsten Angebots führt, bei dem aber, wie bereits in Rn. 32 des vorliegenden Urteils festgestellt, vermutet werden darf, dass es dem Marktpreis des fraglichen Grundstücks entspricht.

37      Zudem kann die Regelung in § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG insofern unter den Begriff „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV fallen, als sie es einem Dritten, der gegebenenfalls nicht einmal an dem Ausschreibungsverfahren teilgenommen hat, ermöglicht, das Grundstück nach der Untersagung durch die zuständige örtliche Behörde zu einem niedrigeren als dem in dieser Ausschreibung gebotenen Preis zu erwerben.

38      Die Anwendung einer solchen Maßnahme führt nämlich dazu, dass dem Dritten als Begünstigten ein Vorteil durch eine Verringerung eines Postens des Staatshaushalts verschafft wird, indem der Staat auf die Differenz zwischen dem Wert des Grundstücks, wie ihn die zuständigen örtlichen Behörden geschätzt haben, und dem von dem Meistbietenden in der öffentlichen Ausschreibung gebotenen Preis verzichtet.

39      Gleichwohl lässt sich nicht ausschließen, dass unter besonderen Umständen die Methode des Verkaufs an den Meistbietenden nicht zu einem dem Marktwert des fraglichen Objekts entsprechenden Preis führt, so dass es gerechtfertigt ist, auch andere Faktoren als den Preis zu berücksichtigen.

40      Dies könnte u. a. dann der Fall sein, wenn, wie der Generalanwalt in Nr. 71 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, das Höchstgebot aufgrund seines offensichtlich spekulativen Charakters deutlich über den sonstigen im Rahmen einer Ausschreibung abgegebenen Preisgeboten und dem geschätzten Verkehrswert des Objekts liegt.

41      Unter solchen Umständen wäre nämlich die Methode des Verkaufs an den Meistbietenden nicht geeignet, den Marktwert des fraglichen Grundstücks widerzuspiegeln.

42      Folglich kann eine nationale Regelung, nach der die zuständige nationale Behörde unter diesen Umständen ein nach ihrer Auffassung in einem Missverhältnis stehendes Angebot ausschließen und die Genehmigung des Verkaufs des Grundstücks, auf das sich dieses Angebot bezieht, versagen kann, nicht als „staatliche Beihilfe“ angesehen werden, sofern ihre Anwendung zu einem Preis führen kann, der im Einklang mit der in Rn. 30 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung möglichst nahe beim Marktwert des fraglichen Grundstücks liegt.

43      Im vorliegenden Fall verfügt der Gerichtshof, wie der Generalanwalt in Nr. 65 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht über alle Informationen darüber, anhand welcher Methoden die zuständigen örtlichen Behörden bzw. die von den nationalen Gerichten bestellten Sachverständigen im Rahmen der Durchführung von § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG die Grundstückspreise schätzen.

44      Insbesondere lassen sich den dem Gerichtshof vorgelegten Akten weder die Marktindikatoren noch die Bewertungsmaßstäbe entnehmen, die bei der Ermittlung des tatsächlichen Marktwerts eines landwirtschaftlichen Grundstücks zugrunde gelegt werden.

45      Der Gerichtshof ist daher nicht in der Lage, festzustellen, ob die Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung, wie es die in Rn. 30 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung verlangt, tatsächlich zu einem Preis führen kann, der möglichst nahe beim Marktwert des fraglichen Grundstücks liegt.

46      Es ist somit Sache des vorlegenden Gerichts, eine solche Beurteilung im Ausgangsverfahren vorzunehmen.

47      Im Rahmen dieser Prüfung wird es sich insbesondere zu vergewissern haben, ob die Methode der Bewertung der landwirtschaftlichen Flächen mit einem Aktualisierungsmechanismus verbunden ist, der die Entwicklung des Marktpreises berücksichtigt, so dass die abgegebene Schätzung möglichst genau dem aktuellen Marktwert dieser Flächen entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteil Seydaland Vereinigte Agrarbetriebe, C‑239/00, EU:C:2010:778, Rn. 43).

48      Zudem wird das vorlegende Gericht nach Maßgabe des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens und insbesondere der Modalitäten, nach denen das in dieser Rechtssache in Rede stehende Ausschreibungsverfahren abgelaufen ist, festzustellen haben, ob das Höchstgebot dem Marktwert des fraglichen Grundstücks entspricht oder ob auch andere Faktoren als der Preis zu berücksichtigen sind, die die Anwendung der in § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG genannten Maßnahme rechtfertigen können.

49      Die deutsche Regierung macht insoweit geltend, diese Maßnahme sei durch Erfordernisse des Schutzes der Interessen der landwirtschaftlichen Betriebe gerechtfertigt.

50      Insbesondere solle sie ermöglichen, dass Berufslandwirte nicht mit so hohen Anschaffungskosten für zusätzliche Grundstücke belastet würden, dass die Wirtschaftlichkeit ihrer Betriebe bedroht wäre.

51      Dieses Vorbringen reicht jedoch für sich allein nicht aus, um die Maßnahme von vornherein von der Einordnung als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV auszunehmen.

52      Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs unterscheidet diese Bestimmung nämlich nicht nach den Gründen oder Zielen der staatlichen Maßnahmen, sondern beschreibt diese nach ihren Wirkungen (vgl. Urteil 3M Italia, C‑417/10, EU:C:2012:184, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53      Ebenso unerheblich für die Einordnung der genannten Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV ist der vom vorlegenden Gericht angeführte Umstand, dass nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG der Verkauf zu dem in einer Ausschreibung ermittelten Preis zu einem Zeitpunkt versagt wird, zu dem noch nicht entschieden ist, an wen das betreffende Grundstück verkauft wird.

54      Es widerspräche nämlich der Logik des durch die Art. 107 AEUV und 108 AEUV eingeführten Systems der ständigen Kontrolle der staatlichen Beihilfen, wenn die Qualifizierung einer nationalen Maßnahme als „Beihilfe“ von der Überprüfung abhinge, dass jeder Begünstigte tatsächlich von den Vorteilen der fraglichen Maßnahme profitiert.

55      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 107 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die es zum Schutz der Interessen der landwirtschaftlichen Betriebe einer dem Staat zuzurechnenden Einrichtung verbietet, ein landwirtschaftliches Grundstück an den Höchstbietenden einer öffentlichen Ausschreibung zu verkaufen, wenn dessen Angebot nach Ansicht der zuständigen örtlichen Behörde in einem groben Missverhältnis zu dem geschätzten Wert des Grundstücks steht, nicht als staatliche Beihilfe qualifiziert werden kann, sofern die Anwendung dieser Regelung zu einem Preis führen kann, der möglichst nahe beim Marktwert des betroffenen landwirtschaftlichen Grundstücks liegt; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.

 Kosten

56      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 107 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die es zum Schutz der Interessen der landwirtschaftlichen Betriebe einer dem Staat zuzurechnenden Einrichtung verbietet, ein landwirtschaftliches Grundstück an den Höchstbietenden einer öffentlichen Ausschreibung zu verkaufen, wenn dessen Angebot nach Ansicht der zuständigen örtlichen Behörde in einem groben Missverhältnis zu dem geschätzten Wert des Grundstücks steht, nicht als staatliche Beihilfe qualifiziert werden kann, sofern die Anwendung dieser Regelung zu einem Preis führen kann, der möglichst nahe beim Marktwert des betroffenen landwirtschaftlichen Grundstücks liegt; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.