Language of document : ECLI:EU:C:2018:707

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

13. September 2018(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gesellschaftsrecht – Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr – Richtlinie 2011/7/EU – Art. 6 Abs. 1 und 3 – Erstattung der Kosten für die Beitreibung einer Forderung – Infolge von Mahnungen des Schuldners aufgrund von dessen Zahlungsverzug angefallene Kosten“

In der Rechtssache C‑287/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Okresní soud v Českých Budějovicích (Bezirksgericht Tschechisch Budweis, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 10. März 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Mai 2017, in dem Verfahren

Česká pojišťovna a.s.

gegen

WCZ, spol. s r. o.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Vajda, der Richterin K. Jürimäe und des Richters C. Lycourgos (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch Z. Malůšková, M. Patakia und D. Kukovec als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. Mai 2018

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. 2011, L 48, S. 1).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Česká pojišťovnaa.s. und der WCZ, spol. s r. o. wegen des Ersatzes der Kosten für Mahnungen, die sie aufgrund des Zahlungsverzugs der von WCZ geschuldeten Versicherungsprämien vor Erhebung einer Klage auf Zahlung dieser Prämien an diese Gesellschaft richtete.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 12, 19 und 20 der Richtlinie 2011/7 heißt es:

„(12)      Zahlungsverzug stellt einen Vertragsbruch dar, der für die Schuldner in den meisten Mitgliedstaaten durch niedrige oder nicht vorhandene Verzugszinsen und/oder langsame Beitreibungsverfahren finanzielle Vorteile bringt. Ein durchgreifender Wandel hin zu einer Kultur der unverzüglichen Zahlung, in der auch der Ausschluss des Rechts zur Verzinsung von verspäteten Zahlungen immer als grob nachteilige Vertragsklausel oder Praxis betrachtet wird, ist erforderlich, um diese Entwicklung umzukehren und von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. Dieser Wandel sollte auch die Einführung besonderer Bestimmungen zu Zahlungsfristen und zur Entschädigung der Gläubiger für die ihnen entstandenen Kosten einschließen, sowie auch Bestimmungen, wonach vermutet wird, dass der Ausschluss des Rechts auf Entschädigung für Beitreibungskosten grob nachteilig ist.

(19)      Eine gerechte Entschädigung der Gläubiger für die aufgrund eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten ist erforderlich, um von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. In den Beitreibungskosten sollten zudem die aufgrund des Zahlungsverzugs entstandenen Verwaltungskosten und die internen Kosten enthalten sein; für diese Kosten sollte durch diese Richtlinie ein pauschaler Mindestbetrag vorgesehen werden, der mit Verzugszinsen kumuliert werden kann. Die Entschädigung in Form eines Pauschalbetrags sollte dazu dienen, die mit der Beitreibung verbundenen Verwaltungskosten und internen Kosten zu beschränken. Eine Entschädigung für die Beitreibungskosten sollte unbeschadet nationaler Bestimmungen, nach denen ein nationales Gericht dem Gläubiger eine Entschädigung für einen durch den Zahlungsverzug eines Schuldners entstandenen zusätzlichen Schaden zusprechen kann, festgelegt werden.

(20)      Neben einem Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrages für interne Beitreibungskosten sollte der Gläubiger auch Anspruch auf Ersatz der übrigen, durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten haben. Zu diesen Kosten sollten insbesondere Kosten zählen, die dem Gläubiger durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens entstehen.“

4        Art. 6 („Entschädigung für Beitreibungskosten“) dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in Fällen, in denen gemäß Artikel 3 oder Artikel 4 im Geschäftsverkehr Verzugszinsen zu zahlen sind, der Gläubiger gegenüber dem Schuldner einen Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrags von mindestens 40 [Euro] hat.

(2)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der in Absatz 1 genannte Pauschalbetrag ohne Mahnung und als Entschädigung für die Beitreibungskosten des Gläubigers zu zahlen ist.

(3)      Der Gläubiger hat gegenüber dem Schuldner zusätzlich zu dem in Absatz 1 genannten Pauschalbetrag einen Anspruch auf angemessenen Ersatz aller durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten, die diesen Pauschalbetrag überschreiten. Zu diesen Kosten können auch Ausgaben zählen, die durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens entstehen.“

 Tschechisches Recht

5        § 369 Abs. 1 letzter Satz des Gesetzes Nr. 513/1991 über das Handelsgesetzbuch in der durch das Gesetz Nr. 179/2013 geänderten Fassung sieht vor:

„Neben Verzugszinsen hat der Gläubiger Anspruch auf Ersatz des Mindestbetrags der Kosten für die Beitreibung der Forderung, dessen Höhe und Voraussetzungen durch eine Verordnung der Regierung festgelegt werden.“

6        § 3 der Regierungsverordnung Nr. 351/2013 über die Festlegung der Höhe der Verzugszinsen und der Höhe der Kosten für die Beitreibung einer Forderung, zur Festlegung des Entgelts des Liquidators, des Konkursverwalters und der vom Gericht bestellten Mitglieder des Organs der juristischen Person sowie zur Regelung einiger Fragen betreffend das Amtsblatt zivilrechtlicher und handelsrechtlicher Mitteilungen und das öffentliche Register juristischer und natürlicher Personen, über Treuhandfonds und Informationen über die tatsächlichen Eigentümer bestimmt:

„Bei gegenseitigen Verpflichtungen von Unternehmern … beläuft sich der Mindestbetrag der Kosten für die Geltendmachung jeder Forderung auf 1 200 [tschechische Kronen (CZK) (ca. 46 Euro)] …“

7        § 121 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 40/1964 über das Zivilgesetzbuch bestimmt:

„Die Forderungsnebenkosten sind die Zinsen, die Verzugszinsen, der Säumniszuschlag und die Kosten im Zusammenhang mit der Geltendmachung der Forderung.“

8        § 142 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 99/1963 über die Zivilprozessordnung sieht vor:

„Der Partei, die in der Rechtssache vollständig obsiegt, erkennt das Gericht gegen die Partei, die in der Sache unterlegen ist, den Ersatz der für die erfolgreiche Geltendmachung oder Verteidigung des Rechts erforderlichen Kosten zu.“

9        § 142a Abs. 1 der Zivilprozessordnung lautet:

„Der Kläger, der im Verfahren über die Erfüllung einer Verpflichtung obsiegt, hat nur dann Anspruch auf Ersatz der Verfahrenskosten gegen den Beklagten, wenn er dem Beklagten in einer Frist von mindestens 7 Tagen vor Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes an dessen Zustellungsanschrift, gegebenenfalls an dessen letzte bekannte Anschrift, eine Aufforderung zur Erfüllung gesandt hat.“

 Sachverhalt und Vorlagefrage

10      Česká pojišťovna und WCZ schlossen am 7. November 2012 einen Versicherungsvertrag; Versicherungsbeginn sollte am selben Tag sein.

11      Mit Schreiben vom 10. März 2015 teilte Česká pojišťovna WCZ mit, dass der Vertrag wegen der Nichtzahlung der geschuldeten Prämien zum 25. Februar 2015 beendet sei, und forderte von ihr die Zahlung der Prämien in Höhe von 1 160 CZK (ca. 44 Euro) für den Zeitraum vom 7. November 2014 bis 25. Februar 2015. Insgesamt sandte Česká pojišťovna vor Anrufung des vorlegenden Gerichts vier Mahnungen an WCZ.

12      Česká pojišťovna begehrt vor diesem Gericht, WCZ zu verurteilen, an sie zum einen den Betrag von 1 160 CZK (ca. 44 Euro) zuzüglich der gesetzlichen Zinsen für den Zeitraum vom 25. Februar 2015 bis zur Bewirkung der Zahlung der geschuldeten Prämien zu zahlen und ihr zum anderen die Kosten für die Beitreibung ihrer Forderung in Höhe von 1 200 CZK (ca. 46 Euro) zu ersetzen. Außerdem verlangt Česká pojišťovna von WCZ den Ersatz der Verfahrenskosten.

13      Das vorlegende Gericht hebt hervor, dass Art. 6 der Richtlinie 2011/7 durch § 3 der Regierungsverordnung Nr. 351/2013 umgesetzt worden sei und dass im tschechischen Recht die Forderungsnebenkosten die Zinsen, die Verzugszinsen und die Kosten im Zusammenhang mit der Geltendmachung der Forderung seien.

14      Nach der Feststellung, dass die Gerichte gemäß dem nationalen Recht verpflichtet seien, als Rechtsverfolgungskosten die Kosten für eine einzige, dem Beklagten vor Klageerhebung zugesandte Mahnung zuzuerkennen, wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob neben dem Anspruch auf eine pauschale Entschädigung aus Art. 6 der Richtlinie 2011/7 auch ein Anspruch auf Ersatz der Mahnkosten nach den nationalen Verfahrensvorschriften anzuerkennen sei. Das vorlegende Gericht weist nämlich darauf hin, dass nach dem 19. Erwägungsgrund dieser Richtlinie die pauschale Entschädigung nach Art. 6 der Richtlinie gerade die dem Gläubiger entstandenen Mahnkosten abdecken solle. Daraus folge, dass die kumulative Zuerkennung eines Entschädigungsanspruchs auf der Grundlage von Art. 6 und auf der Grundlage der nationalen Verfahrensvorschriften dem Kläger zweimal die Erlangung ein und derselben Entschädigung ermöglichen würde.

15      Im Rahmen des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens sei diese Frage von grundlegender Bedeutung, weil Česká pojišťovna eine pauschale Entschädigung in Höhe von 1 200 CZK (ca. 46 Euro) gemäß § 3 der Regierungsverordnung Nr. 351/2013 und Art. 6 der Richtlinie 2011/7 sowie den Ersatz der Kosten für die Vertretung einschließlich der Mahnkosten vor Klageerhebung gemäß dem nationalen Recht verlange.

16      Unter diesen Umständen hat der Okresní soud v Českých Budějovicích (Bezirksgericht Tschechisch Budweis, Tschechische Republik) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage vorzulegen:

Ist Art. 6 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2011/7 dahin auszulegen, dass er das Gericht verpflichtet, dem obsiegenden Kläger in einem Streit über die Beitreibung einer Forderung aus einem in Art. 3 oder Art. 4 dieser Richtlinie definierten Geschäftsvorgang den Betrag von 40 Euro (oder dessen Gegenwert in nationaler Währung) sowie den Ersatz der Kosten des gerichtlichen Verfahrens, einschließlich der Kosten für die Mahnung des Beklagten vor Klageeinreichung, in der in den Verfahrensvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehenen Höhe zuzuerkennen?

 Zur Vorlagefrage

17      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 der Richtlinie 2011/7 dahin auszulegen ist, dass er dem Gläubiger, der eine Entschädigung für die dem Schuldner aufgrund von dessen Zahlungsverzug gesandten Mahnungen verlangt, das Recht verleiht, aus diesem Rechtsgrund neben dem Pauschalbetrag von 40 Euro nach Abs. 1 dieses Artikels auch einen angemessenen Ersatz nach Abs. 3 dieses Artikels zu verlangen.

18      Vorab ist zu bemerken, dass Art. 6 der Richtlinie 2011/7 eine Entschädigung für die dem Gläubiger entstandenen Beitreibungskosten gewährleisten soll, wenn Verzugszinsen nach dieser Richtlinie zu zahlen sind. Im Übrigen geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass Art. 6 der Richtlinie 2011/7 durch § 3 der Regierungsverordnung Nr. 351/2013 in tschechisches Recht umgesetzt wurde, der den in Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen Pauschalbetrag auf 1 200 CZK (ca. 46 Euro) festsetzt.

19      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass aus dem Wortlaut von Art. 6 der Richtlinie 2011/7 nicht hervorgeht, dass die Mahnkosten, die dem Gläubiger im Hinblick auf die Erlangung der Zahlung seiner Forderung entstanden sind, nicht über den in Abs. 1 dieses Art. 6 vorgesehenen Pauschalbetrag von 40 Euro hinaus ersetzt werden könnten.

20      Dieser Abs. 1 erwähnt nämlich nur das Recht des Gläubigers, als Minimum die Zahlung eines Pauschalbetrags von 40 Euro beanspruchen zu können. Darüber hinaus verpflichtet Abs. 2 dieses Art. 6 die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass zum einen dieser Pauschalbetrag automatisch, selbst ohne eine Mahnung des Schuldners, fällig wird, und dass zum anderen der Gläubiger für die ihm entstandenen Beitreibungskosten entschädigt wird. Damit treffen diese Bestimmungen keine Unterscheidung zwischen diesen Kosten.

21      Abs. 3 dieses Art. 6 sieht seinerseits vor, dass der Gläubiger – zusätzlich zu dem in Abs. 1 dieses Artikels genannten Pauschalbetrag – gegen den Schuldner Anspruch auf angemessenen Ersatz aller Beitreibungskosten hat, die diesen Betrag überschreiten.

22      Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber mit der Wendung „die diesen [B]etrag überschreiten“ in Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2011/7 hervorheben wollte, dass somit Gegenstand eines angemessenen Ersatzes Beitreibungskosten jedweder Art sein können, die über den Betrag von 40 Euro hinausgehen.

23      Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass, auch wenn sich die französische Sprachfassung von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2011/7 auf die „anderen“ („autres“) Beitreibungskosten bezieht, was den Gedanken nahelegt, dass es sich um Beitreibungskosten einer anderen Art als die handelt, auf die sich Abs. 1 dieses Artikels bezieht, u. a. die griechische, die englische, die italienische und die niederländische Sprachfassung dieser Bestimmung diese Auslegung nicht stützen, da in ihnen die Ausdrücke „opoiadipote schetika ypoloipomena,“ „any“, „ogni“ und „alle“ anstelle des Ausdrucks „autres“ verwendet werden.

24      Nach ständiger Rechtsprechung kann aber die in einer der Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen Sprachfassungen beanspruchen. Die Bestimmungen des Unionsrechts müssen nämlich im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Europäischen Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden (Urteil vom 6. Juni 2018, Tarragó da Silveira, C‑250/17, EU:C:2018:398, Rn. 20).

25      Zweitens ist zum Ziel der Richtlinie 2011/7 hervorzuheben, dass diese Richtlinie den Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr bekämpfen soll, der nach dem zwölften Erwägungsgrund dieser Richtlinie einen Vertragsbruch darstellt, der für die Schuldner durch niedrige oder nicht vorhandene Verzugszinsen und/oder langsame Beitreibungsverfahren finanzielle Vorteile bringt (Urteil vom 16. Februar 2017, IOS Finance EFC, C‑555/14, EU:C:2017:121, Rn. 24).

26      Daraus folgt, dass die Richtlinie einen wirksamen Schutz des Gläubigers gegen Zahlungsverzug zum Ziel hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Dezember 2016, Nemec, C‑256/15, EU:C:2016:954, Rn. 50). Ein solcher Schutz bedeutet, dem Gläubiger einen möglichst umfassenden Ersatz der ihm entstandenen Beitreibungskosten zu bieten, so dass von solchem Zahlungsverzug abgeschreckt wird.

27      Diesem Ziel liefe es folglich zuwider, Art. 6 der Richtlinie 2011/7 so auszulegen, dass er es verwehrt, dass die infolge von Mahnungen des Schuldners aufgrund von dessen Zahlungsverzug angefallenen Kosten zu einer Entschädigung führen können, die über 40 Euro hinausgeht, auch wenn die Höhe dieser Kosten diesen Pauschalbetrag tatsächlich überschreitet.

28      Es ist ferner daran zu erinnern, dass die Richtlinie 2011/7 die Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. 2000, L 200, S. 35) ersetzt, deren Art. 3 Abs. 1 Buchst. e vorsah, dass der Gläubiger Anspruch auf angemessenen Ersatz aller durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten hat.

29      Da nichts darauf hinweist, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass der Richtlinie 2011/7 den durch die Richtlinie 2000/35 dem Gläubiger gebotenen Schutz verringern wollte, wäre es nicht stimmig, anzunehmen, dass der Gläubiger unter der Geltung der Richtlinie 2011/7 nur einen auf 40 Euro begrenzten Ersatz der infolge von Mahnungen des Schuldners aufgrund von dessen Zahlungsverzug angefallenen Kosten erhalten könnte, auch wenn diese Kosten tatsächlich höher sind, wohingegen er unter der Geltung der Richtlinie 2000/35 einen angemessenen Ersatz und gegebenenfalls mehr als 40 Euro erhalten hätte.

30      Klarzustellen ist jedoch, dass der Ersatz nach Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2011/7, da er angemessen sein muss, weder den Teil der Kosten erfassen kann, der bereits durch den Pauschalbetrag von 40 Euro nach Abs. 1 dieses Artikels abgedeckt ist, noch die Kosten, die in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalles als überhöht erscheinen.

31      Daher ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut von Art. 6 der Richtlinie 2011/7 als auch aus der Zielsetzung dieser Richtlinie, dass diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass sie einem Gläubiger, der eine Erstattung der infolge von Mahnungen des Schuldners aufgrund von dessen Zahlungsverzug angefallenen Kosten verlangt, ermöglicht, zusätzlich zu dem Pauschalbetrag von 40 Euro einen angemessenen Ersatz des Teils der Mahnkosten zu erlangen, der über diesen Pauschalbetrag hinausgeht.

32      Diese Schlussfolgerung kann durch die Berücksichtigung der Erwägungsgründe 19 und 20 der Richtlinie 2011/7 nicht in Frage gestellt werden.

33      Denn die Erwägungsgründe eines Unionsrechtsakts sind rechtlich nicht verbindlich und können weder herangezogen werden, um von den Bestimmungen des betreffenden Rechtsakts abzuweichen, noch, um diese Bestimmungen in einem Sinne auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht (Urteil vom 19. Juni 2014, Karen Millen Fashions, C‑345/13, EU:C:2014:2013, Rn. 31).

34      Zudem geht jedenfalls weder aus dem 19. noch aus dem 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/7 hervor, dass der Pauschalbetrag, um den es in Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie geht, als der Maximalbetrag dessen angesehen werden kann, was dem Gläubiger zugesprochen werden kann, um ihn für die infolge von Mahnungen des Schuldners aufgrund dessen Zahlungsverzug angefallenen Kosten oder allgemeiner für interne oder Verwaltungskosten der Beitreibung zu entschädigen.

35      Insbesondere ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 40 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, zwar die englische und die französische Sprachfassung des 20. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2011/7 den Anspruch auf eine pauschale Erstattung – im Gegensatz zu den „übrigen“ Beitreibungskosten („other recovery costs they incur“) – anscheinend nur für interne Beitreibungskosten vorsehen („fixed sum to cover internal recovery costs“), eine solche formale Unterscheidung zwischen den internen Kosten und den übrigen Beitreibungskosten jedoch in den anderen Sprachfassungen dieses Erwägungsgrundes wie der italienischen („diritto al pagamento di un importo forfettario per coprire i costi interni … esigere anche il risarcimento delle restanti spese di recupero sostenute“) oder der niederländischen („het recht op betaling van een vast bedrag ter dekking van interne invorderingskosten … recht hebben op terugbetaling van de overige invorderingskosten die ontstaan“) nicht hervortritt.

36      Im Übrigen schließt auch der Umstand, dass es im 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/7 heißt, dass diese Richtlinie einen Mindestbetrag für die aufgrund des Zahlungsverzugs entstandenen Verwaltungskosten und die internen Kosten vorsehen sollte, nicht aus, dass dem Gläubiger ein angemessener Ersatz gewährt werden kann, sofern dieser Pauschalbetrag nicht ausreicht.

37      Auch wenn dieser Erwägungsgrund klarstellt, dass die Entschädigung in Form eines Pauschalbetrags dazu dienen sollte, die mit der Beitreibung verbundenen Verwaltungskosten und internen Kosten zu beschränken, ist diese Aussage jedoch im Kontext des gesamten Erwägungsgrundes zu lesen. Demnach hat der Unionsgesetzgeber mit dieser Klarstellung lediglich unterstrichen, dass der Automatismus der pauschalen Entschädigung von 40 Euro für den Gläubiger einen Anreiz darstellt, seine Beitreibungskosten auf diesen Betrag zu beschränken, ohne damit jedoch auszuschließen, dass der Gläubiger gegebenenfalls eine höhere, allerdings nicht automatisch gewährte, angemessene Entschädigung erhalten kann.

38      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 6 der Richtlinie 2011/7 dahin auszulegen ist, dass er dem Gläubiger, der eine Entschädigung für die infolge von Mahnungen des Schuldners aufgrund von dessen Zahlungsverzug angefallenen Kosten verlangt, das Recht zuerkennt, neben dem Pauschalbetrag von 40 Euro nach Abs. 1 dieses Artikels auch einen angemessenen Ersatz im Sinne von Abs. 3 dieses Artikels für den Teil der Kosten zu erhalten, der über diesen Pauschalbetrag hinausgeht.

 Kosten

39      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 6 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr ist dahin auszulegen, dass er dem Gläubiger, der eine Entschädigung für die infolge von Mahnungen des Schuldners aufgrund von dessen Zahlungsverzug angefallenen Kosten verlangt, das Recht zuerkennt, neben dem Pauschalbetrag von 40 Euro nach Abs. 1 dieses Artikels auch einen angemessenen Ersatz im Sinne von Abs. 3 dieses Artikels für den Teil der Kosten zu erhalten, der über diesen Pauschalbetrag hinausgeht.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Tschechisch.