Language of document : ECLI:EU:C:2016:534

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 7. Juli 2016(1)

Rechtssache C‑220/15

Europäische Kommission

gegen

Bundesrepublik Deutschland

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Freier Warenverkehr – Richtlinie 2007/23/EG – Inverkehrbringen pyrotechnischer Gegenstände – Definition des Begriffs ‚Inverkehrbringen‘ – Obligatorisches Anzeigeverfahren für pyrotechnische Gegenstände mit CE-Kennzeichnung vor einer nationalen Behörde – Befugnis der nationalen Behörde zur Prüfung und gegebenenfalls Änderung der Gebrauchsanleitung“





I –    Vorbemerkung

1.        Die vorliegende Rechtssache betrifft eine Klage der Kommission nach Art. 258 AEUV auf Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Mai 2007 über das Inverkehrbringen pyrotechnischer Gegenstände verstoßen hat(2).

2.        Mit der nationalen Rechtsvorschrift, die Gegenstand dieser Vertragsverletzungsklage ist, werden Hersteller und Einführer verpflichtet, pyrotechnische Gegenstände der Bundesanstalt für Materialforschung und ‑prüfung (im Folgenden: BAM) anzuzeigen. Mit dieser Vorschrift erhält die BAM auch die Befugnis, die Gebrauchsanleitung für diese Gegenstände zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern.

3.        Diese Rechtssache ist mehrschichtig. Unter der eher technischen Oberfläche liegt eine weitere, allgemeinere Schicht mit weiter reichenden Auswirkungen: Kann einem Mitgliedstaat ein Verstoß vorgeworfen werden, weil er bei der Umsetzung in nationales Recht nicht „überdacht“ hat, dass der klare Wortlaut einer Richtlinie gegenüber dem mit der Richtlinie verfolgten allgemeinen Ziel fragwürdig erscheint?

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

4.        Nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 „werden [in dieser Richtlinie] Vorschriften festgelegt, die den freien Verkehr pyrotechnischer Gegenstände im Binnenmarkt sicherstellen und gleichzeitig ein hohes Niveau an Schutz für die menschliche Gesundheit, die öffentliche Sicherheit und den Schutz und die Sicherheit der Verbraucher gewährleisten und die einschlägigen Aspekte im Zusammenhang mit dem Umweltschutz berücksichtigen sollen“.

5.        Nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23 gilt für die Zwecke dieser Richtlinie als „‚Inverkehrbringen‘ jede entgeltliche oder unentgeltliche erstmalige Bereitstellung eines bestimmten Produkts zum Zweck des Vertriebs und/oder der Verwendung dieses Produkts auf dem Gemeinschaftsmarkt. Feuerwerkskörper, die vom Hersteller für den Eigengebrauch hergestellt wurden und die von einem Mitgliedstaat für die Verwendung in seinem Hoheitsgebiet zugelassen wurden, gelten nicht als in den Verkehr gebracht“.

6.        Art. 6 („Freier Warenverkehr“) der Richtlinie 2007/23 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten dürfen das Inverkehrbringen pyrotechnischer Gegenstände, die den Anforderungen dieser Richtlinie genügen, nicht verbieten, beschränken oder behindern.

(2)      Die Bestimmungen dieser Richtlinie hindern einen Mitgliedstaat nicht daran, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit oder des Umweltschutzes Maßnahmen zum Verbot oder zur Beschränkung des Besitzes, der Verwendung und/oder des Verkaufs von Feuerwerkskörpern der Kategorien 2 und 3, von pyrotechnischen Gegenständen für Bühne und Theater und anderen pyrotechnischen Gegenständen an die breite Öffentlichkeit zu ergreifen.

…“

7.        Art. 14 („Marktüberwachung“) der Richtlinie 2007/23 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass pyrotechnische Gegenstände nur dann in Verkehr gebracht werden können, wenn sie bei richtiger Lagerung und zweckentsprechender Verwendung nicht die Gesundheit und Sicherheit von Personen gefährden.

(2)      Die Mitgliedstaaten führen regelmäßige Prüfungen von pyrotechnischen Gegenständen beim Eintritt in das Gebiet der Gemeinschaft sowie in Lagerungs- und Produktionsstätten durch.

(4)      Die Mitgliedstaaten organisieren die angemessene Überwachung von in Verkehr gebrachten Produkten und führen die Überwachung unter Berücksichtigung der Konformitätsvermutung von Produkten, die mit einer CE-Kennzeichnung versehen sind, durch.

(6)      Stellt ein Mitgliedstaat fest, dass ein pyrotechnischer Gegenstand, der mit einer CE-Kennzeichnung versehen ist, dem die EG-Konformitätserklärung beigefügt ist und der seinem Zweck entsprechend verwendet wird, die Gesundheit und Sicherheit von Personen gefährden kann, so ergreift er alle geeigneten vorläufigen Maßnahmen, um diesen Gegenstand vom Markt zu nehmen, sein Inverkehrbringen zu verbieten oder seinen freien Verkehr zu beschränken. Er unterrichtet hiervon die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten.

…“

B –    Deutsches Recht

8.        In § 6 der Ersten Verordnung zum Sprengstoffgesetz(3) (im Folgenden: 1.SprengV)(4) heißt es:

„(4)      Explosivstoffe und pyrotechnische Gegenstände sind vom Hersteller oder Einführer vor der erstmaligen Verwendung im Geltungsbereich des Gesetzes der [BAM] anzuzeigen. Der Anzeige ist

2.      für pyrotechnische Gegenstände die nach Anhang I Nummer 3 Buchstabe h der Richtlinie 2007/23/EG

vorgeschriebene Anleitung beizufügen. Die [BAM] vergibt zum Nachweis der Anzeige eine Identifikationsnummer. Die Identifikationsnummer ist in die Anleitung aufzunehmen. Die [BAM] kann zur Abwendung von Gefahren für Leben und Gesundheit Beschäftigter oder Dritter oder Sachgüter die vom Hersteller festgelegten Anleitungen zur Verwendung einschränken oder ergänzen; eine nachträgliche Einschränkung oder Ergänzung ist zulässig. Satz 4 findet keine Anwendung auf pyrotechnische Gegenstände für Kraftfahrzeuge sowie Feuerwerk der Kategorien 1 und 4, wenn die Identifikationsnummer in die nach § 13 Absatz 1 Nummer 3 zu führenden Listen aufgenommen ist.“

9.        Mit der Ausnahmebewilligung der BAM vom 11. März 2014 zur Kennzeichnung von pyrotechnischen Gegenständen(5) wurde von Amts wegen eine Ausnahme von den Vorschriften über die Kennzeichnungspflicht nach § 14 Abs. 1 der 1.SprengV in Verbindung mit § 6 Abs. 4 der 1.SprengV erteilt. Danach „[ist b]ei pyrotechnischen Gegenständen im Sinne der Richtlinie 2007/23/EG … entgegen § 6 Absatz 4 Satz 3 der 1.SprengV die Aufnahme der Identifikationsnummer in die Anleitung nicht erforderlich“.

III – Vorverfahren

10.      Kenntnis von dem deutschen Anzeigeverfahren erhielt die Kommission im Jahr 2011 im Rahmen einer Überprüfung der Anwendung der Richtlinie 2007/23. Im Anschluss an einen im Rahmen des EU-Pilotverfahrens (3631/12/ENTR) geführten Schriftwechsel richtete die Kommission am 25. Januar 2013 ein Aufforderungsschreiben an die Bundesrepublik Deutschland.

11.      In dem Aufforderungsschreiben erklärte die Kommission, dass § 6 Abs. 4 1.SprengV aus zwei Gründen gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 verstoße. Erstens verpflichte § 6 Abs. 4 1.SprengV Hersteller und Importeure, pyrotechnische Gegenstände bei der BAM anzuzeigen, um eine Identifikationsnummer zu erhalten, und diese Nummer in die Gebrauchsanleitung aufzunehmen. Zweitens erhalte die BAM die Befugnis, die Gebrauchsanleitungen für diese Gegenstände zu prüfen und gegebenenfalls zu verändern. Nach Ansicht der Kommission gehen diese Verpflichtungen über die Vorschriften der Richtlinie 2007/23 hinaus. Für pyrotechnische Gegenstände, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat einer Konformitätsprüfung unterzogen worden seien, seien sie daher eine unzulässige Beschränkung des freien Warenverkehrs.

12.      In ihrem Antwortschreiben vom 21. März 2013 wies die Bundesrepublik Deutschland den Vorwurf eines Verstoßes gegen die Richtlinie 2007/23 zurück.

13.      Mit Schreiben vom 23. Januar 2014 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland, in der sie feststellte, dass diese aus oben genannten Gründen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 verletzt habe. Hierauf antwortete die Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 20. März und 2. April 2014. In ihrer Antwort wies die Bundesrepublik Deutschland darauf hin, dass gemäß der von der BAM erteilten Ausnahmebewilligung vom 11. März 2014 die Verpflichtung zur Aufnahme der von der BAM vergebenen Identifikationsnummer in die Gebrauchsanleitung seit dem 27. März 2014 nicht mehr gelte. Die Kommission nahm diese Ausnahmebewilligung in ihrer Klageschrift zur Kenntnis, war jedoch der Auffassung, dass damit die anderen in der mit Gründen versehenen Stellungnahme genannten Verstöße gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 nicht beseitigt seien. Sie hat daher beschlossen, die vorliegende Klage nach Art. 258 AEUV zu erheben.

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

14.      Mit ihrer Klage vom 12. Mai 2015 beantragt die Kommission,

–        festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 verletzt hat, indem sie über die Anforderungen der Richtlinie hinaus vorgeschrieben hat, dass ungeachtet einer zuvor erfolgten Konformitätsbewertung pyrotechnischer Gegenstände (i) vor ihrem Inverkehrbringen das Verfahren nach § 6 Abs. 4 1.SprengV zu durchlaufen ist und dass (ii) die BAM gemäß § 6 Abs. 4 Satz 5 1.SprengV befugt ist, Anleitungen aller pyrotechnischen Gegenstände zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern;

–        Deutschland die Kosten aufzuerlegen.

15.      Deutschland beantragt,

–        die Klage der Kommission abzuweisen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

16.      Die Kommission und die Bundesrepublik Deutschland haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Beide Parteien haben in der Sitzung vom 27. April 2016 auch mündliche Ausführungen gemacht.

V –    Würdigung

 A– Der behauptete Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 und der Begriff „Inverkehrbringen“

1.      Gegenstand der vorliegenden Klage

17.      Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV. Daraus ergeben sich wichtige Folgerungen für die an die Klage selbst und an das anschließende Verfahren zu stellenden Anforderungen. Drei von ihnen werde ich einleitend zu diesem Abschnitt erläutern.

18.      Erstens: Nach Art. 120 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und der einschlägigen Rechtsprechung(6) muss eine Klageschrift der Kommission nach Art. 258 AEUV die Klagegründe so klar und deutlich angeben, dass sie dem Beklagten die Vorbereitung seines Verteidigungsvorbringens und dem Gerichtshof die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe ermöglichen. Die tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die eine Vertragsverletzungsklage gestützt wird, müssen sich zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift und aus den Klageanträgen ergeben, damit der Gerichtshof nicht ultra petita entscheidet oder eine Rüge übergeht(7).

19.      Dem Kläger obliegt im Verfahren nach Art. 258 AEUV also eine doppelte Darlegungslast. Erstens muss er die mit der Klage geltend gemachten unionsrechtlichen Bestimmungen eindeutig benennen. Zweitens obliegt es ihm, die Tatsachen darzulegen, mit denen der Nachweis eines Verstoßes gegen die spezifischen geltend gemachten unionsrechtlichen Bestimmungen erbracht wird.

20.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich die vorliegende Klage der Kommission allein und ausschließlich auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 stützt. Die Kommission hat keinen Verstoß gegen irgendeine andere Bestimmung dieser Richtlinie geltend gemacht. Sie hat auch nicht gerügt, dass die Bundesrepublik Deutschland ihren Verpflichtungen aus den Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr nicht nachgekommen sei. Wegen der Bindung an das von der Kommission umschriebene Klagebegehren beschränkt sich die folgende Würdigung auf die Prüfung des behaupteten Verstoßes gegen die konkret geltend gemachte Bestimmung der Richtlinie 2007/23, nämlich Art. 6 Abs. 1.

21.      Zweitens: Die Klage der Kommission ist darauf gestützt, dass die in Rede stehende deutsche Rechtsvorschrift pyrotechnische Gegenstände betrifft, die bereits einer Konformitätsprüfung gemäß den Vorschriften der Richtlinie 2007/23 unterzogen worden waren. Die Kommission ist der Ansicht, dass das Verfahren nach § 6 Abs. 4 1.SprengV den freien Verkehr pyrotechnischer Gegenstände, die bereits die CE-Kennzeichnung tragen, behindere und daher gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 verstoße. Die weiter gehende Frage, ob die beanstandete nationale Vorschrift Auswirkungen auf pyrotechnische Gegenstände haben könnte, die noch keiner Konformitätsprüfung gemäß dieser Richtlinie unterzogen worden sind, wird von der Kommission nicht angesprochen oder behandelt.

22.      Drittens: Die Richtlinie 2007/23 wurde mit Wirkung vom 1. Juli 2015 durch die Richtlinie 2013/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung pyrotechnischer Gegenstände auf dem Markt(8) aufgehoben. Das vorliegende Verfahren betrifft jedoch, worauf die Bundesrepublik Deutschland zu Recht hinweist, ausschließlich einen behaupteten Verstoß gegen die Richtlinie 2007/23 und hat daher keinerlei Bezug zur Situation aufgrund der Richtlinie 2013/29.

2.      Inhalt von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23

23.      Wie die drei vorstehenden Bemerkungen zeigen und in Anbetracht der Art und Weise, wie sich die Kommission in dieser Klage vor dem Gerichtshof eingelassen hat, kommt es entscheidend darauf an, wie der Begriff „Inverkehrbringen“ in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 auszulegen ist.

24.      Mit ihrem ersten Klagegrund (Anzeigeverfahren nach § 6 Abs. 4 1.SprengV) und dem zweiten (Befugnis der BAM gemäß § 6 Abs. 4 Satz 5 1.SprengV, die Gebrauchsanleitung zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern und zu vervollständigen) macht die Kommission geltend, dass die in Rede stehenden deutschen Vorschriften pyrotechnische Gegenstände beträfen, die bereits einer Konformitätsprüfung nach den Bestimmungen der Richtlinie 2007/23 unterzogen worden seien. Dies verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23, da dadurch der freie Verkehr pyrotechnischer Gegenstände, die bereits die Anforderungen der Richtlinie erfüllten, behindert werde.

25.      Die Bundesrepublik Deutschland tritt den Rügen der Kommission entgegen. Nach ihrer Ansicht bezieht sich Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 unter Zugrundelegung der Definition in Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie, in der von „erstmaliger Bereitstellung“ auf dem Unionsmarkt die Rede ist, nur auf das „Inverkehrbringen“. Dies bedeute, dass Art. 6 Abs. 1 keine Anwendung mehr finde, wenn der pyrotechnische Gegenstand auf dem Unionsmarkt bereits bereitgestellt worden sei. Für etwaige weitere Hindernisse für den freien Warenverkehr würden möglicherweise die allgemeinen Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr gelten. Da die Kommission ihre Klage aber ausschließlich auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 gestützt habe, sei die Prüfung eines etwaigen Verstoßes gegen Art. 34 AEUV nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

26.      Im Kern geht es vorliegend um den Inhalt der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23. Für die Auslegung kommen zwei Methoden in Frage: a) eine wörtliche und b) eine teleologische Auslegung. Beide Ansätze werde ich nacheinander prüfen.

a)      Wörtliche Auslegung

27.      Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 „[dürfen d]ie Mitgliedstaaten … das Inverkehrbringen pyrotechnischer Gegenstände, die den Anforderungen dieser Richtlinie genügen, nicht verbieten, beschränken oder behindern“(9). Für die Zwecke dieser Richtlinie wird der Begriff „Inverkehrbringen“ in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23 klar und ausdrücklich definiert. Nach dieser Legaldefinition ist „Inverkehrbringen … jede entgeltliche oder unentgeltliche erstmalige Bereitstellung eines bestimmten Produkts zum Zweck des Vertriebs und/oder der Verwendung dieses Produkts auf dem Gemeinschaftsmarkt“(10).

28.      Diese Begriffsbestimmung, insbesondere die Bezugnahme auf die „erstmalige“ Bereitstellung, ist in den verschiedenen Sprachfassungen der Richtlinie inhaltsgleich(11). Eine wörtliche Auslegung unter Einbeziehung ihrer sprachvergleichenden Dimension lässt somit keinen Raum für Zweifel hinsichtlich der Reichweite dieser Bestimmung(12).

b)      Teleologische Auslegung

29.      Allerdings gibt es trotz seines Wortlauts verschiedene Gründe, die für die Ansicht sprechen, dass der Begriff „Inverkehrbringen“ in Art. 6 Abs.1 der Richtlinie 2007/23 nicht nur die „erstmalige“ Bereitstellung auf dem Unionsmarkt, sondern auch die nachfolgende Bereitstellung auf den Märkten der Mitgliedstaaten umfassen soll, wie dies von der Kommission vertreten wird.

30.      Erstens könnte angenommen werden, dass es sich bei Art. 6, wie aus dessen Überschrift ersichtlich, um eine Bestimmung über den freien Warenverkehr handelt. Zweitens hat die Richtlinie 2007/23, wie sich aus Art. 1 sowie ihren Erwägungsgründen 2, 13 und 19 ergibt, die Förderung des freien Verkehrs pyrotechnischer Gegenstände zum Ziel. Drittens entsprechen Aufbau und Systematik der Richtlinie denjenigen einer Harmonisierungsrichtlinie gemäß den Prinzipien der Entschließung des Rates vom 7. Mai 1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung(13), in deren Mittelpunkt der Grundsatz des freien Warenverkehrs steht.

 3. Schranken der teleologischen Auslegung

31.      Das Problem im vorliegenden Fall besteht kurz gesagt in Folgendem: Der nach unionsrechtlichen Maßstäben für eine unionsrechtliche Bestimmung bemerkenswert eindeutige Wortlaut bestimmt X. Die Kommission ruft den Gerichtshof an und beantragt, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag verstoßen habe, weil sie diese Bestimmung nicht entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut im Geist der Richtlinie richtigerweise im Sinne von Y (oder vielmehr von X und Y und vielleicht sogar Z) ausgelegt und ihre nationalen Rechtsvorschriften nicht entsprechend angepasst habe.

32.      Aus mehreren Gründen, die ich in diesem Abschnitt noch erläutern werde, bin ich der Ansicht, dass eine derartige Feststellung gelinde gesagt äußerst problematisch wäre. Die Klage der Kommission sollte abgewiesen werden. Dafür sind drei Gründe maßgebend: Die Schranken der Rechtsauslegung, die Gewaltenteilung sowie die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Rechtssicherheit.

33.      Erstens: Im Gegensatz zur Ausarbeitung von Rechtsvorschriften sind bei der Rechtsauslegung Schranken zu beachten. Zwar sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden(14). Zudem ist bei verschiedenen möglichen Auslegungen einer Vorschrift des Unionsrechts derjenigen der Vorzug zu geben, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet ist(15). Die Ziele und der allgemeine Zusammenhang eines sekundären Rechtsakts sind daher selbstverständlich relevant für die Ermittlung der Bedeutung und der Tragweite von Begriffen, die das Unionsrecht nicht definiert(16).

34.      Den üblichen Formulierungen des Ansatzes des Gerichtshofs bei der Auslegung des Rechts geht jedoch stets eine Qualifizierung voraus: Der Wortlaut der Bestimmung selbst muss offen sein für eine unterschiedliche Auslegung, weil er eine gewisse Mehrdeutigkeit und Unschärfe aufweist.

35.      Selbstverständlich ist eine interpretative Mehrdeutigkeit nicht bipolar. Eine Bestimmung ist nicht entweder völlig klar oder völlig unklar. Die Übergänge sind fließend, und es gibt Stufen der Mehrdeutigkeit. Gerade bei solch einer abgestuften Mehrdeutigkeit ergänzen sich die herkömmlichen Auslegungsmethoden (Wortlaut, Zusammenhang, Zielsetzung). Je größer die Mehrdeutigkeit des Wortlauts, desto eher bedarf es des Rückgriffs auf den Zusammenhang und/oder die Zielsetzung. Demgegenüber besteht im Allgemeinen umso weniger Anlass, auf den Zusammenhang und die Zielsetzung abzustellen, je genauer und klarer der Wortlaut ist.

36.      Im vorliegenden Fall enthält Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23 eine genaue und unzweideutige Legaldefinition des Begriffs „Inverkehrbringen“ als die „erstmalige Bereitstellung … auf dem Gemeinschaftsmarkt“. Wie bereits erwähnt, gilt für die anderen Sprachfassungen des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie dasselbe. Es besteht daher kein Zweifel an der Bedeutung dieser Bestimmung, der durch Rückgriff auf den Zusammenhang und/oder die Ziele der Bestimmung ausgeräumt werden müsste.

37.      Dass diese Definition in Bezug auf den Zweck des „Inverkehrbringens“ und die Ausnahme für Feuerwerkskörper, die für den Eigengebrauch hergestellt wurden, weitere Merkmale umfasst, ändert nichts daran, dass Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23 sich auf ein bestimmtes Ereignis bezieht, das dem Zeitpunkt entspricht, zu dem die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem Unionsmarkt erfolgt(17), wie auch der achte Erwägungsgrund der Richtlinie bestätigt.

38.      Im Licht seiner eigenen Rechtsprechung kann der Gerichtshof daher eine Bestimmung des Unionsrechts nicht ungeachtet ihres klaren und genauen Wortlauts in einer Weise auslegen, „die auf ihre Berichtigung und dadurch auf eine Erweiterung der in dieser Hinsicht bestehenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten abzielt“(18). Der Rückgriff auf eine Auslegung „im Licht des … Kontextes“ der betreffenden Bestimmung findet seine Grenzen, wenn der Wortlaut dieser Bestimmung unmissverständlich ist(19). Anders ausgedrückt: Der eindeutige Wortlaut einer Bestimmung bildet die vom Gerichtshof durch das Verbot einer Auslegung contra legem selbst festgelegte äußerste Schranke jeglicher Auslegung(20).

39.      Diese Auslegungsschranke steht in engem Zusammenhang mit dem oben genannten zweiten Gesichtspunkt, der Gewaltenteilung (bzw. in der Union eher dem institutionellen Gleichgewicht). Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass es ihm „nicht [zusteht], an die Stelle des Gemeinschaftsgesetzgebers zu treten und eine Vorschrift entgegen ihrem ausdrücklichen Inhalt auszulegen“, wobei er betont hat, dass „[e]s … Sache der Kommission [ist], insoweit zweckdienliche Gesetzesänderungen vorzuschlagen“(21).

40.      Drittens gilt in Bezug auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und den Grundsatz der Rechtssicherheit nach ständiger Rechtsprechung, dass eine Unionsregelung den Betroffenen ermöglichen muss, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen(22). Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet, dass Vorschriften des Unionsrechts eindeutig sein müssen und ihre Anwendung vorhersehbar sein muss(23), was u. a. einschließt, dass „Rechtsvorschriften … klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen voraussehbar sein müssen“(24).

41.      Ich räume bereitwillig ein, dass ein Mitgliedstaat kein Individuum, d. h. keine natürliche oder (privatrechtliche) juristische Person, ist. Ich bin mir daher dessen bewusst, dass sich die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Bezug auf die Rechtssicherheit für den Einzelnen gesetzten Maßstäbe nicht ohne Weiteres auf Mitgliedstaaten betreffende Vertragsverletzungsverfahren übertragen lassen(25).

42.      Andererseits stellt sich die Frage, ob die Tatsache, dass Vertragsverletzungsverfahren von Natur aus „institutionelle“ Streitsachen sind, die nur die Kommission und/oder Mitgliedstaaten betreffen, bedeutet, dass nicht einmal „Restelemente“ an Rechtssicherheit oder Gesetzmäßigkeit zur Anwendung kommen(26). Sollte nicht für jedwede Ausübung öffentlicher Gewalt, zumindest in einer auf Rechtsstaatlichkeit gegründeten Union(27), das Gebot gelten, dass der Vorwurf einer Rechtsverletzung (in Form einer Feststellung nach Art. 258 AEUV) und gegebenenfalls später festgelegte Sanktionen (nach Art. 260 AEUV) nur auf der Grundlage einer klar formulierten rechtlichen Verpflichtung möglich sind?

43.      In der vorliegenden Rechtssache nehmen Ausführungen zum Kontext, in dem die Richtlinie 2007/23 erlassen wurde, breiten Raum ein, im Wesentlichen mit dem Ziel, sich im Wege der Auslegung über den klaren Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 hinwegzusetzen. Aus dem Zusammenhang abgeleitete Argumente und Analogien zu verschiedenen anderen Rechtsvorschriften der Union verschleiern aber eher den Inhalt des Art. 6 Abs. 1, als dass dadurch interpretative Gewissheit entsteht.

44.      Wie der europäische Gesetzgeber selbst eingeräumt hat, mangelte es den bei der Harmonisierung der Rechtsvorschriften über den freien Warenverkehr verwendeten Begriffen und Definitionen an Konsistenz, als die Richtlinie 2007/23 ausgearbeitet und erlassen wurde. Tatsächlich wird dies in dem späteren Beschluss Nr. 768/2008/EG(28) mit den Worten angesprochen: „Bislang wurde in Rechtsvorschriften über den freien Warenverkehr eine ganze Reihe von Begriffen verwendet, die teilweise nicht definiert waren, so dass zu ihrer Erläuterung und Auslegung Leitlinien erforderlich waren. Dort wo rechtliche Begriffsbestimmungen eingeführt wurden, wichen sie teilweise in ihrem Wortlaut und gelegentlich auch in ihrer Bedeutung voneinander ab, was bei ihrer Auslegung und korrekten Umsetzung Schwierigkeiten verursacht.“(29) Um Abhilfe zu schaffen, wurden durch diesen Beschluss neue Definitionen grundlegender Begriffe eingeführt, die seitdem in nachfolgende Sekundärrechtsakte, wie etwa die neue Richtlinie 2013/29(30), übernommen wurden.

45.      Die neue Terminologie und neuen Definitionen der Richtlinie 2013/29 wirken sich insbesondere auf den Begriff „Inverkehrbringen“ aus und führen auch den neuen Begriff „Bereitstellen auf dem Markt“ ein(31). Im Hinblick auf die wesentlichen Änderungen in der Terminologie, die zwecks Anpassung der Vorschriften des Sekundärrechts an den neuen terminologischen Rahmen des Beschlusses 768/2008 eingeführt wurden, kann dem Vorbringen der Kommission, die Definitionen und Verpflichtungen nach der Bestimmung der Richtlinie 2007/23 über den freien Warenverkehr entsprächen denjenigen nach der Richtlinie 2013/29, nicht gefolgt werden.

46.      Eine neue, in einem späteren Rechtsakt angenommene Terminologie kann nicht herangezogen werden, um einen früheren Rechtsakt auszulegen, in dem eine ganz andere Terminologie verwendet wurde(32). Es ließe sich nämlich ebenso plausibel eine dem Vorbringen der Kommission widersprechende Schlussfolgerung ziehen: Die Tatsache, dass die neue Richtlinie 2013/29 eine abweichende, wohl passendere Terminologie verwendet als ihre Vorläuferrichtlinie 2007/23, könnte auch bedeuten, dass die in den beiden Rechtsakten verwendete Terminologie als unterschiedlich erkannt und in dem späteren Rechtsakt bewusst korrigiert wurde. Um es deutlich zu sagen: Wenn die Tragweite der früheren Bestimmung so offensichtlich und klar gewesen wäre, warum hätte man sie neu fassen sollen?

47.      Außerdem veranschaulichen weitere Bestimmungen der Richtlinie 2007/23, dass zwischen dem „Inverkehrbringen“ als dem erstmaligen Bereitstellen auf dem Unionsmarkt und dem nachfolgenden freien Verkehr pyrotechnischer Gegenstände ein Unterschied besteht. So sieht beispielsweise der (die Marktüberwachung betreffende) Art. 14 der Richtlinie 2007/23 unterschiedliche Überwachungsmechanismen für Gegenstände, die in Verkehr gebracht werden sollen, und solche vor, die bereits in Verkehr gebracht wurden.

48.      Wegen der Uneinheitlichkeit der Terminologie und der Besonderheiten des von der Richtlinie 2007/23 erfassten Bereichs lassen sich kaum Analogieschlüsse aus Richtlinien zur Harmonisierung anderer Bereiche und der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung dieser Richtlinien ziehen.

49.      Erstens betrifft eine Reihe von Urteilen des Gerichtshofs, die die Kommission zur Stützung ihrer Klage angeführt hat, Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr(33). Die Rechtsprechung des Gerichtshofs in diesen Rechtssachen lässt sich daher nicht ohne Weiteres auf die Auslegung der hier in Rede stehenden sekundärrechtlichen Bestimmung übertragen. Auch in der von der Kommission herangezogenen sonstigen Rechtsprechung, wie auch in weiteren Rechtssachen, die Bestimmungen über den freien Warenverkehr in Harmonisierungsrichtlinien betreffen, geht es entweder um Rechtsakte, die keine spezielle Definition des Begriffs „Inverkehrbringen“ enthalten oder deren Bestimmungen über den freien Warenverkehr weiter gefasst sind, so dass sie ausdrücklich den „freien Verkehr“, das Inverkehrbringen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder die dem „Bereitstellen auf dem Markt“ nachfolgenden Stufen – „Inbetriebnahme“ oder „Verwendung“ – umfassen(34).

50.      Zweitens ist Art. 6 Abs. 1 Bestandteil der Richtlinie 2007/23. Diese Richtlinie betrifft pyrotechnische Gegenstände, die als solche gefährlich sind. Die besonderen Bedenken hinsichtlich der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit und des Umweltschutzes in diesem sensiblen Bereich haben, wie die Kommission anerkennt, dazu geführt, dass den Mitgliedstaaten wichtige Befugnisse vorbehalten bleiben. Dies zeigt sich in der Aufteilung der Zuständigkeiten in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, Verkauf, Verwendung und Besitz bestimmter Kategorien pyrotechnischer Gegenstände zu verbieten oder zu beschränken(35).

 4. Ergebnis (und eine Nachbemerkung)

51.      Aus all den oben dargelegten Gründen bin ich der Ansicht, dass der Bundesrepublik Deutschland nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, nationale Rechtsvorschriften, die mit dem klaren Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 in Einklang stehen, erlassen zu haben und beizubehalten, auch wenn dies wohl nicht dem allgemeinen Geist und dem Ziel der Richtlinie entspricht(36).

52.      Die Klage der Kommission in der vorliegenden Rechtssache stützt sich ausschließlich auf die Anwendung von § 6 Abs. 4 1.SprengV auf pyrotechnische Gegenstände, die bereits einer Konformitätsprüfung unterzogen und daher bereits in Verkehr gebracht worden waren. Vor diesem Hintergrund und im Licht der vorstehenden Ausführungen zum Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 halte ich es für nicht angemessen, festzustellen, dass die im deutschen Recht normierte Anzeigepflicht und die Befugnis der BAM, die Gebrauchsanleitung zu prüfen und zu ändern, das Inverkehrbringen pyrotechnischer Gegenstände im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie beschränkt oder behindert.

53.      Ich schlage daher vor, die Klage der Kommission abzuweisen.

54.      Drei Punkte sollte ich allerdings noch hinzufügen, die in gewisser Weise die obigen Vorbemerkungen in Abschnitt V A 1 der vorliegenden Schlussanträge widerspiegeln. Erstens findet sich ein allgemeines Verbot der Beschränkung oder Behinderung des freien Warenverkehrs jedenfalls in Art. 34 AEUV, der nicht nur mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung verbietet, sondern auch zur gegenseitigen Anerkennung von Erzeugnissen verpflichtet, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden(37). Zweitens enthält die Richtlinie 2007/23 verschiedene andere materielle Bestimmungen zum Schutz des freien Warenverkehrs(38). Die Kommission stützt ihre Klage jedoch ausschließlich auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 und erwähnt auch in ihren Klageanträgen weder eine andere materielle Bestimmung dieser Richtlinie noch Bestimmungen des Vertrags. Drittens kann der Gerichtshof im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nicht, wie es zuweilen in einem Vorabentscheidungsverfahren möglich ist, das vor ihm geltend gemachte Vorbringen umformulieren, ohne ultra petita zu entscheiden(39).

B –    Alternativlösung

55.      Aus den im vorstehenden Abschnitt der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Gründen bin ich der Ansicht, dass die vorliegende Klage abzuweisen ist. Für den Fall, dass sich der Gerichtshof die oben skizzierte Argumentation nicht zu eigen macht, gebe ich in Ausübung der konstitutionellen Aufgabe als Generalanwalt und zur umfassenden Unterstützung des Gerichtshofs (Art. 252 AEUV) in diesem Abschnitt einen kurzen Abriss einer Alternativlösung.

56.      Dabei ist jedoch von vornherein zu betonen, dass die gesamten folgenden Ausführungen nur dann von Bedeutung sind, falls der in Art. 6 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23 klar festgelegte Begriff „[erstmaliges] Inverkehrbringen [auf dem Unionsmarkt]“ tatsächlich dahin umgeschrieben würde, dass er als „freier Warenverkehr“ zu lesen wäre.

1.      Das Anzeigeverfahren nach § 6 Abs. 4 1.SprengV

57.      Die Kommission macht geltend, dass das Anzeigeverfahren nach § 6 Abs. 4 1.SprengV (das trotz der Ausnahmebewilligung vom 11. März 2014, mit der die Verpflichtung zur Aufnahme der Identifikationsnummer in die Gebrauchsanleitung aufgehoben wurde, weiter Anwendung finde) gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie verstoße. Dieses Verfahren sei dem Zugang pyrotechnischer Gegenstände zum deutschen Markt vorgeschaltet. Es bringe zusätzliche finanzielle und verwaltungsmäßige Belastungen mit sich, die mangels einer De-minimis-Regelung über die Anforderungen der Richtlinie 2007/23 hinausgingen und damit für pyrotechnische Gegenstände, die den Anforderungen der Richtlinie entsprächen, eine Behinderung des freien Warenverkehrs darstellten.

58.      In ihrer Klagebeantwortung vertritt die Bundesrepublik Deutschland die Ansicht, dass das Anzeigeverfahren keinen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie darstelle, da es erst Anwendung finde, nachdem die pyrotechnischen Gegenstände tatsächlich auf dem deutschen Markt bereitgestellt worden seien. Es stelle daher keine zweite Bewertung der Konformität dieser Gegenstände dar. Hilfsweise weist Deutschland darauf hin, dass es sich bei dem Anzeigeverfahren um die Vorbereitung der Marktüberwachung handele, mit dem Zweck, die Rückverfolgbarkeit von pyrotechnischen Gegenständen zu erleichtern. Daneben könne man das Anzeigeverfahren auch als eine Vorbereitungsmaßnahme für die Verwenderüberwachung ansehen, da es der BAM ermögliche, die Gebrauchsanleitungen für pyrotechnische Gegenstände zu prüfen und zu ändern, um sicherzustellen, dass sie ordnungsgemäß und sicher verwendet werden.

59.      Sollte Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23 den Begriff „freier Warenverkehr“ umfassen, und nicht nur das erstmalige „Bereitstellen auf dem Markt“, stellte das Anzeigeverfahren nach § 6 Abs. 4 1.SprengV meines Erachtens eine Beschränkung des freien Warenverkehrs dar.

60.      Das Verfahren nach § 6 Abs. 4 1.SprengV enthält, neben den in der Richtlinie 2007/23 vorgeschriebenen, weitere Formalitäten, durch die den Herstellern und Importeuren die Verpflichtung auferlegt wird, pyrotechnische Gegenstände vor ihrer ersten Verwendung im deutschen Hoheitsgebiet der BAM anzuzeigen. Zum Abschluss des Anzeigeverfahrens und nach Entrichtung einer Gebühr teilt die BAM den Importeuren/Herstellern eine Identifikationsnummer zu. Die Bundesrepublik Deutschland hat in der Sitzung erläutert, dass ein Verstoß gegen diese Verpflichtung eine Ordnungswidrigkeit darstelle und mit einer Geldbuße geahndet werden könne. Die Kommission trägt vor, dass dieses Verfahren auch für Erzeugnisse gelte, die bereits mit der CE-Kennzeichnung versehen und bereits in einem anderen Mitgliedstaat in Verkehr gebracht worden seien.

61.      Ich stimme der Bundesrepublik Deutschland zu, dass das Anzeigeverfahren nicht auf eine Wiederholung der in der Richtlinie vorgesehenen Konformitätsbewertung hinausläuft. Ich kann jedoch nicht dem Vorbringen folgen, dass dieses nationale Verfahren den Zugang zum deutschen Markt nicht behindere. Selbst wenn das Anzeigeverfahren keine formale Voraussetzung für das Inverkehrbringen pyrotechnischer Gegenstände sein sollte, stellt es doch eine Behinderung des freien Warenverkehrs dar. Es unterwirft die Einfuhr pyrotechnischer Gegenstände, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden, Formvorschriften und kann daher zu einem Hindernis für den Zugang zum deutschen Markt werden.

62.      Auch das hilfsweise geltend gemachte Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, das Anzeigeverfahren sei eine Maßnhame zur Vorbereitung der Marktüberwachung und daher durch Art. 14 der Richtlinie 2007/23 gedeckt, greift nicht durch.

63.      Erstens basiert Art. 14 Abs. 4 auf der Konformitätsvermutung. Daher beschränken sich die Maßnahmen zur Marktüberwachung pyrotechnischer Gegenstände, die bereits mit einer CE-Kennzeichnung versehen sind, auf Stichproben von pyrotechnischen Gegenständen und der entsprechenden Unterlagen. Sie können nicht dahin verstanden werden, als erlaubten sie eine systematische Kontrolle aller pyrotechnischen Gegenstände, die auf den Markt eines Mitgliedstaats gelangen(40).

64.      Die Bundesrepublik Deutschland hat in der Sitzung auch darauf hingewiesen, dass für die Marktüberwachung nicht die BAM, sondern die Länder und ihre entsprechenden Behörden zuständig seien. Auch dies unterstreicht die Schwierigkeit, das Anzeigeverfahren unter Art. 14 der Richtlinie 2007/23 zu subsumieren und als eine Maßnahme der Marktüberwachung einzustufen.

65.      Zweitens trifft es in Bezug auf das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Ziels, pyrotechnische Gegenstände rückverfolgen zu können, zu, dass die in Art. 18 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2007/23 vorgesehenen Durchführungsmaßnahmen betreffend die „Einrichtung eines Systems zur Rückverfolgbarkeit“(41) tatsächlich erst mit der Richtlinie 2014/58/EU erlassen wurden(42). Sie waren daher bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission festgelegten Frist noch nicht in Kraft. Ungeachtet der Verzögerung beim Erlass dieser Durchführungsmaßnahmen bleibt jedoch die Tatsache, dass die Richtlinie die Einführung eines unionsweiten Registrierungssystems vorsieht. Art. 18 Abs. 2 Buchst a der Richtlinie kann schwerlich als Ermächtigung der Mitgliedstaaten angesehen werden, in der Zeit vor Erlass von Durchführungsmaßnahmen für Erzeugnisse, die bereits einer Konformitätsprüfung unterzogen worden waren, ihr eigenes, nationales Registrierungssystem zu errichten.

66.      Auch das Hilfsvorbringen der Bundesrepublik Deutschland, das Anzeigeverfahren sei eine durch die Ausnahme des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie gedeckte Vorbereitungsmaßnahme für die Verwenderüberwachung vermag mich nicht zu überzeugen.

67.      Erstens werden – wie die Bundesrepublik Deutschland selbst einräumt – durch die betreffenden nationalen Maßnahmen der Besitz, die Verwendung und/oder der Verkauf weder beschränkt noch verboten.

68.      Zweitens gilt die Ausnahme des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23 nur für bestimmte Kategorien pyrotechnischer Gegenstände. Ohne auf die Frage der geeigneten nationalen Ermächtigungsgrundlage für § 6 Abs. 4 1.SprengV eingehen zu wollen(43), genügt der Hinweis, dass die betreffende nationale Rechtsvorschrift allgemein gefasst ist und nicht zwischen verschiedenen Kategorien pyrotechnischer Gegenstände unterscheidet(44). Bereits dies ist im Hinblick auf den klaren Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23 problematisch.

69.      Zwar hat der Gerichtshof kürzlich entschieden(45), dass die REACH-Verordnung(46) dahin auszulegen sei, dass sie unter bestimmten Bedingungen einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die den Einführer chemischer Produkte verpflichtet, diese Produkte bei der zuständigen nationalen Behörde zu registrieren, obwohl er nach dieser Verordnung bereits einer Verpflichtung zur Registrierung derselben Produkte bei der Europäischen Chemikalienagentur unterliegt. Ich bin jedoch der Ansicht, dass die diesem Urteil zugrunde liegenden Erwägungen nicht auf den Kontext der Richtlinie 2007/23 übertragen werden können. Erstens verfolgen die beiden Unionsrechtsakte unterschiedliche Ziele und haben einen unterschiedlichen Aufbau. Zweitens, und das ist noch wichtiger, hat der Gerichtshof in seinem Urteil besonderes Gewicht auf Art. 128 Abs. 2 der REACH-Verordnung gelegt, wonach bestimmte Fälle des „Inverkehrbringens“ nicht harmonisiert sind(47). Ganz anders geht im vorliegenden Zusammenhang Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23 nicht von der Annahme aus, dass mit dieser bestimmte Fälle des „Inverkehrbringens“ nicht harmonisiert werden. Nach Art. 6 Abs. 2 können die Mitgliedstaaten dagegen lediglich aus bestimmten Gründen die Verwendung, den Besitz oder den Verkauf bestimmter Kategorien pyrotechnischer Gegenstände beschränken.

2.      Die Befugnis der BAM, Gebrauchsanleitungen zu prüfen und zu ändern (§ 6 Abs. 4 Satz 5 1.SprengV)

70.      Die Kommission macht geltend, dass von der der BAM durch § 6 Abs. 4 Satz 5 1.SprengV verliehenen Befugnis, die Gebrauchsanleitungen für pyrotechnische Gegenstände zu vervollständigen und zu ändern, ungeachtet der Tatsache Gebrauch gemacht werde, dass diese Gegenstände möglicherweise bereits einer Konformitätsprüfung unterzogen worden waren. Diese Praxis verstoße daher gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2007/23. Sie räumt ein, dass Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23 den Mitgliedstaaten wesentliche Befugnisse in Bezug auf Besitz, Verwendung und/oder Verkauf bestimmter Kategorien pyrotechnischer Gegenstände belasse. Die Befugnis zur Änderung der Gebrauchsanleitung stelle jedoch keine Maßnahme des Verbots oder der Beschränkung des Besitzes, hinsichtlich der Verwendung und/oder des Verkaufs pyrotechnischer Gegenstände dar. Außerdem gelte die Konformitätsvermutung pyrotechnischer Gegenstände mit einer CE-Kennzeichnung auch für deren Gebrauchsanleitungen.

71.      Die Bundesrepublik Deutschland wendet dagegen ein, dass die Richtlinie 2007/23, insbesondere Anhang I Nr. 3 Buchst. h, keine vollständige Prüfung der Gebrauchsanleitung vorsehe. Die Konformitätsprüfung gemäß der Richtlinie 2007/23 könne keine Kontrolle der Sprache der Gebrauchsanleitung umfassen, da zu dem betreffenden Zeitpunkt der Prüfung noch nicht vorhersehbar sei, in welchem Mitgliedstaat diese pyrotechnischen Gegenstände verkauft und gehandelt würden. Zudem könnten die Mitgliedstaaten die Altersbegrenzungen und die Mindestsicherheitsabstände ändern. Für die gemäß der Richtlinie benannten Stellen wäre es daher offensichtlich sehr schwierig, eine ordnungsgemäße Kontrolle dieser Anforderungen durchzuführen. Hilfsweise trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, dass es sich bei den Befugnissen der BAM um Maßnahmen der Marktüberwachung und zum Schutz der Verwender im Einklang mit Art. 14 und Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23 handele.

72.      Die Argumente der Bundesrepublik Deutschland vermögen mich nicht zu überzeugen.

73.      Erstens werden – worauf die Kommission zutreffend hinweist – die wesentlichen Sicherheitsanforderungen, die von den Herstellern (bzw. gegebenenfalls den Importeuren) einzuhalten sind, in Anhang I der Richtlinie 2007/23 aufgeführt. Genügt ein pyrotechnischer Gegenstand diesen Anforderungen, dürfen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 6 Abs. 1 das Inverkehrbringen (verstanden als freier Verkehr pyrotechnischer Gegenstände zwischen den Mitgliedstaaten) nicht verbieten, beschränken oder behindern.

74.      Anhang I Nr. 3 Buchst. h der Richtlinie 2007/23 nennt unter den Informationen und Eigenschaften, die von den benannten Stellen zu betrachten oder zu prüfen sind, „geeignete Anleitungen und erforderlichenfalls Kennzeichnungen in Bezug auf die sichere Handhabung, Lagerung, Verwendung (einschließlich Sicherheitsabstände) und Entsorgung in der (den) Amt[s]sprache(n) des Empfänger-Mitgliedstaats“.

75.      Folglich kann die Bundesrepublik Deutschland nicht geltend machen, dass die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende nationale Rechtsvorschrift dazu diene, sicherzustellen, dass die Gebrauchsanleitungen in korrektem Deutsch verfasst würden und dass den in Deutschland vorgeschriebenen Mindestsicherheitsabständen ordnungsgemäß Rechnung getragen werde. Anhang I Nr. 3 Buchst. h der Richtlinie 2007/23 nennt als grundlegende Sicherheitsanforderungen ausdrücklich geeignete Anleitungen und erforderlichenfalls Kennzeichnungen in Bezug auf die sichere Handhabung, Lagerung, Verwendung, einschließlich Sicherheitsabstände, in der Amtssprache des Empfänger-Mitgliedstaats. In gleicher Weise und entgegen dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland erfassen die grundlegenden Sicherheitsanforderungen in Anhang I der Richtlinie 2007/23 auch Anzündmittel(48).

76.      Zweitens führt auch der Umstand, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23 berechtigt sind, die in Art. 7 Abs. 1 festgelegten Altersgrenzen anzuheben, nicht zu einem anderen Ergebnis. Nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie muss die Kennzeichnung pyrotechnischer Gegenstände u. a. die Altersgrenzen nach Art. 7 Abs. 1 und 2 enthalten. Im Übrigen wurde, worauf die Kommission hingewiesen hat, eine harmonisierte europäische Normierung hinsichtlich der Mindestanforderungen für die Kennzeichnung festgelegt(49).

77.      Was das Hilfsvorbringen der Bundesrepublik Deutschland angeht, gelten die oben dargelegten Gründe hinsichtlich des Anzeigeverfahrens(50) in vollem Umfang für die Befugnis der BAM zur Vervollständigung und Änderung von Gebrauchsanleitungen. Diese Befugnis ist mit dem Anzeigeverfahren untrennbar verbunden, das seinerseits weder eine Maßnahme zum Schutz der Verwender nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23 noch eine möglicherweise durch Art. 14 dieser Richtlinie gedeckte Maßnahme zur Vorbereitung der Marktüberwachung darstellt.

78.      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nicht einseitig Ausgleichsmaßnahmen ergreifen dürfen, um auf etwaige Mängel bei der Anwendung des Unionsrechts durch andere Mitgliedstaaten zu reagieren. Sie sind verpflichtet, im Rahmen der insoweit im Vertrag vorgesehenen Verfahren und Klagemöglichkeiten zu handeln(51).

79.      Andererseits hindern die Systematik der Richtlinie und die Konformitätsvermutung für mit der CE-Kennzeichnung versehene Erzeugnisse die Mitgliedstaaten nicht am Tätigwerden, wenn Gefahren auftreten(52). Im Gegenteil: Die Richtlinie 2007/23 enthält Regelungen, die den freien Verkehr pyrotechnischer Gegenstände im Binnenmarkt sicherstellen und gleichzeitig ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die öffentliche Sicherheit sowie den Schutz und die Sicherheit der Verbraucher gewährleisten. Unter Berücksichtigung dieser Ziele legt Art. 14 der Richtlinie 2007/23 die Bedingungen fest, unter denen die Mitgliedstaaten die Marktüberwachung durchführen können. Insbesondere erlaubt Art. 14 Abs. 6 den Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um einen Gegenstand mit CE-Kennzeichnung, der die Gesundheit und Sicherheit von Personen gefährden kann, vom Markt zu nehmen.

80.      Im Rahmen der Marktüberwachung können die Mitgliedstaaten darüber hinaus die Erfüllung der den Vertriebshändlern pyrotechnischer Gegenstände auferlegten Verpflichtungen überwachen. Nach Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2007/23 haben die Vertriebshändler zu überprüfen, dass der pyrotechnische Gegenstand die erforderliche(n) Konformitätskennzeichnung(en) trägt und ihm die vorgeschriebenen Dokumente beiliegen(53). Außerdem legen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 20 der Richtlinie die Regelungen für Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen die nach Maßgabe dieser Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften verhängt werden. Schließlich enthält die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012(54) ein Verfahren für Einwände gegen harmonisierte Normen, wenn ein Mitgliedstaat der Auffassung ist, dass eine harmonisierte Norm den Anforderungen, die sie abdecken soll, nicht voll entspricht.

81.      Zusammenfassend ist zu sagen, dass nicht bestritten wird, dass die Mitgliedstaaten in dem sensiblen Bereich der pyrotechnischen Gegenstände zur Überwachung und Untersuchung berechtigt sind, was die Richtlinie 2007/23 ausdrücklich anerkennt. In Frage steht also nicht, ob kontrolliert wird, sondern wie kontrolliert wird. Insoweit dürften allgemeine Verfahren der vorherigen Anzeige, die für alle Erzeugnisse, auch solche, gelten, die von den Behörden anderer Mitgliedstaaten bereits geprüft und genehmigt wurden, mit einem auf dem freien Warenverkehr und gegenseitiger Anerkennung gegründeten System kaum vereinbar sein.

VI – Kosten

82.      Ich schlage vor, die Klage abzuweisen. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs sind die Kosten daher der Kommission aufzuerlegen.

VII – Ergebnis

83.      Ich schlage daher dem Gerichtshof vor,

1.      die Klage abzuweisen;

2.      der Kommission die Kosten aufzuerlegen.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 –      ABl. 2007, L 154, S. 1.


3 – Sprengstoffgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. September 2002 (BGBl. I S. 3518), das durch Art. 4 Abs. 67 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154) geändert worden ist.


4 – Erste Verordnung zum Sprengstoffgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1991 (BGBl. I S. 169), die durch Art. 20 des Gesetzes vom 25. Juli 2013 (BGBl. I S. 2749) geändert worden ist.


5 – Bekanntmachung – Ausnahmebewilligung Nr. 2-0615/14 zur Kennzeichnung von pyrotechnischen Gegenständen, veröffentlicht im Bundesanzeiger AT 27.03.2014, B6, S. 1.


6 – Urteil vom 22. Oktober 2014, Kommission/Niederlande (C‑252/13, EU:C:2014:2312, Rn. 33 und 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).


7 –      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. September 2015, Kommission/Slowakei (C‑361/13, EU:C:2015:601, Rn.21 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 18. Juli 2007, Kommission/Spanien (C‑501/04, EU:C:2007:431, Rn. 24 bis 27).


8 – ABl. 2013, L 178, S. 27.


9 – Hervorhebung nur hier.


10 – Hervorhebung nur hier.


11 – Vgl. z. B. die französische „première mise à disposition, sur le marché communautaire“, die deutsche „… erstmalige Bereitstellung eines bestimmten Produkts … auf dem Gemeinschaftsmarkt“, die spanische „primera puesta a disposición en el mercado comunitario“, die italienische „la prima messa a disposizione sul mercato comunitario di un prodotto“, die tschechische „první předání jednotlivého výrobku k dispozici na trh Společenství“ und die niederländische Sprachfassung „het voor de eerste keer in de handel van de Gemeenschap beschikbaar stellen“.


12 –      Für einen anderen Fall mit voneinander abweichenden Sprachfassungen vgl. Urteil vom 14. September 2004, Kommission/Italien (C‑385/02, EU:C:2004:522, Rn. 34).


13 –      ABl.1985, C 136, S. 1, angeführt im achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/23.


14 –      Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteil vom 10. September 2014, Holger Forstmann Transporte (C‑152/13, EU:C:2014:2184, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).


15 –      Vgl. u. a. Urteile vom 10. September 2014, Holger Forstmann Transporte (C‑152/13, EU:C:2014:2184, Rn. 26), vom 7. Oktober 2010, Lassal (C‑162/09, EU:C:2010:592, Rn. 51), oder vom 15. Juni 2000, Kommission/Deutschland (C‑348/97, EU:C:2000:317, Rn. 53).


16 –      Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteile vom 27. Januar 1988, Dänemark/Kommission (349/85, EU:C:1988:34, Rn. 9), und vom 10. März 2005, easyCar (C‑336/03, EU:C:2005:150, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).


17 – Die Betonung des zeitlichen Elements wird in der Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung eines ähnlichen Begriffs in einem anderen sekundärrechtlichen Rechtsinstrument deutlich, vgl. Urteil vom 3. April 2014, Rätzke (C‑319/13, EU:C:2014:210, Rn. 34 ff.).


18 –      Urteile vom 15. Juli 2010, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑582/08, EU:C:2010:429, Rn. 51), und vom 5. Juni 2014, Kommission/Bulgarien (C‑198/12, EU:C:2014:1316, Rn. 35), sowie Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in dieser Rechtssache (C‑198/12, EU:C:2013:739, Nr. 46). Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 22. Dezember 2008, Les Vergers du Vieux Tauves (C‑48/07, EU:C:2008:758, Rn. 44). Das Verbot einer solchen „berichtigenden Auslegung“ gilt selbstverständlich nicht, wenn der Inhalt der betreffenden Bestimmung nicht eindeutig ist, vgl. Urteil vom 8. März 2012, Kommission/Portugal (C‑524/10, EU:C:2012:129, Rn. 56 ff.), und Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Kommission/Portugal (C‑524/10, EU:C:2011:613, Nrn. 56 ff.).


19 –      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Dezember 2005, EZB/Deutschland (C‑220/03, EU:C:2005:748, Rn. 31), und vom 28. Februar 2008, Carboni e derivati (C‑263/06, EU:C:2008:128, Rn. 48). Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑304/15, EU:C:2016:479, Nr. 44).


20 –      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juli 1994, Faccini Dori (C‑91/92, EU:C:1994:292, Rn. 24), und vom 15. Juli 2010, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑582/08, EU:C:2010:429, Rn. 33).


21 –      Urteil vom 23. März 2000, Met-Trans und Sagpol (C‑310/98 und C‑406/98, EU:C:2000:154, Rn. 32).


22 –      Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteil vom 9. Juli 1981, Gondrand und Garancini (169/80, EU:C:1981:171, Rn. 17).


23 –      Vgl. z. B. Urteil vom 9. Juli 2015, Salomie und Oltean (C‑183/14, EU:C:2015:454, Rn. 31).


24 –      Vgl. z. B. Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a. (C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).


25 –      Vgl. u. a. Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano in der Rechtssache Kommission/Deutschland (C‑316/99, EU:C:2001:38, Nrn. 12 und 13) und Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Kommission/Italien (C‑385/02, EU:C:2004:276, Nrn. 47 ff.).


26 –      Vgl. Urteil vom 15. Juli 2010, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑582/08, EU:C:2010:429, Rn. 50), in dem der Gerichtshof im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens festgestellt hat, dass „[d]iese Rechtsprechung … zwar die Beziehungen zwischen dem Einzelnen und der öffentlichen Gewalt [betrifft,] aber auch im Rahmen der Umsetzung einer steuerrechtlichen Richtlinie einschlägig [ist]“. Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑582/08, EU:C:2010:286, Nr. 64).


27 –      Vgl. u. a. Urteile vom 23. April 1986, Les Verts/Parlament (294/83, EU:C:1986:166, Rn. 23), und vom 6. Oktober 2015, Schrems (C‑362/14, EU:C:2015:650, Rn. 60).


28 – Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung des Beschlusses 93/465/EWG des Rates (ABl. 2008, L 218, S. 82).


29 –      16. Erwägungsgrund.


30 –      Die terminologischen Anpassungen in der Richtlinie 2013/29 entsprechen den neuen Begriffen und Definitionen. Vgl. insoweit den dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/29. Insbesondere wurde die Definition der „Bereitstellung auf dem Markt“ eingeführt. Die jetzige Bestimmung über den freien Warenverkehr in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2013/29 verweist auf den Begriff „Bereitstellung“ auf dem Markt, der auch im Titel der Richtlinie erscheint.


31 –      Dieser neue Ansatz wird von der Kommission in ihrer Mitteilung vom 5. April 2016 mit der neuesten Fassung des „Blue Guide“ on the implementation of EU product rules 2016, C(2016) 1958 final (Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2016), im Einzelnen erläutert.


32 –      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 2005, Kommission/Spanien (C‑135/03, EU:C:2005:457, Rn. 38).


33 –      Dies gilt insbesondere für die Urteile vom 12. Juli 2012, Fra.bo (C‑171/11, EU:C:2012:453), vom 10. November 2005, Kommission/Portugal (C‑432/03, EU:C:2005:669), vom 15. März 2007, Kommission/Finnland (C‑54/05, EU:C:2007:168), und vom 8. Februar 1983, Kommission/Vereinigtes Königreich (124/81, EU:C:1983:30).


34 –      Z. B. das von der Kommission angeführte Urteil vom 16. Oktober 2014, Kommission/Deutschland (C‑100/13, EU:C:2014:2293), oder die Urteile vom 8. Mai 2003, ATRAL (C‑14/02, EU:C:2003:265), und vom 30. April 2009, Lidl Magyarország (C‑132/08, EU:C:2009:281).


35 –      Vgl. zehnter Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/23.


36 –      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2010, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑582/08, EU:C:2010:429, Rn. 48).


37 –      Vgl. u. a. Urteil vom 18. Oktober 2012, Elenca (C‑385/10, EU:C:2012:634, Rn. 23, und die dort angeführte Rechtsprechung).


38 –      Vgl. zu ähnlichen Bestimmungen über den freien Warenverkehr Urteil vom 5. April 1979, Ratti (148/78, EU:C:1979:110, Rn. 13), in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass eine Bestimmung über den freien Warenverkehr „keine eigenständige Bedeutung [hat], da [sie] nur die notwendige Ergänzung der in den vorerwähnten Artikeln enthaltenen materiellen Bestimmungen im Hinblick auf den freien Verkehr der betreffenden Erzeugnisse darstellt“.


39 –      Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Kommission/Italien (C‑326/07, EU:C:2008:611, Nrn. 33 und 34).


40 – Eine anschauliche Definition der Marktüberwachung findet sich in Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates (ABl. 2008, L 218, S. 30), der u. a. darauf verweist, dass anhand „angemessener Stichproben auf geeignete Art und Weise und in angemessenem Umfang die Merkmale von Produkten durch Überprüfung der Unterlagen oder, wenn dies angezeigt ist, durch physische Kontrollen und Laborprüfungen“ zu kontrollieren sind.


41 – Nach dieser Bestimmung umfasst dieses System „eine … Registrierungsnummer und ein Verzeichnis … auf EU-Ebene zur Identifizierung der Typen pyrotechnischer Gegenstände und ihrer Hersteller“.


42 – Durchführungsrichtlinie der Kommission vom 16. April 2014 über die Errichtung eines Systems zur Rückverfolgbarkeit von pyrotechnischen Gegenständen gemäß der Richtlinie 2007/23 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2014, L 115, S. 28). Ein System zur Rückverfolgung sieht auch Art. 9 der Richtlinie 2013/29 vor.


43 –      Die Bundesrepublik Deutschland sieht die Ermächtigungsgrundlage für die in Rede stehende nationale Rechtsvorschrift in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d SprengG, wonach die zuständige Behörde ermächtigt wird, Vorschriften zu erlassen über das Verfahren zur Vergabe einer Identifikationsnummer zum Zwecke der Registrierung und Freigabe für den Verkauf, das Feilbieten und die Verwendung gemäß Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2007/23. Demgegenüber sieht die Kommission für das Anzeigeverfahren § 6 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. d SprengG als Ermächtigungsgrundlage an, wonach die zuständige Behörde ermächtigt wird, zu bestimmen, „dass über erworbene oder eingeführte explosionsgefährliche Stoffe nach § 1 Absatz 1 Anzeigen zu erstatten und dass den Anzeigen bestimmte Unterlagen beizufügen sind“.


44 –      Eine Unterscheidung ist insoweit lediglich in § 6 Abs. 4 Satz 6 1.SprengV vorgesehen, der eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Aufnahme der Identifikationsnummer in die Anleitung gemäß § 6 Abs. 4 Satz 4 1.SprengV einführt.


45 –      Vgl. Urteil vom 17. März 2016, Canadian Oil Company Sweden und Rantén (C‑472/14, EU:C:2016:171, Rn. 41).


46 – Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. 2006, L 396, S. 1 und Berichtigung ABl. 2007, L 136, S. 3) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 552/2009 der Kommission vom 22. Juni 2009 (ABl. 2009, L 164, S. 7) geänderten Fassung.


47 – Nach Art. 128 Abs. 2 der REACH-Verordnung sind die Mitgliedstaaten nicht gehindert, innerstaatliche Vorschriften für den Schutz der Arbeitnehmer, der menschlichen Gesundheit und der Umwelt in Fällen beizubehalten oder einzuführen, in denen die Anforderungen an die Herstellung, das Inverkehrbringen oder die Verwendung mit dieser Verordnung nicht harmonisiert werden. Vgl. Urteil vom 17. März 2016, Canadian Oil Company Sweden und Rantén (C‑472/14, EU:C:2016:171, Rn. 26 und 27).


48 – Anhang I Nr. 5 Buchst. C Nrn. 1 bis 7 der Richtlinie 2007/23. Anzündmittel unterliegen auch dem europäischen Standard EN 15947. Siehe auch Nr. 3 Buchst. j dieses Anhangs mit dem Hinweis auf die „Spezifizierung aller erforderlichen Vorrichtungen und Zubehörteile und Betriebsanleitungen für die sichere Funktionsweise des pyrotechnischen Gegenstandes“.


49 – EN 15947 (ABl. 2013, C 136, S. 7). Vgl. auch Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2007/23.


50 –      Siehe Nr. 61 bis 63 und 65 bis 67 der vorliegenden Schlussanträge.


51 –      Urteil vom 20. Oktober 2005, Kommission/Schweden (C‑111/03, EU:C:2005:619, Rn. 66).


52 –      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. April 2007, AGM-COS.MET (C‑470/03, EU:C:2007:213, Rn. 62).


53 –      Vgl. entsprechend Urteil vom 8. September 2005, Yonemoto (C‑40/04, EU:C:2005:519, Rn. 51). Vgl. ebenfalls, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, Urteil vom 23. November 2006, Lidl Italia (C‑315/05, EU:C:2006:736, Rn. 43 ff.).


54 – Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur europäischen Normung (ABl. 2012, L 316, S. 12). Mit dieser Verordnung wurde Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2007/23 aufgehoben.