Language of document : ECLI:EU:C:2018:336

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 29. Mai 2018(1)

Rechtssache C312/17

Surjit Singh Bedi

gegen

Bundesrepublik Deutschland,

Bundesrepublik Deutschland in Prozessstandschaft für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland

(Vorabentscheidungsersuchen des Landesarbeitsgerichts Hamm [Deutschland])

„Ersuchen um Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Richtlinie 2000/78/EG – Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung – Tarifvertrag, der die Beendigung der Zahlung einer Überbrückungsbeihilfe vorsieht, wenn der Bezieher die Berechtigung zum Bezug einer vorgezogenen Altersrente für behinderte Menschen erwirbt“






1.        Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof ersucht, die Anwendung der Regelungen über die Diskriminierung wegen einer Behinderung nach der Richtlinie 2000/78/EG des Rates(2) auf einen Arbeitnehmer zu prüfen, der Anspruch auf Zahlungen nach einem Tarifvertrag hatte, welche mit dem Ziel gewährt werden, einen angemessenen Lebensunterhalt von Arbeitnehmern zu gewährleisten, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, und der auf diese Zahlungen keinen Anspruch mehr hat, weil er (wenngleich in geminderter Höhe) Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente wegen seiner Behinderung erworben hat. Dem betreffenden Arbeitnehmer entstanden hieraus erhebliche finanzielle Einbußen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

2.        Art. 157 Abs. 2 AEUV bestimmt:

„Unter ‚Entgelt‘ im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und ‑gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.“

 Richtlinie 2000/78

3.        Art. 1 der Richtlinie 2000/78 bestimmt:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“

4.        Art. 2 dieser Richtlinie bestimmt, soweit für die vorliegenden Schlussanträge relevant:

„(1)      Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)      Im Sinne des Absatzes 1

a)      liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

b)      liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn:

i)      [D]iese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich, oder

ii)      der Arbeitgeber oder jede Person oder Organisation, auf die diese Richtlinie Anwendung findet, ist im Falle von Personen mit einer bestimmten Behinderung aufgrund des einzelstaatlichen Rechts verpflichtet, geeignete Maßnahmen entsprechend den in Artikel 5[(3)] enthaltenen Grundsätzen vorzusehen, um die sich durch diese Vorschrift, dieses Kriterium oder dieses Verfahren ergebenden Nachteile zu beseitigen.

…“

5.        Art. 3 der Richtlinie 2000/78 bestimmt, soweit für die vorliegenden Schlussanträge relevant:

„(1)      Im Rahmen der auf die [Europäische Union] übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

c)      die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts;

(3)      Diese Richtlinie gilt nicht für Leistungen jeder Art seitens der staatlichen Systeme oder der damit gleichgestellten Systeme einschließlich der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit oder des sozialen Schutzes.

…“

6.        Art. 16 der Richtlinie 2000/78 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass

a)      die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden;

b)      die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbarenden Bestimmungen in Arbeits- und Tarifverträgen, Betriebsordnungen und Statuten der freien Berufe und der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen für nichtig erklärt werden oder erklärt werden können oder geändert werden.“

 Nationale Rechtsvorschriften

7.        Der Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden: Tarifvertrag) wurde am 31. August 1971 von diesem Mitgliedstaat und mehreren Gewerkschaften geschlossen. Er regelt die Beschäftigungsbedingungen für bei den in seinem Gebiet stationierten Streitkräften anderer Staaten beschäftigte Arbeitnehmer. Zu diesen Staaten gehört das Vereinigte Königreich(4).

8.        § 4 des Tarifvertrags hat die Überschrift „Überbrückungsbeihilfe“. Danach wird diese Beihilfe zusätzlich zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der auf deutschem Gebiet stationierten Streitkräfte gezahlt. Diese Bestimmung enthält auch eine Berechnungsformel für die Beihilfe, die auf dem monatlichen Gehalt basiert, das der Bezieher bei Beendigung seiner Beschäftigung bei den Streitkräften erhält.

9.        Nach § 8 des Tarifvertrags endet die Zahlung der Beihilfe u. a., wenn der betreffende Arbeitnehmer nach dem nationalen Sozialversicherungsrecht die Berechtigung zum Bezug einer vorzeitigen Altersrente erwirbt.

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage

10.      Herr Surjit Singh Bedi wurde am 3. August 1954 geboren und ist als schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50 % eingestuft. Er nahm 1978 eine Tätigkeit als Zivilangestellter für die in Deutschland stationierten Streitkräfte des Vereinigten Königreichs auf und arbeitete zuletzt als Wachmann in der Dienststelle Münster (Deutschland). Im Rahmen der Regelungen zur Schließung dieser Dienststelle wurde ihm zum 31. Dezember 2013 gekündigt. Zum 1. März 2014 wurde er von einem privaten Unternehmen als Wachmann eingestellt. Er ist dort weiterhin beschäftigt und seit dem 1. April 2016 aufgrund eines Arbeitsvertrags tätig, der variable monatliche Arbeitszeiten und entsprechende Vergütungen vorsieht.

11.      Nach seiner Entlassung bezog Herr Bedi die Überbrückungsbeihilfe nach § 4 des Tarifvertrags (im Folgenden: Beihilfe) ab 1. Januar 2014, zuletzt in Höhe von 1 604,20 Euro monatlich. Mit Schreiben vom 23. März 2015 teilten die deutschen Behörden ihm jedoch mit, dass sein Anspruch auf die Beihilfe ab dem 30. April 2015 ende, da er mit Wirkung ab 1. Mai 2015 die Voraussetzungen zum Bezug der vorgezogenen Altersrente für schwerbehinderte Menschen erfülle. Mit Wirkung ab dem 1. Mai 2015 hatte Herr Bedi einen Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente in Höhe von 909,50 Euro monatlich erworben. In dieser Höhe ist eine Kürzung um 10,8 % für die 36 Kalendermonate umfassende vorzeitige Inanspruchnahme berücksichtigt. Zudem war die Rentenhöhe durch verschiedene Hinzuverdienstgrenzen für ein dem Bezieher etwaig zustehendes Arbeitseinkommen zu kürzen. Anscheinend fällt Herr Bedi unter die betreffenden Verdienstgrenzen oder könnte unter sie fallen, so dass jede von ihm bezogene Rente entsprechend gekürzt wird. Nach den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen ist Herr Bedi infolge des Verlusts seines Anspruchs auf die Beihilfe unter Berücksichtigung aller Umstände finanziell im Ergebnis erheblich schlechter gestellt, als wenn er die Beihilfe bis zum Bezug seiner ungekürzten Rente weiter erhalten hätte.

12.      Wäre Herr Bedi nicht schwerbehindert gewesen, hätte er erst ab Vollendung des 63. Lebensjahrs eine staatliche Altersrente in Anspruch nehmen können. Die Zahlung der Beihilfe wäre in diesem Fall bis mindestens zum 1. September 2017 fortgesetzt worden.

13.      Gegen den Bescheid über die Einstellung der Zahlung der Beihilfe erhob Herr Bedi Klage beim Arbeitsgericht Münster (Deutschland) gegen die Bundesrepublik Deutschland, erstens in ihrem eigenen Namen als Partei des Tarifvertrags und zweitens als Prozessstandschafterin des Vereinigten Königreichs nach Art. 56 Abs. 8 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen, unterzeichnet am 3. August 1959, in geänderter Fassung. Die Klage wurde mit am 11. Februar 2016 zugestelltem Urteil abgewiesen.

14.      Gegen dieses Urteil legte Herr Bedi sodann Berufung beim Landesarbeitsgericht Hamm (Deutschland) ein, mit der er zugleich eine Verurteilung zur Zahlung der Beihilfe für den Zeitraum von April bis Dezember 2016 in Höhe von 3 049,92 Euro beantragt.

15.      Da dem Landesarbeitsgericht ungewiss erscheint, ob der Bescheid über die Einstellung der Zahlung der Beihilfe an Herrn Bedi eine nach der Richtlinie 2000/78 verbotene Diskriminierung wegen einer Behinderung darstellt, hat es dem Gerichtshof die folgende Frage vorgelegt:

Ist Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass er einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegensteht, welche vorsieht, dass der Bezug einer Überbrückungsbeihilfe, welche mit dem Ziel gewährt wird, einen angemessenen Lebensunterhalt von Arbeitnehmern, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, auf der Basis der tariflichen Grundvergütung bis zum Erwerb einer wirtschaftlichen Absicherung durch den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu gewährleisten, mit der Berechtigung zum Bezug vorgezogenen Altersruhegelds endet, und bei ihrer Anwendung auf die Möglichkeit, eine vorzeitige Altersrente wegen Behinderung zu erhalten, abstellt?

16.      Schriftliche Erklärungen sind von der Bundesrepublik Deutschland sowohl in eigenem Namen als auch als Prozessstandschafterin für das Vereinigte Königreich sowie von der Europäischen Kommission eingereicht worden. Eine mündliche Verhandlung ist nicht beantragt und nicht durchgeführt worden.

 Würdigung

17.      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Beendigung der Zahlung der Beihilfe an Herrn Bedi aufgrund des Umstands, dass er Anspruch auf eine vorgezogene, jedoch mit Abschlägen gewährte Altersrente wegen seiner Behinderung erworben hat, eine rechtswidrige Diskriminierung im Sinne der Richtlinie 2000/78 darstellt.

18.      Zur Beantwortung dieser Frage sind erstens der Anwendungsbereich der Richtlinie und zweitens die Frage zu prüfen, ob die Diskriminierung, der sich Herr Bedi ausgesetzt sieht – so es sich um eine solche handelt –, eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung darstellt. Drittens werden für den Fall, dass die fragliche Diskriminierung eine mittelbare Diskriminierung darstellt, die Ausnahmeregelungen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie relevant.

19.      Diese Fragen werde ich der Reihe nach prüfen.

 Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78: Ist die Beihilfe als „Arbeitsentgelt“ anzusehen?

20.      Art. 3 der Richtlinie 2000/78 („Geltungsbereich“) ist weit gefasst. Nach Abs. 1 gilt die Richtlinie „für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen“, u. a. in Bezug auf „die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts“. In Abs. 3 wird jedoch eine wichtige Einschränkung vorgenommen, wonach die Richtlinie nicht für „Leistungen jeder Art seitens der staatlichen Systeme oder der damit gleichgestellten Systeme einschließlich der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit oder des sozialen Schutzes“ gilt.

21.      Hinweise dazu, wie diese Einschränkung auszulegen ist, enthält der 13. Erwägungsgrund der Richtlinie, wonach als Sozialversicherungs- oder Sozialschutzsystem ein solches anzusehen ist, dessen Leistungen nicht einem Arbeitsentgelt im Sinne des jetzigen Art. 157 AEUV gleichgestellt werden. Diese Auslegung hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung bestätigt(5).

22.      Damit stellt sich die Frage, ob die Beihilfe, die Herrn Bedi nach § 4 des Tarifvertrags gezahlt wurde, unter die Einschränkung nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie fällt.

23.      Meines Erachtens ist dies nicht der Fall.

24.      Der Gerichtshof hat entschieden, dass bei der Auslegung von Art. 157 AEUV der Begriff „Entgelt“ weit auszulegen ist. Er umfasst insbesondere „alle gegenwärtigen oder künftigen in bar oder in Sachleistungen gewährten Vergütungen, vorausgesetzt, dass der Arbeitgeber sie dem Arbeitnehmer wenigstens mittelbar aufgrund des Dienstverhältnisses gewährt, sei es aufgrund eines Arbeitsvertrags, aufgrund von Rechtsvorschriften oder freiwillig“(6). Dass bestimmte Leistungen nach Beendigung des Dienstverhältnisses gewährt werden, schließt nicht aus, dass sie den Charakter eines „Entgelts“ im Sinne von Art. 157 AEUV haben können(7). Ebenso kann der Entgeltcharakter derartiger Leistungen nicht schon deswegen in Zweifel gezogen werden, weil diese Leistungen auch sozialpolitischen Erwägungen Rechnung tragen(8). Dementsprechend hat der Gerichtshof entschieden, dass Leistungen eines Versorgungssystems, das im Wesentlichen von der früheren Beschäftigung des Betroffenen abhängt, zu dessen früherem Entgelt gehören und unter Art. 157 Abs. 2 AEUV fallen(9).

25.      Den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen zufolge soll die Beihilfe ermöglichen, älteren, langjährig beschäftigten Arbeitnehmern, die entlassen worden sind, über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus finanzielle Unterstützungsleistungen zu gewähren. Sie soll ihren Lebensunterhalt sicherstellen und einen Ausgleich für die Schwierigkeiten leisten, die sich daraus ergeben, dass sie möglicherweise an ihrem neuen Arbeitsplatz ein geringeres Arbeitsentgelt erhalten oder arbeitslos sind. Zugleich soll sie einen Anreiz für Arbeitnehmer schaffen, aktiv zu bleiben und außerhalb des Bereichs der Streitkräfte einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

26.      Die Beihilfe erfüllt daher meines Erachtens die Voraussetzungen dessen, was der Gerichtshof in der oben in Nr. 24 angeführten Rechtsprechung als „die materielle Tatbestandvoraussetzung des Entgelts“ bezeichnet(10). Wie die Kommission zu Recht vorträgt, ist jedoch auch zu prüfen, ob die Beihilfe dem betreffenden Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses gewährt wurde. Mit anderen Worten muss zwischen beidem ein kausales Element gegeben sein, damit eine Leistung unter Art. 157 AEUV fällt(11). Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass Erwägungen der Sozialpolitik, der Staatsorganisation und der Ethik oder gar den Haushalt betreffende Überlegungen, die bei der Festlegung eines Systems tatsächlich oder möglicherweise eine Rolle gespielt haben, nicht dazu führen können, dass eine Regelung dem Geltungsbereich von Art. 157 AEUV entzogen wird, wenn die betreffende Regelung nur für eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern gilt, wenn sie unmittelbar von der abgeleisteten Dienstzeit abhängt und wenn ihre Höhe nach den letzten Bezügen des (früheren) Arbeitnehmers berechnet wird(12).

27.      Die beiden im vorstehenden Absatz angeführten Rechtssachen betrafen einen Anspruch auf Erstattung von Behandlungskosten für Lebenspartner von Bundesbeamten(13) bzw. eine Witwerrente aus einem berufsständischen Pflichtversorgungssystem(14). Die Rechtsprechung ist jedoch nicht auf diese Beispiele beschränkt. Der Gerichtshof hat diese Grundsätze beispielsweise auf eine Überbrückungsbeihilfe für Arbeitnehmer angewendet, die bei ihrer Entlassung ein bestimmtes Lebensalter erreicht hatten, und insoweit den Umstand, dass die Höhe der Beihilfe auf dem letzten Bruttomonatsgehalt basierte, als Bestätigung dafür angesehen, dass die Beihilfe eine im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis des betreffenden Arbeitnehmers gewährte Leistung darstellte(15).

28.      Meines Erachtens ist kein Grund ersichtlich, warum diese Grundsätze nicht auch in der vorliegenden Rechtssache Anwendung finden sollten. Die Beihilfe wird nach dem Tarifvertrag aufgrund des Dienstverhältnisses zwischen Personen wie Herrn Bedi und den auf deutschem Gebiet stationierten Streitkräften gewährt. Der Tarifvertrag sieht Regelungen, in Form der Beihilfe, vor, die ausdrücklich für die Beendigung dieses Verhältnisses gelten. Die Höhe der Beihilfe wird (nach § 4 des Tarifvertrags) auf Basis des bei Beendigung des Dienstverhältnisses gezahlten Arbeitsentgelts berechnet. Den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen zufolge wird die Beihilfe nur „langjährig beschäftigten“ Arbeitnehmern gewährt. Die Voraussetzung, dass die Zahlungen unmittelbar von der abgeleisteten Dienstzeit abhängen, dürfte daher ebenfalls eindeutig erfüllt sein. Hierfür ist, wie von der Kommission meines Erachtens zu Recht vorgetragen, der Umstand unerheblich, dass die Beihilfe von Deutschland gewährt und aus nationalen Steuermitteln finanziert wird, da die Beteiligung Deutschlands in dieser Hinsicht Teil der bestehenden internen Regelungen zwischen Deutschland und den Staaten ist, deren Soldaten früher auf seinem Gebiet stationiert waren. Hierzu gehört das Vereinigte Königreich als früherer Arbeitgeber von Herrn Bedi. Maßgebend ist, ob der letztere Mitgliedstaat als ursprünglicher Arbeitgeber des Beziehers Regelungen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die Zahlungen seinen früheren Arbeitnehmern „aufgrund des Dienstverhältnisses“ gewährt werden.

29.      Aus sämtlichen vorstehenden Gründen bin ich der Ansicht, dass die Beihilfezahlungen als „Entgelt“ im Sinne von Art. 157 AEUV angesehen werden können und die Ausnahme nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2000/78 in der vorliegenden Rechtssache keine Anwendung findet.

 Art der geltend gemachten Diskriminierung

30.      Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Art. 1 aufgeführten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person. Hierzu gehört u. a. eine Behinderung.

31.      Diese Bestimmung ist dahin auszulegen, dass bei einer Maßnahme, die in gleicher Weise auf behinderte und nicht behinderte Menschen anwendbar ist, nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese eine unmittelbar auf der Behinderung beruhende Ungleichbehandlung schafft(16). In der vorliegenden Rechtssache spricht nichts dafür, dass der Tarifvertrag auf behinderte und nicht behinderte Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise Anwendung findet. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht vielmehr eindeutig hervor, dass die Einschränkungen nach § 8 des Tarifvertrags auf verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern Anwendung finden und diejenigen mit einer Behinderung lediglich eine dieser Gruppen darstellen.

32.      Somit kann die Behandlung von Arbeitnehmern wie Herrn Bedi nicht als unmittelbare Diskriminierung anzusehen sein. Zu prüfen ist folglich, ob sie eine mittelbare Diskriminierung darstellt. Nach den Voraussetzungen in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen u. a. mit einer Behinderung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können.

33.      Wie ich bereits erwähnt habe, ist die fragliche Maßnahme dem Anschein nach neutral(17). Was sodann die Frage angeht, ob sie behinderte Menschen benachteiligt, führte bei Herrn Bedi der Umstand, dass er einen Anspruch auf eine vorzeitige, jedoch geminderte Altersrente erwarb, zur Beendigung der Zahlung der Beihilfe. Bei nicht behinderten Arbeitnehmern gäbe es einen solchen automatischen Anspruch auf eine vorzeitige Rente nicht. Die Beihilfe würde somit weiter gewährt, bis der Betroffene die Regelaltersgrenze für den Renteneintritt von 63 Jahren erreichen würde, ab der diese Rente in voller Höhe gezahlt würde. Das Vorabentscheidungsersuchen stellt klar, dass die letztere Gruppe im Ergebnis finanziell besser gestellt ist als bei dem für Herrn Bedi geltenden Ergebnis, und stellt weiter fest, dass seine Situation infolgedessen im Vergleich erheblich schlechter sei(18). Er hatte insoweit auch keine Wahl: Die Beihilfe wäre auch dann eingestellt worden, wenn er sich dafür entschieden hätte, seine Altersrente nicht vor dem normalen Renteneintritt in Anspruch zu nehmen. Demnach werden behinderte Arbeitnehmer wie Herr Bedi durch die Maßnahme meines Erachtens in der Tat benachteiligt.

34.      Was schließlich die Frage angeht, ob die Situation dieser Arbeitnehmer mit derjenigen nicht behinderter Menschen vergleichbar ist, ist Deutschland (in seinen in eigenem Namen vorgelegten schriftlichen Erklärungen) der Ansicht, dass diese Voraussetzung nicht gegeben sei. Es trägt im Wesentlichen vor, dass für die insoweit vorzunehmende Beurteilung zwei Zeitpunkte in Frage kämen. Der erste sei der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zu diesem Zeitpunkt seien behinderte und nicht behinderte Arbeitnehmer in der Tat in einer vergleichbaren Situation. Der zweite sei der Zeitpunkt, zu dem der Betroffene die Berechtigung zur Inanspruchnahme einer Rente erwerbe. An diesem Punkt könnten die beiden Gruppen nicht so behandelt werden, als ob sie sich in der gleichen Situation befänden, da sie in Bezug auf die Übergangsbeihilfe nicht die gleiche Bedürftigkeit aufwiesen – für diejenigen mit einer Behinderung sei diese nicht mehr erforderlich, während bei ihren nicht behinderten Kollegen weiterhin ein Bedarf bestehe.

35.      Die zweite dieser Auslegungen stützt Deutschland auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs. Es führt insbesondere an: i) das Urteil Burton(19), das eine Abfindungsregelung bei freiwilligem Ausscheiden zum Gegenstand hatte, wonach männliche Arbeitnehmer später Anspruch auf Zahlungen erwarben als ihre weiblichen Kollegen, weil für Letztere ein früheres normales Renteneintrittsalter galt als für männliche Arbeitnehmer, die Höhe der Zahlungen für jede Gruppe jedoch auf der gleichen Grundlage berechnet wurde, ii) das Urteil Roberts(20), das eine Überbrückungsrente für Beschäftigte, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand gingen, betraf, die Frauen nach Vollendung des 60. Lebensjahrs Leistungen in geringerer Höhe gewährte als Männern, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Frauen ab diesem Alter die Berechtigung zur Inanspruchnahme einer staatlichen Rente erwarben, wobei die Regelung für die Berechnung der Überbrückungsrente jedoch neutral war, sowie iii) das Urteil Hlozek(21), wo der Rechtsstreit ein Überbrückungsgeld für Arbeitnehmer betraf, die zum Zeitpunkt ihrer im Rahmen der Umstrukturierung des Arbeitgeberunternehmens erfolgten Entlassung ein bestimmtes Alter erreicht hatten, und Frauen fünf Jahre früher Anspruch auf die Leistung hatten als Männer, da für sie ein fünf Jahre früheres gesetzliches Renteneintrittsalter galt als für ihre männlichen Kollegen.

36.      Aus dieser Rechtsprechung lässt sich meines Erachtens wenig ableiten. Der Schwerpunkt der Begründung des Gerichtshofs in diesen Urteilen lag nicht darauf, an welchem Punkt die geltend gemachte Diskriminierung eintrat. Der Gerichtshof prüfte die Regelungen vielmehr überblicksartig und kam insoweit in jeder Rechtssache zu dem Schluss, dass eine Diskriminierung nicht gegeben war. Zu diesem Ergebnis gelangte er im Urteil Burton aufgrund der Feststellung, dass der einzige Unterschied zwischen den Vergünstigungen für Männer und Frauen daher rührte, dass die anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften für Männer und Frauen nicht dasselbe Mindestrentenalter vorsahen. Die in Rede stehende Leistung wurde jedoch unabhängig vom Geschlecht des Arbeitnehmers in gleicher Weise berechnet. Hieraus folgte, dass eine Diskriminierung nicht gegeben war(22). Dies kommt noch deutlicher im Urteil Roberts zum Ausdruck, wo der Gerichtshof feststellte, dass die für die Überbrückungsrente geltende Regelung neutral war, was in seinen Worten „das Nichtvorhandensein einer Diskriminierung bestätigt[e]“(23). Im Urteil Hlozek war seine Begründung ähnlich(24).

37.      In der vorliegenden Rechtssache ist meines Erachtens die Sache die, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung nicht neutral ist.

38.      Deutschland erkennt in der Tat an, dass andere Aspekte der Rechtsprechung des Gerichtshofs relevant sein könnten. Es nimmt insoweit Bezug auf das Urteil Odar(25), das eine Entlassungsabfindung für einen schwerbehinderten Beschäftigten aufgrund eines Sozialplans betraf, die er in geringerer Höhe erhielt, als ihm zugestanden hätte, wenn er nicht behindert gewesen wäre. Die Neutralität der Ergebnisse der betreffenden Regelung unter beiden Gruppen von Arbeitnehmern stand nicht in Frage. Der Gerichtshof stellte in seiner Prüfung auf die Situation von „Arbeitnehmern, die kurz vor dem Renteneintritt stehenden Altersgruppen angehören“, ab und kam zu dem Schluss, dass sie sich in einer mit anderen vom Sozialplan betroffenen Arbeitnehmern vergleichbaren Situation befanden, da ihr Arbeitsverhältnis mit ihrem Arbeitgeber aus demselben Grund und unter denselben Voraussetzungen beendet wurde. Der schwerbehinderten Arbeitnehmern gewährte „Vorteil“, der darin bestand, dass sie ab Erreichen eines Alters, das drei Jahre niedriger ist als bei nicht behinderten Arbeitnehmern, eine Altersrente in Anspruch nehmen konnten, konnte sie nämlich gegenüber diesen Arbeitnehmern nicht in eine besondere Situation bringen(26).

39.      Diese Rechtsprechung dürfte meines Erachtens für die vorliegende Rechtssache von wesentlich größerer Bedeutung sein als die oben in den Nrn. 35 und 36 erörterten Urteile. Fraglich bleibt jedoch, ob sie genau übertragbar ist. Ist insbesondere der Umstand, dass es i) in dem dem Urteil Odar zugrunde liegenden Sachverhaltum die Berechnung einer Pauschalabfindung ging, die bei schwerbehinderten Arbeitnehmern unter Berücksichtigung ihres früheren Anspruchs auf eine Altersrente geschmälert wurde, während ii) in der vorliegenden Rechtssache die Leistungen dauerhafte Zahlungen nach dem Tarifvertrag beinhalteten, die mit Erwerb der Berechtigung zum Bezug einer vorgezogenen Altersrente beendet wurden, ausreichend, um beide Fälle voneinander zu unterscheiden?

40.      Dies ist meines Erachtens nicht der Fall.

41.      In beiden Rechtssachen sah sich der Kläger mit einer tatsächlichen Minderung der ihm aufgrund der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses gewährten Leistungen unter Berücksichtigung seiner früher eintretenden Berechtigung zum Bezug einer Altersrente konfrontiert. Im Urteil Odar erfolgte diese Minderung bei der Berechnung der Pauschalabfindung, während sie im Fall von Herrn Bedi bei der Beendigung der Zahlungen nach dem Tarifvertrag eintrat. Die Folge war im Ergebnis die gleiche: Jeder Bezieher erhielt weniger Geld, weil er behindert war. Mit beiden Regelungen sollten Arbeitnehmer mit einem gewissen Lebensalter, die von einer betriebsbedingten Kündigung betroffen waren, unterstützt werden. Dass die Beihilfe in der vorliegenden Rechtssache dauerhaft gezahlt wurde, um für die betreffenden Arbeitnehmer einen Anreiz zu schaffen, sich nicht vom Arbeitsmarkt zurückzuziehen, stellt meines Erachtens keinen Unterschied dar, der wesentlich genug ist, um beide Fälle voneinander zu unterscheiden.

42.      Meines Erachtens ist daher der Hintergrund der beiden Rechtssachen, soweit er für das vorliegende Verfahren relevant ist, im Wesentlichen vergleichbar, so dass die aus dem Urteil Odar abzuleitenden Grundsätze auf den Fall von Herrn Bedi übertragbar sind. Im Urteil Odar hat der Gerichtshof festgestellt, dass sich behinderte Arbeitnehmer, die kurz vor dem Renteneintritt standen, in einer Situation befanden, die mit der der anderen von der Pauschalabfindungsregelung betroffenen Arbeitnehmer vergleichbar war, da ihr Arbeitsverhältnis mit ihrem Arbeitgeber aus demselben Grund und unter denselben Voraussetzungen beendet wurde(27). Meines Erachtens lassen sich diese Erwägungen unschwer in entsprechender Weise auf die vorliegende Rechtssache übertragen.

 Mittelbare Diskriminierung: Ausnahmen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78

43.      Zu prüfen ist somit als nächstes, ob die fragliche Maßnahme im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 als durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt angesehen werden kann und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

44.      Deutschland trägt (sowohl in seinen im eigenen Namen als auch in den als Prozessstandschafterin für das Vereinigte Königreich vorgelegten Erklärungen) vor, dass mit der Maßnahme in der Tat ein legitimes Ziel verfolgt werde. Soweit relevant(28), weist es insbesondere darauf hin, dass die Beihilfe aus staatlichen Mitteln finanziert werde und diese naturgemäß begrenzt seien. Es gebe keinen vernünftigen Grund, die Beihilfe weiter zu zahlen, wenn dem Bezieher sein Lebensunterhalt auf anderem Wege gesichert werde. Der Gerichtshof habe entschieden, dass die ordnungsgemäße Verwaltung staatlicher Mittel in diesem Fall ein rechtmäßiges Ziel darstellen könne.

45.      Diesem Vorbringen ist meines Erachtens nicht zu widersprechen. Es ist in der Tat richtig, dass öffentliche Gelder sinnvoll eingesetzt werden müssen(29). Ich stimme dementsprechend damit überein, dass dies ein rechtmäßiges Ziel ist.

46.      Kann es auch als angemessen und erforderlich angesehen werden?

47.      Was die erste dieser Voraussetzungen angeht, weist Deutschland (sowohl im eigenen Namen als auch als Prozessstandschafterin für das Vereinigte Königreich) insbesondere darauf hin, dass das Ziel des Tarifvertrags darin bestehe, Arbeitnehmern ein hinreichendes Einkommen zu sichern, soweit diese andernfalls möglicherweise finanziell bedürftig wären; dieses Ziel könne bei behinderten Arbeitnehmern als „entfallen“ angesehen werden, wenn sie die Berechtigung zum vorgezogenen Bezug ihrer Altersrente erworben hätten. Diese Erwägung sei angemessen.

48.      Die Argumentation Deutschlands an diesem Punkt überzeugt mich nicht zweifelsfrei. Insbesondere beruht sein Ansatz auf der Annahme, dass das Ziel, finanziell bedürftige Arbeitnehmer zu unterstützen, als entfallen angesehen werden könne, wenn der Bezieher der betreffenden Beihilfe die Berechtigung zum Bezug einer Rente erwirbt. Dies setzt von vornherein voraus, dass die Höhe der Rente ausreicht, um diese finanzielle Bedürftigkeit auszugleichen. Auch wenn das Niveau der staatlichen Altersrenten sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden mag, kann nicht angenommen werden, dass diese Renten, selbst wenn sie in voller Höhe gezahlt werden, in allen Fällen ausreichen, um dem Bezieher eine Fortsetzung seiner Lebensführung mit einem gewissen Komfort zu ermöglichen. Wird die jeweilige Rentenhöhe unter Berücksichtigung des vorzeitigen Bezugs gekürzt, werden die Bezüge mit noch größerer Wahrscheinlichkeit kein hinreichendes Einkommen darstellen. In diesem Fall kann nicht angenommen werden, dass die finanzielle Bedürftigkeit des Beziehers als „entfallen“ angesehen werden kann. Ich komme daher zu dem Schluss, dass das Ziel der Sicherung eines hinreichenden Einkommens von Arbeitnehmern in einem Fall wie demjenigen von Herrn Bedi nur dann als entfallen – und die Maßnahme somit als angemessen – angesehen werden kann, wenn die Differenz zwischen der Höhe der Rente, auf die sie Anspruch haben, und der Höhe der Beihilfe, die eingestellt wird, nicht dazu führt, dass diese Arbeitnehmer erneut in die Situation einer finanziellen Bedürftigkeit kommen oder zu kommen drohen, gegen die die Beihilfe sie absichern sollte. Die Prüfung, ob dies der Fall ist oder nicht, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

49.      Was die Voraussetzung der Erforderlichkeit angeht, legt dieser Mitgliedstaat große Betonung auf den vom Gerichtshof anerkannten Ermessensspielraum, der den Mitgliedstaaten bei der Festlegung von Maßnahmen zur Erreichung eines konkreten Ziels im Bereich der Sozial- und Arbeitspolitik eingeräumt sei. Dies gelte erst recht, wenn die betreffende Maßnahme von den Sozialpartnern in einem Tarifvertrag beschlossen worden sei. Er verweist darauf, dass der Gerichtshof anerkannt habe, dass diese in diesem Zusammenhang über ein „weites Ermessen“ verfügten(30), und nimmt eine von ihm als grundlegend angesehene Unterscheidung zwischen diesem Sachverhalt und dem Sozialplan vor, der Gegenstand des Urteils Odar war. Das nationale Recht gewähre im letzteren Fall eine erheblich geringere Gestaltungsfreiheit, da die Parteien des Sozialplans zur Berücksichtigung nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses geltender Umstände verpflichtet seien.

50.      Ich erkenne an, dass der Gerichtshof einer Einflussnahme auf Entscheidungen der Sozialpartner im Rahmen der Gestaltung von Tarifverträgen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art zurückhaltend begegnen sollte(31). Der insoweit vorausgesetzte Gestaltungsspielraum entbindet jedoch nicht von der Wahrung des Grundsatzes, dass Maßnahmen sowohl angemessen als auch erforderlich sein müssen. Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil Hennigs bei seiner Beurteilung des den Sozialpartnern im Zusammenhang mit Tarifverträgen eingeräumten Ermessensspielraums festgestellt hat, dass „die Ungleichbehandlung wegen des Alters zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein [muss]“(32). Zweitens ist anzumerken, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 16 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 sicherzustellen haben, dass die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbarenden Bestimmungen u. a. in Tarifverträgen für nichtig erklärt werden oder erklärt werden können oder geändert werden.

51.      Bei der Beurteilung dieser Frage ist es meines Erachtens von überragender Bedeutung, die Situation schwerbehinderter Arbeitnehmer wie Herrn Bedis und insbesondere die besonderen Schwierigkeiten und Risiken, mit denen sie konfrontiert sind, im Blick zu behalten. Der Gesamtzweck der Richtlinie 2000/78 im Rahmen ihrer Anwendung auf Arbeitnehmer mit einer Behinderung besteht schließlich darin, eine Diskriminierung dieser Arbeitnehmer zu verhindern und somit ihre Stellung auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Hierzu ist u. a. sicherzustellen, dass ihnen dort die größtmöglichen Chancen gegeben und sie finanziell nicht benachteiligt werden. Diese Arbeitnehmer werden ferner bei der Suche nach einer Beschäftigung wahrscheinlich mit größeren Schwierigkeiten konfrontiert als ihre nicht behinderten Kollegen, und diese Schwierigkeiten werden zunehmen, je mehr sie sich dem Renteneintrittsalter nähern(33). Zu erinnern ist daran, dass das Recht, zu arbeiten, vom Gerichtshof bereits im Jahr 1974 anerkannt worden ist, als er sein Urteil Nold/Kommission(34) verkündete, und jetzt in Art. 15 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist(35).

52.      Hinzuweisen ist ferner darauf, dass die Menschen wie Herrn Bedi geleistete Beihilfe automatisch endet, wenn sie die Berechtigung zum Bezug einer vorgezogenen Altersrente erwerben, selbst wenn sie die Rente zu diesem Zeitpunkt möglicherweise gar nicht in Anspruch nehmen möchten. Sie mögen beispielsweise den Wunsch haben, berufstätig zu bleiben und die Rente erst bei Erreichen des normalen Renteneintrittsalters in Anspruch zu nehmen, wenn sie sie in voller Höhe beziehen könnten.

53.      Hierin dürfte in der Tat der Kern der Probleme liegen, auf die die angefochtenen nationalen Regelungen in der vorliegenden Rechtssache stoßen. Es mag zweifellos alle möglichen völlig anerkennenswerten Gründe dafür geben, warum behinderte Menschen wie Herr Bedi die Berechtigung zu einem vorgezogenen Bezug ihrer Altersrente haben sollten, wenngleich in geminderter Höhe, sofern sie von dieser Vergünstigung Gebrauch machen möchten. Sie mögen sich, wie von Deutschland vorgetragen, in einer Situation befinden, in der sie geringere Chancen haben, eine Beschäftigung zu finden, und für die ihnen gewährte finanzielle Unterstützung dankbar sind. Diese Regelungen lassen solchen Arbeitnehmern jedoch dann keine echte Wahl, wenn sie den Wunsch haben sollten, weiter zu arbeiten, und die Möglichkeit dazu haben.

54.      Stattdessen wird, sobald der behinderte Arbeitnehmer das Alter erreicht, in dem er zur Inanspruchnahme einer vorgezogenen Rente in geminderter Höhe berechtigt wäre, die Beihilfe eingestellt. Wenn er weiter arbeitet, hat er Verluste, weil er die Beihilfe verloren hat. Wenn er sich für die Inanspruchnahme der Rente entscheidet, werden ihm wahrscheinlich auch Verluste entstehen – es sei denn, die Höhe der Rente läge über der Höhe seines Arbeitslohns einschließlich der Beihilfe, was ein in der Praxis unwahrscheinliches Ergebnis sein dürfte. Was ihm nicht offensteht, ist die dritte Option, nämlich die vorgezogene Altersrente nicht in Anspruch zu nehmen, sondern weiter zu arbeiten und die Beihilfe zu beziehen. Diese dritte Option ist jedoch genau das, was einem nicht behinderten Kollegen automatisch zukommt.

55.      Aus dieser Perspektive betrachtet, führt die tarifvertraglich getroffene Regelung meines Erachtens zu einer nach der Terminologie des Gerichtshofs im Urteil Odar „übermäßigen Beeinträchtigung“ der legitimen Interessen behinderter Arbeitnehmer wie Herrn Bedi(36).

56.      Angesichts dieses Ergebnisses ist hinzuzufügen, dass dem Vorbringen Deutschlands, wonach die Wirkung einer unzulässigen Diskriminierung im Wesentlichen eine auf der Ebene des nationalen Rentensystems zu regelnde Frage sei, meines Erachtens nicht gefolgt werden kann. Wenn sie den Anforderungen der Richtlinie 2000/78 gerecht werden müssen, müssen die für die Durchführung und Anwendung des Tarifvertrags Verantwortlichen dem in einer Weise nachkommen, die keine unzulässige Diskriminierung darstellt. Der offensichtliche erste Schritt in einem Fall wie dem vorliegenden wird sein, zusätzliche Finanzmittel einzufordern, um das Problem auszuräumen. Da bisher relativ wenige Menschen in die Situation von Herrn Bedi gekommen sein werden, könnte es durchaus sein, dass die erforderlichen Gelder verfügbar werden. Sollte dies nicht so sein oder sollten die Mittel nur zur Deckung eines Teils des Fehlbetrags ausreichen, wäre die alternative – wenngleich natürlich weniger befriedigende – Lösung, die Leistungen nach dem Tarifvertrag so umzuverteilen, dass die Regelung in ihrer Gesamtheit rechtskonform ist.

57.      Folglich kann meines Erachtens nicht angenommen werden, dass die in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften die Voraussetzung der Erforderlichkeit erfüllen, so dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 nicht erfüllt ist.

58.      Es wird nicht vorgetragen, dass die weitere Ausnahme in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie, die nur für behinderte Menschen und nicht für die anderen Personengruppen gilt, die die Richtlinie schützen soll, in der vorliegenden Rechtssache einschlägig sei; ich prüfe sie daher nicht weiter.

59.      Ich komme somit zu dem Ergebnis, dass Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegensteht, welche vorsieht, dass der Bezug einer Überbrückungsbeihilfe, die auf Basis der tariflichen Grundvergütung berechnet wird und einen angemessenen Lebensunterhalt von langjährigen Arbeitnehmern sichern soll, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, für behinderte Arbeitnehmer mit der Berechtigung zum Bezug einer mit Abschlägen gewährten vorgezogenen Altersrente endet, soweit i) nicht behinderte Arbeitnehmer die Beihilfe weiter beziehen können, bis sie mit Erreichen der Regelaltersgrenze die Berechtigung zur Inanspruchnahme einer in voller Höhe gewährten Altersrente erwerben, und ii) der behinderte Arbeitnehmer nicht die Wahl hat, die Beihilfe bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze weiter zu beziehen, so dass er in gleicher Weise am Arbeitsmarkt teilnehmen kann wie seine nicht behinderten Kollegen, sondern stattdessen eine erhebliche finanzielle Einbuße auf sich nehmen muss, wenn er weiterhin für eine Beschäftigung zur Verfügung stehen möchte, bis er berechtigt ist, seine Altersrente in voller Höhe in Anspruch zu nehmen.

 Ergebnis

60.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Landesarbeitsgericht Hamm (Deutschland) vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegensteht, welche vorsieht, dass der Bezug einer Überbrückungsbeihilfe, die auf Basis der tariflichen Grundvergütung berechnet wird und einen angemessenen Lebensunterhalt von langjährigen Arbeitnehmern sichern soll, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, für behinderte Arbeitnehmer mit der Berechtigung zum Bezug einer mit Abschlägen gewährten vorgezogenen Altersrente endet, soweit i) nicht behinderte Arbeitnehmer die Überbrückungsbeihilfe weiter beziehen können, bis sie mit Erreichen der Regelaltersgrenze die Berechtigung zur Inanspruchnahme einer in voller Höhe gewährten Altersrente erwerben, und ii) der behinderte Arbeitnehmer nicht die Wahl hat, diese Beihilfe bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze weiter zu beziehen, so dass er in gleicher Weise am Arbeitsmarkt teilnehmen kann wie seine nicht behinderten Kollegen, sondern stattdessen eine erhebliche finanzielle Einbuße auf sich nehmen muss, wenn er weiterhin für eine Beschäftigung zur Verfügung stehen möchte, bis er berechtigt ist, seine Altersrente in voller Höhe in Anspruch zu nehmen.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Richtlinie vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).


3      Nach Art. 5 („Angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“) der Richtlinie 2000/78 sind Arbeitgeber verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um unter bestimmten Umständen angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung zu treffen.


4      Die vollständige Liste umfasst die belgischen, kanadischen, französischen Streitkräfte sowie die Streitkräfte des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten.


5      Vgl. Urteil vom 6. Dezember 2012, Dittrich u. a. (C‑124/11, C‑125/11 und C‑143/11, EU:C:2012:771, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).


6      Vgl. Urteil vom 6. Dezember 2012, Dittrich u. a. (C‑124/11, C‑125/11 und C‑143/11, EU:C:2012:771, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).


7      Vgl. Urteil vom 1. April 2008, Maruko (C‑267/06, EU:C:2008:179, Rn. 44).


8      Vgl. Urteil vom 2. Juni 2016, C (C‑122/15, EU:C:2016:391, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. entsprechend und im Umkehrschluss hierzu auch Urteil vom 22. November 2012, Elbal Moreno (C‑385/11, EU:C:2012:746, Rn. 19 ff.), und meine Schlussanträge in der Rechtssache Espadas Recio (C‑98/15, EU:C:2017:223, Nrn. 33 ff.).


9      Vgl. Urteil vom 2. Juni 2016, C (C‑122/15, EU:C:2016:391, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).


10      Vgl. Urteil vom 6. Dezember 2012, Dittrich u. a. (C‑124/11, C‑125/11 und C‑143/11, EU:C:2012:771, Rn. 35).


11      Vgl. Urteil vom 6. Dezember 2012, Dittrich u. a. (C‑124/11, C‑125/11 und C‑143/11, EU:C:2012:771, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung sowie Rn. 39).


12      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. April 2008, Maruko (C‑267/06, EU:C:2008:179, Rn. 48).


13      In der Rechtssache Dittrich u. a.


14      In der Rechtssache Maruko.


15      Vgl. Urteil vom 9. Dezember 2004, Hlozek (C‑19/02, EU:C:2004:779, Rn. 38).


16      Urteil vom 11. April 2013, HK Danmark (C‑335/11 und C‑337/11, EU:C:2013:222, Rn. 72).


17      Siehe oben, Nr. 31.


18      Siehe oben, Nr. 11.


19      Urteil vom 16. Februar 1982 (19/81, EU:C:1982:58).


20      Urteil vom 9. November 1993 (C‑132/92, EU:C:1993:868).


21      Urteil vom 9. Dezember 2004 (C‑19/02, EU:C:2004:779).


22      Vgl. in diesem Sinne Rn. 15 und 16 des Urteils vom 16. Februar 1982 (19/81, EU:C:1982:58).


23      Vgl. Rn. 23 des Urteils vom 9. November 1993 (C‑132/92, EU:C:1993:868).


24      Vgl. Rn. 49 des Urteils vom 9. Dezember 2004 (C‑19/02, EU:C:2004:779).


25      Urteil vom 6. Dezember 2012 (C‑152/11, EU:C:2012:772).


26      Vgl. Rn. 61 und 62 des Urteils.


27      Vgl. Rn. 61 des Urteils.


28      Deutschland trägt unter Bezug auf die Rn. 29 und 44 des Urteils vom 12. Oktober 2010, Ingeniørforeningen i Danmark (C‑499/08, EU:C:2010:600), zwei weitere Gründe vor. Dort sind berechtigte Ziele genannt, die der Gerichtshof als im Sinne von Art. 6 der Richtlinie 2000/78 zulässig anerkannt hat, der bestimmte gesonderte Bestimmungen über Ungleichbehandlungen aus Gründen des Alters regelt. Um eine Diskriminierung aus diesen Gründen geht es in der vorliegenden Rechtssache nicht. Daher gehe ich auf diese weiteren Gründe nicht näher ein.


29      Vgl. u. a. Urteil vom 6. Dezember 2012, Odar (C‑152/11, EU:C:2012:772, Rn. 43).


30      Deutschland führt insoweit die Urteile vom 6. Dezember 2012, Odar (C‑152/11, EU:C:2012:772, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 8. September 2011, Hennigs (C‑297/10 und C‑298/10, EU:C:2011:560, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung), an.


31      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Mai 1995, Royal Copenhagen (C‑400/93, EU:C:1995:155, Rn. 46).


32      Urteil vom 8. September 2011 (C‑297/10 und C‑298/10, EU:C:2011:560, Rn. 65).


33      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Dezember 2012, Odar (C‑152/11, EU:C:2012:772, Rn. 67).


34      Urteil vom 14. Mai 1974 (4/73, EU:C:1974:51, Rn. 12 bis 14).


35      ABl. 2010, C 83, S. 389.


36      Vgl. Urteil vom 6. Dezember 2012 (C‑152/11, EU:C:2012:772, Rn. 70).