Language of document : ECLI:EU:C:2016:879

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

16. November 2016(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Dienstleistungsverkehr – Richtlinie 2006/123/EG – Art. 13 Abs. 2 – Genehmigungsverfahren – Begriff der mit dem Antrag entstehenden Kosten“

In der Rechtssache C‑316/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) mit Entscheidung vom 22. Juni 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juni 2015, in dem Verfahren

The Queen, auf Antrag von

Timothy Martin Hemming, unter der Firma „Simply Pleasure Ltd“ handelnd,

James Alan Poulton,

Harmony Ltd,

Gatisle Ltd, unter der Firma „Janus“ handelnd,

Winart Publications Ltd,

Darker Enterprises Ltd,

Swish Publications Ltd

gegen

Westminster City Council,

Beteiligte:

The Architects’ Registration Board,

The Solicitors’ Regulation Authority,

The Bar Standards Board,

The Care Quality Commission,

The Farriers’ Registration Council,

The Law Society,

The Bar Council,

The Local Government Association,

Her Majesty’s Treasury,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter M. Vilaras, J. Malenovský, M. Safjan (Berichterstatter) und D. Švaby,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Hemming, unter der Firma „Simply Pleasure Ltd“ handelnd, Herrn Poulton, der Harmony Ltd, der Gatisle Ltd, unter der Firma „Janus“ handelnd, der Winart Publications Ltd, der Darker Enterprises Ltd und der Swish Publications Ltd, vertreten durch T. Johnston und M. Hutchings, Barristers, P. Kolvin, QC, V. Wakefield, Barrister, sowie A. Milner und S. Dillon, Solicitors,

–        des Westminster City Council, vertreten durch H. Davies als Bevollmächtigte im Beistand von D. Matthias, QC, N. Lieven, QC, sowie J. Lean und C. Streeten, Barristers,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman, B. Koopman und M. Gijzen als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe und T. Scharf als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Juli 2016

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36, im Folgenden: Dienstleistungsrichtlinie).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Timothy Martin Hemming, unter der Firma „Simply Pleasure Ltd“ handelnd, James Alan Poulton, der Harmony Ltd, der Gatisle Ltd, unter der Firma „Janus“ handelnd, der Winart Publications Ltd, der Darker Enterprises Ltd und der Swish Publications Ltd (im Folgenden zusammen: Herr Hemming u. a.) einerseits und dem Westminster City Council (Stadtrat von Westminster, Vereinigtes Königreich) andererseits über eine bei Stellung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung einer Lizenz für einen Betrieb des Erotikgewerbes zu zahlende Gebühr.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Erwägungsgründe 39, 42, 43 und 49 der Dienstleistungsrichtlinie lauten:

„(39) Der Begriff der Genehmigungsregelung sollte unter anderem die Verwaltungsverfahren, in denen Genehmigungen, Lizenzen, Zulassungen oder Konzessionen erteilt werden, erfassen sowie die Verpflichtung zur Eintragung bei einer Berufskammer oder in einem Berufsregister, einer Berufsrolle oder einer Datenbank, die Zulassung durch eine Einrichtung oder den Besitz eines Ausweises, der die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Beruf bescheinigt, falls diese Voraussetzung dafür sind, eine Tätigkeit ausüben zu können. Die Erteilung einer Genehmigung kann nicht nur durch eine förmliche Entscheidung erfolgen, sondern auch durch eine stillschweigende Entscheidung, beispielsweise, wenn die zuständige Behörde nicht reagiert oder der Antragsteller die Empfangsbestätigung einer Erklärung abwarten muss, um eine Tätigkeit aufnehmen oder sie rechtmäßig ausüben zu können.

(42)      Die Bestimmungen in Bezug auf Verwaltungsverfahren sollten nicht darauf abzielen, die Verwaltungsverfahren zu harmonisieren, sondern darauf, übermäßig schwerfällige Genehmigungsregelungen, ‑verfahren und ‑formalitäten zu beseitigen, die die Niederlassungsfreiheit und die daraus resultierende Gründung neuer Dienstleistungsunternehmen behindern.

(43)      Eine der grundlegenden Schwierigkeiten bei der Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten, insbesondere für [kleine und mittlere Unternehmen (KMU)], besteht in der Komplexität, Langwierigkeit und mangelnden Rechtssicherheit der Verwaltungsverfahren. Deshalb sind, nach dem Vorbild einiger Initiativen zur Modernisierung und Verbesserung der Verwaltungspraxis auf Gemeinschaftsebene und auf nationaler Ebene, Grundsätze für die Verwaltungsvereinfachung aufzustellen, unter anderem durch die Beschränkung der Pflicht zur Vorabgenehmigung auf die Fälle, in denen diese unerlässlich ist, und die Einführung des Grundsatzes, wonach eine Genehmigung nach Ablauf einer bestimmten Frist als von den zuständigen Behörden stillschweigend erteilt gilt. Eine solche Modernisierung soll – bei gleichzeitiger Sicherstellung der Transparenz und ständiger Aktualisierung der Informationen über die Marktteilnehmer – die Verzögerungen, Kosten und abschreckende Wirkung beseitigen, die beispielsweise durch überflüssige oder zu komplexe und aufwändige Verfahren, Mehrfachanforderungen, überzogene Formerfordernisse für Unterlagen, willkürliche Ausübung von Befugnissen der zuständigen Behörden, vage oder überlange Fristen bis zur Erteilung einer Antwort, die Befristung von erteilten Genehmigungen oder unverhältnismäßige Gebühren und Sanktionen verursacht werden. Die betreffenden Verwaltungspraktiken schrecken ganz besonders Dienstleistungserbringer ab, die in anderen Mitgliedstaaten tätig sein wollen, und erfordern deshalb eine koordinierte Modernisierung in einem auf 25 Mitgliedstaaten erweiterten Binnenmarkt.

(49)      Die Gebühr, die die einheitlichen Ansprechpartner erheben können, sollte in einem angemessenen Verhältnis zu den Kosten der entsprechenden Verfahren und Formalitäten stehen. Dies sollte die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, die einheitlichen Ansprechpartner zu ermächtigen, andere Verwaltungsgebühren wie etwa die Gebühren für die Aufsichtsorgane zu erheben.“

4        In Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Diese Richtlinie enthält allgemeine Bestimmungen, die bei gleichzeitiger Gewährleistung einer hohen Qualität der Dienstleistungen die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit durch Dienstleistungserbringer sowie den freien Dienstleistungsverkehr erleichtern sollen.“

5        Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie definiert „Genehmigungsregelung“ als „jedes Verfahren, das einen Dienstleistungserbringer oder ‑empfänger verpflichtet, bei einer zuständigen Behörde eine förmliche oder stillschweigende Entscheidung über die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit zu erwirken“.

6        Art. 9 („Genehmigungsregelungen“) der Richtlinie sieht in Abs. 1 vor:

„Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit nur dann Genehmigungsregelungen unterwerfen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

a)      [D]ie Genehmigungsregelungen sind für den betreffenden Dienstleistungserbringer nicht diskriminierend;

b)      die Genehmigungsregelungen sind durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt;

c)      das angestrebte Ziel kann nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden, insbesondere weil eine nachträgliche Kontrolle zu spät erfolgen würde, um wirksam zu sein.“

7        Art. 10 („Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung“) der Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Genehmigungsregelungen müssen auf Kriterien beruhen, die eine willkürliche Ausübung des Ermessens der zuständigen Behörden verhindern.

(2)      Die in Absatz 1 genannten Kriterien müssen:

a)      nicht diskriminierend sein;

b)      durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein;

c)      in Bezug auf diesen Grund des Allgemeininteresses verhältnismäßig sein;

d)      klar und unzweideutig sein;

e)      objektiv sein;

f)      im Voraus bekannt gemacht werden;

g)      transparent und zugänglich sein.

…“

8        Art. 11 („Geltungsdauer der Genehmigung“) der Richtlinie sieht vor:

„(1)      Die dem Dienstleistungserbringer erteilte Genehmigung darf nicht befristet werden, es sei denn:

a)      [D]ie Genehmigung wird automatisch verlängert oder hängt lediglich von der fortbestehenden Erfüllung der Anforderungen ab[,]

b)      die Zahl der verfügbaren Genehmigungen ist durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses begrenzt,

oder

c)      eine Befristung ist durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt.

(4)      Dieser Artikel lässt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, Genehmigungen zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung nicht mehr erfüllt sind.“

9        Art. 13 („Genehmigungsverfahren“) der Richtlinie bestimmt in Abs. 2:

„Die Genehmigungsverfahren und ‑formalitäten dürfen weder abschreckend sein noch die Erbringung der Dienstleistung in unangemessener Weise erschweren oder verzögern. Sie müssen leicht zugänglich sein, und eventuelle dem Antragsteller mit dem Antrag entstehende Kosten müssen vertretbar und zu den Kosten der Genehmigungsverfahren verhältnismäßig sein und dürfen die Kosten der Verfahren nicht übersteigen.“

10      Art. 14 („Unzulässige Anforderungen“) der Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht von einer der folgenden Anforderungen abhängig machen:

6.      der direkten oder indirekten Beteiligung von konkurrierenden Marktteilnehmern, einschließlich in Beratungsgremien, an der Erteilung von Genehmigungen oder dem Erlass anderer Entscheidungen der zuständigen Behörden, mit Ausnahme der Berufsverbände und ‑vereinigungen oder anderen Berufsorganisationen, die als zuständige Behörde fungieren; dieses Verbot gilt weder für die Anhörung von Organisationen wie Handelskammern oder Sozialpartnern zu Fragen, die nicht einzelne Genehmigungsanträge betreffen, noch für die Anhörung der Öffentlichkeit;

7.      der Pflicht, eine finanzielle Sicherheit zu stellen oder sich daran zu beteiligen, oder eine Versicherung bei einem Dienstleistungserbringer oder einer Einrichtung, die in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassen sind, abzuschließen. Dies berührt weder die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Versicherungen oder finanzielle Sicherheiten als solche zu verlangen, noch Anforderungen, die sich auf die Beteiligung an einem kollektiven Ausgleichsfonds, z. B. für Mitglieder von Berufsverbänden oder ‑organisationen, beziehen;

…“

 Das Recht des Vereinigten Königreichs

11      Regulation 4 der Provision of Services Regulations 2009 (Verordnung von 2009 über die Dienstleistungserbringung) zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie bestimmt:

„‚Genehmigungsregelung‘ bezeichnet jede Regelung, nach der ein Dienstleistungserbringer oder ‑empfänger verpflichtet ist, bei einer zuständigen Behörde eine Genehmigung für die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit zu erwirken oder sie ihr anzuzeigen“.

12      Regulation 18 Abs. 2 bis 4 dieser Verordnung lautet:

„(2)      Die von einer zuständigen Behörde im Rahmen einer Genehmigungsregelung vorgesehenen Genehmigungsverfahren und ‑formalitäten dürfen nicht

a)      abschreckend sein oder

b)      die Erbringung der Dienstleistung in unangemessener Weise erschweren oder verzögern.

(3)      Die von einer zuständigen Behörde im Rahmen einer Genehmigungsregelung vorgesehenen Genehmigungsverfahren und ‑formalitäten müssen leicht zugänglich sein.

(4)      Eventuelle von einer zuständigen Behörde vorgesehene Kosten, die dem Antragsteller im Rahmen einer Genehmigungsregelung entstehen, müssen vertretbar sein und im Verhältnis zu den Kosten der in der Regelung vorgesehenen Genehmigungsverfahren und ‑formalitäten stehen, und sie dürfen die Kosten dieser Genehmigungsverfahren und ‑formalitäten nicht übersteigen.“

13      Paragraph 19 des Anhangs 3 des Local Government (Miscellaneous Provisions) Act 1982 (Gesetz über verschiedene Bestimmungen für die Kommunalverwaltung von 1982) sieht vor, dass eine Person, die einen Antrag auf Erteilung oder Verlängerung einer Lizenz stellt, eine von der zuständigen Behörde festgelegte angemessene Gebühr entrichtet.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

14      Der Stadtrat von Westminster ist die für die Erteilung von Lizenzen für Betriebe des Erotikgewerbes einschließlich „Sexshops“ in Westminster zuständige Behörde. Herr Hemming u. a. waren während des gesamten im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraums Inhaber von Lizenzen für Sexshops in Westminster.

15      Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass während dieses Zeitraums im Einklang mit Paragraph 19 des Anhangs 3 des Gesetzes über verschiedene Bestimmungen für die Kommunalverwaltung von 1982 eine Gebühr nicht nur erhoben werden konnte, um die Kosten der Bearbeitung der Anträge auf Erteilung oder Verlängerung einer Lizenz eines Betriebs des Erotikgewerbes zu decken, sondern auch zur Deckung der Kosten der Kontrolle der Räumlichkeiten nach der Erteilung von Lizenzen zum Zweck der „aufmerksamen Überwachung“, um diejenigen zu identifizieren und zu verfolgen, die Betriebe des Erotikgewerbes ohne Lizenzen führen.

16      Wer einen Antrag auf Erteilung oder Verlängerung einer Lizenz für einen Betrieb des Erotikgewerbes für ein beliebiges Jahr stellte, hatte so eine Gebühr zu entrichten, die aus zwei Teilen bestand, einem – nicht erstattungsfähigen – für die Antragsbearbeitung und einem (sehr viel höheren) für die Verwaltung der Lizenzregelung, der bei einer Ablehnung des Antrags von der Behörde erstattet wurde. Der Gesamtbetrag der Gebühr betrug beispielsweise für das Jahr 2011/2012 29 102 Pfund Sterling (GBP) (etwa 37 700 Euro) für jeden Antragsteller, davon 2 667 GBP (etwa 3 455 Euro) für die Bearbeitung des Lizenzantrags, die nicht erstattungsfähig waren, während die weiteren 26 435 GBP (etwa 34 245 Euro) für die Verwaltung der Lizenzregelung bei einer Ablehnung des Antrags zu erstatten waren.

17      Nach der Auffassung von Herrn Hemming u. a. durfte der Stadtrat von Westminster die Zahlung dieses zweiten Teils der Gebühr nicht verlangen. Die entsprechenden Beträge würden, auch wenn sie bei einer Ablehnung des Antrags zu erstatten seien, aufgrund von Kosten geschuldet, die in Verbindung mit der Durchführung der Lizenzregelung stünden, ohne eine Verbindung mit den Kosten der Bearbeitung der Anträge aufzuweisen, und hätten aus den allgemeinen Haushaltsmitteln des Stadtrats von Westminster beglichen werden müssen oder nur von den Wirtschaftsteilnehmern verlangt werden dürfen, deren Antrag stattgegeben worden sei.

18      Herr Hemming u. a. obsiegten vor den Gerichten des Vereinigten Königreichs, bei denen sie Klage erhoben hatten. Diese gingen davon aus, dass Art. 13 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie die Kosten sowohl für die Antragsteller erfasse, deren Antrag stattgegeben werde, als auch für die, deren Antrag abgelehnt werde, und eine Genehmigungsbehörde daran hindere, unterschiedslos sowohl den Antragstellern, die Lizenzen erhielten, als auch denen, deren Antrag abgelehnt werde, die Kosten für die Ermittlung und Verfolgung von Personen aufzuerlegen, die in Westminster ohne Lizenz Betriebe des Erotikgewerbes führten.

19      Daher könnten Antragstellern, die keine Lizenz erhielten, lediglich die Kosten für die Bearbeitung ihres Antrags einschließlich der Prüfung ihrer Fähigkeit zur Führung eines Betriebs des Erotikgewerbes auferlegt werden, während Antragstellern, die eine Lizenz erhielten, nur ähnliche Kosten auferlegt werden könnten und – bei einer Verlängerung ihrer Lizenz – die Kosten für die Überwachung der Einhaltung der an ihre Lizenz geknüpften Bedingungen in der Vergangenheit.

20      Das vorlegende Gericht, das mit einem Rechtsmittel gegen das Urteil des Court of Appeal (England & Wales) (Civil division) (Berufungsgericht [England & Wales] [Abteilung für Zivilsachen], Vereinigtes Königreich) befasst ist, geht davon aus, dass der vor ihm angegriffene Ansatz zur Folge habe, dass die mit der Verwaltung der Lizenzregelung betraute Behörde die Kosten für das Funktionieren dieser Regelung zugunsten der Wirtschaftsteilnehmer, die eine Lizenz erhalten hätten, zu tragen habe, da diese Behörde einen Antragsteller – auch wenn die entsprechende Verwaltung den Inhabern von lizensierten Betrieben des Erotikgewerbes zugutekomme – nicht verpflichten könne, zu den Kosten beizutragen, die sich aus der Anwendung dieser Regelung auf Inhaber von Betrieben des Erotikgewerbes ergäben, die über keine Lizenz verfügten. Hierfür habe diese Behörde auf ihre allgemeinen Haushaltsmittel zurückzugreifen.

21      Dieses Gericht fragt sich, welche Lösung für andere Regulierungsbehörden oder Berufsorganisationen denkbar wäre, die auf ähnliche Regelungen zurückgreifen und die möglicherweise weder über allgemeine Haushaltsmittel noch die Befugnis verfügen, auf die eine oder die andere Weise Mittel einzunehmen.

22      Das vorlegende Gericht ist davon überzeugt, dass eine Regelung, nach der ein Antragsteller eine weitere Gebühr zur Deckung der Kosten der Funktion und Überwachung der Lizenzregelung zu zahlen hat, wenn seinem Antrag entsprochen wurde, mit Art. 13 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie vereinbar ist, es fragt sich jedoch, ob die vom Stadtrat von Westminster angewandte Regelung mit dieser Bestimmung vereinbar ist.

23      Dieses Gericht weist allerdings darauf hin, dass es über keinerlei Anhaltspunkte verfüge, die dafür sprächen, dass eine Pflicht, mit dem Antrag einen bei Ablehnung des Antrags zu erstattenden Betrag zu zahlen, geeignet wäre, Wirtschaftsteilnehmer davon abzuschrecken, einen Antrag auf eine Lizenz für einen Betrieb des Erotikgewerbes zu stellen.

24      Schließlich fragt sich das vorlegende Gericht, ob die geforderte Vorauszahlung eines Betrags in Erwartung einer Entscheidung über die Erteilung oder die Verweigerung einer Lizenz für den Antragsteller tatsächlich Kosten darstellt.

25      Unter diesen Umständen hat der Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

In Fällen, in denen ein Antragsteller für die Erteilung oder Verlängerung einer Lizenz zur Führung eines Betriebs des Erotikgewerbes eine aus zwei Teilen bestehende Gebühr zu zahlen hat, von der ein Teil die Antragsbearbeitung betrifft und nicht erstattungsfähig ist und der andere Teil die Verwaltung der Lizenzregelung betrifft und im Fall der Ablehnung des Antrags zurückzuerstatten ist,

1.      bedeutet das Erfordernis, eine Gebühr einschließlich des zweiten erstattungsfähigen Teils zu zahlen, nach Unionsrecht ohne Weiteres, dass den Rechtsmittelbeklagten aufgrund ihrer Anträge Kosten entstanden, die gegen Art. 13 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie verstießen, soweit sie die Kosten für die Bearbeitung des Antrags überstiegen;

2.      hängt der Schluss, dass ein solches Erfordernis als mit Kosten verbunden angesehen werden sollte – oder, falls es so angesehen werden sollte, mit Kosten, die die Kosten für die Bearbeitung des Antrags übersteigen –, von weiteren (und gegebenenfalls von welchen) Umständen ab, wie etwa

a)      dem Nachweis, dass die Zahlung des zweiten erstattungsfähigen Teils für einen Antragsteller mit gewissen Kosten oder Verlusten verbunden wäre oder wahrscheinlich verbunden wäre,

b)      der Höhe des zweiten erstattungsfähigen Teils und des Zeitraums bis zu seiner Rückerstattung oder

c)      eventuellen Einsparungen bei den Kosten für die Bearbeitung von Anträgen (und damit bei ihren nicht erstattungsfähigen Kosten), die darauf zurückzuführen sind, dass von allen Antragstellern verlangt wird, beide Teile der Gebühr im Voraus zu zahlen?

 Zu den Vorlagefragen

26      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dem Erfordernis einer zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung einer Genehmigung zu entrichtenden Gebühr, von der ein Teil den mit der Verwaltung und Durchsetzung der betreffenden Genehmigungsregelung verbundenen Kosten entspricht, auch dann entgegensteht, wenn dieser Teil bei einer Ablehnung des Antrags zu erstatten ist.

27      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteil vom 14. Juli 2016, Verband Sozialer Wettbewerb, C‑19/15, EU:C:2016:563, Rn. 23).

28      Hierzu ist unmittelbar darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob die von einem Antragsteller geschuldete Gebühr bei einer Ablehnung seines Lizenzantrags zu erstatten ist, für die Einstufung als Kosten im Sinne von Art. 13 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie ohne Belang ist. Dass eine Gebühr zu zahlen ist, stellt nämlich eine finanzielle Verpflichtung und damit – unabhängig von dem Umstand, dass der Betrag im Fall einer Ablehnung dieses Antrags später zurückerlangt werden kann – Kosten dar, die der Antragsteller zu tragen hat, damit sein Antrag berücksichtigt wird. Dies gilt umso mehr, als das Ziel dieses Artikels, im Licht der Erwägungsgründe 39, 42 und 43 dieser Richtlinie betrachtet, darin besteht, dass vermieden werden soll, dass bestimmte Aspekte der Genehmigungsverfahren und ‑formalitäten vom Zugang zu Dienstleistungstätigkeiten abschrecken.

29      Um mit Art. 13 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie vereinbar zu sein, müssen die Kosten nach dem Wortlaut dieser Bestimmung vertretbar und zu den Kosten der Genehmigungsverfahren verhältnismäßig sein und dürfen die Kosten der Verfahren nicht übersteigen.

30      Da der Betrag solcher Kosten in Anbetracht dieser Anforderungen die Kosten des in Rede stehenden Genehmigungsverfahrens keinesfalls übersteigen darf, ist zu prüfen, ob die mit der Verwaltung und Durchsetzung der Genehmigungsregelung insgesamt verbundenen Kosten unter den Begriff „Kosten der Verfahren“ fallen können.

31      Der Gerichtshof hatte zwar noch keine Gelegenheit, diesen Begriff im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie auszulegen, in einem anderen Zusammenhang hat er aber bereits klargestellt, dass ein Mitgliedstaat bei der Bemessung von Abgaben mit Gebührencharakter nicht nur die Sach- und Lohnkosten berücksichtigen kann, die unmittelbar mit der Durchführung der Vorgänge, für die sie die Gegenleistung darstellen, verbunden sind, sondern auch den auf diese Vorgänge entfallenden Teil der allgemeinen Kosten der zuständigen Verwaltung (Urteil vom 2. Dezember 1997, Fantask u. a., C‑188/95, EU:C:1997:580, Rn. 30).

32      Im Übrigen hatte der Gerichtshof im Hinblick auf eine Bestimmung des Unionsrechts, die ausdrücklich eine Berücksichtigung der Kosten der Erteilung, der Verwaltung und der Kontrolle von Einzelgenehmigungen erlaubte, zudem bereits Gelegenheit, klarzustellen, dass die berücksichtigten Kosten nicht die Ausgaben für die allgemeine Überwachungstätigkeit der betreffenden Behörde einschließen dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2006, i‑21 Germany und Arcor, C‑392/04 und C‑422/04, EU:C:2006:586, Rn. 34 und 35).

33      Diese Erwägung gilt erst recht für Art. 13 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie, in dem zum einen lediglich auf die „Kosten der Verfahren“ abgestellt und mit dem zum anderen das Ziel verfolgt wird, den Zugang zu Dienstleistungstätigkeiten zu erleichtern. Diesem Ziel wäre nämlich mit dem Erfordernis einer Vorfinanzierung der Kosten der Verwaltung und Durchsetzung der betreffenden Genehmigungsregelung unter Einschluss u. a. der Kosten für die Ermittlung und Verfolgung nicht genehmigter Tätigkeiten nicht gedient.

34      Daher ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 13 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dem Erfordernis einer zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung einer Genehmigung zu entrichtenden Gebühr, von der ein Teil den mit der Verwaltung und Durchsetzung der betreffenden Genehmigungsregelung verbundenen Kosten entspricht, auch dann entgegensteht, wenn dieser Teil bei einer Ablehnung des Antrags zu erstatten ist.

 Kosten

35      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dem Erfordernis einer zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung einer Genehmigung zu entrichtenden Gebühr, von der ein Teil den mit der Verwaltung und Durchsetzung der betreffenden Genehmigungsregelung verbundenen Kosten entspricht, auch dann entgegensteht, wenn dieser Teil bei einer Ablehnung des Antrags zu erstatten ist.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.