Language of document : ECLI:EU:C:2016:613

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

28. Juli 2016(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Europäischen Union – Richtlinie 2003/87/EG – Zeitlicher Geltungsbereich – Zeitpunkt des Beginns der Emissionshandelspflicht – Art. 3 – Anhang I – Begriff ‚Anlage‘ – Tätigkeit der Verbrennung von Brennstoffen in Anlagen mit einer Gesamtfeuerungswärmeleistung von über 20 MW“

In der Rechtssache C‑457/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Berlin (Deutschland) mit Entscheidung vom 12. März 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 28. August 2015, in dem Verfahren

Vattenfall Europe Generation AG

gegen

Bundesrepublik Deutschland

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter J.‑C. Bonichot (Berichterstatter) und S. Rodin,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Vattenfall Europe Generation AG, vertreten durch Rechtsanwalt M. Ehrmann,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch E. White und K. Herrmann als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Anhangs I der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. 2003, L 275, S. 32) in der durch die Richtlinie 2009/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 (ABl. 2009, L 140, S. 63) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2003/87) sowie von Art. 19 Abs. 2 des Beschlusses 2011/278/EU der Kommission vom 27. April 2011 zur Festlegung EU-weiter Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten gemäß Artikel 10a der Richtlinie 2003/87 (ABl. 2011, L 130, S. 1).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vattenfall Europe Generation AG (im Folgenden: Vattenfall) und der Bundesrepublik Deutschland wegen der Bestimmung des Zeitpunkts, ab dem bei einer Anlage zur Stromerzeugung die in der Richtlinie 2003/87 vorgesehene Verpflichtung zur Berichterstattung und zur Abgabe von Treibhausgasemissionszertifikaten (im Folgenden: Zertifikate) beginnt.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2003/87

3        Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 lautet:

„Diese Richtlinie gilt für die Emissionen aus den in Anhang I aufgeführten Tätigkeiten und die Emissionen der in Anhang II aufgeführten Treibhausgase.“

4        Art. 3 der Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

b)      ‚Emissionen‘ die Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre aus Quellen in einer Anlage;

e)      ‚Anlage‘ eine ortsfeste technische Einheit, in der eine oder mehrere der in Anhang I genannten Tätigkeiten sowie andere unmittelbar damit verbundene Tätigkeiten durchgeführt werden, die mit den an diesem Standort durchgeführten Tätigkeiten in einem technischen Zusammenhang stehen und die Auswirkungen auf die Emissionen und die Umweltverschmutzung haben können;

t)      ‚Verbrennung‘ die Oxidierung von Brennstoffen ungeachtet der Art und Weise, auf welche die Wärme, der Strom oder die mechanische Arbeit, die in diesem Verfahren erzeugt werden, genutzt wird[,] sowie alle sonstigen unmittelbar damit zusammenhängenden Tätigkeiten einschließlich der Abgasreinigung;

u)      ‚Stromerzeuger‘ eine Anlage, die am 1. Januar 2005 oder danach Strom zum Verkauf an Dritte erzeugt hat und in der keine anderen Tätigkeiten gemäß Anhang I als die ‚Verbrennung von Brennstoffen‘ durchgeführt werden.“

5        Art. 4 der Richtlinie 2003/87 lautet:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ab dem 1. Januar 2005 keine Anlage die in Anhang I genannten Tätigkeiten, bei denen die für diese Tätigkeit spezifizierten Emissionen entstehen, durchführt, es sei denn, der Betreiber verfügt über eine Genehmigung, die von einer zuständigen Behörde gemäß den Artikeln 5 und 6 erteilt wurde, oder die Anlage wurde gemäß Artikel 27 vom Gemeinschaftssystem ausgeschlossen. Dies gilt auch für Anlagen, die gemäß Artikel 24 in das Gemeinschaftssystem einbezogen werden.“

6        Nach Art. 6 der Richtlinie 2003/87 gilt:

„(1)      Die zuständige Behörde erteilt eine Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen, durch die die Emission von Treibhausgasen aus der gesamten Anlage oder aus Teilen davon genehmigt wird, wenn sie davon überzeugt ist, dass der Betreiber in der Lage ist, die Emissionen zu überwachen und darüber Bericht zu erstatten.

(2)      Genehmigungen zur Emission von Treibhausgasen enthalten folgende Angaben:

a)      Name und Anschrift des Betreibers,

b)      Beschreibung der Tätigkeiten und Emissionen der Anlage,

e)      eine Verpflichtung zur Abgabe von nicht gemäß Kapitel II vergebenen Zertifikaten in Höhe der nach Artikel 15 geprüften Gesamtemissionen der Anlage in jedem Kalenderjahr binnen vier Monaten nach Jahresende.“

7        Art. 10a Abs. 3 dieser Richtlinie sieht Folgendes vor:

„Vorbehaltlich der Absätze 4 und 8 und unbeschadet von Artikel 10c erfolgt keine kostenlose Zuteilung für Stromerzeuger, Anlagen zur Abscheidung von CO2, Pipelines für die Beförderung von CO2 oder CO2-Speicherstätten.“

8        Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Betreiber für jede Anlage bis zum 30. April jeden Jahres eine Anzahl von nicht gemäß Kapitel II vergebenen Zertifikaten abgibt, die den nach Artikel 15 geprüften Gesamtemissionen der Anlage im vorhergehenden Kalenderjahr entspricht, und dass diese Zertifikate anschließend gelöscht werden.“

9        Art. 14 der Richtlinie 2003/87 bestimmt:

„(1)      Die Kommission erlässt bis 31. Dezember 2011 eine Verordnung über die Überwachung von und Berichterstattung über Emissionen …, die auf den in Anhang IV dargestellten Grundsätzen für die Überwachung und Berichterstattung basiert und in den Überwachungs- und Berichterstattungsanforderungen für die einzelnen Treibhausgase das Erderwärmungspotenzial der betreffenden Gase angibt.

Diese Maßnahme zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung wird nach dem in Artikel 23 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

(3)      Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass jeder Betreiber einer Anlage oder eines Luftfahrzeugs die Emissionen dieser Anlage in dem betreffenden Kalenderjahr bzw. die Emissionen dieses Luftfahrzeugs ab dem 1. Januar 2010 nach Maßgabe der Verordnung gemäß Absatz 1 überwacht und der zuständigen Behörde nach Ende jedes Kalenderjahres darüber Bericht erstattet.

…“

10      In Anhang I der Richtlinie 2003/87 werden die Kategorien von Tätigkeiten aufgeführt, die in ihren Geltungsbereich fallen. Zu diesen Tätigkeiten gehört u. a. die „Verbrennung von Brennstoffen in Anlagen mit einer Gesamtfeuerungswärmeleistung von über 20 MW (ausgenommen Anlagen für die Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen)“.

 Beschluss 2011/278

11      Der 31. Erwägungsgrund des Beschlusses 2011/278 lautet:

„In Anbetracht der Tatsache, dass die Vollauktionierung ab 2013 für den Stromsektor die Regel sein soll, auch unter Berücksichtigung der Fähigkeit des Sektors, die erhöhten CO2-Preise abzuwälzen, und dass für die Stromerzeugung keine kostenlose Zuteilung erfolgen sollte, ausgenommen eine übergangsweise kostenlose Zuteilung zur Modernisierung der Stromerzeugung und für aus Restgasen erzeugten Strom, sollte dieser Beschluss die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten für die Stromerzeugung oder den Stromverbrauch ausschließen. Dennoch können die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 10a Absatz 6 der Richtlinie [2003/87] zugunsten der Sektoren bzw. Teilsektoren, bei denen von einem erheblichen Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionen durch auf den Strompreis übergewälzte Kosten der Treibhausgasemissionen ausgegangen wird, finanzielle Maßnahmen einführen, um diese Kosten auszugleichen, sofern dies mit den geltenden Regeln für staatliche Beihilfen, die von der Kommission auf diesem Gebiet festzulegen sind, vereinbar ist.“

12      Art. 1 dieses Beschlusses sieht vor:

„Dieser Beschluss enthält EU-weite Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten gemäß der Richtlinie [2003/87] ab dem Jahr 2013.“

13      Art. 19 („Zuteilung an neue Marktteilnehmer“) des Beschlusses bestimmt:

„(1)      Für die Zuteilung von Emissionszertifikaten an neue Marktteilnehmer, ausgenommen Zuteilungen an Anlagen gemäß Artikel 3 Buchstabe h dritter Gedankenstrich der Richtlinie [2003/87], berechnen die Mitgliedstaaten die vorläufige jährliche Anzahl der bei Aufnahme des Normalbetriebs der Anlage kostenlos zuzuteilenden Emissionszertifikate wie folgt und für jeden Anlagenteil separat:

c)      für jeden Anlagenteil mit Brennstoff-Benchmark entspricht die vorläufige jährliche Anzahl der für ein gegebenes Jahr kostenlos zuzuteilenden Emissionszertifikate dem Wert der Brennstoff-Benchmark gemäß Anhang I, multipliziert mit der brennstoffbezogenen Aktivitätsrate;

(2)      Für unabhängig geprüfte Emissionen, die vor Aufnahme des Normalbetriebs erfolgt sind, werden dem neuen Marktteilnehmer auf Basis der in Tonnen CO2-Äquivalent angegebenen historischen Emissionen zusätzliche Zertifikate zugeteilt.

…“

 Verordnung (EU) Nr. 601/2012

14      Art. 5 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 601/2012 der Kommission vom 21. Juni 2012 über die Überwachung von und die Berichterstattung über Treibhausgasemissionen gemäß der Richtlinie 2003/87 (ABl. 2012, L 181, S. 30) sieht vor:

„Die Überwachung und Berichterstattung ist vollständig und berücksichtigt alle Prozessemissionen und Emissionen aus der Verbrennung aus sämtlichen Emissionsquellen und Stoffströmen im Zusammenhang mit Tätigkeiten gemäß Anhang I der Richtlinie [2003/87] und anderen gemäß Artikel 24 der Richtlinie einbezogenen relevanten Tätigkeiten sowie alle Treibhausgasemissionen, die für diese Tätigkeiten aufgelistet sind, wobei Doppelerfassungen zu vermeiden sind.“

15      Art. 20 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Der Anlagenbetreiber bestimmt die Grenzen der Überwachung für jede Anlage.

Innerhalb dieser Grenzen bezieht der Anlagenbetreiber alle relevanten Treibhausgasemissionen aus allen Emissionsquellen und Stoffströmen, die den in der Anlage durchgeführten Tätigkeiten gemäß Anhang I der Richtlinie [2003/87] zugeordnet sind, sowie Tätigkeiten und Treibhausgase ein, die ein Mitgliedstaat gemäß Artikel 24 der Richtlinie [2003/87] einseitig einbezogen hat.

Außerdem bezieht der Anlagenbetreiber Emissionen infolge des regulären Betriebs sowie Emissionen infolge außergewöhnlicher Vorgänge wie Inbetriebnahme/Stilllegung oder Notfallsituationen innerhalb des Berichtszeitraums ein, ausgenommen Emissionen aus fahrbaren Maschinen für Beförderungszwecke.“

 Deutsches Recht

16      § 2 Abs. 1 des Gesetzes über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen vom 21. Juli 2011 (BGBl. I 2011, S. 1475, im Folgenden: TEHG) sieht vor:

„Dieses Gesetz gilt für die Emission der in Anhang 1 Teil 2 genannten Treibhausgase durch die dort genannten Tätigkeiten. …“

17      Anhang 1 Teil 2 TEHG lautet:

„Nr. 1 Verbrennungseinheiten zur Verbrennung von Brennstoffen mit einer Gesamtfeuerungswärmeleistung von insgesamt 20 MW oder mehr in einer Anlage, soweit nicht von einer der nachfolgenden Nummern erfasst

Nr. 2 Anlagen zur Erzeugung von Strom, Dampf, Warmwasser, Prozesswärme oder erhitztem Abgas durch den Einsatz von Brennstoffen in einer Verbrennungseinrichtung (wie Kraftwerk, Heizkraftwerk, Heizwerk, Gasturbinenanlage, Verbrennungsmotoranlage, sonstige Feuerungsanlage), einschließlich zugehöriger Dampfkessel, mit einer Feuerungswärmeleistung von 50 MW oder mehr“.

18      § 18 Abs. 4 der Verordnung über die Zuteilung von Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Handelsperiode 2013 bis 2020 vom 26. September 2011 (BGBl. I 2011, S. 1921) bestimmt:

„Für Emissionen der Zuteilungselemente, die vor Aufnahme des Regelbetriebs erfolgt sind, werden für die Neuanlage auf Basis dieser in Tonnen Kohlendioxid-Äquivalent angegebenen Emissionen zusätzliche Berechtigungen zugeteilt.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

19      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Vattenfall die Betreiberin eines neu erbauten Kraftwerks in Moorburg nahe Hamburg (Deutschland) ist. Die Feuerungswärmeleistung dieses mit Steinkohle befeuerten Kraftwerks beträgt 3 700 MW.

20      Mit zwei Schreiben vom 7. August und vom 3. September 2013 teilte Vattenfall der Deutschen Emissionshandelsstelle im Umweltbundesamt mit, dass sich das Kraftwerk Moorburg noch in der Phase der Errichtung befinde und daher die Emissionshandels- und Abgabeverpflichtung für Zertifikate nach dem durch die Richtlinie 2003/87 eingeführten System (im Folgenden: Emissionshandelssystem) für sie nicht gelte.

21      Nachdem die Deutsche Emissionshandelsstelle diese Auslegung mit Schreiben vom 18. September 2013 zurückgewiesen hatte, erhob Vattenfall Klage beim Verwaltungsgericht Berlin (Deutschland) und beantragte die Feststellung, dass die Emissionshandelspflicht des Kraftwerks erst mit der Aufnahme des Probebetriebs durch den Betreiber beginne.

22      Vattenfall ist nämlich der Auffassung, u. a. aus Art. 3 Buchst. u der Richtlinie 2003/87 gehe hervor, dass diese Richtlinie Anlagen zur Stromerzeugung erst ab dem Zeitpunkt erfasse, ab dem dort Strom zum Verkauf an Dritte erzeugt werde. Das TEHG sei also insoweit mit dieser Bestimmung vereinbar, als nach seinem Anhang 1 Teil 2 Nr. 2 für Emissionen von Kraftwerken, bevor mit diesen Strom erzeugt werde, keine Emissionshandelspflicht gelte. Die Emissionshandelspflicht beginne frühestens mit der Abnahme der betriebsfertigen Anlage durch den Betreiber, wenn dieser den Probebetrieb aufnehme. Diese Auslegung sei mit Anhang 1 Teil 2 Nr. 1 TEHG vereinbar, mit dem nur sichergestellt werden solle, dass alle Arten von Anlagen erfasst würden, der aber keinen Hinweis auf dessen zeitlichen Geltungsbereich enthalte.

23      Demgegenüber ist die Bundesrepublik Deutschland der Ansicht, dass das Kraftwerk Moorburg aufgrund seiner Gesamtfeuerungswärmeleistung von mehr als 20 MW unabhängig vom Zweck der Verbrennung seit dem Zeitpunkt emissionshandelspflichtig sei, zu dem der Ausstoß von Treibhausgasen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit begonnen habe. Die Tätigkeit einer Anlage beginne nämlich mit der Aufnahme des Probebetriebs und folglich, sobald die Anlage – gleich aus welchem Grund – Treibhausgase ausstoße. Dies ergebe sich aus dem TEHG, dessen Anhang 1 Teil 2 Nr. 1 vorsehe, dass alle verbrennungsbedingten Emissionen zu berücksichtigen seien. Diese Regelung sei sowohl mit dem Begriff der Verbrennung in Art. 3 Buchst. t der Richtlinie 2003/87 als auch mit der zeitlichen Begrenzung der Überwachung von Emissionen nach Art. 20 Abs. 1 der Verordnung Nr. 601/2012 vereinbar.

24      Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass weder das deutsche Recht noch das Unionsrecht eine ausdrückliche Regelung über den Beginn der Emissionshandelspflicht für Anlagen enthält, die in der Handelsperiode 2013 bis 2020 erstmalig in Betrieb genommen wurden. Eine Antwort auf diese Frage könne jedoch in Anhang I der Richtlinie 2003/87 gefunden werden, in dem die „Verbrennung von Brennstoffen in Anlagen mit einer Gesamtfeuerungswärmeleistung von über 20 MW“ genannt werde, und in Art. 19 Abs. 2 des Beschlusses 2011/278. Obwohl der Beschluss nicht auf Anlagen zur Stromerzeugung anwendbar sei, könne insbesondere aus dessen neue Marktteilnehmer betreffendem Art. 19 Abs. 2 geschlossen werden, dass die Emissionshandelspflicht bereits vor Aufnahme des Normalbetriebs dieser Anlagen beginne. Beginne die Emissionshandelspflicht dagegen erst mit der Aufnahme des Normalbetriebs, dann habe Vattenfall zu viele Zertifikate abgegeben.

25      Unter diesen Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht Berlin beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Führt die Aufnahme der Kategorie „Tätigkeiten zur Verbrennung von Brennstoffen in Anlagen mit einer Gesamtfeuerungswärmeleistung von über 20 MW“ in Anhang I der Richtlinie 2003/87 dazu, dass damit der Beginn der Emissionshandelspflicht einer Anlage zur Stromerzeugung mit dem Zeitpunkt des erstmaligen Ausstoßes von Treibhausgasen und damit möglicherweise vor dem Zeitpunkt der erstmaligen Erzeugung von Strom durch die Anlage beginnt?

2.      Falls die erste Frage mit „Nein“ beantwortet wird:

Ist Art. 19 Abs. 2 des Beschlusses 2011/278 so auszulegen, dass die Emission von Treibhausgasen, die vor Aufnahme des Normalbetriebs einer vom Anhang I der Richtlinie 2003/87 erfassten Anlage erfolgt, bereits mit dem Zeitpunkt der erstmaligen Emission während der Errichtungsphase der Anlage die Pflicht zur Berichterstattung und zur Abgabe von Emissionsberechtigungen durch den Anlagenbetreiber auslöst?

3.      Falls die zweite Frage mit „Ja“ beantwortet wird:

Ist Art. 19 Abs. 2 des Beschlusses 2011/278 so auszulegen, dass er der Anwendung der nationalen Umsetzungsvorschrift in § 18 Abs. 4 der Verordnung über die Zuteilung von Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Handelsperiode 2013 bis 2020 auf Anlagen zur Erzeugung von Strom hinsichtlich der Festlegung des Beginns der Emissionshandelspflicht entgegensteht?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

26      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Anhang I der Richtlinie 2003/87 aufgrund der Aufnahme der „Verbrennung von Brennstoffen in Anlagen mit einer Gesamtfeuerungswärmeleistung von über 20 MW“ in die Liste der Kategorien von Tätigkeiten, auf die diese Richtlinie anwendbar ist, dahin auszulegen ist, dass die Emissionshandelspflicht einer Anlage zur Stromerzeugung mit dem erstmaligen Ausstoß von Treibhausgasen und damit möglicherweise noch vor der ersten Stromerzeugung beginnt.

27      Es ist darauf hinzuweisen, dass die allgemeine Systematik der Richtlinie 2003/87 auf einer genauen Verbuchung von Vergabe, Besitz, Übertragung und Löschung der Zertifikate beruht. Diese genaue Verbuchung ist Teil des eigentlichen Gegenstands der Richtlinie, nämlich der Schaffung eines Systems für den Handel mit Zertifikaten, das auf die Verringerung der Treibhausgasemissionen in die Atmosphäre auf ein Niveau abzielt, das eine gefährliche anthropogene Beeinträchtigung des Klimas verhindert und dessen Endziel der Schutz der Umwelt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2015, Nordzucker, C‑148/14, EU:C:2015:287, Rn. 28).

28      Für die Umsetzung dieses Systems sieht Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 vor, dass deren Geltungsbereich die Emissionen aus den in deren Anhang I aufgeführten Tätigkeiten und die Emissionen der in ihrem Anhang II aufgeführten Treibhausgase – u. a. Kohlendioxid – umfasst.

29      Außerdem sollen nach Art. 4 der Richtlinie 2003/87 die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die in deren Anhang I genannten Tätigkeiten, bei denen die für diese Tätigkeit spezifizierten Emissionen entstehen, von keiner Anlage durchgeführt werden, ohne dass der Betreiber über eine Genehmigung verfügt, die von einer zuständigen Behörde entsprechend den Bedingungen dieser Richtlinie erteilt wurde.

30      Gemäß Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2003/87 setzt die Erteilung einer solchen Genehmigung u. a. die Einhaltung der in Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie genannten Verpflichtung der Betreiber voraus, bis zum 30. April des laufenden Jahres eine ihren Gesamtemissionen im vorhergehenden Kalenderjahr entsprechende Anzahl von Zertifikaten zwecks Löschung abzugeben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2015, Nordzucker, C‑148/14, EU:C:2015:287, Rn. 29).

31      Wie aus Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2003/87 hervorgeht, beruht diese Abgabeverpflichtung auf der Berichterstattung durch die Betreiber einer Anlage im Einklang mit den Vorschriften der von der Kommission nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie zu erlassenden Verordnung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2015, Nordzucker, C‑148/14, EU:C:2015:287, Rn. 31).

32      Auf der Grundlage dieser letztgenannten Bestimmung erließ die Kommission die Verordnung Nr. 601/2012, nach deren Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 2 der Anlagenbetreiber innerhalb der von ihm für jede Anlage bestimmten Grenzen alle relevanten Treibhausgasemissionen aus allen Emissionsquellen und Stoffströmen einbezieht, die den in der Anlage durchgeführten Tätigkeiten gemäß Anhang I der Richtlinie 2003/87 zugeordnet sind.

33      Nach Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 601/2012 umfasst diese Verpflichtung nicht nur Emissionen infolge des regulären Betriebs, sondern auch Emissionen infolge außergewöhnlicher Vorgänge wie der Inbetriebnahme und der Stilllegung. Da diese Aufzählung nicht abschließend ist, müssen bei anderen außergewöhnlichen Vorgängen – etwa beim Probebetrieb einer Anlage – entstandene Emissionen für die Überwachung der und die Berichterstattung über die Emissionen ebenfalls berücksichtigt werden.

34      Außerdem ist nach Art. 3 Buchst. e der Richtlinie 2003/87 eine Anlage im Sinne dieser Richtlinie eine ortsfeste technische Einheit, in der eine oder mehrere der in Anhang I der Richtlinie genannten Tätigkeiten sowie andere unmittelbar damit verbundene Tätigkeiten durchgeführt werden, die mit den an diesem Standort durchgeführten Tätigkeiten in einem technischen Zusammenhang stehen und die Auswirkungen auf die Emissionen und die Umweltverschmutzung haben können (Urteil vom 9. Juni 2016, Elektriciteits Produktiemaatschappij Zuid-Nederland EPZ, C‑158/15, EU:C:2016:422, Rn. 25).

35      Zu den in Anhang I der Richtlinie genannten Tätigkeiten gehört die Verbrennung von Brennstoffen in Anlagen mit einer Gesamtfeuerungswärmeleistung von über 20 MW, ausgenommen Anlagen für die Verbrennung von gefährlichen Abfällen oder Siedlungsabfällen.

36      Der Begriff „Verbrennung“ ist in Art. 3 Buchst. t der Richtlinie 2003/87 definiert als die Oxidierung von Brennstoffen ungeachtet der Art und Weise, auf welche die Wärme, der Strom oder die mechanische Arbeit, die in diesem Verfahren erzeugt werden, genutzt wird, sowie alle sonstigen unmittelbar damit zusammenhängenden Tätigkeiten.

37      Es ist also unerheblich, dass ein unter die Richtlinie 2003/87 fallendes Kraftwerk in einer ersten Probephase, bei der es zum Ausstoß von Treibhausgasen in die Atmosphäre gekommen ist, keinen Strom erzeugt, weil es für die Verpflichtung zur Abgabe von Zertifikaten nicht erforderlich ist, dass die bei der Verbrennung von Brennstoffen entstehende Wärme zur Stromerzeugung genutzt wird.

38      Nach alledem unterliegt eine Anlage, mit der durch die Verbrennung von Brennstoffen Strom erzeugt werden soll und deren Leistungsfähigkeit den in Anhang I der Richtlinie 2003/87 vorgesehenen Wert übersteigt, den Verpflichtungen des Emissionshandelssystems, insbesondere der Berichterstattungspflicht, für die Emissionen aus allen Emissionsquellen und Stoffströmen, die den in der Anlage durchgeführten Tätigkeiten zugeordnet sind, einschließlich der während einer Probephase vor der Aufnahme des Normalbetriebs dieser Anlage entstandenen Emissionen.

39      Diese Auslegung der Richtlinie 2003/87 steht mit deren Hauptziel, nämlich dem Schutz der Umwelt durch eine Verringerung der Treibhausgasemissionen, im Einklang (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. April 2016, Borealis Polyolefine u. a., C‑191/14, C‑192/14, C‑295/14, C‑389/14 und C‑391/14 bis C‑393/14, EU:C:2016:311, Rn. 79) und wird nicht dadurch entkräftet, dass die Qualifikation einer Anlage als Stromerzeuger im Sinne von Art. 3 Buchst. u der Richtlinie an die Bedingung geknüpft ist, dass die Anlage Strom zum Verkauf an Dritte erzeugt.

40      Mit dieser Vorschrift soll nicht der Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/87 definiert, sondern zur Umsetzung einer wichtigen Unterscheidung für die Bestimmung der jährlichen Höchstmenge an Zertifikaten im Sinne von Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie beigetragen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. April 2016, Borealis Polyolefine u. a., C‑191/14, C‑192/14, C‑295/14, C‑389/14 und C‑391/14 bis C‑393/14, EU:C:2016:311, Rn. 64 bis 70).

41      Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, sind nach Art. 10a Abs. 1 Unterabs. 3 und Abs. 3 bis 5 der Richtlinie 2003/87 die unter Art. 10a Abs. 3 dieser Richtlinie fallenden Anlagen von den übrigen Anlagen, die Treibhausgasemissionen erzeugen, zu unterscheiden. Zu ersteren Anlagen gehören u. a. die Stromerzeuger im Sinne von Art. 3 Buchst. u dieser Richtlinie (Urteil vom 28. April 2016, Borealis Polyolefine u. a., C‑191/14, C‑192/14, C‑295/14, C‑389/14 und C‑391/14 bis C‑393/14, EU:C:2016:311, Rn. 70).

42      Außerdem hat der Umstand, dass diese Verpflichtungen sich an den Betreiber einer Anlage richten, nicht zur Folge, dass die Emissionen, die bei den vom Erbauer der Anlage durchgeführten Probeläufen entstehen, nicht berücksichtigt werden müssen. Zum einen ist, worauf die Kommission hingewiesen hat, der Begriff „Stromerzeuger“ im Sinne von Art. 3 Buchst. u der Richtlinie 2003/87 für den Beginn der Emissionshandelspflicht irrelevant. Zum anderen betrifft die Berichterstattungs- und Abgabeverpflichtung des Betreibers auch diese Emissionen, da das Emissionshandelssystem nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie für alle Emissionen aus den in Anhang I aufgeführten Tätigkeiten gilt.

43      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Anhang I der Richtlinie 2003/87 aufgrund der Aufnahme der „Verbrennung von Brennstoffen in Anlagen mit einer Gesamtfeuerungswärmeleistung von über 20 MW“ in die Liste der Kategorien von Tätigkeiten, auf die diese Richtlinie anwendbar ist, dahin auszulegen ist, dass die Emissionshandelspflicht einer Anlage zur Stromerzeugung mit dem erstmaligen Ausstoß von Treibhausgasen und damit möglicherweise noch vor der ersten Stromerzeugung beginnt.

 Zur zweiten und zur dritten Frage

44      Angesichts der Antwort auf die erste Frage sind die zweite und die dritte Frage nicht mehr zu beantworten.

 Kosten

45      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

Anhang I der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates in der durch die Richtlinie 2009/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 geänderten Fassung ist aufgrund der Aufnahme der „Verbrennung von Brennstoffen in Anlagen mit einer Gesamtfeuerungswärmeleistung von über 20 MW“ in die Liste der Kategorien von Tätigkeiten, auf die diese Richtlinie anwendbar ist, dahin auszulegen, dass die Emissionshandelspflicht einer Anlage zur Stromerzeugung mit dem erstmaligen Ausstoß von Treibhausgasen und damit möglicherweise noch vor der ersten Stromerzeugung beginnt.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.