Language of document : ECLI:EU:C:2013:176

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 19. März 2013(1)

Verbundene Rechtssachen C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P

Europäische Kommission,

Rat der Europäischen Union,

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland


gegen


Yassin Abdullah Kadi

„Rechtsmittel – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) – Restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen – Verordnung (EG) Nr. 881/2002 – Einfrieren der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen einer Person, die in eine von einem Organ der Vereinten Nationen erstellte Liste aufgenommen ist – Durch Ziff. 6 der Resolution 1267 (1999) des Sicherheitsrats geschaffener Ausschuss des Sicherheitsrats (Sanktionsausschuss) – Aufnahme einer Person in Anhang I der Verordnung Nr. 881/2002 – Nichtigkeitsklage – Grundrechte – Anhörungsrecht, Recht auf effektive gerichtliche Kontrolle und Recht auf Schutz des Eigentums – Umfang und Intensität der gerichtlichen Kontrolle“





1.        In seinem Urteil vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission(2), hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Gerichte der Europäischen Union eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe der Europäischen Union zur Umsetzung der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen(3) gewährleisten müssen, die das Einfrieren von Vermögenswerten der Personen und Organisationen, die der Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats(4) auf einer konsolidierten Liste(5) identifiziert hat, vorsehen.

2.        Die vorliegenden Rechtssachen geben dem Gerichtshof Gelegenheit, den Umfang und die Art dieser Kontrolle zu präzisieren.

3.        Die Schwierigkeit des vorliegenden Falles liegt in der Bedeutung der aufgeworfenen Problematik, nämlich der weltweit koordinierten Verhinderung von Terrorismus.

4.        Im Rahmen einer anderen Rechtssache(6) bin ich bereits auf die Besonderheiten eingegangen, die den Kampf gegen den Terrorismus auszeichnen.

5.        Der Terrorismus ist eine vom Totalitarismus inspirierte kriminelle Aktivität, die den Grundsatz der individuellen Freiheit leugnet und das Ziel verfolgt, in einer bestimmten Gesellschaft die politische, wirtschaftliche und richterliche Macht an sich zu reißen, um die ihr zugrunde liegende Ideologie dort zu verankern. Der unvorhersehbare Charakter und die zerstörerische Wirkung von terroristischen Handlungen zwingt die öffentliche Gewalt, alle denkbaren Vorbeugungsmaßnahmen zu treffen. Aus diesem Blickwinkel genießt der Schutz der Informationsmittel und ‑quellen absoluten Vorrang. Das Ergebnis muss es ermöglichen, das Maß einer potenziellen Bedrohung zu beurteilen, der die Vorbeugungsmaßnahme entsprechen muss, die auf die ermittelte Gefahr abzustimmen ist. Dies erfordert aufgrund der Vielfalt der konkreten Gegebenheiten eine sehr flexible Vorgehensweise. Tatsächlich können sich die Voraussetzungen der Bedrohung und ihrer Bekämpfung je nach Ort und Zeit unterscheiden, wie sich auch das Bestehen und die Intensität der Gefahr im Rhythmus der Veränderungen der geopolitischen Weltlage ändern können.

6.        Gleichwohl darf der Kampf gegen den Terrorismus die Demokratien nicht dazu bewegen, ihre Grundprinzipien aufzugeben oder zu verleugnen, zu denen der Rechtsstaat gehört. Er veranlasst sie allerdings dazu, sie zu verändern, um sie zu bewahren.

7.        Die vom Sicherheitsrat beschlossenen Maßnahmen und die vom Sanktionsausschuss vorgenommenen Beurteilungen betreffend die Frage, ob eine terroristische Bedrohung vorliegt, die zur Gefährdung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit geeignet ist, spielen eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

8.        Daher muss der Unionsrichter bei der Bestimmung des Umfangs und der Intensität seiner Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union zur Umsetzung der Resolutionen des Sicherheitsrats berücksichtigen, dass auf weltweiter Ebene die Hauptverantwortung für die Wahrung des Friedens und der Sicherheit diesem internationalen Organ übertragen ist.

9.        In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich zunächst darlegen, weshalb es meines Erachtens nicht in Frage kommt, vom Ansatz des Gerichtshofs abzurücken, wonach Verordnungen zur Umsetzung der Resolutionen des Sicherheitsrats justiziabel sind.

10.      Sodann werde ich darauf eingehen, welches meines Erachtens der Umfang und die Intensität der Kontrolle solcher Verordnungen durch die Unionsgerichte sein sollten. Nachdem ich die einzelnen Gründe aufgeführt haben werde, die gegen den vom Gericht der Europäischen Union in seinem Urteil vom 30. September 2010, Kadi/Kommission(7), vertretenen Ansatz sprechen, werde ich mich für eine normale Kontrolle der formellen Rechtmäßigkeit und für eine eingeschränkte Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit dieser Verordnungen aussprechen.

11.      Schließlich werde ich die Folgerungen aus dem auf diese Weise bestimmten gerichtlichen Kontrollgrad ziehen für den Schutzgehalt der Grundrechte, auf die sich Herr Kadi beruft.

I –    Die Rechtsmittel

12.      Mit ihren Rechtsmitteln beantragen die Europäische Kommission (Rechtssache C‑584/10 P), der Rat der Europäischen Union (Rechtssache C‑593/10 P) und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland (Rechtssache C‑595/10 P) die Aufhebung des angefochtenen Urteils, in dem das Gericht die Verordnung (EG) Nr. 1190/2008 der Kommission vom 28. November 2008(8) für nichtig erklärt hat, soweit diese Herrn Kadi betrifft. Die Kommission, der Rat und das Vereinigte Königreich beantragen ferner, den Antrag von Herrn Kadi auf Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung, soweit sie ihn betrifft, abzuweisen.

13.      Die Kommission, der Rat und das Vereinigte Königreich stützen ihre jeweiligen Rechtsmittel auf verschiedene Rechtsmittelgründe. Im Wesentlichen sind es drei an der Zahl. Mit einem ersten Rechtsmittelgrund wird geltend gemacht, dass im angefochtenen Urteil rechtsfehlerhaft keine Anerkennung der Nichtjustiziabilität der angefochtenen Verordnung erfolgt sei. Gemäß einem zweiten Rechtsmittelgrund ist der Intensitätsgrad der gerichtlichen Kontrolle im angefochtenen Urteil rechtsfehlerhaft bestimmt worden. Ein dritter Rechtsmittelgrund ist darauf gestützt, dass das Gericht bei der Prüfung der Klagegründe von Herrn Kadi betreffend eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte und seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz sowie einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Fehler begangen habe.

14.      Bevor ich mit der Prüfung der Rechtsmittel beginnen werde, werde ich kurz auf das Urteil Kadi des Gerichtshofs, seine Folgen und das angefochtene Urteil eingehen.

II – Das Urteil Kadi des Gerichtshofs und seine Folgen

15.      Zunächst sei daran erinnert, dass der Gerichtshof in seinem Urteil Kadi das Urteil des Gerichts vom 21. September 2005, Kadi/Rat und Kommission(9), aufgehoben und die Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 des Rates über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan(10) für nichtig erklärt hat, soweit diese Herrn Kadi betrifft.

16.      Der Gerichtshof entschied im Wesentlichen, dass die Verpflichtungen aufgrund einer internationalen Übereinkunft nicht die Verfassungsgrundsätze des EG‑Vertrags beeinträchtigen könnten, insbesondere nicht den Grundsatz, dass alle Handlungen der Union zwingend die Grundrechte achten müssten, da diese Achtung eine Voraussetzung für ihre Rechtmäßigkeit sei, die der Gerichtshof im Rahmen des umfassenden Systems von Rechtsbehelfen, das dieser Vertrag schaffe, überprüfen müsse. Auch wenn bei der Umsetzung der Resolutionen des Sicherheitsrats die im Rahmen der Vereinten Nationen eingegangenen Verpflichtungen beachtet werden müssten, implizierten die Grundsätze, die für die durch die Vereinten Nationen entstandene Völkerrechtsordnung gälten, nicht, dass ein Unionsakt wie die Verordnung Nr. 881/2002 nicht justiziabel sei. Eine solche Nichtjustiziabilität finde keine Grundlage im EG-Vertrag.

17.      Unter diesen Umständen entschied er, dass die Unionsgerichte eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit aller Handlungen der Union anhand der Grundrechte gewährleisten müssten, und zwar auch dann, wenn diese Handlungen zur Umsetzung der Resolutionen des Sicherheitsrats dienten, und dass die Auffassung des Gerichts somit mit einem Rechtsfehler behaftet gewesen sei.

18.      Zu der von Herrn Kadi vor dem Gericht erhobenen Klage entschied der Gerichtshof, dass Herr Kadi, da der Rat ihm weder die ihm zur Last gelegten Umstände mitgeteilt habe, mit denen die gegen ihn verhängten Restriktionen begründet worden seien, noch ihm das Recht gewährt habe, innerhalb einer angemessenen Frist nach Anordnung der betreffenden Maßnahmen Auskunft über diese Umstände zu erhalten, nicht in der Lage gewesen sei, seinen Standpunkt dazu sachdienlich vorzutragen. Somit seien die Verteidigungsrechte von Herrn Kadi und sein Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt worden, und es sei ungerechtfertigt in sein Eigentumsrecht eingegriffen worden. Soweit die für nichtig erklärte Verordnung Herrn Kadi betraf, wurden ihre Wirkungen für einen Zeitraum von höchstens drei Monaten aufrechterhalten, um dem Rat zu ermöglichen, die festgestellten Verstöße zu heilen.

19.      Die Folgen dieses Urteils des Gerichtshofs können in Bezug auf Herrn Kadi wie folgt zusammengefasst werden.

20.      Am 21. Oktober 2008 übermittelte der Präsident des Sanktionsausschusses dem Ständigen Vertreter Frankreichs bei den Vereinten Nationen die Zusammenfassung der Gründe für die Aufnahme von Herrn Kadi in die Liste, wobei er ihre Übermittlung an Herrn Kadi gestattete. Der Wortlaut dieser Zusammenfassung wird in Randnr. 50 des angefochtenen Urteils wiedergegeben.

21.      Am 22. Oktober 2008 übermittelte der Ständige Vertreter Frankreichs bei der Union dieselbe Zusammenfassung der Kommission, die sie am selben Tag an Herrn Kadi sandte, wobei sie ihn darüber informierte, dass sie aus den in dieser Zusammenfassung genannten Gründen beabsichtige, seine Eintragung auf der in Anhang I der Verordnung Nr. 881/2002 enthaltenen Liste aufrechtzuerhalten. Die Kommission räumte Herrn Kadi eine Frist bis zum 10. November 2008 ein, damit er sich vor Erlass ihrer endgültigen Entscheidung zu diesen Gründen äußern und ihr alle von ihm für zweckdienlich gehaltenen Informationen übermitteln könne.

22.      Am 10. November 2008 übermittelte Herr Kadi der Kommission seine Stellungnahme, wobei er die Vorlage der Beweise für die Äußerungen und Behauptungen in der Zusammenfassung der Gründe verlangte, sowie die Vorlage der einschlägigen Unterlagen der Kommissionsakte und forderte, nach ihrem Erhalt erneut die Möglichkeit zur Stellungnahme zu erhalten. Auch versuchte er, gestützt auf Beweise, die in der Zusammenfassung der Gründe enthaltenen Behauptungen zu widerlegen, soweit er sich in der Lage sah, allgemeinen Vorwürfen entgegenzutreten.

23.      Am 28. November 2008 erließ die Kommission die angefochtene Verordnung.

24.      Die Erwägungsgründe 3 bis 6 sowie 8 und 9 in der Präambel der angefochtenen Verordnung lauten:

„(3)      Um dem Urteil [Kadi] des Gerichtshofs nachzukommen, hat die Kommission Herrn Kadi … die … Zusammenfassung der Gründe übermittelt und [hat ihm] Gelegenheit gegeben, zu diesen Gründen Stellung zu nehmen und [seinen] Standpunkt darzulegen.

(4)      Die Kommission hat von Herrn Kadi … Stellungnahmen erhalten und diese geprüft.

(5)      Die vom … Sanktionsausschuss … erstellte Liste der Personen, Gruppen und Organisationen, auf die das Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen anzuwenden ist, umfasst Herrn Kadi …

(6)      Nach sorgfältiger Erwägung der von Herrn Kadi mit Schreiben vom 10. November 2008 übermittelten Stellungnahme und angesichts des präventiven Charakters des Einfrierens von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen ist die Kommission der Auffassung, dass es aufgrund der Verbindungen von Herrn Kadi mit dem Al-Qaida-Netzwerk gerechtfertigt ist, ihn in der Liste zu führen.

(8)      Daher [ist] Herr Kadi … Anhang I hinzuzufügen.

(9)      Angesichts des präventiven Charakters und der Ziele, die durch das Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen gemäß der Verordnung … Nr. 881/2002 erreicht werden sollen, und der Notwendigkeit, die berechtigten Interessen der Wirtschaftsbeteiligten, die sich auf die Rechtmäßigkeit der [im Urteil Kadi des Gerichtshofs] für nichtig erklärten Verordnung gestützt haben, zu schützen, gilt diese Verordnung mit Wirkung vom 30. Mai 2002.“

25.      Nach Art. 1 und dem Anhang der angefochtenen Verordnung wurde Anhang I der Verordnung Nr. 881/2002 u. a. so geändert, dass der folgende Eintrag unter der Rubrik „Natürliche Personen“ hinzugefügt wurde: „Yasin Abdullah Ezzedine Qadi (alias a) Kadi, Shaykh Yassin Abdullah, b) Kahdi, Yasin; c) Yasin Al-Qadi). Geburtsdatum: 23.2.1955. Geburtsort: Kairo, Ägypten. Staatsangehörigkeit: Saudi-Arabisch. Reisepass-Nr.: a) B 751550, b) E 976177 (ausgestellt am 6.3.2004, gültig bis 11.1.2009). Sonstige Informationen: Jeddah, Saudi-Arabien“.

26.      Die angefochtene Verordnung trat gemäß ihrem Art. 2 am 3. Dezember 2008 in Kraft und gilt mit Wirkung vom 30. Mai 2002.

27.      Mit Schreiben vom 8. Dezember 2008 antwortete die Kommission auf die Stellungnahme von Herrn Kadi vom 10. November 2008, wobei sie im Wesentlichen Folgendes geltend machte:

–        Sie sei dadurch, dass sie ihm die Zusammenfassung der Gründe übermittelt und ihn zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert habe, dem Urteil Kadi des Gerichtshofs nachgekommen;

–        sie sei nach dem Urteil Kadi des Gerichtshofs nicht zur verlangten Übermittlung weiterer Beweise verpflichtet;

–        die einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats schrieben ein „präventives“ Einfrieren von Geldern vor, das, was die Beweisanforderungen angehe, auf „angemessenen Gründen oder einer angemessenen Grundlage für den Verdacht oder die Annahme, dass die betreffende Person oder Einrichtung ein Terrorist [sei], den Terrorismus finanzier[e] oder eine terroristische Organisation [sei]“, beruhen müsse;

–        das Schreiben von Herrn Kadi bestätige seine Beteiligung an den Entscheidungen und den Tätigkeiten der Stiftung Muwafaq sowie seine Verbindungen zu Herrn Ayadi, der Teil eines Netzwerks sei, das mit Osama bin Laden in Kontakt stehe, und

–        die Einstellung der strafrechtlichen Verfolgung von Herrn Kadi in der Schweiz, der Türkei und Albanien habe keine Auswirkungen auf die Richtigkeit seiner Aufnahme in die vom Sanktionsausschuss erstellte Liste, die auf Informationen beruhen könne, die von anderen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen herrührten. Außerdem seien diese Einstellungsverfügungen im Rahmen von Strafverfahren erfolgt, bei denen andere Beweisanforderungen bestünden als diejenigen, die auf die vom Sanktionsausschuss angenommenen Entscheidungen anwendbar seien, die präventiver Art seien.

28.      Am Ende ihrer Prüfung stellte die Kommission fest, dass die Führung von Herrn Kadi auf der Liste im Anhang zur Verordnung Nr. 881/2002 aufgrund seiner Verbindungen zum Al-Qaida-Netzwerk gerechtfertigt sei. Ihrem Schreiben fügte sie zum einen eine Begründung bei, die mit der Zusammenfassung der Gründe übereinstimmte, die zuvor an Herrn Kadi gerichtet worden war, sowie zum anderen die angefochtene Verordnung, wobei sie ihn darauf hinwies, dass er diese vor dem Gericht anfechten sowie jederzeit einen Streichungsantrag an den Sanktionsausschuss richten könne.

III – Das angefochtene Urteil

29.      Mit Klageschrift, die am 26. Februar 2009 beim Gericht einging, erhob Herr Kadi Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung, soweit diese ihn betraf. Er stützte seine Anträge auf fünf Klagegründe. Mit dem zweiten Klagegrund wurde eine Verletzung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und mit dem fünften Klagegrund ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geltend gemacht.

30.      In Randnr. 126 des angefochtenen Urteils stellte das Gericht zunächst fest, dass es unter Berücksichtigung der Randnrn. 326 und 327 des Urteils Kadi des Gerichtshofs im vorliegenden Fall eine „grundsätzlich umfassende“ Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnung im Hinblick auf die Grundrechte zu gewährleisten habe, ohne dieser Verordnung eine wie auch immer geartete Nichtjustiziabilität zuzubilligen, weil sie zur Umsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta diene. In den Randnrn. 127 bis 129 des angefochtenen Urteils fügte es hinzu, dass, solange die vom Sanktionsausschuss geschaffenen Überprüfungsverfahren offenkundig nicht die Garantien eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes böten, wie der Gerichtshof in Randnr. 322 seines Urteils Kadi zu verstehen gegeben habe, die vom Unionsrichter ausgeübte Kontrolle der Maßnahmen der Union zum Einfrieren von Geldern nur dann als wirksam eingestuft werden könne, wenn sie sich indirekt auf die materiellen Feststellungen des Sanktionsausschusses selbst und die ihnen zugrunde liegenden Gesichtspunkte erstrecke.

31.      Die Argumentation der Kommission und des Rates, wonach sich der Gerichtshof in seinem Urteil Kadi nicht zur Frage des Umfangs und der Intensität dieser richterlichen Kontrolle geäußert habe, bezeichnete das Gericht in Randnr. 131 des angefochtenen Urteils als offensichtlich unzutreffend. In den Randnrn. 132 bis 135 dieses Urteils stellte das Gericht im Wesentlichen fest, aus den Randnrn. 326, 327, 336 und 342 bis 344 des Urteils Kadi des Gerichtshofs ergebe sich eindeutig, dass dieser die grundsätzlich umfassende Kontrolle nicht nur auf die Prüfung der Frage habe erstrecken wollen, ob der angefochtene Rechtsakt begründet sei, sondern auch auf die Beweise und Angaben, auf denen die in diesem Rechtsakt enthaltenen Feststellungen beruhten.

32.      In den Randnrn. 138 bis 146 des angefochtenen Urteils fügte es hinzu, der Gerichtshof habe dadurch, dass er die Begründung des Gerichts im Urteil vom 12. Dezember 2006, Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran/Rat(11), weitgehend übernommen habe, den Umfang und die Intensität der Kontrolle durch das Gericht in diesem Urteil gebilligt und sich zu eigen machen wollen, so dass die Grundsätze, die das Gericht in diesem Urteil sowie in seiner anschließenden Rechtsprechung hinsichtlich des „autonomen“ Sanktionsregimes der Union aufgestellt habe, auf den vorliegenden Fall zu übertragen seien.

33.      Das Gericht stellte weiter einige zusätzliche Erwägungen an, die auf der Art der streitigen Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern und ihren Auswirkungen für die von ihnen Betroffenen beruhen, und zwar bei einer Betrachtung in zeitlicher Hinsicht. In diesem Zusammenhang warf es in Randnr. 150 des angefochtenen Urteils die Frage auf, ob die vom Gericht in Randnr. 248 des Urteils Kadi I enthaltene und in Randnr. 358 des Urteils Kadi des Gerichtshofs im Wesentlichen übernommene Beurteilung, „wonach das Einfrieren von Geldern eine Sicherungsmaßnahme ist, die im Unterschied zu einer Beschlagnahme nicht in die Substanz des Eigentumsrechts der Betroffenen an ihren Finanzmitteln eingreift, sondern nur in deren Nutzung, nicht in Frage gestellt werden [müsse], nachdem nunmehr fast zehn Jahre seit dem ursprünglichen Einfrieren der Gelder des Klägers vergangen [seien]“.

34.      In Randnr. 151 des angefochtenen Urteils zog das Gericht die Schlussfolgerung, dass „der Grundsatz einer umfassenden und strengen gerichtlichen Kontrolle der hier in Rede stehenden Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern umso mehr gerechtfertigt [sei], wenn durch diese Maßnahmen die Grundrechte der Betroffenen erheblich und dauerhaft beeinträchtigt [würden] – sofern man der im Urteil Kadi des Gerichtshofs aufgestellten Prämisse [zustimme], wonach derartige Rechtsakte nicht deshalb, weil sie zur Umsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta [dienten], als einer gerichtlichen Überprüfung entzogen anzusehen [seien]“.

35.      Im Rahmen der sich anschließenden Prüfung des zweiten und fünften Nichtigkeitsgrundes, die im Licht der verschiedenen Vorerwägungen erfolgte, stellte es in den Randnrn. 171 bis 175 des angefochtenen Urteils hinsichtlich des ersten Teils des zweiten Grundes, mit dem eine Verletzung der Verteidigungsrechte von Herrn Kadi geltend gemacht wurde, fest, dass

–        diese Rechte nur rein formal und dem Anschein nach gewahrt worden seien, da die Kommission sich für streng an die Beurteilungen des Sanktionsausschusses gebunden gehalten habe und deshalb nie vorgehabt habe, sie im Licht der Stellungnahme von Herrn Kadi in Frage zu stellen oder dessen Ausführungen zu berücksichtigen, und

–        Herrn Kadi der Zugang zu den ihn belastenden Beweisen von der Kommission trotz seines ausdrücklichen Ersuchens verweigert worden sei, ohne dass seine Interessen gegen das Erfordernis abgewogen worden seien, die Vertraulichkeit der fraglichen Informationen zu schützen;

–        die wenigen und vagen Behauptungen, die sich in der Zusammenfassung der Gründe befunden hätten, wie diejenigen, wonach Herr Kadi Anteilseigner einer bosnischen Bank gewesen sei, in der „möglicherweise“ Zusammenkünfte zur Vorbereitung eines Anschlags gegen eine amerikanische Einrichtung in Saudi-Arabien stattgefunden hätten, seien offensichtlich unzureichend gewesen, um dem Betroffenen zu ermöglichen, die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen wirksam zu widerlegen.

36.      Das Gericht stellte daher in Randnr. 177 des angefochtenen Urteils unter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 19. Februar 2009, A. u. a./Vereinigtes Königreich, fest, dass Herr Kadi allein aufgrund der Zusammenfassung der Gründe, die ihm übermittelt worden sei, offensichtlich nicht in der Lage gewesen sei, sich gegen irgendeine der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen sachdienlich zu verteidigen. Nachdem es noch in Randnr. 178 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen hatte, dass die Kommission keine ernsthaften Bemühungen unternommen habe, um die von Herrn Kadi vorgebrachten Entlastungsbeweise zu widerlegen, stellte das Gericht in Randnr. 179 dieses Urteils zusammenfassend fest, dass die angefochtene Verordnung unter Verletzung der Verteidigungsrechte von Herrn Kadi ergangen sei. Unter Bezug auf die Randnrn. 319 bis 325 des Urteils Kadi des Gerichtshofs fügte es in Randnr. 180 des angefochtenen Urteils hinzu, dass die Möglichkeit von Herrn Kadi, vom Sanktionsausschuss angehört zu werden, um seine Streichung von der Liste dieses Ausschusses zu erreichen, offensichtlich nicht geeignet gewesen sei, dieser Verletzung seiner Verteidigungsrechte abzuhelfen.

37.      Was den zweiten Teil des zweiten Klagegrundes angeht, mit dem eine Verletzung des Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes geltend gemacht wurde, stellte das Gericht in den Randnrn. 181 und 182 des angefochtenen Urteils fest, dass Herr Kadi ohne den geringsten sachdienlichen Zugang zu den ihm zur Last gelegten Informationen und Beweisen seine Rechte im Hinblick auf die genannten Umstände vor dem Unionsrichter nicht unter zufriedenstellenden Bedingungen habe verteidigen können und dass dieser Verstoß gegen den Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz auch nicht während des Verfahrens vor dem Gericht geheilt worden sei, da während dieses Verfahrens von den in Rede stehenden Organen nichts vorgebracht worden sei. Nach der Feststellung, dass es nicht in der Lage sei, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnung zu prüfen, zog das Gericht in Randnr. 183 des angefochtenen Urteils die Schlussfolgerung, dass das Grundrecht von Herrn Kadi auf einen solchen Rechtsschutz in der vorliegenden Rechtssache nicht gewahrt worden sei. Aufbauend auf der Feststellung, dass die angefochtene Verordnung unter Missachtung der Verteidigungsrechte angenommen worden sei, zog das Gericht in Randnr. 184 des angefochtenen Urteils die Schlussfolgerung, dass der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verletzt worden sei.

38.      Das Vorbringen des Rates, wonach die zusätzlichen Verfahrensgarantien, die die Kommission im vorliegenden Fall im Anschluss an das Urteil Kadi des Gerichtshofs eingeführt habe, denen entsprächen, die er selbst im Anschluss an das Urteil OMPI eingeführt habe und die im Urteil des Gerichts vom 23. Oktober 2008, People’s Mojahedin Organization of Iran/Rat(12), gebilligt worden seien, wurde mit der Begründung zurückgewiesen, ein solches Vorbringen verkenne die erheblichen Verfahrensunterschiede, die zwischen den beiden Gemeinschaftsregelungen zum Einfrieren von Geldern bestünden(13).

39.      Aus diesen Gründen wurden beide Teile des zweiten Nichtigkeitsgrundes als begründet angesehen(14).

40.      Hinsichtlich des fünften Klagegrundes stellte das Gericht in den Randnrn. 192 bis 194 des angefochtenen Urteils fest, da die angefochtene Verordnung erlassen worden sei, ohne Herrn Kadi zu ermöglichen, sein Anliegen den zuständigen Stellen vorzutragen, obwohl die Maßnahmen zum Einfrieren seiner Vermögenswerte aufgrund ihrer umfassenden Geltung und ihrer Dauer eine erhebliche Beschränkung seines Eigentumsrechts dargestellt hätten, sei die Verhängung solcher Maßnahmen als eine ungerechtfertigte Beschränkung dieses Rechts anzusehen, so dass die Rügen von Herrn Kadi, wonach der durch diese Verordnung vorgenommene Eingriff in sein Grundrecht auf Schutz des Eigentums unverhältnismäßig gewesen sei, begründet seien.

41.      Aus diesen Gründen erklärte das Gericht die angefochtene Verordnung für nichtig, soweit sie Herrn Kadi betraf.

42.      Es ist darauf hinzuweisen, dass der Sanktionsausschuss am 5. Oktober 2012 nach Prüfung des Streichungsantrags von Herrn Kadi sowie des von der Ombudsperson erstellten Berichts entschieden hat, Herrn Kadi von der Liste zu streichen. Der Name von Herrn Kadi ist in der Folge aus Anhang I der Verordnung Nr. 881/2002 gestrichen worden(15). Diese nach Einlegung der vorliegenden Rechtsmittel erfolgte Streichung lässt meines Erachtens weder das Rechtsschutzinteresse der Kommission, des Rates oder des Vereinigten Königreichs entfallen noch das von Herrn Kadi im Rahmen seines Antrags auf Nichtigerklärung(16).

43.      Nunmehr ist die Begründung des Gerichts zu beurteilen, wobei sukzessive auf drei Problemfelder einzugehen ist, und zwar das der Justiziabilität der angefochtenen Verordnung, das des Umfangs und der Intensität der gerichtlichen Kontrolle im Kontext der vorliegenden Rechtssachen und schließlich das des Schutzgehalts der Grundrechte, auf die sich Herr Kadi im vorliegenden Fall beruft.

IV – Zur Justiziabilität der angefochtenen Verordnung

44.      Dieser erste Rechtsmittelgrund wird in erster Linie vom Rat vorgebracht. Unterstützt durch das Königreich Spanien, Irland und die Italienische Republik wirft dieser dem Gericht vor, dadurch einen Rechtsfehler begangen zu haben, dass es sich insbesondere in Randnr. 126 des angefochtenen Urteils im Einklang mit dem Urteil Kadi des Gerichtshofs geweigert habe, die angefochtene Verordnung als nicht justiziabel anzusehen.

45.      Der Rat und Irland fordern den Gerichtshof ausdrücklich dazu auf, die in seinem Urteil Kadi in dieser Hinsicht aufgestellten Grundsätze zu überprüfen. Irland vertritt die Auffassung, dass die Frage der Justiziabilität der angefochtenen Verordnung nicht der Rechtskraft unterliege, da weder diese Verordnung noch das von ihrem Urheber zu ihrer Annahme befolgte Verfahren mit denen identisch sei, die in der Rechtssache in Rede gestanden hätten, in der das Urteil Kadi des Gerichtshofs ergangen sei. Der Rat und Irland fügen hinzu, dass sich der Gerichtshof in der Vergangenheit zuweilen bereits von Grundsätzen losgesagt habe, die er in seiner früheren Rechtsprechung aufgestellt habe(17).

46.      Meines Erachtens kommt es nicht in Frage, dass der Gerichtshof von seiner im Urteil Kadi erfolgten Weigerung abrückt, eine Handlung der Union wie die angefochtene Verordnung als nicht justiziabel anzusehen.

47.      Es ist nämlich festzustellen, dass der Ansatz, wonach Handlungen der Union zur Umsetzung der auf internationaler Ebene beschlossenen restriktiven Maßnahmen justiziabel sind, in der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht vereinzelt geblieben ist; der Gerichtshof hat diesen Ansatz in seinen Urteilen vom 3. Dezember 2009, Hassan und Ayadi/Rat und Kommission(18), sowie vom 16. November 2011, Bank Melli Iran/Rat(19), bestätigt.

48.      So hat der Gerichtshof in Randnr. 105 des letztgenannten Urteils unter Verweis auf das Urteil Kadi des Gerichtshofs festgestellt, dass, „ohne dass dadurch der völkerrechtliche Vorrang einer Resolution des Sicherheitsrats in Frage gestellt würde, die Achtung, die die Gemeinschaftsorgane den Organen der Vereinten Nationen entgegenzubringen haben, nicht zur Folge haben darf, dass eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Gemeinschaftsrechtsakts im Hinblick auf die Grundrechte als Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts unterbleibt“.

49.      Was die Begründetheit dieses Ansatzes angeht, ist kein Grund dafür ersichtlich, dass der Unionsrichter nicht seines Amtes walten sollte, wenn er aufgerufen wird, über die Rechtmäßigkeit einer Verordnung wie der in den vorliegenden Rechtssachen betroffenen zu entscheiden. Ich pflichte somit den zahlreichen Argumenten bei, die der Gerichtshof in seinem Urteil Kadi vorgebracht hat, um die Justiziabilität von Verordnungen zur Umsetzung von auf der Ebene der Vereinten Nationen angenommenen restriktiven Maßnahmen, wie im vorliegenden Fall dem in Rede stehenden Einfrieren von Geldern, zu rechtfertigen. Diese Argumente betreffen im Wesentlichen die „Verfassungsgarantie“, die in einer Rechtsunion die gerichtliche Kontrolle der Vereinbarkeit jeder Handlung der Union mit den im Unionsrecht verankerten Grundrechten wahrnimmt, und zwar auch einer Handlung zur Umsetzung eines Völkerrechtsakts, da eine solche Kontrolle mit den Grundsätzen, nach denen sich das Verhältnis zwischen der durch die Vereinten Nationen entstandenen Völkerrechtsordnung einerseits und der Unionsrechtsordnung andererseits richtet, nicht unvereinbar ist und da es in den Gründungsverträgen der Union keine Grundlage für eine Nichtjustiziabilität von Handlungen wie der angefochtenen Verordnung gibt.

50.      Der Gerichtshof hat im Wesentlichen festgestellt, dass die Unionsorgane trotz des begrenzten Spielraums, über den sie bei der Umsetzung des Völkerrechts verfügen, verpflichtet sind, die Grundrechte zu achten. Somit hat er seine Zuständigkeit für die Prüfung, ob die Grundrechte der auf der Liste des Sanktionsausschusses aufgeführten Personen beachtet worden sind, bestätigen müssen, da er ansonsten zugelassen hätte, dass in bestimmten Fällen die Umsetzung des Völkerrechts durch die Unionsorgane möglicherweise gegen die Grundrechte verstößt. Ein entgegengesetzter Ansatz hätte einen deutlichen Rückschritt gegenüber der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs dargestellt, wonach er einen umfassenden Grundrechtsschutz zu gewährleisten hat, sobald ihm eine Handlung der Union zur Beurteilung vorgelegt wird.

51.      Wie die anderen im Rahmen der vorliegenden Rechtsmittel vorgebrachten Rechtsmittelgründe verdeutlichen, darf die weitere Debatte nicht über die Frage geführt werden, ob eine gerichtliche Kontrolle möglich ist, sondern sie muss über deren Modalitäten geführt werden. Eine Anpassung der Kontrolle des Unionsrichters unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem das Einfrieren der Vermögenswerte von Herrn Kadi erfolgt ist, ermöglicht zudem, die Kritik, die teilweise in Bezug auf die Grundsatzposition des Gerichtshofs in seinem Urteil Kadi geübt wurde, weitgehend zu entschärfen.

52.      Die gebotene Achtung der zwingenden Normen des Völkerrechts durch die Union darf somit nicht in der Weise erfolgen, dass die angefochtene Handlung als nicht justiziabel angesehen wird, sondern die gerichtliche Kontrolle muss angepasst werden. Aus diesem Grund bin ich der Auffassung, dass die Bestätigung der Zuständigkeit des Gerichtshofs für den Schutz der Grundrechte der auf der Liste des Sanktionsausschusses eingetragenen Personen notwendigerweise einhergehen muss mit Klarstellungen des Umfangs und der Intensität der Kontrolle der Unionsgerichte über die Handlungen der Union zur Umsetzung dieser Eintragungen.

V –    Zum Umfang und zur Intensität der gerichtlichen Kontrolle

A –    Zu den vom Gericht bei der Bestimmung des anwendbaren Kontrollstandards begangenen Rechtsfehlern

53.      Wie die Kommission, der Rat und das Vereinigte Königreich sowie alle beteiligten Regierungen bin ich der Auffassung, dass das Gericht mehrere Rechtsfehler bei der Bestimmung der Merkmale und des Umfangs der Kontrolle begangen hat, die der Unionsrichter im Hinblick auf restriktive Maßnahmen wie das Einfrieren der Vermögenswerte von Herrn Kadi durchführen sollte.

54.      Im angefochtenen Urteil hat das Gericht die von der Kommission, dem Rat und den beteiligten Regierungen vertretene Auffassung zurückgewiesen, wonach die gerichtliche Kontrolle der Handlungen der Union, mit denen die Liste der Personen und Einrichtungen, die vom Sanktionsausschuss identifiziert worden seien und deren Vermögenswerte eingefroren werden müssten, innerhalb der Union umgesetzt worden sei, begrenzt sei. Diese Verfahrensbeteiligten forderten das Gericht im Wesentlichen auf, seine eigene Beurteilung nicht an die Stelle der Beurteilung des Sanktionsausschusses zu setzen. Genauer gesagt vertrat die Kommission die Auffassung, dass das Gericht sich auf die Prüfung beschränken müsse, ob dem Kläger tatsächlich rechtliches Gehör gewährt worden sei und ob die Berücksichtigung der Stellungnahme des Klägers durch die Kommission unangemessen oder mit einem offensichtlichen Fehler behaftet sei.

55.      Das Gericht hat festgestellt, eine solche Beschränkung seiner Kontrolle „liefe … darauf hinaus, dass keine wirksame gerichtliche Kontrolle der vom Gerichtshof in seinem Urteil Kadi verlangten Art stattfände, sondern nur der Anschein einer solchen Kontrolle bestünde“. Es hat hinzugefügt, „[d]amit würde de facto dem Ansatz des Gerichts in dessen Urteil Kadi gefolgt“(20).

56.      Dieser Ausgangspunkt des Gerichts, dem der Rest seiner Begründung folgt, scheint mir bereits mit einem grundlegenden Fehler behaftet zu sein. Er beruht nämlich auf dem Postulat, der Gerichtshof habe sich in seinem Urteil Kadi klar dafür ausgesprochen, dass die Begründetheit der Eintragung von Herrn Kadi in die Liste gerichtlich eingehend kontrolliert werden müsse. Die vom Gericht vertretene These ist auch insofern fehlerhaft, als sie die begrenzte gerichtliche Kontrolle gleichsetzt mit dem Ausbleiben einer Kontrolle.

57.      An einer späteren Stelle im angefochtenen Urteil hat das Gericht seinen Gedankenansatz präzisiert, indem es festgestellt hat, dass „die vom Gemeinschaftsrichter ausgeübte Kontrolle der Gemeinschaftsmaßnahmen zum Einfrieren von Geldern nur dann als wirksam eingestuft werden [kann], wenn sie sich indirekt auf die materiellen Feststellungen des Sanktionsausschusses selbst und die ihnen zugrunde liegenden Gesichtspunkte erstreckt“(21). Das Gericht hat ferner festgestellt, dass „der Gerichtshof seine ‚grundsätzlich umfassende‘ Kontrolle nicht nur auf die Prüfung der Frage, ob der angefochtene Rechtsakt begründet ist, sondern auch auf die Beweise und Angaben erstrecken wollte, auf denen die in diesem Rechtsakt enthaltenen Feststellungen beruhen“(22). Damit hat das Gericht meines Erachtens dem Urteil Kadi des Gerichtshofs Aussagen in den Mund gelegt, die es nicht enthält.

58.      Zum richtigen Verständnis der Tragweite der vom Gerichtshof erwähnten „grundsätzlich umfassenden“ Kontrolle(23) der Handlungen der Union, die die vom Sicherheitsrat nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen angenommenen Resolutionen umsetzen sollen, muss nämlich im Auge behalten werden, dass der Gerichtshof diese Formulierung in seiner Reaktion auf die vom Gericht in seinem Urteil Kadi I vertretene These verwendet hat, wonach, wie bereits ausgeführt, eine Kontrolle solcher Handlungen der Union im Hinblick auf die vom Unionsrecht geschützten Grundrechte gänzlich ausgeschlossen werden sollte.

59.      Mit der Erwähnung einer „grundsätzlich umfassenden“ Kontrolle wollte der Gerichtshof somit unterstreichen, dass die gerichtliche Kontrolle sich auf alle Handlungen der Union erstreckt, unabhängig davon, ob sie unter Anwendung einer Völkerrechtsnorm angenommen worden sind oder nicht, und dass diese Kontrolle sowohl die formelle Rechtmäßigkeit dieser Handlungen als auch ihre materielle Rechtmäßigkeit im Hinblick auf die vom Unionsrecht geschützten Grundrechte umfasst. Von dieser Grundsatzposition ausgehend hat der Gerichtshof die These des Gerichts zurückgewiesen, nach der die streitige Verordnung im Hinblick auf ihre materielle Rechtmäßigkeit nicht justiziabel sei, sofern es nicht um ihre Vereinbarkeit mit den Normen des ius cogens gehe(24).

60.      Auch wenn sich aus der Erwähnung einer „grundsätzlich umfassenden“ Kontrolle durch den Gerichtshof ein Hinweis auf den Umfang der gerichtlichen Kontrolle ergibt, die dieser über die angefochtene Verordnung auszuüben beabsichtigt, wäre es meiner Auffassung nach überzogen, anzunehmen, dass der Gerichtshof sich durch die Verwendung dieser Formulierung bereits deutlich zum Intensitätsgrad dieser Kontrolle geäußert hat. In seinem Urteil Kadi hat sich der Gerichtshof keineswegs ausdrücklich dafür ausgesprochen, dass die Begründetheit der Aufnahme von Herrn Kadi in die Liste eingehend kontrolliert werden muss, was eine strenge Prüfung der Beweiselemente und der Informationen voraussetzen würde, auf denen die Beurteilung des Sanktionsausschusses beruht.

61.      Aus dem Ausdruck „grundsätzlich umfassend“ und insbesondere aus der Verwendung des Wortes „grundsätzlich“ an den vom Gerichtshof gewählten Stellen ergibt sich meines Erachtens eine Auslegung, die der vom Gericht vertretenen genau entgegengesetzt ist. Hätte der Gerichtshof zum Ausdruck bringen wollen, dass die Intensität seiner Kontrolle ausnahmslos umfassend sein muss, so wäre die Verwendung des Wortes „grundsätzlich“ überflüssig. Hätte er hervorheben wollen, dass er dies zum absoluten Prinzip erheben wollte, so hätte er den Ausdruck „grundsätzlich vollständig“ verwenden müssen. In Wirklichkeit hat der Gerichtshof kurz und präzise in zwei Worten den Gedanken zum Ausdruck gebracht, dass die von ihm bestätigte Kontrolle, auch wenn sie weit geht, nur grundsätzlich umfassend ist und somit möglichen Ausnahmen unterliegt. Wenn es allerdings einen Bereich gibt, in dem eine Ausnahme gerechtfertigt ist, so ist es aus den vorgenannten Gründen der Bereich des Kampfs gegen den Terrorismus, zu dem – insbesondere unter dem Gesichtspunkt der weltweiten Koordination – auch dessen Verhinderung gehört.

62.      Auch wenn der Gerichtshof den Grundsatz einer Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union zur Umsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen sehr wohl anerkannt hat, hat er ihre Modalitäten nicht ausführlich beschrieben. Entgegen der Feststellung des Gerichts in Randnr. 133 des angefochtenen Urteils impliziert die Feststellung des Gerichtshofs in Randnr. 336 seines Urteils Kadi, wonach die gerichtliche Kontrolle insbesondere die Rechtmäßigkeit der Gründe betreffen solle, auf denen ein Unionsakt beruhe, nicht, dass er die Begründetheit dieser Handlung eingehend auf der Grundlage der Beweise prüft, auf die die gegebene Begründung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt ist.

63.      Außerdem ist es meines Erachtens fehlerhaft, wie das Gericht in den Randnrn. 138 bis 147 des angefochtenen Urteils anzunehmen, dass der Gerichtshof in seinem Urteil Kadi „den Umfang und die Intensität der Kontrolle durch das Gericht in der Rechtssache, in der das Urteil OMPI ergangen ist, gebilligt hat und sich [hat] zu eigen machen woll[en]“. Hierzu ist festzustellen, dass im Urteil Kadi des Gerichtshofs nicht auf dieses Urteil Bezug genommen wird. Weiter scheint die Begründung des Gerichts zugunsten einer Vereinheitlichung der gerichtlichen Kontrollstandards in den beiden Arten von Rechtsstreitigkeiten betreffend Maßnahmen des Einfrierens von Vermögenswerten im Widerspruch zu seiner Feststellung zu stehen, dass „erhebliche … Verfahrensunterschiede … zwischen den beiden Gemeinschaftsregelungen zum Einfrieren von Geldern bestehen“(25).

64.      Im Übrigen scheint es mir bereits aufgrund der unterschiedlichen Natur der beiden Regelungen des Einfrierens der Vermögenswerte nicht opportun zu sein, den vom Gericht seit dem Urteil OMPI angewendeten Kontrollmaßstab auf die Regelung der vom Sanktionsausschuss beschlossenen Eintragungen zu übertragen. Bekanntlich ergibt sich aus dieser Rechtsprechung(26), dass das Gericht dem zuständigen Unionsorgan zwar einen Wertungsspielraum einräumt, „dies allerdings nicht [bedeutet], dass es die Auslegung der maßgeblichen Daten durch dieses Organ nicht überprüfen darf“. Nach Auffassung des Gerichts muss der Unionsrichter nämlich „nicht nur die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz prüfen, sondern auch kontrollieren, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen“. Das Gericht stellt allerdings klar, dass es „[i]m Rahmen dieser Kontrolle … nicht die Zweckmäßigkeitsbeurteilung seitens des zuständigen Gemeinschaftsorgans durch seine eigene ersetzen darf“.

65.      Dieser vom Gericht entwickelte Kontrollstandard zeichnet sich dadurch aus, dass „sich die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit eines Beschlusses der Gemeinschaft über das Einfrieren von Geldern … auf die Beurteilung der Tatsachen und Umstände erstreckt, die zu seiner Begründung herangezogen wurden, sowie auf die Prüfung der Beweismittel und Informationen, auf die sich diese Beurteilung stützt“(27).

66.      Auch wenn ich im vorliegenden Zusammenhang nicht prüfen werde, ob ein solcher Kontrollstandard im Rahmen einer Regelung von autonomen Listen zum Einfrieren der Vermögenswerte gerechtfertigt ist, muss ich doch feststellen, dass die Übertragung der Rechtsprechung, wonach bei komplexen wirtschaftlichen Beurteilungen eine recht weitgehende Kontrolle durch den Unionsrichter durchgeführt werden kann(28), auf den Bereich des Kampfs gegen den Terrorismus aus meiner Sicht nicht auf der Hand liegt. Sollen den Unionsgerichten etwa die Analysen und die Quellen der Nachrichtendienste vorgelegt werden? Außerdem würde bei der Anwendung eines solchen Kontrollstandards meines Erachtens nicht hinreichend berücksichtigt werden, dass die Eintragung auf einer autonomen Liste weitgehend auf der Beurteilung der Existenz, der Zuverlässigkeit und der Hinlänglichkeit der ernsthaften und schlüssigen Beweise oder Indizien über die Verwicklung der betroffenen Person in terroristische Aktivitäten durch die zuständigen nationalen Behörden beruht(29). Somit müsste die Frage beantwortet werden, ob im Rahmen eines Systems, das weitgehend darauf beruht, dass die Unionsorgane hinsichtlich der Ernsthaftigkeit der Beweise oder Indizien, auf die eine Maßnahme des Einfrierens der Vermögenswerte gestützt wird, der Bewertung der zuständigen nationalen Behörden vertrauen, eine eingehende Kontrolle dieser Beweise durch den Unionsrichter wirklich angemessen ist.

67.      Jedenfalls sprechen im Hinblick auf die Umsetzung der vom Sanktionsausschuss beschlossenen restriktiven Maßnahmen mehrere Gründe gegen die Anwendung einer derart weitgehenden gerichtlichen Kontrolle, wie sie vom Gericht im angefochtenen Urteil unter Bezugnahme auf das Urteil OMPI durchgeführt worden ist. Diese Gründe betreffen die präventive Natur der betreffenden Maßnahmen, den internationalen Kontext, in den sich die angefochtene Handlung einfügt, den notwendigen Ausgleich zwischen den Erfordernissen des Kampfs gegen den Terrorismus und denen des Grundrechtsschutzes, die politische Natur der Beurteilungen des Sanktionsausschusses im Rahmen seiner Entscheidung, eine Person oder Organisation in die Liste aufzunehmen, sowie die Verbesserungen, die das Verfahren vor dieser Instanz in den vergangenen Jahren, insbesondere seit dem Urteil Kadi des Gerichtshofs, erfahren hat. Ich werde nacheinander auf sie eingehen.

68.      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof ständig und auch kürzlich noch entschieden hat, dass die Maßnahmen des Einfrierens der Gelder Sicherungsmaßnahmen darstellen, die keine enteignende Wirkung für die betroffenen Personen haben(30). Die Gelder werden somit vorsorglich eingefroren, aber nicht eingezogen. Diese Maßnahmen sind keine strafrechtlichen Sanktionen und enthalten im Übrigen keinen dahin gehenden Vorwurf(31). Sie sollen die Begehung neuer terroristischer Handlungen verhindern, und die schwerwiegenden Auswirkungen, die sie für die bezeichneten Personen und Organisationen haben können, sind mit dieser Präventivfunktion untrennbar verbunden. Die Finanzierung des Terrorismus greift auf Netzwerke zurück, die derart diffuser, komplizierter und versteckter Natur sind, dass die Maßnahmen zu seiner Verhinderung sehr früh und ganz peripher zur konkreten kriminellen Tätigkeit getroffen werden müssen. Im Grunde genommen muss die Prävention darauf abzielen, eine ganze Reihe von Netzwerken im wahrsten Sinne des Wortes zu paralysieren. Die Existenz solcher restriktiver Maßnahmen hat somit eine abschreckende Wirkung gegenüber möglichen Geldgebern, die wissen, dass sie sich sehr schwerwiegenden Konsequenzen aussetzen, wenn sie terroristische Organisationen unterstützen. Selbst wenn sie von langer Dauer sein können (wieso sollte die Verhinderung kürzer sein als die Bedrohung?), ist, wie bereits erwähnt, entscheidend, dass die Maßnahme und ihre Dauer einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen können, die an den spezifischen Charakter der Maßnahme angepasst ist. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass diese Art von Maßnahmen zeitlich begrenzt werden kann, wie es übrigens der Fall von Herrn Kadi zeigt. Daraus folgt, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, indem es sich in den Randnrn. 148 bis 151 des angefochtenen Urteils darauf gestützt hat, dass die präventive Natur der Maßnahmen des Einfrierens der Gelder möglicherweise in Frage gestellt werden müsse, um für eine eingehende gerichtliche Kontrolle dieser Maßnahmen einzutreten.

69.      Zweitens hat der Gerichtshof in seinem Urteil Kadi darauf hingewiesen, dass „die Befugnisse der [Union] unter Beachtung des Völkerrechts auszuüben sind“(32). Er hat klargestellt, dass „[d]ie Beachtung der im Rahmen der Vereinten Nationen übernommenen Verpflichtungen … im Bereich der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit geboten [ist], wenn die [Union] … Resolutionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta umsetzt“(33). Er hat auch betont, dass „[b]ei der Ausübung der zuletzt genannten Befugnis … die [Union] eine besondere Bedeutung dem Umstand beimessen [muss], dass nach Art. 24 der UN‑Charta der Sicherheitsrat, indem er aufgrund von Kapitel VII der Charta Resolutionen beschließt, die Hauptverantwortung wahrnimmt, die ihm zur weltweiten Wahrung des Friedens und der Sicherheit übertragen ist, eine Verantwortung, die im Rahmen des Kapitels VII die Befugnis einschließt, zu bestimmen, was eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellt, und die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um beide zu wahren oder wiederherzustellen“(34). Schließlich hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die Union bei der Ausarbeitung der Maßnahmen zur Umsetzung einer Resolution des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen „den Wortlaut und die Ziele der betreffenden Resolution sowie die maßgeblichen Verpflichtungen, die sich aus der UN-Charta in Bezug auf eine solche Umsetzung ergeben, gebührend berücksichtig[en]“ muss(35).

70.      Wie der Gerichtshof in Randnr. 299 seines Urteils Kadi entschieden hat, vermögen diese Erwägungen die Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer Handlung der Union zur Umsetzung einer Resolution des Sicherheitsrats durch den Unionsrichter nicht auszuschließen, können meines Erachtens allerdings als Rechtfertigung dafür herangezogen werden, die gerichtliche Kontrolle an den internationalen Kontext anzupassen, in den sich die Handlung der Union einfügt.

71.      Vorliegend ist dieser Kontext dadurch gekennzeichnet, dass der Sicherheitsrat die Hauptverantwortung dafür trägt, den Frieden und die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten, wobei diese Verantwortung die Organe und den Richter der Union grundsätzlich daran hindert, im Hinblick auf die Begründetheit der im Rahmen dieser Instanz beschlossenen restriktiven Maßnahme deren Beurteilung durch ihre eigene zu ersetzen. Eine eingehende gerichtliche Kontrolle wie die, für die das Gericht im angefochtenen Urteil eintritt, könnte nicht ausgeübt werden ohne Übergriff auf die Vorrechte des Sicherheitsrats zur Bestimmung, wann eine Bedrohung für den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit vorliegt und welche Maßnahmen zur Beseitigung dieser Bedrohung erforderlich sind. Da die Entscheidung über die Eintragung einer Person oder einer Organisation in die Liste dem Sanktionsausschuss zukommt, muss die in der Union durchgeführte gerichtliche Kontrolle dem begrenzten Wertungsspielraum der Unionsorgane Rechnung tragen. Letztlich kommt es darauf an, die Hauptverantwortlichkeit des Sicherheitsrats in dem in Rede stehenden Bereich nicht zu unterhöhlen und aus der Union keine Berufungs- oder Überprüfungsinstanz für die Entscheidungen des Sanktionsausschusses zu machen.

72.      Mehrere Bestimmungen des EU-Vertrags und des AEU-Vertrags sprechen ebenfalls für eine Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle in einem solchen Zusammenhang.

73.      So ergibt sich aus Art. 3 Abs. 5 EUV, dass „[die Union] einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, … zum Schutz der Menschenrechte … sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen [leistet]“. Außerdem lässt die Union sich bei ihrem Handeln auf internationaler Ebene gemäß Art. 21 Abs. 1 EUV insbesondere von „[der] Achtung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts“ leiten. Diese Bestimmung sieht ebenfalls vor, dass die Union „[sich] insbesondere im Rahmen der Vereinten Nationen für multilaterale Lösungen bei gemeinsamen Problemen ein[setzt]“. Ich verweise auch auf Art. 21 Abs. 2 Buchst. c EUV, der vorsieht, dass sich die Union für ein hohes Maß an Zusammenarbeit auf allen Gebieten der internationalen Beziehungen einsetzt, um „nach Maßgabe der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen … den Frieden zu erhalten, Konflikte zu verhüten und die internationale Sicherheit zu stärken“. Schließlich wird in der Erklärung Nr. 13 hinzugefügt, dass „[die Konferenz hervorhebt], dass die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten nach wie vor durch die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen und insbesondere durch die Hauptverantwortung des Sicherheitsrats und seiner Mitglieder für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gebunden sind“(36).

74.      Diese Bestimmungen legen die Grundlagen für ein Vorgehen der Union im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, das das Vorgehen der Vereinten Nationen respektiert.

75.      Bei der Bestimmung des Umfangs und der Intensität seiner Kontrolle muss der Gerichtshof den Hintergrund und den Zusammenhang der von ihm kontrollierten Handlung der Union berücksichtigen. Im vorliegenden Fall darf der Gerichtshof weder außer Acht lassen, dass die Aufnahme in die Liste in einem zentralisierten und universellen Verfahren im Rahmen der Vereinten Nationen beschlossen wird, noch, dass eine solche Entscheidung auf einer Zusammenfassung der Gründe beruht, die vom Sanktionsausschuss auf der Grundlage von Informationen und Beweisen erstellt wird, die ihm – meistens unter dem Siegel der Verschwiegenheit – von dem Staat oder den Staaten übermittelt worden sind, die die Aufnahme in die Liste beantragt haben, und über welche die Unionsorgane nicht verfügen sollen.

76.      Vor diesem Hintergrund scheint mir die wirkungsvollste Weise, das Ziel des Kampfs gegen den Terrorismus in Einklang mit einem optimalen Schutz der Grundrechte der in die Liste aufgenommenen Personen zu bringen, darin zu bestehen, im Geiste der vorgenannten Vertragsbestimmungen die Zusammenarbeit zwischen der Union und den Vereinten Nationen in dem in Frage stehenden Bereich weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass nach Art. 220 Abs. 1 AEUV „[d]ie Union … jede zweckdienliche Zusammenarbeit mit den Organen der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen [betreibt]“. Daraus ergibt sich, dass die Bestätigung der Autonomie der Unionsrechtsordnung, aufgrund deren sich der Gerichtshof in seinem Urteil Kadi geweigert hat, die Handlungen der Union zur Umsetzung von Entscheidungen des Sanktionsausschusses als nicht justiziabel anzusehen, meiner Ansicht nach nicht im Widerspruch zur Weiterentwicklung einer engeren Zusammenarbeit mit dieser Instanz steht. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. Juli 2012, Parlament/Rat(37), festgestellt hat, dass der Gemeinsame Standpunkt 2002/402, die Verordnung Nr. 881/2002 und die Verordnung (EU) Nr. 1286/2009(38) „ein System der Interaktion zwischen dem Sanktionsausschuss und der Union“ hergestellt haben(39).

77.      Drittens hat der Gerichtshof in seinem Urteil Kadi, nachdem er betont hatte, dass „zwingende Gründe der Sicherheit oder der Gestaltung der internationalen Beziehungen der [Union] und ihrer Mitgliedstaaten der Mitteilung bestimmter Umstände an die Beteiligten …. entgegenstehen [können]“(40), festgestellt, dass der Unionsrichter sich an dem erforderlichen Ausgleich zwischen dem Kampf gegen den Terrorismus und dem Schutz der Grundrechte beteiligen muss. So müsse er „im Rahmen der von ihm ausgeübten gerichtlichen Kontrolle Techniken anwenden, die es ermöglichen, die legitimen Sicherheitsinteressen in Bezug auf die Art und die Quellen der Informationen, die beim Erlass des betreffenden Rechtsakts berücksichtigt worden sind, auf der einen und das Erfordernis, dem Einzelnen hinreichende Verfahrensgarantien zu gewähren, auf der anderen Seite zum Ausgleich zu bringen“(41). Eine dieser Techniken besteht meines Erachtens darin, dass der Unionsrichter die Intensität seiner Kontrolle an die Umstände anpasst, unter denen die beanstandete Handlung der Union ergangen ist.

78.      Viertens ist, wie die Kommission und die beteiligten Regierungen im ersten Rechtszug hervorgehoben haben, die Befugnis zur Entscheidung, dass eine Person mit Al-Qaida verbunden und deshalb ein Einfrieren ihrer Vermögenswerte erforderlich ist, um sie daran zu hindern, Terrorakte zu finanzieren oder vorzubereiten, dem Sicherheitsrat übertragen worden, und es gibt wohl kaum einen wichtigeren und komplexeren Politikbereich, in dem Beurteilungen zu treffen sind, die den Schutz der internationalen Sicherheit betreffen.

79.      Die Listen für das Einfrieren von Vermögenswerten sind Teil einer Politik, die darauf abzielt, die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zu verhindern. Das Ziel der Maßnahmen des Einfrierens von Vermögenswerten der aufgeführten Personen ist, „zu verhindern, dass diese Personen Zugriff auf wirtschaftliche Ressourcen und Finanzmittel gleich welcher Art haben, die sie zur Unterstützung terroristischer Tätigkeiten einsetzen könnten“(42).

80.      Was die vom Sanktionsausschuss erstellte Liste angeht, wird die Aufnahme in diese zwar zum einen auf Indizien gestützt, die angeben, inwiefern das Verhalten einer Person oder einer Organisation eine Verbindung zu einer terroristischen Organisation und somit eine Bedrohung für den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit erkennen lässt, zum anderen betrifft sie aber auch ganz allgemein strategische und geopolitische Herausforderungen. In dieser Hinsicht muss die Auswahl der aufgeführten Personen angepasst werden an die Fortentwicklung der Bedrohung und zeigt den Willen auf, gegen bestimmte terroristische Organisationen in bestimmten Weltregionen zu kämpfen(43). So fügt sich die Aufnahme in die Liste in einen über den Einzelfall hinausgehenden politischen Prozess ein. Trotz ihrer Zielgerichtetheit, die ihr eine individuelle Dimension verleiht, ist diese Regelung des Einfrierens der Vermögenswerte vor allem ein Mittel zum Kampf gegen, zur Schwächung von oder sogar zur Zerschlagung von terroristischen Organisationen. Die politische Dimension dieses Prozesses, an dem die Union teilzunehmen beschlossen hat, impliziert meines Erachtens, dass der Unionsrichter bei der Ausübung seiner gerichtlichen Kontrolle Maß halten muss, d. h., dass er grundsätzlich nicht seine eigene Beurteilung an die Stelle derjenigen der zuständigen politischen Behörden setzen darf.

81.      Fünftens sprechen auch die Verbesserungen, die das Verfahren vor dem Sanktionsausschuss seit dem Jahr 2008 erfahren hat, für eine begrenzte Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnung durch den Unionsrichter. Unabhängig davon, ob im Rahmen der vorliegenden Rechtsmittel nur die Entwicklungen berücksichtigt werden, die vor der angefochtenen Verordnung erfolgt sind, oder ob auch diejenigen berücksichtigt werden, die seitdem erfolgt sind, ist unbestreitbar, dass die Vereinten Nationen mit der Annahme der Resolutionen 1822 (2008) vom 30. Juni 2008, 1904 (2009) vom 17. Dezember 2009 und 1989 (2011) vom 17. Juni 2011 durch den Sicherheitsrat in einen Prozess der Verbesserung der Eintragungs- und Löschungsverfahren eingetreten sind, was die Billigkeit und die Achtung der Verteidigungsrechte angeht.

82.      Dieser Prozess zeugt von einer Einsicht innerhalb der Vereinten Nationen, dass trotz der erforderlichen Vertraulichkeit die Eintragungs- und Löschungsverfahren nunmehr auf der Grundlage eines ausreichenden Informationsniveaus durchgeführt werden müssen, dass die Mitteilung an die betroffene Person gefördert werden muss und dass die Begründung hinreichend detailliert sein muss. Die Ombudsperson, die ihre Aufgaben in völliger Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ausübt, spielt in dieser Hinsicht eine bedeutende Rolle. Sie sammelt die Informationen, die für ihre Beurteilung erforderlich sind, bei den betroffenen Mitgliedstaaten, initiiert auf dieser Basis einen Dialog mit dem Antragsteller und unterbreitet anschließend dem Sanktionsausschuss Vorschläge hinsichtlich der Notwendigkeit, eine Person oder eine Organisation auf der Liste zu belassen. Im Rahmen des Löschungsverfahrens trifft dieser Ausschuss seine Entscheidungen somit auf der Grundlage einer unabhängigen und unparteiischen Beurteilung der Notwendigkeit, die betroffenen Personen auf der Liste zu belassen. Die durch die Ombudsperson durchgeführte strenge Prüfung verlangt, dass gute Gründe für das Belassen eines Namens auf der Liste bestehen, dass also ausreichend Informationen vorliegen, um einen „vernünftigen und glaubhaften“ Grund für die Aufnahme in die Liste zu geben(44). Angesichts der wichtigen Rolle, die die Ombudsperson bei den Entscheidungen des Sanktionsausschusses spielt, kann das Verfahren vor diesem Ausschuss meines Erachtens nicht mehr als rein diplomatisch und zwischenstaatlich qualifiziert werden. Übrigens ist darauf hinzuweisen, dass die regelmäßige Überprüfung der Liste es insbesondere ermöglicht, eine regelmäßige Akutalisierung der Daten zu gewährleisten und die Begründung gegebenenfalls zu vervollständigen. Die Verbesserungen des Verfahrens vor dem Sanktionsausschuss tragen somit dazu bei, sicherzustellen, dass die Aufnahme in die Liste auf hinreichend ernsthaften Elementen beruht und dass sie einer fortlaufenden Bewertung unterliegt.

83.      Wie die Ombudsperson anerkennt(45), ist es das Urteil Kadi des Gerichtshofs, das zur Schaffung des Amts der Ombudsperson geführt hat, das es ermöglicht hat, die Qualität der Liste deutlich zu steigern. Auch wenn die Ombudsperson keine Rechtsprechungsinstanz ist, wäre es paradox, wenn der Gerichtshof Verbesserungen, zu deren Einführung er unmittelbar beigetragen hat, nicht berücksichtigen würde.

84.      Die Ombudsperson hat dazu beigetragen, die Übermittlung von Informationen von den Staaten an den Sanktionsausschuss fortzuentwickeln, was sicherstellt, dass die Entscheidungsfindung auf solideren Grundlagen erfolgt. Allein aufgrund eines solchen Dialogs wird die Liste auf dem neusten Stand gehalten werden und weiterhin internationale Unterstützung erfahren. Diese Dynamik könnte gehemmt werden, wenn der Sanktionsausschuss, wie es der vom Gericht im angefochtenen Urteil entwickelte Ansatz impliziert, de facto verpflichtet würde, den Unionsorganen die Beweise oder Informationen mitzuteilen, deren Übermittlung die Staaten – nicht ohne Schwierigkeit – zugestimmt haben. Diese Staaten könnten in Zukunft weniger geneigt sein, dem Sanktionsausschuss vertrauliche Informationen zu übermitteln, was eine negative Auswirkung auf die Qualität und die Billigkeit der Eintragungs- und Löschungsverfahren hätte. Zu weitgehende regionale oder nationale Anforderungen könnten sich vielmehr für den Ausgleich zwischen dem Kampf gegen den Terrorismus und dem Schutz der Grundrechte der auf der Liste aufgeführten Personen als kontraproduktiv erweisen.

85.      Meines Erachtens impliziert ein effektiver, auf weltweiter Ebene geführter Kampf gegen den Terrorismus statt eines Misstrauens das Vertrauen und die Zusammenarbeit zwischen den daran teilhabenden internationalen, regionalen und nationalen Institutionen. Das gegenseitige Vertrauen, das zwischen der Union und den Vereinten Nationen herrschen sollte, ist dadurch gerechtfertigt, dass die Achtung der Grundrechte ein gemeinsamer Wert dieser beiden Organisationen ist.

86.      Das bedeutet nicht, dass den Entscheidungen des Sanktionsausschusses eine Blankovollmacht ausgestellt werden muss oder dass diese ohne jeglichen kritischen Geist automatisch angewendet werden müssen, selbst wenn während des Umsetzungsverfahrens ein offensichtlicher Fehler zutage tritt. Sobald allerdings die Eintragungs- und Löschungsverfahren beim Sanktionsausschuss eine strenge Prüfung der Begründetheit der Eintragungen und der Notwendigkeit ihrer Beibehaltung erlauben, gibt es meines Erachtens keinen Anlass mehr für die Unionsgerichte, ein Kontrollniveau anzuwenden, nach dem die Unionsorgane verpflichtet wären, vor der Umsetzung der Entscheidungen des Sicherheitsrats auf der Grundlage der Beweise oder Informationen, über die diese Instanz verfügt, systematisch und eingehend ihre Begründetheit zu prüfen. Die Verbesserungen des Eintragungs- und Löschungsverfahrens vermögen nämlich das Vertrauen zu stärken, das die Unionsorgane und die Unionsrichter auf die Entscheidungen des Sanktionsausschusses haben können.

87.      Nach alledem bin ich der Auffassung, dass die Eintragungs- und Löschungsverfahren beim Sanktionsausschuss ausreichende Garantien vorweisen, um den Unionsorganen die Annahme zu erlauben, dass die Entscheidungen dieser Instanz begründet sind. Die Verbesserungen des Verfahrens innerhalb der Vereinten Nationen lassen insbesondere die Annahme zu, dass die Gründe, auf die eine Eintragung gestützt wird, durch Beweise und Informationen hinreichend belegt sind. Somit sollte der Unionsrichter keine eingehende Kontrolle der Begründetheit der Eintragung auf der Grundlage der Beweise und Informationen durchführen, auf denen die Beurteilungen des Sanktionsausschusses beruhen.

88.      Diese Begründetheitsvermutung kann allerdings anlässlich des Verfahrens zur Umsetzung innerhalb der Union in Frage gestellt werden, im Laufe dessen sich die eingetragene Person auf neue Beweise oder Informationen stützen kann. Je transparenter das Verfahren innerhalb der Vereinten Nationen ist und je stärker dieses auf hinreichend zahlreiche und ernsthafte Informationen gestützt wird, desto weniger werden die regionalen und nationalen Umsetzungsinstitutionen versucht sein, die Beurteilungen des Sanktionsausschusses in Frage zu stellen.

89.      Die Durchführung eines Umsetzungsverfahrens, das in vollem Umfang die Verteidigungsrechte beachtet, ermöglicht den Unionsorganen gerade, darüber zu wachen, dass eine Eintragung innerhalb der Union trotz der Begründetheitsvermutung, die an die Bewertung des Sanktionsausschusses geknüpft ist, nicht auf einer offensichtlich unzureichenden oder fehlerhaften Begründung beruht. Deshalb muss das Umsetzungsverfahren den eingetragenen Personen und Organisationen ermöglichen, die Begründung durch Vorlage gegebenenfalls neuer Beweise oder Informationen zu beanstanden.

90.      Daher ist es äußerst wichtig, dass der Unionsrichter die Art und Weise, in der das Umsetzungsverfahren von der Kommission durchgeführt worden ist, streng kontrolliert. Die Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Handlung der Union sollte sich ihrerseits auf eine Überprüfung auf mögliche offensichtliche Beurteilungsfehler beschränken. Ich werde mich nunmehr näher damit beschäftigen, welchen Umfang und welche Intensität die Kontrolle, die der Unionsrichter über die Handlungen der Union zur Umsetzung von Entscheidungen des Sanktionsausschusses ausübt, meines Erachtens haben sollte.

B –    Mein Vorschlag hinsichtlich des anwendbaren Kontrollstandards

91.      Im Rahmen der Bestimmung des Umfangs und der Intensität dieser Kontrolle müssen drei Fragen beantwortet werden: Welches ist der rechtliche Maßstab, anhand dessen die Kontrolle ausgeübt wird? Was kontrolliert der Richter? Wie kontrolliert er?

92.      Die Antwort auf die ersten beiden Fragen ergibt sich aus dem Urteil Kadi des Gerichtshofs. Der Unionsrichter kann ersucht werden, Handlungen der Union zur Umsetzung der Entscheidungen des Sanktionsausschusses auf ihre rechtliche Vereinbarkeit mit dem gesamten Unionsrecht und insbesondere mit den von der Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten zu kontrollieren. Außerdem kann die gerichtliche Kontrolle nicht nur die formelle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Handlung, sondern auch ihre materielle Rechtmäßigkeit betreffen. Der Umfang der gerichtlichen Kontrolle ist sehr weit und kann somit als „umfassend“ angesehen werden.

93.      Die Beantwortung der dritten Frage setzt eine Auseinandersetzung mit der Intensität der gerichtlichen Kontrolle voraus.

94.      Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, teile ich nicht die vom Gericht vertretene Auffassung, wonach eine gerichtliche Kontrolle von begrenzter Intensität einem Ausbleiben der Kontrolle gleichzusetzen ist. Der Unionsrichter hat seine Kontrolle stets angepasst an die Art des Rechtsstreits, mit dem er befasst ist, den Zusammenhang, in den sich der angefochtene Akt einfügt, und die Art der Beurteilungen, die diesem zugrunde liegen, also z. B., ob diese Beurteilungen komplex oder von politischer Natur sind(46).

95.      Der oben beschriebene spezifische Zusammenhang, in dem die angefochtene Verordnung ergangen ist, rechtfertigt es meines Erachtens, hinsichtlich ihrer formellen Rechtmäßigkeit eine normale Kontrolle durchzuführen, während hinsichtlich der materiellen Rechtmäßigkeit dieser Verordnung eine beschränkte Kontrolle durchgeführt werden sollte.

1.      Normale Kontrolle der formellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnung

96.      Hinsichtlich des Urteils Kadi des Gerichtshofs ist im Schrifttum angemerkt worden, dass der Rückgriff auf Verfahrensrechte häufig einen indirekten Schutz der materiellen Rechte zu gewährleisten vermag(47). Andere haben darauf hingewiesen, dass in einem Fall wie der Rechtssache Kadi I, in dem eine Mitteilung der Gründe fehle, eine Vermutung der Unangemessenheit und der Unverhältnismäßigkeit bestehe, die eine Aufhebung der Handlung rechtfertige(48). Diese beiden Anmerkungen legen den Schwerpunkt zu Recht auf die Bedeutung der gerichtlichen Kontrolle der formellen und verfahrensrechtlichen Aspekte der angefochtenen Handlung.

97.      Gewährleistet der Unionsrichter eine strenge Kontrolle der Beachtung der wesentlichen Formvorschriften und die Durchführung eines die Verteidigungsrechte beachtenden Verfahrens, so vermag er im Rahmen der Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Handlung eine zurückhaltendere Haltung anzunehmen. Hierbei handelt es sich um eine klassische dialektische Beziehung zwischen der Kontrolle der formellen Rechtmäßigkeit und der Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit. Als Gegenstück zur Anerkennung eines Wertungsspielraums der zuständigen politischen Behörden und der daraus folgenden Beschränkung der Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit verschärft der Unionsrichter die formellen und verfahrensrechtlichen Anforderungen für den Erlass des Aktes(49). Die Verfahrens- und Formvorschriften sollen die materielle Rechtmäßigkeit der Handlung sicherstellen, ihre Überprüfung ermöglichen und darüber hinaus die Beurteilung ihrer Zweckmäßigkeit durch ihren Urheber erleichtern. Mit der Verschärfung der verfahrensrechtlichen und formellen Anforderungen sucht der Richter somit die Vermutung der materiellen Recht- und Zweckmäßigkeit der beanstandeten Maßnahme zu verstärken(50). Selbst wenn der Richter hinsichtlich der Begründetheit der Eintragung eine Haltung des „self-restraint“ annimmt, gewährleistet das vom Richter in verfahrensrechtlicher Hinsicht zugrunde gelegte hohe Anforderungsniveau somit einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz der Grundrechte und dem Kampf gegen den Terrorismus.

98.      Bezüglich der angefochtenen Handlung muss der Unionsrichter streng kontrollieren, ob diese im Rahmen eines die Verteidigungsrechte beachtenden Verfahrens angenommen worden ist. Er muss insbesondere prüfen, ob dem Betroffenen die Gründe für die Eintragung mitgeteilt worden sind, ob diese Gründe für eine sachdienliche Verteidigung ausreichen, ob er gegenüber der Kommission hat Stellung nehmen können und ob die Kommission diese Stellungnahme hinreichend berücksichtigt hat.

99.      Ob die Gründe, die der in die Liste aufgenommenen Person mitgeteilt wurden, ausreichen, ist anhand der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Begründungspflicht von Handlungen der Union zu prüfen(51). Im Wesentlichen muss die Begründung dem Betroffenen die Kenntnisnahme von den Gründen für die erlassene Maßnahme ermöglichen und dem zuständigen Gericht die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe. Die Begründung muss die spezifischen und konkreten Gründe anführen, aufgrund deren die zuständige Stelle zur Auffassung gelangt ist, dass eine restriktive Maßnahme gegen den Betroffenen erlassen werden muss, damit ihm ermöglicht wird, den Vorwurf zu verstehen und sich durch Beanstandung der geltend gemachten Gründe wirksam zu verteidigen.

100. Die Anforderungen an die Begründung ändern sich je nach der Art der betroffenen Handlung und dem Zusammenhang, in dem sie angenommen worden ist. Dieses Erfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an den Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob eine Begründung ausreichend ist, nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet(52).

101. Zusammenfassend muss der Betroffene in die Lage versetzt werden, auf der Grundlage der Begründung die Begründetheit der streitigen Handlung zu beanstanden. Er muss insbesondere die Richtigkeit der erwähnten Tatsachen, ihre rechtliche Würdigung und weiter gehend den Inhalt dieses Akts, insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, beanstanden können.

102. Neben der Mitteilung einer ausreichenden Begründung muss der Unionsrichter auch überprüfen, ob die betroffene Person gegenüber der Kommission hat Stellung nehmen können und ob die Kommission diese Stellungnahme hinreichend berücksichtigt hat. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, dass die Kommission die Stellungnahme und die eventuell vom Betroffenen neu vorgebrachten Elemente sorgfältig untersucht.

103. Dagegen geht in dem Zusammenhang, in dem die angefochtene Verordnung ergangen ist, das Erfordernis eines die Verteidigungsrechte beachtenden Verfahrens nicht so weit, dass den Unionsorganen auferlegt wird, alle Informationen oder Beweise, über die der Sanktionsausschuss verfügt, bei diesem einzuholen und sie dann der eingetragenen Person zu übermitteln, damit diese zu ihrer Relevanz Stellungnahme nehmen kann.

104. Eine solche Übermittlung der Beweise kann umso weniger gerechtfertigt werden, als der Unionsrichter meines Erachtens die Intensität der materiellen Rechtmäßigkeitskontrolle der angefochtenen Verordnung zu beschränken hat.

2.      Beschränkte Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnung

105. Auch wenn der Unionsrichter wie erwähnt streng kontrollieren muss, ob die Begründung ausreichend ist, darf er die Begründetheit hingegen inhaltlich nur eingeschränkt kontrollieren. Aufgrund des Umstands, dass die Bewertung der Zweckmäßigkeit einer Eintragung dem Sanktionsausschuss obliegt, kommt es dem Unionsrichter insbesondere nicht zu, die Nachweise für das behauptete Verhalten zu untersuchen.

106. Die Kontrolle der einzelnen Elemente der materiellen Rechtmäßigkeit einer Handlung der Union, die die Entscheidungen des Sanktionsausschusses umsetzt, muss sich somit meines Erachtens auf eine Überprüfung beschränken, ob offensichtliche Fehler vorliegen.

107. Erstens betrifft dies die Kontrolle der materiellen Richtigkeit des Sachverhalts. Im Rahmen des zwischen der Union und dem Sanktionsausschuss eingerichteten Systems der Interaktion kommt es nämlich Letzterem(53) zu, bei den betroffenen Staaten die Informationen oder Beweise zu sammeln, die das Vorliegen von Tatsachen nachzuweisen vermögen, die die Aufnahme in die Liste rechtfertigen. Es ist nicht vorgesehen, dass auch die Unionsorgane über diese Informationen oder diese Beweismittel verfügen. Da die materielle Richtigkeit der vom Sanktionsausschuss ermittelten Tatsachen zu vermuten ist, vermag allein ein offenkundiger Fehler in der Tatsachenfeststellung zur Aufhebung des Umsetzungsakts zu führen.

108. Zweitens gilt dasselbe für die Kontrolle der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts. Der Unionsrichter muss sich meines Erachtens auf die Prüfung beschränken, ob die Kommission keinen offensichtlichen Fehler bei der Feststellung begangen hat, dass angesichts der Begründung die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Maßnahme des Einfrierens der Gelder erfüllt waren.

109. Was schließlich die Kontrolle des Inhalts der streitigen Handlung durch den Unionsrichter angeht, so muss sie sich angesichts des weiten Wertungsspielraums, über den der Sanktionsausschuss hinsichtlich der Zweckmäßigkeit einer Aufnahme in die Liste verfügt, auf die Prüfung beschränken, ob die Aufnahme im Hinblick auf die Bedeutung des verfolgten Ziels, und zwar den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, nicht offensichtlich unangemessen oder unverhältnismäßig ist.

110. Zusammenfassend darf der Unionsrichter bei der Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union, die Entscheidungen des Sanktionsausschusses umsetzen, grundsätzlich nicht die Begründetheit der Aufnahme in die Liste in Frage stellen, außer in dem Fall, in dem im Rahmen des Verfahrens zur Umsetzung dieser Eintragung innerhalb der Union ein offenkundiger Fehler hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen, der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts oder der Bewertung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen ersichtlich wird.

VI – Zum Schutzinhalt der geltend gemachten Grundrechte

111. An dieser Stelle werde ich auf den dritten Rechtsmittelgrund eingehen, der von der Kommission sowie hilfsweise vom Rat und vom Vereinigten Königreich vorgebracht wird und wonach das Gericht Rechtsfehler bei der Prüfung der von Herrn Kadi geltend gemachten Klagegründe gemacht hat, die eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte und seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz sowie einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit betrafen.

112. Im ersten Rechtszug hat das Gericht die Argumentation von Herrn Kadi bestätigt, wonach die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz so ausgelegt werden müssten, dass die Kommission verpflichtet sei, vor der Umsetzung einer vom Sanktionsausschuss beschlossenen Eintragung die ihr zugrunde liegenden Beweise zu erheben und zu prüfen. Damit würde die Kommission eine Überprüfungsinstanz für die Entscheidungen des Sanktionsausschusses und der Unionsrichter eine Berufungsinstanz für diese Entscheidungen werden.

113. Die Gründe, aus denen das Verhältnis zwischen dem Sanktionsausschuss und der Union nicht auf diese Weise, sondern auf der Grundlage eines gegenseitigen Vertrauens und einer effektiven Zusammenarbeit verstanden werden sollte, habe ich bereits erläutert.

114. Somit scheinen mir die Feststellungen des Gerichtshofs in seinem Urteil Kadi, nach denen den eingetragenen Personen die „ihnen zur Last gelegten Umstände“ mitgeteilt werden müssen, lediglich die Mitteilung einer hinreichend detaillierten Begründung zu betreffen, aber keineswegs die Mitteilung der Beweise oder der Informationen, über die der Sanktionsausschuss verfügt und auf die er die von ihm beschlossenen Eintragungen gestützt hat. In dieser Hinsicht weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof in Randnr. 342 seines Urteils Kadi ausdrücklich festgestellt hat, dass „zwingende Erwägungen der Sicherheit oder der Gestaltung der internationalen Beziehungen der [Union] und ihrer Mitgliedstaaten der Mitteilung bestimmter Umstände an die Betroffenen entgegenstehen können“.

115. Im Rahmen des zwischen dem Sanktionsausschuss und der Union eingerichteten Systems der Interaktion besteht der Schutzgehalt der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz somit in erster Linie in der Mitteilung einer Begründung an den Betroffenen, aus der sich die spezifischen und konkreten Gründe dafür ergeben, dass die politisch zuständige Behörde davon ausgegangen ist, dass eine Maßnahme des Einfrierens der Gelder zu ergreifen war, sowie in der rigorosen Berücksichtigung der Stellungnahme der eingetragenen Person zur Beanstandung der Relevanz dieser Gründe. Meines Erachtens kann nicht unter Berufung auf den Schutz der Verteidigungsrechte und auf das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verlangt werden, dass die Kommission und der Unionsrichter die Beweise und Informationen untersuchen, über die der Sanktionsausschuss verfügt und auf die er sich beim Verfassen der Begründung gestützt hat.

116. Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich aus der in Randnr. 50 des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Begründung ergibt, dass Herrn Kadi die spezifischen und konkreten Gründe bekannt waren, die nach Ansicht des Sanktionsausschusses die Aufnahme des Betroffenen in die Liste gerechtfertigt haben. Entgegen der Feststellung des Gerichts in Randnr. 174 des angefochtenen Urteils stellen die Elemente, die Herrn Kadi zur Last gelegt wurden, keine „vagen Behauptungen“ dar, sondern sind hinreichend präzise, um es ihm zu ermöglichen, die ihm im Zusammenhang mit Al-Qaida und ihrer Finanzierung zur Last gelegten persönlichen und beruflichen Beziehungen in Abrede zu stellen. Dies gilt insbesondere für die Behauptung, die Stiftung Muwafaq, deren Gründungsmitglied und Leiter Herr Kadi gewesen sei, habe sich Al-Qaida angeschlossen, für die Rolle, die diese Stiftung bei der Finanzierung von terroristischen Aktivitäten gehabt hat, für die Verbindungen, die Herr Kadi mit Herrn Al-Ayadi unterhalten hat, dem vorgeworfen wird, mit Osama bin Laden zusammengearbeitet zu haben, oder auch für die Behauptung, dass Gesellschaften in Albanien, die Herrn Kadi gehörten, Betriebskapital von Osama bin Laden erhalten hätten.

117. Im Übrigen findet sich entgegen der Feststellung des Gerichts in Randnr. 171 des angefochtenen Urteils kein Hinweis darauf, dass die Verteidigungsrechte des Klägers „nur rein formal und dem Anschein nach“ berücksichtigt worden sind. Herr Kadi hat in dieser Hinsicht nicht dargetan, inwiefern die Kommission keine hinreichend strenge und aufmerksame Prüfung der Stellungnahme, die er nach Mitteilung der Begründung abgegeben hat, durchgeführt haben soll(54).

118. Daraus folgt, dass das Gericht mit seiner Feststellung, die angefochtene Verordnung sei unter Verletzung der Verteidigungsrechte des Klägers angenommen worden, einen Rechtsfehler begangen hat.

119. Außerdem ermöglichte die Übermittlung der Begründung an Herrn Kadi ihm eine Verteidigung vor dem Unionsrichter und dem Unionsrichter die Durchführung einer Rechtmäßigkeitskontrolle der angefochtenen Verordnung nach den zuvor beschriebenen Modalitäten.

120. Das Gericht hat somit einen weiteren Rechtsfehler begangen, indem es in den Randnrn. 182 und 183 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, dass es aufgrund der fehlenden Möglichkeit zur Überprüfung der zulasten des Klägers herangezogenen Beweise nicht in der Lage gewesen sei, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnung zu prüfen, was es zu der Feststellung veranlasst hat, dass das Recht des Klägers auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verletzt worden sei.

121. Schließlich hat das Gericht einen letzten Rechtsfehler begangen, indem es angenommen hat, dass aufgrund der Verletzung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz auch die Rügen des Klägers begründet seien, wonach der Eingriff der angefochtenen Verordnung in sein Grundrecht auf Schutz des Eigentums nicht verhältnismäßig gewesen sei.

122. Aus all diesen Gründen schlage ich dem Gerichtshof vor, das angefochtene Urteil aufzuheben.

123. Da die Rechtsmittel meines Erachtens begründet sind, scheint es mir unter Berücksichtigung des Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht nur gerechtfertigt, sondern im Interesse eines endgültigen Abschlusses der Saga der Rechtssachen Kadi auch angebracht zu sein, dass der Gerichtshof selbst über die Nichtigkeitsklage von Herrn Kadi entscheidet. Wie sich zeigen wird, ergeben sich die meisten Antworten auf die einzelnen von Herrn Kadi vorgebrachten Klagegründe zum großen Teil bereits aus meinen vorangehenden Ausführungen.

VII – Zur Klage vor dem Gericht

124. Der Kläger stützt seinen Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung auf fünf Klagegründe. Mit dem ersten macht er das Fehlen einer ausreichenden Rechtsgrundlage geltend. Mit dem zweiten macht er eine Verletzung der Verteidigungsrechte und des Anspruchs auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz geltend. Mit dem dritten macht er einen Verstoß gegen die Begründungspflicht nach Art. 296 AEUV geltend. Mit dem vierten macht er eine offensichtlich fehlerhafte Beurteilung der Tatsachen geltend. Mit dem fünften macht er schließlich geltend, dass unverhältnismäßig in sein Recht auf Eigentum eingegriffen worden sei.

125. Was den Klagegrund angeht, mit dem das Fehlen einer ausreichenden Rechtsgrundlage geltend gemacht wird, vertritt der Kläger die Auffassung, dass die angefochtene Verordnung nicht in Einklang mit den Regeln angenommen worden sei, die in Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 881/2002 in ihrer zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung vorgesehen gewesen seien. Nach dieser Bestimmung wird „[d]ie Kommission … ermächtigt, … Anhang I auf der Grundlage der Entscheidungen des Sicherheitsrates … oder des Sanktionsausschusses zu ändern oder zu ergänzen“. Entgegen dem Vorbringen des Klägers hat diese Bestimmung nicht bewirkt, dass der Erlass der angefochtenen Verordnung von einer neuen „Entscheidung“ abhängig gemacht wird, die dazu führt, dass Herr Kadi erneut vom Sanktionsausschuss in die Liste eingetragen wird. Die Kommission ist somit dem Urteil Kadi des Gerichtshofs nachgekommen und hat in Einklang mit Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 881/2002 gehandelt, indem sie nach Abschluss eines zweiten Verfahrens, das dieses Mal die Verteidigungsrechte von Herrn Kadi beachtet hat, dessen Namen in Anhang I der Verordnung aufgenommen hat. Somit ist der erste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

126. Hinsichtlich des zweiten Klagegrundes, mit dem eine Verletzung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz geltend gemacht wird, sowie des dritten Klagegrundes, mit dem eine Verletzung der Begründungspflicht gemäß Art. 296 AEUV geltend gemacht wird, verweise ich auf meine vorherigen Ausführungen, aus denen sich ergibt, dass diese Klagegründe als unbegründet zurückgewiesen werden müssen.

127. Bezüglich des vierten Klagegrundes, mit dem eine offensichtlich fehlerhafte Beurteilung der Tatsachen geltend gemacht wird, stelle ich erstens fest, dass meines Erachtens weder die vor dem Gericht noch die vor dem Gerichtshof erfolgten Verhandlungen es ermöglicht haben, einen offensichtlichen Fehler in Bezug auf die materielle Richtigkeit der in der Begründung erwähnten Tatsachen aufzuzeigen. Zweitens hat die Kommission meines Erachtens keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, indem sie im Gefolge des Sanktionsausschusses, auf der Grundlage der von diesem ausgearbeiteten Begründung und nach dem Meinungsaustausch mit dem Kläger festgestellt hat, dass die vom Sanktionsausschuss festgestellten Umstände eine Bedrohung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit erkennen ließen und dass der Kläger nicht darzutun vermocht habe, dass diese seit seiner ursprünglichen Aufnahme in die Liste entfallen sei.

128. Schließlich habe ich hinsichtlich des fünften Klagegrundes, mit dem ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Eigentumsrecht von Herrn Kadi geltend gemacht wird, bereits ausgeführt, dass sich ein solcher Eingriff im vorliegenden Fall, anders als dies im Urteil Kadi des Gerichtshofs der Fall war, nicht aus einer Verletzung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ergeben kann, die meines Erachtens nicht gegeben sind. Im Übrigen liegt, abgesehen von dem verfahrensrechtlichen Aspekt des Eigentumsrechtsschutzes, auch keine Verletzung in materiell-rechtlicher Hinsicht vor. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Begründung des Gerichtshofs in den Randnrn. 354 bis 366 seines Urteils Kadi sowie in Analogie auf das, was der Gerichtshof hinsichtlich der autonomen Regelung des Einfrierens der Gelder entschieden hat, auf die Randnrn. 120 bis 130 seines Urteils Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa.

VIII – Ergebnis

129. Aufgrund dessen schlage ich dem Gerichtshof vor,

–        das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 30. September 2010, Kadi/Kommission (T‑85/09), aufzuheben und

–        die Klage von Herrn Yassin Abdullah Kadi abzuweisen.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – C‑402/05 P und C‑415/05 P, Slg. 2008, I‑6351, im Folgenden: Urteil Kadi des Gerichtshofs.


3–      Im Folgenden: Sicherheitsrat.


4–      Im Folgenden: Sanktionsausschuss.


5–      Im Folgenden: Liste.


6–      Vgl. Nrn. 35 bis 46 meiner Schlussanträge in der vor dem Gerichtshof anhängigen Rechtssache ZZ (C‑300/11).


7––      T‑85/09, Slg. 2010, II‑5177, im Folgenden: angefochtenes Urteil.


8–      ABl. L 322, S. 25, im Folgenden: angefochtene Verordnung.


9 –      T‑315/01, Slg. 2005, II‑3649 (im Folgenden: Urteil Kadi I des Gerichts).


10 –      ABl. L 139, S. 9.


11–      T‑228/02, Slg. 2006, II‑4665, im Folgenden: Urteil OMPI.


12–      T‑256/07, Slg. 2008, II‑3019.


13–      Vgl. Randnrn. 185 bis 187 des angefochtenen Urteils.


14–      Vgl. Randnr. 188 des angefochtenen Urteils.


15–      Vgl. Durchführungsverordnung (EU) Nr. 933/2012 der Kommission vom 11. Oktober 2012 zur 180. Änderung der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit dem Al-Qaida-Netzwerk in Verbindung stehen (ABl. L 278, S. 11).


16 – Zur Frage des Fortbestands des Rechtsschutzinteresses nach Streichung von der Liste vgl. meine Schlussanträge in der beim Gerichtshof anhängigen Rechtssache Abdulrahim/Rat und Kommission (C‑239/12 P).


17–      Vgl., beispielsweise, Urteil vom 24. November 1993, Keck und Mithouard (C‑267/91 und C‑268/91, Slg. 1993, I‑6097, Randnr. 16).


18–      C‑399/06 P und C‑403/06 P, Slg. 2009, I‑11393, Randnrn. 69 bis 75.


19–      C‑548/09 P, Slg. 2011, I‑11381, Randnrn. 100 bis 103 und 105.


20–      Randnr. 123 des angefochtenen Urteils.


21–      Randnr. 129 des angefochtenen Urteils.


22–      Randnr. 135 des angefochtenen Urteils.


23 – Urteil Kadi des Gerichtshofs (Randnr. 326). Der Gerichtshof erwähnt das Erfordernis einer grundsätzlich umfassenden „Prüfung“ auch in Randnr. 330 seines Urteils.


24–      Ebd. (Randnr. 327).


25–      Vgl. Randnr. 185 des angefochtenen Urteils.


26–      Vgl. Randnr. 142 des angefochtenen Urteils.


27–      Vgl. Randnr. 143 des angefochtenen Urteils.


28 – Vgl. hierzu die Bezugnahme des Gerichts in Randnr. 142 des angefochtenen Urteils auf das Urteil des Gerichtshofs vom 22. November 2007, Spanien/Lenzing (C‑525/04 P, Slg. 2007, I‑9947, Randnr. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach dieser Rechtsprechung schließt das Vorliegen eines Ermessensspielraums in wirtschaftlichen Bereichen „eine gründliche rechtliche wie tatsächliche Kontrolle“ nicht aus. Vgl. Urteil vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission (C‑386/10 P, Slg. 2011, I‑13085, Randnrn. 54 und 62). Vgl. auch Urteil vom 24. Januar 2013, Frucona Košice/Kommission (C‑73/11 P, Randnrn. 75 und 76).


29 – Vgl. Urteil vom 15. November 2012, Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa (C‑539/10 P und C‑550/10 P, Randnr. 69).


30–      Urteil Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa, Randnr. 120.


31–  Vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 2. September 2009, El Morabit/Rat (T‑37/07 und T‑323/07, Randnr. 43).


32–      Randnr. 291 und angeführte Rechtsprechung.


33–      Randnr. 293.


34–      Randnr. 294.


35–      Randnr. 296.


36 – Erklärung im Anhang der Schlussakte der internationalen Regierungskonferenz, die den Vertrag von Lissabon angenommen hat.


37–      C‑130/10.


38–      Verordnung des Rates vom 22. Dezember 2009 zur Änderung der Verordnung Nr. 881/2002 (ABl. L 346, S. 42).


39–      Randnr. 71 des Urteils Parlament/Rat.


40–      Randnr. 342.


41–      Randnr. 344.


42–      Urteil vom 29. April 2010, M u. a. (C‑340/08, Slg. 2010, I‑3913, Randnr. 54). Vgl. auch, in diesem Sinne, Urteil Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa (Randnr. 67).


43 – Die von der Resolution 1822 (2008) vom 30. Juni 2008 vorgeschriebene vollständige Überarbeitung der Liste zeugt davon, dass der Sicherheitsrat darauf achtet, sein Vorgehen zum Kampf gegen den Terrorismus an die Fortentwicklung der Bedrohung anzupassen.


44 – Vgl. den 12. Bericht des Teams für analytische Unterstützung und Sanktionsüberwachung, vorgelegt in Anwendung der Resolution 1989 (2011) betreffend Al-Qaida und die mit ihr verbundenen Personen und Einrichtungen (Randnr. 31).


45 – Konferenz von Mexiko vom 24. Juni 2011, Anhang I der Gegenerwiderung der Französischen Republik.


46 – Für eine umfassende Untersuchung der Umstände, die zu einer Anpassung der gerichtlichen Kontrolle durch den Unionsrichter führen, vgl. Bouveresse, A., Le pouvoir discrétionnaire dans l’ordre juridique communautaire, Bruylant, 2010, S. 309 ff.


47 – Jacqué, J.-P., „Conclusions“, Le droit à un procès équitable au sens du droit de l’Union européenne, Anthemis, 2012, S. 325.


48 – Labayle, H., und Mehdi, R., „Le contrôle juridictionnel de la lutte contre le terrorisme. Les black lists de l’Union dans le prétoire de la Cour de justice“, Revue trimestrielle de droit européen, 2009, S. 259.


49 – Ritleng, D., „Le juge communautaire de la légalité et le pouvoir discrétionnaire des institutions communautaires“, AJDA, 1999, S. 645. Diese dialektische Beziehung hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 21. November 1991, Technische Universität München (C‑269/90, Slg. 1991, I‑5469, Randnr. 14), erwähnt.


50 – Vgl. Ritleng, D., in: Contentieux de l’Union européenne, 1, Annulation, Exception d’illégalité, Lamy, 2011, S. 218.


51 – Vgl. insbesondere Urteil Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa (Randnrn. 138 ff.) sowie Urteil vom 15. November 2012, Rat/Bamba (C‑417/11 P, Randnrn. 49 ff.).


52 – Vgl. insbesondere die vorgenannten Urteile Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa (Randnrn. 139 und 140) sowie Rat/Bamba (Randnr. 53).


53 – Seit der Resolution 1904 (2009) unter Unterstützung der Ombudsperson und des Teams für die Überwachung.


54– Für eine Zusammenfassung des Schreibens, das die Kommission als Antwort auf seine Stellungnahme am 8. Dezember 2008 an Herrn Kadi gerichtet hat, verweise ich auf Nr. 27 der vorliegenden Schlussanträge.