Language of document : ECLI:EU:C:2011:482

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 14. Juli 2011(1)

Rechtssache C‑27/09 P

Französische Republik

gegen

People’s Mojahedin Organization of Iran

„Rechtsmittel – Restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Einfrieren von Geldern und Kapital“






Inhaltsverzeichnis


Einführung

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Menschenrechtliche Bestimmungen

Vorgeschichte

PMOI

Vorgänge unmittelbar vor und einschließlich der Annahme des streitigen Beschlusses

Angefochtenes Urteil

Rechtsmittel

Zur Zulässigkeit

Zur Sache

Erster Rechtsmittelgrund (Rüge der Verletzung der Verteidigungsrechte)

Das zum Erlass des streitigen Beschlusses führende Verfahren: 1. Zeitraum vom 7. Mai 2008 bis 9. Juni 2008

Das zum Erlass des streitigen Beschlusses führende Verfahren: 2. Zeitraum vom 9. Juni 2008 bis 15. Juli 2008

Erfordernis der Unterrichtung der PMOI

Zum zweiten und zum dritten Rechtsmittelgrund

Zweiter Rechtsmittelgrund (Rüge eines Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931)

Dritter Rechtsmittelgrund (Rüge der Verletzung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz)

Erstes Argument: fehlende Entscheidungserheblichkeit der vorenthaltenen Informationen

Zweites Argument: Klassifizierung der vorenthaltenen Informationen als geheimhaltungsbedürftig

–       Zur Rolle der nationalen Behörden der Mitgliedstaaten

Zum Verfahren beim Rat

–       Zur Fallgestaltung, dass es sich bei der zuständigen Behörde um eine „Justizbehörde“ handelt

–       Zur Fallgestaltung, dass es sich bei der zuständigen nationalen Behörde um eine „entsprechende zuständige Behörde“ handelt

Zur Verfahrensordnung des Gerichts

–       Geltungsbereich

–       Verwendung geschützter Beweismittel

–       Einhaltung der in der Union geltenden Menschenrechtsgarantien

–       Art und Intensität der vom Unionsrichter vorzunehmenden Kontrolle

Schlussbemerkung

Kosten

Ergebnis

 Einführung

1.        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Französische Republik beim Gerichtshof die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz (nunmehr: Gericht(2) vom 4. Dezember 2008 in der Rechtssache People’s Mojahedin Organization of Iran/Rat(3) (im Folgenden: angefochtenes Urteil).

2.        Mit diesem Urteil hat das Gericht den Beschluss 2008/583/EG des Rates(4) (im Folgenden: streitiger Beschluss) für nichtig erklärt, soweit er die People’s Mojahedin Organization of Iran (im Folgenden: PMOI) betrifft. Aufgrund dieses Beschlusses waren die Gelder und sonstigen finanziellen Vermögenswerte oder wirtschaftlichen Ressourcen der PMOI in der Union weiterhin eingefroren geblieben.

3.        Die dem Erlass des angefochtenen Urteils vorangegangenen Vorgänge sind kompliziert. Um das Verständnis zu erleichtern, habe ich die wichtigsten Ereignisse im Hauptteil dieser Schlussanträge aufgeführt und eine detaillierte Chronologie getrennt in einem Anhang beigefügt.

4.        Die Entwicklung des Rechtsstreits ist zu sehen vor dem Hintergrund der erheblichen Intensivierung des internationalen Terrorismus in den letzten Jahren sowie der Reaktion seitens der Vereinten Nationen und der Union auf die Bedrohung, die vom Terrorismus ausgegangen ist und weiterhin ausgeht.

 Rechtlicher Rahmen

5.        Am 28. September 2001 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1373 (2001). Ziff. 1 dieser Resolution bestimmt, dass „alle Staaten … c) unverzüglich Gelder und sonstige finanzielle Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen von Personen, die terroristische Handlungen begehen, zu begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese erleichtern, sowie von Einrichtungen, die unmittelbar oder mittelbar im Eigentum oder unter der Kontrolle dieser Personen stehen, und von Personen und Einrichtungen, die im Namen oder auf Anweisung dieser Personen und Einrichtungen handeln, einfrieren werden …“.

 Unionsrecht

6.        Im Zuge der Regelungen zur Umsetzung der Resolution 1373 (2001) in der Union nahm der Rat am 27. Dezember 2001 den Gemeinsamen Standpunkt 2001/931(5) an.

7.        Der siebte Erwägungsgrund des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 lautet:

„Die Gemeinschaft muss tätig werden, um einige dieser zusätzlichen Maßnahmen umzusetzen. Die Mitgliedstaaten müssen ebenfalls tätig werden, insbesondere im Hinblick auf die Anwendung von Formen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen.“

8.        Art. 1 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 sieht vor:

„(1)  Dieser Gemeinsame Standpunkt gilt im Einklang mit den Bestimmungen der nachstehenden Artikel für die im Anhang aufgeführten Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind.

(2)       Im Sinne dieses Gemeinsamen Standpunkts bezeichnet der Ausdruck ‚Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind‘:

–        Personen, die terroristische Handlungen begehen, zu begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese erleichtern;

–        Vereinigungen oder Körperschaften, die unmittelbar oder mittelbar Eigentum dieser Personen sind oder unter deren Kontrolle stehen; ferner Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die im Namen oder auf Weisung dieser Personen, Vereinigungen und Körperschaften handeln, einschließlich der Gelder, die aus Vermögen stammen oder hervorgehen, das unmittelbar oder mittelbar Eigentum dieser Personen und mit ihnen assoziierter Personen, Vereinigungen und Körperschaften ist oder unter deren Kontrolle steht.

(3)       Im Sinne dieses Gemeinsamen Standpunkts bezeichnet der Ausdruck ‚terroristische Handlung‘ eine der nachstehend aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen kann und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert ist, wenn sie mit dem Ziel begangen wird,

i)      die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder

ii)      eine Regierung oder eine internationale Organisation unberechtigterweise zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder

iii)      die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören:

a)      Anschläge auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können;

b)      Anschläge auf die körperliche Unversehrtheit einer Person;

c)      Entführung oder Geiselnahme;

d)      weitreichende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrssystem, einer Infrastruktur, einschließlich eines Informatiksystems, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können;

e)      Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder Güterverkehrsmitteln;

f)      Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung oder Bereitstellung oder Verwendung von Schusswaffen, Sprengstoffen, Kernwaffen, biologischen und chemischen Waffen sowie die Forschung und Entwicklung in Bezug auf biologische und chemische Waffen;

g)      Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Herbeiführen eines Brandes, einer Explosion oder einer Überschwemmung, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;

h)      Manipulation oder Störung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;

i)      Drohung mit der Begehung einer der unter den Buchstaben a) bis h) genannten Straftaten;

j)      Anführen einer terroristischen Vereinigung;

k)      Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung einschließlich durch Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Aktivitäten in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe beiträgt.

Im Sinne dieses Absatzes bezeichnet der Ausdruck ‚terroristische Vereinigung‘ einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die in Verabredung handeln, um terroristische Handlungen zu begehen. Der Ausdruck ‚organisierter Zusammenschluss‘ bezeichnet einen Zusammenschluss, der nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung einer terroristischen Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder, eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.

(4)       Die Liste im Anhang wird auf der Grundlage genauer Informationen bzw. der einschlägigen Akten erstellt, aus denen sich ergibt, dass eine zuständige Behörde – gestützt auf ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien – gegenüber den betreffenden Personen, Vereinigungen oder Körperschaften einen Beschluss gefasst hat, bei dem es sich um die Aufnahme von Ermittlungen oder um Strafverfolgung wegen einer terroristischen Handlung oder des Versuchs, eine terroristische Handlung zu begehen, daran teilzunehmen oder sie zu erleichtern oder um eine Verurteilung für derartige Handlungen handelt. Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als mit dem Terrorismus in Verbindung stehend bezeichnet worden sind oder gegen die er Sanktionen angeordnet hat, können in die Liste aufgenommen werden.

Im Sinne dieses Absatzes bezeichnet der Ausdruck ‚zuständige Behörde‘ eine Justizbehörde oder, sofern die Justizbehörden keine Zuständigkeit in dem von diesem Absatz erfassten Bereich haben, eine entsprechende zuständige Behörde in diesem Bereich.

(5)       Der Rat gewährleistet, dass die Namen der im Anhang aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Vereinigungen und Körperschaften mit ausreichenden Angaben versehen sind, um die effektive Identifizierung bestimmter Menschen, juristischer Personen, Körperschaften oder Gruppierungen zu ermöglichen und damit die Entlastung derjenigen zu erleichtern, die die gleichen oder ähnliche Namen tragen.

(6)       Die Namen von Personen oder Körperschaften, die in der Liste im Anhang aufgeführt sind, werden mindestens einmal pro Halbjahr einer regelmäßigen Überprüfung unterzogen, um sicherzustellen, dass ihr Verbleib auf der Liste nach wie vor gerechtfertigt ist.“

9.        Art. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 lautet:

„Die Mitgliedstaaten leisten einander im Wege der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Rahmen von Titel VI des Vertrags [über die Europäische Union] möglichst weitgehende Amtshilfe bei der Prävention und Bekämpfung von Terroranschlägen. Zu diesem Zweck nutzen sie in Bezug auf Ermittlungen und Verfahren gegen bestimmte im Anhang aufgeführte Personen, Vereinigungen oder Körperschaften, die von ihren Behörden geführt werden, auf Ersuchen ihre Befugnisse aufgrund von Rechtsakten der Europäischen Union und anderen für die Mitgliedstaaten bindenden internationalen Übereinkünften, Regelungen und Übereinkünften in vollem Umfang.“

10.      Im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 war die PMOI nicht aufgeführt.

11.      Da der Rat zur Umsetzung der im Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 beschriebenen Maßnahmen auf Unionsebene eine Verordnung für erforderlich hielt, erließ er die Verordnung Nr. 2580/2001(6) (im Folgenden: Verordnung).

12.      Art. 1 Nr. 6 der Verordnung enthält folgende Definition:

„‚Kontrolle über eine juristische Person, Vereinigung oder Körperschaft‘ ist

a)      das Recht, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans der juristischen Person, Vereinigung oder Körperschaft zu bestellen oder abzuberufen;

b)      die Tatsache, allein durch die Ausübung seiner Stimmrechte die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans der juristischen Person, Vereinigung oder Körperschaft für das laufende oder das vorhergehende Geschäftsjahr bestellt zu haben;

c)      die alleinige Verfügung über die Mehrheit der Stimmrechte der Anteilseigner bzw. Mitglieder der juristischen Person, Vereinigung oder Körperschaft aufgrund einer Vereinbarung mit anderen Anteilseignern bzw. Mitgliedern derselben;

d)      das Recht, auf die juristische Person, Vereinigung oder Körperschaft einen beherrschenden Einfluss aufgrund eines mit dieser juristischen Person, Vereinigung oder Körperschaft geschlossenen Vertrages oder aufgrund einer in ihrer Gründungsurkunde oder Satzung niedergelegten Bestimmung auszuüben, sofern das Recht, dem die juristische Person, Vereinigung oder Körperschaft unterliegt, es zulässt, dass diese solchen Verträgen oder Bestimmungen unterworfen wird;

e)      die Befugnis, von dem Recht zur Ausübung eines beherrschenden Einflusses im Sinne des Buchstaben d) Gebrauch zu machen, ohne dieses Recht selbst innezuhaben;

f)      das Recht, alle oder einen Teil der Vermögenswerte der juristischen Person, Vereinigung oder Körperschaft zu verwenden;

g)      die Führung der Geschäfte der juristischen Person, Vereinigung oder Körperschaft auf einer einheitlichen Grundlage mit Erstellung eines konsolidierten Abschlusses;

h)      die gesamtschuldnerische Erfüllung der finanziellen Verbindlichkeiten der juristischen Person, Vereinigung oder Körperschaft oder das Bürgen für sie.“

13.      Art. 2 der Verordnung sieht vor:

„(1)  Sofern nicht eine Ausnahme nach Artikel 5 oder 6 vorliegt,

a)      werden alle Gelder, andere finanzielle Vermögenswerte und wirtschaftliche Ressourcen, die einer in der Liste nach Artikel 2 Absatz 3 aufgeführten natürlichen oder juristischen Person, Vereinigung oder Körperschaft gehören oder in deren Eigentum stehen oder von ihr verwahrt werden, eingefroren;

b)      werden weder direkt noch indirekt Gelder, andere finanzielle Vermögenswerte und wirtschaftliche Ressourcen für eine in der Liste nach Artikel 2 Absatz 3 aufgeführte natürliche oder juristische Person, Vereinigung oder Körperschaft oder zu ihren Gunsten bereitgestellt.

(3)       Der Rat erstellt, überprüft und ändert einstimmig und im Einklang mit Artikel 1 Absätze 4, 5 und 6 des Gemeinsamen Standpunkts [2001/931] die Liste der dieser Verordnung unterfallenden Personen, Vereinigungen oder Körperschaften. In dieser Liste sind aufgeführt:

i)      natürliche Personen, die eine terroristische Handlung begehen oder zu begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese erleichtern;

ii)      juristische Personen, Vereinigungen oder Körperschaften, die eine terroristische Handlung begehen oder zu begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese erleichtern;

iii)      juristische Personen, Vereinigungen oder Körperschaften, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer oder mehrerer der unter Ziffer i) oder ii) genannten natürlichen oder juristischen Personen, Vereinigungen oder Körperschaften stehen, oder

iv)      natürliche oder juristische Personen, Vereinigungen oder Körperschaften, die im Namen oder auf Anweisung einer oder mehrerer der unter Ziffer i) oder ii) genannten natürlichen oder juristischen Personen, Vereinigungen oder Körperschaften handeln.“

14.      Art. 8 der Verordnung lautet:

„Die Mitgliedstaaten, der Rat und die Kommission unterrichten einander über die nach dieser Verordnung getroffenen Maßnahmen und tauschen die ihnen vorliegenden sachdienlichen Informationen im Zusammenhang mit dieser Verordnung … und … über Verstöße, Vollzugsprobleme und Urteile der einzelstaatlichen Gerichte [aus].“

15.      Mit dem Beschluss 2001/927(7) nahm der Rat die erste Liste von Personen, Vereinigungen und Körperschaften an, auf die die Verordnung Anwendung fand. In der Liste war der Name der PMOI nicht aufgeführt.

16.      Im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2002/340 vom 2. Mai 2002(8) erstellte der Rat ein aktualisiertes Verzeichnis der Personen, Vereinigungen und Körperschaften, für die der Gemeinsame Standpunkt 2001/931 galt. In Nr. 2 („Gruppen und Organisationen“) des Anhangs fand sich ein die PMOI betreffender Eintrag, die dort wie folgt bezeichnet wurde: „Mujahedin-e-Khalq-Organisation (MEK oder MKO) [außer Nationaler Widerstandsrat von Iran (National Council of Resistance of Iran – NCRI)], (auch National Liberation Army of Iran (NLA, militanter Flügel der MEK), People’s Mujahidin of Iran (PMOI) [sic], National Council of Resistence (NCR) [sic], Muslim Iranian Students’ Society)“.

17.      Mit dem ebenfalls am 2. Mai 2002 erlassenen Beschluss 2002/334(9) nahm der Rat eine aktualisierte Liste der Personen, Gruppen und Organisationen an, auf die die Verordnung Anwendung fand. In dieser Liste war der Name der PMOI mit demselben Eintrag wie im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2002/340 aufgeführt.

18.      Gemäß Art. 1 Abs. 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 und Art. 2 Abs. 3 der Verordnung erließ der Rat eine Reihe weiterer Beschlüsse mit Listen der Personen, Gruppen und Organisationen, für die der genannte Gemeinsame Standpunkt galt. Der Name der PMOI war weiterhin in den Anhängen dieser Beschlüsse aufgeführt.

19.      Am 15. Juli 2008 erließ der Rat den streitigen Beschluss. Auch im Anhang dieses Beschlusses fand sich wiederum der Name der PMOI.

20.      Mit Beschluss 2009/62(10), der im Anschluss an das angefochtene Urteil erlassen wurde, stellte der Rat eine aktualisierte Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften auf, auf die die Verordnung Anwendung fand. In dieser Liste war der Name der PMOI nicht mehr aufgeführt.

 Menschenrechtliche Bestimmungen

21.      Art. 15 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (im Folgenden: Konvention) bestimmt:

„(1) Wird das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht, so kann jede Hohe Vertragspartei Maßnahmen treffen, die von den in dieser Konvention vorgesehenen Verpflichtungen abweichen, jedoch nur, soweit es die Lage unbedingt erfordert und wenn die Maßnahmen nicht im Widerspruch zu den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragspartei stehen.“

22.      Art. 47 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta)(11) lautet:

„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

…“

 Vorgeschichte

 PMOI

23.      Bei der PMOI handelt es sich um eine iranische politische Organisation.(12) Sie wurde 1965 mit dem ursprünglichen Ziel gegründet, Widerstand gegen das Schah-Regime zu leisten. Sie beteiligte sich aktiv an den Protesten im Iran, die letztlich zum Sturz des Schahs im Jahr 1979 führten. In der Folgezeit geriet sie rasch in Konflikt mit dem fundamentalistischen Regime des Ajatollah Khomeini. Ende 1981 gingen zahlreiche Mitglieder und Sympathisanten der PMOI ins Exil, die meisten davon nach Frankreich. Im Anschluss an Verhandlungen zwischen den französischen und den iranischen Behörden wurden sie von der französischen Regierung jedoch de facto als unerwünschte Ausländer behandelt, und die Führung der PMOI begab sich mit mehreren Tausend Anhängern in den Irak. Dort unterhielt die PMOI bis zur Invasion der Koalitionskräfte im Jahr 2003 ein umfangreiches Waffenarsenal mit u. a. Panzern und Raketenwerfern. Vom Irak aus leistete sie diesem bis zum Schluss militärische Unterstützung in dessen Krieg gegen den Iran. Bis 2001 führte die PMOI gewaltsame Aktionen im Iran durch.

24.      Seit 2001 und insbesondere seit Besetzung des Iraks im Jahr 2003 ist die PMOI kontinuierlich bestrebt, sich als eine weltliche, demokratische Bewegung zu legitimieren, die das Ziel einer friedlichen Absetzung des gegenwärtigen Regimes im Iran verfolgt. Auf einem Sonderkongress im Juni 2001 im Irak gab die PMOI bekannt, förmlich den Verzicht auf alle militärischen Aktionen und Aktivitäten im Iran beschlossen zu haben.

25.      Die terroristischen Aktivitäten, an denen die PMOI zuvor beteiligt gewesen war, führten jedoch dazu, dass sie in mehreren Ländern als terroristische Organisation verboten wurde. Mit am 8. Oktober 1997 wirksam gewordener Verfügung stufte der US-amerikanische Außenminister die PMOI in den Vereinigten Staaten als „ausländische terroristische Organisation“ ein.(13) Am 28. März 2001 erließ der Secretary of State for the Home Department (Innenminister, im Folgenden: Home Secretary) des Vereinigten Königreichs nach Maßgabe des Terrorism Act 2000 (Gesetz von 2000 über den Terrorismus) eine Verordnung, mit der die PMOI im Vereinigten Königreich als terroristische Organisation verboten wurde.(14)

26.      Die Aktivitäten führten ferner dazu, dass in Frankreich gegen mutmaßliche Mitglieder der PMOI vorgegangen wurde. Im April 2001 leitete die „Antiterror-Abteilung der Staatsanwaltschaft“ beim Tribunal de grande instance de Paris wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung zur Vorbereitung terroristischer Straftaten“ gemäß dem französischen Gesetz 96/647 vom 22. Juli 1996 ein Ermittlungsverfahren(15) ein. Dieses Verfahren betraf außerdem auch die „Finanzierung einer terroristischen Vereinigung“ gemäß dem Gesetz 2001/1062 vom 15. November 2001.

27.      Am 17. Juni 2003 durchsuchte die französische Polizei die Büroräume der PMOI in Auvers-sur-Oise (Frankreich).(16) Etliche Personen wurden verhört und mehrere von ihnen vorläufig festgenommen. Obwohl ein beachtlicher Geldbetrag gefunden wurde, leiteten die Behörden kein Ermittlungsverfahren ein.

28.      Neben dem vorstehend in Nr. 26 erwähnten Ermittlungsverfahren erhob die Antiterror-Abteilung der Staatsanwaltschaft am 19. März und 13. November 2007 gegen mutmaßliche Mitglieder der PMOI ergänzende Anschuldigungen. Diese betrafen vor allem den Tatbestand der „Verschleierung des aus Betrug zum Nachteil besonders verletzlicher Personen oder aus Bandenbetrug unmittelbar oder mittelbar Erlangten“ in Zusammenhang mit einer terroristischen Unternehmung.

29.      Unterdessen hatte die PMOI im Vereinigten Königreich mit Beschwerde vom 30. Oktober 2006 den Beschluss des Home Secretary, die Aufhebung des Verbots der Organisation abzulehnen, bei der Proscribed Organisations Appeal Commission (Beschwerdeausschuss für verbotene Organisationen, im Folgenden: POAC) angefochten. Mit der Beschwerde wurde im Wesentlichen geltend gemacht, dass die PMOI, welcher Art ihre Aktivitäten zum Zeitpunkt ihres Verbots auch immer gewesen sein mögen, jedenfalls seither dem Terrorismus abgeschworen habe und Gewaltanwendung ablehne.

30.      Die POAC gab der von der PMOI eingelegten Beschwerde mit der POAC‑Entscheidung statt. Darin bezeichnete sie den Beschluss des Home Secretary, die Aufhebung des Verbots der PMOI abzulehnen, als abwegig („perverse“).

31.      Mit Urteil vom 7. Mai 2008(17) wies der Court of Appeal (England and Wales) einen Antrag des Home Secretary auf Zulassung eines Rechtsmittels gegen die POAC‑Entscheidung zurück und verpflichtete ihn, das Verbot der PMOI aufzuheben.

 Vorgänge unmittelbar vor und einschließlich der Annahme des streitigen Beschlusses

32.      Vor Annahme des streitigen Beschlusses kam es kurz oder jedenfalls verhältnismäßig kurz hintereinander zu folgenden Geschehnissen.

33.      Am 9. Juni 2008 legte die Französische Republik dem Rat von ihr so genannte Zusatzinformationen über die PMOI vor, die es ihrer Ansicht nach rechtfertigten, sie auf der Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften zu belassen, deren Vermögenswerte gemäß Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 und Art. 2 Abs. 3 der Verordnung eingefroren wurden.

34.      Anschließend tagte mehrmals die für die Durchführung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 zuständige Arbeitsgruppe des Rates (im Folgenden: Arbeitsgruppe GSt 2001/931).(18) Nach Genehmigung des streitigen Beschlusses und der Begründung durch die Arbeitsgruppe am 4. Juli 2008 fand am selben Tag eine Sitzung der Arbeitsgruppe der Berater in Außenbeziehungen (Relex) des Rates statt, auf der Einvernehmen über den Wortlaut einer aktualisierten Fassung des streitigen Beschlusses erzielt wurde. Diese wurde wiederum dem Ausschuss der Ständigen Vertreter zugeleitet und von diesem am 9. Juli 2008 genehmigt. Der streitige Beschluss wurde am 15. Juli 2008 erlassen.

35.      In der Zwischenzeit hatte der Home Secretary aufgrund des Urteils des Court of Appeal vom 7. Mai 2008 mit Verordnung (Order) vom 23. Juni 2008, in Kraft getreten am 24. Juni 2008, die PMOI von der Liste der nach dem Terrorism Act 2000 im Vereinigten Königreich verbotenen Organisationen gestrichen.

36.      Mit Schreiben vom 15. Juli 2008 teilte der Rat der PMOI den streitigen Beschluss mit. Diesem Schreiben war eine Begründung beigefügt.(19)

37.      Unstreitig hat der Rat vor Erlass des streitigen Beschlusses der PMOI zu keinem Zeitpunkt die neuen Informationen oder Aktenstücke zur Kenntnis gebracht, die es seiner Meinung nach rechtfertigten, sie auf der Liste der Organisationen zu belassen, deren Gelder gemäß Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 und Art. 2 Abs. 3 der Verordnung eingefroren wurden.

 Angefochtenes Urteil

38.      Mit Klageschrift, die am 21. Juli 2008 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die PMOI Klage gegen den Rat und beantragte, den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft.

39.      Die Französische Republik und die Europäische Kommission wurden als Streithelfer in dem Verfahren zugelassen.

40.      Im Rahmen einer Beweisaufnahme forderte das Gericht mit Beschluss vom 26. September 2008 (im Folgenden: Beschluss vom 26. September 2008) den Rat auf, dem Gericht sämtliche sich auf den Erlass des angefochtenen Beschlusses, soweit er die PMOI betrifft, beziehenden Schriftstücke vorzulegen, wobei die Übermittlung dieser Unterlagen an die PMOI in diesem Verfahrensstadium vorbehalten blieb, soweit sich der Rat auf ihre Vertraulichkeit berufen sollte.

41.      Der Rat kam diesem Beschluss in zwei Schritten nach. Erstens übermittelte er ein Antwortschreiben vom 10. Oktober 2008 (im Folgenden: erstes Antwortschreiben auf den Beschluss vom 26. September 2008), dem acht Schriftstücke beigefügt waren. Sieben davon waren als nicht vertraulich eingestuft und wurden dementsprechend der PMOI zur Verfügung gestellt. Bei dem achten Schriftstück handelte es sich um eine vertrauliche Fassung eines der in den anderen Anhängen enthaltenen Schriftstücke. Dieses achte Schriftstück wurde der PMOI nicht zur Verfügung gestellt.

42.      Im ersten Antwortschreiben auf den Beschluss vom 26. September 2008 erklärte der Rat, er sehe sich derzeit zur Vorlage bestimmter weiterer Schriftstücke, in denen die vorgeschlagene neue Grundlage für die Auflistung der PMOI aufgeführt und eine Erläuterung der Gründe für seinen Vorschlag enthalten sei, nicht in der Lage, da diese Dokumente von der Französischen Republik als vertraulich eingestuft worden seien und zum Zeitpunkt des Antwortschreibens nicht zugänglich gemacht werden könnten. Diese Dokumente seien der Arbeitsgruppe GSt 2001/931 im Vorfeld der Annahme des streitigen Beschlusses zugeleitet worden.

43.      Diese weiteren Schriftstücke waren dann im Anhang eines zweiten Antwortschreibens des Rates (im Folgenden: zweites Antwortschreiben auf den Beschluss vom 26. September 2008) enthalten, das am 6. November 2008 einging. In diesem Antwortschreiben teilte der Rat dem Gericht mit, dass die Französische Republik das innerstaatliche Verfahren zur Freigabe der drei fraglichen Schriftstücke abgeschlossen und die vollständige Übermittlung der ersten beiden Schriftstücke genehmigt habe; die Übermittlung des dritten Schriftstücks sei vorbehaltlich der Streichung zweier Passagen genehmigt worden. Hierbei handelte es sich um Angaben in Punkt 3 Buchst. a bzw. f des Anhangs 3 des Antwortschreibens (im Folgenden: Angaben in Punkt 3 Buchst. a bzw. Angaben in Punkt 3 Buchst. f).

44.      Mit Urteil vom 4. Dezember 2008 gab das Gericht der Klage der PMOI statt und erlegte dem Rat die Kosten auf.

45.      Die PMOI hatte beim Gericht sechs Klagegründe geltend gemacht. Diese lauteten, soweit für das vorliegende Rechtsmittelverfahren von Bedeutung, in erster Linie Verletzung der Verteidigungsrechte dadurch, dass der Rat den angefochtenen Beschluss erließ, ohne der PMOI zuvor die neuen Informationen oder Aktenstücke zur Kenntnis zu bringen, die seiner Meinung nach den Verbleib der PMOI auf der Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften rechtfertigten, deren Gelder gemäß Art. 2 Abs. 3 der Verordnung eingefroren wurden.

46.      Das Gericht behandelt diesen Klagegrund in den Randnrn. 36 bis 47 des angefochtenen Urteils.

47.      In Randnr. 39 heißt es: „Das Gericht ist der Auffassung, dass sich aus dieser Argumentation des Rates mitnichten ergibt, dass es ihm, wie behauptet, unmöglich gewesen wäre, den angefochtenen Beschluss in einem Verfahren zu erlassen, das die Verteidigungsrechte der Klägerin gewahrt hätte.“

48.      Das Gericht hielt, genauer gesagt, die geltend gemachte Dringlichkeit für keineswegs erwiesen. Selbst wenn man davon ausgehen wolle, dass der Rat nicht verpflichtet gewesen sei, die PMOI nach dem Erlass der Entscheidung der POAC vom 30. November 2007 sofort von der streitigen Liste zu streichen, habe er sich jedenfalls seit dem 7. Mai 2008, als das Urteil des Court of Appeal ergangen sei, endgültig nicht mehr auf den Beschluss des Home Secretary stützen können, der als Grundlage für die erstmalige Entscheidung über das Einfrieren der Gelder der PMOI gedient habe. Zwischen dem 7. Mai 2008 und dem Erlass des angefochtenen Beschlusses am 15. Juli 2008 seien jedoch mehr als zwei Monate verstrichen. Insoweit habe der Rat nicht erklärt, warum es ihm nicht möglich gewesen sein soll, unmittelbar nach dem 7. Mai 2008 die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die PMOI entweder von der streitigen Liste zu streichen oder aufgrund neuer Erkenntnisse weiterhin auf der Liste aufzuführen (Randnr. 40).

49.      Selbst wenn – so das Gericht – überdies als wahr unterstellt würde, dass die französischen Behörden den Rat über das im April 2001 in Paris eingeleitete Ermittlungsverfahren erstmals im Juni 2008 unterrichteten, erkläre dies nicht, warum diese neuen Informationen, wenn der Rat sie zulasten der Klägerin habe berücksichtigen wollen, ihr nicht sogleich hätten mitgeteilt werden können (Randnr. 41).

50.      Es sei daher sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend, zu behaupten, dass infolge des Inkrafttretens der Verordnung des Home Secretary vom 23. Juni 2008 zur Streichung der PMOI von der Liste am 24. Juni 2008 und der mehr oder weniger gleichzeitigen(20) Mitteilung neuer Erkenntnisse durch die französischen Behörden so dringend ein neuer Beschluss über das Einfrieren der Gelder hätte erlassen werden müssen, dass es nicht möglich gewesen wäre, die Verteidigungsrechte der Klägerin zu wahren (Randnr. 43).

51.      Außerdem sei die Argumentation des Rates zurückzuweisen, dass die der PMOI nach Erlass des streitigen Beschlusses übermittelte Begründung es ihr erlaube, ihr Recht auf Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs auszuüben, und dem Gemeinschaftsrichter, seine Kontrollaufgabe wahrzunehmen (Randnrn. 45 f.).

52.      In den Randnrn. 49 bis 79 des angefochtenen Urteils befasst sich das Gericht mit den übrigen von der PMOI angeführten Klagegründen, die für das vorliegende Rechtsmittelverfahren relevant sind, nämlich 1. mit dem gerügten Verstoß gegen Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931, gegen Art. 2 Abs. 3 der Verordnung und gegen die Beweislastregeln sowie 2. mit der gerügten Verletzung des Rechts der PMOI auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz.

53.      In den Randnrn. 49 bis 55 des angefochtenen Urteils verweist das Gericht auf seine frühere Rechtsprechung. Nach dem Hinweis, dass nach Art. 10 EG (an dessen Stelle jetzt inhaltlich Art. 4 Abs. 3 EUV getreten ist) das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen durch die Verpflichtung zu beiderseitiger loyaler Zusammenarbeit bestimmt werde (Randnr. 52), nimmt das Gericht (in Randnr. 53) Bezug auf seine eigene Rechtsprechung(21) und führt aus, dass im Fall der Anwendung des Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 und des Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2580/2001 der Rat verpflichtet sei, „sich zumindest dann, wenn es sich um eine Justizbehörde handelt, so weit wie möglich auf die Beurteilung durch die zuständige nationale Behörde zu verlassen, insbesondere hinsichtlich des Vorliegens der ‚ernsthaften und schlüssigen Beweise oder Indizien‘, auf die sich ihr Beschluss stützt“. Daraus ergebe sich (Randnr. 54), dass zwar die Beweislast dafür, dass das Einfrieren von Geldern gerechtfertigt sei, dem Rat obliege, doch sei „der Gegenstand“ dieser Beweislast „relativ beschränkt“.

54.      Sodann verweist das Gericht in Randnr. 55 des angefochtenen Urteils auf seine Rechtsprechung, der zufolge der Rat hinsichtlich der bei der Anordnung des Einfrierens von Geldern zu berücksichtigenden Umstände über ein weites Ermessen verfüge, es aber dem Gemeinschaftsrichter dennoch obliege, die Auslegung der maßgeblichen Daten durch den Rat zu überprüfen; der Gemeinschaftsrichter müsse „nicht nur die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz prüfen, sondern auch kontrollieren, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung der Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen“(22).

55.      In den Randnrn. 56 bis 58 des angefochtenen Urteils heißt es:

„56      … das Gericht [stellt] fest, dass weder die Informationen, die sich aus dem angefochtenen Beschluss, seiner Begründung und dem Mitteilungsschreiben ergeben, noch die in den beiden Antworten des Rates auf den Beschluss vom 26. September 2008 enthaltenen Informationen die vorstehend wiedergegebenen Beweisanforderungen erfüllen, so dass nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen ist, dass der angefochtene Beschluss im Einklang mit Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 und Art. 2 Abs. 3 der Verordnung … erlassen wurde.

57      Insbesondere hat der Rat dem Gericht weder konkrete Informationen noch ein Aktenstück übermittelt, aus denen hervorginge, dass das von der Antiterror-Abteilung der Staatsanwaltschaft beim Tribunal de grande instance de Paris im April 2001 eingeleitete Ermittlungsverfahren und die beiden ergänzenden Anschuldigungen vom März und November 2007 gegenüber der Klägerin, wie der Rat ohne sonstige Untermauerung seines Vorbringens behauptet, einen die Definition des Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 erfüllenden Beschluss darstellen.

58      Insoweit sind die wichtigsten Passagen der ersten Antwort des Rates auf den Beschluss vom 26. September 2008 vollständig wiederzugeben:

‚3.      Es fanden vier Sitzungen der Arbeitsgruppe GSt [2001/931] statt, um den Erlass des fraglichen Beschlusses durch den Rat vorzubereiten, soweit der Beschluss die Klägerin betraf. Diese Sitzungen fanden am 2. Juni, 13. Juni, 24. Juni und 2. Juli 2008 statt. …

6.      Die Französische Republik hat für diese Sitzungen ferner an die Delegationen drei Dokumente ausgegeben, in denen die vorgeschlagene neue Grundlage für die Aufnahme der Klägerin in die Liste beschrieben und ihr Vorschlag begründet wird. Das dritte Dokument enthielt teilweise den Text der vom Rat angenommenen Begründung, die bereits zu den Akten des vorliegenden Verfahrens genommen worden ist. Im Zeitpunkt ihrer Ausgabe wurden diese Dokumente von der Französischen Republik als vertraulich eingestuft. Der Rat hat die Französische Republik über den Beschluss des Gerichts unterrichtet, und diese prüft gegenwärtig die Frage der Freigabe der Dokumente. Dem Rat ist jedoch mitgeteilt worden, dass eine Entscheidung hierüber, da die Erfordernisse des nationalen Rechts eingehalten werden müssten, nicht binnen der von der Kanzlei gesetzten Frist getroffen werden könne. Der Rat ist daher derzeit nicht in der Lage, in Bezug auf diese Dokumente dem Beschluss des Gerichts nachzukommen, da er nicht befugt ist, sie – selbst auf vertraulicher Basis – an das Gericht weiterzuleiten. Er bittet das Gericht hierfür höflich um Verständnis und wird es unverzüglich über jede Entscheidung der Französischen Republik über die fraglichen Dokumente unterrichten.

11.      Der Rat möchte insbesondere darauf hinweisen, dass er keinerlei zusätzliches Beweismaterial im Zusammenhang mit den Ermittlungen der französischen Justiz über das in der Begründung dargelegte hinaus erhalten hat. Seiner Kenntnis nach muss solches zusätzliche Beweismaterial während der Dauer der Ermittlungen nach französischem Recht vertraulich bleiben. Der Rat hat alle ihm zur Verfügung gestellten wesentlichen Informationen über das Ermittlungsverfahren wiedergegeben. Eines der oben unter Nr. 6 genannten Dokumente enthielt eine detailliertere Liste der von den Ermittlungen betroffenen Straftaten, jedoch fallen diese alle unter die in der Begründung gegebene allgemeine Beschreibung (nämlich als eine Reihe von Straftaten, die als Haupttat oder Beihilfe in Zusammenhang mit einer gemeinschaftlichen Unternehmung stehen, die auf eine erhebliche Störung der öffentlichen Ordnung durch Einschüchterung und Terror zielt, sowie als Finanzierung einer terroristischen Vereinigung und die Verschleierung des aus Betrug zum Nachteil besonders verletzlicher Personen oder aus Bandenbetrug unmittelbar oder mittelbar Erlangten in Zusammenhang mit einer terroristischen Unternehmung).

12.      Abgesehen von den Angaben, die die Art der von den Ermittlungen betroffenen Straftaten, den Tag der Einleitung des Ermittlungsverfahrens sowie den Zeitpunkt der Ergänzungen der Tatvorwürfe betreffen, verfügt der Rat über keine weiteren Informationen zum Ermittlungsverfahren. Die genaue Identität der Beschuldigten wurde ihm nicht mitgeteilt, und er weiß nur, dass es sich bei diesen Personen, wie in der Begründung angegeben, um mutmaßliche Mitglieder der Klägerin handelt. Ebenso wenig besitzt er Informationen über mögliche künftige Schritte in dem Ermittlungsverfahren. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass dem Rat beim Erlass des angefochtenen Beschlusses über die in der Begründung genannten Beweise hinaus kein weiteres im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen die Klägerin beigebrachtes Beweismaterial zur Verfügung stand.‘“

56.      Im Weiteren geht das Gericht auf das Vorbringen der PMOI ein, dass die nationale Entscheidung unter Umständen mutmaßliche Mitglieder der Vereinigung betreffen könne, nicht aber die Vereinigung selbst, sowie auf die Gegenargumentation des Rates, dass diese Situation, auch wenn die fragliche Entscheidung natürliche Personen betreffe, „logisch und angemessen sei“, da Straftaten der zur Last gelegten Art nicht von der Vereinigung selbst, sondern nur von den ihr angehörenden natürlichen Personen begangen werden könnten, und im Übrigen die PMOI selbst nicht strafrechtlich verfolgt werden könne, weil sie keine juristische Person sei. Hierzu stellt das Gericht zunächst fest, dass diese Ausführungen in Widerspruch zum Wortlaut von Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 stünden (Randnr. 64 des angefochtenen Urteils). Selbst wenn man nicht einer solchen wörtlichen Auslegung folgen wolle, so habe es der Rat jedenfalls unterlassen, „spezifische und konkrete Gründe“ dafür anzugeben, warum im vorliegenden Fall Handlungen, die Individuen zur Last gelegt werden, der PMOI selbst zur Last zu legen seien. Nach Auffassung des Gerichts „fehlt eine solche Erläuterung im vorliegenden Fall vollständig“ (Randnr. 65).

57.      Das Gericht fährt in den Randnrn. 71 bis 76 des angefochtenen Urteils fort:

„71      Schließlich weist das Gericht darauf hin, dass es der Rat auf Ersuchen der französischen Behörden abgelehnt hat, Punkt 3 Buchst. a des letzten der oben in Randnr. 58 genannten drei Dokumente[(23)] ‚freizugeben‘, der die von den französischen Behörden für bestimmte Delegationen der Mitgliedstaaten erstellte ‚Zusammenfassung der wesentlichen Punkte‘ enthält, die ‚den Verbleib der [PMOI] auf der europäischen Liste rechtfertigen‘. Laut dem erwähnten Schreiben des MAEE [französisches Ministerium für auswärtige und europäische Angelegenheiten (ministère des Affaires étrangères et européennes français)] an den Rat vom 3. November 2008 haben die in Frage stehenden Informationen ‚einen die nationale Verteidigung berührenden sicherheitsrelevanten Charakter und unterliegen daher gemäß Art. 413‑9 des Code pénal [französisches Strafgesetzbuch] Schutzmaßnahmen zur Beschränkung ihrer Verbreitung‘, so dass ‚das MAEE nicht in der Lage ist, ihre Mitteilung an das Gericht zu genehmigen‘.

72      Soweit der Rat behauptet, dass er an den von den französischen Behörden geltend gemachten Grundsatz der Vertraulichkeit gebunden sei, ist nicht nachvollziehbar, warum gegen diesen Grundsatz durch die Mitteilung des in Frage stehenden Akteninhalts an den Gemeinschaftsrichter verstoßen würde, aber durch seine Mitteilung an den Rat selbst und anschließend die Regierungen der 26 übrigen Mitgliedstaaten nicht verstoßen wurde.

73      Jedenfalls ist der Rat nach Auffassung des Gerichts nicht berechtigt, seinen Beschluss über das Einfrieren der Gelder auf von einem Mitgliedstaat mitgeteilte Informationen oder Aktenstücke zu stützen, wenn dieser Mitgliedstaat nicht gewillt ist, ihre Übermittlung an den Gemeinschaftsrichter zu gestatten, dem die Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieses Beschlusses obliegt.

74      Insoweit ist daran zu erinnern, dass das Gericht im Urteil OMPI (Randnr. 154) bereits für Recht erkannt hat, dass sich die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit eines Beschlusses über das Einfrieren von Geldern auf die Beurteilung der Tatsachen und Umstände erstreckt, die zu seiner Begründung herangezogen wurden, sowie auf die Prüfung der Beweismittel und Informationen, auf die sich diese Beurteilung stützt, wie dies der Rat ausdrücklich in seinen Schriftsätzen in der Rechtssache eingeräumt hatte, die zum Urteil vom 21. September 2005, Yusuf und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (T‑306/01, Slg. 2005, II‑3533), führte, das im Rechtsmittelverfahren durch das Urteil des Gerichtshofs vom 3. September 2008, Kadi und Al Bakaraat International Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, Slg. 2008, I‑0000)[(24)], aufgehoben worden ist. Das Gericht muss sich auch von der Wahrung der Verteidigungsrechte und von der Erfüllung des insoweit bestehenden Begründungserfordernisses sowie gegebenenfalls von der Berechtigung der zwingenden Erwägungen überzeugen, auf die sich der Rat ausnahmsweise beruft, um hiervon abweichen zu können. 

75      Im vorliegenden Fall erweist sich diese Kontrolle umso mehr als unverzichtbar, als sie die einzige Verfahrensgarantie darstellt, die einen gerechten Ausgleich zwischen den Erfordernissen der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und dem Grundrechtsschutz schaffen kann. Da die Beschränkungen, denen die Verteidigungsrechte der Betroffenen vom Rat unterworfen werden, durch eine genaue, unabhängige und unparteiische gerichtliche Kontrolle auszugleichen sind …, muss der Gemeinschaftsrichter die Rechtmäßigkeit und die Begründetheit der Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern kontrollieren können, ohne dass ihm die Geheimhaltungsbedürftigkeit oder die Vertraulichkeit der vom Rat herangezogenen Beweise und Informationen entgegengehalten werden könnte (Urteil OMPI, Randnr. 155).

76      Im vorliegenden Fall hat die Weigerung des Rates und der französischen Behörden, auch nur allein dem Gericht die in Punkt 3 Buchst. a des letzten der drei oben in Randnr. 58 genannten Dokumente enthaltenen Informationen zur Kenntnis zu bringen, somit zur Folge, dass das Gericht seine Kontrolle der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses nicht ausüben kann.“

 Rechtsmittel

58.      Mit ihrem gegen die Entscheidung des Gerichts eingelegten Rechtsmittel macht die Französische Republik drei Rechtsmittelgründe geltend. Zum einen habe das Gericht einen Rechtsfehler begangen, indem es nicht den besonderen Umständen beim Erlass des streitigen Beschlusses Rechnung getragen habe. Zum anderen habe das Gericht einen Rechtsfehler begangen, weil es davon ausgegangen sei, dass das in Frankreich eingeleitete Gerichtsverfahren keinen Beschluss im Sinne von Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 darstelle. Schließlich habe das Gericht einen Rechtsfehler begangen, indem es entschieden habe, dass es an der Ausübung seiner Kontrolle der Rechtmäßigkeit des streitigen Beschlusses gehindert sei und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verletzt werde, weil sich der Rat geweigert habe, die Angaben in Punkt 3 Buchst. a mitzuteilen. Die Französische Republik beantragt daher, das angefochtene Urteil aufzuheben.

59.      Die PMOI tritt den einzelnen Rechtsmittelgründen entgegen und beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

60.      Anders als in den Verfahren, die zu den Urteilen OMPI und PMOI I geführt haben, und anders übrigens auch als in dem Verfahren, in dem das angefochtene Urteil erlassen wurde, hat kein Mitgliedstaat und kein Organ zu irgendeinem Zeitpunkt im vorliegenden Rechtsmittelverfahren die Zulassung als Streithelfer beantragt. Auf eine schriftliche Aufforderung des Gerichtshofs vom 2. Juni 2010 an den Rat und an die Europäische Kommission, sich zu ihren praktischen Erfahrungen bei der Umsetzung bestimmter Aspekte des Urteils Kadi I zu äußern, haben der Rat und die Kommission schriftliche Ausführungen vom 28. Juni bzw. 24. Juni 2010 eingereicht. Diese Ausführungen sind für die nachstehende Würdigung nicht sachdienlich, so dass ich sie in diesen Schlussanträgen nicht weiter erwähnen werde.

 Zur Zulässigkeit

61.      Vor der Sachprüfung des Rechtsmittels ist auf die von der PMOI erhobene Rüge der Unzulässigkeit einzugehen.

62.      Die PMOI macht im Wesentlichen geltend, dass Frankreich kein Rechtsinteresse an der Einlegung des Rechtsmittels habe, da es nicht den Beschluss 2009/62 angefochten habe und dessen Vorgängerrechtsakt – der streitige Beschluss – aufgehoben und ersetzt worden sei. Folglich sei das Rechtsmittel unzulässig. Jedenfalls sei das Rechtsmittel gegenstandslos, so dass der Gerichtshof eine Entscheidung darüber abzulehnen habe.

63.      Dieses Vorbringen überzeugt mich nicht.

64.      Erstens ergibt sich aus Art. 56 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs, dass Mitgliedstaaten und Unionsorgane, die dem Rechtsstreit vor dem Gericht beigetreten sind, ein Rechtsmittel selbst dann einlegen können, wenn die Entscheidung des Gerichts sie nicht unmittelbar berührt. Da die Französische Republik im Verfahren im ersten Rechtszug als Streithelferin aufgetreten ist, findet die genannte Bestimmung im vorliegenden Rechtsmittelverfahren unmittelbar auf sie Anwendung. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, ist der Französischen Republik auch ein Interesse an der Einlegung des Rechtsmittels nach Art. 56 Abs. 3 der Satzung zuzuerkennen, denn nach dieser Bestimmung können Mitgliedstaaten und Organe Rechtsmittel gegen ein Urteil des Gerichts selbst dann einlegen, wenn sie dem Verfahren im ersten Rechtszug nicht beigetreten sind.

65.      Die Gründe hierfür liegen auf der Hand. Die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts sind für die Mitgliedstaaten und die Organe von überragender Bedeutung. Sie können ein sehr reales Interesse daran haben, eine vom Gericht vorgenommene Auslegung des Unionsrechts anzufechten, auch wenn sie an dem Rechtsstreit vor dem Gericht nicht beteiligt waren.

66.      Lässt sich die Auffassung vertreten, dass das Rechtsmittel, auch wenn die Französische Republik ein Rechtsinteresse an seiner Einlegung hat, gleichwohl als gegenstandslos für unzulässig zu erklären sei?

67.      Ich meine nicht.

68.      Erstens hat das angefochtene Urteil – wie die Französische Republik hervorhebt – die Nichtigkeit des streitigen Beschlusses (zumindest soweit er die PMOI betrifft) ex tunc zur Folge. Hat das Rechtsmittel Erfolg, bleibt der Beschluss Bestandteil der Unionsrechtsordnung für den Zeitraum seit seinem Erlass am 15. Juli 2008 bis zum Erlass des Beschlusses 2009/62 am 26. Januar 2009, mit dem der streitige Beschluss aufgehoben wurde.

69.      Von grundsätzlicherer Bedeutung ist jedoch zweitens, dass die Französische Republik ein auf die Zukunft gerichtetes Interesse hat. Die Entscheidung über das Rechtsmittel berührt sie unmittelbar. Eine Aufhebung des angefochtenen Urteils würde der Französischen Republik die Möglichkeit geben, Klage gegen den Rat auf Wiederaufnahme der PMOI in die Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften zu erheben, deren Vermögenswerte gemäß Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 und Art. 2 Abs. 3 der Verordnung einzufrieren sind. Selbst eine der Französischen Republik weniger günstige Entscheidung wäre zweckdienlich. Je nach dem Inhalt des Urteils des Gerichtshofs hätte die Französische Republik dann z. B. Gewissheit, ob die dem Rat vor Erlass des streitigen Beschlusses zur Verfügung gestellten Informationen rechtlich ausreichend waren oder ob weitere oder andere Informationen erforderlich gewesen wären. Außerdem würde geklärt, ob, in welcher Weise und auf welcher Grundlage dem Gericht vertrauliche oder geheime Informationen zugänglich zu machen sind.

70.      Meines Erachtens beruht die von der PMOI geltend gemachte Einrede der Unzulässigkeit auf einer unangemessen engen Sicht der Zweckdienlichkeit einer rechtlichen Klärung.

71.      Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass das Rechtsmittel zulässig ist.

 Zur Sache

 Erster Rechtsmittelgrund (Rüge der Verletzung der Verteidigungsrechte)

72.      Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund macht die Französische Republik im Wesentlichen geltend, das Gericht habe in Randnr. 47 des angefochtenen Urteils zu Unrecht festgestellt, dass der streitige Beschluss mangelhaft sei, weil der PMOI die neuen in die Akten aufgenommenen Informationen nicht mitgeteilt worden seien und der PMOI keine Gelegenheit zur Stellungnahme vor Erlass des Beschlusses durch den Rat gegeben worden sei.

73.      Die Französische Republik trägt vor, aufgrund der Verordnung des Home Secretary zur Streichung des Namens der PMOI von der Liste der verbotenen Organisationen im Vereinigten Königreich sei eine derart dringliche Situation eingetreten, dass sofort etwas habe unternommen werden müssen, um den Namen der PMOI auf der Liste des Rates belassen zu können. Aus Zeitmangel habe der Rat den streitigen Beschluss nicht im Rahmen eines Verfahrens erlassen können, das es erlaubt hätte, der PMOI die neuen Informationen zur Kenntnis zu bringen.(25) Das Vorgehen des Rates beim Erlass des streitigen Beschlusses sei daher angesichts der Umstände zulässig gewesen.

74.      Die vor dem Gericht vom Rat angeführten Argumente, die im Wesentlichen dem Vorbringen der Französischen Republik im vorliegenden Rechtsmittelverfahren entsprechen, sind beim Gericht – so darf man wohl sagen – auf wenig Verständnis gestoßen. Es führt aus, dass sich seiner Auffassung nach aus der Argumentation des Rates „mitnichten ergibt, dass es ihm, wie behauptet, unmöglich gewesen wäre, den [streitigen Beschluss] in einem Verfahren zu erlassen, das die Verteidigungsrechte der [PMOI] gewahrt hätte“ (Randnr. 39 des angefochtenen Urteils). Im Weiteren meint das Gericht, dass „die geltend gemachte Dringlichkeit keineswegs erwiesen [ist]“. Selbst wenn man – so das Gericht – davon ausginge, dass der Rat nicht verpflichtet gewesen sei, die PMOI nach dem Erlass der Entscheidung der POAC vom 30. November 2007 sofort von der Liste zu streichen, habe er sich jedenfalls seit dem 7. Mai 2008, als das Urteil des Court of Appeal ergangen sei, endgültig nicht mehr auf den Beschluss des Home Secretary stützen können. Zwischen dem 7. Mai 2008 und dem Erlass des streitigen Beschlusses am 15. Juli 2008 „verstrichen jedoch mehr als zwei Monate“ (Randnr. 40). Selbst wenn überdies als wahr unterstellt würde, dass der Rat über die neuen Informationen erstmals im Juni 2008 unterrichtet worden sei, erkläre dies nicht, warum der Rat diese der PMOI nicht sogleich mitgeteilt habe (Randnr. 41).

75.      Es lohnt sich, die Lage im Einzelnen zu untersuchen.

 Das zum Erlass des streitigen Beschlusses führende Verfahren: 1. Zeitraum vom 7. Mai 2008 bis 9. Juni 2008

76.      Die Lage in diesem Zeitraum lässt sich einfach beschreiben. Zumindest auf der Ebene des Rates scheint nichts Bedeutendes passiert zu sein. Die Französische Republik gibt in ihrer Erwiderung an, eine Bereitstellung der neuen Informationen sei deshalb erst am 9. Juni 2008 möglich gewesen, weil die französische Staatsanwaltschaft diese Informationen erst habe freigeben müssen. Vor diesem Zeitpunkt hätten die Informationen der sogenannten „investigativen Vertraulichkeit“ unterlegen.

77.      Im Ergebnis wurde einer der theoretisch für den Erlass des Beschlusses zur Verfügung stehenden zwei Monate nicht genutzt, um das Entscheidungsverfahren im Rat selbst voranzubringen. Hinzugefügt sei, dass das Gleiche auch für den Zeitraum von der POAC‑Entscheidung am 30. November 2007 – nach der, obwohl Rechtsmittel gegen sie eingelegt worden war, durchaus damit gerechnet werden musste, dass die PMOI nicht mehr aufgrund der vom Vereinigten Königreich bereitgestellten Informationen aufgelistet werden konnte – bis zum 6. Mai 2008 gelte. Den Verlust einer Zeitspanne wegen Untätigkeit mag man noch als Missgeschick bezeichnen können, der Verlust beider erscheint jedoch als Nachlässigkeit. Eine solche Situation muss möglichst vermieden werden.

78.      Meines Erachtens hätte sie unter den hier gegebenen Umständen in der Tat vermieden werden können.(26)

79.      Die Zuständigkeit für den Erlass von Beschlüssen über die Aufnahme in das Verzeichnis und damit für das Verfahren, das zum Erlass solcher Beschlüsse führt, liegt zwar beim Rat, der jedoch ohne Beitrag und Mitwirkung der Mitgliedstaaten nichts unternehmen kann.

80.      Art. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 und Art. 8 der Verordnung sehen eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, sich an der Bekämpfung des Terrorismus zu beteiligen. Den Mitgliedstaaten obliegt selbstverständlich auch die in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit. Dieser Grundsatz ist allgemein anwendbar und gilt u. a. im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen.(27)

81.      Aus diesen Geboten folgt meines Erachtens, dass die Mitgliedstaaten nach der Aufnahme einer Person, Vereinigung oder Körperschaft in die Liste verpflichtet sind, einander (und den Rat) über Entwicklungen in ihren jeweiligen Systemen zu unterrichten, die dazu führen, dass die Grundlage für die Auflistung einer bestimmten Person, Vereinigung oder Körperschaft als verbotene Organisation entweder weggefallen ist oder – eher noch – wegzufallen droht. Nach dieser Unterrichtung unterliegen dann alle anderen Mitgliedstaaten der Pflicht, dem Rat alle Unterlagen vorzulegen, auf die sie sich stützen oder gegebenenfalls stützen wollen, um die fragliche Auflistung beizubehalten. Da Eile geboten sein kann, müssen die Mitgliedstaaten so zügig wie möglich vorgehen und dadurch die Aufgabe des Rates erleichtern, gleichzeitig aber auch sicherstellen, dass die Verteidigungsrechte gewahrt bleiben.

82.      Im vorliegenden Fall ist eine solche rechtzeitige Zusammenarbeit wohl leider unterblieben.

 Das zum Erlass des streitigen Beschlusses führende Verfahren: 2. Zeitraum vom 9. Juni 2008 bis 15. Juli 2008

83.      Wenn dem Rat umfassende und aktuelle Informationen vorliegen, ist er eher in der Lage, unverzüglich einen Beschluss zu erlassen. Dabei muss er selbstverständlich in dem Verfahren, das zum Erlass des Beschlusses führt, korrekt vorgehen.

84.      Bevor wir uns wieder der zeitlichen Abfolge der Ereignisse zuwenden, die zum Erlass des streitigen Beschlusses geführt haben, mag es nützlich sein, kurz innezuhalten und zu untersuchen, welche rechtlichen Voraussetzungen ein solcher Beschluss erfüllen muss, damit er einer Anfechtung vor dem Unionsrichter standhalten kann, und welche Konsequenzen sich daraus wiederum für das Verfahren beim Rat ergeben.

85.      In diesem Zusammenhang ist die Aussage des Gerichts in Randnr. 55 des angefochtenen Urteils zu beachten, dass der Unionsrichter bei der Überprüfung von Beschlüssen über das Einfrieren von Geldern nicht nur die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz „prüfen“ muss, sondern auch „kontrollieren“ muss, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung der Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen.

86.      Damit hat der Unionsrichter die (beiden) Voraussetzungen für die Gültigkeit von Beschlüssen des Rates im Bereich des Einfrierens von Geldern angesprochen. Der fragliche Beschluss muss diese Voraussetzungen erfüllen. Andernfalls kann es dazu kommen, dass er auf eine beim Gericht erhobene Klage hin aufgehoben wird.

87.      Was das Erfordernis einer Prüfung der sachlichen Richtigkeit, der Zuverlässigkeit und der Kohärenz der Beweise betrifft, werde ich mich weiter unten mit Fragen nach Wesen und Intensität der vom Rat vorzunehmenden Überprüfung befassen.(28) An dieser Stelle meiner Würdigung sei lediglich darauf hingewiesen, dass diese Voraussetzung meines Erachtens keine Ausnahme zulässt.

88.      Der zweite Gesichtspunkt betrifft den Umfang der fraglichen Beweise. Das den Beschluss erlassende Organ muss feststellen, ob die ihm vorliegenden Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung der Situation heranzuziehen waren, und ob sie den Vorwurf zu stützen vermögen, dass die betroffene Person, Vereinigung oder Körperschaft sich an der Begehung terroristischer Handlungen beteiligt oder diese erleichtert oder ob sie in sonstiger Weise vom Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 oder der Verordnung erfasst wird.

89.      Der Rat hat also das gesamte ihm vorliegende Material umfassend zu prüfen, denn er muss sich vergewissern, dass das fragliche Material alle heranzuziehenden Daten darstellt und dass die bereitgestellten Informationen die Anordnung des Einfrierens von Geldern rechtfertigen. Um eine Entscheidung treffen zu können, muss der Rat darüber hinaus, sofern es sich nicht um eine erstmalige Anordnung handelt(29) und vorbehaltlich der mit vertraulichen Beweisen verbundenen Problematik(30), den Personen, Vereinigungen oder Körperschaften, die von der fraglichen Anordnung betroffen sein können, zuvor alle Beweise zugänglich machen, auf die er seinen Beschluss zu stützen beabsichtigt, und allen daraufhin erfolgenden Stellungnahmen gebührendes Gewicht beimessen.(31)

90.      Inwieweit entspricht das Vorgehen des Rates im vorliegenden Fall diesen Erfordernissen?

91.      Aus den Mitteilungen des Rates an das Gericht in Beantwortung des Beschlusses vom 26. September 2008 ergibt sich Folgendes:

–        Zunächst fand offenbar am 13. Juni 2008 eine Sitzung der Arbeitsgruppe GSt 2001/931 statt. Im Protokoll dieser Sitzung heißt es, dass neue Informationen (über die PMOI) untersucht worden seien. Es wurde ein Begründungsentwurf verteilt.

–        Die nächste Sitzung dieser Arbeitsgruppe fand am 24. Juni 2008 statt. Im Protokoll dieser Sitzung heißt es, dass weitere Informationen (wiederum über die PMOI) vorgelegt worden seien und dass die Mitgliedstaaten um mehr Zeit gebeten hätten, um die Problematik untersuchen zu können.

–        Im Protokoll der nächsten Sitzung vom 2. Juli 2008 ist vermerkt, dass angesichts der zur Verfügung gestellten weiteren Zusatzinformationen und der verteilten überarbeiteten Begründung den Delegierten eine Frist bis zum 4. Juli eingeräumt worden sei, um gegebenenfalls Einwände gegen die Auflistung der PMOI auf der vorgeschlagenen neuen Grundlage zu erheben.

–        Anschließend fand offenbar am 4. Juli 2008 eine Sitzung der Arbeitsgruppe der Berater Außenbeziehungen (Relex) des Rates statt, auf der Einvernehmen über den Wortlaut des streitigen Beschlusses erzielt wurde.

–        Dieser Text wurde wiederum dem Ausschuss der Ständigen Vertreter zugeleitet und von diesem am 9. Juli 2008 genehmigt.

–        Der streitige Beschluss wurde am 15. Juli 2008 erlassen.

92.      Lässt man das Verhalten der Mitgliedstaaten bei dem in Rede stehenden Verfahren einmal beiseite, so bleibt es im vorliegenden Fall doch dabei, dass die Französische Republik erst am 9. Juni 2008 dem Rat die neuen Informationen und Daten zur Verfügung gestellt hat. Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 ist, dass sich der Rat zunächst im Besitz „genauer Informationen bzw. der einschlägigen Akten“ befindet, „aus denen sich ergibt, dass eine zuständige Behörde … einen Beschluss gefasst hat“. Vor dem 9. Juni 2008 bestand daher keine Grundlage, auf der der Rat ein zu dem streitigen Beschluss führendes Verfahren hätte einleiten können.

93.      Ich möchte hinzufügen, dass ausweislich der Unterlagen, die der Rat in Beantwortung des Beschlusses des Gerichts vom 26. September 2008 vorgelegt hat, die endgültigen Informationen, auf die der streitige Beschluss gestützt wurde, erst am 2. Juli 2008 dem Rat zur Verfügung gestellt und von dessen Arbeitsgruppe in einer Sitzung geprüft wurden. Meines Erachtens wäre es unangebracht gewesen, wenn der Rat der PMOI Informationen vor dem Zeitpunkt mitgeteilt hätte, zu dem zweifelsfrei feststand, dass es sich bei den mitgeteilten Informationen um alle (und nicht mehr als) diejenigen Informationen handelt, die später für den Prozess der Entscheidungsfindung des Rates relevant sein würden.

94.      Zwar lässt sich zumindest aus heutiger Sicht nicht ausschließen, dass ein oder mehrere Abschnitte in dem vom Rat durchgeführten Verfahren nach Bereitstellung der neuen Informationen und Daten durch die Französische Republik am 9. Juni 2008 hätten beschleunigt werden können, ich halte es jedoch für unwahrscheinlich, dass sich bei einer solchen Beschleunigung der zeitliche Rahmen insgesamt wesentlich verändert hätte.(32) Meines Erachtens lässt sich nicht sagen, dass das Verfahren des Rates einen wesentlichen Mangel in Form eines nicht hinreichend zügigen Vorgehens aufweist.

95.      Insbesondere scheint mir das Gericht bei seinen Feststellungen die Art und Weise außer Acht zu lassen, in der der Rat in der Praxis tätig wird. Der fragliche Beschluss erforderte Einstimmigkeit. An den entscheidenden Sitzungen nahmen Vertreter der Mitgliedstaaten teil. Es darf angenommen werden, dass diese Vertreter von ihren nationalen Behörden bzw. Regierungen instruiert werden mussten. Das Prozedere ist naturgemäß langwierig (um nicht zu sagen umständlich). Aus den betreffenden Sitzungsprotokollen ergibt sich, dass ein sofortiger Beschluss im vorliegenden Fall nicht erreichbar war. Der Rat musste nicht nur sicherstellen, dass alle Mitgliedstaaten dem vorgeschlagenen Entschlussentwurf zustimmen würden, sondern musste sich vor dem endgültigen Erlass des Beschlusses auch mittels seiner Dienststellen (vor allem seines Juristischen Dienstes) eine Meinung darüber bilden, ob der Beschluss im Fall einer Klage einer Überprüfung durch das Gericht standhalten würde.

96.      Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass das Gericht zu Unrecht festgestellt hat, der Rat hätte – wenn der streitige Beschluss gemäß dem vom Rat im vorliegenden Fall festgelegten zeitlichen Rahmen erlassen werden sollte – genügend Zeit gehabt, der PMOI die neuen Informationen und Daten, die er von der Französischen Republik erhalten hatte, mitzuteilen und der PMOI Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Ich werde im Weiteren noch untersuchen, ob dieser zeitliche Rahmen tatsächlich die unterbliebene Unterrichtung bedingt hat, wie dies der Rat in seinen Erklärungen vor dem Gericht behauptet hat.(33)

 Erfordernis der Unterrichtung der PMOI

97.      Hat der Rat zu Recht entschieden, dass er nicht verpflichtet sei, der PMOI vor Erlass des streitigen Beschlusses die neuen Informationen mitzuteilen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben?

98.      Wenn man davon ausgeht, dass der Rat zwischen dem 9. Juni 2008, als er die einschlägigen Informationen von der Französischen Republik erhielt, und dem 15. Juli 2008, als er den streitigen Beschluss erließ, nicht wesentlich zügiger hätte vorgehen können, bleibt zu klären, ob der Rat den streitigen Beschluss erlassen durfte, ohne zuvor die PMOI zu unterrichten und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

99.      Meiner Meinung nach durfte er das nicht.

100. Nach der Rechtsprechung gilt im Wesentlichen, dass eine Maßnahme zum erstmaligen Einfrieren von Geldern ihrem Wesen nach einen Überraschungseffekt haben und sofort zur Anwendung kommen muss. Sie kann deshalb vor ihrer Umsetzung nicht angekündigt werden.(34) Anders verhält es sich jedoch bei Folgebeschlüssen über das Einfrieren derselben Gelder. Das Überraschungselement spielt dann keine Rolle mehr. Vor jedem Folgebeschluss muss deshalb erneut die Möglichkeit einer Anhörung bestehen und sind gegebenenfalls die neuen zur Last gelegten Umstände mitzuteilen.(35)

101. Da Anordnungen zum Einfrieren der Gelder der PMOI bereits seit dem 3. Mai 2002 bestanden(36), handelte es sich bei dem streitigen Beschluss nicht um eine erstmalige Maßnahme, sondern um einen Folgebeschluss. Bei unmittelbarer Übertragung der Rechtsprechung ergibt sich daher, dass die neuen Beweise der PMOI mitgeteilt werden mussten und dass der PMOI Gelegenheit zu geben war, darauf zu reagieren und sich dazu zu äußern.

102. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der streitige Beschluss auf neuen Informationen beruhte und damit gewissermaßen ein Neuanfang gemacht wurde mit der Folge, dass eine vorherige Mitteilung nicht erforderlich war. Es kommt nicht darauf an, ob die Informationen neu waren, sondern darauf, ob sie sich auf die Erneuerung der bestehenden Anordnung bezogen oder auf eine erstmalige Anordnung des Einfrierens. Der streitige Beschluss betraf die Erneuerung einer bestehenden Anordnung. Ein Überraschungseffekt war daher weder nötig noch möglich.

103. Aus der Sicht der PMOI ist der Schutzgedanke, dem durch das Mitteilungserfordernis und durch das Recht auf eine Stellungnahme vor Erlass des streitigen Beschlusses Rechnung getragen wird, von fundamentaler Bedeutung. Er ist damit entscheidendes Element ihrer Verteidigungsrechte. Meines Erachtens hat daher das Gericht in den Randnrn. 46 f. des angefochtenen Urteils völlig zu Recht die Argumentation des Rates zurückgewiesen, die Interessen der PMOI seien hinreichend dadurch berücksichtigt worden, dass ihr der Beschluss nachträglich mitgeteilt worden sei und sie zu diesem Zeitpunkt Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten habe. Unabhängig davon, ob sich die Frage der Dringlichkeit stellt oder nicht: Dem Rat ist es einfach verwehrt, sich wie hier geschehen über die Rechte eines Betroffenen hinwegzusetzen.

104. Wie also hätte sich der Rat verhalten müssen?

105. Der Rat war in dieser Situation mit drei verschiedenen Interessenlagen konfrontiert. Dabei handelte es sich erstens um das Interesse der PMOI. Zweitens gab es das Interesse des Rates, der meiner Meinung nach Maßnahmen treffen durfte, um so weit wie möglich sicherzustellen, dass der streitige Beschluss nicht mit der Begründung angefochten werden konnte, er sei übereilt oder nicht mit der gebotenen Sorgfalt erlassen worden. Drittens gab es das Interesse der anderen Personen, Vereinigungen und Körperschaften, deren Namen in der Liste im Anhang des Beschlusses 2007/868(37) (des Beschlusses, der dem streitigen Beschluss unmittelbar vorausging) aufgeführt waren. Zugunsten dieser Betroffenen galt die Verpflichtung des Rates nach Maßgabe von Art. 1 Abs. 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931, die Namen von Personen, Vereinigungen und Körperschaften, deren Gelder eingefroren sind, „mindestens einmal pro Halbjahr einer regelmäßigen Überprüfung“ zu unterziehen, um sicherzustellen, dass ihr Verbleib auf der Liste nach wie vor gerechtfertigt ist.

106. Es liegt auf der Hand, dass der Rat einen Ausgleich dieser Interessen schaffen musste.

107. Ich habe bereits festgestellt, dass das Verfahren des Rates beim Erlass des streitigen Beschlusses nicht mit einem grundlegenden Fehler behaftet war.

108. Was die Personen, Vereinigungen und Körperschaften betrifft, die neben der PMOI in der Liste aufgeführt waren, ist der Rat meiner Ansicht nach völlig zu Recht davon ausgegangen, dass die Überprüfung der im Beschluss 2007/868 aufgestellten Liste vorrangig war. Wäre der Erlass eines neuen Beschlusses so lange zurückgestellt worden, wie nötig gewesen wäre, um eine Mitteilung an die PMOI und dieser Organisation eine Stellungnahme zu ermöglichen, hätte man dem Rat zu Recht vorwerfen können, diese Vorrangigkeit (und damit die Interessen dieser anderen Betroffenen) außer Acht gelassen zu haben.

109. Somit bleiben noch die Interessen der PMOI zu berücksichtigen.

110. Der auf die Dringlichkeit gestützten Argumentation des Rates vor dem Gericht liegt entscheidend die Prämisse zugrunde, dass der Rat keine andere Möglichkeit hatte, die PMOI auf der einen Seite von den übrigen Personen, Vereinigungen und Körperschaften auf der anderen Seite zu trennen und für jede Seite einen eigenen Beschluss zu erlassen.

111. Diese Prämisse leuchtet mir nicht ein.

112. Meines Erachtens hätte der Rat zuerst einen Beschluss bezüglich der übrigen Personen, Vereinigungen und Körperschaften erlassen können, mit dem die in Art. 1 Abs. 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 bestimmte Frist eingehalten worden wäre. Als Nächstes hätte er die Möglichkeit gehabt, zur Wahrung der Verteidigungsrechte der PMOI einen diese Organisation betreffenden Beschluss so lange zurückzustellen, bis zunächst die vorgeschriebenen internen Verfahren eingehalten, sodann die PMOI unterrichtet und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und schließlich diese Stellungnahme umfassend und sorgfältig (wiederum unter Einhaltung der vorgeschriebenen internen Verfahren) geprüft werden konnte, und erst dann zu entscheiden, ob der Name der PMOI auf der Liste verbleiben sollte.

113. Meines Erachtens hätte der Rat angesichts der Sachlage im Vorfeld des Erlasses des streitigen Beschlusses nicht nur so vorgehen können, sondern auch so vorgehen müssen. Auf diese Weise hätte er den Schutz der Rechte der übrigen Personen, Vereinigungen und Körperschaften sichergestellt. Er hätte außerdem sichergestellt, dass seine eigenen Verfahren korrekt eingehalten und schließlich auch die Verteidigungsrechte der PMOI berücksichtigt werden.(38)

114. Anders ausgedrückt: Mir scheint der Irrtum des Rates darin zu liegen, dass er glaubte, innerhalb ein und desselben Zeitrahmens darüber entscheiden zu müssen, ob die Namen aller Personen, Vereinigungen und Körperschaften auf der Liste im Anhang des Beschlusses 2007/868 auf der Liste im Anhang des streitigen Beschlusses verbleiben sollten. Dieser Irrtum veranlasste den Rat zu der Annahme, dass „keine Zeit“ zur Verfügung gestanden habe, die Verteidigungsrechte der PMOI vor Erlass des streitigen Beschlusses zu wahren. Die Zeitnot in Bezug auf die PMOI bestand nur vermeintlich. Gewiss war der Rat gehalten, zügig zu prüfen, ob die PMOI auf der Liste verbleiben sollte. Er war jedoch nicht gehalten, diesen Vorgang gleichzeitig mit der Überprüfung der übrigen Namen auf der Liste abzuschließen.

115. Auch wenn ich mich einem Teil der das Verfahren bis zum Erlass des streitigen Beschlusses betreffenden Gedankenführung des Gerichts im angefochtenen Urteil nicht anzuschließen vermag, bin ich dennoch der Meinung, dass das Gericht mit seiner Entscheidung, den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären, weil er nach einem Verfahren erlassen wurde, in dem die Verteidigungsrechte der PMOI nicht gewahrt waren, zum richtigen Ergebnis gelangt ist.

116. Der erste Rechtsmittelgrund ist daher zurückzuweisen.

 Zum zweiten und zum dritten Rechtsmittelgrund

117. Bevor ich mich der Sachprüfung dieser Rechtsmittelgründe zuwende, bedarf es einer Vorbemerkung. Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass es seine Entscheidung, der bei ihm anhängigen Klage stattzugeben, ausschließlich auf seine Feststellungen zum vierten Klagegrund der PMOI – Verletzung der Verteidigungsrechte – stütze (vgl. Randnr. 48 des angefochtenen Urteils). Bei den Feststellungen des Gerichts zu den Klagegründen, auf die sich der von der Französischen Republik angeführte zweite und der dritte Rechtsmittelgrund beziehen, handelt es sich also um nichttragende Urteilsgründe.

118. Wenn ich dennoch im Folgenden auch diese Rechtsmittelgründe untersuche, bin ich mir durchaus der Rechtsprechung des Gerichtshofs bewusst, wonach Rügen, die gegen nichttragende Gründe einer Entscheidung des Gerichts gerichtet sind, nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung führen können und daher ins Leere gehen.(39) Trotzdem müssen der zweite und der dritte Rechtsmittelgrund meiner Ansicht nach erörtert werden.

119. Dieser Meinung bin ich deshalb, weil im Fall einer Nichtbeantwortung der mit diesen Rechtsmittelgründen angesprochenen Fragen die Französische Republik mit genau der Ungewissheit zurückgelassen würde, die sie überhaupt erst zur Einlegung des Rechtsmittels veranlasst hat.(40) Dieselbe Ungewissheit könnte in Zukunft auch bei anderen Mitgliedstaaten auftreten.(41)

120. Die Erörterung des zweiten und des dritten Rechtsmittelgrundes zu verweigern, wäre daher unbefriedigend. Ich werde mich deshalb eingehend mit diesen Rechtsmittelgründen beschäftigen. Da die Beantwortung der mit ihnen verbundenen Fragen meines Erachtens keinen Einfluss auf die Entscheidung über das Rechtsmittel hat, will ich sie in eher freier Form erörtern.

 Zweiter Rechtsmittelgrund (Rüge eines Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931)

121. Mit diesem Rechtsmittelgrund macht die Französische Republik geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, weil es (in Randnr. 57 des angefochtenen Urteils) davon ausgegangen sei, dass das in Frankreich gegen mutmaßliche Mitglieder der PMOI eingeleitete Ermittlungsverfahren keinen Beschluss im Sinne von Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 darstelle.

122. Folgende Fragen, die sich aus der vom Gericht im angefochtenen Urteil vorgenommenen Würdigung ergeben, sind im Rahmen des zweiten Rechtsmittelgrundes von Belang.

123. Sind erstens die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 erfüllt, wenn der Beschluss der zuständigen Behörde gemäß dieser Vorschrift eine Person, Vereinigung oder Körperschaft betrifft, die nicht mit der Person, Vereinigung oder Körperschaft identisch ist, die in dem nach Maßgabe dieser Vorschrift erlassenen Beschluss des Rates bezeichnet ist (Punkt 1)? Wie ist zweitens der in Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 verwendete Begriff „zuständige Behörde“ auszulegen (Punkt 2)? Hat drittens das Gericht zu Recht festgestellt, dass das Ermittlungsverfahren nicht auf „ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien“ gestützt war (Punkt 3)? Wenn man einmal annimmt, dass Punkt 1 zu bejahen ist, inwieweit musste der Rat viertens vom Gericht in Randnr. 65 des angefochtenen Urteils sogenannte „spezifische und konkrete Gründe“ dafür angeben, warum die Betroffenen „miteinander verbunden“ werden sollten (Punkt 4)?

124. Zu Punkt 1 meine ich, dass die Ausführungen des Gerichts in Randnr. 64 nicht beanstandet werden können, nämlich die Feststellung, dass bei wörtlicher Auslegung von Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 – wonach ein Beschluss „gegenüber den betreffenden Personen, Vereinigungen oder Körperschaften“ gefasst wird – zu verlangen sei, dass der Beschluss der zuständigen Behörde gegenüber denjenigen gefasst werde, die in dem vom Rat nach Maßgabe dieser Vorschrift erlassenen Beschluss bezeichnet seien. Wäre diese Auslegung zutreffend, wäre der streitige Beschluss zwangsläufig mit einem zu seiner Nichtigkeit führenden Mangel behaftet, da die von dem Beschluss der zuständigen Behörde erfassten Betroffenen und die von dem streitigen Beschluss erfassten Betroffenen unstreitig nicht identisch sind.

125. Ist also Art. 1 Abs. 4 wörtlich auszulegen?

126. Dieser Meinung bin ich nicht.

127. Meines Erachtens ist angesichts der Zielsetzung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 und der Verordnung eine weite Auslegung der genannten Bestimmung geboten. Terroristische Organisationen dürften wohl kaum bestrebt sein, den Behörden entgegenzukommen, indem sie sich in einer einfach auszumachenden Rechtsform konstituieren. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass sie genau das Gegenteil tun. Wie bei jeder Form des Guerillakampfs ist auch hier eine gewisse Überraschungs- und damit Verschleierungstaktik Teil der Kriegsführung. Deshalb muss Art. 1 Abs. 4 so flexibel ausgelegt werden, dass diesem Gesichtspunkt Rechnung getragen werden kann. Sofern „ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien“ für die Annahme vorliegen, dass es sich bei den in dem Beschluss der zuständigen Behörden Benannten und den in dem vom Rat erlassenen Beschluss zum Einfrieren von Geldern Benannten im Wesentlichen um dieselben Betroffenen handelt, sind die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 meines Erachtens erfüllt.

128. Dies gilt erst recht, wenn, wie im vorliegenden Fall von der Französischen Republik, geltend gemacht wird, dass der Betroffene – hier die PMOI – soweit bekannt keine Rechtspersönlichkeit besitze.(42)

129. Für das Erfordernis einer flexiblen Auslegung spricht meines Erachtens zunächst einmal die umfassende Begriffsbestimmung in Art. 1 Abs. 6 und die weite Formulierung in Art. 2 Abs. 3 der Verordnung.(43) Wenn die vorstehend beschriebenen Identifizierungsschwierigkeiten nicht bestünden, wäre ein derart breiter Ansatz überflüssig. Für eine flexible Auslegung spricht meiner Meinung nach auch die Art und Weise, in der diejenigen, deren Gelder eingefroren werden, in den Beschlüssen des Rates über das Einfrieren von Geldern häufig bezeichnet werden. So lautet der die PMOI betreffende Eintrag im Anhang des streitigen Beschlusses „‚Mujahedin-e Khalq Organisation‘ – ‚MEK‘ oder ‚MKO‘, außer ‚National Council of Resistance of Iran‘ (‚Nationaler Widerstandsrat des Iran‘) – ‚NCRI‘ (alias ‚The National Liberation Army of Iran‘ – ‚Nationale Befreiungsarmee Iran‘) – ‚NLA‘ (militanter Flügel der ‚MEK‘), alias ‚People’s Mujahidin of Iran‘ (‚Volksmudschaheddin von Iran‘) – ‚PMOI‘, alias ‚Muslim Iranian Student's Society‘ (‚Islamisch-Iranischer Studentenverband‘)“. Hierbei handelt es sich keineswegs um ein vereinzeltes Beispiel. Eine solche „fragmentierte“ Bezeichnung der aufgelisteten Personen, Vereinigungen und Körperschaften ist häufig anzutreffen.(44)

130. Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass es keinen zur Nichtigkeit führenden Mangel des streitigen Beschlusses darstellt, dass der Beschluss der zuständigen Behörde nicht spezifisch die PMOI betraf, sondern lediglich Personen, die mutmaßliche Mitglieder dieser Organisation sind oder waren.

131. Was als Nächstes die Punkte 2 und 3 betrifft, die ich zusammen untersuchen werde, ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931, dass eine Verurteilung durch ein nationales Gericht wegen der Begehung einer terroristischen Handlung oder wegen des Versuchs, eine terroristische Handlung zu begehen, daran teilzunehmen oder sie zu erleichtern, eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung für das Eingreifen dieser Vorschrift ist. Aus dem Verweis auf einen Beschluss, „bei dem es sich um die Aufnahme von Ermittlungen oder um Strafverfolgung wegen [derartiger Handlungen] handelt“, geht ferner hervor, dass Beschlüsse, die ich im weitesten Sinne als „Vorstufen“ solcher Verurteilungen bezeichnen will, ebenfalls umfasst sind. Außer in Fällen, in denen „Justizbehörden“ keine Zuständigkeit in diesem Bereich besitzen (was bei in Frankreich durchgeführten Verfahren gegen individuelle mutmaßliche Mitglieder der PMOI nicht der Fall ist), muss es sich bei der fraglichen zuständigen Behörde um eine „Justizbehörde“ handeln. Darüber hinaus muss, sofern keine „Verurteilung für derartige Handlungen“ vorliegt, die „Aufnahme von Ermittlungen“ oder die „Strafverfolgung“ auf „ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien“ gestützt sein.

132. Was genau ist unter dem Begriff „Justizbehörde“ zu verstehen?

133. Angesichts der oben dargestellten weiten Fassung von Art. 1 Abs. 4 liegt auf der Hand, dass ein Abstellen auf den natürlichen Sprachgebrauch, der zumindest im Englischen („judicial“) normalerweise nahelegt, dass es sich bei dem betreffenden Beschluss um einen Schuldspruch durch ein Gericht handeln muss, zu eng wäre.(45) Der Ausdruck ist vielmehr weiter zu verstehen, so dass auch die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden des jeweiligen Mitgliedstaats einbezogen sind.

134. Klar ist auch, dass ein einfacher Beschluss, Ermittlungen aufzunehmen, als solcher nicht genügt. Ein solcher Beschluss kann auf einem bloßen Verdacht beruhen. Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, dass Ermittlungen dieser Art zu ernsthaften und schlüssigen Beweisen oder Indizien führen können, in welchem Fall es vermutlich zu einer Strafverfolgung kommen wird (zum maßgebenden Zeitpunkt aber noch nicht gekommen ist). Andererseits können die Ermittlungen aber auch ergebnislos verlaufen. Ein solcher Beschluss, Ermittlungen aufzunehmen, erfüllt die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 4 daher nicht.

135. Die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten sind schlichtweg zu unterschiedlich ausgestaltet, um einen einheitlichen, genauen Verfahrenszeitpunkt festlegen zu können, von dem an das Tatbestandsmerkmal „ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien“ erfüllt ist. Ich werde deshalb die allgemeinen Grundsätze darstellen, die meiner Meinung nach insoweit gelten.

136. Das Tatbestandsmerkmal „ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien“ verlangt meines Erachtens, dass die Akten dringend nahelegen, dass eine terroristische Handlung begangen worden ist oder ein Versuch vorliegt, eine terroristische Handlung zu begehen, daran teilzunehmen oder sie zu erleichtern. Das Aktenmaterial braucht nicht unbedingt so umfangreich zu sein, dass es die Grundlage für eine spätere Strafverfolgung bildet, es ist aber deutlich mehr als ein bloßer Verdacht oder eine Vermutung zu verlangen. Zumindest muss eine Person, gegen die womöglich das Einfrieren ihrer Gelder angeordnet wird, die wesentlichen Anschuldigungen erkennen können, mit denen sie konfrontiert ist, und diese Anschuldigungen müssen in einer Weise erhoben werden, dass der Betreffende seine Verteidigungsrechte wahrnehmen kann.(46)

137. Ist diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt?

138. In Randnr. 68 des angefochtenen Urteils weist das Gericht darauf hin, dass „nichts in den Akten die Feststellung gestattet, dass das im April 2001 in Frankreich eingeleitete Ermittlungsverfahren …, wie von Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 vorgeschrieben, auf ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien gestützt wäre“.

139. In ihrer Rechtsmittelschrift beruft sich die Französische Republik insbesondere auf Art. 80‑1 des französischen Code de procédure pénale, wonach ein Untersuchungsrichter ein Ermittlungsverfahren nur einleiten darf, wenn stichhaltige oder übereinstimmende Beweise gegen eine Person vorliegen. Damit seien die insoweit von Art. 1 Abs. 4 gestellten Erfordernisse erfüllt.

140. Da es sich bei den Ausführungen des Gerichts in Randnr. 68 um eine Tatsachenfeststellung handelt, verstehe ich das Vorbringen der Französischen Republik als Rüge, dass das Gericht mit seiner Feststellung die ihm vorliegenden Beweismittel verfälscht habe.

141. Zur Behandlung dieses Rechtsmittelgrundes bedarf es einer Untersuchung der in Frankreich im Jahr 2001 und im Jahr 2007 eingeleiteten Verfahren unter dem Gesichtspunkt des französischen Strafverfahrensrechts. Ich tue das nicht gern. Ich nehme keine besondere Sachkunde für mich in Anspruch, die mich berechtigen würde, mich verbindlich zu diesen Vorschriften zu äußern. Eine Würdigung ist jedoch unerlässlich, wenn ich auf den zweiten Rechtsmittelgrund eingehen soll.

142. Ich verstehe die das Ermittlungsstadium betreffenden Vorschriften des französischen Strafverfahrensrechts dahin, dass dieses Stadium – zumindest in Fällen, die so bedeutend sind, dass ein Untersuchungsrichter eingeschaltet werden muss – vom Staatsanwalt durch Zustellung eines „réquisitoire“ an den Untersuchungsrichter eingeleitet wird.(47) Dies ist der Zeitpunkt, zu dem das förmliche Ermittlungsverfahren beginnt.(48) Liegen nach Ansicht des Untersuchungsrichters genügend Beweise vor, um weitere Ermittlungen im Hinblick auf die Durchführung eines Strafprozesses erforderlich zu machen, veranlasst er eine „mise en examen“ gemäß Art. 80‑1 des Code de procédure pénale. Wie erwähnt, darf der Untersuchungsrichter die „mise en examen“ nur veranlassen, wenn „stichhaltige oder übereinstimmende Beweise“ vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass die Person, gegen die ermittelt wird, die in Rede stehende Straftat begangen hat.(49) Die „mise en examen“ des Untersuchungsrichters scheint mir daher der Verfahrensschritt zu sein, bei dem das Tatbestandsmerkmal „ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien“ erfüllt ist. Bei der bloßen Aufnahme der Ermittlungen und Eröffnung des Verfahrens, das zur Zustellung des „réquisitoire“ führt und das in die Zuständigkeit des Staatsanwalts fällt, ist dies hingegen nicht der Fall.

143. Ich habe mich gefragt, ob diese „normalen“ Vorschriften des französischen Strafverfahrensrechts ohne Weiteres auch auf die Ermittlungen gegen Personen oder Organisationen Anwendung finden, die durch Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 erfasst werden sollen, so dass diese Schlussfolgerung legitim ist. Die Französische Republik hat ihren zweiten Rechtsmittelgrund jedoch ausdrücklich auf Art. 80‑1 gestützt, und die PMOI hat nicht geltend gemacht, sie unterliege als Organisation, der die Beteiligung an terroristischen Aktivitäten vorgeworfen wird, anderen oder strengeren Vorschriften. Ich gehe daher nachfolgend davon aus, dass die „mise en examen“ durch den Untersuchungsrichter der Verfahrensschritt ist, bei dem das Tatbestandsmerkmal „ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien“ erfüllt ist.

144. Steht im vorliegenden Rechtsmittelverfahren zweifelsfrei fest, dass die in Frankreich im Jahr 2001 und im Jahr 2007 eingeleiteten Verfahren beide jeweils das Stadium des Erlasses einer „mise en examen“ durch einen Untersuchungsrichter erreicht hatten?

145. Nein.

146. Es besteht wohl kein Zweifel, dass dem durch die Ermittlungen im Jahr 2001 eingeleiteten Verfahren eine „mise en examen“ im Jahr 2003 folgte. Die PMOI hat jedoch in der mündlichen Verhandlung – insoweit von der Französischen Republik unwidersprochen – erklärt, dass es im Rahmen der 2007 durchgeführten Ermittlungen nicht zu einer „mise en examen“ gekommen sei. Infolgedessen dürfte bei dem zweiten Verfahren das Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt sein.

147. Da die Argumentation der Französischen Republik das Vorliegen ernsthafter und schlüssiger Beweise oder Indizien in beiden Verfahren voraussetzt, muss sie im Rechtsmittelverfahren nachweisen, dass das Tatbestandsmerkmal bei beiden Verfahren erfüllt war. Für das im Jahr 2007 eingeleitete Verfahren hat sie diesen Nachweis nicht erbracht. Sie hat daher nicht dargetan, dass das Gericht rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt ist, es lägen nicht genügend Beweise dafür vor, dass die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 erfüllt seien. Der zweite Rechtsmittelgrund ist somit zurückzuweisen.

148. Ich komme schließlich zu Punkt 4. Dieser betrifft wie gesagt die Feststellung des Gerichts (in Randnr. 65 des angefochtenen Urteils), dass keine „spezifischen und konkreten Gründe“ dafür angegeben seien, warum im vorliegenden Fall Handlungen, die Individuen zur Last gelegt werden, welche Mitglieder oder Sympathisanten der PMOI sein sollen, der PMOI selbst zur Last zu legen seien. Das Gericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass eine solche Erläuterung „im vorliegenden Fall vollständig [fehlt]“.

149. Die Französische Republik trägt letztlich vor, die PMOI habe unmöglich verkennen können, dass die gegen die betreffenden Individuen erhobenen Vorwürfe gegen die Organisation selbst gerichtet gewesen seien. Aus den Antwortschreiben auf den Beschluss vom 26. September 2008 gehe hervor, dass dies der Fall gewesen sei, und die große Zahl der Einzelpersonen (24), gegen die ermittelt worden sei, weise zwingend darauf hin, dass die Organisation als solche gemeint gewesen sei.

150. Beide Argumente überzeugen mich nicht.

151. Erstens ergibt sich bei Prüfung der in Beantwortung des Beschlusses vom 26. September 2008 vorgelegten Unterlagen, dass diese zugegebenermaßen auf „möglicherweise [der PMOI] angehörende Personen“ und „mutmaßliche Mitglieder“ der PMOI verweisen. Im Weiteren heißt es dort, dass „derzeit Mitglieder der Organisation … wegen Straftaten verfolgt [werden], die der Finanzierung ihrer Aktivitäten dienen sollten“. All dies kommt in der Tat einer Reihe von Behauptungen der Französischen Republik gleich, dass die Individuen und die PMOI als miteinander verbunden anzusehen seien. Damit wird jedoch noch nicht die Erläuterung gegeben, die das Gericht meines Erachtens zu Recht verlangt. Eine Reihe allgemeiner Behauptungen, dass verschiedene Personen Mitglieder der Organisation X seien und dass gegen diese Personen wegen (nicht näher bezeichneter) Straftaten, die der Finanzierung ihrer Aktivitäten dienen sollten, ermittelt oder eine Strafverfolgung betrieben werde, genügt nicht, deren Verhalten der Organisation X zur Last zu legen.

152. Was zweitens die tatsächlichen Kenntnisse der PMOI von der zugrunde liegenden Sachlage betrifft, hat die PMOI auf Befragen durch den Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass aufgrund der 2003 durchgeführten Durchsuchung ihrer Büroräume in Auvers-sur-Oise „die PMOI nicht verkennen konnte (‚ne pouvait ne pas savoir‘), dass man indirekt auf sie abzielte“. Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese tatsächliche Kenntnis aufseiten der PMOI im Rahmen des 2001 eingeleiteten Ermittlungsverfahrens genügte, so fehlt doch eine Erläuterung bezüglich des 2007 eingeleiteten Ermittlungsverfahrens. Die PMOI hat durchweg geltend gemacht, ihr sei in dieser Hinsicht nichts über eine Verbindung zwischen den Ermittlungen gegen Individuen und der Organisation bekannt gewesen.(50)

153. Was die Zahl der betroffenen Personen anlangt, hätte mich dieses Argument vielleicht überzeugt, wenn es sich insoweit um einen von vielen oder zumindest mehreren Anhaltspunkten für die Einbeziehung der PMOI als Organisation gehandelt hätte. Als einzelnes Indiz führt dieser Hinweis jedoch meines Erachtens nicht weiter.

154. Aus alledem ergibt sich, dass der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen ist.

 Dritter Rechtsmittelgrund (Rüge der Verletzung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz)

155. Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund rügt die Französische Republik im Wesentlichen die Feststellung des Gerichts in den Randnrn. 71 bis 76 des angefochtenen Urteils, dass es dem Rat verwehrt gewesen sei, in den Antworten auf den Beschluss vom 26. September 2008 Informationen aus Gründen der Vertraulichkeit vorzuenthalten. Nach den Ausführungen des Gerichts war es ihm infolge der Weigerung, auf die Vertraulichkeit zu verzichten, nicht möglich, die Rechtmäßigkeit des streitigen Beschlusses zu kontrollieren. Folglich sei das Recht der PMOI auf eine effektive gerichtliche Kontrolle verletzt worden.

156. Zur Begründung ihres Rechtsmittelgrundes führt die Französische Republik vor allem zwei Argumente an.

 Erstes Argument: fehlende Entscheidungserheblichkeit der vorenthaltenen Informationen

157. In Randnr. 73 des angefochtenen Urteils erklärt das Gericht, der Rat sei nicht berechtigt, seinen Beschluss über das Einfrieren der Gelder auf von einem Mitgliedstaat mitgeteilte Informationen oder Aktenstücke zu stützen, wenn dieser Mitgliedstaat nicht gewillt sei, ihre Übermittlung an den Unionsrichter zu gestatten.

158. Damit impliziert das Gericht die Feststellung, dass der Rat seinen Beschluss in erheblichem Umfang auch wirklich auf diese Informationen oder Aktenstücke gestützt hat.

159. Die Französische Republik wendet sich gegen diese Tatsachenfeststellung. Tatsächlich habe sich der Rat beim Erlass des streitigen Beschlusses nicht auf die Informationen gestützt, die der Rat im zweiten Antwortschreiben auf den Beschluss vom 26. September 2008(51) vorenthalten habe. Dies gehe aus den (in Randnr. 58 des angefochtenen Urteils wiedergegebenen) Nrn. 11 und 12 des ersten Antwortschreibens auf den Beschluss vom 26. September 2008 hervor. Die vom Rat gegebene Begründung und die von ihm vorgelegten Schriftstücke belegten im Übrigen in hinreichendem Maße, dass dem Rat die Informationen, die er für den Erlass des die PMOI betreffenden Teils des streitigen Beschlusses benötigte, aufgrund eines nationalen Beschlusses im Sinne von Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 zur Verfügung standen.

160. Bei Prüfung des zweiten Antwortschreibens auf den Beschluss vom 26. September 2008 ergibt sich, dass im Anhang 3 dieses Antwortschreibens zwei Passagen gestrichen sind. In Abs. 4 des Antwortschreibens heißt es im Hinblick auf die erste Passage (d. h. die Angaben in Punkt 3 Buchst. a), dass „die [Französische Republik] zur Begründung der Streichung angegeben hat, dass die in Frage stehenden Informationen einen die nationale Verteidigung berührenden sicherheitsrelevanten Charakter haben und daher Schutzmaßnahmen zur Beschränkung ihrer Verbreitung unterliegen“. Im Hinblick auf die zweite Passage (d. h. die Angaben in Punkt 3 Buchst. f) heißt es im selben Absatz, dass „der Grund für die Streichung darin zu sehen ist, dass die Informationen nicht die PMOI, sondern andere Organisationen betreffen, die in der EU-Liste der an terroristischen Handlungen beteiligten Personen und Organisationen aufgeführt sind“.

161. Die in den gestrichenen Passagen enthaltenen Informationen sind weiterhin vertraulich. Sie wurden dem Gerichtshof im Rahmen des Rechtsmittels der Französischen Republik nicht zur Verfügung gestellt.

162. Ich verstehe die Französische Republik dahin, dass sie mit ihrem Einwand gegen die in Rede stehende Tatsachenwürdigung rügen will, das Gericht habe die ihm vorgelegten Beweismittel verfälscht. Andernfalls wäre dieser Teil des Rechtsmittelgrundes nämlich offenkundig unzulässig.(52)

163. Kann die Feststellung des Gerichts als eine solche Verfälschung der Beweismittel bezeichnet werden?

164. Zur Beantwortung dieser Frage sind zunächst die Nrn. 11 und 12 des ersten Antwortschreibens auf den Beschluss vom 26. September 2008 zu untersuchen.

165. In Nr. 11 erklärt der Rat, dass er keinerlei zusätzliches Beweismaterial im Zusammenhang mit den Ermittlungen der französischen Justiz über das in der Begründung dargelegte hinaus erhalten habe, da solches zusätzliches Beweismaterial nach französischem Recht vertraulich bleiben müsse. Er habe alle ihm zur Verfügung gestellten wesentlichen Informationen über das Ermittlungsverfahren wiedergegeben. Einschränkend fügt der Rat hinzu, dass eines der Dokumente, für das Vertraulichkeit in Anspruch genommen werde, detailliertere Angaben enthalte. Sodann qualifiziert er diese Einschränkung wiederum dahin, dass alle diese Angaben unter die in der Begründung gegebene allgemeine Beschreibung fielen.

166. In Nr. 12 erklärt der Rat letztlich, er verfüge nicht über weitere Informationen oder Aktenstücke, deren Kenntnis für das Gericht relevant sei. Insbesondere sei ihm die genaue Identität der Beschuldigten nicht mitgeteilt worden.

167. Worin also besteht das Beweismittel hier? Der Wortlaut der Nrn. 11 und 12 des ersten Antwortschreibens des Rates auf den Beschluss vom 26. September 2008 ist – gelinde gesagt – unklar. Der Frage, ob diese Verschwommenheit auf eine Verschleierungsabsicht des Rates oder lediglich auf mangelnde Sprachfertigkeit zurückzuführen ist, kann hier nicht nachgegangen werden. Meines Erachtens durfte das Gericht nach einer Wahrscheinlichkeitsabwägung die Tatsachenfeststellung treffen, dass der Rat seinen Beschluss in gewissem (nicht näher bezeichnetem) Umfang sehr wohl auf das dem Gericht vorenthaltene Aktenmaterial gestützt hat.

168. Die Französische Republik macht geltend, dass damit bei zusätzlicher Berücksichtigung der Begründung sowie der Dokumente, die der Rat in Beantwortung des Beschlusses vom 26. September 2008 vorgelegt habe, hinreichend belegt sei, dass der Rat über die benötigten Informationen verfügt habe, um den streitigen Beschluss, soweit er die PMOI betreffe, erlassen zu können.

169. Dies mag zutreffen. Die Beweislast dafür, dass der Rat seinen Beschluss tatsächlich allein auf dieses Aktenmaterial gestützt hat, trifft indes die Französische Republik. Mit der bloßen Behauptung, die Aktenstücke belegten hinreichend, dass der Rat über die benötigten Informationen verfügt habe, hat sie sich dieser Beweislast nicht entledigt.

170. Meiner Meinung nach ergeben sich aus dem Vorbringen der Französischen Republik keine Hinweise dafür, dass das Gericht bei der von ihm getroffenen Feststellung die ihm vorgelegten Beweismittel verfälscht hat. Das erste Argument der französischen Regierung ist demnach zurückzuweisen.

 Zweites Argument: Klassifizierung der vorenthaltenen Informationen als geheimhaltungsbedürftig

171. Die Französische Republik verweist auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit der in dem fraglichen Punkt enthaltenen Informationen (vgl. Randnr. 71 des angefochtenen Urteils). Bezüglich der Feststellung des Gerichts in Randnr. 72 des angefochtenen Urteils (nämlich, dass dem Gericht eigentlich nicht einleuchte, warum das Schriftstück, wenn es dem Rat selbst und anschließend den Regierungen der 26 übrigen Mitgliedstaaten mitgeteilt werden könne, nicht auch dem Gericht zugänglich gemacht werden könne) trägt die Französische Republik vor, dass das Gericht nach Art. 67 § 3 seiner Verfahrensordnung nur Unterlagen berücksichtige, von denen die Anwälte und Bevollmächtigten der Parteien Kenntnis nehmen und zu denen sie Stellung nehmen konnten. Mit anderen Worten, die Französische Republik macht – wenn ich richtig verstehe – geltend, dass das Gericht die Vorlage eines Schriftstücks nur dann verlange, wenn es beabsichtige, den Inhalt dieses Schriftstücks in seinem Urteil zu berücksichtigen. Wenn das Gericht den Inhalt in der Tat zu diesem Zweck berücksichtigen wolle, müsse das Gericht diesen Inhalt zwangsläufig zuvor der Gegenseite zur Kenntnis geben.

172. Nach den Ausführungen der Französischen Republik haben sich die französischen Behörden unstreitig aus Vertraulichkeitsgründen der Mitteilung des fraglichen Schriftstücks an die PMOI widersetzt. Folglich wäre nach Ansicht der Französischen Republik das Gericht ohnehin nicht in der Lage gewesen, das Schriftstück zu berücksichtigen.

173. Die mit diesem Teil des Rechtsmittelgrundes der Französischen Republik angesprochene Problematik ist von höchster Bedeutung. Inwieweit soll eine an einem Verfahren vor dem Gericht beteiligte Partei verlangen können, die dem Gericht mitgeteilten Informationen vertraulich zu behandeln mit der Folge, dass sie dem bzw. den anderen Verfahrensbeteiligten nicht zugänglich gemacht werden? Und soweit Informationen dementsprechend vertraulich behandelt werden, dürfen (oder sollten) sie dann trotzdem vom Gericht zum Zweck der Urteilsfindung berücksichtigt werden?

174. Diese Problematik muss im richtigen Zusammenhang gesehen werden.

175. Zwei Artikel der Verfahrensordnung des Gerichts enthalten bereits Vertraulichkeitsregelungen.(53) Erstens hat nach Art. 67 § 3 eine Partei die Möglichkeit, hinsichtlich der von ihr im Rahmen einer Beweisaufnahme mitgeteilten Informationen ganz oder teilweise die Wahrung der Vertraulichkeit zu beantragen. Das Gericht prüft dann diesen Antrag. Während dieser Prüfung wird das betreffende Schriftstück den anderen Verfahrensbeteiligten nicht mitgeteilt. Ebenfalls nach Art. 67 § 3 wird in Fällen, in denen ein Schriftstück, in das ein Organ die Einsicht verweigert hat, dem Gericht in einem Verfahren zur Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Verweigerung vorgelegt worden ist, dieses Schriftstück den übrigen Parteien nicht übermittelt.

176. Zweitens kann nach Art. 116 § 2 der Präsident des Gerichts auf Antrag einer Partei geheime oder vertrauliche Informationen von den einem Streithelfer gemäß dieser Vorschrift zu übermittelnden Schriftstücken ausnehmen. Nach Art. 116 § 6 erhält eine Partei, die den Antrag auf Zulassung als Streithelfer nach Ablauf der in Art. 115 § 1 vorgesehenen Sechswochenfrist stellt, den Sitzungsbericht. Ihr werden jedoch nicht die Schriftstücke übermittelt, die den Parteien nach Art. 116 § 2 zugestellt worden sind. Aus offensichtlichen Gründen enthält der Sitzungsbericht keine vertraulichen Daten.

177. In der Verfahrensordnung des Gerichts findet sich jedoch keine Bestimmung, die ihm erlauben würde, vertrauliche Beweisstücke, die eine an dem Klageverfahren beteiligte Partei vorgelegt hat, ohne Mitteilung dieser Beweisstücke an den bzw. die übrigen Beteiligten zu berücksichtigen. Wird dem Gericht ein Schriftstück mit dem Antrag auf vertrauliche Behandlung vorgelegt, hat es nach Art. 67 § 3 seiner Verfahrensordnung zwei Möglichkeiten. Es kann dem Antrag stattgeben mit der Folge, dass das Schriftstück weder dem bzw. den übrigen Verfahrensbeteiligten übermittelt noch bei der Urteilsfindung des Gerichts berücksichtigt wird. Das Gericht kann aber auch den Antrag ablehnen mit der Folge, dass das Schriftstück dem bzw. den anderen Parteien übermittelt wird und bei der Urteilsfindung berücksichtigt wird.(54) Eine andere Möglichkeit besteht nicht. Mit anderen Worten: Es gibt keinen „Mittelweg“.

178. Sowohl das Gericht als auch der Gerichtshof gehen davon aus, dass für Rechtssachen, in denen es um die Anordnung des Einfrierens von Geldern geht, die Einführung eines besonderen Verfahrens für vertrauliche Beweise notwendig werden könnte.

179. Im Urteil OMPI hat das Gericht ausgeführt, dass „der Gemeinschaftsrichter die Rechtmäßigkeit und die Begründetheit der Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern kontrollieren können [muss], ohne dass ihm die Geheimhaltungsbedürftigkeit oder die Vertraulichkeit der vom Rat herangezogenen Beweise und Informationen entgegengehalten werden könnte“.(55) Im Weiteren heißt es, dass „[d]ie Frage, ob dem Kläger und/oder seinen Anwälten als vertraulich bezeichnete Beweismittel und Informationen mitgeteilt werden können oder ob deren Mitteilung nach einem besonderen Verfahren, das noch in der Weise festzulegen ist, dass die betreffenden öffentlichen Interessen gewahrt werden und gleichzeitig dem Betroffenen ausreichender Rechtsschutz gewährt wird, auf das Gericht beschränkt werden muss, … eine andere Frage [ist], die das Gericht im Rahmen der vorliegenden Klage nicht zu beantworten braucht“.(56)

180. Im Urteil Kadi I hat der Gerichtshof festgestellt, dass „zwingende Gründe der Sicherheit oder der Gestaltung der internationalen Beziehungen der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten der Mitteilung bestimmter Umstände an die Beteiligten und daher deren Anhörung zu diesen Umständen entgegenstehen [können]“. Allerdings „muss in einem solchen Fall der Gemeinschaftsrichter im Rahmen der von ihm ausgeübten gerichtlichen Kontrolle Techniken anwenden, die es ermöglichen, die legitimen Sicherheitsinteressen in Bezug auf die Art und die Quellen der Informationen, die beim Erlass des betreffenden Rechtsakts berücksichtigt worden sind, auf der einen und das Erfordernis, dem Einzelnen hinreichende Verfahrensgarantien zu gewähren, auf der anderen Seite zum Ausgleich zu bringen“.(57)

181. In einem anderen Zusammenhang, nämlich im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, hat der Gerichtshof im Urteil Varec(58) ausgeführt, dass es „[i]n bestimmten Fällen … zur Wahrung der Grundrechte eines Dritten oder zum Schutz wichtiger Interessen der Allgemeinheit erforderlich sein [kann], den Parteien bestimmte Informationen vorzuenthalten“. Im Weiteren erklärt er: „Der Grundsatz des Schutzes von vertraulichen Informationen und Geschäftsgeheimnissen muss so ausgestaltet sein, dass er mit den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes und der Wahrung der Verteidigungsrechte der am Rechtsstreit Beteiligten im Einklang steht … und dass – im Fall einer Klage oder eines Rechtsbehelfs bei einer Stelle, die Gericht im Sinne von Art. 234 EG ist – sichergestellt ist, dass in dem Rechtsstreit insgesamt das Recht auf ein faires Verfahren beachtet wird.“(59)

182. Dessen ungeachtet gilt nach wie vor Art. 67 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichts.(60) Es ist kein besonderes Verfahren festgelegt und es sind noch keine spezifischen Techniken entwickelt worden zur Beantwortung der Frage, wie in solchen Fällen mit vertraulichen Beweisen zu verfahren ist. Ich vermag deshalb nicht die Feststellung des Gerichts zu beanstanden, dass es infolge der Weigerung des Rates, die betreffenden vertraulichen Informationen zur Kenntnis zu bringen, seine Kontrolle der Rechtmäßigkeit des streitigen Beschlusses nicht ausüben konnte. Gleichwohl halte ich den Standpunkt der Französischen Republik, dem Rat die Vorlage der fraglichen vertraulichen Beweise im Rahmen seiner Antwort auf den Beschluss vom 26. September 2008 zu untersagen, für nicht ganz unvernünftig.

183. Im Zuge des Beschlusses vom 26. September 2008 teilte das Gericht dem Rat mit, dass die Schriftstücke „in diesem Verfahrensstadium“ nicht der PMOI zur Kenntnis gebracht würden. Das Gericht hat dem Rat keine Zusicherung für den weiteren Verlauf gegeben – wozu es nach meinem Verständnis der Verfahrensordnung auch gar nicht befugt gewesen wäre.

184. Erstens meine ich, dass ein am Verfahren beteiligter Dritter (wie die Französische Republik) unter diesen Umständen den Grad des für die fraglichen Informationen garantierten Schutzes zu Recht für unzureichend halten könnte, um eine Übermittlung an das Gericht zulassen zu können, zumindest wenn die Informationen in einen hohen Vertraulichkeitsgrad eingestuft werden. Insoweit ist bedeutsam, dass die Französische Republik auf Befragen in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass die betreffenden Informationen dem Gericht vermutlich in der Tat zur Verfügung gestellt worden wären, wenn es zum maßgebenden Zeitpunkt in der Verfahrensordnung des Gerichts Bestimmungen über den Schutz vertraulicher Beweise gegeben hätte.

185. Zweitens erscheint es verfehlt, wenn sich das Gericht auf den Umstand stützt, dass dieselben Informationen bereits dem Rat und anschließend neben der Französischen Republik auch den Regierungen der 26 übrigen Mitgliedstaaten mitgeteilt worden seien. Dies könnte dahin verstanden werden, dass es aufgrund der Mitteilung an den Rat und die Mitgliedstaaten niemals auch nur im Entferntesten zweifelhaft gewesen wäre, dass sie in irgendeiner Form übermittelt oder allgemein bekannt gemacht würden.(61)

186. Daraus folgt meines Erachtens, dass nunmehr ernsthaft eine Änderung der Verfahrensordnung des Gerichts durch Aufnahme einer Bestimmung erwogen werden sollte, die die Vorlage von wirklich vertraulichen Beweisen zur Prüfung durch das Gericht in einer Weise ermöglicht, die mit dem Charakter der Beweise vereinbar ist, ohne die Rechte des bzw. der übrigen am Rechtsstreit Beteiligten unzulässig zu verletzen.(62)

187. Diese Schlussanträge sind nicht der geeignete Ort für den Eintritt in eine ausführliche Debatte über die einzelnen Aspekte solcher Änderungen. Ich will jedoch die wesentlichen Fragen skizzieren, um die es wohl gehen dürfte.

188. Ehe eine Klage auf Nichtigerklärung einer Verordnung zum Einfrieren der Gelder einer Person oder Organisation, die der Mitwirkung oder Beteiligung an Terrorismus verdächtig ist, beim Unionsrichter anhängig werden kann, muss zunächst der Unionsgesetzgeber aufgrund eines Beschlusses oder aufgrund von Informationen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten tätig geworden sein. Der Handlungsbedarf ist einfacher zu erkennen, wenn man den Ablauf von der Ausgangssituation her betrachtet.

189. Ich werde bei meiner Würdigung daher zunächst auf die Rolle der Behörden der Mitgliedstaaten bei der Fassung eines Beschlusses (d. h. Aufnahme der Ermittlungen oder Strafverfolgung) eingehen, der die Grundlage eines vom Rat gegebenenfalls zu erlassenden Beschlusses über das Einfrieren von Geldern bildet. Sodann werde ich mich mit der Stellung des Rates beim Erlass eines solchen Beschlusses befassen. Schließlich soll die Rolle des Gerichts bei der Entscheidung über eine Klage gegen diesen Beschluss untersucht werden.

190. Dabei werde ich die Gesichtspunkte erörtern, die beim Umgang mit denjenigen sensiblen Daten zum Tragen kommen, die entscheidungserheblich sind, für die jedoch (vom Rat oder einem Mitgliedstaat) die Wahrung der Vertraulichkeit gegenüber dem Kläger verlangt wird. Es wäre unangebracht, wenn ich insoweit die in jedem einzelnen Stadium erforderlichen Lösungen zu detailliert vorgeben wollte. Ich möchte mit meiner Erörterung dieser Fragen einfach einen Beitrag zur Unterstützung der Akteure leisten, die sich mit der konkreten Lösung dieser Problematik zu befassen haben – sei es auf der Ebene der Mitgliedstaaten, des Rates oder des Gerichts. Ein Gesichtspunkt ist dabei auch, dass die Französische Republik die Klärung der Rechtslage für die Zukunft ausdrücklich als zentrales Motiv für ihre Entscheidung zur Einlegung des vorliegenden Rechtsmittels bezeichnet hat.(63)

–       Zur Rolle der nationalen Behörden der Mitgliedstaaten

191. Wenn die nationalen Behörden der Mitgliedstaaten einen Beschluss fassen, der die Grundlage für den Erlass eines Beschlusses des Rates über das Einfrieren von Geldern bildet, hängt ihre Rolle von der Art des nationalen Beschlusses und von der Art des Verfahrens bei der Beschlussfassung ab.

192. Bei einem solchen Beschluss kann es sich um die Aufnahme von Ermittlungen, um eine Strafverfolgung oder um eine Verurteilung handeln, d. h. um die förmliche Feststellung einer Justizbehörde oder sonstigen Stelle des Inhalts, dass die fraglichen Handlungen begangen worden sind.

193. Zudem mag der Beschluss allein aufgrund ungeschützter Beweismittel ergangen sein, die der Partei, gegen die sich die vorgesehene Anordnung des Einfrierens von Geldern richten soll, übermittelt worden sind. Denkbar ist aber auch, dass sich der Beschluss ganz oder teilweise auf Beweismittel stützt, von denen einige oder alle als zu sensibel und/oder vertraulich eingestuft werden, um auf diese Weise übermittelt werden zu können. Der Einfachheit halber werde ich solche Beweismittel im Folgenden als geschützte Beweismittel bezeichnen.

194. Die Person, Vereinigung oder Körperschaft, gegen die sich der Beschluss richtet, mag Gelegenheit zu seiner Anfechtung gehabt haben. Denkbar ist aber auch, dass im nationalen Recht kein wirksamer Rechtsbehelf besteht.

195. Ersichtlich wird in Art. 1 Abs. 4 nach seinem Aufbau davon ausgegangen, dass das Verfahren innerhalb des betreffenden Mitgliedstaats justizieller Natur ist. Die Wendung „entsprechende zuständige Behörde“ trägt allerdings auch dem Umstand Rechnung, dass in einigen Mitgliedstaaten das Verfahren im Bereich der Exekutive durchgeführt wird. So verhielt es sich übrigens bei der ursprünglichen Auflistung der PMOI, da der fragliche Beschluss vom Home Secretary gefasst wurde. In der Französischen Republik handelte es sich jedoch bei dem die PMOI betreffenden Verfahren durchweg um solche einer Justizbehörde.

196. Soweit bei dem jeweiligen nationalen Verfahren der in Rede stehende Beschluss im Bereich der Exekutive gefasst wird, ist durchaus denkbar, dass der Beschluss ergeht, ohne dass die betroffene Person zuvor von der Art der Beweismittel Kenntnis nehmen und sich zu ihnen äußern konnte. Die nationalen Vorschriften können jedoch vorsehen, dass anschließend ein Rechtsmittel bei der Stelle der Exekutive, die den Beschluss gefasst hat, und/oder bei den Gerichten des betreffenden Mitgliedstaats eingelegt werden kann.

 Zum Verfahren beim Rat

197. Als Voraussetzung für die Gültigkeit eines Beschlusses über das Einfrieren von Geldern muss sich der Rat vergewissern, dass alle in Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführten Erfordernisse erfüllt sind.

198. So hat er sich zunächst zu vergewissern, dass genaue Informationen bzw. einschlägige Akten vorliegen, aus denen sich ergibt, dass eine zuständige Behörde einen Beschluss gefasst hat.(64) Ohne einen solchen Beschluss kann der Rat nichts weiter unternehmen.

199. Als Nächstes muss der Rat feststellen, ob der fragliche Beschluss gegenüber den betreffenden Personen, Vereinigungen oder Körperschaften gefasst wurde, deren Gelder eingefroren werden sollen.(65)

200. Sodann muss der Rat prüfen, ob es sich bei dem fraglichen Beschluss handelt a) um die Aufnahme von Ermittlungen oder um Strafverfolgung wegen einer terroristischen Handlung oder des Versuchs, eine terroristische Handlung zu begehen, daran teilzunehmen oder sie zu erleichtern, in welchem Fall der Beschluss auf ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien gestützt sein muss, oder b) um eine Verurteilung für derartige Handlungen.

201. Anschließend muss der Rat beurteilen, ob der Beschluss auf ungeschützten Beweismitteln, die der Person, Vereinigung oder Körperschaft, gegen die Anordnung erlassen werden soll, zugänglich gemacht worden sind, oder ob er ganz oder teilweise auf geschützten Beweismitteln beruht.

202. Art. 1 Abs. 4 verlangt zwar nicht ausdrücklich, meines Erachtens jedoch implizit, dass beim Zustandekommen des fraglichen nationalen Beschlusses die Menschen- und Grundrechte der Personen, Vereinigungen oder Körperschaften, deren Gelder eingefroren werden sollen, gewahrt werden. Der Rat kann zwar naturgemäß nicht die Einhaltung dieser Rechte gemäß dem nationalen Rechtssystem des den Beschluss fassenden Mitgliedstaats kontrollieren, er vermag sich jedoch auf Unionsebene der Einhaltung dieser Rechte zu vergewissern. Da ja auch der eigene Beschluss des Rates über das Einfrieren von Geldern diese Rechte wahren muss, wenn er einer anschließenden Klage vor dem Unionsrichter standhalten soll(66), muss sich der Rat meines Erachtens dessen vor Erlass seines Beschlusses vergewissern.

203. Zwangsläufig wird das Verfahren, das der Rat beim Erlass eines Beschlusses über das Einfrieren von Geldern zu befolgen hat, je nach dem Charakter des auf nationaler Ebene durchgeführten Verfahrens unterschiedlich verlaufen.

204. Meiner Meinung nach lauten die zu beachtenden wesentlichen Gesichtspunkte und die sich daraus ergebenden Konsequenzen wie folgt.(67)

–       Zur Fallgestaltung, dass es sich bei der zuständigen Behörde um eine „Justizbehörde“ handelt

205. Bei den nachstehenden Beispielen gehe ich erstens davon aus, dass es sich bei der zuständigen Behörde, die den nationalen Beschluss gefasst hat, um eine Justizbehörde handelt.(68)

206. Handelt es sich bei dem Beschluss dieser Behörde um eine Verurteilung für die in Rede stehenden Handlungen, muss der Rat feststellen, ob der Beschluss aufgrund ungeschützter Beweise oder aufgrund geschützter Beweise oder aufgrund ungeschützter Beweise in Verbindung mit geschützten Beweisen gefasst wurde.

207. Erfolgte die Verurteilung ausschließlich aufgrund ungeschützter Beweise, befindet sich der Rat in einer verhältnismäßig einfachen Lage.(69) Er braucht nicht zu prüfen, ob der Beschluss auf ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien gestützt wurde. Diese Prüfung wird bereits die zuständige Behörde bei ihrer Beschlussfassung vorgenommen haben.

208. Folglich braucht sich der Rat dann nur noch mit der Frage der Wahrung der Menschen- und Grundrechte der betroffenen Personen, Vereinigungen oder Körperschaften zu beschäftigen.(70)

209. Sofern es nicht um einen erstmaligen Beschluss über das Einfrieren von Geldern geht(71), können die fraglichen Beweismittel (die ja zur Gänze aus ungeschützten Beweismitteln bestehen) den betroffenen Personen, Vereinigungen oder Körperschaften zur Kenntnis gegeben werden, die dann die Möglichkeit haben, hierzu in geeigneter Weise Stellung zu nehmen, ehe der Rat seinen Beschluss erlässt.

210. Nicht ganz so einfach ist die Lage, wenn der nationale Beschluss auf Beweismitteln beruht, die zum Teil ungeschützt und zum Teil geschützt sind.

211. In diesem Fall muss der Rat meines Erachtens in einem ersten Schritt prüfen, ob er seinen Beschluss über das Einfrieren von Geldern allein auf die ungeschützten Beweismittel stützen kann. Wenn ja, sollte der Rat meiner Ansicht nach allein aufgrund dieser Beweismittel vorgehen und die geschützten Beweismittel außer Betracht lassen. Er kann dann in der oben, Nrn. 207 bis 209, dargestellten Weise verfahren.

212. Kann der Beschluss nicht allein auf die ungeschützten Beweismittel gestützt werden oder sind sämtliche dem nationalen Beschluss zugrunde liegenden Beweismittel geschützt, muss der Rat den betreffenden Mitgliedstaat fragen, ob er im Fall einer Klage gegen den Beschluss des Rates bereit ist, die geschützten Beweismittel dem Gericht zur Verfügung zu stellen. Falls der Mitgliedstaat hierzu nicht bereit ist, kann der Rat (sowohl nach derzeitiger Rechtslage als auch nach einer Änderung der Verfahrensordnung des Gerichts in dem in diesen Schlussanträgen dargestellten Sinne) nichts weiter unternehmen. Sein Beschluss würde auf die Klage hin für nichtig erklärt.

213. Falls der Mitgliedstaat einer (gegebenenfalls erforderlich werdenden) Übermittlung an das Gericht zustimmt, erlässt der Rat den Beschluss, den Namen des Betroffenen in die Liste aufzunehmen, gestützt auf die geschützten Beweismittel, ohne diese dem Betroffenen übermitteln zu können. Dem Betroffenen wird damit unweigerlich das volle Recht auf Erhebung von Einwänden verwehrt, das ihm andernfalls in diesem Verfahrensstadium zugestanden hätte.

214. Der Rat vermag naturgemäß nicht zu beurteilen, ob die von einem Mitgliedstaat vertraulich vorgelegten Beweise tatsächlich rechtlich als „geheime und vertrauliche Beweise“ einzustufen sind und daher den Materialien dieser Art ausnahmsweise zuerkannten Schutz verdienen. Ihm steht auch kein Verfahren zur Verfügung, in dessen Rahmen über solche Beweise eine Verhandlung durchgeführt werden könnte.

215. Innerhalb dieser Grenzen müssen jedoch die Verteidigungsrechte so weit wie möglich geachtet werden. Demgemäß sollte, soweit es um geschützte Beweismittel geht, das nachstehend beschriebene weitere Verfahren eingehalten werden.

216. Erstens sollte der Rat der betroffenen Partei eine nichtvertrauliche Zusammenfassung der Beweise zur Verfügung stellen und somit dieser Partei einen Hinweis auf die Gründe geben, auf die er seinen Beschluss zu stützen beabsichtigt. Ich erachte die Verfügbarkeit einer nichtvertraulichen Zusammenfassung in einer Union des Rechts als eine unverzichtbare Mindestgarantie. Fehlt sie, ist eine Wahrung der Verteidigungsrechte unmöglich.

217. Zweitens sollte der Rat der betroffenen Person, Vereinigung oder Körperschaft mitteilen, dass sowohl der zugrunde liegende Beschluss als auch der vom Rat beabsichtigte Beschluss auf geschützte Beweismittel gestützt wurden, so dass der Betroffene die Möglichkeit hat, den Beschluss des Rates vor dem Gericht anzufechten, bei dem dann Regelungen zum Schutz dieser Beweismittel zur Anwendung gelangen können.

218. Selbstverständlich kann es vorkommen, dass es sich bei dem fraglichen nationalen Beschluss nicht um eine Verurteilung wegen der in Rede stehenden Handlungen handelt. Möglicherweise wurde mit dem Beschluss lediglich die Durchführung von Ermittlungen oder einer Strafverfolgung zugelassen. Meiner Meinung nach ergeben sich in einem solchen Fall dieselben Varianten und dieselben Fragen wie in dem oben in den Nrn. 206 bis 217 beschriebenen Fall – jedoch mit einem wichtigen weiteren Aspekt.

219. Der Rat muss seinerseits die zur Stützung des nationalen Beschlusses vorgelegten Beweise prüfen, um sich zu vergewissern, dass das Tatbestandsmerkmal „ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien“ nach Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 erfüllt ist. Kommt der Rat zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall ist, darf er den Beschluss zur Auflistung der betroffenen Person, Vereinigung oder Körperschaft nicht erlassen.

–       Zur Fallgestaltung, dass es sich bei der zuständigen nationalen Behörde um eine „entsprechende zuständige Behörde“ handelt

220. Es bleibt zu klären, welches Verfahren einzuhalten ist, wenn es sich bei der betreffenden zuständigen Behörde nicht um eine Justizbehörde, sondern um eine „entsprechende zuständige Behörde“ handelt. Der Beschluss einer solchen Behörde kann zwar selbstverständlich in einer Verurteilung für die fraglichen Handlungen bestehen, möglicherweise aber auch in einer Entscheidung, die lediglich aufgrund von Ermittlungen getroffen wurde (per definitionem kann es sich bei einem Beschluss, der von einer dem Bereich der Exekutive angehörenden Stelle getroffen wird, nicht um eine „Strafverfolgung“ handeln).

221. Meiner Meinung nach ergeben sich hier dieselben Varianten und dieselben Fragen wie in dem Fall, dass es sich bei der zuständigen nationalen Behörde um eine Justizbehörde handelt. Da jedoch auf nationaler Ebene die „Justiz“ nicht an dem Entscheidungsprozess beteiligt ist, möchte ich nur anmerken, dass es dem Rat obliegt, den nationalen Beschluss eingehender auf die Erfüllung der Erfordernisse von Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 zu prüfen.

 Zur Verfahrensordnung des Gerichts

222. Nehmen wir nun an, dass gegen den Beschluss des Rates über das Einfrieren von Geldern Klage beim Gericht erhoben wird, und untersuchen wir, welche Änderungen der Verfahrensordnung des Gerichts gegebenenfalls erforderlich sind, um den vorstehenden Erwägungen Rechnung zu tragen. Ich werde zunächst den Geltungsbereich der Änderungen darstellen, die mir vorschweben. Sodann prüfe ich diese Änderungen unter folgenden Gesichtspunkten:

–        Verwendung geschützter Beweismittel,

–        Einhaltung der in der Union geltenden Garantien der Menschenrechte (und insbesondere der Verteidigungsrechte).

Zum Schluss werde ich mich mit der Frage beschäftigen, welcher Art und Intensität die vom Unionsrichter vorzunehmende Kontrolle sein muss.

–       Geltungsbereich

223. Die Problematik vertraulicher oder geheimer Beweismittel ergibt sich nicht nur in Fällen, in denen der Vorwurf einer Mitwirkung oder Beteiligung an Terrorismus erhoben wird. Sie kann z. B. auch im Bereich des öffentlichen Auftragswesens (wo es häufig vorkommt, dass ein erfolgloser Bieter mit einer Anfechtung der Auftragsvergabe lediglich auf „Fischzug“ gehen will, um an sonst unzugängliche Informationen zu gelangen(72)) und im Bereich des Wettbewerbsrechts auftreten.

224. Bei terroristischen Aktivitäten sind die Fragen jedoch besonders akut.

225. Denn in diesem Bereich kann der Konflikt zwischen den widerstreitenden Interessen, nämlich der Wahrung der Verteidigungsrechte auf der einen und des wirksamen Schutzes der nationalen Sicherheit auf der anderen Seite, besonders scharf ausgeprägt sein.

226. Im Folgenden konzentriere ich mich daher auf Fragen vertraulicher Beweismittel, die den Vorwurf des Terrorismus und der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten belegen sollen.

227. In Fällen, in denen Beweise aus Gründen der Vertraulichkeit vorenthalten werden, ist stets die mögliche Schwächung der Verteidigungsrechte in Betracht zu ziehen. Jede Art von Beschränkung des Zugangs zu Beweismitteln birgt die Gefahr in sich, dass die Partei, die sich verteidigen will, in ihren Verteidigungsrechten beeinträchtigt wird.

228. Das Gleiche gilt jedoch auch für den wirksamen Schutz der nationalen Sicherheit. Personen, die terroristische Aktivitäten beobachten und verfolgen, insbesondere wenn sie vor Ort tätig sind, setzen sich der Gefahr aus, gefoltert oder gar umgebracht zu werden, wenn Informationen bekannt werden, die Hinweise auf ihre Tätigkeit oder Identität enthalten.(73) In der Regel werden die Mitgliedstaaten daher legitimerweise auf wirksamen Beschränkungen für die Weitergabe von Daten bestehen wollen, die (unmittelbar, mittelbar oder zufällig) zur Identifizierung von Quellen oder zur Preisgabe bestimmter Observierungstechniken führen können.

229. Aus diesem Grund ist unverzichtbar, dass etwaige Änderungen der Vorschriften über die Vorlage von Beweisen beim Gericht diesen widerstreitenden Interessen in vollem Umfang und angemessen Rechnung tragen.

–       Verwendung geschützter Beweismittel

230. Etwaige neue Vorschriften über geschützte Beweismittel sollten nur Anwendung finden, wenn und soweit sie unbedingt notwendig sind.

231. Aus diesem Postulat ergibt sich, dass in Fällen, in denen eine Anordnung des Einfrierens von Geldern sowohl auf ungeschützte als auch auf geschützte Beweismittel gestützt wird, das Gericht stets zunächst prüfen muss, ob es die Rechtssache allein anhand der ungeschützten Beweismittel entscheiden kann, d. h. ohne Rückgriff auf die geschützten Beweismittel. Ist diese Frage zu bejahen, sollten die geschützten Beweismittel einfach außer Betracht bleiben.

232. Man muss sich der Möglichkeit bewusst sein, dass geheime Beweismittel aus unzuverlässigen Quellen stammen. Die Beweise können schlichtweg falsch sein, auch wenn der vor Ort operierende Agent sie gutgläubig und unter erheblichen Gefahren erlangt hat. Die Mitgliedstaaten und ihre Sicherheitsdienste mögen dazu neigen, Informationen zu hoch zu klassifizieren, so dass Daten, die eigentlich in die öffentliche Sphäre gehören, als geheim eingestuft werden. Ebenso mögen Gerichte dazu neigen, solche Informationen ohne die gebotene Prüfung oder Hinterfragung als wahr hinzunehmen. Insoweit ist es von entscheidender Bedeutung, dass bei zweifelhaften oder nicht eindeutigen Beweisen dieser Art der Zweifel oder die Uneindeutigkeit zugunsten der Partei wirkt, die keine Möglichkeit hatte, zu den Beweisen Stellung zu nehmen oder sie in weitestmöglichem Umfang zu hinterfragen.

233. Ursprünglich war das Gericht davon ausgegangen, dass die Maßnahmen gegen Betroffene wie die PMOI nur kurzfristig in Kraft bleiben würden.(74) Bei der Abhandlung der Frage im Rahmen seiner Schlussanträge in der Rechtssache Kadi I(75) hat Generalanwalt Poiares Maduro die Anordnungen als „das unbefristete Einfrieren von Vermögenswerten“ angesehen. In jüngerer Zeit hat das Gericht im Urteil Kadi II(76) Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern als „besonders einschneidend“ bezeichnet und darauf hingewiesen, dass fast zehn Jahre seit dem ursprünglichen Einfrieren der Gelder von Herrn Kadi vergangen seien. Man könne sich sogar fragen, ob die ursprüngliche Beurteilung des Gerichts, wonach das Einfrieren von Geldern eine Sicherungsmaßnahme sei, in Frage gestellt werden müsse.(77)

234. Dieser Sicht schließe ich mich an. Solche Anordnungen können sich schwerwiegend und lähmend auf die Aktivitäten derjenigen auswirken, deren Gelder eingefroren werden. Genau das ist ja auch Sinn der Sache.

235. Fälle, in denen der Vorwurf der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten erhoben wird, lösen oftmals tief verwurzelte Emotionen aus. Der Terrorist scheint schließlich keinerlei Skrupel zu haben, die Grundwerte der zivilisierten Gesellschaft zu missachten. So ist es mitunter – und sei es auch nur im Unterbewusstsein – schwierig, sich von der allgemeinen Sichtweise abzukoppeln, dass wir unsererseits von unserem üblichen Bekenntnis zu einem gerechten Verfahren abrücken sollten, wenn es um die Beteiligung an terroristischen Aktivitäten geht. Die Argumentation lautet, dass diejenigen, denen Beteiligung an terroristischen Aktivitäten vorgeworfen wird, ein niedrigeres Rechtsschutzniveau verdienen als diejenigen, die eher „normaler“ Straftaten beschuldigt werden.

236. Man muss sich hüten, in diese Falle zu tappen. Es sind gerade diejenigen, die am Rand der Gesellschaft stehen, die Außenseiter und die Zurückgestoßenen, die den Schutz, den die Rechtspflege bietet, benötigen und dieses Schutzes am meisten bedürfen.(78) Der häufig angeführte Satz „Des Einen Terrorist ist des Anderen Freiheitskämpfer“ zeigt, wie leicht objektive Wertungen durch subjektive Reaktionen beeinflusst werden können. Dennoch ist es Kennzeichen einer zivilisierten Gesellschaft, in der das Rechtsstaatsprinzip gilt, dass die normalen Sicherheiten und Garantien nicht aufgegeben werden, wenn sich herausstellt, dass die Gegner dieser Gesellschaft nicht deren Spielregeln einhalten.

237. Anordnungen zum Einfrieren von Geldern erfordern als solche keine Ausnahme von der Konvention. Insoweit ist daran zu erinnern, dass konkrete Abweichungen seitens der Vertragsstaaten nach Maßgabe der Notstandsbestimmungen des Art. 15 der Konvention nicht dem „uneingeschränkten Ermessen“(79) dieser Staaten unterliegen und nur gelten, „soweit es die Lage unbedingt erfordert“(80). Es ist nicht ersichtlich, warum für auf Sicherheitsgründe gestützte Ausnahmen von den normalen Beweisregeln weniger strenge Voraussetzungen gelten sollten.

238. Man muss der Versuchung, die Grundrechtsgarantien auszusetzen, daher so weit wie möglich widerstehen. Das Argument, dass die Erfordernisse des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus allein schon eine Lockerung dieser Garantien rechtfertigten, geht fehl.(81)

239. Meines Erachtens folgt daraus, dass die Zahl der Fälle, in denen die von mir in diesen Schlussanträgen vorgesehenen geänderten Vorschriften über die Verwendung geschützter Beweismittel tatsächlich zum Tragen kommen, recht klein sein dürfte. Gleichwohl erscheinen solche Änderungen unerlässlich.

–       Einhaltung der in der Union geltenden Menschenrechtsgarantien

240. Die Achtung der Menschenrechte ist eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union, und Maßnahmen, die mit der Achtung dieser Rechte unvereinbar sind, können nicht als rechtens anerkannt werden.(82)

241. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) hat sich mit der Frage geschützter Beweismittel in einer Reihe von Rechtssachen befasst, in denen Beschwerde gegen Vertragsstaaten erhoben worden ist.

242. Nach dieser Rechtsprechung gilt das Recht auf Kenntnisnahme von Beweismitteln als Bestandteil der Verteidigungsrechte nicht uneingeschränkt. Dies wurde bereits 1996 im Urteil Doorson(83) entschieden. Im Urteil Jasper(84) hat der EGMR ausgeführt, dass „in Strafverfahren entgegengesetzte Interessen bestehen können, wie etwa die nationale Sicherheit oder die Notwendigkeit des Schutzes von Zeugen, die Repressalien ausgesetzt werden könnten, oder das Erfordernis, polizeiliche Methoden der Verbrechensermittlung geheim zu halten, die gegen die Rechte der Beschuldigten abgewogen werden müssen … In einigen Fällen kann es nötig sein, der Verteidigung bestimmte Beweise vorzuenthalten, um die Grundrechte anderer Einzelpersonen oder ein wichtiges Allgemeininteresse zu wahren.“(85) Bezeichnenderweise hat der EGMR jedoch im Weiteren entschieden, dass „nach Art. 6 Abs. 1 [der Konvention] nur solche die Verteidigungsrechte einschränkenden Maßnahmen zulässig sind, die unbedingt erforderlich sind … Um sicherzustellen, dass gegen den Beschuldigten in einem fairen Verfahren verhandelt wird, müssen im Übrigen die Schwierigkeiten, die der Verteidigung aufgrund einer Beschränkung ihrer Rechte entstehen, durch die von den Justizbehörden eingehaltenen Verfahren hinreichend aufgewogen werden.“(86)

243. In der Rechtssache Dowsett hatte der EGMR den Fall zu beurteilen, dass der Vertragsstaat hinsichtlich bestimmter Beweismittel Schutz im Allgemeininteresse geltend machte, die dementsprechend der Verteidigung vorenthalten wurden. Diese Beweismittel waren darüber hinaus auch nicht dem nationalen Gericht mitgeteilt worden. Der EGMR entschied, dass gegen den Beschwerdeführer nicht in einem fairen Verfahren verhandelt worden sei, und wies erneut darauf hin, dass „es wichtig ist, dass das für die Verteidigung bedeutsame Material dem Prozessrichter zur Entscheidung über Fragen der Offenlegung zu einem Zeitpunkt vorliegt, zu dem es dem Schutz der Verteidigungsrechte am wirksamsten dienen kann“(87).

244. In jüngerer Zeit ging es in der Rechtssache A. u. a./Vereinigtes Königreich(88) vor dem EGMR um die Vereinbarkeit der im Vereinigten Königreich geltenden Regelung über sogenannte „special advocates“ mit der Konvention. Diese Regelung gilt in bestimmten Fällen, wenn geheime Beweismittel verwendet werden, u. a. auch dann, wenn der Vorwurf der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten erhoben wird.(89) Der EGMR hat anerkannt, dass das angenommene Erfordernis, die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs vor Terroranschlägen zu schützen, ein „hohes Allgemeininteresse“ an der Geheimhaltung der Quellen der Informationen über die Al-Qaida und ihre Komplizen begründe.(90) Er hat nicht die Regelung als solche für konventionswidrig erklärt.(91) Er hat vielmehr entschieden, dass die Konvention verlange, dass so viele Angaben über die gegen jeden einzelnen Beschwerdeführer erhobenen Anschuldigungen und verwendeten Beweise offengelegt werden müssten, wie dies ohne Kompromittierung der nationalen Sicherheit oder der Sicherheit anderer möglich sei, dass dem Betroffenen „genügend Informationen über die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zur Verfügung gestellt werden müssen, um ihn in die Lage zu versetzen, den special advocate sachdienlich zu instruieren“, und dass „die Schwierigkeiten, die dem Beschuldigten aufgrund einer Beschränkung seiner Rechte entstehen, durch die von den Justizbehörden eingehaltenen Verfahren hinreichend aufgewogen werden [müssen]“(92).

245. Dies ist meiner Meinung nach ein unverzichtbares Mindesterfordernis.

–       Art und Intensität der vom Unionsrichter vorzunehmenden Kontrolle

246. Eine angemessene gerichtliche Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit einer Unionsmaßnahme zum Einfrieren von Geldern ist unerlässlich, damit ein gerechter Ausgleich zwischen den Erfordernissen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus auf der einen und dem Schutz der Grundfreiheiten und -rechte auf der anderen Seite gewährleistet werden kann.(93)

247. Obwohl die Begriffe „terroristische Handlung“ und „Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind“ in Art. 1 Abs. 2 und 3 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 definiert sind, gibt es für sie keine in der gesamten Union harmonisierte Begriffsbestimmung. Folglich können die Mitgliedstaaten eigene Definitionen festlegen. Diese können durchaus unterschiedlich ausfallen. Daraus folgt ferner, dass im Fall einer auf nationaler Ebene erfolgenden Anfechtung des Beschlusses der betreffenden zuständigen Behörde die Gerichte des jeweiligen Mitgliedstaats die nach nationalem Recht anwendbaren Begriffsbestimmungen heranziehen.(94)

248. Ebenso dient bei einer Kontrolle auf nationaler Ebene durch die Gerichte des betreffenden Mitgliedstaats das dort geltende Grundrechtsschutzniveau als Maßstab. Dieses Niveau muss nicht unbedingt dem auf Unionsebene geltenden Niveau entsprechen.

249. Der Vertrag selbst stellt ein eigenständiges Regelwerk dar, das als „autonomes Rechtssystem“ bezeichnet wurde.(95) Es trifft zu, dass sich der Gerichtshof bei der Auslegung dieser Rechtsordnung „von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten leiten lässt“, um die Grundrechte zu definieren, die im Übrigen integraler Bestandteil der allgemeinen Grundsätze der Unionsrechtsordnung sind.(96) Es trifft ferner zu, dass jeder einzelne Mitgliedstaat Vertragsstaat der Konvention ist und daher ihre Vorschriften anwenden muss. Daraus jedoch den Schluss ziehen zu wollen, dass es sich bei den nationalen Regelungen und bei den Unionsregelungen zum Schutz der Grundrechte deshalb um ein und dieselbe Sache handelt, ist meines Erachtens einfach verfehlt.(97) Insoweit vermag ich mich der Auffassung des Gerichts nicht anzuschließen, das im Urteil Kadi II ausgeführt hat: „Die Gemeinschaftsorgane sind gerade aufgrund dieser Garantien der Verteidigungsrechte, die auf nationaler Ebene bestehen und einem effektiven gerichtlichen Rechtsschutz unterliegen, von der Verpflichtung entbunden, auf Gemeinschaftsebene zum selben Zweck erneut Garantien vorzusehen.“(98)

250. Im Gegensatz zu den Behörden und nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten ist für den Rat selbst das Grundrechtsschutzniveau der Union und nur dieses Niveau verbindlich.(99)

251. Demnach ist ein nationaler Beschluss zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses des Rates über das Einfrieren von Geldern. Weitere Bedingung ist vielmehr, dass die betroffene Person, Vereinigung oder Körperschaft an terroristischen Handlungen im Sinne von Art. 1 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 und nicht nur im Sinne des nationalen Rechts beteiligt ist. In dieser Hinsicht hat der Rat keinen Ermessensspielraum. Entweder genügen die Informationen, um eine Person, Vereinigung oder Körperschaft in die Liste aufzunehmen, oder sie genügen nicht. Hierbei handelt es sich um eine Tatsachenfrage, die anhand der geltenden Tatbestandsmerkmale zu beurteilen ist.

252. In diesem Rahmen also muss der Rat sein Entscheidungsverfahren durchführen, und in eben diesem Rahmen muss auch der Unionsrichter seine Kontrollbefugnis ausüben.

253. Angesichts dessen halte ich es für völlig unangebracht, diese Kontrollbefugnis auf eine Kontrolle „mit leichter Hand“ beschränken zu wollen. Ich könnte es auch nicht besser formulieren als Generalanwalt Poiares Maduro in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kadi I(100), in denen er ausführt, dass die „Ansicht, der vorliegende Fall betreffe eine ‚politische Frage‘, bei der ein gerichtlicher Eingriff selbst bescheidensten Ausmaßes unangemessen wäre, … meines Erachtens unhaltbar [ist]. Die Behauptung, eine Maßnahme sei zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich, kann nicht dazu führen, die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts auszuschalten und dem Einzelnen seine Grundrechte zu entziehen. Damit wird dem Interesse an der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit keineswegs die Bedeutung abgesprochen; es wird lediglich gesagt, dass die Gerichte zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen verpflichtet bleiben, die mit anderen Interessen kollidieren können, die von ebenso großer Bedeutung sind und mit deren Schutz die Gerichte betraut sind … Gewiss können außergewöhnliche Umstände Einschränkungen der Individualfreiheit rechtfertigen, die im Normalfall unzulässig wären. Das sollte uns aber nicht zu der Aussage verleiten, dass ‚es Fälle gibt, in denen einen Moment lang ein Schleier über die Freiheit geworfen werden sollte, so wie man Statuen der Götter zu verhüllen pflegt‘ … Es bedeutet auch nicht, … dass in solchen Fällen die gerichtliche Kontrolle ‚nur marginalster Art‘ sein dürfte. Im Gegenteil, wenn die Risiken für die öffentliche Sicherheit so außergewöhnlich hoch eingeschätzt werden, entsteht ein besonders starker Druck zum Ergreifen von Maßnahmen, die Individualrechte außer Acht lassen, vor allem zulasten von Personen, die an politischen Mechanismen kaum oder gar nicht beteiligt sind. In derartigen Fällen haben die Gerichte daher ihre Aufgabe, den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten, mit erhöhter Wachsamkeit zu erfüllen. In genau den Fällen, in denen ausnahmsweise Grundrechtseinschränkungen gerechtfertigt sein mögen, müssen die Gerichte daher sorgfältig prüfen, ob diese Einschränkungen über das Maß des Erforderlichen hinausgehen …“(101)

254. Dem stimme ich zu. Im vorliegenden Fall gebieten diese Grundsätze, dass das Gericht prüfen muss, ob die Behauptung, eine bestimmte Person, Vereinigung oder Körperschaft sei mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung zu bringen, substantiiert worden ist, und dass es darauf zu achten hat, dass die erlassenen Maßnahmen einen angemessenen Ausgleich zwischen den Erfordernissen der Bekämpfung des Terrorismus und dem Grad der mit diesen Maßnahmen verbundenen Beeinträchtigung der Grundrechte des Einzelnen schaffen.

255. Damit ist nicht gesagt, dass das Gericht unbedingt jeden einzelnen Aspekt jeder einzelnen bei ihm anhängigen Rechtssache eingehend überprüfen muss. Steht z. B. fest, dass alle Verfahren auf nationaler Ebene und auf der Ebene des Rates in vollem Umfang im Einklang mit den in der Union geltenden Menschenrechtsgarantien stehen, kann eine weniger intensive Kontrolle erfolgen. Wichtig ist in jedem Fall jedoch, dass der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes in vollem Umfang gewahrt ist.(102)

 Schlussbemerkung

256. Ich meine, dass in gewisser Weise eine Parallele zwischen der Funktion des Unionsrichters bei der Entscheidung über eine Anfechtung von Beschlüssen über das Einfrieren von Geldern und der Funktion des EGMR in den dort anhängigen Verfahren besteht. Der EGMR wird erst in zweiter Linie tätig. Mit anderen Worten, es wird davon ausgegangen, dass die Vertragsstaaten die Konvention einhalten. Die nationalen Gerichte jedes einzelnen Vertragsstaats spielen eine führende Rolle bei der Gewährleistung, dass die durch die Konvention garantierten Rechte auch tatsächlich geachtet werden. Der EGMR wird erst eingeschaltet, wenn eine Verletzung dieser Rechte gerügt wird und alle anderen Rechtsschutzmöglichkeiten erschöpft sind. Nach der vorstehenden Darstellung soll der Unionsrichter dieselbe Funktion übernehmen wie der EGMR im Bereich der Konvention. Aufgabe des Unionsrichters ist es, eine abschließende Entscheidung zu fällen und die Achtung der Grundrechte in der Union zu garantieren.

257. Ich betone, dass es sich bei meinen Ausführungen in den Nrn. 223 bis 256 um Überlegungen zur zukünftigen Entwicklung handelt. Aus den in Nr. 182 dargelegten Gründen bin ich der Ansicht, dass der dritte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen ist.

 Kosten

258. Nach Art. 122 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel zurückgewiesen wird. Nach Art. 69 § 2 ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Meines Erachtens ist das Rechtsmittel im vorliegenden Fall zurückzuweisen. Die PMOI hat einen Kostenantrag gestellt. Die Kosten der PMOI sind daher der Französischen Republik aufzuerlegen.

 Ergebnis

259. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        der Französischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

ANHANG

KURZE CHRONOLOGIE


Datum


Vorgang

8. Oktober 1997

Der Außenminister der USA stuft die PMOI als „ausländische terroristische Organisation“ ein.

28. März 2001

Verordnung des Secretary of State for the Home Department des Vereinigten Königreichs, mit der die PMOI als im Vereinigten Königreich verbotene terroristische Organisation eingestuft wird.

April 2001

Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen der Aktivitäten mutmaßlicher Mitglieder der PMOI in der Französischen Republik.

28. September 2001

Annahme der Resolution 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.

27. Dezember 2001

Erlass des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 des Rates sowie der Verordnung Nr. 2580/2001. Der Name der PMOI ist in der Liste im jeweiligen Anhang dieser Rechtsakte nicht aufgeführt.

2. Mai 2002

Erlass des Gemeinsamen Standpunkts 2002/340 des Rates und des Beschlusses 2002/334. Der Name der PMOI ist in der Liste im jeweiligen Anhang dieser Rechtsakte aufgeführt.

26. Juli 2002

Die PMOI macht die Rechtssache T‑228/02 beim Gericht anhängig.

17. Juni 2003

Die französische Polizei durchsucht die Büroräume der PMOI in Auvers-sur-Oise.

12. Dezember 2006

Das Gericht gibt der Klage der PMOI in der Rechtssache T‑228/02 teilweise statt und erklärt den Beschluss 2005/930 für nichtig, soweit er die PMOI betrifft. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

19. März 2007

Die Antiterror-Abteilung der Staatsanwaltschaft Paris trägt ergänzende Anschuldigungen gegen mutmaßliche Mitglieder der PMOI vor (siehe auch 13. November 2007).

28. Juni 2007

Angesichts des Urteils des Gerichts in der Rechtssache T‑228/02 erlässt der Rat den Beschluss 2007/445. Der Name der PMOI verbleibt auf der Liste im Anhang dieses Beschlusses.

16. Juli 2007

Die PMOI macht die Rechtssache T‑256/07 beim Gericht anhängig. Die Klage richtet sich gegen Beschlüsse des Rates aus der Zeit sowohl vor als auch nach der POAC‑Entscheidung.

13. November 2007

Wie 19. März 2007.

30. November 2007

Die POAC verkündet ihre Entscheidung, mit der sie der Beschwerde gegen den Beschluss des Home Secretary, die Aufhebung des Verbots der PMOI als terroristische Organisation abzulehnen, stattgibt.

20. Dezember 2007

Der Rat erlässt den Beschluss 2007/868.

7. Mai 2008

Der Court of Appeal (England and Wales) weist den Antrag des Home Secretary auf Zulassung eines Rechtsmittels gegen die POAC‑Entscheidung zurück.

9. Juni 2008

Die Französische Republik übermittelt der Arbeitsgruppe GSt 2001/931 neue Informationen, auf denen der streitige Beschluss beruht.

13. Juni 2008

Erste Sitzung der Arbeitsgruppe GSt 2001/931.

23. Juni 2008

Mit Wirkung vom 24. Juni 2008 streicht der Home Secretary den Namen der PMOI von der Liste der im Vereinigten Königreich verbotenen Organisationen.

24. Juni 2008

Zweite Sitzung der Arbeitsgruppe GSt 2001/931. Nach der Vorlage von Zusatzinformationen über die PMOI bitten die Delegierten um mehr Zeit, um die Problematik untersuchen zu können.

2. Juli 2008

Dritte Sitzung der Arbeitsgruppe GSt 2001/931. Es wird eine überarbeitete Begründung verteilt; den Delegierten wird eine Frist bis zum 4. Juli eingeräumt, um gegebenenfalls Einwände zu erheben.

4. Juli 2008

Sitzung der Arbeitsgruppe der Berater Außenbeziehungen (Relex), auf der Einvernehmen über den Wortlaut einer aktualisierten Fassung des streitigen Beschlusses erzielt wird.

9. Juli 2008

Sitzung des Ausschusses der Ständigen Vertreter, der den streitigen Beschluss genehmigt.

15. Juli 2008

Der Rat erlässt den streitigen Beschluss. Der Beschluss zusammen mit der Begründung wird der PMOI an diesem Tag mitgeteilt.

21. Juli 2008

Die PMOI macht die Rechtssache T‑284/08 beim Gericht anhängig.

23. Oktober 2008

Das Gericht gibt der Klage der PMOI in der Rechtssache T‑256/07 teilweise statt und erklärt Art. 1 des Beschlusses 2007/868 für nichtig, soweit er die PMOI betrifft. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Dezember 2008

Das Gericht verkündet das angefochtene Urteil.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Der Wechsel der Bezeichnung erfolgte mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009. Der Einfachheit halber werde ich im Folgenden die neue Bezeichnung verwenden.


3 – Urteil des Gerichts vom 4. Dezember 2008 (T‑284/08, Slg. 2008, II‑3487).


4 – Beschluss vom 15. Juli 2008 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2007/868/EG (ABl. L 188, S. 21).


5 – Gemeinsamer Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. L 344, S. 93).


6 – Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. Dezember 2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. L 344, S. 70).


7 – Beschluss 2001/927/EG des Rates vom 27. Dezember 2001 zur Aufstellung der Liste nach Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. L 344, S. 83).


8 – Gemeinsamer Standpunkt 2002/340/GASP des Rates vom 2. Mai 2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. L 116, S. 75).


9 – Beschluss 2002/334/EG des Rates vom 2. Mai 2002 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2001/927/EG (ABl. L 116, S. 33).


10 – Beschluss 2009/62/EG des Rates vom 26. Januar 2009 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2008/583/EG (ABl. L 23, S. 25).


11 – Als das Ausgangsverfahren anhängig wurde, war die Charta noch nicht bindend: vgl. entsprechend Urteil vom 27. Juni 2006, Parlament/Rat (C‑540/03, Slg. 2006, I‑5769, Randnr. 38). Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 gilt die Charta als Primärrecht (Art. 6 Abs. 1 EUV).


12 – Eine eingehendere Darstellung der der PMOI zur Last gelegten terroristischen Aktivitäten und der von der PMOI geltend gemachten Abkehr davon findet sich in der Entscheidung der Proscribed Organisations Appeals Commission von England und Wales vom 30. November 2007 in der Rechtssache Lord Alton of Liverpool u. a./Secretary of State for the Home Department (im Folgenden: POAC‑Entscheidung), abrufbar unter: http://www.siac.tribunals.gov.uk/poac/Documents/outcomes/PC022006%20PMOI%20FINAL%20JUDGMENT.pdf.


13 – Vgl. Designation of Foreign Terrorist Organisations, 62 Fed. Reg. 52,650 (1997).


14 – Vgl. Terrorism Act (Proscribed Organisations) (Amendment) Order 2001 (Verordnung von 2001 zum Gesetz über den Terrorismus [Verbotene Organisationen] [Änderung]). In Art. 2 dieser Verordnung wird die Organisation als „Mujaheddin e Khalq“ bezeichnet.


15 – Die relevanten verfahrensrechtlichen Aspekte des französischen Strafrechts, insbesondere die Funktion des „réquisitoire“ und der „mise en examen“, werden unten, Nr. 142, eingehender erörtert.


16 – Näheres hierzu unten, Nr. 152.


17 – Secretary of State for the Home Department v. Lord Alton of Liverpool and Others [2008] EWCA Civ 443, verfügbar auf http://www.bailii.org/ew/cases/EWCA/Civ/2008/443.html.


18 – Diese Sitzungen sind unten, Nr. 91, sowie in der Chronologie im Anhang aufgeführt.


19– Das Schreiben und die Begründung sind in Randnr. 9 bzw. Randnr. 10 des angefochtenen Urteils wiedergegeben.


20 – Tatsächlich betrug dieser Zeitraum mehr als einen Monat.


21 – Urteile des Gerichts vom 12. Dezember 2006, Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran/Rat (T‑228/02, Slg. 2006, II‑4665, Randnr. 124, im Folgenden: Urteil OMPI), und vom 23. Oktober 2008, People’s Mojahedin Organization of Iran/Rat (T‑256/07, Slg. 2008, II‑3019, Randnr. 133, im Folgenden: Urteil PMOI I).


22 – Vgl. Randnr. 138 des Urteils PMOI I.


23 –      Damit sind die Angaben in Punkt 3 Buchst. a gemeint (siehe oben, Nr. 43). Das Gericht befasst sich an dieser Stelle seines Urteils nicht mit den Angaben in Punkt 3 Buchst. f. Näheres hierzu unten, Nrn. 160 ff.


24 –      Mittlerweile veröffentlicht in Slg. 2008, I‑6351 (im Folgenden: Urteil Kadi I).


25 – Unmittelbarer Vorgängerrechtsakt des streitigen Beschlusses war der Beschluss 2007/868/EG des Rates zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2007/445/EG (ABl. L 340, S. 100 mit Berichtigung der deutschen Sprachfassung in ABl. 2008, L 4, S. 3). Er wurde am 20. Dezember 2007 erlassen. Gemäß Art. 1 Abs. 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 war der Rat verpflichtet, die Namen der im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts aufgeführten Personen oder Körperschaften mindestens einmal pro Halbjahr einer regelmäßigen Überprüfung zu unterziehen.


26 – Siehe insbesondere die Erörterung unten, Nrn. 97 ff.


27 Vgl. in diesem Sinne das angefochtene Urteil, Randnr. 52. Im angefochtenen Urteil wird zwar aus offensichtlichen Gründen auf Art. 10 EG verwiesen, jedoch gibt es keine Anhaltspunkte in der Neufassung des Art. 4 Abs. 3 EUV, dass sich an dem Grundsatz als solchem etwas geändert hätte.


28 – Siehe unten, Nrn. 197 ff.


29 – Näheres hierzu unten, Nrn. 97 ff.


30 – Näheres hierzu unten, Nrn. 171 ff.


31 – Näheres hierzu unten, Nrn. 197 ff.


32 – Etwa durch Verkürzung der Frist für die Benachrichtigung der Delegationen der Arbeitsgruppe GSt 2001/931 darüber, dass auf einer Sitzung dieser Arbeitsgruppe über eine bestimmte Person, Vereinigung oder Körperschaft gesprochen werden würde; eine solche Benachrichtigungsfrist ist in Anhang II Nr. 11 des Ratsdokuments 10826/07 vorgesehen, dessen freigegebene Fassung abrufbar ist unter http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/st10826-re01en07.pdf.


33 – Siehe unten, Nrn. 105 ff.


34 – Vgl. Urteile OMPI, Randnr. 128, und Kadi I, oben in Fn. 24 angeführt, Randnr. 308.


35 – Urteil OMPI, Randnr. 131.


36 – Vgl. Beschluss 2002/334, oben in Fn. 9 angeführt.


37 – Oben in Fn. 25 angeführt.


38 – Auf Befragen durch das Gericht hat die PMOI in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie keine Einwände erhoben hätte, wenn die Überprüfung des Verbleibs ihres Namens auf der Liste nicht innerhalb der in Art. 1 Abs. 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 genannten Frist von sechs Monaten abgeschlossen worden wäre, falls die Fristüberschreitung zu ihren Gunsten gewirkt hätte, z. B., wenn dadurch neue Beweise zutage hätten treten können, die die von einem Mitgliedstaat vorgelegten neuen Informationen und Daten widerlegt hätten.


39 – Vgl. u. a. Urteile vom 2. September 2010, Kommission/Deutsche Post (C‑399/08 P, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 75), vom 7. November 2002, Hirschfeldt/EUA (C‑184/01 P, Slg. 2002, I‑10173, Randnr. 48), vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission (C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 148), und Beschluss vom 9. März 2007, Schneider Electric/Kommission (C‑188/06 P, Randnr. 64).


40 – In ihren Schriftsätzen erklärt die Französische Republik (zu ihrem zweiten Rechtsmittelgrund): „Es ist ein ganz besonderes Anliegen der französischen Regierung, dass der Gerichtshof darauf erkennt, dass das Gericht in dieser Hinsicht einen Rechtsfehler begangen hat.“


41 – Vgl. auch Schlussanträge von Generalanwalt Poiares Maduro in der Rechtssache Kadi I (Urteil oben in Fn. 24 angeführt, Nr. 16).


42 – Ob die PMOI tatsächlich Rechtspersönlichkeit besitzt oder nicht, scheint mir nebensächlich zu sein. Wichtig ist, dass die französischen Behörden unter Umständen keine Möglichkeit haben, die wahren Verhältnisse in Erfahrung zu bringen.


43 – Siehe oben, Nrn. 12 f.


44 – Vgl. auch Beschluss des Gerichts vom 15. Februar 2005, PKK und KNK/Rat (T‑229/02, Slg. 2005, II‑539), in dem das Gericht betreffend die von Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 erfassten Personen oder Körperschaften zunächst feststellt, dass „es vorkommen [kann], dass sie rechtlich nicht existieren oder nicht in der Lage waren, die gewöhnlich für juristische Personen geltenden Rechtsvorschriften zu beachten“, und sodann auf die Notwendigkeit hinweist, „übertriebenen Formalismus“ zu vermeiden (Randnr. 28).


45 – In der französischen Sprachfassung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 heißt es „autorité judiciaire“. Der Begriff ist in Cornu, G., Vocabulaire juridique, PUF, Paris, 2005, wie folgt definiert: „(dans un sens vague) qui appartient à la justice, par opposition à législatif et administratif. Ex. le pouvoir judiciaire, l’autorité judiciaire (cependant, même en ce sens, il ne s’agit que de la justice de l’ordre judiciaire); (dans un sens précis) qui concerne la justice rendue par les tribunaux judiciaires“. Ich will nicht bis in alle Einzelheiten der Frage nachgehen, was genau vom französischen Begriff umfasst ist, möchte aber doch anmerken, dass der französische Ausdruck offenbar deutlich weiter als die übliche Bedeutung des englischen Begriffs „judicial“ ist.


46 – Zur Verdeutlichung, welche surrealen Situationen eintreten können, wenn eine Antwort nicht möglich ist, möchte ich das nachfolgende Beispiel anführen, bei dem es sich um Auszüge aus dem Protokoll einer Verhandlung vor einer Militärkommission der Vereinigten Staaten handelt, in deren Verlauf sich ein der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten verdächtigter Inhaftierter zu geheimen Beweisen äußern soll, die zuvor in einer geschlossenen Sitzung vorgelegt worden waren (an der er nicht teilnehmen konnte): „Tribunalprotokollführer [verliest eine freigegebene Zusammenfassung der in geschlossener Sitzung vorgelegten Beweise]: Als der Inhaftierte in Bosnien lebte, verkehrte er mit einem bekanntermaßen für die Al-Qaida arbeitenden Agenten. Inhaftierter: Nennen Sie mir seinen Namen. Tribunalpräsident: Den kenne ich nicht. Inhaftierter: Wie kann ich denn dann eine Antwort geben? Tribunalpräsident: Kannten Sie jemanden, der Mitglied der Al-Qaida war? Inhaftierter: Nein, nein. Tribunalpräsident: Verzeihung, was haben Sie geantwortet? Inhaftierter: Nein. Tribunalpräsident: Nein? Inhaftierter: Nein. Das haben die Vernehmungssoldaten damals auch zu mir gesagt. Ich habe sie gebeten, mir zu sagen, um wen es sich handelt. Dann könnte ich Ihnen sagen, ob ich diese Person gekannt habe, aber nicht, ob sie ein Terrorist ist. Vielleicht kannte ich diese Person als Freund. Vielleicht ist es jemand, mit dem ich zusammengearbeitet habe. Vielleicht gehörte diese Person zu meinem Team. Aber ich weiß nicht, ob diese Person Bosnier, Inder oder sonst was ist. Wenn sie mir den Namen nennen, kann ich antworten und mich gegen diese Anschuldigung verteidigen. Tribunalpräsident: Wir stellen Ihnen die Fragen, und Sie müssen uns Ihre Antworten auf der Grundlage der freigegebenen Zusammenfassung geben.“ (Wiedergegeben bei Turner, S., und Schulhofer, S. J., The Secrecy Problem in Terrorism Trials, Liberty & National Security Project, NYU School of Law, 2005.)


47 – Art. 80‑1 des Code de procédure pénale bestimmt: „Le juge d’instruction ne peut informer qu’en vertu d’un réquisitoire du procureur de la République …“


48 – Vgl. Delmas-Marty, M., „French and English Criminal Procedure“, in The Gradual Convergence, Hrsg. Markesinis, B. S., Clarendon Press, Oxford, 1994, S. 48: „Der ‚juge d’instruction‘ hat im Wesentlichen drei Aufgaben: Erstens muss er mit Unterstützung der ‚police judiciaire‘ die Beweise für die Straftat erheben und die Fallakte zusammenstellen …“ (die beiden anderen Aufgaben sind hier nicht relevant). Vgl. auch Pradel., J., L’instruction préparatoire, Éditions Cujas, Paris, 1990, S. 7: „l’instruction préparatoire est la phase du procès pénal au cours de laquelle, l’action publique étant mis en mouvement, des organes judiciaires spécialisés, notamment le juge d’instruction … recueillent les éléments nécessaires au jugement et décident de la suite à donner à la poursuite.“


49 – „À peine de nullité, le juge d'instruction ne peut mettre en examen que les personnes à l'encontre desquelles il existe des indices graves ou concordants rendant vraisemblable qu'elles aient pu participer, comme auteur ou comme complice, à la commission des infractions dont il est saisi.“


50 – Randnrn. 66 f. des angefochtenen Urteils.


51 – Siehe oben, Nrn. 40 bis 43.


52 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission (C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 49).


53 – Ich will auch, und wenn nur der Vollständigkeit halber, auf Art. 50 § 2 hinweisen, der bei verbundenen Rechtssachen Anwendung findet.


54 – Art. 67 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichts wurde am 19. Dezember 2000 angefügt (ABl. L 322, S. 4), um die Urteile in den sogenannten „Stahlträgerrechtssachen“ zu kodifizieren (Urteile des Gerichts vom 11. März 1999, NMH Stahlwerke/Kommission, T‑134/94, Slg. 1999, II‑239, Eurofer/Kommission, T‑136/94, Slg. 1999, II‑263, ARBED/Kommission, T‑137/94, Slg. 1999, II‑303, Cockerill-Sambre/Kommission, T‑138/94, Slg. 1999, II‑333, Thyssen Stahl/Kommission, T‑141/94, Slg. 1999, II‑347, Unimétal/Kommission, T‑145/94, 1999, Slg. II‑585, Krupp Hoesch/Kommission, T‑147/94, Slg. 1999, II‑603, Preussag Stahl/Kommission, T‑148/94, Slg. 1999, II‑613, British Steel/Kommission, T‑151/94, Slg. 1999, II‑629, Aristrain/Kommission, T‑156/94, Slg. 1999, II‑645, und Ensidesa/Kommission, T‑157/94, Slg. 1999, II‑707). Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Varec (C‑450/06, Urteil vom 14. Februar 2008, Slg. 2008, I‑581, Nrn. 52 ff.).


55 – Randnr. 155.


56 – Randnr. 158, Hervorhebung nur hier.


57 – Oben in Fn. 24 angeführt, Randnrn. 342 und 344.


58 – Oben in Fn. 54 angeführt.


59 – Vgl. Randnrn. 47 und 52. Vgl. auch meine Schlussanträge in jener Rechtssache, Nrn. 33 ff.


60 – Offenbar kommt es gelegentlich zu Ad-hoc-Regelungen gestützt auf Bestimmungen im Dritten Kapitel des Zweiten Titels über prozessleitende Maßnahmen und Beweisaufnahme. So ist im Urteil des Gerichts vom 14. Dezember 2005, Honeywell International/Kommission (T‑209/01, Slg. 2005, II‑5527, Randnr. 22), protokolliert, dass aufgrund einer Rüge einer Streithelferin bezüglich der vertraulichen Behandlung einer Anlage zur Klageschrift im Rahmen prozessleitender Maßnahmen eine informelle Sitzung beim Präsidenten der Zweiten Kammer des Gerichts stattgefunden habe, woraufhin die Klägerin eine nicht vertrauliche neue Fassung dieses Schriftstücks vorgelegt habe, und dass die Streithelferin die Frage, ob sie ihre Rüge angesichts dieser neuen Fassung aufrechterhalte, nicht innerhalb der gesetzten Fristen beantwortet habe. Hierbei handelt es sich nicht um ein förmliches Verfahren, so dass es im Wesentlichen der Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten bedarf, die selbstverständlich nicht immer erteilt werden wird.


61 – Eine Darstellung der Vertraulichkeitspflichten, die beim Austausch von Erkenntnissen zwischen Behörden zu beachten sind, findet sich im Urteil des Court of Appeal (England and Wales) in der Rechtssache Mohamed/Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs [2010] EWCA Civ 158, Randnrn. 43 f. (vgl. http://www.bailii.org/ew/cases/EWCA/Civ/2010/65.html). Die Geschäftsordnung der Arbeitsgruppe GSt 2001/931 sieht vor, dass die Sitzungen der Arbeitsgruppe GSt 2001/931 an einem gesicherten Ort stattfinden, damit die Beratungen über Themen bis zum Geheimhaltungsgrad SECRET UE stattfinden können (vgl. Ratsdokument 10826/07 vom 21. Juni 2007 über die Durchführung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931, S. 5).


62 – Ich möchte hinzufügen, dass Ähnliches auch für die Verfahrensordnung des Gerichtshofs erwogen werden muss, soweit in Rechtsmittelverfahren die Prüfung der dem Gericht vorgelegten vertraulichen Beweise im Streit ist.


63 – Siehe oben, Fn. 40.


64 – Eine Erörterung der Bedeutung des Begriffs „Justizbehörde“ in diesem Zusammenhang findet sich oben, Nrn. 132 ff.


65 – Siehe oben, Nrn. 124 ff.


66 – Dies ergibt sich bereits aus Art. 6 EUV und Art. 51 Abs. 1 der Charta.


67 – Da dieser Teil meiner Schlussanträge nur als Hinweis gedacht ist, bitte ich an dieser Stelle um Entschuldigung, wenn ich die eine oder andere relevante Variante übersehen oder nicht vollständig abgehandelt haben sollte. Ich habe mich bemüht, die wichtigsten Fallgestaltungen darzustellen, und hoffe, dass die Erreichung dieses Ziels nicht durch etwaige Auslassungen gefährdet ist.


68 – Zur Fallgestaltung, dass es sich bei der zuständigen Behörde nicht um eine Justizbehörde, sondern um eine entsprechende zuständige Behörde handelt, siehe unten, Nr. 220.


69 – Selbstverständlich vorausgesetzt, dass die übrigen oben in den Nrn. 198 f. dargestellten Erfordernisse erfüllt sind.


70 – Siehe oben, Nr. 202.


71 – Siehe oben, Nr. 100.


72 – Vgl. z. B. Rechtssache Varec, Urteil oben in Fn. 54 angeführt.


73 – Denkbar ist auch, dass die fraglichen Beweise von einem anderen Staat aufgrund internationaler Übereinkünfte über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung terroristischer Aktivitäten erlangt werden. Vgl. hierzu Art. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931, wonach die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, einander möglichst weitgehende Amtshilfe bei der Prävention und Bekämpfung von Terroranschlägen zu leisten. Die Sicherheitskräfte dürften sich wohl verständlicherweise gegen einen derartigen Informationsaustausch sperren, wenn sie berechtigten Grund zu der Annahme haben, dass die Informationen bei dem Empfänger nicht sicher aufgehoben sind.


74 – So erklärt das Gericht z. B. in Randnr. 133 des Urteils OMPI, dass es „um eine Sicherungsmaßnahme geht“.


75 – Urteil oben in Fn. 24 angeführt, Nr. 47.


76 – Urteil des Gerichts vom 30. September 2010 (T‑85/09, Slg. 2010, II‑0000).


77 – Vgl. Randnrn. 149 f.


78 – Zum Einfluss subjektiver Wahrnehmung auf die Art und Weise, in der rechtliche Regeln formuliert werden, vgl. näher meine Schlussanträge in der Rechtssache Bartsch (C‑427/06, Urteil vom 23. September 2008, Slg. 2008, I‑7245, Nrn. 44 bis 46).


79 – Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 19. Februar 2009, A. u. a./Vereinigtes Königreich (Beschwerde Nr. 3455/05, Ziff. 173).


80 – Art. 15 Abs. 1. Vgl. auch Urteil des EGMR (2. Sektion) vom 18. November 2008, Aksoy u. a./Türkei (Beschwerden Nrn. 14037/04, 14052/04, 14072/04, 14077/04, 14092/04, 14098/04, 14100/04, 14103/04, 14112/04, 14115/04, 14120/04, 14122/04 und 14129/04, Ziff. 68).


81 – Vgl. hierzu meine Schlussanträge in der Rechtssache Heinrich (C‑345/06, Urteil vom 10. März 2009, Slg. 2009, I‑1659, Nr. 100).


82 – Vgl. u. a. Urteil Kadi I, oben in Fn. 24 angeführt, Randnr. 284.


83 – Doorson/Niederlande, Reports of Judgments and Decisions, 1996‑II, Ziff. 70.


84 – Jasper/Vereinigtes Königreich (Große Kammer) (Beschwerde Nr. 27052/95).


85 – Ziff. 52. Der einschlägige Teil des Urteils in dieser Rechtssache erging zu Art. 6 Abs. 1 der Konvention im Hinblick auf eine strafrechtliche Anklage; es besteht jedoch kein Anlass, die grundsätzliche Aussage auf diesen Bereich zu beschränken. Vgl. Urteile des EGMR (Große Kammer) vom 16. Februar 2000, Rowe und Davis/Vereinigtes Königreich (Beschwerde Nr. 28901/95, 2000‑II, Ziff. 61), Fitt/Vereinigtes Königreich (Beschwerde Nr. 29777/96, 2000‑II, Ziff. 45), und (4. Sektion) vom 24. April 2007, V./Finnland (Beschwerde Nr. 40412/98, Ziff. 75).


86 – Urteil Jasper/Vereinigtes Königreich, oben in Fn. 84 angeführt, Ziff. 52.


87 – Urteil des EGMR (2. Sektion) vom 24. Juni 2003, Dowsett/Vereinigtes Königreich (Beschwerde Nr. 39482/98, 2003‑VII, Ziff. 50).


88 – Oben in Fn. 79 angeführt.


89 – Die Regelung über „special advocates“ ist kompliziert, beinhaltet aber im Wesentlichen die Bestellung eines Sonderverteidigers, der die Partei, gegen die der Staat vorgeht, vertritt, wenn die Beweismittel, die der Staat gegen die Partei verwenden will, aus Gründen der nationalen Sicherheit zum Teil oder gar nicht offengelegt werden können. Der Sonderverteidiger muss sich erfolgreich einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen haben, da er aufgrund dieser Tatsache berechtigt ist, Einsicht in vertrauliche Beweismittel (sogenanntes „geschütztes Material“) zu nehmen. In der Zeit, bevor ihm das geschützte Material zugänglich gemacht wird, darf er jederzeit mit seinem Mandanten verkehren, danach jedoch nicht mehr. Der Mandant hat das Recht, in allen Verfahrensabschnitten zugegen zu sein, in denen nichtvertrauliche Beweismittel eingeführt werden, nicht jedoch, wenn das Gericht oder Tribunal geschütztes Material prüft. Die Regelung wurde eingeführt, als das Special Immigration Appeals Tribunal als Reaktion auf die Ausführungen des EGMR im Urteil Chahal/Vereinigtes Königreich (Reports of Judgments and Decisions, 1996‑V, Ziff. 131), eingerichtet wurde, in dem der EGMR eine Verletzung von Art. 5 Abs. 4 der Konvention seitens des Vereinigten Königreichs festgestellt hatte, da dem nationalen Gericht Beweismittel aus Sicherheitsgründen vorenthalten worden waren. Die Regelung ist seit ihrer Einführung zwar modifiziert worden, um geltend gemachten Bedenken Rechnung zu tragen, stößt aber immer noch auf Kritik. Vgl. z. B. Bericht des Gemeinsamen Ausschusses des House of Lords und des House of Commons für Menschenrechte, Counter-Terrorism Policy and Human Rights (Sixteenth Report): Annual Renewal of Control Orders Legislation 2010, S. 36. In diesem Bericht heißt es u. a., dass „special advocates“ in der Praxis keinen Zugang zu Beweismitteln oder Gutachten hätten, die es ihnen ermöglichen würden, die Einschätzung der Sicherheitsdienste in Frage zu stellen, dass sie keine Möglichkeiten hätten, eine Einschätzung der Regierung des Vereinigten Königreichs dahin, dass die Offenlegung das Allgemeininteresse beeinträchtigen würde, zu widerlegen, so dass die Einschätzung der Regierung dessen, was offengelegt werden könne und was nicht, de facto unangreifbar sei und vom Gericht fast immer bestätigt werde, sowie dass ganz allgemein aufgrund des Umstands, dass die „special advocates“ bei der Erfüllung der ihnen zugedachten Aufgabe behindert würden, bei der Regelung in ihrer derzeitigen Form „die Gefahr besteht, dass es zu schwerwiegenden Justizirrtümern kommt“. Ich möchte jedoch betonen, dass diese Kritik im Wesentlichen die Durchführung der Regelung und nicht ihre eigentliche Struktur betrifft, die dem absurden und eklatanten Fehlen von Verteidigungsrechten abhilft, wie es exemplarisch in der Rechtssache Dutschke/Secretary of State for the Home Department (Appeal No TH 381/70 vor dem Immigration Appeals Tribunal) zutage trat, die unter den Juristen im Vereinigten Königreich vor rund 30 Jahren notorische Bekanntheit erlangte. Vgl. hierzu Hepple., B. A., „Aliens and Administrative Justice: the Dutschke Case“, Modern Law Review, Heft 34 (September 1971), S. 501 bis 519.


90 – Ziff. 216.


91 – Der EGMR hat sogar ausgeführt, dass der „special advocate“ „eine wichtige Funktion beim Ausgleich des Fehlens einer vollständigen Offenlegung und des Fehlens einer vollständigen, offenen, kontradiktorischen Verhandlung wahrnehmen kann, indem er namens des Inhaftierten in der geheimen Verhandlung die Beweise hinterfragt und Argumente vorbringt“ (Ziff. 218 und 220).


92 – Urteil A. u. a./Vereinigtes Königreich, oben in Fn. 79 angeführt, Ziff. 205 und 220.


93 – Vgl. Urteile vom 29. Juni 2010, E und F (C‑550/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 57), und Kadi II, oben in Fn. 76 angeführt, Randnr. 137.


94 – Eine umfassende Erörterung der einschlägigen Rechtsfragen findet sich bei Spaventa, E., in ihrer Besprechung des Urteils PMOI I und des angefochtenen Urteils in (2009) 46 CML Rev., S. 1239.


95 – Vgl. Urteil Kadi I, oben in Fn. 24 angeführt, Randnr. 316.


96 – Vgl. u. a. Urteile vom 17. Dezember 1970, Internationale Handelsgesellschaft (11/70, Slg. 1970, 1125, Randnr. 4), sowie aus jüngerer Zeit Parlament/Rat, oben in Fn. 11 angeführt, Randnr. 35, und vom 8. September 2010, Winner Wetten (C‑409/06, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 58). Vgl. auch Tridimas, T., „Judicial Review and the Community judicature: towards a new European constitutionalism?“, in Principles of proper conduct for supranational, state and private actors in the European Union: towards a ius commune: essays in honour of Walter van Gerven, Intersentia, 2001, S. 71, wo er den vom Gerichtshof verfolgten Ansatz als „nach der Methodik des common law entwickelten verfassungsrechtlichen Lehrsatz“ beschreibt.


97 – Vgl. Spaventa, E., „Counter-terrorism and fundamental rights: judicial challenges and legislative changes after the rulings in Kadi and PMOI“, (demnächst) in The EU and Global Emergencies, Antoniadis, A., Schütze, R. und Spaventa, E. (Hrsg.), Hart Publishing, 2011, die die Auffassung, dass die Entscheidung über Anfechtungen der Auflistung in allererster Linie Sache der nationalen Behörden und/oder Gerichte sei, als „Pontius-Pilatus-Haltung“ bezeichnet und im Weiteren ausführt, dass diese Haltung „höchst unbefriedigend ist, denn es ist allein Sache des Gemeinschaftsrichters, die Rechtmäßigkeit von Rechtsakten der Union zu beurteilen, und in die Liste können nur diejenigen aufgenommen werden, die an ‚terroristischen Handlungen‘ im Sinne des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 beteiligt sind. Es besteht kein Grund, weshalb der Gerichtshof seine Auslegungs- und Rechtsprechungspflicht nicht wahrnehmen sollte, wenn überprüft werden soll, ob genügend Beweise vorliegen, um eine Person oder Vereinigung in die Liste aufzunehmen.“ Vgl. auch den Bericht der European Union Agency for Fundamental Rights, National Human Rights Legislation, Strengthening the fundamental rights architecture in the EU I, 2010, in dem es heißt, dass „die EU-Mitgliedstaaten bei der Kontrolle der Einhaltung der verschiedenen Menschenrechtsgarantien einen verhältnismäßig fragmentierten Ansatz verfolgen“ (S. 5).


98 – Oben in Fn. 77 angeführt, Randnr. 186.


99 – Vgl. z. B. Art. 51 Abs. 1 der Charta. Zur Verpflichtung der Wahrung der Grundrechte auf Unionsebene vgl. Urteil Internationale Handelsgesellschaft, oben in Fn. 96 angeführt, Randnr. 4, und zur Unterscheidung zwischen nationalem Recht und Unionsrecht Urteil vom 29. Mai 1997, Kremzow (C‑299/95, Slg. 1997, I‑2629, Randnr. 15). Vgl. allgemein hierzu Urteil Kadi I, oben in Fn. 24 angeführt, Randnr. 285.


100 – Oben in Fn. 24 angeführt. Obwohl es in der Rechtssache Kadi I um „konventionelle“ Einfrierbeschlüsse nach Maßgabe der Resolution 1333 (2000) des Sicherheitsrats ging, sehe ich keinen Grund, dieselben Grundsätze nicht auch bei „autonomen“ Beschlüssen nach Maßgabe der Resolution 1373 (2001) anzuwenden.


101 – Nrn. 34 f.


102 – Vgl. hierzu Urteil Kadi I, oben in Fn. 24 angeführt, Randnr. 335.