Language of document : ECLI:EU:C:2015:754

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 12. November 2015(1)

Verbundene Rechtssachen C‑191/14 und C‑192/14

Borealis Polyolefine GmbH und OMV Refining & Marketing GmbH

gegen

Bundesminister für Land-, Forst-, Umwelt und Wasserwirtschaft

(Vorabentscheidungsersuchen des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich)

Rechtssache C‑295/14

DOW Benelux BV u. a.

gegen

Staatssecretaris van Infrastructuur en Milieu

(Vorabentscheidungsersuchen des Raad van State [Niederlande])

sowie

Verbundene Rechtssachen C‑389/14, C‑391/14, C‑392/14 und C‑393/14

Esso Italiana srl u. a.

gegen

Presidenza del Consiglio dei Ministri

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale Amministrativo Regionale per il Lazio)

„Umweltrecht – System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten – Methode der Zuteilung von Zertifikaten – Kostenlose Zuteilung von Zertifikaten – Einheitlicher sektorübergreifender Korrekturfaktor – Berechnung – Restgase – Kraft-Wärme-Kopplung – Neu hinzugekommene Aktivitäten ab 2008 und ab 2013 – Begründung – Komitologie – Eigentum – Individuelle Betroffenheit – Begrenzung der Wirkungen einer Aufhebung“






Inhaltsverzeichnis


I – Einleitung

II – Rechtlicher Rahmen

A – Richtlinie 2003/87

B – Beschluss 2011/278

C – Beschluss 2013/448

III – Innerstaatliche Verfahren und Vorabentscheidungsersuchen

A – Die Fragen in den Rechtssachen C-191/14 und C-192/14 (Borealis Polyolefine)

B – Die Fragen in der Rechtssache C-295/14 (DOW Benelux)

C – Die Fragen in den Rechtssachen C‑389/14, C‑391/14, C‑392/14 und C‑393/14 (Esso Italiana)

D – Verfahren vor dem Gerichtshof

IV – Rechtliche Würdigung

A – Zur rechtlichen Einordnung des Korrekturfaktors

1. Der von den Mitgliedstaaten errechnete anerkannte Bedarf der Industrieanlagen

2. Der von der Kommission berechnete Industrieplafond

a) Art. 10a Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie 2003/87

b) Art. 10a Abs. 5 Buchst. b der Richtlinie 2003/87

3. Der festgestellte Korrekturfaktor

4. Zu den Zielen der Richtlinie 2003/87 im Hinblick auf den Korrekturfaktor

B – Zur Berücksichtigung der Stromerzeugung aus Restgasen und der industriellen Nutzung von Wärme aus hocheffizienten Kraftwärmekopplungskraftwerken

1. Zur Stromerzeugung aus Restgasen

2. Zu den KWK-Anlagen

C – Zu den für den Industrieplafond herangezogenen Daten über die erstmals ab 2008 bzw. 2013 einzubeziehenden Sektoren

1. Zu den Durchführungsbestimmungen

2. Zur Qualität der Daten

a) Zur Ausweitung ab 2013

i) Zur fehlenden Berücksichtigung neuer Tätigkeiten in den Daten einiger Mitgliedstaaten

ii) Zur Berücksichtigung neuer Tätigkeiten in den Daten anderer Mitgliedstaaten

b) Zur Ausweitung ab 2008

D – Zur Begründung der Festlegung des Korrekturfaktors

1. Zur notwendigen Begründung der Festlegung des Korrekturfaktors im Beschluss 2013/448

2. Zu den von der Kommission verwendeten Daten

3. Zum erläuternden Dokument der Generaldirektion Klimapolitik

4. Zur Notwendigkeit einer Rückrechnung

5. Ergebnis zur Begründung der Festlegung des Korrekturfaktors

E – Zum Grundrecht auf Eigentum (sechste Frage der Rechtssache Borealis Polyolefine und zweite Frage der Rechtssache Esso Italiana)

F – Zum Verfahren der Annahme des Beschlusses 2013/448

G – Zur Möglichkeit, die Unionsgerichte direkt anzurufen

H – Zu den Folgen der Rechtswidrigkeit des Beschlusses 2013/448

V – Ergebnis


I –    Einleitung

1.        Das System des Handels mit Emissionsrechten nach der Richtlinie 2003/87(2) sieht übergangsweise immer noch vor, vielen Industrieanlagen kostenlos Rechte zur Emission von Treibhausgasen zuzuteilen, sogenannte Zertifikate. Die Richtlinie enthält allerdings eine komplizierte Regelung, die auf der Grundlage einer umfassenden Betrachtung der historischen Emissionen und des anerkannten Bedarfs der Anlagen die Menge der kostenlos zuzuteilenden Zertifikate durch einen Korrekturfaktor begrenzt.

2.        In diesen Schlussanträgen erörtere ich Vorabentscheidungsersuchen aus Österreich, den Niederlanden und Italien zu der Festlegung dieses Korrekturfaktors. Sie beruhen auf Klagen von Unternehmen, die sich gegen bestimmte Aspekte der Berechnung dieses Korrekturfaktors wenden, um im Ergebnis eine größere Menge Emissionsrechte kostenlos zu erhalten. Mit dem gleichen Ziel sind über diese Verfahren hinaus beim Gerichtshof weitere Vorabentscheidungsersuchen aus Italien, Finnland, Schweden, Spanien und Deutschland anhängig, die überwiegend ähnliche Fragen aufwerfen.(3)

3.        Die zentrale Frage dieser Verfahren ist, ob die Kommission bei der Berechnung des Korrekturfaktors bestimmte Aktivitäten zutreffend berücksichtigt hat. Dabei geht es um die Nutzung von sogenannten Restgasen als Brennstoff, um die Nutzung von Wärme aus der Kraft-Wärme-Kopplung sowie um industrielle Aktivitäten, die erst seit 2008 oder 2013 dem System der Richtlinie 2003/87 unterliegen. Außerdem verlangen diese Unternehmen umfassenden Zugang zu allen Daten, die die Kommission bei der Berechnung verwendet hat, um nachprüfen zu können, ob es weitere Gründe gibt, sie zu beanstanden.

4.        Darüber hinaus ist zu klären, ob die Kommission zu Recht darauf verzichtet hat, ein bestimmtes Verfahren der sogenannten Komitologie anzuwenden, ob das Grundrecht der Unternehmen auf Eigentum verletzt wurde, ob die Unternehmen statt vor innerstaatlichen Gerichten direkt bei den Unionsgerichten hätten klagen müssen und welche Rechtsfolgen es hätte, wenn ihre Einwände ganz oder zum Teil durchgreifen würden.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Richtlinie 2003/87

5.        Die Verfahren betreffen Beschlüsse, die die Kommission auf der Grundlage der Richtlinie 2003/87 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft getroffen hat. Die vorliegend relevanten Bestimmungen wurden überwiegend durch die Änderungsrichtlinie 2009/29(4) in die erstgenannte Richtlinie eingefügt.

6.        Unter den Definitionen des Art. 3 der Richtlinie 2003/87 sind die beiden nachfolgenden hervorzuheben:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

e)      ‚Anlage’ eine ortsfeste technische Einheit, in der eine oder mehrere der in Anhang I genannten Tätigkeiten sowie andere unmittelbar damit verbundene Tätigkeiten durchgeführt werden, die mit den an diesem Standort durchgeführten Tätigkeiten in einem technischen Zusammenhang stehen und die Auswirkungen auf die Emissionen und die Umweltverschmutzung haben können;

u)       ‚Stromerzeuger’ eine Anlage, die am 1. Januar 2005 oder danach Strom zum Verkauf an Dritte erzeugt hat und in der keine anderen Tätigkeiten gemäß Anhang I als die ‚Verbrennung von Brennstoffen’ durchgeführt werden.“

7.        Art. 9 der Richtlinie 2003/87 regelt die Menge der verfügbaren Emissionsrechte und ihre jährliche Minderung:

„Die gemeinschaftsweite Menge der Zertifikate, die ab 2013 jährlich vergeben werden, wird ab der Mitte des Zeitraums von 2008 bis 2012 linear verringert. Die Menge wird um einen linearen Faktor von 1,74 %, verglichen mit der durchschnittlichen jährlichen Gesamtmenge der Zertifikate, die von den Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Entscheidungen der Kommission über die nationalen Zuteilungspläne für den Zeitraum von 2008 bis 2012 zugeteilt wurden, verringert. Die gemeinschaftsweite Menge der Zertifikate wird infolge des Beitritts Kroatiens lediglich um die Menge der Zertifikate erhöht, die Kroatien gemäß Art. 10 Abs. 1 versteigern muss.

Die Kommission veröffentlicht bis 30. Juni 2010 die absolute gemeinschaftsweite Menge der Zertifikate für 2013, die auf der Gesamtmenge der Zertifikate basiert, die von den Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Entscheidungen der Kommission über die nationalen Zuteilungspläne für den Zeitraum von 2008 bis 2012 vergeben wurden oder werden.

…“

8.        Art. 9a Abs. 2 der Richtlinie regelt, wie die Emissionen von Anlagen, die erstmals 2013 in das System integriert werden, für die Zwecke der Zuteilung von Emissionsrechten zu ermitteln sind:

„Für die Anlagen, die in Anhang I genannte Tätigkeiten durchführen und die erst ab 2013 in das Gemeinschaftssystem einbezogen werden, gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass deren Betreiber der betreffenden zuständigen Behörde hinreichend begründete und von unabhängiger Stelle geprüfte Emissionsdaten vorlegen, damit diese mit Blick auf die Anpassung der gemeinschaftsweiten Menge der zu vergebenden Zertifikate berücksichtigt werden.

Diese Angaben sind der betreffenden zuständigen Behörde bis 30. April 2010 gemäß den nach Art. 14 Abs. 1 erlassenen Vorschriften zu übermitteln.

Sind die Angaben hinreichend begründet, so übermittelt die zuständige Behörde diese der Kommission bis 30. Juni 2010, und die anhand des linearen Faktors gemäß Art. 9 angepasste Menge der zu vergebenden Zertifikate wird entsprechend angepasst. Im Fall von Anlagen, die andere Treibhausgase als CO2 ausstoßen, kann die zuständige Behörde entsprechend dem jeweiligen Emissionsreduktionspotenzial dieser Anlagen geringere Emissionen melden.“

9.        Art. 10a Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/87 regelt die Festlegung sogenannter „Benchmarks“ für die verschiedenen Tätigkeiten:

„(1)      Die Kommission erlässt bis zum 31. Dezember 2010 gemeinschaftsweite und vollständig harmonisierte Durchführungsmaßnahmen für die Zuteilung der in den Abs. 4, 5, 7 und 12 genannten Zertifikate einschließlich etwa erforderlicher Vorschriften für eine einheitliche Anwendung von Abs. 19.

Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie durch Ergänzung werden nach dem in Art. 23 Abs. 3 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

Die Maßnahmen gemäß Unterabs. 1 legen so weit wie möglich die gemeinschaftsweiten Ex-ante-Benchmarks fest, um sicherzustellen, dass durch die Art der Zuteilung Anreize für die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und für energieeffiziente Techniken geschaffen werden, indem sie den effizientesten Techniken, Ersatzstoffen, alternativen Herstellungsprozessen, der hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplung, der effizienten energetischen Verwertung von Restgasen, der Verwendung von Biomasse sowie der Abscheidung und Speicherung von CO2, sofern entsprechende Anlagen zur Verfügung stehen, Rechnung tragen, und sie keine Anreize für eine Erhöhung der Emissionen bieten. Für die Stromerzeugung erfolgt keine kostenlose Zuteilung, mit Ausnahme der unter Art. 10c fallenden Fälle und des aus Restgasen erzeugten Stroms.

(2)      Der Ausgangspunkt bei der Festlegung der Grundsätze für die Ex-ante-Benchmarks für die einzelnen Sektoren bzw. Teilsektoren ist die Durchschnittsleistung der 10 % effizientesten Anlagen eines Sektors bzw. Teilsektors in der Gemeinschaft in den Jahren 2007 und 2008. …“

10.      Art. 10a Abs. 3 der Richtlinie 2003/87 schließt insbesondere die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten für die Stromerzeugung aus:

„Vorbehaltlich der Abs. 4 und 8 und unbeschadet von Art. 10c erfolgt keine kostenlose Zuteilung für Stromerzeuger, Anlagen zur Abscheidung von CO2, Pipelines für die Beförderung von CO2 oder CO2-Speicherstätten.“

11.      Art. 10a Abs. 4 der Richtlinie 2003/87 enthält allerdings besondere Bestimmungen für die Kraft-Wärme-Kopplung:

„Für Fernwärme und hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplung … werden für einen wirtschaftlich vertretbaren Bedarf Zertifikate in Bezug auf Wärme- und Kälteerzeugung kostenlos zugeteilt. Nach 2013 wird die Gesamtzuteilung an solche Anlagen für die Erzeugung dieser Art von Wärme jährlich anhand des linearen Faktors gemäß Art. 9 angepasst.“

12.      Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 betrifft die Ermittlung eines Korrekturfaktors für die Zuteilung von Zertifikaten:

„Die jährliche Höchstmenge an Zertifikaten, die als Grundlage für die Berechnung der Zuteilungen an Anlagen dient, die nicht unter Abs. 3 fallen und keine neuen Marktteilnehmer sind, darf die folgende Summe nicht überschreiten:

a)      die nach Art. 9 ermittelte jährliche gemeinschaftsweite Gesamtmenge, multipliziert mit dem Anteil der Emissionen von nicht unter Abs. 3 fallenden Anlagen an den geprüften Gesamtemissionen im Durchschnitt der Jahre von 2005 bis 2007 von Anlagen, die im Zeitraum von 2008 bis 2012 in das Gemeinschaftssystem einbezogen sind, und

b)      die geprüften jährlichen Gesamtemissionen im Durchschnitt der Jahre von 2005 bis 2007 – angepasst mit dem linearen Faktor gemäß Art. 9 – von Anlagen, die erst ab 2013 in das Gemeinschaftssystem einbezogen werden und nicht unter Abs. 3 fallen.

Nötigenfalls wird ein einheitlicher sektorübergreifender Korrekturfaktor angewendet.“

B –    Beschluss 2011/278

13.      Art. 10 des Beschlusses 2011/278(5) regelt die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten. Nach Abs. 2 berechnen zunächst die Mitgliedstaaten auf Grundlage der historischen Emissionen und der zuvor von der Kommission identifizierten Produktbenchmarks vorläufig, wie viele Zertifikate den einzelnen Industrieanlagen zuzuteilen sind. Die Ergebnisse werden der Kommission gemäß Art. 15 Abs. 2 Buchst. e mitgeteilt.

14.      Gemäß Art. 15 Abs. 3 des Beschlusses 2011/278 berechnet die Kommission auf der Grundlage dieser von den Mitgliedstaaten übermittelten Informationen den Korrekturfaktor nach Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87:

„Nach Erhalt des Verzeichnisses gemäß Abs. 1 dieses Artikels prüft die Kommission alle Anlageneinträge sowie die den jeweiligen Anlagen zugeordneten vorläufigen Jahresgesamtmengen der kostenlos zuzuteilenden Emissionszertifikate.

Nach Erhalt der Mitteilungen aller Mitgliedstaaten über die vorläufigen Jahresgesamtmengen der im Zeitraum 2013-2020 kostenlos zuzuteilenden Emissionszertifikate legt die Kommission den einheitlichen sektorübergreifenden Korrekturfaktor gemäß Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 fest. Der Faktor wird bestimmt, indem die Summe der vorläufigen Jahresgesamtmengen der Emissionszertifikate, die im Zeitraum 2013-2020 ohne Anwendung der Faktoren gemäß Anhang VI kostenlos Anlagen zuzuteilen sind, die keine Stromerzeuger sind, mit der Jahresmenge der Emissionszertifikate verglichen wird, die gemäß Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 für Anlagen berechnet wird, bei denen es sich weder um Stromerzeuger noch um neue Marktteilnehmer handelt, wobei der maßgebliche Anteil der jährlich EU-weit vergebenen Gesamtmenge gemäß Art. 9 der Richtlinie und die maßgebliche Menge der Emissionen berücksichtigt werden, die erst ab 2013 in das EHS [Emissionshandelssystem] einbezogen werden.“

15.      Wenn man die vorläufig berechnete Menge der den einzelnen Industrieanlagen kostenlos zuzuteilenden Emissionszertifikate mit dem Korrekturfaktor multipliziert, erhält man nach Art. 11 Abs. 9 des Beschlusses 2011/278 die jeweils endgültige Jahresgesamtmenge.

16.      Für die Berücksichtigung der Kraft-Wärme-Kopplung bei den Benchmarks ist der 21. Erwägungsgrund des Beschlusses 2011/278 von besonderem Interesse:

„Wird messbare Wärme zwischen zwei oder mehr Anlagen ausgetauscht, so sollte die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten auf Basis des Wärmeverbrauchs einer Anlage erfolgen und dem Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen Rechnung tragen. Um sicherzustellen, dass die Anzahl kostenlos zuzuteilender Zertifikate von der Struktur der Wärmeabgabe unabhängig ist, sollten die Emissionszertifikate dem Wärmeverbraucher zugeteilt werden.“

17.      Die Berücksichtigung von Restgasen bei der Festlegung der Produktbenchmarks wird im 32. Erwägungsgrund des Beschlusses 2011/278 erläutert:

„Die Produkt-Benchmarks sollten auch der effizienten energetischen Verwertung von Restgasen und den dabei entstehenden Emissionen Rechnung tragen. Aus diesem Grunde wurde bei der Berechnung der Benchmarkwerte für Produkte, bei deren Herstellung Restgase anfallen, der CO2-Gehalt dieser Gase weitgehend berücksichtigt. Soweit Restgase über die Systemgrenzen der betreffenden Produkt-Benchmark hinaus aus dem Produktionsprozess exportiert und zur Erzeugung von Wärme außerhalb der Systemgrenzen eines unter eine Benchmark fallenden Prozesses gemäß Anhang I verbrannt werden, sollten die dabei entstehenden Emissionen durch Zuteilung zusätzlicher Emissionszertifikate auf Basis der Wärme- oder der Brennstoff-Benchmark mitberücksichtigt werden. Angesichts des allgemeinen Grundsatzes, dass für keine Form der Stromerzeugung Emissionszertifikate kostenlos zugeteilt werden sollten, und um ungerechtfertigte Wettbewerbsverzerrungen auf den Märkten für an Industrieanlagen abgegebenen Strom zu vermeiden, ist es, auch unter Berücksichtigung des in den Stromkosten enthaltenen CO2-Preises, angezeigt, über den in der betreffenden Produkt-Benchmark berücksichtigten Anteil des CO2-Gehalts des Restgases hinaus keine zusätzlichen Emissionszertifikate zuzuteilen, wenn Restgase aus dem Produktionsprozess über die Systemgrenzen der betreffenden Produkt-Benchmark hinaus exportiert und zur Stromerzeugung verbrannt werden.“

C –    Beschluss 2013/448

18.      Art. 4 des Beschlusses 2013/448(6) betrifft den Korrekturfaktor für die Jahre 2013 bis 2020:

„Der in Einklang mit Art.15 Abs. 3 des Beschlusses 2011/278 festgelegte einheitliche sektorübergreifende Korrekturfaktor gemäß Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 ist in Anhang II dieses Beschlusses enthalten.“

19.      Nach Anhang II des Beschlusses 2013/448 betrug der Korrekturfaktor für 2013 94,272151 %. In den folgenden Jahren wird diese Quote bis auf 82,438204 % für das Jahr 2020 abgesenkt.

20.      Im 25. Erwägungsgrund legt die Kommission dar, wie sie zu diesen Zahlen kam:

„Die in Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 vorgesehene Höchstmenge beträgt 809 315 756 Zertifikate für das Jahr 2013. Um diese Höchstmenge abzuleiten, hat die Kommission zuerst bei den Mitgliedstaaten und bei den EWR-EFTA-Ländern Auskünfte dazu eingeholt, ob Anlagen als Stromerzeuger oder andere unter Art. 10a Abs. 3 der Richtlinie 2003/87 fallende Anlagen einzustufen sind. Danach hat die Kommission den Anteil der im Zeitraum 2005-2007 angefallenen Emissionen der Anlagen bestimmt, die nicht unter diese Bestimmung fallen, die jedoch im Zeitraum 2008-2012 in das EU-EHS [Emissionshandelssystem der Europäischen Union] einbezogen waren. Daraufhin wandte die Kommission diesen Anteil in Höhe von 34,78289436 % auf die auf der Grundlage von Art. 9 der Richtlinie 2003/87 bestimmte Menge (1 976 784 044 Zertifikate) an. Zu dem Ergebnis dieser Berechnung addierte die Kommission dann 121 733 050 Zertifikate auf der Grundlage der durchschnittlichen geprüften Jahresemissionen maßgeblicher Anlagen im Zeitraum 2005-2007 unter Berücksichtigung des ab 2013 geänderten Geltungsbereichs des EU-EHS. Diesbezüglich zog die Kommission Angaben der Mitgliedstaaten und der EWR-EFTA-Länder zur Anpassung der Obergrenze heran. Lagen für den Zeitraum 2005-2007 keine geprüften Jahresemissionen vor, so extrapolierte die Kommission soweit möglich die entsprechenden Emissionszahlen von geprüften Emissionen späterer Jahre, indem sie den Faktor 1,74 % in umgekehrter Richtung anwandte. Die Behörden der Mitgliedstaaten wurden von der Kommission zu den hierfür herangezogenen Angaben und Daten konsultiert und haben diese bestätigt. Die mit Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 vorgegebene Höchstmenge, verglichen mit der Summe der vorläufigen Jahresmengen kostenloser Zuteilungen ohne Anwendung der in Anhang VI des Beschlusses 2011/278 genannten Faktoren ergibt den in Anhang II des vorliegenden Beschlusses enthaltenen jährlichen sektorübergreifenden Korrekturfaktor.“

III – Innerstaatliche Verfahren und Vorabentscheidungsersuchen

21.      Österreich, die Niederlande und Italien berechneten im Jahr 2012 (provisorisch) die den in den Ausgangsverfahren klagenden Unternehmen kostenlos zuzuteilenden Treibhausgasemissionszertifikate und unterrichteten die Kommission darüber.

22.      Die Kommission erließ am 5. September 2013 den Beschluss 2013/448 und legte darin den einheitlichen sektorübergreifenden Korrekturfaktor fest.

23.      Auf der Grundlage dieses Korrekturfaktors teilten die drei genannten Mitgliedstaaten den klagenden Unternehmen eine gegenüber der vorläufigen Berechnung reduzierte Menge Emissionszertifikate zu.

24.      Dagegen erhoben die an den Ausgangsverfahren beteiligten Unternehmen Klagen, die zu den vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen führten.

A –    Die Fragen in den Rechtssachen C-191/14 und C-192/14 (Borealis Polyolefine)

25.      Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich richtet die nachfolgenden Fragen an den Gerichtshof:

1)      Ist der Beschluss 2013/448 ungültig und verstößt er gegen Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87, soweit er aus der Berechnungsgrundlage gemäß Art. 10a Abs. 5, zweiter Gedankenstrich, Buchst. a und b die Emissionen im Zusammenhang mit Restgasen, die durch Anlagen erzeugt werden, die unter Anhang I der Richtlinie 2003/87 fallen, bzw. Wärme ausschließt, die von Anlagen genutzt wird, die unter Anhang I der Richtlinie 2003/87 fallen und die von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen stammt, für die eine kostenlose Zuteilung gemäß Art. 10a Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2003/87 und des Beschlusses 2011/278 gestattet ist?

2)      Ist der Beschluss 2013/448 ungültig und verstößt er gegen die Art. 3e und 3u der Richtlinie 2003/87, für sich allein und/oder in Verbindung mit Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87, soweit er bestimmt, dass CO2-Emissionen im Zusammenhang mit Restgasen – die von Anlagen erzeugt werden, die in Anhang I der Richtlinie 2003/87 fallen – bzw. Wärme, die in Anlagen genutzt wird, die in Anhang I der Richtlinie 2003/87 fallen und von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen erworben wurde, Emissionen von „Stromerzeugern“ sind?

3)      Ist der Beschluss 2013/448 ungültig und verstößt er gegen die Ziele der Richtlinie 2003/87 soweit er eine Asymmetrie schafft, indem Emissionen im Zusammenhang mit der Verbrennung von Restgasen und mit in Kraft-Wärme-Kopplung erzeugter Wärme aus der Berechnungsgrundlage in Art. 10a Abs. 5 zweiter Gedankenstrich Buchst. a und b der Richtlinie 2003/87 ausgeschlossen werden, während die kostenlose Zuteilung in Bezug auf sie gemäß Art. 10a Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2003/87 und gemäß Beschluss 2011/278 zusteht?

4)      Ist der Beschluss 2011/278 ungültig und verstößt er gegen Art. 290 AEUV und Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87, soweit sein Art. 15 Abs. 3 den Art. 10a Abs. 5 zweiter Gedankenstrich Buchst. a und b der Richtlinie 2003/87 dahin ändert, dass er den Verweis auf „Anlagen, die nicht in Abs. 3 fallen“ ersetzt durch jenen auf „Anlagen, die nicht Stromerzeuger sind“?

5)      Ist der Beschluss 2013/448 ungültig und verstößt er gegen Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2003/87, soweit dieser Beschluss nicht auf der Grundlage des Regelungsverfahrens mit Kontrolle erlassen wurde, das in Art. 5a des Beschlusses 1999/468 des Rates und Art. 12 der Verordnung Nr. 182/2011 vorgeschrieben ist?

6)      Ist Art. 17 der Europäischen Charta der Grundrechte so zu verstehen, dass er die Zurückbehaltung von kostenlosen Zuteilungen auf der Grundlage der unrechtmäßigen Berechnung eines sektorübergreifenden Korrekturfaktors ausschließt?

7)      Ist Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 für sich alleine und/oder in Verbindung mit Art 15 Abs. 3 des Beschlusses 2011/278 so zu verstehen, dass er die Anwendung einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift ausschließt, welche die Anwendung des unrechtmäßig berechneten einheitlichen sektorübergreifenden Korrekturfaktors, wie er in Art. 4 des Beschlusses 2013/448 und in dessen Anhang II festgelegt ist, auf die kostenlosen Zuteilungen in einem Mitgliedstaat vorsieht?

8)      Ist der Beschluss 2013/448 ungültig und verstößt er gegen Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87, soweit er nur Emissionen aus Anlagen einschließt, die in dem Gemeinschaftssystem ab 2008 enthalten waren, so dass er diejenigen Emissionen ausschließt, die mit Tätigkeiten zusammenhängen, die im Gemeinschaftssystem ab 2008 enthalten waren (im geänderten Anhang I der Richtlinie 2003/87), wenn diese Tätigkeiten in Anlagen stattfanden, die bereits im Gemeinschaftssystem vor 2008 enthalten waren?

9)      Ist der Beschluss 2013/448 ungültig und verstößt er gegen Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87, soweit er nur Emissionen aus Anlagen einschließt, die in dem Gemeinschaftssystem ab 2013 enthalten waren, so dass er diejenigen Emissionen ausschließt, die mit Tätigkeiten zusammenhängen, die im Gemeinschaftssystem ab 2013 enthalten waren (im geänderten Anhang I der Richtlinie 2003/87), wenn diese Tätigkeiten in Anlagen stattfanden, die bereits im Gemeinschaftssystem vor 2013 enthalten waren?

B –    Die Fragen in der Rechtssache C-295/14 (DOW Benelux)

26.      Die Fragen des niederländischen Raad van State (Staatsrat) lauten wie folgt:

1)      Ist Art. 263 Abs. 4 AEUV dahin auszulegen, dass Betreiber von Anlagen, für die seit 2013 die Regeln der Richtlinie 2003/87 über den Emissionshandel galten, mit Ausnahme der Betreiber von Anlagen im Sinne von Art. 10a Abs. 3 dieser Richtlinie und von neuen Marktteilnehmern, zweifelsfrei vor dem Gericht Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2013/448 erheben konnten, soweit darin der einheitliche sektorübergreifende Korrekturfaktor festgelegt ist?

2)      Ist der Beschluss 2013/448, soweit darin der einheitliche sektorübergreifende Korrekturfaktor festgelegt ist, ungültig, weil er nicht nach dem in Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle zustande gekommen ist?

3)      Verstößt Art. 15 des Beschlusses 2011/278 gegen Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87, weil es der erstgenannte Artikel verwehrt, dass bei der Festlegung des einheitlichen sektorübergreifenden Korrekturfaktors Emissionen von Stromerzeugern einbezogen werden? Wenn ja, welche Folgen hat dieser Verstoß für den Beschluss 2013/448?

4)      Ist der Beschluss 2013/448, soweit darin der einheitliche sektorübergreifende Korrekturfaktor festgelegt ist, ungültig, weil er auch auf Angaben gestützt ist, die zur Durchführung von Art. 9a Abs. 2 der Richtlinie 2003/87 übermittelt wurden, ohne dass die in diesem Abs. 2 genannten, gemäß Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften festgelegt waren?

5)      Verstößt der Beschluss 2013/448, soweit darin der einheitliche sektorübergreifende Korrekturfaktor festgelegt ist, insbesondere gegen Art. 296 AEUV oder gegen Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, weil die für die Berechnung des Korrekturfaktors ausschlaggebenden Mengen der Emissionen und Emissionszertifikate nur zum Teil in dem Beschluss angegeben werden?

6)      Verstößt der Beschluss 2013/448, soweit darin der einheitliche sektorübergreifende Korrekturfaktor festgelegt ist, insbesondere gegen Art. 296 AEUV oder gegen Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, weil dieser Korrekturfaktor anhand von Angaben festgelegt worden ist, von denen die Betreiber der in den Emissionshandel einbezogenen Anlagen nicht haben Kenntnis nehmen können?

C –    Die Fragen in den Rechtssachen C‑389/14, C‑391/14, C‑392/14 und C‑393/14 (Esso Italiana)

27.      Schließlich richtet das italienische Tribunale Amministrativo Regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht Latium) die folgenden Fragen an den Gerichtshof:

1)      Ist der Beschluss 2013/448 ungültig, da darin bei der Berechnung der kostenlos zuzuteilenden Zertifikate der Anteil von Emissionen im Zusammenhang mit der Verbrennung von Restgasen – oder Prozessgasen der Stahlindustrie – und im Zusammenhang mit der durch Kraft-Wärme-Kopplung erzeugten Wärme nicht berücksichtigt wurde, so dass er gegen Art. 290 AEUV und Art. 10a Abs. 1, 4 und 5 der Richtlinie 2003/87 verstößt, die Grenzen der durch diese Richtlinie erteilten Ermächtigung überschreitet und im Widerspruch zum Zweck der Richtlinie steht (Förderung energieeffizienterer Technologien und Wahrung der Erfordernisse der wirtschaftlichen Entwicklung und der Beschäftigungslage)?

2)      Ist der Beschluss 2013/448 im Licht des Art. 6 EUV wegen Verstoßes gegen Art. 1 des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und Art. 17 EMRK ungültig, indem er zu Unrecht die berechtigten Erwartungen der klagenden Gesellschaften, den Vermögensgegenstand behalten zu dürfen, der in der Menge der vorläufig zugeteilten Zertifikate besteht und ihnen gemäß den Bestimmungen der Richtlinie zusteht, verletzt hat, was den Entzug des mit diesem Vermögensgegenstand verbundenen wirtschaftlichen Nutzens zur Folge hat?

3)      Ist der Beschluss 2013/448 insoweit, als darin der sektorübergreifende Korrekturfaktor festlegt ist, ungültig, da der Beschluss mangels einer angemessenen Begründung gegen Art. 296 Abs. 2 AEUV und Art. 41 der Charta von Nizza verstößt?

4)      Ist der Beschluss 2013/448 insoweit, als darin der sektorübergreifende Korrekturfaktor festlegt ist, ungültig, da dieser Beschluss gegen Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 und den in Art. 5 Abs. 4 EUV verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt und außerdem mit einem Untersuchungsmangel und einem Beurteilungsfehler behaftet ist, nachdem bei der Berechnung der Höchstmenge der kostenlos zuzuteilenden Zertifikate (einer für die Festlegung des einheitlichen sektorübergreifenden Korrekturfaktors bedeutsamen Angabe) die zwischen der ersten Phase (2005 bis 2007) und der zweiten Phase (2008 bis 2012) der Durchführung der Richtlinie 2003/87 erfolgte Änderung der Auslegung des Begriffs „Feuerungsanlage“ nicht berücksichtigt wurde?

5)      Ist der Beschluss 2013/448 insoweit, als darin der sektorübergreifende Korrekturfaktor festgelegt ist, wegen Verstoßes gegen Art. 10a Abs. 5 und Art. 9a Abs. 2 der Richtlinie 2003/87 sowie wegen eines Untersuchungsmangels und eines Beurteilungsfehlers ungültig, nachdem die Berechnung der Höchstmenge der kostenlos zuzuteilenden Zertifikate (einer für die Festlegung des einheitlichen sektorübergreifenden Korrekturfaktors bedeutsamen Angabe) auf der Grundlage von Daten erfolgt ist, die von den Mitgliedstaaten übermittelt worden waren und die inkohärent sind, da sie auf unterschiedlichen Auslegungen von Art. 9a Abs. 2 der Richtlinie 2003/87 beruhen?

6)      Ist der Beschluss 2013/448 insoweit, als darin der sektorübergreifende Korrekturfaktor festlegt ist, wegen Verstoßes gegen die Verfahrensvorschriften des Art. 10a Abs. 1 und des Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2003/87 ungültig?

D –    Verfahren vor dem Gerichtshof

28.      Schriftlich geäußert haben sich als Parteien des jeweiligen Ausgangsrechtstreits in den österreichischen Verfahren Borealis Polyolefine u. a., im niederländischen Verfahren DOW Benelux, Esso Nederland u. a., Akzo Nobel Chemicals u. a. sowie Yara Sluiskil u. a. und in den italienischen Verfahren Esso Italiana, Eni sowie Linde Gas Italia. Außerdem legten Deutschland, die Niederlande, Spanien (nur im italienischen Verfahren) und die Kommission schriftliche Stellungnahmen vor.

29.      Der Gerichtshof hat zwar jeweils die beiden österreichischen und die vier italienischen Vorabentscheidungsersuchen miteinander verbunden, aber im Übrigen bislang von einer formellen Verbindung der vorliegenden Rechtssachen abgesehen. Gleichwohl hat er am 3. September 2015 eine gemeinsame mündliche Verhandlung organisiert. An dieser mündlichen Verhandlung nahmen mit Ausnahme von Linde alle oben genannten Beteiligten sowie als Beteiligte der italienischen Verfahren Luchini u. a. und Buzzi Unicem teil.

30.      Ich behandele alle vorliegenden Rechtssachen in einem einzigen Schlussantrag und halte es für sinnvoll, dass der Gerichtshof diesem Beispiel folgt, indem er sie zur gemeinsamen Entscheidung verbindet.

IV – Rechtliche Würdigung

31.      Die mit den Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfenen Fragen zielen darauf ab, den in Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 vorgesehenen einheitlichen sektorübergreifenden Korrekturfaktor (im Folgenden: Korrekturfaktor) in Frage zu stellen, den die Kommission in Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 festgelegt hat.

32.      Um diese Fragen zu verstehen, ist es zunächst notwendig, die Berechnung dieses Korrekturfaktors und seine Bedeutung im System der Richtlinie 2003/87 darzustellen (dazu unter A). Anschließend werde ich die Fragen erörtern, die auf die unzureichende Berücksichtigung bestimmter Emissionsquellen abzielen (dazu unter B und C), danach die Begründung der Festlegung des Korrekturfaktors (dazu unter D), dann das Grundrecht auf Eigentum (dazu unter E) und das bei dem Beschluss angewandte Verfahren (dazu unter F). Um einen Bruch in der Darstellung der rechtlich sehr komplexen Materie zu vermeiden, werde ich erst im Anschluss darlegen, dass die in den Ausgangsverfahren klagenden Unternehmen ihre Einwände nicht direkt bei den Unionsgerichten geltend machen mussten (dazu unter G) und welche Konsequenzen das Ergebnis der Prüfung des Beschlusses haben sollte (dazu unter H).

A –    Zur rechtlichen Einordnung des Korrekturfaktors

33.      Nach Art. 1 der Richtlinie 2003/87 wird ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten geschaffen, um auf kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Weise auf eine Verringerung von Treibhausgasemissionen hinzuwirken.

34.      Anlagen, die dem System unterliegen, müssen für die Emission von Treibhausgasen Emissionsrechte erwerben, sogenannte Zertifikate. Praktisch betrifft dies fast ausschließlich die Emission von CO2. Nach den Art. 9 und 9a der Richtlinie 2003/87 ist die Gesamtmenge der verfügbaren Zertifikate begrenzt und wird, beginnend im Jahr 2010, jedes Jahr um 1,74 % gekürzt. Die Kürzung trägt nach dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/29 dazu bei, die klimaschädlichen Emissionen bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 um 20 % zu verringern.

35.      Seit 2013 werden diese Zertifikate nur noch zum Teil kostenlos zugeteilt und im Übrigen versteigert. Unterschieden wird zwischen Stromerzeugern, die bis auf wenige Ausnahmen keine kostenlosen Zertifikate erhalten,(7) und Industrieanlagen, die entweder alle(8) benötigten Zertifikate oder zumindest einen Teil(9) kostenlos erhalten.

36.      Die vorliegenden Fragen betreffen unmittelbar nur die Lage von Industrieanlagen, die für eine kostenlose Zuteilung von Zertifikaten in Frage kommen, nicht aber die Stromerzeuger. Denn der streitgegenständliche Korrekturfaktor bewirkt eine Reduzierung der den Industrieanlagen kostenlos zugeteilten Emissionszertifikate.

37.      Der Korrekturfaktor wird ermittelt, indem einerseits die Mitgliedstaaten und andererseits die Kommission berechnen, wie viele Zertifikate insgesamt auf alle bestehenden Industrieanlagen entfallen. Dabei wenden beide Seiten unterschiedliche Berechnungsmethoden an. Der niedrigere der beiden Werte ist entscheidend dafür, wie viele Zertifikate im Endeffekt kostenlos zugeteilt werden.

38.      Wenn der Wert der Mitgliedstaaten niedriger ausgefallen wäre, hätte es keiner Korrektur bedurft. Die Mitgliedstaaten hätten auf der Grundlage ihres Ausgangswerts die kostenlose Zuteilung vornehmen können.

39.      Tatsächlich war jedoch der Wert der Kommission niedriger. Daher trat der in Art. 10a Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 2003/87 genannte Fall ein: Es wurde notwendig, einen einheitlichen sektorübergreifenden Korrekturfaktor anzuwenden. Er betrug im ersten Jahr ungefähr 94,3 % und sinkt bis 2020 auf etwa 80,4 %. D. h., von der von den Mitgliedstaaten vorläufig berechneten Menge kostenlos zuzuteilender Zertifikate kann letztlich nur diese Quote zugeteilt werden.

1.      Der von den Mitgliedstaaten errechnete anerkannte Bedarf der Industrieanlagen

40.      Die Mitgliedstaaten ermitteln den am Anfang von Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 erwähnten Wert, die Menge an Zertifikaten, die als Grundlage für die Berechnung der (künftigen) jährlichen kostenlosen Zuteilungen an Industrieanlagen dient. Diese Menge wird gewissermaßen von den Wurzeln her berechnet, d. h. auf der Grundlage der historischen Aktivität jeder einzelnen Anlage und sogenannter „Benchmarks“, die die Kommission im Beschluss 2011/278 für die jeweilige Aktivität festgelegt hat. Bei den Benchmarks handelt es sich um eine bestimmte Menge CO2-Emissionen, die die Kommission als für die Herstellung einer bestimmten Menge des jeweiligen Produkts für notwendig anerkennt. Diesen Wert werde ich im Folgenden als den anerkannten Bedarf bezeichnen.

41.      Gemäß Art. 10a Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/87 ist der Ausgangspunkt für die Benchmarks die Durchschnittsleistung der 10 % effizientesten Anlagen des jeweiligen Sektors bzw. Teilsektors in der Union. Außerdem sollen diese Benchmarks nach Art. 10a Abs. 1 Unterabs. 3 sicherstellen, dass durch die Art der Zuteilung Anreize für die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und für energieeffiziente Techniken geschaffen werden, indem sie u. a. der hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplung und der effizienten energetischen Verwertung von Restgasen Rechnung tragen, und keine Anreize für eine Erhöhung der Emissionen bieten. Es ist Aufgabe der Kommission, bei der Festlegung der Benchmarks für die verschiedenen Tätigkeiten diese Zielsetzung zu verwirklichen.

42.      Die von der Kommission festgelegten Benchmarks für Industrieanlagen schließen insbesondere Emissionen aus der Nutzung von Restgasen als Brennstoff ein, die bei bestimmten Produktionsprozessen anfallen (dazu unter B, Nr. 1), und sie berücksichtigen die industrielle Nutzung von Wärme aus KWK-Anlagen (dazu unter B, Nr. 2). Außerdem werden sie auf alle Industrieanlagen angewandt, die heute dem System der Richtlinie 2003/87 unterliegen, also auch auf Anlagen, die erst seit 2008 (dazu unter C, Nr. 2 Buchst. b) oder 2013 (dazu unter C, Nr. 2 Buchst. a) erfasst sind.

43.      Die Mitgliedstaaten ermitteln den aus der Anwendung dieser Benchmarks resultierenden anerkannten Bedarf aller Industrieanlagen in ihrem Hoheitsgebiet, indem sie nach Art. 10 des Beschlusses 2011/278 die Benchmarks für die jeweilige Tätigkeit mit der historischen Aktivitätsrate der betreffenden Anlagenteile multiplizieren. Sie übermitteln diese Daten nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 bis 30. September 2011 der Kommission. Die Kommission addiert die ihr übermittelten Zahlen und ermittelt so den gesamten anerkannten Bedarf aller Industrieanlagen in der Union.

2.      Der von der Kommission berechnete Industrieplafond

44.      Die Kommission berechnet den zweiten Wert, den sogenannten Industrieplafond, gewissermaßen aus der Vogelperspektive, indem sie auf der Grundlage historischer Emissionsdaten den Anteil an der Gesamtmenge der verfügbaren Emissionszertifikate ermittelt, der den Industrieanlagen insgesamt zukommt. Dieser Industrieplafond besteht aus zwei Teilmengen, die in Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 unter den Buchst. a und b geregelt werden.

a)      Art. 10a Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie 2003/87

45.      Ausgangspunkt der ersten Teilmenge nach Art. 10a Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie 2003/87 ist die durchschnittliche jährliche Gesamtmenge der Zertifikate nach Art. 9 Abs. 1, die für den zweiten Zuteilungszeitraum von 2008 bis 2012 zugeteilt wurden, also der historische Bedarf aller während dieses Zeitraums dem System der Richtlinie unterworfenen Anlagen. Diese Gesamtmenge schließt beide Gruppen ein, die Stromerzeuger und die Industrieanlagen.

46.      Die Menge dieser Zertifikate wurde von den jeweiligen Mitgliedstaaten bestimmt. Dabei gab ihnen die Richtlinie 2003/87 in ihrer damals geltenden Fassung keine spezielle Methode vor.(10)

47.      Die auf der Grundlage dieser nationalen Zuteilungen für die gesamte Union ermittelte Durchschnittsmenge der Jahre 2008 bis 2012 wird für die Berechnung der jeweils künftig geltenden jährlichen Gesamtmenge ausgehend von der Mitte dieses Zeitraums, also 2010, jährlich(11) um den linearen Faktor von 1,74 % gekürzt.

48.      Für die Berechnung des Industrieplafonds kann aber nach Art. 10a Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie 2003/87 nur der Anteil der Anlagen berücksichtigt werden, die nicht unter Art. 10a Abs. 3 fallen. In der Praxis bleiben folglich die bis zum Jahr 2012 an Stromerzeuger zugeteilten Zertifikate außer Betracht. Die Kommission bemisst diesen Anteil anhand der Menge der Zertifikate, die den Industrieanlagen im Durchschnitt der Jahre von 2005 bis 2007 zugeteilt wurden.

49.      Nicht Teil des Industrieplafonds sind daher Zertifikate, die in der Vergangenheit Stromerzeugern für Emissionen zugeteilt wurden, die bei der Nutzung von Restgasen als Brennstoff (dazu unter B, Nr. 1) oder bei der Erzeugung von industriell erzeugter Wärme in KWK-Anlagen (dazu unter B, Nr. 2) entstanden. Außerdem verhindert die Bezugnahme auf den Anteil der Industrie während des Zeitraums von 2005 bis 2007, Industrieanlagen zu berücksichtigen, die erst seit 2008 der Richtlinie 2003/87 unterliegen (dazu unter C, Nr. 2 Buchst. b). Dies betrifft bestimmte Feuerungsanlagen und Anlagen auf dem Gebiet der EWR-Staaten. Gleichwohl werden alle diese Emissionen bei den Industriebenchmarks berücksichtigt.

b)      Art. 10a Abs. 5 Buchst. b der Richtlinie 2003/87

50.      Die zweite Teilmenge nach Art. 10a Abs. 5 Buchst. b der Richtlinie 2003/87 erfasst Anlagen, die dem System der Richtlinie erst seit dem Jahr 2013 unterliegen. So werden seit diesem Jahr etwa Emissionen aus der Herstellung von Aluminium und aus bestimmten Sektoren der Chemieindustrie zusätzlich in das System einbezogen.

51.      Dies geschieht auf der Grundlage der geprüften jährlichen Gesamtemissionen dieser Anlagen im Durchschnitt der Jahre von 2005 bis 2007. Auch dieser Wert wird um den erwähnten linearen Faktor von 1,74 % pro Jahr verringert und Stromerzeuger werden nicht berücksichtigt.

52.      Insoweit stellt sich das Problem, dass nicht für alle Mitgliedstaaten gleichartige Emissionsdaten verwendet wurden. Für manche Mitgliedstaaten wurden nur Emissionsdaten von Anlagen verwendet, die insgesamt erst seit 2013 dem System angeschlossen sind. Dagegen wurden für andere Mitgliedstaaten zusätzlich auch die Emissionsdaten von neu dem System unterliegenden Tätigkeiten verwendet, die in bereits zuvor wegen anderer Tätigkeiten dem System angeschlossenen Anlagen durchgeführt werden (dazu unter C, Nr. 2 Buchst. a).

3.      Der festgestellte Korrekturfaktor

53.      Auf den ersten Blick würde man erwarten, dass ein an den effizientesten Anlagen orientierter anerkannter Bedarf, wie ihn die Mitgliedstaaten berechnen, niedriger sein müsste als die historischen Zuteilungen an alle Anlagen einschließlich der weniger effizienten, wie sie dem Wert der Kommission zugrunde liegen.(12) Danach dürfte sich bei dem Vergleich der beiden Werte nur die jährliche lineare Kürzung des Industrieplafonds um jeweils 1,74 % bemerkbar machen. Ein Korrekturfaktor sollte erst notwendig werden, nachdem der „Vorsprung“ der Orientierung an den effizientesten Anlagen durch die Kürzungen abgeschmolzen wurde.

54.      Tatsächlich erweckt das Ergebnis des Vergleichs zwischen dem Wert der Mitgliedstaaten und dem Wert der Kommission jedoch den Eindruck, dass der anerkannte Bedarf, der dem Beschluss 2013/448 zugrunde liegt, einen größeren Umfang hat als die historischen Zuteilungen. Der Korrekturfaktor hat nämlich von Anfang an höhere Auswirkungen als die lineare Kürzung: Der Korrekturfaktor von 94,272151 % im ersten Jahr, 2013, reduziert die kostenlose Zuteilung um 5,727849 %. Die bis zu diesem Zeitpunkt aufgelaufene lineare Kürzung für die Jahre 2011 bis 2013 erreicht aber nur 5,22 %. Mit der Zeit reduziert sich dieser Effekt jedoch etwas. Im letzten Jahr, 2020, beträgt der Korrekturfaktor 82,438204 %, bewirkt also eine Kürzung um 17,561796 %. Dies liegt nur geringfügig über der kumulierten linearen Kürzung von 17,4 % für diese zehn Jahre.

55.      Die in den Ausgangsverfahren klagenden Unternehmen halten die Korrektur daher für zu hoch. Sie führen diesen Effekt insbesondere darauf zurück, dass bestimmte Tätigkeiten zu Unrecht zwar im Rahmen des anerkannten Bedarfs berücksichtigt wurden,(13) nicht aber bei der Ermittlung des Industrieplafonds.(14) Außerdem fordern sie Zugang zu den notwendigen Daten, um die Berechnung des Korrekturfaktors umfassend überprüfen zu können (dazu unter D).

4.      Zu den Zielen der Richtlinie 2003/87 im Hinblick auf den Korrekturfaktor

56.      Diesem Vorbringen ist zuzugeben, dass eine „asymmetrische“(15) Berücksichtigung bestimmter Tätigkeiten in einem Spannungsverhältnis zu einem der Ziele des Korrekturfaktors steht. Diese Ziele wurden zwar nicht ausdrücklich festgelegt, doch nach seinem Regelungszusammenhang verfolgt er einen doppelten Zweck.

57.      Erstens bringt er den linearen Kürzungsfaktor von 1,74 % zur Anwendung. Diese Zwecksetzung wird von der beanstandeten Asymmetrie nicht berührt. Man hätte den Kürzungsfaktor allerdings auch ohne den komplizierten Vergleich zwischen dem anerkannten Bedarf und dem Industrieplafond verwirklichen können.

58.      Wichtiger ist daher die zweite Funktion des Korrekturfaktors: Er soll sicherstellen, dass die kostenlosen Zuteilungen aufgrund der Benchmarks die nach dem alten Zuteilungssystem bestehende Balance zwischen industriellen Tätigkeiten und der Stromerzeugung nicht zugunsten der Industrie verändern.

59.      Diese Balance ist wichtig. Wenn der Anteil der industriellen Aktivitäten an der Gesamtmenge der verfügbaren Zertifikate zunähme, würde nämlich gleichzeitig die Menge der Zertifikate schrumpfen, die für die Versteigerung zur Verfügung stehen. Falls diese Menge nicht ausreicht, um den gesamten, durch die Versteigerung zu deckenden Bedarf zu decken, wären unverhältnismäßige Preissteigerungen zu befürchten. Dies würde vor allem die Stromindustrie und die Verbraucher von Strom belasten. Darüber hinaus wären aber auch bestimmte Industriesektoren betroffen, die einen Teil der benötigten Zertifikate kaufen müssen.

60.      Allerdings wird von dieser historischen Balance abgewichen, wenn Tätigkeiten aufgrund einer neuen Berechnungsmethode heute der Industrie zugeschlagen werden, obwohl sie in der Vergangenheit der Stromerzeugung zugerechnet oder gar nicht berücksichtigt wurden.

61.      Wie etwa Linde darlegt, steht ein solcher asymmetrischer Korrekturbedarf darüber hinaus in einem Spannungsverhältnis zu dem Ziel der Richtlinie 2003/87, „carbon leakage“ zu vermeiden. Darunter versteht man die Verlagerung von Tätigkeiten, die Emissionen von Treibhausgasen verursachen, in Drittstaaten. Eine solche Abwanderung wäre nicht nur wirtschaftspolitisch von Nachteil, sondern sie würde auch das übergreifende Ziel untergraben, die Emissionen von Treibhausgasen weltweit zu senken.

62.      Um carbon leakage zu verhindern, erhalten daher nach Art. 10a Abs. 12 der Richtlinie 2003/87 Anlagen in Sektoren bzw. Teilsektoren, in denen ein erhebliches Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen besteht, Zertifikate in Höhe von 100 % ihres anhand der Benchmarks anerkannten Bedarfs kostenlos zugeteilt. Ein zu hoher Korrekturfaktor kann jedoch dazu führen, dass sie letztlich weniger als 100 % der benötigten Zertifikate erhalten und somit das System der Richtlinie 2003/87 einen Anreiz für die Verlagerung dieser Tätigkeiten schafft.

63.      Andererseits entspricht die asymmetrische Berücksichtigung der Nutzung von Restgasen dem übergreifenden Ziel der Richtlinie 2003/87, klimaschädliche Emissionen zu reduzieren. Weil sie die Menge kostenlos zugeteilter Zertifikate mindert, stärkt sie den Anreiz, die Emission von CO2 einzuschränken. Folglich trägt sie zur Erhaltung und dem Schutz der Umwelt, zur Bekämpfung des Klimawandels und einem hohen Schutzniveau bei, wie von Art. 191 AEUV gefordert.

64.      In diesem Licht sind die vier Bereiche näher zu untersuchen, in denen die klagenden Unternehmen solche Abweichungen beanstanden, nämlich die Berücksichtigung von Restgasen und KWK-Anlagen (dazu unter B) und die Berücksichtigung von Tätigkeiten und Anlagen, die erst seit 2013 bzw. 2008 dem System der Richtlinie 2003/87 unterliegen (dazu unter C).

B –    Zur Berücksichtigung der Stromerzeugung aus Restgasen und der industriellen Nutzung von Wärme aus hocheffizienten Kraftwärmekopplungskraftwerken

65.      Die erste bis vierte Frage der Rechtssache Borealis Polyolefine, die dritte Frage der Rechtssache Dow Benelux und die erste Frage der Rechtssache Esso Italiana betreffen die Berücksichtigung der Stromerzeugung aus Restgasen (dazu unter 1) und der industriellen Nutzung von Wärme aus hocheffizienten Kraftwärmekopplungskraftwerken (KWK-Anlagen, dazu unter 2) bei der Berechnung des Korrekturfaktors. Beide Tätigkeiten werden heute der Industrie zugerechnet, obwohl sie früher bei der Stromerzeugung berücksichtigt wurden.

1.      Zur Stromerzeugung aus Restgasen

66.      Restgase entstehen bei bestimmten industriellen Produktionsprozessen, etwa bei der Produktion von Koks und Stahl, und können als Brennstoff genutzt werden, insbesondere zur Stromerzeugung. Dies ist im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung von Ressourcen sinnvoller, als diese Gase abzuleiten oder nutzlos abzufackeln.

67.      Aus diesem Nutzen erklärt sich vermutlich, dass Art. 10a Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2003/87 die Förderung der Nutzung von Restgasen zu den Anreizen für die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und für energieeffiziente Techniken zählt. Und es dürfte der gleiche Grund sein, warum Satz 2 dieser Bestimmung für den aus Restgasen erzeugten Strom eine Ausnahme von dem Ausschluss der Stromerzeugung aus der kostenlosen Zuteilung von Zertifikaten festlegt.

68.      Wie die Kommission darlegt, hat sie daher bei der Festsetzung der Produkt-Benchmarks dem Umstand Rechnung getragen, dass in einigen Branchen Restgase zur Stromerzeugung verbrannt werden. Dies habe insbesondere zu einer Erhöhung der Produkt-Benchmarks für Koks, flüssiges Roheisen und Sintererz geführt, also zu einer Erhöhung des anerkannten Bedarfs in diesen Sektoren.

69.      Die Kommission räumt ein, dass die entsprechenden Emissionen nur teilweise in den Industrieplafond einflossen, nämlich nur, soweit die Restgase in Industrieanlagen verbrannt wurden. Soweit die Restgase dagegen durch einen Stromerzeuger im Sinne von Art. 10 Abs. 3 der Richtlinie 2003/87 verbrannt wurden, blieben sie bei der Ermittlung des Industrieplafonds unberücksichtigt. Weil der Plafond in diesem Umfang geringer ausfällt, erhöht die Berücksichtigung von Restgasen in den Benchmarks entsprechend den Korrekturfaktor.

70.      Zu prüfen ist daher, ob diese asymmetrische Berücksichtigung der Nutzung von Restgasen mit der Richtlinie 2003/87 vereinbar ist.

71.      Insofern ist festzustellen, dass die Asymmetrie im Wortlaut von Art. 10a Abs. 1, 3 und 5 der Richtlinie 2003/87 angelegt ist. Nach den Abs. 5 und 3 sind Stromerzeuger, also auch die Stromerzeugung aus Restgasen, bei der Berechnung des Industrieplafonds nicht zu berücksichtigen. Dagegen ist Abs. 1 Unterabs. 3 zu entnehmen, dass die Kommission die Stromerzeugung aus Restgasen bei der Ermittlung der Benchmarks berücksichtigen sollte, aus denen sich der anerkannte Bedarf von Industrieanlagen ergibt.

72.      Demgegenüber können die in den Ausgangsverfahren klagenden Unternehmen auch nicht mit dem Argument durchdringen, der Verweis des Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 auf „Anlagen …, die nicht unter Abs. 3 fallen“, sei nicht dahin gehend zu verstehen, dass die Emissionen von Stromerzeugern von der Berücksichtigung ausgeschlossen sind. Sie vertreten zwar die Auffassung, damit seien Anlagen gemeint, die für die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten in Betracht kommen, doch dafür fehlt jede Grundlage im Text.

73.      Entgegen dem Vorbringen von Buzzi Unicem ist es insbesondere keine Voraussetzung der Anwendung von Art. 10a Abs. 3 der Richtlinie 2003/87, dass für die Stromerzeugung keine kostenlose Zuteilung erfolgt. Der Ausschluss einer kostenlosen Zuteilung ist vielmehr die Rechtsfolge dieser Bestimmung, von der andere Bestimmungen Ausnahmen zulassen.

74.      Wie oben dargestellt,(16) ist zwar anzuerkennen, dass diese Asymmetrie nicht wirklich zu dem Ziel des Korrekturfaktors passt, die historische Balance zwischen Industrieanlagen und Stromerzeugung zu gewährleisten. Auch verstärkt sie Anreize zur Verlagerung von emissionsträchtigen Tätigkeiten. Zugleich entspricht sie aber auch den Umweltzielen der Richtlinie 2003/87.

75.      In dieser Situation widerstreitender Ziele und systematischer Erwägungen würde man erhoffen, dass der Gesetzgeber seine Absichten ausdrücklich kenntlich macht. Dies geschah z. B. bei einer anderen Regelung der Richtlinie 2003/87, Art. 9 Abs. 1 Satz 3, der anlässlich des Beitritts von Kroatien in die Richtlinie eingefügt wurde. Danach wird die Menge der Zertifikate in der Union infolge des Beitritts Kroatiens lediglich um die Menge der Zertifikate erhöht, die Kroatien gemäß Art. 10 Abs. 1 versteigern muss. Da somit die von Kroatien kostenlos zugeteilten Zertifikate nicht berücksichtigt werden, führt dies zwangsläufig zu einer Minderung der in der gesamten Union verfügbaren Zertifikate und zu einem Korrekturbedarf im Sinne von Art. 10a Abs. 5.

76.      In Bezug auf Restgase ist dagegen weder eine entsprechende klare Regelung noch ein Hinweis in den Erwägungsgründen oder den Gesetzgebungsmaterialien ersichtlich. Vielmehr existieren Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber das Problem bei der Abfassung der Änderungsrichtlinie 2009/29 schlichtweg übersehen hat. Die Erwähnung der Restgase wurde nämlich erst relativ spät – im Zuge des Trilogs zur Verabschiedung der Richtlinie 2009/29 in der ersten Lesung – in den Text aufgenommen. Restgase werden erstmals in einem Änderungsvorschlag des Parlaments erwähnt,(17) der innerhalb weniger Wochen im interinstitutionellen Kompromiss zum Erlass der Richtlinie 2009/29 aufging.(18) Verschiedene Mitglieder des Parlaments beklagten dabei die große Eile bei der Verabschiedung der Richtlinie.(19)

77.      Andererseits hat der Gesetzgeber auch nicht ausdrücklich erkennen lassen, dass die unverfälschte Gewährleistung der Balance zwischen Industrieanlagen und Stromerzeugern sowie die Entlastung von Industrieanlagen in jedem Fall den Vorzug verdienen.

78.      Daher rechtfertigen die Zielkonflikte der asymmetrischen Berücksichtigung der Stromerzeugung aus Restgasen nicht, die Richtlinie 2003/87 über ihren Wortlaut hinausgreifend dahin gehend auszulegen, dass diese Asymmetrie vermieden wird.

79.      Auch kann offenbleiben, ob die Kommission trotzdem befugt gewesen wäre, die Asymmetrie bei der Berücksichtigung von Restgasen im Wege der Durchführungsrechtsetzung zu beseitigen. Zwar ermächtigt Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 sie, in Bezug auf Art. 10a Abs. 5 Durchführungsmaßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen der Richtlinie durch Ergänzung zu erlassen. Doch angesichts der gegenläufigen Ziele war sie jedenfalls nicht verpflichtet, diese Befugnis zu nutzen, um die Asymmetrie zu beseitigen.

80.      Folglich ist festzustellen, dass die Prüfung der Fragen zur Stromerzeugung aus Restgasen nichts ergeben hat, was die Rechtmäßigkeit der Festlegung des Korrekturfaktors durch den Beschluss 2013/448 in Frage stellen würde.

2.      Zu den KWK-Anlagen

81.      Die Kraft-Wärme-Kopplung verspricht die vollständigere Nutzung der Energie von Brennstoffen. Wird ausschließlich die erzeugte Kraft genutzt, etwa für die Stromerzeugung, geht die entstehende Wärme nutzlos verloren. In KWK-Anlagen wird daher die anfallende Wärme aufgefangen und für andere Tätigkeiten zur Verfügung gestellt. Teilweise wird diese Wärme auch genutzt, um Kälte zu erzeugen.

82.      Die Fragen zur Berücksichtigung von KWK-Anlagen betreffen nur diejenigen KWK-Anlagen, die der Definition eines Stromerzeugers in Art. 3 Buchst. u der Richtlinie 2003/87 entsprechen. Stromerzeuger sind Anlagen, die Strom zum Verkauf an Dritte erzeugen und in denen keine anderen Tätigkeiten gemäß Anhang I als die „Verbrennung von Brennstoffen“ durchgeführt werden.

83.      Nachdem die Beteiligten im schriftlichen Verfahren noch uneinig waren, wie diese stromerzeugenden KWK-Anlagen bei der Berechnung des Korrekturfaktors berücksichtigt werden, wurde nach einer Rückfrage in der mündlichen Verhandlung darüber Einigkeit erzielt.

84.      Von Interesse ist dabei der Fall, in dem eine stromerzeugende KWK-Anlage Wärme oder Kälte an industrielle Abnehmer abgibt. Wie insbesondere der 21. Erwägungsgrund des Beschlusses 2011/278 zeigt, wird dies im Benchmark des industriellen Verbrauchers berücksichtigt. Also wird ihr anerkannter Bedarf erhöht, aber die entsprechenden Emissionen fließen nicht in den Industrieplafond ein, weil sie bei den KWK-Anlagen anfallen, also bei Stromerzeugern. Daher erhöht die industriell genutzte Wärme von KWK-Anlagen den Korrekturfaktor und führt zu einer weiteren Asymmetrie.

85.      Hier greifen im Wesentlichen die gleichen Erwägungen durch wie bei der Stromerzeugung aus Restgasen.

86.      Diese Asymmetrie ist in Art. 10a Abs. 1, 3 und 5 der Richtlinie 2003/87 angelegt. Einerseits bleiben Stromerzeuger, also auch stromerzeugende KWK-Anlagen, bei der Festlegung des Industrieplafonds nach den Abs. 3 und 5 unberücksichtigt. Andererseits sieht Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 1 vor, dass die Benchmarks Anreize für die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und für energieeffiziente Techniken schaffen, indem sie u. a. der hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplung Rechnung tragen.

87.      Die von der Kommission im Beschluss 2011/278 vorgesehene Integration von Wärmeverbrauch in industrielle Produktbenchmarks entspricht diesem Ziel und erleichtert die praktische Handhabung der Wärmenutzung der Industrie im Rahmen der kostenlosen Zuteilung. Die Erleichterung ergibt sich daraus, dass Anlagen, die Wärme selbst erzeugen, und Anlagen, die sie von KWK-Anlagen beziehen, gleich behandelt werden. Man muss folglich für die Zuteilung von Zertifikaten an diese Anlagen nicht individuell prüfen, wie viel Wärme aus welchen Quellen bezogen wird. Und der Förderungseffekt entsteht, weil Industrieanlagen beim Bezug von Wärme aus KWK-Anlagen Zertifikate einsparen, die sie verkaufen können.

88.      Ein Unterschied scheint auf den ersten Blick in Art. 10a Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2003/87 zu liegen. Danach werden für hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplung für einen wirtschaftlich vertretbaren Bedarf Zertifikate in Bezug auf Erzeugung von Wärme und Kälte zugeteilt. Die Möglichkeit einer solchen direkten Zuteilung schließt eine Berücksichtigung bei den Benchmarks jedoch nicht aus, sondern erlaubt vor allem, KWK-Anlagen Zertifikate für die Erzeugung von Wärme oder Kälte zuzuteilen, die sie an Abnehmer liefern, die nicht dem System der Richtlinie angehören. Dies sind etwa Privathaushalte.

89.      Daher bewegt sich die Festlegung der Benchmarks in Bezug auf die industrielle Nutzung der Wärme von KWK-Anlagen im Rahmen der Durchführungsbefugnisse der Kommission nach Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie 2003/87.

90.      Im Übrigen gilt das Gleiche wie bei der Berücksichtigung von Restgasen. Es gibt zwar Zielkonflikte und keine klaren Aussagen des Gesetzgebers. Doch das zwingt weder zu einer Auslegung der Richtlinie 2003/87, die die Asymmetrie ausschlösse, noch war die Kommission verpflichtet, sie in Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse zu beseitigen.

91.      Folglich hat auch die Prüfung der Fragen zur Berücksichtigung der Kraft-Wärme-Kopplung nichts ergeben, was die Rechtmäßigkeit der Festlegung des Korrekturfaktors durch den Beschluss 2013/448 in Frage stellen würde.

C –    Zu den für den Industrieplafond herangezogenen Daten über die erstmals ab 2008 bzw. 2013 einzubeziehenden Sektoren

92.      Alle drei Gerichte werfen Zweifel hinsichtlich der für den Industrieplafond herangezogenen Daten betreffend die erstmals ab 2013 einzubeziehenden Sektoren auf. Allerdings fragt der Staatsrat mit seiner vierten Frage danach, ob die notwendigen Durchführungsbestimmungen für die Bereitstellung der Daten bereits existierten (dazu unter 1), während die Fragen der beiden übrigen Gerichte die Qualität und den Umfang der übermittelten und verwendeten Daten betreffen (dazu unter 2 Buchst. a). Diese beiden Gerichte werfen auch Zweifel an der angemessenen Berücksichtigung von Anlagen und Aktivitäten auf, die erstmals 2008 einbezogen wurden (dazu unter 2 Buchst. b).

1.      Zu den Durchführungsbestimmungen

93.      Mit seiner vierten Frage möchte der Staatsrat erfahren, ob die Festlegung des Korrekturfaktors rechtswidrig ist, weil er u. a. auf Angaben gestützt ist, die zur Durchführung von Art. 9a Abs. 2 der Richtlinie 2003/87 übermittelt wurden, ohne dass die dort genannten, gemäß Art. 14 Abs. 1 erlassenen Vorschriften festgelegt waren.

94.      Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, was Art. 9a Abs. 2 der Richtlinie 2003/87 mit dem streitgegenständlichen Korrekturfaktor zu tun hat. Er präzisiert nämlich, wie die nach Art. 10a Abs. 5 Buchst. b zum Industrieplafond hinzuzuzählenden geprüften jährlichen Gesamtemissionen im Durchschnitt der Jahre von 2005 bis 2007 von Anlagen ermitteln werden, die erst ab 2013 in das System einbezogen werden und keine Stromerzeuger sind.

95.      Für diese Anlagen müssen die Betreiber nach Art. 9a Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/87 den zuständigen Behörden hinreichend begründete und von unabhängiger Stelle geprüfte Emissionsdaten vorlegen, damit diese mit Blick auf die Anpassung des Industrieplafonds berücksichtigt werden.

96.      Art. 9a Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2003/87 sieht dabei vor, dass diese Angaben gemäß den nach Art. 14 Abs. 1 erlassenen Vorschriften zu übermitteln sind.

97.      Der Staatsrat geht davon aus, dass es sich bei diesen Vorschriften um die Verordnung (EU) Nr. 601/2012(20) handelt, die allerdings zum Zeitpunkt der Übermittlung dieser Angaben an die Kommission noch nicht verabschiedet war. Die Daten mussten nämlich nach Art. 9a Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2003/87 bis zum 30. April 2010 übermittelt werden.

98.      Wie Deutschland zu Recht vorträgt, konnte die Übermittlung der Daten im Jahr 2010 trotzdem auf einheitliche Vorschriften gestützt werden, die in der Entscheidung 2007/589(21) niedergelegt waren. Diese waren in der vor der Änderungsrichtlinie 2009/29 geltenden Fassung des Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 vorgesehen.

99.      Es ist auch davon auszugehen, dass Art. 9a Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2003/87 sich auf die Vorschriften der Entscheidung 2007/589 bezieht. Denn er verlangte die Übermittlung der Daten zu einem Zeitpunkt, zu dem die neuen Durchführungsvorschriften der Verordnung Nr. 601/2012 noch gar nicht erlassen sein mussten. Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 in seiner neuen Fassung setzte dafür nämlich eine Frist bis zum 31. Dezember 2011.

100. Im Übrigen ist in den einschlägigen Bestimmungen kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass für die Ermittlung des Korrekturfaktors die notwendigen Daten erneut auf der Grundlage der Verordnung Nr. 601/2012 festgestellt und übermittelt werden mussten.

101. Diese Frage des Staatsrats hat folglich nichts ergeben, was die Rechtmäßigkeit der Festlegung des Korrekturfaktors in Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 in Zweifel ziehen würde.

2.      Zur Qualität der Daten

102. Die Vorabentscheidungsersuchen aus Italien und Österreich werfen in diesem Zusammenhang auch Zweifel an der Qualität und dem Umfang der von den Mitgliedstaaten übermittelten Daten auf. Diese Fragen beruhen auf dem Umstand, dass das System der Richtlinie 2003/87 sowohl zwischen der ersten Phase (2005 bis 2007) und der zweiten Phase (2008 bis 2012) (dazu unter b) als auch mit der dritten Phase (2013 bis 2020) (dazu unter a) weiter ausgedehnt wurde.

a)      Zur Ausweitung ab 2013

i)      Zur fehlenden Berücksichtigung neuer Tätigkeiten in den Daten einiger Mitgliedstaaten

103. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich geht bei seiner neunten Frage davon aus, dass die Emissionsdaten von Anlagen, die vor 2013 nur teilweise dem System der Richtlinie 2003/87 unterlagen, bei der Festlegung des Industrieplafonds unvollständig berücksichtigt wurden, nämlich nur in dem Umfang, in dem sie bereits zuvor dem System unterlagen.

104. Diese Hypothese liegt letztlich auch der fünften Frage des Verwaltungsgerichts Latium zugrunde, die sich vordergründig auf die unterschiedlichen Auslegungen von Art. 9a Abs. 2 der Richtlinie 2003/87 durch die Mitgliedstaaten richtet. Diese Unterschiede beziehen sich nämlich gerade auf die Frage, ob die Mitgliedstaaten nur Daten über Anlagen mitteilen müssen, die erstmals ab 2013 dem System unterliegen, oder auch Daten über neu dem System unterworfene Aktivitäten in Anlagen, die wegen anderer Aktivitäten bereits an das System angeschlossen waren.

105. Art. 10a Abs. 5 Buchst. b und Art. 9a Abs. 2 Unterabs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2003/87 geben auf diese Fragen eine klare Antwort, da sie Emissionen von neu einbezogenen Aktivitäten der Anlagen, die bereits im System sind, nicht ansprechen. Beide Bestimmungen nennen nur die geprüften Emissionen von Anlagen, die erst ab 2013 in das System einbezogen werden.

106. Wenn aber die erst ab 2013 dem System unterliegenden Emissionen von Aktivitäten in bereits erfassten Anlagen nicht bei der Festlegung des Industrieplafonds berücksichtigt werden, führt dies zwangsläufig zu einem erhöhten Korrekturbedarf. Denn diese Aktivitäten werden trotzdem beim anerkannten Bedarf mitgezählt.

107. Ähnlich wie bei der Berücksichtigung der Stromerzeugung aus Restgasen(22) und von Wärme aus KWK-Anlagen(23) führt folglich der Wortlaut der einschlägigen Regelung zu einer asymmetrischen Berücksichtigung von Emissionen. Auch hier bestehen die bekannten Zielkonflikte und klare Aussagen des Gesetzgebers fehlen.

108. Somit ist auch in diesem Fall keine andere Auslegung von Art. 10a Abs. 5 Buchst. b der Richtlinie 2003/87 geboten und die Kommission war nicht dazu verpflichtet, der Asymmetrie in den Durchführungsregeln abzuhelfen.

109. Folglich ist festzuhalten, dass die Prüfung der Fragen zu den seit 2013 neu dem System der Richtlinie 2003/87 unterliegenden Anlagen und Tätigkeiten nicht gezeigt hat, dass die fehlende Berücksichtigung von neuen Tätigkeiten in bereits erfassten Anlagen in den Daten einiger Mitgliedstaaten bei der Ermittlung des Industrieplafonds die Rechtmäßigkeit der Festlegung des Korrekturfaktors durch Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 in Frage stellt.

ii)    Zur Berücksichtigung neuer Tätigkeiten in den Daten anderer Mitgliedstaaten

110. Allerdings hat diese Prüfung gezeigt, dass die Berücksichtigung von neuen Tätigkeiten in bereits erfassten Anlagen in den Daten anderer Mitgliedstaaten bei der Ermittlung des Industrieplafonds die Rechtmäßigkeit der Festlegung des Korrekturfaktors durch Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 sehr wohl in Frage stellt. Denn Art. 10a Abs. 5 Buchst. b der Richtlinie 2003/87 sieht eben nur die Berücksichtigung neuer Anlagen vor.

111. Entgegen dem Vorbringen Deutschlands besteht auch kein Spielraum bei der Auslegung von Art. 10a Abs. 5 Buchst. b der Richtlinie 2003/87, der es manchen Mitgliedstaaten erlauben würde, nur neu dem System unterworfene Anlagen zu berücksichtigen, während andere auch neue Aktivitäten in bereits einbezogenen Anlagen einbeziehen. Sicherlich mag ein Spielraum mitgliedstaatlicher Stellen bei der Beurteilung der von den Betreibern übermittelten Daten bestehen, aber für die Berücksichtigung von neuen Aktivitäten in bereits erfassten Anlagen fehlt schlichtweg die Rechtsgrundlage.

112. Zwar legt die Kommission – wie auch Deutschland – zutreffend dar, die Richtlinie 2003/87 erlaube ihr nicht, die Angaben der Mitgliedstaaten zu ändern. Doch daraus folgt nicht, dass der Korrekturfaktor auf der Grundlage von Daten festgelegt werden darf, die nach den anwendbaren Bestimmungen nicht berücksichtigt werden dürfen. Vielmehr muss die Kommission zumindest Zweifeln an der Datenqualität nachgehen und gegebenenfalls dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten schnellstmöglich die notwendigen Korrekturen vornehmen. Dies entspricht ihrer Aufgabe nach Art. 17 Abs. 1 EUV, die Anwendung des Unionsrechts zu überwachen.

113. Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus dem Urteil Kommission/Estland. Dieses Urteil betraf nämlich die früher geltende Fassung der Richtlinie 2003/87, die den Mitgliedstaaten deutlich größere Spielräume beließ als das heute geltende Recht. Und im Übrigen hat der Gerichtshof auch in diesem Fall eine Rechtmäßigkeitskontrolle nicht ausgeschlossen.(24)

114. Auch die Notwendigkeit, den Korrekturfaktor zu einem bestimmten Zeitpunkt festzulegen, ändert daran nichts. Wenn sich nicht rechtzeitig klären lässt, welche Daten zu verwenden sind, muss die Kommission notfalls einen vorläufigen Korrekturfaktor unter Vorbehalt einer späteren Anpassung festlegen.

115. Somit bleibt festzuhalten, dass Art. 10a Abs. 5 Buchst. b der Richtlinie 2003/87 nur die Berücksichtigung der Emissionen von ab 2013 neu dem System der Richtlinie unterworfenen Anlagen zulässt, nicht aber die Berücksichtigung von neu dem System angeschlossenen Tätigkeiten in bereits erfassten Anlagen.

116. Im Laufe der vorliegenden Verfahren wurde jedoch vorgetragen, dass zumindest Frankreich, Belgien, Deutschland, Italien und Spanien auch Emissionsdaten über neu dem System unterworfene Aktivitäten in Anlagen übermittelt haben, die wegen anderer Aktivitäten bereits an das System angeschlossen sind. Und die Kommission hat diese Daten bei der Berechnung des Industrieplafonds verwendet.

117. Die Kommission hat somit einen zu hohen Industrieplafond festgestellt, indem sie bei seiner Berechnung Emissionen von seit 2013 neu dem System unterworfenen Aktivitäten in bereits erfassten Anlagen berücksichtigt hat. In diesem Umfang ist die Festlegung des Korrekturfaktors rechtswidrig und Art. 4 sowie Anhang II des Beschlusses 2013/448 sind ungültig.

118. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der gleiche Gedanke nicht nur bei der Ermittlung des Korrekturfaktors durchgreifen müsste, sondern auch bei der Bestimmung der verfügbaren Gesamtmenge an Zertifikaten nach Art. 9a Abs. 2. Und in diesem Fall würde aus der Asymmetrie keine geringere kostenlose Zuteilung folgen, sondern eine geringere Menge verfügbarer Zertifikate, also eine Minderung klimaschädlicher Emissionen. Dies entspräche sogar noch deutlicher den übergeordneten Umweltzielen der Richtlinie 2003/87 und des Art. 191 AEUV als die Begrenzung der kostenlosen Zuteilung. Allerdings wird nach der verfügbaren Gesamtmenge in den vorliegenden Verfahren nicht gefragt, so dass der Gerichtshof dazu nicht Stellung nehmen muss.

b)      Zur Ausweitung ab 2008

119. Das Verwaltungsgericht Latium will mit seiner vierten Frage außerdem klären, ob die Berechnung des Industrieplafonds fehlerhaft ist, weil die zwischen der ersten Phase (2005 bis 2007) und der zweiten Phase (2008 bis 2012) der Durchführung der Richtlinie 2003/87 erfolgte Ausweitung des Systems bei der Ermittlung des Industrieplafonds nicht berücksichtigt wurde. Darin ist auch der angebliche Fehler enthalten, den das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich bei seiner achten Frage zur Prüfung stellt. Es nimmt an, dass die Emissionsdaten von Anlagen, die vor 2008 nur teilweise dem System der Richtlinie 2003/87 unterlagen, unvollständig berücksichtigt wurden, nämlich nur in dem Umfang, in dem sie zuvor dem System unterlagen.

120. Die Änderungen im zweiten Zuteilungszeitraum ergaben sich aus Klarstellungen der Kommission zum Begriff der Feuerungsanlage, aufgrund derer einige Mitgliedstaaten eine Anzahl weiterer Anlagen eingliedern mussten.(25) Außerdem traten Norwegen, Island und Liechtenstein dem System bei.

121. Die Kommission hat sich bei der Ermittlung der historischen Emissionen für die Feststellung des Industrieplafonds auf das Emissionsregister der Union gestützt.(26) Dieses Register enthielt jedoch keine Emissionsdaten für Anlagen, die erstmals in der zweiten Zuteilungsperiode dem System angeschlossen waren.

122. Wie die Kommission zutreffend vorträgt, entspricht dies Art. 10a Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie 2003/87. Danach dürfen nur die geprüften Emissionen im Durchschnitt der Jahre 2005 bis 2007 bei der Berechnung des Industrieplafonds herangezogen werden. Und für die bereits ab 2008 einbezogenen Tätigkeiten fehlt eine Art. 9a Abs. 2 vergleichbare Regelung, die die Mitgliedstaaten verpflichten würde, geprüfte Emissionsdaten auch für diese Tätigkeiten mitzuteilen. Emissionen, die erst ab 2008 einbezogen wurden, waren somit nicht geprüft und konnten daher nicht berücksichtigt werden.

123. Auch insofern führt folglich der Wortlaut der einschlägigen Regelung zu einer asymmetrischen Berücksichtigung von Emissionen. Hier greifen somit die gleichen Erwägungen wie bei den bisher untersuchten Asymmetrien.

124. Folglich hat die Prüfung dieser Fragen nichts ergeben, was die Gültigkeit der Festlegung des Korrekturfaktors im Beschluss 2013/448 in Frage stellen würde.

D –    Zur Begründung der Festlegung des Korrekturfaktors

125. Der Staatsrat (fünfte und sechste Frage) und das Verwaltungsgericht Latium (dritte Frage) konfrontieren den Gerichtshof auch mit Zweifeln an der Begründung der Festlegung des Korrekturfaktors.

126. Diese Fragen beziehen sich darauf, dass die Begründung des Beschlusses 2013/448, dort im Wesentlichen der 25. Erwägungsgrund, nicht alle Angaben enthalte, die notwendig seien, um die Berechnung des Korrekturfaktors nachzuvollziehen. Im Einzelnen geht es darum, dass sich bestimmte Zahlen nur indirekt aus den Angaben in der Begründung ableiten ließen (dazu unter 4) und dass ein später veröffentlichtes erläuterndes Dokument der Generaldirektion Klimapolitik zwar wichtige zusätzliche Angaben enthalte, aber erstens nicht Teil der Begründung sei (dazu unter 3) und zweitens noch immer viele notwendige Informationen fehlen (dazu unter 2). Um diese Fragen zu beantworten, sind zunächst die Anforderungen an die Begründung zu präzisieren (dazu unter 1).

1.      Zur notwendigen Begründung der Festlegung des Korrekturfaktors im Beschluss 2013/448

127. Bekanntlich muss die nach Art. 296 Abs. 2 AEUV erforderliche Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollfunktion ausüben kann.(27)

128. Der Gerichtshof hat dies dahin gehend konkretisiert, dass die Begründung von Einzelentscheidungen neben der Ermöglichung einer gerichtlichen Überprüfung den Zweck hat, den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die Entscheidung eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht.(28)

129. Dagegen kann sich bei Rechtsakten mit allgemeiner Geltung die Begründung darauf beschränken, die Gesamtlage anzugeben, die zum Erlass der Maßnahme geführt hat, und die allgemeinen Ziele zu bezeichnen, die mit ihr erreicht werden sollen; sie muss lediglich den mit dem jeweiligen Rechtsakt verfolgten Zweck in seinen wesentlichen Zügen erkennen lassen.(29) In diesem Fall wäre es unnötig, eine besondere Begründung für jede der fachlichen Entscheidungen zu verlangen, die das Organ getroffen hat.(30)

130. Die streitgegenständliche Festlegung des Korrekturfaktors ist zweifelsohne keine individuelle Entscheidung, sondern ein Rechtsakt von allgemeiner Geltung und gleichzeitig eine fachliche Entscheidung der Kommission. Daher könnte man annehmen, dass die Begründungsanforderungen beschränkt sind.

131. Diese Annahme wäre jedoch falsch.

132. Die beschränkten Begründungsanforderungen für Rechtsakte mit allgemeiner Geltung erklären sich aus dem gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum, der ihnen regelmäßig zugrunde liegt. Dieser Spielraum ist einer gerichtlichen Überprüfung nur in engen Grenzen zugänglich, so dass es ausreicht, wenn die Begründung die notwendigen Elemente für eine solche begrenzte Prüfung enthält.

133. Bei der Festlegung des Korrekturfaktors im Beschluss 2013/448 übte die Kommission jedoch keine Befugnisse aus, die einen solchen Spielraum eröffneten. Die Berechnungsmethode und die heranzuziehenden Daten ergeben sich aus der Richtlinie 2003/87 und dem Beschluss 2011/278. Eine gerichtliche Kontrolle erstreckt sich daher im Wesentlichen darauf, ob diese Methode zutreffend angewandt und die richtigen Daten verwendet wurden. Folglich muss die Begründung die nötigen Angaben enthalten, um diese Kontrolle zu ermöglichen.

2.      Zu den von der Kommission verwendeten Daten

134. Daraus ergibt sich bereits ein zentrales Element der Antwort auf die sechste Frage des Staatsrats, nämlich, ob die Begründung alle Daten enthalten muss, die notwendig sind, um die Berechnung des Korrekturfaktors im Einzelnen zu überprüfen.

135. Tatsächlich muss sich die Begründung des Beschlusses 2013/448 genau auf diese Daten beziehen, da andernfalls der Gerichtshof nicht kontrollieren kann, ob die Kommission die richtigen Daten für die Berechnung des Korrekturfaktors verwendet und die Berechnungsmethode zutreffend angewandt hat. Dementsprechend benötigen auch die Betroffenen diese Daten, um die entsprechenden Rechtsbehelfe – vor den Unionsgerichten oder den nationalen Gerichten – einlegen zu können.

136. Offensichtlich genügt die Begründung der Festlegung des Korrekturfaktors im 25. Erwägungsgrund des Beschlusses 2013/448 diesen Anforderungen nicht, denn sie enthält nicht alle Daten, die die Kommission für die Berechnung des Korrekturfaktors verwendet hat. Der Staatsrat hebt insofern drei Faktoren besonders hervor:

137. Um erstens die Ermittlung des Anteils der Anlagen, die keine Stromerzeuger sind, an den Emissionen im Zeitraum 2005 bis 2007 überprüfen zu können, müsste man wissen, welche Anlagen die Kommission als Stromerzeuger betrachtet.

138. Zweitens kann man die Berechnung der Gesamtmenge der Emissionen von Anlagen, für die erst seit 2013 die Regeln über den Emissionshandel gelten, nur nachvollziehen, wenn man Einblick in die von den Mitgliedstaaten aufgrund von Art. 9a Abs. 2 der Richtlinie 2003/87 hierzu gegenüber der Kommission gemachten Angaben hat.

139. Und drittens kann man die nicht berichtigte Zuteilung nur verifizieren, wenn man Zugang zu den von den Mitgliedstaaten übermittelten Verzeichnissen mit den vorläufigen jährlichen Gesamtmengen kostenlos zuzuteilender Emissionszertifikate erhält.

140. Allerdings halte ich es nicht für zwingend, diese Daten vollständig in die Begründung des Rechtsakts zu integrieren, da sie in diesem Fall sehr umfangreich würde. So hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Anforderungen, die an die Begründung einer Entscheidung zu stellen sind, den tatsächlichen Möglichkeiten sowie den technischen und zeitlichen Bedingungen angepasst werden, unter denen sie ergeht.(31) Es hätte daher ausgereicht, eine Möglichkeit zu eröffnen, die notwendigen Rohdaten zur Kenntnis zu nehmen, und einen entsprechenden Hinweis in die Begründung aufzunehmen.

141. Daran fehlt es jedoch. Und damit nicht genug: Die Kommission verweigerte nach entsprechenden Anfragen sogar den Zugang zu den Daten. Damit entzog sie dem umfassenden Rechtsschutz in Bezug auf die Berechnung des Korrekturfaktors die Grundlage.

142. Die Kommission und Deutschland berufen sich aber darauf, dass diese Daten Geschäftsgeheimnisse enthielten.

143. Diesem Vorbringen ist zuzugeben, dass der Schutz von vertraulichen Informationen und Geschäftsgeheimnissen so ausgestaltet sein muss, dass er mit den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes und der Wahrung der Verteidigungsrechte der am Rechtsstreit Beteiligten im Einklang steht.(32)

144. Das bedeutet in der Regel, dass die kontrollierende Instanz, meist ein Gericht, über sämtliche Informationen verfügen muss, die erforderlich sind, um in voller Kenntnis der Umstände entscheiden zu können. Dies schließt vertrauliche Informationen und Geschäftsgeheimnisse ein. Dagegen muss es möglich sein, diese Informationen einer Partei vorzuenthalten, wenn die Gegenpartei die kontrollierende Stelle überzeugt, dass ein überwiegendes Interesse an ihrer vertraulichen Behandlung besteht.(33)

145. Im vorliegenden Fall ist jedoch ein überwiegendes Interesse an der vertraulichen Behandlung aller notwendigen Daten zweifelhaft. Art. 17 der Richtlinie 2003/87 sieht nämlich vor, dass Entscheidungen über die Zuteilung von Zertifikaten und die in der Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen vorgeschriebenen Emissionsberichte, die von der zuständigen Stelle bereitgehalten werden, in Übereinstimmung mit der Umweltinformationsrichtlinie(34) der Öffentlichkeit zugänglich zu machen sind. Ähnliches ergibt sich aus Art. 15a der Richtlinie 2003/87.

146. Wie Art. 15a Abs. 2 der Richtlinie 2003/87 festhält, schließt dies zwar den Schutz von trotzdem vorliegenden Geschäftsgeheimnissen nicht aus, doch an die Begründung eines solchen Geheimnisses sind hohe Anforderungen zu stellen, da die Verpflichtung zur Wahrung dieses Geheimnisses nicht so extensiv ausgelegt werden kann, dass dadurch das Erfordernis der Begründung zu lasten des Anspruchs auf rechtliches Gehör ausgehöhlt wird.(35)

147. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass nach Art. 4 Abs. 2 Satz 4 der Umweltinformationsrichtlinie und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Århusverordnung(36) der Zugang zu Informationen über Emissionen in die Umwelt nicht unter Berufung auf Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse verweigert werden darf.

148. Daran ändert entgegen der Kommission auch das Urteil Ville de Lyon nichts. Dieses Urteil betraf zwar auch den Zugang zu bestimmten Informationen über die Anwendung der Richtlinie 2003/87, doch unterlagen diese Informationen einer Spezialregelung, die abweichend von der Umweltinformationsrichtlinie den Zugang ausschloss.(37) Für die im vorliegenden Fall interessierenden Informationen ist dagegen keine Spezialregelung ersichtlich, die es ausschließen würde, die Wertung der Umweltinformationsrichtlinie und der Århusverordnung auf die Begründungspflicht zu übertragen.

149. Dass viele, vielleicht sogar alle vorliegend relevanten Informationen Emissionen in die Umwelt betreffen, dürfte zumindest naheliegen. Es bedürfte folglich einer sorgfältigen Prüfung, welche der verwendeten Daten keine Emissionen in die Umwelt betreffen und gleichzeitig als Geschäftsgeheimnisse vertraulich behandelt werden müssen. Neben den bereits angeführten Erwägungen wird die Kommission dabei auch prüfen müssen, ob sich das Interesse am Schutz ursprünglich anzuerkennender Geschäftsgeheimnisse mittlerweile durch Zeitablauf erledigt hat.(38) Alle anderen Daten, die für die Überprüfung der Bestimmung des Korrekturfaktors nötig sind, müssten für die Öffentlichkeit und folglich auch für die betroffenen Unternehmen zugänglich sein.

150. In den vorliegenden Verfahren ist es nicht möglich, abschließend zu entscheiden, welche Daten zur Berechnung des Korrekturfaktors aufgrund von überwiegenden Gründen vertraulich behandelt werden müssen. So hat Deutschland in der mündlichen Verhandlung präzisiert, dass die Daten über die jährlichen Gesamtemissionen von Anlagen öffentlich seien, während Daten über Teilanlagen als Geschäftsgeheimnisse angesehen würden, weil sie Rückschlüsse auf die Produktion erlaubten. Inwieweit letztere Daten für eine Prüfung der Berechnung des Korrekturfaktors nötig sind und ob sie in diesem Fall tatsächlich vertraulich behandelt werden müssten, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

151. Gleichwohl steht fest, dass die Festlegung des Korrekturfaktors in Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 unzureichend begründet und somit ungültig ist. Es obliegt der Kommission, eine neue Entscheidung mit ausreichender Begründung zu erlassen und in diesem Zusammenhang zu prüfen, inwieweit eine vertrauliche Behandlung der Ausgangsdaten gerechtfertigt ist. Bei Unstimmigkeiten muss notfalls darüber ein erneuter Rechtsstreit geführt werden.

3.      Zum erläuternden Dokument der Generaldirektion Klimapolitik

152. Im Übrigen ist klarzustellen, dass das in der dritten Frage des Verwaltungsgerichts Latium angesprochene erläuternde Dokument der Generaldirektion Klimapolitik vom 22. Oktober 2013(39) unabhängig von seinem Inhalt den dargelegten Begründungsmangel nicht heilen konnte.

153. Das Verwaltungsgericht geht nämlich von der zutreffenden Erwägung aus, dass die Begründung eines Rechtsakts der Union in dem Rechtsakt selbst enthalten sein und vom Urheber des Rechtsakts stammen muss.(40)

154. Zwar kann der Umfang der Begründungspflicht eingeschränkt sein, wenn die maßgeblichen Informationen den Betroffenen bekannt sind.(41) Doch solche Kenntnisse können die Begründungspflicht höchstens begrenzen, wenn die Betroffenen diese Informationen zeitgleich mit der Entscheidung zur Kenntnis nehmen konnten. Das fragliche Dokument ist jedoch auf den 22. Oktober 2013 datiert, während der Beschluss 2013/448 schon am 5. September 2013 angenommen und zwei Tage später veröffentlicht wurde.

155. Spätere Angaben sind dagegen nur geeignet, eine für sich bereits ausreichende Begründung zu ergänzen, können jedoch keine Begründungsmängel beheben. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass diese Angaben nicht von der Kommission als Autorin des Beschlusses 2013/448 veröffentlicht wurden, sondern nur von einem ihrer Dienste. Dass die Kommission in den vorliegenden Verfahren mit keinem Wort direkt auf dieses Dokument eingeht und ihm im Hinblick auf die Berücksichtigung von KWK-Anlagen zwischenzeitlich sogar widersprach, zeigt, dass dieses Dokument nicht die gleiche Qualität hat wie die Begründung eines Rechtsakts.

4.      Zur Notwendigkeit einer Rückrechnung

156. Schließlich fragt der Staatsrat, ob es mit der Begründungspflicht vereinbar ist, dass die für die Berechnung des Korrekturfaktors ausschlaggebenden Mengen der Emissionen und Emissionszertifikate nur zum Teil in dem Beschluss angegeben werden. Diese Frage beruht darauf, dass man bestimmte Ausgangswerte nur ermitteln kann, wenn man von den angegebenen Zahlen unter Anwendung der Berechnungsregeln zurückrechnet.

157. Darin liegt jedoch kein Begründungsmangel, da der Umfang der Begründungspflicht anhand des Kontexts des Rechtsakts und sämtlicher Rechtsvorschriften zu bestimmen ist, die das betreffende Gebiet regeln.(42) Soweit dieser Kontext es erlaubt, mit zumutbarem Aufwand ausgehend von den Angaben einer Begründung zuverlässig weitere Informationen zu ermitteln, ist der Begründungspflicht Genüge getan. Wie bereits dargelegt, lassen sich so jedoch nicht alle notwendigen Daten ermitteln.

5.      Ergebnis zur Begründung der Festlegung des Korrekturfaktors

158. Die Festlegung des Korrekturfaktors in Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 ist unzureichend begründet und somit ungültig.

E –    Zum Grundrecht auf Eigentum (sechste Frage der Rechtssache Borealis Polyolefine und zweite Frage der Rechtssache Esso Italiana)

159. Sowohl die Vorabentscheidungsersuchen aus Österreich als auch die Ersuchen aus Italien werfen die Frage auf, ob die Kürzung der vorläufig berechneten Menge der kostenlos zuzuteilenden Emissionszertifikate aufgrund des Korrekturfaktors mit dem Grundrecht auf Eigentum vereinbar ist.

160. Das Verwaltungsgericht Latium bezieht sich dabei auf Art. 1 Abs. 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK und Art. 17 EMRK, der den Missbrauch der Rechte und Freiheiten verbietet. Da die EMRK für die Union jedoch nicht unmittelbar verbindlich ist,(43) kommt es auf die entsprechenden Bestimmungen der Charta der Grundrechte an, also auf die Art. 17 und 54, sowie auf entsprechende allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts.

161. Allerdings ist nicht ersichtlich, inwieweit ein Missbrauch von Grundrechten im Sinne von Art. 54 der Charta vorliegen könnte.

162. Folglich sind nur das in Art. 17 der Charta geschützte Eigentumsrecht und der entsprechende allgemeine Rechtsgrundsatz zu prüfen. Der durch Art. 17 gewährte Schutz bezieht sich nicht auf bloße kaufmännische Interessen oder Aussichten, deren Ungewissheit zum Wesen der wirtschaftlichen Tätigkeiten gehört, sondern auf vermögenswerte Rechte, aus denen sich im Hinblick auf die Rechtsordnung eine gesicherte Rechtsposition ergibt, die eine selbständige Ausübung dieser Rechte durch und zugunsten ihres Inhabers ermöglicht.(44)

163. Dies ist bei der vorläufigen Berechnung der kostenlosen Zuteilung nach Art. 10 des Beschlusses 2011/278 jedoch ausgeschlossen. Diese konnte keine gesicherte Rechtsposition begründen, da Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 die Möglichkeit einer Kürzung vorsieht.

164. Daran können auch die Hinweise des Verwaltungsgerichts Latium auf die Rechtsprechung des EGMR nichts ändern, wonach der Schutz des Eigentums nach Art. 1 Abs. 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK auch berechtigte Erwartungen, einen Vermögensgegenstand zu erwerben, einschließen kann.(45) Zwar hat Art. 17 der Charta nach Art. 52 Abs. 3 die gleiche Bedeutung und Tragweite wie das Eigentumsrecht der EMRK in der Auslegung durch den EGMR,(46) doch der Umstand, dass ein Korrekturfaktor zur Kürzung der vorläufigen Berechnung vorgesehen ist, schließt ein berechtigtes Vertrauen aus.(47)

165. Folglich verletzt der Korrekturfaktor das Grundrecht auf Eigentum nicht.

F –    Zum Verfahren der Annahme des Beschlusses 2013/448

166. Mit der fünften Vorlagefrage in den Rechtssachen Borealis Polyolefine, der zweiten Vorlagefrage in der Rechtssache Dow Benelux und der sechsten Vorlagefrage in den Rechtssachen Esso Italiana möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen jeweils wissen, ob die Festlegung des Korrekturfaktors ungültig ist, da die Kommission den Beschluss 2013/448 nicht auf der Grundlage des Regelungsverfahrens mit Kontrolle nach Art. 5a des Beschlusses 1999/468 erlassen hat.

167. Diese Fragen stellen sich vor dem Hintergrund, dass nach Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 die Kommission zwar zum Erlass von Durchführungsmaßnahmen ermächtigt ist, sie dabei aber das Regelungsverfahren mit Kontrolle anwenden muss. Dieses Verfahren bezweckt die Überwachung der Kommission bei der Ausübung quasi-legislativer Befugnisse. Diese erfolgt einerseits durch die Befassung eines mit Vertretern der Mitgliedstaaten beschickten Regelungsausschusses sowie andererseits durch die nachfolgende Interventionsmöglichkeit von Parlament und Rat.

168. Nach diesem Verfahren hat die Kommission den Beschluss 2011/278 erlassen und in Art. 15 Abs. 3 dieses Beschlusses – gestützt auf Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 – die Modalitäten für die Berechnung des Korrekturfaktors normiert. Dagegen erfolgte die quantitative Festlegung des Korrekturfaktors durch den Erlass von Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 ohne Anwendung eines gesonderten Verfahrens.

169. Unmittelbare Rechtsgrundlage für den Erlass von Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 ist Art. 15 Abs. 3 des Beschlusses 2011/278, nach welchem die Kommission den Korrekturfaktor festlegt. Zwar wird Art. 15 Abs. 3 des Beschlusses 2011/278 nicht explizit als Rechtsgrundlage in der Präambel des Beschlusses 2013/448 angeführt, doch dafür wird er ausdrücklich in Art. 4 dieses Beschlusses als Rechtsgrundlage genannt.(48)

170. Art. 15 Abs. 3 des Beschlusses 2011/278 hat für die Festlegung des Korrekturfaktors aber keine spezifischen Verfahrensmodalitäten normiert. Daher war die Kommission grundsätzlich zum einfachen Erlass von Art. 4 des Beschlusses 2013/448 ermächtigt.

171. Verschiedene Verfahrensbeteiligte rügen jedoch, dass sich die Kommission mit Art. 15 Abs. 3 des Beschlusses 2011/278 unzulässigerweise selbst zur Festlegung des Korrekturfaktors ermächtigt habe oder zumindest das Regelungsverfahren mit Kontrolle umgangen habe.

172. Zunächst ist zu erörtern, ob die Kommission sich mit Art. 15 Abs. 3 des Beschlusses 2011/278 selbst eine Rechtsgrundlage für den Erlass von Art. 4 des Beschlusses 2013/448 geben durfte.

173. Nach Art. 10a Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/87 erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen für die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten. Der Beschluss 2011/278 ist eine solche Durchführungsmaßnahme. Da die Ermächtigung zur Festlegung des Korrekturfaktors in Art. 15 Abs. 3 ebenfalls der Durchführung dient, ist ihr die Schaffung einer solchen Rechtsgrundlage prinzipiell ein geeigneter Regelungsgegenstand für derartige Durchführungsmaßnahmen.

174. Inhaltliche Grenzen für Durchführungsmaßnahmen können sich jedoch aus den Art. 290 und 291 AEUV ergeben.

175. Nach Art. 290 Abs. 1 AEUV kann der Kommission in Gesetzgebungsakten die Befugnis übertragen werden, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsakts zu erlassen. Dies ist die sogenannte delegierte Rechtsetzung.

176. Dagegen werden nach Art. 291 Abs. 2 AEUV im Falle des Bedarfs einheitlicher Bedingungen für die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union der Kommission (oder in Sonderfällen dem Rat) mit diesen Rechtsakten Durchführungsbefugnisse übertragen.

177. Die Zuordnung des Beschlusses 2013/448 zu einer dieser beiden Kategorien wird dadurch erschwert, dass die Kommission ihn weder als delegierten Rechtsakt bezeichnet noch als Durchführungsmaßnahme, obwohl eine entsprechende Kennzeichnung in Art. 290 Abs. 3 und Art. 291 Abs. 4 AEUV gefordert wird. Ich halte diesen Verfahrensfehler im vorliegenden Fall allerdings nicht für hinreichend schwerwiegend, um eine Aufhebung des Beschlusses zu rechtfertigen, weil sich aus seinem Regelungszusammenhang und seinem Inhalt ausreichend klar ergibt, dass es sich um eine Durchführungsmaßnahme handelt.(49)

178. Für die Absicht der Kommission, eine Durchführungsmaßnahme zu erlassen, spricht schon der Umstand, dass der Beschluss 2013/448 auf den Beschluss 2011/278 gestützt ist. Ein delegierter Rechtsakt kann nach Art. 290 Abs. 1 AEUV nämlich nur auf einen Gesetzgebungsakt gestützt werden. Dabei handelt es sich nach Art. 289 AEUV um Rechtsakte, die auf Grundlage der Verträge vom Parlament und dem Rat angenommen werden, nicht jedoch um Rechtsakte der Kommission. Dagegen können Durchführungsbefugnisse nach Art. 291 Abs. 2 AEUV durch bloße „verbindliche Rechtsakte“ übertragen werden, also auch durch Rechtsakte der Kommission wie den Beschluss 2011/278.

179. Der Inhalt von Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 bestätigt die Qualifizierung als Durchführungsmaßnahme.

180. Das betreffende Organ hat bei Ausübung von Durchführungsbefugnissen im Sinne von Art. 291 AEUV den Inhalt des Basisrechtsakts zu präzisieren, um seine Umsetzung unter einheitlichen Bedingungen in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen.(50) Eine solche Präzisierung bewegt sich im Rahmen des Zulässigen, wenn die Bestimmungen des Durchführungsrechtsakts zum einen die wesentlichen allgemeinen Ziele, die mit dem Basisrechtsakt verfolgt werden, beachten und zum anderen für dessen Durchführung erforderlich oder zweckmäßig sind.(51) Ausgeschlossen ist jedoch eine Änderung oder Ergänzung des Basisrechtsakts, auch in seinen nicht wesentlichen Teilen.(52) Dazu kann die Kommission nämlich nur gemäß Art. 290 AEUV ermächtigt werden.

181. Mit der Festlegung des Korrekturfaktors durch den Erlass von Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 wurde der Beschluss 2011/278 nicht geändert, ebenso wenig die Richtlinie 2003/87. In den Text dieser Rechtsakte wurde nicht eingegriffen, vielmehr blieb ihr normativer Inhalt unverändert.(53) Es liegt auch keine Ergänzung vor. Mit dem Beschluss 2013/448 hat die Kommission den Korrekturfaktor nämlich nicht geschaffen. Er ist bereits in der Richtlinie 2003/87 angelegt und wurde im Beschluss 2011/278 näher konkretisiert.

182. Die quantitative Festlegung des Korrekturfaktors stellt vielmehr das Ergebnis der Anwendung der hierfür bereits normierten Berechnungsmodalitäten dar und vollzieht damit Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 sowie Art. 15 Abs. 3 des Beschlusses 2011/278. Da in diesem Zusammenhang auch der Bedarf nach einer unionsweit einheitlichen Festlegung unstrittig anzuerkennen ist, handelt es sich beim Erlass von Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 um eine Art. 291 Abs. 2 AEUV unterfallende Durchführungsmaßnahme.

183. Für Durchführungsmaßnahmen der Kommission sieht Art. 291 Abs. 3 AEUV vor, dass das Parlament und der Rat im Voraus allgemeine Regeln und Grundsätze festlegen, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren.

184. Diese allgemeinen Regeln und Grundsätze sind in der Verordnung (EU) Nr. 182/2011(54) niedergelegt. Sie begründet allerdings keine zwingenden Verfahrensanforderungen, denn nach Art. 1 sind, diese Regeln und Grundsätze (nur) anzuwenden, wenn ein verbindlicher Rechtsakt der Union vorschreibt, dass Durchführungsrechtsakte von der Kommission vorbehaltlich einer Kontrolle durch die Mitgliedstaaten erlassen werden.

185. Daher durfte sich die Kommission mit Art. 15 Abs. 3 des Beschlusses 2011/278 selbst zur Festlegung des Korrekturfaktors ermächtigen, ohne ein weiteres Kontrollverfahren vorzusehen.

186. Da die Festlegung des Korrekturfaktors in Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 eine Durchführungsmaßnahme im Sinne von Art. 291 AEUV ist, kann auch der Einwand einer Umgehung des Regelungsverfahrens mit Kontrolle leicht beantwortet werden.

187. Art. 10a Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2003/87 verlangt dieses Verfahren nämlich nur für Maßnahmen zur Änderung durch Ergänzung nicht wesentlicher Bestimmungen der Richtlinie. Darum handelt es sich jedoch nach oben angestellten Überlegungen gerade nicht.

188. Die Prüfung der Vorlagefragen zur fehlenden Anwendung des Regelungsverfahrens mit Kontrolle hat folglich nichts ergeben, was die Rechtmäßigkeit der Festlegung des Korrekturfaktors durch Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 in Frage stellen würde.

G –    Zur Möglichkeit, die Unionsgerichte direkt anzurufen

189. Mit seiner ersten Frage fragt der Staatsrat, ob Betreiber von bestehenden Industrieanlagen, für die seit 2013 die Regeln der Richtlinie 2003/87 über den Emissionshandel galten, zweifelsfrei gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV vor dem Gericht Klage auf Nichtigerklärung des Korrekturfaktors im Beschluss 2013/448 erheben konnten.

190. Diese Frage bezieht sich auf die ständige Rechtsprechung, dass die Anerkennung des Rechts einer Partei, sich vor innerstaatlichen Gerichten auf die Ungültigkeit eines Rechtsakts der Union zu berufen, voraussetzt, dass sie nicht berechtigt war, nach Art. 263 AEUV vor den Unionsgerichten Klage gegen diesen Rechtsakt zu erheben.(55) Würde man einem Bürger, der zweifelsfrei befugt gewesen wäre, nach Art. 263 Abs. 4 AEUV im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen einen Rechtsakt der Union vorzugehen, gestatten, nach Ablauf der in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehenen Klagefrist vor den nationalen Gerichten die Gültigkeit dieses Rechtsakts in Frage zu stellen, liefe dies nämlich darauf hinaus, ihm die Möglichkeit zuzugestehen, die Bestandskraft zu unterlaufen, die diese Entscheidung ihm gegenüber nach Ablauf der Klagefristen hat.(56)

191. Daher wäre die Erheblichkeit der bereits untersuchten Fragen zur Gültigkeit der Festlegung des Korrekturfaktors im Beschluss 2013/448 zweifelhaft, wenn die in den Ausgangsverfahren klagenden Unternehmen vor den Unionsgerichten hätten klagen können und diese Klagebefugnis zweifelsfrei bestanden hätte. Ich werde jedoch zeigen, dass dies nicht der Fall ist.

192. Nach Art. 263 Abs. 4 AEUV kann jede natürliche oder juristische Person gegen die an sie gerichteten (erste Variante) oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen (zweite Variante) Klage erheben sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen (dritte Variante).

193. Eine Klagebefugnis der in den Ausgangsverfahren klagenden Unternehmen nach der ersten oder dritten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV ist ausgeschlossen. Der Beschluss 2013/448 ist nicht an sie, sondern gemäß Art. 5 an die Mitgliedstaaten gerichtet. Und der in Art. 4 festgelegte Korrekturfaktor erfordert Durchführungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten, nämlich eine Anpassung der bereits provisorisch berechneten Menge an kostenlos zuzuteilenden Zertifikaten.

194. Die klagenden Unternehmen könnten daher nur gemäß der zweiten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV berechtigt sein, bei den Unionsgerichten Klage gegen den Beschluss 2013/448 zu erheben. Dies setzt voraus, dass der Beschluss sie unmittelbar und individuell betrifft.

195. Eine andere Person als der Adressat einer Entscheidung kann nur dann geltend machen, individuell betroffen zu sein, wenn diese Entscheidung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder wegen sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten einer derartigen Entscheidung.(57)

196. Zwar betrifft der Korrekturfaktor potenziell jedermann, da er auch auf Anlagen anzuwenden ist, die neu zu dem System des Emissionsrechtehandels hinzustoßen. Doch der Umstand, dass eine Vorschrift ihrer Natur und ihrer Tragweite nach eine generelle Norm ist, da sie für sämtliche betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gilt, schließt es nicht aus, dass sie einige von ihnen individuell betrifft.(58)

197. Im vorliegenden Fall existiert ein abgrenzbarer Kreis von Betroffenen, nämlich die bereits existierenden Industrieanlagen. Für sie wurde vorläufig berechnet, wie viele Emissionszertifikate ihnen kostenlos zuzuteilen sind, und diese vorläufige Menge wird unter Anwendung des Korrekturfaktors reduziert. Darüber hinaus bedürfen nach Art. 4 der Richtlinie 2003/87 alle vom Handelssystem erfassten Anlagen einer Genehmigung für die Freisetzung von Treibhausgasemissionen.

198. Die Rechtsprechung zu der Frage, ob die Mitglieder eines solchen abgrenzbaren Kreises individuell betroffen sind, ist allerdings nicht sehr klar.

199. Der Gerichtshof hat einerseits entschieden, dass, wenn eine Entscheidung eine Gruppe von Personen berührt, die zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung anhand von den Mitgliedern dieser Gruppe eigenen Merkmalen feststanden oder feststellbar waren, diese Personen von der Entscheidung insoweit individuell betroffen sein können, als sie zu einem beschränkten Kreis von Wirtschaftsteilnehmern gehören.(59) Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Entscheidung in Rechte eingreift, die der Einzelne vor ihrem Erlass erworben hat.(60)

200. Entgegen der Auffassung der Niederlande haben die Inhaber der betroffenen Anlagen vor der Entscheidung über den Korrekturfaktor jedoch keine Emissionsrechte erworben, da die vorherige Berechnung von Zertifikaten gemäß Art. 10 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 2 Buchst. e des Beschlusses 2011/278 provisorischer Natur war.(61) Wie die Kommission zutreffend darlegt, bedarf es zur Bestimmung der Rechte der Unternehmen vielmehr zunächst der Festsetzung des Korrekturfaktors. Insofern unterscheidet sich die vorliegende Situation etwa von dem Urteil Codorniu, das eine Regelung betraf, die in bestehende Markenrechte eingriff,(62) oder von dem Urteil Infront, wo es um bestehende Fernsehübertragungsrechte für Sportereignisse ging.(63)

201. Daher ist die gegenläufige Rechtsprechung in den Blick zu nehmen. Dort hat der Gerichtshof entschieden, der Umstand, dass die Personen, für die eine Maßnahme gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmbar sind, bedeute keineswegs, dass sie als von der Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind, wenn feststehe, dass die Maßnahme aufgrund eines durch sie selbst bestimmten objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist.(64) Das Gericht versteht dies dahin gehend, dass die Zugehörigkeit zu einem beschränkten Kreis die betroffene Person nicht individualisieren kann, wenn dieser Kreis aus der Natur der durch die gerügten Vorschriften geschaffenen Regelung resultiert.(65)

202. Der Gerichtshof hat daher jüngst in einem sehr ähnlichen Fall eine individuelle Betroffenheit ausgeschlossen. Dabei ging es um die Festsetzung eines Zuteilungskoeffizienten, der auf Anträge im Bereich des Zuckermarkts angewandt wurde, die während eines bestimmten Zeitraums eingereicht worden waren. Zwar war der Kreis der Antragsteller dadurch abschließend bestimmt,(66) doch wurde der Koeffizient nur anhand der verfügbaren Menge und der beantragten Menge ohne Rücksicht auf die individuellen Anträge oder die spezifische Situation der Antragsteller berechnet.(67)

203. Genauso liegt es im vorliegenden Fall: Der Korrekturfaktor wird aufgrund der Angaben der Mitgliedstaaten zum anerkannten Bedarf der Industrieanlagen nach den Benchmarks und dem Industrieplafond berechnet, ohne die Situation der einzelnen Anlagen zu berücksichtigen. Daher ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs trotz des abgrenzbaren Kreises der Wirtschaftsteilnehmer eine individuelle Betroffenheit abzulehnen. Eine Klagebefugnis bestand daher nicht.

204. Unabhängig davon, ob der Gerichtshof diese Auffassung teilt, zeigt diese Diskussion, dass eine etwaige Klagebefugnis vor den Unionsgerichten jedenfalls nicht zweifelsfrei bestanden hätte. Sie stünde den Fragen zur Gültigkeit des Korrekturfaktors folglich nicht entgegen.

205. Auf die erste Frage in der Rechtssache Dow Benelux ist folglich zu antworten, dass Betreiber von Anlagen, für die seit 2013 die Regeln der Richtlinie 2003/87 über den Emissionshandel galten, mit Ausnahme der Betreiber von Anlagen im Sinne von Art. 10a Abs. 3 dieser Richtlinie und von neuen Marktteilnehmern, nicht zweifelsfrei gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV vor dem Gericht Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2013/448 erheben konnten, soweit darin der Korrekturfaktor festgelegt ist.

H –    Zu den Folgen der Rechtswidrigkeit des Beschlusses 2013/448

206. Mit seiner siebten Frage möchte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erfahren, ob die Feststellung der Ungültigkeit des Korrekturfaktors seine Anwendung ausschließt. Es geht also darum, ob die Anlagen bei einer Aufhebung des Korrekturfaktors durch den Gerichtshof die vorläufig berechnete Menge kostenlos zuzuteilender Zertifikate ohne jede Kürzung erhalten.

207. Diese Frage stellt sich, weil ich oben festgestellt habe, dass Art. 4 und Anlage II des Beschlusses 2013/448 ungültig sind. Ein entsprechendes Urteil des Gerichtshofs hätte ebenso wie ein Nichtigkeitsurteil Rückwirkung.(68) Die Feststellung der Ungültigkeit wäre zudem für jedes nationale Gericht ein ausreichender Grund, den betreffenden Rechtsakt bei den von ihm zu erlassenden Maßnahmen ebenfalls als ungültig anzusehen.(69)

208. Daher könnte man annehmen, dass nach der Aufhebung des Korrekturfaktors eine endgültige ungekürzte Zuteilung in Höhe der vorläufigen Berechnung erfolgen muss. Dies würde darauf hinauslaufen, dass Anlagen für die Jahre 2013 bis 2015 jeweils zwischen 6 % und 10 % mehr kostenlose Zertifikate pro Jahr erhielten. Es ist nicht auszuschließen, dass diese ergänzende Zuteilung zumindest für die Vergangenheit eine entsprechende Erhöhung der Gesamtmenge der Zertifikate insgesamt erfordern würde, da die nicht kostenlos zugeteilten Zertifikate wahrscheinlich bereits versteigert wurden. Während der nachfolgenden Jahre wäre die Menge zusätzlicher kostenloser Zertifikate noch größer, allerdings könnten diese aus der Menge der zu versteigernden Zertifikate entnommen werden.

209. Solche zusätzlichen kostenlosen Zuteilungen wären offensichtlich unangemessen. Denn nach der hier vorgeschlagenen Beantwortung der Vorabentscheidungsersuchen war die kostenlose Zuteilung nicht zu niedrig ausgefallen, sondern zu hoch.(70)

210. Deutschland hält diesem Verständnis der Folgen der Ungültigkeit des Korrekturfaktors im Übrigen entgegen, dass die Festsetzung des Korrekturfaktors Voraussetzung einer endgültigen Zuteilung sei. In diesem Fall würde seine Aufhebung die Rechtsgrundlage der bisherigen endgültigen Zuteilungen in Frage stellen und künftigen endgültigen Zuteilungen entgegenstehen. Dies könnte die Funktionsfähigkeit des Systems erheblich beeinträchtigen.

211. Letztlich darf es aber auf die Wirkung des Fehlens eines Korrekturfaktors nicht ankommen. Denn es ist daran zu erinnern, dass die zuständigen Organe der Union verpflichtet sind, die erforderlichen Maßnahmen zu erlassen, um der festgestellten Rechtswidrigkeit abzuhelfen, wenn der Gerichtshof im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 267 AEUV die Ungültigkeit eines von einer Unionsbehörde erlassenen Rechtsakts feststellt. Die in Art. 266 AEUV für den Fall eines Nichtigkeitsurteils festgelegte Pflicht gilt in einem solchen Fall entsprechend.(71)

212. Die Aufhebung des Korrekturfaktors wäre daher nur vorübergehender Natur. Die Kommission müsste ihn alsbald im Licht der Entscheidung über die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen neu festlegen.

213. Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit bis zur erneuten Kommissionsentscheidung sollte der Gerichtshof daher – wie die Kommission hilfsweise beantragt hat – zusammen mit der Aufhebung des Korrekturfaktors bereits eine Übergangsregelung treffen. Wenn zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit es rechtfertigen, hat er nämlich gemäß Art. 264 Abs. 2 AEUV, der im Rahmen von Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV zur Beurteilung der Gültigkeit von Handlungen der Organe der Europäischen Union entsprechend anwendbar ist, die Befugnis, in jedem einzelnen Fall anzugeben, welche Wirkungen der betreffenden Handlung Bestand haben.(72)

214. Daher drängt es sich auf, die Wirkungen des bisherigen Korrekturfaktors zumindest bis zu seiner erneuten Festlegung aufrechtzuerhalten.

215. Darüber hinaus sollte der Gerichtshof auch weitgehend ausschließen, dass auf der Grundlage des neuen Korrekturfaktors Zuteilungen geändert werden müssen, die bereits durchgeführt wurden und vor der erneuten Festlegung des Korrekturfaktors noch durchgeführt werden.

216. Eine solche Begrenzung der Urteilswirkung ist möglich, wenn zum einen die Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen besteht, die insbesondere mit der großen Zahl von Rechtsverhältnissen zusammenhängt, die gutgläubig auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen worden waren, und wenn sich zum anderen herausstellt, dass die Einzelnen und die nationalen Behörden zu einem mit der Unionsregelung unvereinbaren Verhalten veranlasst worden waren, weil eine objektive und bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite der Unionsbestimmungen bestand, zu der gegebenenfalls auch das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission beigetragen hatte.(73)

217. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Eine rückwirkende Kürzung würde nämlich das berechtigte Vertrauen einer Vielzahl von Anlagenbetreibern in den Bestand der endgültigen Zuteilung beeinträchtigen. Und für Zeit zwischen dem Urteil des Gerichtshofs und dem Erlass eines neuen Korrekturfaktors wären sie einem unverschuldeten Kostenrisiko ausgesetzt, wenn die künftigen kostenlosen Zuteilungen unter dem Vorbehalt von Kürzungen ergingen.

218. Wenn der Gerichtshof aber in dieser Form die Anwendung des zutreffend berechneten Korrekturfaktors zeitlich begrenzt, sollte die Kommission ihn baldmöglichst festlegen. Der Gerichtshof sollte ihr folglich eine Frist setzen. Ein Jahr erscheint insoweit angemessen.

V –    Ergebnis

219. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, wie folgt zu entscheiden:

1)      Die Rechtssachen C‑191/14 und C‑192/14, C‑295/14 sowie C‑389/14, C‑391/14, C‑392/14 und C‑393/14 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2)      Betreiber von Anlagen, für die seit 2013 die Regeln der Richtlinie 2003/87/EG galten, mit Ausnahme der Betreiber von Anlagen im Sinne von Art. 10a Abs. 3 dieser Richtlinie und von neuen Marktteilnehmern, konnten nicht zweifelsfrei gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV vor dem Gericht der Europäischen Union Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2013/448/EU erheben, soweit darin der einheitliche sektorübergreifende Korrekturfaktor festgelegt ist.

3)      Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 werden für nichtig erklärt.

4)      Die Wirkungen von Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448 werden aufrechterhalten, bis die Kommission innerhalb einer angemessenen Frist, die ein Jahr nicht überschreiten darf, einen neuen Beschluss gemäß Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 2003/87 und Art. 15 Abs. 3 des Beschlusses 2011/278/EU erlassen hat. Eine Anwendung dieses neuen Beschlusses auf Zuteilungen vor seinem Erlass ist ausgeschlossen.






1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. L 275, S. 32) in der Fassung des Vertrags über den Beitritt Kroatiens (ABl. 2012, L 112, S. 21).


3 – Rechtssachen C-502/14 (Buzzi Unicem SpA u. a., ABl. 2015, C 26, S. 13), C‑506/14 (Yara Suomi Oy u. a., ABl. 2015, C 34, S. 9), C-180/15 (Borealis AB u. a./Naturvårdsverket, ABl. 2015, C 205, S. 21), C-369/15 bis C‑373/15 (Siderúrgica Sevillana u. a., ABl. 2015, C 311, S. 35) sowie C-456/15 (BASF), C‑457/15 (Vattenfall Europe), C-460/15 (Schaefer Kalk) und C-461/15 (EON Kraftwerke).


4 – Richtlinie 2009/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 (ABl. L 140, S. 63).


5 – Beschluss 2011/278/EU der Kommission vom 27. April 2011 zur Festlegung EU-weiter Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten gemäß Art. 10a der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 130, S. 1).


6 – Beschluss 2013/448/EU der Kommission vom 5. September 2013 über nationale Umsetzungsmaßnahmen für die übergangsweise kostenlose Zuteilung von Treibhausgasemissionszertifikaten gemäß Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2003/87 (ABl. L 240, S. 27).


7 – Art. 10a Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 2, Abs. 3 und Abs. 7 Unterabs. 3 der Richtlinie 2003/87.


8 – Dies sind gemäß Art. 10a Abs. 12 der Richtlinie 2003/87 Anlagen in Sektoren bzw. Teilsektoren, in denen ein erhebliches Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen besteht, das sogenannte „carbon leakage“.


9 – Sie erhalten nach Art. 10a Abs. 11 der Richtlinie 2003/87 zunächst 80 % der benötigten Zertifikate umsonst. Bis 2020 wird dieser Anteil linear auf 30 % reduziert, bis 2027 auf 0 %.


10 – Urteil Kommission/Estland (C‑505/09 P, EU:C:2012:179, Rn. 52).


11 – Klarstellend der 13. Erwägungsgrund des Beschlusses 2010/384/EU der Kommission vom 9. Juli 2010 über die gemeinschaftsweite Menge der im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems für 2013 zu vergebenden Zertifikate (ABl. L 175, S. 36).


12 – Entgegen der Kommission in den vorliegenden Verfahren entsprach dies im Jahr 2010 nach dem Vorbringen von Esso Nederland u. a. auch der Annahme der Kommission.


13 – Siehe oben, Nr. 42.


14 – Siehe oben, Nrn. 49 und 52.


15 – Generaldirektion Klimapolitik der Europäischen Kommission, „Calculations for the determination of the cross-sectoral correction factor in the EU ETS in 2013 to 2020“ vom 22. Oktober 2013, Anlage 1, S. 4, des Schriftsatzes von Borealis Polyolefine, am 12. August 2015 auch unter http://ec.europa.eu/clima/policies/ets/cap/allocation/docs/
cross_sectoral_correction_factor_en.pdf auf der Website der Kommission zugänglich.


16 – Siehe oben, Nrn. 56 ff.


17 – 48. Änderungsvorschlag (Ratsdokument 14764/08 vom 24. Oktober 2008, S. 80).


18 – Angenommen vom Parlament am 17. Dezember 2008 (vgl. Ratsdokument 17146/08 vom 14. Januar 2010), am 4. April 2009 vom Rat bestätigt.


19 – Ratsdokument 17146/08 vom 14. Januar 2010, S. 5.


20 – Verordnung (EU) Nr. 601/2012 der Kommission vom 21. Juni 2012 über die Überwachung von und die Berichterstattung über Treibhausgasemissionen gemäß der Richtlinie 2003/87 (ABl. L 181, 30).


21 – Entscheidung der Kommission vom 18. Juli 2007 zur Festlegung von Leitlinien für die Überwachung und Berichterstattung betreffend Treibhausgasemissionen im Sinne der Richtlinie 2003/87 (Monitoring-Leitlinien) (ABl. L 229, S. 1).


22 – Siehe oben, Nrn. 71 ff.


23 – Siehe oben, Nrn. 86 ff.


24 – Urteil Kommission/Estland (C‑505/09 P, EU:C:2012:179, Rn. 54).


25 – Mitteilung der Kommission vom 22. Dezember 2005 „Neue Hinweise zu den Zuteilungsplänen für den Handelszeitraum 2008-2012 des Systems für den EU-Emissionshandel“, KOM(2005) 703 endg., Rn. 36 und Annex 8.


26 – Papier der DG Klimapolitik (zitiert in Fn. 15, S. 2).


27 – Siehe etwa die Urteile Régie Networks (C‑333/07, EU:C:2008:764, Rn. 63), AJD Tuna (C‑221/09, EU:C:2011:153, Rn. 58) und Banco Privado Português und Massa Insolvente do Banco Privado Português (C‑667/13, EU:C:2015:151, Rn. 44).


28 – Urteile SISMA/Kommission (32/86, EU:C:1987:187, Rn. 8), Corus UK/Kommission (C‑199/99 P, EU:C:2003:531, Rn. 145), Ziegler/Kommission (C‑439/11 P, EU:C:2013:513, Rn. 115) und Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission (C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 93).


29 – Urteile AJD Tuna (C‑221/09, EU:C:2011:153, Rn. 59) sowie Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Kommission (C‑398/13 P, EU:C:2015:535, Rn. 29).


30 – Urteile Eridania zuccherifici nazionali u. a. (250/84, EU:C:1986:22, Rn.  38), Italien/Rat und Kommission (C‑100/99, EU:C:2001:383, Rn. 64), British American Tobacco (Investments) und Imperial Tobacco (C‑491/01, EU:C:2002:741, Rn. 166), Arnold André (C‑434/02, EU:C:2004:800, Rn. 62), Alliance for Natural Health u. a. (C‑154/04 und C‑155/04, EU:C:2005:449, Rn. 134), AJD Tuna (C‑221/09, EU:C:2011:153, Rn. 59) sowie Estland/Parlament und Rat (C‑508/13, EU:C:2015:403, Rn. 60).


31 – Urteil Delacre u. a./Kommission (C‑350/88, EU:C:1990:71, Rn. 16).


32 – Urteile Mobistar (C‑438/04, EU:C:2006:463, Rn. 40) und Varec (C‑450/06, EU:C:2008:91, Rn. 52).


33 – Urteile Varec (C‑450/06, EU:C:2008:91, Rn. 53 und 54) und für sicherheitsrelevante Informationen Kommission u. a./Kadi (C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 117 bis 129).


34 – Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates (ABl. L 41, S. 26).


35 – Urteil Niederlande und Leeuwarder Papierwarenfabriek/Kommission (296/82 und 318/82, EU:C:1985:113, Rn. 27).


36 – Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft (ABl. L 264, S. 13).


37 – Urteil Ville de Lyon (C‑524/09, EU:C:2010:822, Rn. 40).


38 – Vgl. Art. 4 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43) und das Urteil Internationaler Hilfsfonds/Kommission (C‑362/08 P, EU:C:2010:40, Rn. 56 und 57).


39 – Zitiert in Fn. 15.


40 – Urteile Kommission/Parlament und Rat (C‑378/00, EU:C:2003:42, Rn. 66) und Etimine (C‑15/10, EU:C:2011:504, Rn. 113).


41 – Illustrativ das Urteil Krupp Stahl/Kommission (275/80 und 24/81, EU:C:1981:247, Rn. 13).


42 – Siehe etwa die Urteile Arnold André (C‑434/02, EU:C:2004:800, Rn. 62) sowie Gauweiler u.a. (C‑62/14, EU:C:2015:400, Rn. 70).


43 – Urteile Kamberaj (C‑571/10, EU:C:2012:233, Rn. 60) und Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 44) sowie Gutachten 2/13 (EU:C:2014:2454, Rn. 179).


44 – Urteil Sky Österreich (C‑283/11, EU:C:2013:28, Rn. 34).


45 – EGMR, z. B. Urteile vom 28. September 2004, Kopecký/Slowakei (Beschwerde-Nr. 44912/98, Recueil des arrêts et décisions 2004-IX, Rn. 35) und vom 25. Juni 2013, Gáll/Ungarn (Beschwerde-Nr. 49570/11, Rn. 33 und 34).


46 – Siehe in diesem Sinn die Urteile Centre public d’action sociale d’Ottignies-Louvain-La-Neuve (C‑562/13, EU:C:2014:2453, Rn. 47) sowie Minister for Justice and Equality (C‑237/15 PPU, EU:C:2015:474, Rn. 56 und 57).


47 – Vgl. EGMR, Urteil vom 6. Oktober 2005, Maurice/Frankreich (Beschwerde-Nr. 11810/03, Recueil des arrêts et décisions 2005-IX, Rn. 65 und 66).


48 – Damit sind auch die Anforderungen an die Identifizierung der Rechtsgrundlage in der Begründung erfüllt, vgl. Urteile Kommission/Rat (45/86, EU:C:1987:163, Rn. 9) und Kommission/Rat (C‑370/07, EU:C:2009:590, Rn. 56).


49 – Vgl. analog die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Benennung der Rechtsgrundlage als Teil der Begründungspflicht in den Urteilen Kommission/Rat (45/86, EU:C:1987:163, Rn. 9) und Kommission/Rat (C‑370/07, EU:C:2009:590, Rn. 56).


50 – Vgl. Urteile Kommission/Parlament und Rat (C‑427/12, EU:C:2014:170, Rn. 39), Parlament/Kommission (C‑65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 43) und Kommission/Parlament und Rat (C‑88/14, EU:C: 2015:499, Rn. 30).


51 – Vgl. Urteil Parlament/Kommission (C‑65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 46).


52 – Vgl. Urteile Parlament/Kommission (C‑65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 45) und Kommission/Parlament und Rat (C‑88/14, EU:C: 2015:499, Rn. 31).


53 – Vgl. auch Urteil Kommission/Parlament und Rat (C‑88/14, EU:C:2015:499, Rn. 44).


54 – Verordnung (des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. L 55, S. 13).


55 – Urteile TWD Textilwerke Deggendorf (C‑188/92, EU:C:1994:90, Rn. 23), Pringle (C‑370/12, EU:C:2012:756, Rn. 41) und Banco Privado Português und Massa Insolvente do Banco Privado Português (C‑667/13, EU:C:2015:151, Rn. 28).


56 – Urteile TWD Textilwerke Deggendorf (C‑188/92, EU:C:1994:90, Rn. 18 und 24), Pringle (C‑370/12, EU:C:2012:756, Rn. 41) und Banco Privado Português und Massa Insolvente do Banco Privado Português (C‑667/13, EU:C:2015:151, Rn. 28).


57 – Urteile Plaumann/Kommission (25/62, EU:C:1963:17, 238), Sahlstedt u. a./Kommission (C‑362/06 P, EU:C:2009:243, Rn. 26), Stichting Woonpunt u. a./Kommission (C‑132/12 P, EU:C:2014:100, Rn. 57) und T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission (C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 63).


58 – Urteil Sahlstedt u. a./Kommission (C‑362/06 P, EU:C:2009:243, Rn. 29).


59 – Urteil Sahlstedt u. a./Kommission (C‑362/06 P, EU:C:2009:243, Rn. 30).


60 – Urteile Stichting Woonpunt u. a./Kommission (C‑132/12 P, EU:C:2014:100, Rn. 59).


61 – Vgl. oben, Nr. 163.


62 – Urteil Codorniu/Rat (C‑309/89, EU:C:1994:197, Rn. 21 und 22).


63 – Urteil Kommission/Infront WM (C‑125/06 P, EU:C:2008:159, Rn. 73 bis 77).


64 – Urteile Sahlstedt u. a./Kommission (C‑362/06 P, EU:C:2009:243, Rn. 31), Stichting Woonpunt u. a./Kommission (C‑132/12 P, EU:C:2014:100, Rn. 58) und T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission (C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 64).


65 – Urteil des Gerichts T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission (T‑279/11, EU:T:2013:299, Rn. 84).


66 – Klarstellend Urteil des Gerichts T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission (T‑279/11, EU:T:2013:299, Rn. 81).


67 – Urteil T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission (C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 65 und 66).


68 – Urteile Roquette Frères (C‑228/92, EU:C:1994:168, Rn. 17) und Centre d’exportation du livre français (C‑199/06, EU:C:2008:79, Rn. 61 und 63).


69 – Urteil International Chemical Corporation (66/80, EU:C:1981:102, Rn. 13) und Beschluss Fratelli Martini und Cargill (C‑421/06, EU:C:2007:662, Rn. 54).


70 – Siehe oben, Nrn. 110 ff.


71 – Urteile FIAMM u. a./Rat und Kommission (C‑120/06 P und C‑121/06 P, EU:C:2008:476, Rn. 123) sowie Régie Networks (C‑333/07, EU:C:2008:764, Rn. 124).


72 – Urteile Parlament/Rat (C‑22/96, EU:C:1998:258, Rn. 42) und Régie Networks (C‑333/07, EU:C:2008:764, Rn. 121).


73 – Urteile Bidar (C‑209/03, EU:C:2005:169, Rn. 69) und Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256, Rn. 42).