Language of document : ECLI:EU:C:2012:501

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PEDRO CRUZ VILLALÓN

vom 19. Juli 2012(1)

Rechtssache C‑367/11

Déborah Prete

gegen

Office national de l’emploi

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Belgien])

„Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Leistungen für Jugendliche, die auf der Suche nach ihrer ersten Beschäftigung sind – Anspruch der Arbeitsuchenden auf den Leistungsbezug – Bewilligung unter der Bedingung, dass zuvor sechs Jahre lang eine Bildungseinrichtung im Aufnahmestaat besucht wurde – Mittelbare Diskriminierung – Verhältnismäßigkeit“





1.        Die belgische Cour de cassation legt dem Gerichtshof erneut ein Vorabentscheidungsersuchen zum belgischen System der Sozialleistungen zur Eingliederung von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt (im Folgenden: Überbrückungsgeld) für junge Arbeitsuchende vor. Nach den Urteilen Deak(2), Kziber(3), Kommission/Belgien(4), D’Hoop(5) und Ioannidis(6) wurde das belgische Recht mehrfach geändert, um es nach und nach den Erfordernissen der Freizügigkeit von Personen und Arbeitnehmern anzupassen. Die letzte Reform wirft jedoch Zweifel auf, denn die Antragsteller müssen zuvor mindestens sechs Jahre eine belgische Bildungseinrichtung besucht haben. Diese Voraussetzung gilt auch für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens in anderen Staaten als Belgien die Schule besucht haben.

2.        Die vorliegende Rechtssache bietet dem Gerichtshof Gelegenheit, seine Rechtsprechung zu Sozialleistungen für Arbeitsuchende fortzuentwickeln. Diese Materie, die seit dem Urteil Collins(7) in Rechtsprechung und Gesetzgebung ständig fortentwickelt wurde, bedarf einiger Klarstellungen durch den Gerichtshof, insbesondere im Hinblick auf das Bestehen einer Verbindung zwischen dem Arbeitsuchenden und dem Aufnahmestaat. Hierbei handelt es sich um eine heikle Frage, die diese Schlussanträge rechtfertigt.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Rechtsrahmen der Union

3.        Nach Art. 18 EG (Art. 21 AEUV) hat „[j]eder Unionsbürger … das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten“.

4.        Art. 39 EG (Art. 45 AEUV), der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer regelt, bestimmt:

„(1)      Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

(2)      Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

(3)      Sie gibt – vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen – den Arbeitnehmern das Recht:

a)      sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben;

b)      sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;

…“

5.        Die Art. 3 und 7 der Verordnung Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft(8) sehen vor:

„Artikel 3

(1)      Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder Verwaltungspraktiken eines Mitgliedstaats,

–        die das Stellenangebot und das Arbeitsgesuch, den Zugang zur Beschäftigung und deren Ausübung durch Ausländer einschränken oder von Bedingungen abhängig machen, die für Inländer nicht gelten,

–        oder die, ohne auf die Staatsangehörigkeit abzustellen, ausschließlich oder hauptsächlich bezwecken oder bewirken, dass Angehörige der übrigen Mitgliedstaaten von der angebotenen Stelle ferngehalten werden,

finden im Rahmen dieser Verordnung keine Anwendung.

Artikel 7

„(1)      Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

(2)      Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.

…“

B –    Nationaler Rechtsrahmen

6.        Nach Art. 36 Abs. 1 des Königlichen Erlasses vom 25. November 1991 hat ein junger Arbeitnehmer Anspruch auf Überbrückungsgeld, wenn er folgende Voraussetzungen erfüllt:

„(1)      Er ist nicht mehr schulpflichtig;

(2)      a)      er hat eine Schulbildung mit Vollzeitunterricht der Sekundarstufe II oder das dritte Jahr des Vollzeitunterrichts in der technischen, künstlerischen oder berufsbildenden Sekundarstufe an einer von einer Gemeinschaft errichteten, bezuschussten oder anerkannten Bildungseinrichtung abgeschlossen;

      j)      oder er besitzt ein von einer Gemeinschaft ausgestelltes Zeugnis, aus dem sich die Gleichwertigkeit mit der Bescheinigung im Sinne von Buchst. b ergibt, oder ein Zeugnis, das Zugang zur tertiären Bildung verschafft; dieser Buchstabe findet nur dann Anwendung, wenn zuvor mindestens sechs Ausbildungsjahre an einer von einer Gemeinschaft errichteten, anerkannten oder bezuschussten Bildungseinrichtung abgeschlossen worden sind …“

7.        Buchst. j wurde durch den Königlichen Erlass vom 11. Februar 2003 auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache D’Hoop eingefügt.

II – Sachverhalt

8.        Frau Prete, die 1981 geboren wurde, ist französische Staatsangehörige und seit 2001 mit einem belgischen Staatsangehörigen verheiratet. Seit dem Jahr ihrer Eheschließung wohnt Frau Prete mit ihrem Ehemann in Belgien, und kurz darauf, am 1. Februar 2002, meldete sie sich beim belgischen Arbeitsamt als Arbeitsuchende.

9.        Vom 3. bis zum 8. Juni 2002 und am 5. September 2002 ging sie im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses einer abhängigen Beschäftigung nach.

10.      Am 1. Juni 2003 beantragte Frau Prete bei den belgischen Behörden Überbrückungsgeld. Dabei handelt es sich um Leistungen bei Arbeitslosigkeit für Schulabgänger, die auf der Suche nach ihrer ersten Beschäftigung sind. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 11. September 2003 abgelehnt, da Frau Prete nicht wie im Königlichen Erlass vom 25. November 2001 vorgesehen mindestens sechs Jahre eine belgische Bildungseinrichtung besucht habe.

11.      Tatsächlich hat Frau Prete ihre Sekundarschulbildung in Frankreich absolviert und dort das Baccalauréat professionnel (Fachabitur) mit dem Schwerpunkt Sekretariatswesen erworben und erfüllt daher eine der wesentlichen Voraussetzungen des zitierten Königlichen Erlasses nicht.

12.      Das Tribunal du travail de Tournai hat der Klage von Frau Prete gegen die ablehnende Entscheidung in erster Instanz stattgegeben. Die beklagte Verwaltung, das Office national de l’emploi, hat gegen das Urteil jedoch Berufung eingelegt. In der zweiten Instanz bestätigte die Cour du travail de Mons die ablehnende Verwaltungsentscheidung. Dieser Entscheidung liegt die Kassationsbeschwerde zugrunde, die Frau Prete bei der belgischen Cour de cassation, die das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen vorlegt, eingelegt hat.

III – Vorlagefrage an den Gerichtshof

13.      Das Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation wurde am 11. Juli 2011 in das Register der Kanzlei eingetragen. Mit ihm werden die beiden folgenden Fragen vorgelegt:

1.      Stehen die Art. 12, 17, 18 und gegebenenfalls 39 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der konsolidierten Fassung des Vertrags von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegen, die wie Art. 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. j des belgischen Königlichen Erlasses vom 25. November 1991 zur Regelung der Arbeitslosigkeit den Anspruch auf Überbrückungsgeld eines Schulabgängers, der Angehöriger der Europäischen Union ist, der kein Arbeitnehmer im Sinne von Art. 39 EG ist, der seine Sekundarschulbildung in der Europäischen Union, aber nicht in einer von einer der Gemeinschaften Belgiens errichteten, bezuschussten oder anerkannten Bildungseinrichtung absolviert hat und entweder ein von einer dieser Gemeinschaften ausgestelltes Zeugnis besitzt, aus dem sich die Gleichwertigkeit seiner Ausbildung mit der durch eine Bescheinigung des zuständigen Prüfungsausschusses einer dieser Gemeinschaften nachgewiesenen Ausbildung in den genannten belgischen Bildungseinrichtungen ergibt, oder ein Zeugnis, das Zugang zur tertiären Bildung eröffnet, von der Voraussetzung abhängig macht, dass dieser Schulabgänger zuvor sechs Jahre lang eine von einer der Gemeinschaften Belgiens errichtete, anerkannte oder bezuschusste Bildungseinrichtung besucht hat, wenn diese Voraussetzung ausschließlich und absolut ist?

2.      Wenn ja: Ist bei der Beurteilung der Frage, ob im Hinblick auf die Art. 12, 17, 18 und gegebenenfalls 39 EG ein Zusammenhang zwischen dem in der ersten Frage beschriebenen Schulabgänger und dem belgischen Arbeitsmarkt besteht, zu berücksichtigen, dass der Schulabgänger, der nicht sechs Jahre lang eine belgische Bildungseinrichtung besucht hat, mit seinem belgischen Ehegatten in Belgien wohnt und bei einem belgischen Arbeitsamt als Arbeitsuchender gemeldet ist? Inwieweit ist die Dauer dieser Zeiten des Aufenthalts, der Ehe und der Eintragung als Arbeitsuchender zu berücksichtigen?

14.      Der Vertreter von Frau Prete, die Regierungen des Königreichs Belgien und der Tschechischen Republik sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

IV – Zu den Fragen der Cour de cassation

15.      Einleitend ist klarzustellen, dass sich die beiden Fragen des vorlegenden Gerichts im Kern auf ein und dasselbe Problem beziehen: die mögliche Verletzung einer oder mehrerer Verkehrsfreiheiten. Während sich die erste Frage auf das Bestehen einer Beschränkung richtet, betrifft die zweite die Rechtfertigungen, die in Betracht kommen, wenn die belgische Regelung tatsächlich eine Beschränkung darstellt.

16.      Das vorlegende Gericht hat auch Zweifel hinsichtlich der auf den Fall anwendbaren Freiheit. In seiner ersten Frage nimmt es Bezug auf die Art. 12, 17, 18 und 39 EG; es tut dies zudem alternativ und gibt dadurch zu verstehen, dass es um Hilfe bei der Bestimmung der einschlägigen Bestimmungen bittet.

17.      Im vorliegenden Fall geht es um eine französische Arbeitsuchende, die ihren Wohnsitz in Belgien hat, wo sie mit einem belgischen Staatsangehörigen die Ehe geschlossen hat und ein Übergangsgeld begehrt, das für Personen vorgesehen ist, die ihre Ausbildung beendet haben und beabsichtigen, sich in den belgischen Arbeitsmarkt einzugliedern. Es kreuzen sich mithin verschiedene Profile (Schüler, Arbeitsuchender, Arbeitnehmer und schließlich Ehegatte eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats), die das Zusammentreffen verschiedener Freiheiten rechtfertigen könnten.

18.      Nach dieser Darstellung des Auslegungsproblems, vor das uns das vorlegende Gericht stellt, wende ich mich zunächst dem zeitlichen und materiellen Anwendungsbereich der im vorliegenden Fall anwendbaren Bestimmungen zu. Sodann prüfe ich in zwei Schritten eine mögliche Verletzung der betroffenen Freiheit: erstens die Frage, ob es sich um eine Beschränkung der Freiheit handelt, und zweitens die Beurteilung der Rechtfertigung, die das Königreich Belgien geltend gemacht hat und die auf das Fehlen einer Verbindung zwischen der Klägerin und dem Aufnahmestaat gestützt wird.

V –    Untersuchung

A –    Zeitlicher und materieller Anwendungsbereich der in der vorliegenden Rechtssache anwendbaren Bestimmungen

19.      Vorab ist zu bestimmen, ob sich die Situation, in der sich Frau Prete befindet, nach den Vorschriften des geltenden Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nach seinem Inkrafttreten am 1. Dezember 2009 oder nach den Bestimmungen des aufgehobenen Vertrags über die Europäische Gemeinschaft richtet.

20.      Aus der Akte ergibt sich, dass Frau Prete das Übergangsgeld am 1. Juni 2003 beantragt hat. Am 11. September 2003 wurde ihr Antrag von den belgischen Behörden abgelehnt. Daher ist für den Antrag von Frau Prete das 2003 geltende Recht maßgebend, also der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft. Somit sind im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren die Bestimmungen dieses Vertrags auszulegen.

21.      Nach dieser Feststellung stellt sich sofort die Frage, welche Bestimmungen des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft im vorliegenden Fall einschlägig sind. Einerseits begehrt Frau Prete eine Beihilfe, die der Förderung der Eingliederung junger Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt dient, so dass ihre Situation als die einer Arbeitsuchenden eingestuft werden könnte. Andererseits ergibt sich aus der Akte, dass Frau Prete vor dem Antrag auf die Beihilfe gearbeitet hatte, wenn auch nur sehr kurzzeitig und punktuell. Hinzu kommt der Umstand, dass Frau Prete mit einem belgischen Staatsangehörigen verheiratet ist und die Beihilfe beantragt hat, nachdem sie die Voraussetzung, eine Bildungseinrichtung besucht zu haben, erfüllt hatte, was die Anwendung von Art. 18 EG rechtfertigen könnte.

22.      Es ist nicht das erste Mal, dass der Gerichtshof Gelegenheit hat, die Voraussetzungen für belgische Überbrückungsgelder im Licht der Grundfreiheiten zu prüfen. Er hatte diese Leistungen bereits in den 80er-Jahren untersucht und sie als „soziale Vergünstigungen“ im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68 bezeichnet(9). Im Urteil D’Hoop bestätigte er, dass diese Leistungen nicht nur der Verordnung Nr. 1612/68 unterliegen, sondern auch dem in Art. 12 EG geregelten Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit(10). Später, im Urteil Collins, hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Ablehnung einer Beihilfe für den Zugang zum Arbeitsmarkt gegenüber einem Arbeitsuchenden, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, im Licht des Art. 39 EG, der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer regelt, geprüft werden kann(11). Im spezifischen Fall der belgischen Überbrückungsgelder hat der Gerichtshof in der Rechtssache Ioannidis festgestellt, dass es „nicht mehr möglich [ist], vom Anwendungsbereich des Art. 39 Abs. 2 EG eine finanzielle Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern soll“(12). Daher und soweit Frau Prete eine Leistung als Arbeitsuchende beantragt, ist prima facie Art. 39 Abs. 2 EG die einschlägige Bestimmung.

23.      Die Tatsache, dass der Schulbesuch Voraussetzung für die Leistung ist, oder dass Frau Prete Ehegattin eines belgischen Staatsangehörigen ist, rechtfertigt eine Prüfung dieser Rechtssache im Licht des freien Personenverkehrs nicht. Wenn ein Umstand vorliegt, der die Klägerin zur Inhaberin einer wirtschaftlichen Freiheit wie der Freizügigkeit der Arbeitnehmer macht, hat nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Letztere Vorrang gegenüber dem in Art. 18 EG geregelten freien Personenverkehr.

24.      Es ist noch auf einen weiteren Gesichtspunkt einzugehen, denn Frau Prete hat vor der Beantragung des Überbrückungsgelds mehrere Arbeitsstellen gehabt, wenngleich sie von sehr geringer Dauer waren: eine Woche und einen Tag. Es ist daher zu fragen, ob Frau Prete dadurch zur „Arbeitnehmerin“ statt zur „Arbeitsuchenden“ wird, eine Frage, die eine andere Auslegung der im vorliegenden Fall anwendbaren Vorschriften rechtfertigen würde.

25.      Der Gerichtshof, der bei zahlreichen Gelegenheiten die autonome Natur des Begriffs des „Arbeitnehmers“ hervorgehoben hat, lässt dabei Tätigkeiten außer Betracht, die sich als völlig „untergeordnet und unwesentlich“ darstellen(13). In der Rechtssache Raulin hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Unregelmäßigkeit und die beschränkte Dauer der im Rahmen eines Vertrags über Gelegenheitsarbeit tatsächlich erbrachten Leistungen zu berücksichtigen sind(14). Zwar ist es letztendlich Sache des vorlegenden Gerichts, anhand des vorgetragenen Sachverhalts zu beurteilen, ob es sich lediglich um eine Gelegenheitsarbeit handelt, doch sind die im Rahmen dieses Vorabentscheidungsverfahrens vorgetragenen Gesichtspunkte hinreichend klar, um dem vorlegenden Gericht eine Antwort geben und ausschließen zu können, dass Frau Prete „Arbeitnehmerin“ im engen Sinne des EG-Vertrags ist.

26.      Unter diesen Umständen bin ich angesichts des Gelegenheits- und damit untergeordneten und unwesentlichen Charakters der von Frau Prete im Jahr 2002 ausgeübten Tätigkeit der Ansicht, dass sie spezifisch als Arbeitsuchende mit den sich hieraus ergebenden Konsequenzen zu behandeln ist.

B –    Zum Vorliegen einer Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Fall einer Arbeitsuchenden

27.      An dieser Stelle ist zu prüfen, ob eine nationale Bestimmung, die die Gewährung eines Überbrückungsgelds von der Voraussetzung abhängig macht, während der Primar- und Sekundarausbildung mindestens sechs Jahre in Belgien zur Schule gegangen zu sein, eine Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer darstellt, die im vorliegenden Fall auf eine Arbeitsuchende angewendet wird.

28.      An diesem Punkt macht die Tatsache, dass es sich bei Frau Prete um eine Arbeitsuchende und nicht um eine Arbeitnehmerin handelt, eine spezifische Untersuchung im Licht der Bestimmungen und der Rechtsprechung, die auf diese Art von Rechtssubjekten anwendbar sind, ratsam.

29.      Es ist ferner danach zu fragen, ob die Verordnung Nr. 1612/68, konkret ihr Art. 37, Auswirkungen auf das vorliegende Verfahren hat; dies ist zu verneinen. Zwar wird nämlich durch die Verordnung das Verbot der Diskriminierung von Arbeitnehmern und ihren Familienmitgliedern beim Zugang zu „sozialen Vergünstigungen“ gewährleistet(15). Grundlage dieser Gewährleistung bildet bei Arbeitsuchenden jedoch nicht die zitierte Verordnung, sondern unmittelbar der Vertrag. Vor dem Erlass des Urteils Collins schloss der Gerichtshof diese Personengruppe vom Zugang zu Sozialleistungen aus. Und obwohl in dem angeführten Urteil dieser Gedanke im Licht der Bestimmungen des Vertrags über die Unionsbürgerschaft geändert wurde, wurde in ihm nicht ausdrücklich zu den Auswirkungen dieser Bestimmungen auf die Verordnung Nr. 1612/68 Stellung genommen(16). Daher findet die Leistung, die Frau Prete beansprucht, ihre unmittelbare Stütze in Art. 39 EG, ausgelegt im Licht der Unionsbürgerschaft.

30.      Nachdem feststeht, dass ausschließlich der Vertrag anzuwenden ist, ist daran zu erinnern, dass Art. 39 Abs. 2 EG die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen festschreibt. Bekanntermaßen umfasst dieses Verbot auch Arbeitsuchende und betrifft unmittelbare wie mittelbare Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit(17). Seit dem Urteil Collins, in dem der Gerichtshof seine Rechtsprechung änderte, verbietet die Bestimmung auch jede Art von Diskriminierung beim Zugang zu Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt.

31.      In der vorliegenden Rechtssache ist nach Art. 36 Abs. 1 Unterabs. 2 des Königlichen Erlasses vom 25. November 1991, insbesondere dessen Buchst. j, für den Anspruch auf das Überbrückungsgeld Voraussetzung, dass zuvor mindestens sechs Ausbildungsjahre an einer von einer Gemeinschaft errichteten, anerkannten oder bezuschussten Bildungseinrichtung abgeschlossen worden sind. Diese Voraussetzung gilt auch für Arbeitsuchende, die ihre Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat absolviert haben und deren Abschluss, wie im Fall von Frau Prete, in Belgien anerkannt worden ist.

32.      Bereits im Urteil D’Hoop, in dem es um eine belgische Staatsangehörige ging, die ihr Studium in Frankreich absolviert hatte, hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Voraussetzung, dass die Ausbildung an einer belgischen Bildungseinrichtung absolviert worden sein muss, „bestimmte eigene Staatsangehörige allein deshalb [benachteiligt], weil sie ihr Recht auf Freizügigkeit genutzt und ihre Schulbildung in einem anderen Mitgliedstaat erhalten haben“(18). Etwas später, im Urteil Ioannidis, das einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats betraf, der Überbrückungsgeld zur Eingliederung in den belgischen Arbeitsmarkt beantragt hatte, hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Voraussetzung, die Ausbildung an einer belgischen Bildungseinrichtung absolviert zu haben, „die Gefahr [birgt], dass hauptsächlich die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten benachteiligt werden“(19). In diesem Urteil wurde der Gedanke fortgeführt, und der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass „[die Voraussetzung, die Ausbildung an einer belgischen Bildungseinrichtung absolviert zu haben] von den inländischen Staatsangehörigen leichter erfüllt werden“ kann(20).

33.      Das Königreich Belgien hat seine nationalen Vorschriften aufgrund der Urteile D’Hoop und Ioannidis geändert, aber die zitierte Voraussetzung der sechs Ausbildungsjahre an einer belgischen Bildungseinrichtung eingeführt, durch die belgische Staatsangehörige weiterhin besser gestellt sind als Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten. Sowohl die Voraussetzung als solche wie ihre ausgedehnte Dauer wirken auf Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen wollen, abschreckend.

34.      Daher und im Licht der dargestellten Argumente bin ich der Ansicht, dass Art. 36 Abs. 1 Unterabs. 2 des Königlichen Erlasses vom 25. November 1991, insbesondere sein Buchst. j, eine Beschränkung der in Art. 39 EG verankerten Freizügigkeit der Arbeitnehmer darstellt, wenn er auf eine Arbeitsuchende angewendet wird, die ein Überbrückungsgeld beantragt.

35.      Nun muss noch geklärt werden, ob die in der belgischen Rechtsordnung geregelte Beschränkung im Licht des EG-Vertrags gerechtfertigt ist; auf dieses Problem konzentriert sich die zweite Frage der Cour de cassation.

C –    Die Rechtfertigung der Beschränkung

36.      Das vorlegende Gericht möchte mit seiner zweiten Frage wissen, ob Umstände wie die Dauer der Aufenthalte von Frau Prete in Belgien, ihre Ehe mit einem belgischen Staatsangehörigen und ihre Meldung als Arbeitsuchende bei der belgischen Verwaltung ausreichen, um eine Rechtfertigung der Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausschließen zu können. Letztendlich wird der Gerichtshof gefragt, welche spezifischen Integrationsniveaus im Aufnahmestaat für die Gewährleistung des Anspruchs auf Überbrückungsgeld erforderlich sind.

37.      Die Kommission hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof hinsichtlich der Gewährleistung des Anspruchs auf Sozialleistungen durch Personen, die von der Freizügigkeit im Gebiet der Union Gebrauch machen, wiederholt auf das Erfordernis der Integration zurückgegriffen habe; dabei müssen aber die jeweiligen spezifischen Bereiche, zu denen die Rechtsprechung Stellung genommen habe, unterschieden werden. So bezieht sich die in Urteilen wie Bidar(21), Förster(22), Morgan(23) und Kommission/Niederlande(24) entwickelte Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Studenten auf die Integration von Personen, die von der Freizügigkeit Gebrauch machen, um in einem anderen Mitgliedstaat zu studieren. Logischerweise kann das Kriterium, das der Gerichtshof in diesen Fällen entwickelt hat, nicht automatisch auf Arbeitsuchende angewendet werden, deren Zielsetzung rein wirtschaftlich ist und an die Ziele einer anderen Verkehrsfreiheit als die, die auf Studenten anwendbar ist, anknüpft. Daher müssen die Tragweite der Rechtsprechung des Gerichtshofs eingegrenzt und die Integrationskriterien identifiziert werden, die spezifisch für Arbeitsuchende, die ein Überbrückungsgeld beantragen, gelten.

38.      Das Präzedenzurteil zu diesem Punkt ist, wie ich bereits angemerkt habe, das Urteil in der Rechtssache Collins(25). Damals änderte der Gerichtshof seine bisherige Rechtsprechung und kam infolge des Inkrafttretens der Unionsbürgerschaft zu dem Schluss, dass eine Leistung zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt Teil der nationalen Maßnahmen bildet, die der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, angewendet auf Arbeitsuchende, unterfallen. Im Urteil Collins wurde festgestellt, dass ein Staatsangehörigkeitserfordernis für den Zugang zu diesen Leistungen ein Hindernis für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer darstellt, jedoch weiter ausgeführt, dass es sich um eine Maßnahme handelt, die gerechtfertigt ist „wenn [sie] auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen [beruht] und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck [steht], der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird“ (26). 

39.      Unter den vom Staat zulässigerweise verfolgten Zwecken hat der Gerichtshof in dem zitierten Urteil „eine Verbindung zwischen den Personen, die eine solche Beihilfe beantragen, und seinem Arbeitsmarkt“ (dem des Aufnahmestaats) hervorgehoben(27). Nach der Rechtsprechung kann der Aufnahmemitgliedstaat mithin verlangen, dass Arbeitsuchende aus anderen Mitgliedstaaten ein gewisses Integrationsniveau aufweisen. Diese Integration kann zwischen dem Arbeitsuchenden und dem Arbeitsmarkt bestehen, es kann sich aber auch um eine Verbindung zwischen dem Arbeitsuchenden und der ihn aufnehmenden Gesellschaft handeln, sei es aufgrund familiärer oder emotionaler Beziehungen zu Staatsangehörigen des Aufnahmestaats oder eines langen Aufenthalts.

40.      Wendet man diese Kriterien auf den vorliegenden Fall an, ist zunächst festzustellen, dass die streitige Maßnahme, also die Voraussetzung, mindestens sechs Jahre lang eine belgische Bildungseinrichtung besucht zu haben, eine „objektive“ Maßnahme darstellt, die „unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Person“ ist. Es handelt sich um eine geregelte Voraussetzung, die darüber hinaus als solche nicht zwischen belgischen und anderen Staatsangehörigen unterscheidet, so dass sie die erste von der Rechtsprechung aufgestellte Anforderung erfüllt.

41.      Der Punkt, der größere Probleme aufwirft, betrifft jedoch die Verhältnismäßigkeit der streitigen Maßnahme, die ich an dieser Stelle im Licht der umfangreichen Rechtsprechung des Gerichtshofs prüfen werde.

42.      Eine Voraussetzung, nach der mindestens sechs Jahre eine belgische Bildungseinrichtung besucht worden sein muss, stellt in der Tat eine objektive Voraussetzung dar, mit der der Zweck verfolgt wird, zu gewährleisten, dass eine ausreichende Verbindung zwischen einer Person, die Überbrückungsgeld beantragt, und dem belgischen Staat besteht. Damit die Maßnahme angesichts der mit ihr verfolgten Zwecke verhältnismäßig ist, muss sie geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Zwar habe ich soeben festgestellt, dass die Maßnahme objektiv der Gewährleistung der Integration dient (und damit geeignet ist), doch werfen ihre Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne größere Zweifel auf.

43.      Bereits in der Rechtssache D’Hoop hat der Gerichtshof für dieselbe Beihilfe, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, eine Zugangsvoraussetzung abgelehnt, die auf den Ort abstellte, an dem das Schulabgangszeugnis erworben wurde. Der Gerichtshof war der Ansicht, dass eine solche Maßnahme „zu allgemein und einseitig“ ist, da sie „einem Gesichtspunkt unangemessen hohe Bedeutung bei[misst], der nicht zwangsläufig für den tatsächlichen und effektiven Grad der Verbundenheit des Antragstellers mit dem räumlichen Arbeitsmarkt repräsentativ ist, und … jeden anderen repräsentativen Gesichtspunkt [ausschließt]“.

44.      Aus dieser Perspektive betrachtet kommt eine Voraussetzung, die auf die Dauer der Ausbildung in Belgien abstellt, de facto einem Aufenthaltserfordernis gleich, denn es ist offenkundig, dass ein Minderjähriger in dem Mitgliedstaat, in dem er wohnt, die Schule besucht. Auf der anderen Seite ähnelt die Voraussetzung den Voraussetzungen, die der Gerichtshof bereits in den angeführten Rechtssachen D’Hoop und Ioannidis geprüft (und verurteilt) hat, denn eine Ausbildungsdauer von sechs Jahren ist lang genug, um in der Mehrzahl der Fälle die Schüler zu begünstigen, die ihre Ausbildung an belgischen Bildungseinrichtungen beenden. Es handelt sich daher um eine Maßnahme, die noch belastender ist als die, die der Gerichtshof in der Vergangenheit gerügt hat, denn sie schreibt nicht nur de facto eine Verbundenheit mit einer belgischen Bildungseinrichtung vor, sondern erstreckt sie über einen Zeitraum, der offenkundig übermäßig lang ist.

45.      Eine vorhergehende Verbundenheit von sechs Jahren für Arbeitsuchende stellt einen sehr langen Zeitraum dar, der noch länger ist als der, der von nicht erwerbstätigen Personen verlangt wird, der bekanntermaßen fünf Jahre beträgt(28). Der Gerichtshof hat diese zeitliche Verbundenheit für Studenten bestätigt, aber auch unterstrichen, dass es sich dabei um eine Voraussetzung handelt, die ausschließlich auf Personen angewendet werden darf, die nicht erwerbstätig sind(29). 

46.      Der Fall der Arbeitsuchenden ist anders gelagert. Zwar handelt es sich bei ihnen nicht um erwerbstätige Personen im engeren Sinne, aber es ist unstreitig, dass die Verträge ihnen aufgrund der bloßen Tatsache, dass sie eine Arbeit suchen, den gleichen Status einräumen wie Personen, die aus wirtschaftlichen Gründen von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen. Wie ich bereits in Nr. 30 dieser Schlussanträge hervorgehoben habe, hat der Gerichtshof ausgehend vom Urteil Collins den Schutz Arbeitsuchender auch auf die Leistungsebene erstreckt und dadurch unterbunden, dass diese Gruppe beim Zugang zu Leistungen, mit denen ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt erleichtert werden soll, diskriminiert wird.

47.      Es handelt sich hier mithin um eine zu allgemeine Voraussetzung, die durch alternative, weniger belastende Voraussetzungen leicht ersetzt werden kann. Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass es sich um eine unverhältnismäßige Maßnahme handelt. Diese Einschätzung wird bestätigt, wenn man auf die Umstände des konkreten Falls eingeht.

48.      Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass Frau Prete seit 2001, als sie einen belgischen Staatsangehörigen heiratete, im Königreich Belgien wohnt. Zwei Jahre später beantragte sie, nachdem sie sich beim zuständigen Arbeitsamt gemeldet hatte, das Überbrückungsgeld. Kann man, obwohl sie im Besitz der erforderlichen Diplome war, zwei Jahre rechtmäßig in Belgien ihren Aufenthalt gehabt hatte, mit einem belgischen Staatsangehörigen verheiratet und beim Arbeitsamt in Belgien gemeldet war, behaupten, dass die Klägerin keine ausreichend ausgeprägte Verbundenheit mit dem Arbeitsmarkt und der sozialen Wirklichkeit des Aufnahmestaats aufweist? Wenn die belgischen Vorschriften in einem Fall wie dem vorliegenden zu dem Ergebnis kommen, dass es sich um einen Fall unzureichender Integration handelt, muss man im Hinblick auf ihre Rechtfertigung vernünftigerweise zu dem Schluss gelangen, dass es sich um eine Regelung handelt, die gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.

49.      Darüber hinaus wird durch die Tatsache, dass Frau Prete mit einem belgischen Staatsangehörigen verheiratet ist, ein zusätzlicher Gesichtspunkt eingeführt, den die Kommission zutreffend hervorgehoben hat. Eine nationale Maßnahme, durch die Personen der Zugang zu Überbrückungsgeldern versperrt wird, die rechtmäßig in Belgien ihren Aufenthalt genommen haben, nachdem sie mit einem belgischen Staatsangehörigen die Ehe geschlossen haben, stellt eine Maßnahme dar, die die familiäre Situation des Arbeitsuchenden unberücksichtigt lässt. Diese Umstände sind Zeugnis der möglichen Verbindungen, die im Aufnahmestaat geknüpft wurden, und obwohl sie in einigen Fällen beispielsweise auf das Bestehen einer rein persönlichen Bindung begrenzt sind, können sie in anderen Fällen, in denen sie nicht ordnungsgemäß berücksichtigt werden, einen Umstand darstellen, durch den das Grundrecht auf das Privatleben verletzt wird, das der Gerichtshof gerade im Kontext der Freizügigkeit anerkannt hat(30). Es ist offensichtlich, dass die in diesem Verfahren streitige Voraussetzung es weder den belgischen Behörden noch den belgischen Gerichten ermöglicht, diesen Umstand zu berücksichtigen. Daher und angesichts der Unmöglichkeit, persönliche Umstände wie den soeben dargestellten zu berücksichtigen, bin ich der Ansicht, dass die in Art. 36 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. j des Königlichen Erlasses vom 25. November 1991 vorgesehene Maßnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt und daher nicht geeignet ist, eine Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu rechtfertigen.

50.      Aufgrund der vorstehenden Ausführungen bin ich der Ansicht, dass eine Voraussetzung, nach der mindestens sechs Jahre eine belgische Bildungseinrichtung besucht worden sein muss, eine unverhältnismäßige Beschränkung darstellt, deren Allgemeinheit die Berücksichtigung der spezifischen Umstände des Einzelfalls verhindert, während sie andere weniger einschränkende Alternativen, durch die der von den belgischen Behörden verfolgte Zweck ebenso erreicht werden könnte, ausschließt.

VI – Ergebnis

51.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage der Cour de cassation wie folgt zu beantworten:

Art. 39 EG ist dahin auszulegen, dass er einer Maßnahme, wie sie Art. 36 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. j des Königlichen Erlasses vom 25. November 1991 vorsieht, die die Gewährung eines Überbrückungsgelds an einen Arbeitsuchenden, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, uneingeschränkt davon abhängig macht, dass dieser mindestens sechs Jahre lang eine von einer belgischen Gemeinschaft errichtete, anerkannte oder bezuschusste Bildungseinrichtung besucht hat, entgegensteht.


1 – Originalsprache: Spanisch.


2 –      Urteil vom 20. Juni 1985 (94/84, Slg. 1985, I‑1873).


3 –      Urteil vom 31. Januar 1991 (C‑18/90, Slg. 1991, I‑199).


4 –      Urteil vom 12. September 1996 (C‑278/94, Slg. 1996, I‑4307).


5 –      Urteil vom 11. Juli 2002 (C‑224/98, Slg. 2002, I‑6191).


6 –      Urteil vom 15. September 2005 (C‑258/04, Slg. 2005, I‑8275).


7 –      Urteil vom 23. März 2004 (C‑138/02, Slg. 2004, I‑2703).


8 – Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 (ABl. L 257, S. 2).


9 –      Vgl. Urteil Deak, Randnr. 24.


10 –      Vgl. Urteil D’Hoop. Randnrn. 27 ff.


11 –      Urteil Collins, Randnr. 63.


12 –      Urteil Ioannidis, Randnr. 22.


13 –      Vgl. u. a. Urteile vom 23. März 1982, Levin (53/81, Slg. 1982, 1035, Randnr. 17), vom 3. Juli 1986, Lawrie-Blum (66/85, Slg. 1986, 2121, Randnr. 21), und vom 17. März 2005, Kranemann (C‑109/04, Slg. 1995, I‑2421, Randnr. 12). Vgl. hierzu die Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Vatsouras (C‑22/08 und C‑23/08, Slg. 2009, I‑4585, Nrn. 23 bis 29).


14 –      Urteil vom 26. Februar 1992 (C‑357/89, Slg. 1992, I‑1027, Randnr. 14).


15 –      Vgl. Urteil Deak, Randnr. 24.


16 –      Urteil Collins, Randnrn. 60 und 61. Nr. 3 des Tenors dieses Urteils gibt ebenfalls Aufschluss über seine Tragweite, denn sie beschränkt sich ausdrücklich darauf, den Anspruch ausschließlich auf Art. 39 EG zu stützen.


17 –      Siehe auch Urteil vom 12. Februar 1974, Sotgiu (152/73, Slg. 1974, 153, Randnr. 11), Urteil vom 15. März 2005, Bidar (C‑209/03, Slg. 2005, I‑2119, Randnr. 51), und das schon angeführte Urteil Ionannidis (Randnr. 26).


18 –      Ebd., Randnr. 34.


19 –      Ebd., Randnr. 28.


20 –      Ebd.


21 –      Oben in Fn. 17 angeführt.


22 –      Urteil vom 18. November 2008 (C‑158/07, Slg. 2008, I‑8507).


23 –      Urteil vom 23. Oktober 2007 (C‑11/06 und C‑12/06, Slg. 2007, I‑9161).


24 –      Urteil vom 14. Juni 2012 (C‑542/09).


25 –      Oben in Fn. 7 angeführt.


26 –      Ebd., Randnr. 66.


27 –      Ebd., Randnr. 71.


28 – Vgl. Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG sowie das Urteil Förster.


29 –      Urteil Kommission/Niederlande (Randnrn. 60 f.).


30 –      Vgl. u. a. Urteil vom 11. Juli 2002, Carpenter (C‑60/00, Slg. 2002, I‑6279, Randnrn. 41 f.).