Language of document : ECLI:EU:C:2015:8

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

14. Januar 2015(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Assoziierungsabkommen EWG‒Türkei – Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer – Aufhebung der Wohnortklauseln – Zusatzleistungen, die aufgrund des nationalen Rechts gewährt werden – Wohnsitzvoraussetzung – Anwendung auf ehemalige türkische Arbeitnehmer – Türkische Staatsangehörige, die die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben haben“

In der Rechtssache C‑171/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Centrale Raad van Beroep (Niederlande) mit Entscheidung vom 2. April 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 8. April 2013, in dem Verfahren

Raad van bestuur van het Uitvoeringsinstituut werknemersverzekeringen (Uwv)

gegen

M. S. Demirci,

D. Cetin,

A. I. Önder,

R. Keskin,

M. Tüle,

A. Taskin

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter S. Rodin, A. Borg Barthet und E. Levits (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: M. M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Mai 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des Raad van bestuur van het Uitvoeringsinstituut werknemersverzekeringen (Uwv), vertreten durch I. Eijkhout als Bevollmächtigte,

–        von Herrn Demirci, vertreten durch F. Kiliç, advocaat,

–        von Herrn Cetin und Herrn Önder, vertreten durch N. Türkkol, advocaat,

–        von Herrn Keskin, vertreten durch D. Schaap, advocaat,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch J. Langer, M. Bulterman und B. Koopman als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek als Bevollmächtigten,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Juli 2014

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige (ABl. 1983, C 110, S. 60) in Verbindung mit Art. 59 des Zusatzprotokolls, das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und mit der Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1, im Folgenden: Zusatzprotokoll) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde. Der Assoziationsrat wurde durch das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnete Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffen, das durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (im Folgenden: Assoziierungsabkommen).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Raad van bestuur van het Uitvoeringsinstituut werknemersverzekeringen (Verwaltungsrat der Durchführungseinrichtung für Arbeitnehmerversicherungen, im Folgenden: Uwv) und ehemaligen türkischen Wanderarbeitnehmern, die alle die niederländische Staatsangehörigkeit erworben haben, wegen der Entscheidung des Uwv, ihnen wegen der Verlegung ihres Wohnsitzes von den Niederlanden in die Türkei eine Zusatzleistung zu ihrer Arbeitsunfähigkeitsrente schrittweise zu entziehen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Assoziierungsabkommen

3        Art. 12 des Assoziierungsabkommens sieht vor:

„Die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln [39 EG], [40 EG] und [41 EG] leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen.“

 Zusatzprotokoll

4        Art. 1 des Zusatzprotokolls, das nach seinem Art. 62 Bestandteil des Assoziierungsabkommens ist, legt die Bedingungen, die Einzelheiten und den Zeitplan für die Verwirklichung der in Art. 4 des Assoziierungsabkommens vorgesehenen Übergangsphase fest.

5        Das Zusatzprotokoll enthält einen Titel II „Freizügigkeit und Dienstleistungsverkehr“, dessen Kapitel I „Arbeitskräfte“ betrifft.

6        Nach Art. 36 des Zusatzprotokolls in Kapitel I wird die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei nach den Grundsätzen des Art. 12 des Assoziierungsabkommens zwischen dem Ende des zwölften und dem Ende des 22. Jahres nach dessen Inkrafttreten schrittweise hergestellt und legt der Assoziationsrat die hierfür erforderlichen Regeln fest.

7        Art. 39 des Zusatzprotokolls lautet:

„(1)      Der Assoziationsrat erlässt vor dem Ende des ersten Jahres nach Inkrafttreten dieses Protokolls Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit, die von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu- oder abwandern, sowie für deren in der Gemeinschaft wohnende Familien.

(2)      Diese Bestimmungen müssen es ermöglichen, dass für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit die in den einzelnen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs‑ oder Beschäftigungszeiten in Bezug auf Alters‑, Hinterbliebenen‑ und Invaliditätsrenten sowie auf die Krankheitsfürsorge für den Arbeitnehmer und seine in der Gemeinschaft wohnende Familie nach noch festzulegenden Regeln zusammengerechnet werden. Mit diesen Bestimmungen dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft nicht verpflichtet werden, die in der Türkei zurückgelegten Zeiten zu berücksichtigen.

(3)      Die genannten Bestimmungen müssen die Zahlung der Familienzulagen für den Fall sicherstellen, dass die Familie des Arbeitnehmers in der Gemeinschaft wohnhaft ist.

(4)      Für die Alters‑, Hinterbliebenen‑ und Invaliditätsrenten, die aufgrund von nach Absatz 2 erlassenen Bestimmungen erworben wurden, muss die Möglichkeit einer Ausfuhr in die Türkei bestehen.

(5)      Die in diesem Artikel genannten Bestimmungen beeinträchtigen die sich aus den bilateralen Abkommen zwischen der Türkei und den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ergebenden Rechte und Pflichten insoweit nicht, als solche Abkommen für türkische Staatsangehörige eine günstigere Regelung vorsehen.“

8        Art. 59 des Zusatzprotokolls bestimmt:

„In den von diesem Protokoll erfassten Bereichen darf der Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander auf Grund des [EG-]Vertrags einräumen.“

 Beschluss Nr. 1/80

9        Der Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 betreffend die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80) sieht in Art. 6 Abs. 1 vor:

„Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

‒      nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

‒      nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

‒      nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.“

10      Art. 7 dieses Beschlusses bestimmt:

„Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

‒      haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

‒      haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.“

 Beschluss Nr. 3/80

11      Der Beschluss Nr. 3/80, der gestützt auf Art. 39 des Zusatzprotokolls erlassen wurde, soll die Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten dahin gehend koordinieren, dass türkische Arbeitnehmer, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Gemeinschaft beschäftigt sind oder waren, sowie ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen Leistungen in den herkömmlichen Zweigen der sozialen Sicherheit beziehen können.

12      Art. 2 („Persönlicher Geltungsbereich“) des Beschlusses Nr. 3/80 lautet:

„Dieser Beschluss gilt:

‒      für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, und die türkische Staatsangehörige sind;

‒      für die Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen;

‒      für Hinterbliebene dieser Arbeitnehmer.“

13      Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 („Gleichbehandlung), der den Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) übernimmt, bestimmt:

„Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die dieser Beschluss gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt.“

14      Art. 4 („Sachlicher Geltungsbereich“) des Beschlusses Nr. 3/80 sieht in seinen Abs. 1 und 2 vor:

„(1)      Dieser Beschluss gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

a)      Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft;

b)      Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind;

c)      Leistungen bei Alter;

d)      Leistungen an Hinterbliebene;

e)      Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten;

f)      Sterbegeld;

g)      Leistungen bei Arbeitslosigkeit;

h)      Familienleistungen.

(2)      Dieser Beschluss gilt für die allgemeinen und die besonderen, die auf Beiträgen beruhenden und die beitragsfreien Systeme der sozialen Sicherheit …“

15      Art. 6 („Aufhebung der Wohnortklauseln …“) Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 lautet:

„Die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen sowie die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten, auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erworben worden ist, dürfen, sofern in diesem Beschluss nichts anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte in der Türkei oder im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.“

16      Titel III („Besondere Vorschriften für die einzelnen Leistungsarten“) des Beschlusses Nr. 3/80 enthält entsprechend der Verordnung Nr. 1408/71 ausgestaltete Koordinierungsvorschriften über Leistungen bei Invalidität, Alter und Tod (Renten).

 Verordnung Nr. 1408/71

17      Die Verordnung Nr. 1408/71 enthält einen Art. 3 („Gleichbehandlung“), der in Abs. 1 bestimmt:

„Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen.“

18      Art. 4 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung definiert deren sachlichen Geltungsbereich wie folgt:

„(1)      Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

a)      Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft,

b)      Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind,

c)      Leistungen bei Alter,

d)      Leistungen an Hinterbliebene,

e)      Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten,

f)      Sterbegeld,

g)      Leistungen bei Arbeitslosigkeit,

h)      Familienleistungen.

(2)      Diese Verordnung gilt für die allgemeinen und die besonderen, die auf Beiträgen beruhenden und die beitragsfreien Systeme der sozialen Sicherheit …“

19      Durch Art. 1 Nr. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1247/92 des Rates vom 30. April 1992 zur Änderung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. L 136, S. 1), die am 1. Juni 1992 in Kraft getreten ist, wurde Art. 4 der letztgenannten Verordnung folgender Abs. 2a hinzugefügt:

„Diese Verordnung gilt auch für beitragsunabhängige Sonderleistungen, die unter andere als die in Absatz 1 erfassten oder die nach Absatz 4 ausgeschlossenen Rechtsvorschriften oder Systeme fallen, sofern sie

a)      entweder in Versicherungsfällen, die den in Absatz 1 Buchstaben a) bis h) aufgeführten Zweigen entsprechen, ersatzweise, ergänzend oder zusätzlich gewährt werden

b)      oder allein zum besonderen Schutz der Behinderten bestimmt sind.“

20      Infolge seiner Änderung durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 (ABl. L 117, S. 1) lautet der genannte Art. 4 Abs. 2a nunmehr wie folgt:

„Dieser Artikel gilt für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, die nach Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Absatz 1 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen.

Der Ausdruck ‚besondere beitragsunabhängige Geldleistungen‘ bezeichnet die Leistungen,

a)      die dazu bestimmt sind:

i)      einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken zu gewähren, die von den in Absatz 1 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind, und den betreffenden Personen ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts garantieren, das in Beziehung zu dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat steht,

oder

ii)      allein dem besonderen Schutz des Behinderten zu dienen, der eng mit dem sozialen Umfeld dieser Person in dem betreffenden Mitgliedstaat verknüpft ist;

und

b)      deren Finanzierung ausschließlich durch obligatorische Steuern zur Deckung der allgemeinen öffentlichen Ausgaben erfolgt und deren Gewährung und Berechnung nicht von Beiträgen hinsichtlich der Leistungsempfänger abhängen; jedoch sind Leistungen, die zusätzlich zu einer beitragsabhängigen Leistung gewährt werden, nicht allein aus diesem Grund als beitragsabhängige Leistungen zu betrachten;

und

c)      die in Anhang IIa aufgeführt sind.“

21      Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

„Die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen, die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und die Sterbegelder, auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erhoben worden ist, dürfen, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.“

22      Der durch die Verordnung Nr. 1247/92 in die Verordnung Nr. 1408/71 eingefügte Art. 10a Abs. 1 lautete:

„Ungeachtet der Bestimmungen in Artikel 10 und Titel III erhalten die Personen, für die diese Verordnung gilt, die in Artikel 4 Absatz 2a aufgeführten beitragsunabhängigen Sonderleistungen in bar ausschließlich in dem Wohnmitgliedstaat gemäß dessen Rechtsvorschriften, sofern diese Leistungen in Anhang IIa aufgeführt sind. Diese Leistungen werden vom Träger des Wohnorts zu seinen Lasten gewährt.“

23      In seiner durch die Verordnung Nr. 647/2005 geänderten Fassung lautet dieser Art. 10a Abs. 1 nunmehr wie folgt:

„Die Bestimmungen des Artikels 10 und des Titels III gelten nicht für die in Artikel 4 Absatz 2a genannten besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen. Die Personen, für die diese Verordnung gilt, erhalten diese Leistungen ausschließlich im Wohnmitgliedstaat und nach dessen Rechtsvorschriften, sofern diese Leistungen in Anhang IIa aufgeführt sind. Die Leistungen werden vom Träger des Wohnorts zu seinen Lasten gewährt.“

 Niederländisches Recht

24      In den Niederlanden sind Arbeitnehmer nach der Wet op de arbeidsongeschiktheidsverzekering (Gesetz über die Versicherung gegen Arbeitsunfähigkeit, im Folgenden: WAO), die seit 1966 in Kraft ist, gegen Arbeitsunfähigkeit versichert.

25      Die am 1. Januar 1987 in Kraft getretene Toeslagenwet (Gesetz über Zusatzleistungen) vom 6. November 1986 (im Folgenden: TW) soll Personen, die aufgrund einer Sozialversicherung wie derjenigen nach der WAO (ebenso wie beispielsweise aufgrund der Arbeitslosen‑, der Kranken‑ und der Berufsunfallversicherung) eine Lohnersatzleistung unterhalb des Mindestlohns beziehen, eine Zusatzleistung gewähren, die ihr Ersatzeinkommen bis höchstens auf das in den Niederlanden geltende Mindestlohnniveau anhebt (im Folgenden: Zusatzleistung). Zum im Ausgangsverfahren entscheidungserheblichen Zeitpunkt war diese Zusatzleitung auf 30 % dieses Mindestlohns begrenzt, so dass Berechtigte, deren Invalidengeld weniger als 70 % des Mindestlohns betrug, das Mindestlohnniveau nicht erreichten. Das Uwv stellt auf Antrag der betreffenden Person fest, ob ein Anspruch auf Zusatzleistung nach der TW besteht.

26      Durch die Wet beperking export uitkeringen (Gesetz über die Beschränkung des Leistungsexports) vom 27. Mai 1999 (im Folgenden: BEU) wurde in die TW ein neuer Art. 4a eingefügt, nach dessen Abs. 1 eine Person, die die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach diesem Gesetz erfüllt, keinen Anspruch auf diese Leistungen für die Zeit hat, in der sie nicht in den Niederlanden wohnt. Dabei wird klargestellt, dass der Export der betreffenden Leistungen nur möglich ist, soweit ein mit dem Wohnstaat des Betroffenen geschlossenes bilaterales Abkommen die ordnungsgemäße Anwendung der niederländischen Regelung gewährleistet.

27      Wie aus der Begründung der BEU hervorgeht, sollte mit dieser Änderung der TW das Territorialprinzip an die Stelle des Personalprinzips treten, um die Erbringung von Leistungen an im Ausland wohnende Bezugsberechtigte besser überwachen zu können. Der niederländische Gesetzgeber hat sich dabei zur Begründung dieser Änderung auch auf die Natur der Zusatzleistung, die das Existenzminimum in den Niederlanden sichern sollte, und ihre Finanzierung aus dem Staatshaushalt berufen.

28      Die erwähnte Änderung der TW trat am 1. Januar 2000 in Kraft.

29      Allerdings wurde eine Übergangsregelung eingeführt, wonach Personen, die am Tag vor dem Inkrafttreten der neuen Regelung Anspruch auf die in der TW vorgesehenen Leistungen haben und die zu diesem Zeitpunkt nicht in den Niederlanden wohnen,

„(1)      im ersten Jahr nach Inkrafttreten dieser Wet [also im Jahr 2000] der [gesamte] Betrag ausgezahlt [wurde], auf den sie Anspruch [gehabt hätten], wenn sie in den Niederlanden [gewohnt hätten];

(2)      im zweiten Jahr nach Inkrafttreten dieser Wet [also im Jahr 2001] zwei Drittel des Betrags ausgezahlt [wurden], auf den sie Anspruch [gehabt hätten], wenn sie in den Niederlanden [gewohnt hätten];

(3)      im dritten Jahr nach Inkrafttreten dieser Wet [also im Jahr 2002] ein Drittel des Betrags ausgezahlt [wurde], auf den sie Anspruch [gehabt hätten], wenn sie in den Niederlanden [gewohnt hätten]“.

30      Für die folgenden Jahre wurde die Leistung für nicht in den Niederlanden wohnende Personen vollständig eingestellt.

31      Mit der Verordnung Nr. 647/2005 wurde die TW in der durch die BEU zum 1. Januar 2000 geänderten Fassung in das Verzeichnis der beitragsunabhängigen Sonderleistungen in Anhang IIa der Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung der Verordnung Nr. 1247/92 aufgenommen, für die die in Art. 10 dieser Verordnung vorgesehene Exportverpflichtung gemäß ihrem Art. 10a nicht gilt.

32      Sodann wurde in die TW mit Wirkung vom 7. Dezember 2006 eine neue Übergangsbestimmung für nicht in den Niederlanden, sondern in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, in einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums oder in der Schweiz wohnhafte Personen eingeführt, wonach diesen Personen, soweit sie am Tag vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 647/2005 Anspruch auf Leistungen im Sinne von Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 hatten,

–        im Jahr 2007 der gesamte Betrag ausgezahlt wurde, auf den sie Anspruch gehabt hätten, wenn sie in den Niederlanden gewohnt hätten;

–        im Jahr 2008 zwei Drittel des Betrags ausgezahlt wurden, auf den sie Anspruch gehabt hätten, wenn sie in den Niederlanden gewohnt hätten;

–        im Jahr 2009 ein Drittel des Betrags ausgezahlt wurde, auf den sie Anspruch gehabt hätten, wenn sie in den Niederlanden gewohnt hätten.

33      Für diese Personen wurde die Leistung mit Wirkung vom 1. Januar 2010 vollständig eingestellt.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

34      Die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens sind ehemalige türkische Arbeitnehmer, die dem regulären Arbeitsmarkt der Niederlande im Sinne von Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 angehört hatten.

35      Nachdem sie arbeitsunfähig geworden waren, beantragten und erhielten sie vor dem Jahr 2000 eine Leistung des niederländischen Staates nach der WAO.

36      Da diese Leistung niedriger als der Mindestlohn war, wurde den Rechtsmittelgegnern des Ausgangsverfahrens auch eine Zusatzleistung nach der TW in ihrer vor dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung gewährt, die dazu bestimmt war, ihnen Einkünfte zu sichern, die so nahe wie möglich am Mindestlohn lagen.

37      Die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens kehrten in die Türkei zu ihren Familien zurück, nachdem sie unter Beibehaltung ihrer türkischen Staatsangehörigkeit die niederländische Staatsangehörigkeit erworben hatten. Gemäß Art. 39 Abs. 4 des Zusatzprotokolls erhielten sie weiterhin die Leistung nach der WAO und die Zusatzleistung.

38      Nach der Änderung der TW durch die BEU, die am 1. Januar 2000 in Kraft trat, beschlossen die zuständigen niederländischen Behörden, die den Rechtsmittelgegnern des Ausgangsverfahrens bis dahin gezahlte Zusatzleistung nach der in Rn. 29 des vorliegenden Urteils beschriebenen Übergangsregelung ab 1. Januar 2001 schrittweise jährlich um ein Drittel abzubauen, so dass diese Leistung am 1. Juli 2003 endgültig eingestellt wurde.

39      Die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens erhoben gegen diese Entscheidungen des Uwv Klage.

40      Die Rechtbank Amsterdam hob diese Entscheidungen mit Urteilen vom 19. März und 23. August 2004 auf, gegen die das Uwv Rechtsmittel beim Centrale Raad van Beroep einlegte. Im Rahmen des bei ihm anhängigen Verfahrens hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt und beschlossen, das Verfahren bis zur Antwort des Gerichtshofs auszusetzen. Während dieser Zeit erließ das Uwv neue Entscheidungen in Bezug auf die einzelnen Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens, nach denen diesen die Zusatzleistung ab dem 1. Juli 2003 – bis zu ihrem schrittweisen Abbau je nach Einzelfall ab Mai 2004, ab Juni 2004 bzw. ab dem 1. Januar 2007 – in voller Höhe gewährt wurde. Das vorlegende Gericht bezog diese neuen Entscheidungen des Uwv in das Rechtsmittel der Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens ein.

41      Am 26. Mai 2011 hat der Gerichtshof im Urteil Akdas u. a. (C‑485/07, EU:C:2011:346) in Bezug auf Arbeitnehmer, die die gleichen Leistungen nach der TW erhalten hatten wie die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens, aber anders als diese nur die türkische Staatsangehörigkeit besaßen, entschieden, dass Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 dahin auszulegen ist, dass er unter Umständen wie denen im dortigen Ausgangsverfahren einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die wie Art. 4a TW eine Leistung wie die nach den nationalen Rechtsvorschriften gewährte Zusatzleistung ehemaligen türkischen Wanderarbeitnehmern entzieht, wenn sie in die Türkei zurückgekehrt sind, nachdem sie ihr Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit verloren haben.

42      Die Parteien des Ausgangsverfahrens haben zu den Folgerungen, die für ihr eigenes Verfahren aus diesem Urteil zu ziehen sind, vor dem vorlegenden Gericht Stellung genommen.

43      Insbesondere wurde die Frage aufgeworfen, ob die im Urteil Akdas u. a. (EU:C:2011:346) gefundene Lösung im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits Anwendung finden kann, da die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens nicht nur die türkische, sondern auch die niederländische Staatsangehörigkeit besitzen.

44      Unter diesen Umständen hat der Centrale Raad van Beroep beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 unter Berücksichtigung von Art. 59 des Zusatzprotokolls dahin auszulegen, dass er einer gesetzlichen Regelung eines Mitgliedstaats wie Art. 4a TW entgegensteht, die die aufgrund des nationalen Rechts gewährte Zusatzleistung nicht mehr gewährt, wenn die Empfänger dieser Leistung nicht mehr im Hoheitsgebiet dieses Staates wohnen, auch wenn diese Empfänger unter Beibehaltung der türkischen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben haben?

2.      Falls der Gerichtshof bei der Beantwortung der ersten Frage zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die betroffenen Personen auf Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 berufen können, diese Berufung jedoch durch die Wirkung von Art. 59 des Zusatzprotokolls beschränkt wird: Ist dann Art. 59 des Zusatzprotokolls dahin auszulegen, dass er der Fortzahlung der Zusatzleistung türkischer Staatsangehöriger[, die auch die niederländische Staatsangehörigkeit erworben haben,] von dem Zeitpunkt an entgegensteht, zu dem Unionsbürger aufgrund des Unionsrechts keinen Anspruch mehr auf diese Leistung erheben können, auch wenn Unionsbürger die betreffende Leistung aufgrund des nationalen Rechts längere Zeit erhielten?

 Zu den Vorlagefragen

45      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob niederländische Staatsangehörige, die die niederländische Staatsangehörigkeit erworben haben, nachdem sie unter den im Beschluss Nr. 1/80 festgelegten Voraussetzungen in den Arbeitsmarkt der Niederlande eingetreten waren, sich mit der Begründung, die türkische Staatsangehörigkeit behalten zu haben, weiterhin auf die Bestimmungen des Beschlusses Nr. 3/80 berufen können, um sich der von den nationalen Rechtsvorschriften für die Gewährung einer beitragsunabhängigen Sonderleistung im Sinne von Art. 4 Abs. 2a der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 647/2005 geänderten Fassung aufgestellten Voraussetzung des Wohnsitzes im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats zu entziehen.

46      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Vertragsparteien in Art. 12 des Assoziierungsabkommens vereinbart haben, sich von den Art. 39 bis 41 des EG-Vertrags leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Art. 36 des Zusatzprotokolls sieht zudem vor, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei nach den Grundsätzen des Art. 12 des Assoziierungsabkommens schrittweise hergestellt wird.

47      In diesem Kontext setzen die Beschlüsse Nrn. 1/80 und 3/80 die Bestimmungen des Assoziierungsabkommens um.

48      Hinsichtlich des Beschlusses Nr. 1/80 hat der Gerichtshof festgestellt, dass dessen wesentliches Ziel die schrittweise Integration türkischer Arbeitnehmer im Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Abatay u. a., C‑317/01 und C‑369/01, EU:C:2003:572, Rn. 90).

49      Zu diesem Zweck soll Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 die Situation türkischer Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat schrittweise festigen (Urteil Payir u. a., C‑294/06, EU:C:2008:36, Rn. 37).

50      Was den Beschluss Nr. 3/80 betrifft, ist sein Art. 3 Abs. 1 die Umsetzung und Konkretisierung des allgemeinen Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, das in Art. 9 des Assoziierungsabkommens verankert ist, für den besonderen Bereich der sozialen Sicherheit (Urteil Akdas u. a., EU:C:2011:346, Rn. 98).

51      Es steht fest, dass die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens Rechte in Anspruch nehmen konnten, die ihnen die Bestimmungen des Systems der Assoziation EWG‒Türkei als türkische Arbeitnehmer, die dem regulären niederländischen Arbeitsmarkt angehört haben, einräumen. Ihnen erwuchs wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Gewährung der Zusatzleistung unter den in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Voraussetzungen. Im Übrigen sind sie unter Beibehaltung der türkischen Staatsangehörigkeit niederländische Staatsangehörige geworden.

52      Unter solchen Umständen können sich die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens nicht auf den Beschluss Nr. 3/80 stützen, um sich gegen das Wohnsitzerfordernis zu wenden, von dem die nationalen Rechtsvorschriften die Gewährung der betreffenden Zusatzleistung abhängig machen.

53      Erstens versetzt nämlich der Umstand, dass die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens als türkische Arbeitnehmer die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben haben, diese speziell im Hinblick auf die Ziele des Systems der Assoziation EWG‒Türkei in eine ganz besondere Lage.

54      Was zum einen das mit diesem System der Assoziation verfolgte Ziel der Integration betrifft, stellt der Erwerb der Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats grundsätzlich die höchste Stufe der Integration des türkischen Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat dar.

55      Zum anderen hat der Erwerb der Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats für den türkischen Staatsangehörigen nicht nur die Rechtsfolgen, die dieses System an den Besitz dieser Staatsangehörigkeit knüpft, sondern zugleich auch die, die mit der Unionsbürgerschaft insbesondere in Bezug auf das Aufenthaltsrecht und die Freizügigkeit verbunden sind.

56      Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass türkische Staatsangehörige, anders als die Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten, keine Freizügigkeit innerhalb der Union genießen, sondern nur im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Rechte besitzen (vgl. Urteile Tetik, C‑171/95, EU:C:1997:31, Rn. 29, und Derin, C‑325/05, EU:C:2007:442, Rn. 66).

57      Daher ist es durch nichts gerechtfertigt, dass ein türkischer Staatsangehöriger, dessen Rechtsstatus sich mit dem Erwerb der Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats zwangsläufig geändert hat, von diesem Staat, was die Gewährung einer Leistung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden betrifft, nicht ausschließlich als Angehöriger dieses Staats behandelt wird.

58      Zweitens gilt diese Feststellung umso mehr, als es zu einer zweifachen ungerechtfertigten Ungleichbehandlung führte, wenn die Angehörigen eines Mitgliedstaats, die dessen Staatsangehörigkeit erworben haben, nachdem sie dort als türkische Staatsangehörige aufgenommen worden waren, und die türkische Staatsangehörigkeit behalten haben, auf der Grundlage des Beschlusses Nr. 3/80 von der Wohnsitzvoraussetzung für die Gewährung der Zusatzleistung ausgenommen würden.

59      Personen, die sich in der Situation der Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens befinden, würden dann nämlich günstiger behandelt als zum einen diejenigen türkischen Arbeitnehmer, die nicht die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats besitzen und die, sobald sie nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehören, dort kein Aufenthaltsrecht mehr haben. Zum anderen würden diese Personen auch gegenüber den Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats oder eines anderen Mitgliedstaats begünstigt, denen zwar eine günstige Regelung in Bezug auf den Aufenthalt und die Freizügigkeit in der Union zugutekommt, für die aber weiterhin die Voraussetzung eines Wohnsitzes im Gebiet des Königreichs der Niederlande gilt, wenn sie die Zusatzleistung erhalten wollen.

60      Folglich können sich die Angehörigen eines Mitgliedstaats, die wie die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens, die, nachdem sie als türkische Arbeitnehmer im Sinne von Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 in den regulären Arbeitsmarkt dieses Staates eingetreten sind, unter Beibehaltung ihrer türkischen Staatsangehörigkeit dessen Staatsangehörigkeit erworben haben, nicht auf die Bestimmungen des Beschlusses Nr. 3/80 berufen, um sich der nach den Rechtsvorschriften dieses Staates für die Gewährung einer Leistung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erforderlichen Wohnsitzvoraussetzung zu entziehen.

61      Insoweit muss das Ausgangsverfahren von dem unterschieden werden, zu dem das Urteil Akdas u. a. (EU:C:2011:346) ergangen ist.

62      Jenes Urteil betrifft nämlich türkische Arbeitnehmer, die dem regulären niederländischen Arbeitsmarkt angehört hatten und gezwungen waren, wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit ihren Wohnsitz in die Türkei zu verlegen.

63      Der Gerichtshof hat festgestellt, dass in Anbetracht des Umstands, dass ein türkischer Staatsangehöriger, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 angehört hat, diesem Beschluss kein Recht entnehmen kann, im Hoheitsgebiet dieses Staates zu verbleiben, nachdem er Opfer eines Arbeitsunfalls geworden ist, nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Betroffene den Mitgliedstaat aus eigenem Wunsch verlassen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Akdas u. a., EU:C:2011:346, Rn. 93 und 94).

64      Es steht nämlich fest, dass das Aufenthaltsrecht des türkischen Staatsangehörigen, wie es in Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 stillschweigend, aber zwangsläufig als Folge der Ausübung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung garantiert wird, entfällt, wenn der Betroffene vollständig und dauernd arbeitsunfähig geworden ist (Urteil Bozkurt, C‑434/93, EU:C:1995:168, Rn. 40).

65      Unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache fallen die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens dadurch, dass sie die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben haben, in Bezug auf das Aufenthaltsrecht nicht mehr unter die Bestimmungen von Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80. Sie haben daher weiterhin einen Anspruch auf Gewährung der Zusatzleistung, sofern sie die im nationalen Recht vorgesehenen Voraussetzungen, insbesondere die des Wohnsitzes, erfüllen.

66      Dieses Ergebnis wird durch die sich aus dem Urteil Kahveci und Inan (C‑7/10 und C‑9/10, EU:C:2012:180) ergebenden Grundsätze in Anbetracht der speziellen tatsächlichen Umstände der Rechtssache, in der jenes Urteil ergangen ist, die sich von denen des Ausgangsverfahrens unterscheiden, nicht in Frage gestellt.

67      So soll Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80, der die Familienzusammenführung betrifft, um die es in jenem Urteil ging, zum einen Familienangehörigen des Wanderarbeitnehmers ermöglichen, bei diesem zu leben, um so durch Familienzusammenführung die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der sich bereits ordnungsgemäß in den Aufnahmemitgliedstaat integriert hat, zu begünstigen (Urteil Kahveci und Inan, EU:C:2012:180, Rn. 32). Zum anderen soll diese Vorschrift eine dauerhafte Eingliederung der Familie des türkischen Wanderarbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat fördern, indem dem betroffenen Familienangehörigen nach drei Jahren ordnungsgemäßen Wohnsitzes selbst der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht wird (Urteil Kahveci und Inan, EU:C:2012:180, Rn. 33).

68      Im Hinblick auf diesen Zweck hat der Gerichtshof in Rn. 35 des Urteils Kahveci und Inan (EU:C:2012:180) entschieden, dass der Umstand, dass ein türkischer Arbeitnehmer die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats besitzt, diesen nicht zwingen kann, auf die im Beschluss Nr. 1/80 vorgesehenen günstigen Voraussetzungen für die Familienzusammenführung zu verzichten.

69      Unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache sind jedoch zum einen die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens nicht gezwungen, auf die Gewährung der Zusatzleistung zu verzichten, sofern sie ihren Wohnsitz im Gebiet des Königreichs der Niederlande behalten, was ihnen insbesondere deshalb freisteht, weil sie die niederländische Staatsangehörigkeit besitzen.

70      Zum anderen wollten die Kläger des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache Kahveci und Inan (EU:C:2012:180) die Bestimmungen des Beschlusses Nr. 1/80 zugunsten ihrer Familienangehörigen mit türkischer Staatsangehörigkeit in Anspruch nehmen. In der vorliegenden Rechtssache berufen sich die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens hingegen für sich selbst und im eigenen Interesse auf die Bestimmungen des Beschlusses Nr. 3/80.

71      Selbst wenn die Grundsätze, die sich aus dem Urteil Kahveci und Inan (EU:C:2012:180) ergeben und auf die in Rn. 68 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, auf die vorliegende Rechtssache übertragen werden könnten und die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens, die unter Beibehaltung der türkischen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erworben haben, somit einen Anspruch auf die Gewährung der Zusatzleistung haben könnten, bliebe das Wohnsitzerfordernis, von dem die nationalen Rechtsvorschriften diese Zahlung abhängig machen, in ihrem Fall anwendbar.

72      Könnten nämlich Personen wie die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens, die als niederländische Staatsangehörige weiterhin ein Aufenthaltsrecht in den Niederlanden behalten und sich damit in einer vergleichbaren Situation befinden wie Unionsbürger, die Gewährung dieser Leistung auf der Grundlage des genannten Art. 6 Abs. 1 beanspruchen, ohne das Erfordernis eines Wohnsitzes in diesem Mitgliedstaat zu erfüllen, würden sie günstiger behandelt als Unionsbürger, was Art. 59 des Zusatzprotokolls verbietet.

73      Folglich ergibt sich aus der Gesamtheit der vorstehenden Erwägungen, dass die Bestimmungen des Beschlusses Nr. 3/80 auch unter Berücksichtigung von Art. 59 des Zusatzprotokolls dahin auszulegen sind, dass sich die Angehörigen eines Mitgliedstaats, die als türkische Arbeitnehmer dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehört haben, nicht mit der Begründung, ihre türkische Staatsangehörigkeit behalten zu haben, auf Art. 6 des Beschlusses Nr. 3/80 berufen können, um sich einem Wohnsitzerfordernis zu entziehen, das die Rechtsvorschriften dieses Staates für die Gewährung einer beitragsunabhängigen Sonderleistung im Sinne von Art. 4 Abs. 2a der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 647/2005 geänderten Fassung vorsehen.

 Kosten

74      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Die Bestimmungen des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige sind auch unter Berücksichtigung von Art. 59 des am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichneten und mit der Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Zusatzprotokolls dahin auszulegen, dass sich die Angehörigen eines Mitgliedstaats, die als türkische Arbeitnehmer dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehört haben, nicht mit der Begründung, ihre türkische Staatsangehörigkeit behalten zu haben, auf Art. 6 des Beschlusses Nr. 3/80 berufen können, um sich einem Wohnsitzerfordernis zu entziehen, das die Rechtsvorschriften dieses Staates für die Gewährung einer beitragsunabhängigen Sonderleistung im Sinne von Art. 4 Abs. 2a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005, vorsehen.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Niederländisch.