Language of document : ECLI:EU:C:2014:2271

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

9. Oktober 2014(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Soziale Sicherheit – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 – Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 – Krankenversicherung – In einem anderen Mitgliedstaat erbrachte Krankenhausbehandlung – Versagung der vorherigen Genehmigung – Fehlen von Medikamenten und grundlegendem medizinischen Material“

In der Rechtssache C‑268/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Sibiu (Rumänien) mit Entscheidung vom 7. Mai 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Mai 2013, in dem Verfahren

Elena Petru

gegen

Casa Județeană de Asigurări de Sănătate Sibiu,

Casa Națională de Asigurări de Sănătate

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas (Berichterstatter) und C. G. Fernlund,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. März 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau Petru, vertreten durch R. Giura, avocat,

–        der Casa Județeană de Asigurări de Sănătate Sibiu und der Casa Națională de Asigurări de Sănătate, vertreten durch F. Cioloboc, C. Fechete und L. Bogdan als Bevollmächtigte,

–        der rumänischen Regierung, vertreten durch R.‑I. Hațieganu, A.‑L. Crișan und R. ‑H. Radu als Bevollmächtigte,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. Beeko als Bevollmächtigte im Beistand von M. Gray, Barrister,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Gheorghiu und D. Martin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Juni 2014

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1), in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 592/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 (ABl. L 177, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Petru auf der einen und der Casa Județeană de Asigurări de Sănătate Sibiu (Kreiskrankenkasse Sibiu) sowie der Casa Națională de Asigurări de Sănătate (Nationale Krankenkasse) auf der anderen Seite wegen einer in Deutschland erbrachten Krankenhausbehandlung, für die Frau Petru als Schadensersatz Kostenerstattung begehrt.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 22 („Aufenthalt außerhalb des zuständigen Staates – Rückkehr oder Wohnortwechsel in einen anderen Mitgliedstaat während eines Krankheits- oder Mutterschaftsfalles – Notwendigkeit, sich zwecks angemessener Behandlung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben“) der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

„(1) Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Artikels 18, erfüllt und

c)      der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten,

hat Anspruch auf:

i)      Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts‑ oder Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre; die Dauer der Leistungsgewährung richtet sich jedoch nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates;

(2)      …

Die nach Absatz 1 Buchstabe c) erforderliche Genehmigung darf nicht verweigert werden, wenn die betreffende Behandlung zu den Leistungen gehört, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehen sind, in dessen Gebiet der Betreffende wohnt, und wenn er in Anbetracht seines derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit diese Behandlung nicht in einem Zeitraum erhalten kann, der für diese Behandlungen in dem Staat, in dem er seinen Wohnsitz hat, normalerweise erforderlich ist.

(3)       Die Absätze 1 … und 2 finden entsprechend auf die Familienangehörigen von Arbeitnehmern oder Selbständigen Anwendung.

…“

4        Auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. L 74, S. 1) legte die in Art. 80 der Verordnung Nr. 1408/71 genannte Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer ein Muster der für die Anwendung von Art. 22 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i dieser Verordnung erforderlichen Bescheinigung fest, nämlich das Formblatt E 112.

 Rumänisches Recht

5        Art. 208 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 95/2006 über die Reform des Gesundheitswesens (Legea nr. 95/2006 privind reforma în domeniul sănătății, Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 372 vom 28. April 2006) sieht vor:

„Die Sozialversicherung ist obligatorisch und funktioniert als ein einheitliches System; die in Abs. 2 angeführten Ziele werden gemäß den folgenden Grundsätzen verwirklicht:

a)      freie Wahl der Versicherungskasse durch den Versicherten;

b)      Solidarität und Subsidiarität bei der Bereitstellung und Verwendung der Mittel;

c)      freie Wahl des Erbringers der medizinischen Leistungen, der Arzneimittel und der Medizinprodukte durch den Versicherten gemäß den Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes und des Rahmenvertrags;

d)      Dezentralisierung und Autonomie in der Leitung und in der Verwaltung;

e)      obligatorische Beteiligung an der Zahlung des Beitrags der Krankenversicherung zur Bildung des Nationalen Einheitsfonds der Krankenversicherungen;

f)      Beteiligung der Versicherten, des Staates und der Arbeitgeber an der Verwaltung des Nationalen Einheitsfonds der Krankenversicherungen;

g)      Gewährung eines Pakets medizinischer Grundleistungen in gerechter und nicht diskriminierender Weise an jeden Versicherten;

h)      Transparenz der Tätigkeit des Krankenversicherungssystems;

i)      freier Wettbewerb zwischen den Leistungserbringern, die Verträge mit den Krankenkassen schließen.“

6        Art. 40 Abs. 1 Buchst. b des Anhangs des Erlasses Nr. 592/2008 des Präsidenten der Nationalen Krankenkasse (Ordinul președintelui Casei Naționale de Asigurări de Sănătate nr. 592/2008) vom 26. August 2008 zur Genehmigung der Durchführungsvorschriften betreffend die Verwendung der in Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 und der Verordnung Nr. 574/72 ausgestellten Formulare innerhalb des rumänischen Krankenversicherungssystems (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 648 vom 11. September 2008) in der durch den Erlass Nr. 575/2009 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 312 vom 12. Mai 2009, Berichtigung veröffentlicht im Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 461 vom 3. Juli 2009) geänderten Fassung sieht vor:

„Das Formular E 112 richtet sich an Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten haben, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen.“

7        Art. 40 Abs. 3 dieses Erlasses sieht vor:

„Der zuständige Träger darf die Ausstellung des Formulars E 112 in dem in Abs. 1 Buchst. b vorgesehenen Fall nicht verweigern, wenn die betreffende Behandlung zu den Leistungen gehört, die aufgrund von Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats gewährt werden, in dessen Gebiet die betreffende Person wohnt, die diese Behandlung in Anbetracht ihres derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz hat, nicht in einem Zeitraum erhalten kann, der für diese Behandlung normalerweise erforderlich ist.“

8        Art. 8 Abs. 1 des Anhangs des Erlasses Nr. 729/2009 der Nationalen Krankenkasse zur Genehmigung der Durchführungsvorschriften betreffend die Rückzahlung und Erstattung von Kosten, die auf medizinischen Leistungen beruhen, die aufgrund von internationalen Übereinkommen mit Vorschriften zum Gesundheitswesen erbracht werden, denen Rumänien beigetreten ist (Ordinul nr. 729/2009 al Casei Naționale a Asigurărilor de Sănătate pentru aprobarea Normelor metodologice privind rambursarea și recuperarea cheltuielilor reprezentând asistența medicală acordată în baza documentelor internaționale cu prevederi în domeniul sănătății la care România este parte) vom 17. Juli 2009 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 545 vom 5. August 2009) bestimmt:

„Begibt sich ein im rumänischen Krankenversicherungssystem Versicherter ohne vorherige Genehmigung der Krankenkasse, bei der er als Versicherter geführt wird, in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen, so hat er die Kosten der erbrachten medizinischen Leistungen zu tragen.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

9        Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Frau Petru seit mehreren Jahren an einer schweren Erkrankung der Herzgefäße leidet. Im Jahr 2007 erlitt sie einen Herzinfarkt, in dessen Folge sie sich einem chirurgischen Eingriff unterzog. Nachdem sich ihr Gesundheitszustand im Jahr 2009 verschlechtert hatte, begab sie sich in das Institut de Boli Cardiovasculare (Institut für Herz-Kreislauf-Erkrankungen) Temeswar (Rumänien). Die ärztlichen Untersuchungen führten zu der Entscheidung, eine Operation am offenen Herzen vorzunehmen, um die Mitralklappe auszutauschen und zwei Stents einzusetzen.

10      Da Frau Petru der Ansicht war, dass die Verhältnisse in dieser Krankenhauseinrichtung, was die materielle Ausstattung anbelangt, zu prekär seien, um sich dort einem solchen chirurgischen Eingriff zu unterziehen, entschied sie sich dazu, sich in eine Klinik in Deutschland zu begeben, wo der Eingriff durchgeführt wurde. Die Kosten dieses Eingriffs betrugen einschließlich der Kosten des postoperativen Krankenhausaufenthalts insgesamt 17 714,70 Euro.

11      Vor ihrer Abreise nach Deutschland hatte Frau Petru bei der Casa Județeană de Asigurări de Sănătate Sibiu mit dem Formular E 112 einen Antrag auf Übernahme der Kosten des Eingriffs gestellt. Dieser Antrag mit Eingangsdatum 2. März 2009 wurde mit der Begründung abgelehnt, aus dem Bericht des behandelnden Arztes gehe nicht hervor, dass die beantragte medizinische Leistung, die zu den Grundleistungen gehöre, in Anbetracht ihres gegenwärtigen Gesundheitszustands und des Verlaufs der Krankheit nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums in einer medizinischen Einrichtung in Rumänien erbracht werden könne.

12      Am 2. November 2011 erhob Frau Petru Zivilklage mit dem Antrag, die Casa Județeană de Asigurări de Sănătate Sibiu und die Casa Națională de Asigurări de Sănătate zu verurteilen, den Gegenwert von 17 714,70 Euro in rumänischen Lei als Schadensersatz zu zahlen. Zur Stützung dieses Antrags machte sie geltend, dass die Bedingungen für einen Krankenhausaufenthalt am Institut de Boli Cardiovasculare Temeswar außerordentlich prekär seien, dass es an Medikamenten und an grundlegendem medizinischen Material fehle und dass die Zahl der Betten unzureichend sei, und dass sie sich aufgrund der Kompliziertheit des geplanten Eingriffs sowie dieser schlimmen Bedingungen entschlossen habe, diese Einrichtung zu verlassen und sich in eine Klinik in Deutschland zu begeben.

13      Nachdem das erstinstanzliche Gericht ihre Klage mit Urteil vom 5. Oktober 2012 abgewiesen hatte, legte Frau Petru beim Tribunal Sibiu (Landgericht Sibiu) Rechtsmittel ein.

14      Zur Begründung des Rechtsmittels beruft sich Frau Petru auf Art. 208 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 95/2006, Art. 22 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 sowie die Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

15      Die Rechtsmittelgegnerinnen des Ausgangsverfahrens beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen, und machen geltend, Frau Petru habe die Voraussetzungen für die Ausstellung des Formulars E 112 nicht erfüllt, da sie die Unmöglichkeit, die betreffende medizinische Leistung in Rumänien innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu erhalten, nicht nachgewiesen habe. Sie berufen sich auf die Verordnungen Nrn. 1408/71 und 574/72, das Gesetz Nr. 95/2006, den Erlass Nr. 592/2008 in der durch den Erlass Nr. 575/2009 geänderten Fassung sowie Art. 8 des Erlasses Nr. 729/2009.

16      Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Parteien des Ausgangsverfahrens hinsichtlich der Auslegung der in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbaren Vorschriften des nationalen und des Unionsrechts uneins seien und dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits von der vorzunehmenden Auslegung des Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 abhänge.

17      Unter diesen Umständen hat das Tribunal Sibiu das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die Unmöglichkeit der Gewährung einer Behandlung im Wohnland im Sinne von Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 absolut oder relativ auszulegen, d. h. ist die Situation, in der ein chirurgischer Eingriff im Wohnland zwar rechtzeitig und aus fachlicher Sicht sachgemäß durchgeführt werden könnte, da die erforderlichen Fachleute und auch das entsprechende Fachwissen vorhanden sind, aber die grundlegenden Medikamente und das grundlegende medizinische Material fehlen, einer Situation gleichzusetzen, in der die erforderliche medizinische Versorgung im Sinne der vorgenannten Vorschrift nicht gewährleistet werden kann?

 Zur Vorlagefrage

 Zur Zulässigkeit

18      Die rumänische Regierung gibt unter Hinweis darauf, dass es Sache des nationalen Gerichts sei, in seinem Vorabentscheidungsersuchen den tatsächlichen Rahmen festzulegen, in den sich die von ihm dem Gerichtshof vorgelegten Fragen einfügten, zu bedenken, dass das vorlegende Gericht im vorliegenden Fall den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits nicht so dargelegt habe, wie er durch ihm vorgelegte Beweismittel festgestellt worden sei, sondern lediglich die Behauptungen der Parteien übernommen habe. Nach Ansicht der Casa Județeană de Asigurări de Sănătate Sibiu und der Casa Națională de Asigurări de Sănătate werden die von Frau Petru behaupteten Umstände, die das Fehlen von Medikamenten und grundlegendem medizinischen Material betreffen und der Vorlagefrage zugrunde liegen, aber durch diese Beweismittel widerlegt, so dass diese Frage für die Entscheidung dieses Rechtsstreits in keiner Weise sachdienlich sei.

19      Des Weiteren weist die rumänische Regierung darauf hin, dass das vorlegende Gericht nicht die Gründe dargelegt habe, weshalb es davon ausgehe, dass die Beantwortung seiner Frage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erforderlich sei.

20      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das in Art. 267 AEUV vorgesehene Verfahren nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (Urteile Geistbeck, C‑509/10, EU:C:2012:416, Rn. 47, und Impacto Azul, C‑186/12, EU:C:2013:412, Rn. 26).

21      Im Rahmen dieser Zusammenarbeit ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der bei ihm anhängigen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. u. a. Urteile Bosman, C‑415/93, EU:C:1995:463, Rn. 59, und Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio, C‑217/05, EU:C:2006:784, Rn. 16).

22      Um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, sieht Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vor, dass das Vorabentscheidungsersuchen u. a. eine kurze Darstellung des Gegenstands des Ausgangsrechtsstreits und des maßgeblichen Sachverhalts, wie er vom vorlegenden Gericht festgestellt worden ist, oder zumindest eine Darstellung der tatsächlichen Umstände enthalten muss, auf denen die Fragen beruhen, sowie eine Darstellung der Gründe, aus denen dieses Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt.

23      Da eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht spricht, kann der Gerichtshof das Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann zurückweisen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile Cipolla u. a., C‑94/04 und C‑202/04, EU:C:2006:758, Rn. 25, sowie Chartered Institute of Patent Attorneys, C‑307/10, EU:C:2012:361, Rn. 32).

24      Dies ist vorliegend nicht der Fall.

25      Zum einen enthält die Vorlageentscheidung nämlich, was den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits betrifft, unter der Überschrift „Rechtsmittelschrift“ eine Darstellung des Vorbringens von Frau Petru und unter der Überschrift „Sachverhalt“ eine Darstellung der tatsächlichen Umstände, die in den Rn. 9 bis 11 des vorliegenden Urteils zusammenfassend wiedergegeben werden. Zwar äußert sich das vorlegende Gericht in dieser Entscheidung nicht zu den von den Parteien zum Nachweis oder zur Widerlegung dieses Vorbringens vorgelegten Beweismitteln und trifft somit in diesem Verfahrensstadium keine Feststellung hinsichtlich des der Vorlagefrage zugrunde liegenden Fehlens von Medikamenten und grundlegendem medizinischen Material, legt aber damit zumindest die tatsächlichen Umstände dar, auf denen diese Frage beruht.

26      Was zum anderen die Gründe betrifft, die das vorlegende Gericht dazu bewogen haben, sich die Frage nach der Auslegung von Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 zu stellen, geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Parteien des Ausgangsrechtsstreits über die Auslegung dieser Bestimmung uneins sind, dass dieses Gericht sich fragt, ob diese Bestimmung anwendbar ist, wenn die Unmöglichkeit, die betreffende Behandlung im Wohnsitzmitgliedstaat zu erbringen, auf dem Fehlen von Medikamenten und grundlegendem medizinischen Material beruht, und es davon ausgeht, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der auf diese Frage zu gebenden Antwort abhängt.

27      Somit fehlt der Auslegung, um die ersucht wird, nicht offensichtlich jeglicher Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits, und das aufgeworfene Problem ist nicht hypothetisch, sondern bezieht sich auf einen Sachverhalt, der zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens streitig ist und den das vorlegende Gericht festzustellen hat. Zudem verfügt der Gerichtshof über die Angaben, die für eine zweckdienliche Beantwortung der vorgelegten Frage erforderlich sind.

28      Daraus folgt, dass die Vorlagefrage zulässig ist.

 Zur eigentlichen Frage

29      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass die nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i dieser Verordnung erforderliche Genehmigung nicht verweigert werden darf, wenn der Sozialversicherte die betreffende Krankenhausbehandlung im Wohnsitzmitgliedstaat aufgrund des Fehlens von Medikamenten und grundlegendem medizinischen Material nicht rechtzeitig erhalten kann.

30      Es ist daran zu erinnern, dass Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 zwei Voraussetzungen aufstellt, bei deren Erfüllung der zuständige Träger die vorherige Genehmigung, die nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i dieser Bestimmung beantragt worden ist, erteilen muss. Die erste Voraussetzung ist, dass die betreffende Behandlung zu den Leistungen gehört, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehen sind, in dessen Gebiet der Sozialversicherte wohnt. Die zweite Voraussetzung erfordert, dass dieser die Behandlung, die er in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in dessen Gebiet er wohnt, erhalten will, in Anbetracht seines derzeitigen Gesundheitszustands und des Verlaufs seiner Krankheit nicht in einem Zeitraum erhalten kann, der für diese Behandlung in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, normalerweise erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Elchinov, C‑173/09, EU:C:2010:581, Rn. 53 und 54 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Zu dieser zweiten Voraussetzung, auf die sich im vorliegenden Fall die Vorabentscheidungsfrage bezieht, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die erforderliche Genehmigung nicht verweigert werden darf, wenn die gleiche oder eine ebenso wirksame Behandlung in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Betroffene wohnt, nicht rechtzeitig erlangt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile Inizan, C‑56/01, EU:C:2003:578, Rn. 45 und 60, Watts, C‑372/04, EU:C:2006:325, Rn. 61, und Elchinov, EU:C:2010:581, Rn. 65).

32      Hierzu hat der Gerichtshof festgestellt, dass der zuständige Träger bei Beurteilung der Frage, ob eine ebenso wirksame Behandlung im Wohnsitzmitgliedstaat rechtzeitig verfügbar ist, sämtliche Umstände des konkreten Falles zu beachten hat und dabei nicht nur den Gesundheitszustand des Patienten zum Zeitpunkt der Einreichung des Genehmigungsantrags und gegebenenfalls das Ausmaß seiner Schmerzen oder die Art seiner Behinderung, die z. B. die Ausübung einer Berufstätigkeit unmöglich machen oder außerordentlich erschweren könnte, sondern auch die Vorgeschichte des Patienten berücksichtigen muss (Urteile Inizan, EU:C:2003:578, Rn. 46; Watts, EU:C:2006:325, Rn. 62, und Elchinov, EU:C:2010:581, Rn. 66).

33      Zu dieser Gesamtheit von Umständen, die der zuständige Träger zu berücksichtigen hat, kann in einem konkreten Fall auch das Fehlen von Medikamenten und grundlegendem medizinischen Material zählen, wie es im Ausgangsverfahren behauptet wird. Wie der Generalanwalt in Nr. 25 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nimmt Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 nämlich keine Unterscheidung nach den verschiedenen Gründen vor, aus denen eine bestimmte medizinische Leistung nicht rechtzeitig erbracht werden kann. Ein entsprechendes Fehlen von Medikamenten und grundlegendem medizinischen Material kann aber offensichtlich – wie das Nichtvorhandensein spezieller Ausstattungen oder von Fachkenntnissen – die Vornahme einer gleichen oder ebenso wirksamen rechtzeitigen Behandlung im Wohnsitzmitgliedstaat unmöglich machen.

34      Jedoch ergibt sich, wie die rumänische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission geltend gemacht haben, aus der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, dass diese Unmöglichkeit zum einen auf der Ebene sämtlicher Krankenhauseinrichtungen des Wohnsitzmitgliedstaats zu beurteilen ist, die in der Lage sind, die betreffende Behandlung vorzunehmen, und zum anderen im Hinblick auf den Zeitraum, in dem diese Behandlung rechtzeitig erlangt werden kann.

35      Die rumänische Regierung trägt zum Ausgangsverfahren vor, dass Frau Petru berechtigt gewesen sei, sich an jede andere Gesundheitseinrichtung in Rumänien zu wenden, die über die zur Durchführung des bei ihr erforderlichen Eingriffs notwendige Ausstattung verfüge. Mit den Rechtsmittelgegnerinnen des Ausgangsverfahrens weist sie außerdem darauf hin, dass dem Bericht des behandelnden Arztes zu entnehmen sei, dass dieser Eingriff innerhalb von drei Monaten habe durchgeführt werden müssen. Stehen die von Frau Petru behaupteten Umstände betreffend das Fehlen von Medikamenten und grundlegendem medizinischen Material am Institut de Boli Cardiovasculare Temeswar fest, ist es daher Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dieser Eingriff innerhalb dieses Zeitraums nicht in einer anderen Krankenhauseinrichtung in Rumänien hätte durchgeführt werden können.

36      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass die nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i dieser Verordnung erforderliche Genehmigung nicht verweigert werden darf, wenn der Sozialversicherte die betreffende Krankenhausbehandlung im Wohnsitzmitgliedstaat aufgrund des Fehlens von Medikamenten und grundlegendem medizinischen Material nicht rechtzeitig erhalten kann. Diese Unmöglichkeit ist auf der Ebene sämtlicher Krankenhauseinrichtungen dieses Mitgliedstaats zu beurteilen, die in der Lage sind, diese Behandlung vorzunehmen, und im Hinblick auf den Zeitraum, in dem diese Behandlung rechtzeitig erlangt werden kann.

 Kosten

37      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 592/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 ist dahin auszulegen, dass die nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i dieser Verordnung erforderliche Genehmigung nicht verweigert werden darf, wenn der Sozialversicherte die betreffende Krankenhausbehandlung im Wohnsitzmitgliedstaat aufgrund des Fehlens von Medikamenten und grundlegendem medizinischen Material nicht rechtzeitig erhalten kann. Diese Unmöglichkeit ist auf der Ebene sämtlicher Krankenhauseinrichtungen dieses Mitgliedstaats zu beurteilen, die in der Lage sind, diese Behandlung vorzunehmen, und im Hinblick auf den Zeitraum, in dem diese Behandlung rechtzeitig erlangt werden kann.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Rumänisch.