SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
VERICA Trstenjak
vom 8. September 2011(1)
Rechtssache C‑282/10
Maribel Dominguez
gegen
Centre informatique du Centre Ouest Atlantique
gegen
Préfet de la région Centre
(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Frankreich])
„Art. 31 Abs. 2 der Charta – Soziale Grundrechte – Allgemeine Rechtsgrundsätze – Horizontale Wirkung von Richtlinien – Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG – Arbeitsbedingungen – Arbeitszeitgestaltung – Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub – Entstehung des Urlaubsanspruchs unabhängig von der Art und Dauer der Abwesenheit des Arbeitnehmers – Nationale Regelung, nach der die Gewährung dieses Urlaubs von einer tatsächlichen Mindestarbeitszeit während des Bezugsjahrs abhängt – Pflicht des nationalen Gerichts, dem Unionsrecht entgegenstehende nationale Bestimmungen unangewandt zu lassen“
Inhaltsverzeichnis
I – Einleitung
II – Normativer Rahmen
A – Unionsrecht
1. Charta der Grundrechte der Europäischen Union
2. Richtlinie 2003/88
B – Nationales Recht
III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
V – Wesentliche Argumente der Parteien
A – Zur ersten Vorlagefrage
B – Zur zweiten Vorlagefrage
C – Zur dritten Vorlagefrage
VI – Rechtliche Würdigung
A – Zur ersten Vorlagefrage
B – Zur zweiten Vorlagefrage
1. Allgemeines
a) Wesentliche rechtliche Aspekte
b) Vorliegen eines Rechtsstreits zwischen Privaten
2. Die Rolle des nationalen Richters in einem Rechtsstreit zwischen Privaten
a) Die unionsrechtlichen Grenzen der Anwendbarkeit von Richtlinien
b) Mögliche alternative Ansätze
i) Unmittelbare Anwendbarkeit des Grundrechts aus Art. 31 Abs. 2 der Charta
– Anwendbarkeit der Charta
– Grundrechtseigenschaft
– Fehlende Drittwirkung
– Ergebnis
ii) Unmittelbare Anwendbarkeit eines etwaigen allgemeinen Rechtsgrundsatzes
– Rang des Rechts auf Jahresurlaub innerhalb der Unionsrechtsordnung
– Schlussfolgerungen
– Anwendbarkeit des allgemeinen Rechtsgrundsatzes zwischen Privaten
– Übertragbarkeit auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub
– Ergebnis
iii) Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, wie er durch die Richtlinie 2003/88 konkretisiert ist
– Der Ansatz des Gerichtshofs im Urteil Kücükdeveci
– Übertragbarkeit dieses Ansatzes auf den Anspruch auf Jahresurlaub
– Ergebnis
c) Abschließende Schlussfolgerung
3. Hilfsweise Haftung des Mitgliedstaats wegen Verletzung des Unionsrechts
4. Ergebnis
C – Zur dritten Vorlagefrage
VII – Ergebnis
I – Einleitung
1. Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV stellt die französische Cour de cassation (im Folgenden: vorlegendes Gericht) dem Gerichtshof drei Fragen betreffend die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung(2).
2. Dieses Vorabentscheidungsersuchen findet seinen Ursprung in einem Rechtsstreit zwischen Frau Dominguez (im Folgenden: Klägerin des Ausgangsverfahrens) und ihrem Arbeitgeber, dem Centre informatique du Centre Ouest Atlantique (im Folgenden: Beklagter des Ausgangsverfahrens), bei dem es um die Frage geht, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Letzterer zur Zahlung einer finanziellen Vergütung wegen Jahresurlaubs verpflichtet ist, den sie unfallsbedingt nicht nehmen konnte. Ein wichtiger klärungsbedürftiger Aspekt aus Sicht des vorlegenden Gerichts ist dabei die Art und Weise, wie die Länge dieses Urlaubs zu berechnen ist, wobei hier die Besonderheit besteht, dass nach dem einschlägigen nationalen Recht zum einen die Entstehung des Anspruchs auf Jahresurlaub davon abhängig ist, dass der Arbeitnehmer für eine Mindestanzahl von Tagen gearbeitet haben muss, und zum anderen nicht jede Art von unfallsbedingter Abwesenheit vom Arbeitsplatz als Arbeitszeit angerechnet wird.
3. Eine Feststellung des Vorliegens eines Urlaubsanspruchs und gegebenenfalls seines genauen Umfangs kann jedoch nicht erfolgen, solange keine Klarheit darüber besteht, ob die oben genannten nationalen Regelungen überhaupt als mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88 vereinbar angesehen werden können und ob die Klägerin sich im Verhältnis zum Beklagten unmittelbar auf diese Richtlinie berufen kann. Die vorliegende Rechtssache wirft einerseits Rechtsfragen auf, auf die der Gerichtshof bereits eine eindeutige Antwort gegeben hat, so dass er es im Grunde bei einem Verweis auf die einschlägigen Urteile belassen kann. Andererseits wird der Gerichtshof um eine Stellungnahme dazu gebeten, wie der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub innerhalb der Normenhierarchie der Unionsrechtsordnung einzuordnen ist und ob der Arbeitnehmer sich möglicherweise auch im Verhältnis zu seinem Arbeitgeber unmittelbar auf ihn berufen kann.
4. Zu diesem Zweck sollen vier verschiedene Ansätze untersucht werden, die dem Arbeitnehmer dazu verhelfen sollen, seine Rechte gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. Zunächst einmal soll die Möglichkeit einer Horizontalwirkung von Richtlinien untersucht werden. Anschließend ist vor dem Hintergrund, dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union inzwischen Rechtsverbindlichkeit erlangt hat, eine unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 31 Abs. 2 der Charta zu prüfen. Als weitere Alternative ist die unmittelbare Anwendbarkeit eines etwaigen allgemeinen Rechtsgrundsatzes, der ein Recht des Arbeitnehmers auf Jahresurlaub gewährt, zu untersuchen. Schließlich werde ich prüfen, inwiefern der vom Gerichtshof im Urteil Kücükdeveci(3) entwickelte Ansatz Anwendung finden kann. Dabei werde ich Vor- und Nachteile dieses Ansatzes detailliert erörtern. Die vorliegende Rechtssache bietet dem Gerichtshof Gelegenheit, sich dogmatisch mit diesem Ansatz auseinanderzusetzen, um ihn erforderlichenfalls zu verfeinern.
II – Normativer Rahmen
A – Unionsrecht(4)
1. Charta der Grundrechte der Europäischen Union
5. Titel IV („Solidarität“) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) führt in Art. 31 das Recht jedes Arbeitnehmers auf „gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen“ an. Art. 31 Abs. 2 bestimmt Folgendes:
„Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.“
6. Titel VII („Allgemeine Bestimmungen“) legt in Art. 51 den Anwendungsbereich der Charta fest. Art. 51 Abs. 1 lautet wie folgt:
„Diese Charta gilt für die Organe und Einrichtungen der Union unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung gemäß ihren jeweiligen Zuständigkeiten.“
2. Richtlinie 2003/88
7. Art. 1 der Richtlinie 2003/88 lautet wie folgt:
„Gegenstand und Anwendungsbereich
(1) Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.
(2) Gegenstand dieser Richtlinie sind
a) … der Mindestjahresurlaub …
…“
8. Art. 7 dieser Richtlinie lautet:
„Jahresurlaub
(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.
(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.“
9. Nach Art. 17 der Richtlinie 2003/88 können die Mitgliedstaaten von bestimmten Vorschriften dieser Richtlinie abweichen. Im Hinblick auf ihren Art. 7 ist keine Abweichung erlaubt.
B – Nationales Recht
10. Der im Ausgangsverfahren anwendbare Art. L. 223‑2 Abs. 1 des Code du travail (Arbeitsgesetzbuch) bestimmt:
„Ein Arbeitnehmer, der nachweist, im Laufe des Bezugsjahres während eines Zeitraums entsprechend mindestens einem Monat effektiver Arbeitszeit beim selben Arbeitgeber beschäftigt gewesen zu sein, hat Anspruch auf Urlaub von 2,5 Arbeitstagen je Arbeitsmonat, ohne dass die Gesamtdauer des zustehenden Urlaubs 30 Arbeitstage überschreiten darf.“
11. Art. L. 3141‑3 des neuen Code du travail in der Fassung des Gesetzes vom 20. August 2008 bestimmt:
„Ein Arbeitnehmer, der nachweist, während eines Zeitraums entsprechend mindestens zehn Tagen effektiver Arbeitszeit beim selben Arbeitgeber gearbeitet zu haben, hat Anspruch auf Urlaub von 2,5 Arbeitstagen je Arbeitsmonat. Die Gesamtdauer des zustehenden Urlaubs darf 30 Arbeitstage nicht überschreiten.“
12. Der seinerzeit anwendbare Art. L. 223‑4 des Code du travail bestimmt:
„Für die Ermittlung der Urlaubsdauer sind einem Monat effektiver Arbeitszeit vier Arbeitswochen oder 28 Arbeitstage gleichgestellt. Die Zeit des bezahlten Urlaubs, die in Art. L. 212‑5‑1 des Code du travail und in Art. L. 713‑9 des Code rural (Landwirtschaftsgesetzbuch) vorgesehenen Ausgleichsruhetage, die in Art. L. 122‑25 bis L. 122‑30 vorgesehene Ruhezeit der Wöchnerinnen, die aufgrund der Reduzierung der Arbeitszeit erworbenen Ruhetage und die auf eine ununterbrochene Dauer von einem Jahr beschränkte Zeit, während der die Erfüllung des Arbeitsvertrags aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit unterbrochen ist, wird als effektive Arbeitszeit angesehen. (Für die Bestimmung der Urlaubsdauer wird als effektive Arbeitszeit auch die Zeit angesehen, während der ein Arbeitnehmer oder ein Lehrling aus irgendeinem Grund länger im Service national [nationaler Pflichtdienst im militärischen und zivilen Bereich] verbleibt oder wieder in diesen einberufen wird.)“
13. Der geltende Art. L. 3141‑5 des Code du travail seinerseits bestimmt:
„Für die Bestimmung der Urlaubsdauer wird als effektive Arbeitszeit angesehen:
1. die Zeit des bezahlten Urlaubs;
2. die Zeit des Mutterschafts-, Vaterschafts- und Adoptionsurlaubs, der Adoption und der Erziehung von Kindern;
3. die vorgeschriebenen Ausgleichsruhetage gemäß Art. L. 3121‑26 des Code du travail und Art. L. 713‑9 des Code rural;
4. die aufgrund der Reduzierung der Arbeitszeit erworbenen Ruhetage;
5. die – auf eine ununterbrochene Dauer von einem Jahr beschränkte – Zeit, während der die Erfüllung des Arbeitsvertrags aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit unterbrochen ist, sowie
6. die Zeit, während der ein Arbeitnehmer aus irgendeinem Grund länger im Service national verbleibt oder wieder in diesen einberufen wird.“
14. Nach Art. XIV Abs. 4 der Musterregelung im Anhang zum nationalen Tarifvertrag für das Personal der Sozialversicherungsträger besteht in einem Jahr, das durch Abwesenheiten wegen Erkrankung oder lang anhaltender Krankheit, die zu einer Arbeitsunterbrechung von zwölf oder mehr aufeinanderfolgenden Monaten geführt haben, durch Abwesenheiten wegen des Pflichtwehrdienstes sowie durch in den Art. 410, 44 und 46 des Tarifvertrags vorgesehenen Urlaub unter Entfall der Bezüge gekennzeichnet ist, kein Anspruch auf Jahresurlaub. Der Anspruch wird neu eröffnet zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Arbeit, wobei die Urlaubsdauer proportional zur effektiven Arbeitszeit, für die noch kein Jahresurlaub gewährt wurde, festgelegt wird.
III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
15. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist seit dem 10. Januar 1987 Angestellte des Beklagten des Ausgangsverfahrens, der unter den Tarifvertrag für das Personal der Sozialversicherungsträger fällt.
16. Am 3. November 2005 erlitt sie einen Wegeunfall zwischen ihrem Wohnsitz und ihrem Arbeitsort. Infolge dieses Unfalls war sie vom 3. November 2005 bis zum 7. Januar 2007 krankgeschrieben.
17. Am 8. Januar 2007 nahm sie ihre Arbeit als Halbtags- und ab dem 8. Februar 2007 als Vollzeitbeschäftigte wieder auf. Nach ihrer Rückkehr teilte ihr der Beklagte des Ausgangsverfahrens die Anzahl der Urlaubstage mit, die ihr nach seinen Berechnungen für den Zeitraum ihrer Abwesenheit zustanden. Dagegen legte die Klägerin des Ausgangsverfahrens Widerspruch ein und machte gegen ihren Arbeitgeber für diesen Zeitraum 22,5 bezahlte Urlaubstage, hilfsweise eine Ausgleichszahlung in Höhe von 1 971,39 Euro geltend.
18. Ihre Ansprüche machte sie zunächst beim Conseil de prud’hommes de Limoges geltend, der ihre Anträge in einer Entscheidung vom 15. Januar 2008 abschlägig beschied. Gegen diese Entscheidung legte sie anschließend bei der Cour d’appel de Limoges Berufung ein. Ihre Berufungsklage wurde mit Urteil vom 16. September 2008 jedoch abgewiesen, wobei die Cour d’appel u. a. feststellte, dass der Beklagte des Ausgangsverfahrens als Arbeitgeber die einschlägigen arbeitsrechtlichen Bestimmungen richtig angewandt und die Entstehung eines Urlaubsanspruchs zu Recht verneint hatte, da die Klägerin des Ausgangsverfahrens infolge ihres Wegeunfalls mehr als zwölf Monate abwesend gewesen war und während dieser Zeit keine tatsächliche Arbeit verrichtet hatte. Die Cour d’appel stellte ferner fest, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens sich nicht auf die bei einem Arbeitsunfall anwendbaren arbeitsrechtlichen Regelungen berufen konnte.
19. Mit ihrem Rechtsmittel bei der Cour de cassation wendet sie sich gegen dieses Urteil, wobei sie zum einen geltend macht, dass ein Wegeunfall einem Arbeitsunfall gleichgesetzt werden und sie daher von derselben Regelung profitieren müsse. Zum anderen trägt sie vor, dass für die Berechnung des bezahlten Urlaubs die Zeit der dem Wegeunfall folgenden Unterbrechung ihres Arbeitsvertrags tatsächlicher Arbeitszeit gleichgesetzt werden müsse.
20. Das vorlegende Gericht äußert angesichts der Rechtsprechung des Gerichtshofs, die umfassend zitiert wird, Zweifel hinsichtlich sowohl der Vereinbarkeit der einschlägigen nationalen arbeitsrechtlichen Vorschriften als auch der Pflicht des nationalen Gerichts, dem Unionsrecht entgegenstehende nationale Bestimmungen unangewandt zu lassen.
21. Vor diesem Hintergrund hat die Cour de cassation das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen, dass er nationalen Bestimmungen oder Praktiken entgegensteht, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von einer effektiven Mindestarbeitszeit von zehn Tagen (oder einem Monat) während des Bezugszeitraums abhängt?
2. Falls ja, erlegt Art. 7 der Richtlinie 2003/88, der dadurch eine besondere Pflicht des Arbeitgebers begründet, dass er den Anspruch auf bezahlten Urlaub zugunsten des aus gesundheitlichen Gründen für einen Zeitraum von einem Jahr oder länger abwesenden Arbeitnehmers eröffnet, dem mit einem Streitfall zwischen Privatpersonen befassten Richter des Mitgliedstaats auf, eine anderslautende nationale Bestimmung unangewendet zu lassen, wonach in diesem Fall der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von einer effektiven Mindestarbeitszeit von wenigstens zehn Tagen während des Bezugszeitraums abhängt?
3. Haben Arbeitnehmer aufgrund von Art. 7 der Richtlinie 2003/88, der zwischen den Arbeitnehmern nicht danach unterscheidet, ob ihre Abwesenheit vom Arbeitsplatz während des Bezugszeitraums durch einen Arbeitsunfall, eine Berufskrankheit, einen Wegeunfall oder eine außerberufliche Krankheit verursacht wurde, unabhängig von der Ursache ihrer gesundheitsbegründeten Abwesenheit einen Anspruch auf bezahlten Urlaub von derselben Dauer, oder ist diese Vorschrift dahin auszulegen, dass sie einer entsprechend der Ursache für die Abwesenheit des Arbeitnehmers unterschiedlichen Dauer des bezahlten Urlaubs nicht entgegensteht, wenn das nationale Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen für den bezahlten Jahresurlaub eine längere als die von der Richtlinie vorgesehene Mindestdauer von vier Wochen vorsieht?
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
22. Die Vorlageentscheidung mit Datum vom 2. Juni 2010 ist am 7. Juni 2010 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.
23. Schriftliche Erklärungen haben die Parteien des Ausgangsverfahrens, die französische, die dänische und die niederländische Regierung sowie die Europäische Kommission innerhalb der in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs genannten Frist eingereicht.
24. In der mündlichen Verhandlung am 17. Mai 2011 sind die Prozessbevollmächtigten der Parteien des Ausgangsverfahrens, der französischen, der dänischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission erschienen, um Ausführungen zu machen.
V – Wesentliche Argumente der Parteien
A – Zur ersten Vorlagefrage
25. Alle Verfahrensbeteiligten stimmen darin überein, dass die Antwort auf die erste Vorlagefrage sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, vor allem aus den Urteilen BECTU(5) und Schultz-Hoff u. a.(6) herleiten lässt. Sie schlagen entsprechend vor, diese Vorlagefrage dahin gehend zu beantworten, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er nationalen Bestimmungen oder Praktiken entgegensteht, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von einer effektiven Mindestarbeitszeit von zehn Tagen (oder einem Monat) während des Bezugszeitraums abhängt.
B – Zur zweiten Vorlagefrage
26. Sowohl die Argumentationslinien als auch die von den Verfahrensbeteiligten vorgeschlagenen Antworten auf diese Vorlagefrage weichen stark voneinander ab.
27. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens verweist auf die Urteile Simmenthal(7) und Melki(8) und erklärt dazu, dass die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 7 der Richtlinie 2003/88 nicht von den Aussagen des Gerichtshofs im Urteil BECTU beeinträchtigt wird. Ihrer Ansicht nach stellt sich die Situation für den nationalen Richter insofern einfach dar, als er dazu verpflichtet sei, jene nationalen Bestimmungen nicht anzuwenden, wonach die Ausübung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub von der Erfüllung einer mit dem Unionsrecht unvereinbaren Bedingung abhänge.
28. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens beruft sich auf die vom vorlegenden Gericht zitierte Rechtsprechung und zieht die gegenteilige Schlussfolgerung daraus. Seiner Ansicht nach implizieren die in dieser Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, dass der nationale Richter eine nationale Bestimmung mit der Begründung, diese sei mit einer Richtlinie unvereinbar, in einem Rechtsstreit zwischen Privaten nicht unangewendet lassen kann. Ein solches Vorgehen würde nämlich einer Auslegung contra legem entsprechen. Angesichts der Definition der Richtlinie selbst, die Vorgaben an die Mitgliedstaaten stelle und keine unmittelbaren Verpflichtungen der Bürger begründe, bestehe kein Grund, diese ständige Rechtsprechung zu revidieren, denn anderenfalls käme dies einer Aufhebung des Unterschieds zwischen Richtlinien und Verordnungen gleich.
29. Die französische und die niederländische Regierung gehen in ihrer Analyse der Rechtsprechung noch etwas weiter.
30. Die französische Regierung erinnert beispielsweise nicht nur an die von der Cour de cassation zitierte Rechtsprechung, sondern ebenfalls an die Urteile Mangold(9) und Kücükdeveci(10). In jenen Urteilen habe der Gerichtshof seine Rechtsprechung zur Stellung des nationalen Richters bei Bestehen von unionsrechtswidrigen nationalen Bestimmungen weiterentwickelt. Aus ihnen ergebe sich, dass bei Vorliegen eines Konflikts zwischen einer nationalen Bestimmung und einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts der nationale Richter erforderlichenfalls die nationale Bestimmung unangewendet lassen müsse. Die französische Regierung weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach ständiger Rechtsprechung zwar als ein „besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union“ anzusehen sei, jedoch vom Gerichtshof noch nicht als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts anerkannt worden sei, wie etwa das Verbot der Altersdiskriminierung. Demzufolge könne die oben genannte Rechtsprechung nicht auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ausgeweitet werden.
31. Die französische Regierung schlägt daher vor, die zweite Vorlagefrage dahin gehend zu beantworten, dass, sofern Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 einer nationalen Bestimmung entgegenstehe, wonach der Anspruch auf Jahresurlaub von einer Mindestarbeitszeit von zehn Tagen (oder einem Monat) während des Bezugszeitraums abhänge, diese Richtlinienbestimmung dem in einem Streitfall zwischen Privatpersonen befassten Richter nicht gestatte, die nationale Bestimmung unangewendet zu lassen.
32. Die niederländische Regierung beschränkt ihre Ausführungen auf diese Vorlagefrage. Sie vertritt die Auffassung, dass gemäß der von der Cour de cassation zitierten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der in einem Streitfall zwischen Privatpersonen befasste Richter nicht verpflichtet sei, eine nationale Bestimmung unangewendet zu lassen, die im Widerspruch zu einer Richtlinienbestimmung stehe. Vielmehr müsse der nationale Richter das nationale Recht im Einklang mit der Richtlinie auslegen und anwenden.
33. Nach Ansicht der niederländischen Regierung lassen das Urteil Kücükdeveci und die Tatsache, dass der Anspruch auf Jahresurlaub als ein „besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union“ angesehen worden sei, keine andere Schlussfolgerung zu, zumal es sich bei diesem Grundsatz nicht um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz handele.
34. Während die französische und die niederländische Regierung zu der Schlussfolgerung kommen, dass die Erwägungen des Gerichtshofs im Urteil Kücükdeveci keine Anwendung finden, sieht die Kommission keinen Grund, eine analoge Anwendung im Ausgangsfall auszuschließen.
35. Nach Auffassung der Kommission muss die zweite Vorlagefrage dahin gehend beantwortet werden, dass es dem nationalen Richter obliegt, den Rechtsschutz des Einzelnen und die volle Wirksamkeit des Unionsrechts im Rahmen seiner Befugnisse sicherzustellen, wobei er, falls erforderlich, jede nationale Bestimmung unangewendet lassen kann, die nicht im Einklang mit dem Recht auf bezahlten Jahresurlaub steht.
C – Zur dritten Vorlagefrage
36. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens schlägt vor, diese Vorlagefrage dahin gehend zu beantworten, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen sei, dass er einer unterschiedlichen Länge des bezahlten Urlaubs entgegenstehe, je nachdem, was die Ursache für die Abwesenheit des Arbeitnehmers sei. Vielmehr schreibe diese Richtlinienbestimmung vor, dass die Arbeitnehmer das Recht auf einen bezahlten Urlaub gleicher Länge haben, unabhängig davon, worauf die Abwesenheit des Arbeitnehmers zurückzuführen sei.
37. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens äußert die gegenteilige Auffassung. Danach stehe Art. 7 der Richtlinie 2003/88 dem nicht entgegen, dass die Regelungen, die die Dauer des bezahlten Jahresurlaubs bestimmen, für jene Arbeitnehmer, die wegen Krankheit oder eines Betriebsunfalls abwesend seien, im Hinblick auf die Gleichstellung des Abwesenheitszeitraums mit der tatsächlichen Dienstzeit günstiger seien als für jene Arbeitnehmer, die nicht wegen eines Betriebsunfalls abwesend seien.
38. Die französische Regierung leitet aus der oben angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs her, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 dahin ausgelegt werden müsse, dass die Länge des bezahlten Jahresurlaubs unterschiedlich ausfallen könne, je nachdem, was der Grund für die Abwesenheit des Arbeitnehmers sei, da die in dieser Richtlinienbestimmung vorgesehene Mindesturlaubszeit von vier Wochen gewährleistet sei.
39. Die Kommission weist zwar darauf hin, dass aus dem Vorlagebeschluss nicht eindeutig hervorgehe, auf welche Begebenheit des nationalen Rechts diese Vorlagefrage zurückgehe, dennoch schlägt sie vor, sie im gleichen Sinne wie von der französischen Regierung vorgeschlagen zu beantworten.
VI – Rechtliche Würdigung
A – Zur ersten Vorlagefrage
40. Mit seiner ersten Vorlagefrage begehrt das vorlegende Gericht Aufschluss darüber, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 einem Mitgliedstaat gestattet, die Ausübung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub von einer im nationalen Recht näher bestimmten Mindestarbeitszeit abhängig zu machen, wobei diese Mindestarbeitszeit nach französischem Recht ursprünglich einen Monat betrug und infolge einer gesetzlichen Änderung sich nunmehr auf zehn Tage beläuft.
41. Die Antwort auf diese Vorlagefrage ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, vor allem aber aus den Urteilen BECTU und Schultz-Hoff u. a. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, die jeweiligen relevanten Feststellungen des Gerichtshofs in Erinnerung zu rufen und sie anschließend auf ihre Übertragbarkeit auf den Ausgangsfall zu untersuchen.
42. Wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung erklärt hat, ist der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen, von dem nicht abgewichen werden darf und den die zuständigen nationalen Stellen nur in den in der Richtlinie 2003/88 selbst ausdrücklich gezogenen Grenzen umsetzen dürfen(11). Mit der gesetzlichen Verankerung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub auf der Ebene des Sekundärrechts wollte der Unionsgesetzgeber gewährleisten, dass ein Arbeitnehmer in allen Mitgliedstaaten über eine tatsächliche Ruhezeit verfügt, „damit ein wirksamer Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit sichergestellt wird“(12). Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung erklärt hat, besteht der Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub darin, dem Arbeitnehmer dazu zu verhelfen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen(13).
43. Nicht zuletzt wegen der überragenden Bedeutung, die die Unionsrechtsordnung diesem Grundsatz beimisst, hat der Gerichtshof in Randnr. 52 des bereits erwähnten Urteils BECTU festgestellt, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/104/EG – dessen Wortlaut mit dem der Nachfolgebestimmung in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 identisch ist – „den Mitgliedstaaten verwehrt, den allen Arbeitnehmern eingeräumten Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub dadurch einseitig einzuschränken, dass sie eine Voraussetzung für diesen Anspruch aufstellen, die bewirkt, dass bestimmte Arbeitnehmer von diesem Anspruch ausgeschlossen sind“.
44. In Randnr. 53 desselben Urteils hat der Gerichtshof sodann ausgeführt, dass es diesen freisteht, „in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Voraussetzungen für die Ausübung und die Umsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub festzulegen und dabei die konkreten Umstände zu bezeichnen, unter denen die Arbeitnehmer von diesem Recht, das ihnen für die Gesamtheit der zurückgelegten Beschäftigungszeiten zusteht, Gebrauch machen können, ohne dass die Mitgliedstaaten jedoch bereits die Entstehung dieses sich unmittelbar aus der Richtlinie 93/104 ergebenden Anspruchs von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen können“.
45. In Randnr. 55 jenes Urteils hat der Gerichtshof weiter erklärt, dass die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Vorschriften erlassen zwar gewisse Unterschiede in Bezug auf die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub aufweisen können, da die Richtlinie sich letztlich darauf beschränkt, Mindestvorschriften zur gemeinschaftsweiten Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung festzulegen und es ansonsten den Mitgliedstaaten überlässt, die erforderlichen Durchführungs- und Anwendungsbestimmungen zu erlassen. Dabei hat er betont, dass „die Richtlinie [es] den Mitgliedstaaten aber nicht [erlaubt], bereits die Entstehung eines ausdrücklich allen Arbeitnehmern zuerkannten Anspruchs auszuschließen“.
46. Die oben wiedergegebene Rechtsprechung ist dahin gehend zu verstehen, dass der Gerichtshof die Kompetenz der Mitgliedstaaten zum Erlass sogenannter Durchführungsmodalitäten, mit denen sie bestimmte Aspekte der Ausübung des Rechts auf Jahresurlaub im Einzelnen regeln dürfen, wie etwa die Art und Weise, wie die Arbeitnehmer den Urlaub nehmen können, der ihnen für die ersten Wochen ihrer Beschäftigung zusteht, grundsätzlich anerkennt. Eine Grenze findet diese mitgliedstaatliche Regelungskompetenz allerdings dort, wo die gewählte Regelung insofern die Effektivität des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub berührt, als die Erreichung des Zwecks des Urlaubsanspruchs nicht mehr gewährleistet ist. Dies ist etwa bei einer nationalen Regelung, die nicht über das „wie“, sondern über das „ob“ der Ausübung jenes Anspruchs entscheidet, der Fall.
47. Eine solche Regelung liegt im Ausgangsfall eindeutig vor, wie auch die französische Regierung selbst eingeräumt hat, zumal die Entstehung des Anspruchs selbst an die Bedingung geknüpft ist, dass der Arbeitnehmer eine Mindestarbeitszeit von einem Monat (im Fall des mittlerweile abgeänderten Art. L. 223‑2 Abs. 1 des Code du travail) bzw. zehn Tagen (im Fall des heutigen Art. L. 3141‑3 des Code du travail) absolviert. Wie die französische Regierung in ihren schriftlichen Ausführungen detailliert begründet hat, erklärt sich die Festlegung der zehntätigen Mindestarbeitszeit mit den Modalitäten zur Berechnung der Länge des Jahresurlaubs. Letztere entspreche einer bestimmten Anzahl von Werktagen, wobei ein Urlaubstag nach dieser Berechnungsmethode zehn Werktagen entspreche.
48. Der Verweis auf die Notwendigkeit der genauen Berechnung des Jahresurlaubs im Einzelfall ändert, wie die französische Regierung ebenfalls eingeräumt hat, jedoch nichts daran, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs keinerlei Ausnahmen von der Regel vorsieht, dass die Verwirklichung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub bei seiner Umsetzung auf mitgliedstaatlicher Ebene nicht durch einzelstaatliche Maßnahmen vereitelt werden darf. In diesem Zusammenhang erscheint es angezeigt, darauf hinzuweisen, dass dem Urteil BECTU ein ähnlicher Sachverhalt wie der vorliegenden Rechtssache zugrunde lag, so dass die darin entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze auf den Ausgangsfall unmittelbar übertragbar sind. In jener Rechtssache war der Gerichtshof nämlich aufgerufen, über die Frage zu entscheiden, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/104 einem Mitgliedstaat erlaubte, eine nationale Regelung zu erlassen, nach der ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erst dann erwarb, wenn er eine ununterbrochene Mindestbeschäftigungszeit von 13 Wochen bei demselben Arbeitgeber zurückgelegt hatte. Da der Gerichtshof diese Frage ausdrücklich verneint hat, erscheint es mir naheliegend, dass die streitgegenständliche französische Regelung nicht als im Einklang mit der Richtlinie 2003/88 angesehen werden kann.
49. Eine weitere Rechtsfrage, die im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits aufgeworfen wurde und – worauf der Beklagte des Ausgangsverfahrens in seinem schriftlichen Vortrag(14) zutreffend hingewiesen hat – ebenfalls als für die Zwecke des vorliegenden Vorabentscheidungsverfahrens klärungsbedürftig anzusehen ist, ist nämlich, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch während eines Zeitraums entstehen kann, in dem der Arbeitnehmer krankheitsbedingt abwesend war. Die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage ist damit zu erklären, dass davon letztlich abhängt, ob der Klägerin des Ausgangsverfahrens für diese Zeit Urlaubsansprüche überhaupt zustehen oder ob ihr die Abwesenheit vom Arbeitsplatz entgegengehalten werden kann.
50. Auch für die Beantwortung dieser Frage liefert die Rechtsprechung nützliche Hinweise. Als besonders ergiebig erweist sich das Urteil Schultz-Hoff u. a., in dem der Gerichtshof in Randnr. 39 zunächst festgestellt hat, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie in Bezug auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auf „jeden Arbeitnehmer“ Anwendung findet. Als relevant sind dabei seine weiteren Ausführungen in Randnr. 40 jenes Urteils anzusehen, in dem er festgestellt hat, dass „in der Richtlinie 2003/88 in Bezug auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht zwischen Arbeitnehmern, die wegen einer kurz- oder langfristigen Krankschreibung während des Bezugszeitraums der Arbeit ferngeblieben sind, und solchen, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben, unterschieden wird“.
51. Daraus hat der Gerichtshof in Randnr. 41 des Urteils eine meines Erachtens auch für die Zwecke des vorliegenden Vorabentscheidungsverfahrens wichtige Schlussfolgerung gezogen, und zwar, dass „ein Mitgliedstaat den mit der Richtlinie 2003/88 allen Arbeitnehmern unmittelbar verliehenen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei ordnungsgemäß krankgeschriebenen Arbeitnehmern nicht von der Voraussetzung abhängig machen kann, dass sie während des von diesem Staat festgelegten Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet haben“.
52. Die oben wiedergegebene Rechtsprechung ist demnach dahin gehend zu verstehen, dass eine krankheitsbedingte Abwesenheit eines Arbeitnehmers im jeweiligen Bezugsjahr der Entstehung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub nicht entgegensteht, sofern dieser ordnungsgemäß krankgeschrieben war. Dies bedeutet in rechtlicher Hinsicht, dass Arbeitsversäumnisse aus Gründen, die unabhängig vom Willen des beteiligten Arbeitnehmers bestehen, wie z. B. Krankheit, als Dienstzeit anzurechnen sind. Dies ist auch die Aussage der Regelung in Art. 5 Abs. 4 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1970 über den bezahlten Jahresurlaub (Neufassung), den der Gerichtshof seinen Erwägungen zum Verhältnis zwischen dem Jahresurlaub und dem Urlaub wegen Krankheit zugrunde gelegt hat.
53. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die streitgegenständliche Regelung nicht im Einklang mit der Richtlinie 2003/88 steht. Zu diesem Ergebnis kommt auch die französische Regierung, die in ihrem schriftlichen Vorbringen angekündigt hat, darauf hinzuwirken, dass Art. L. 3141‑3 des Code du travail geändert wird(15). Folglich muss die erste Vorlagefrage dahin gehend beantwortet werden, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er nationalen Bestimmungen oder Praktiken entgegensteht, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von einer effektiven Mindestarbeitszeit von zehn Tagen (oder einem Monat) während des Bezugszeitraums abhängig gemacht wird.
B – Zur zweiten Vorlagefrage
1. Allgemeines
a) Wesentliche rechtliche Aspekte
54. Die zweite Vorlagefrage ist ausdrücklich allein für den Fall gestellt, dass die Unvereinbarkeit der streitgegenständlichen nationalen Bestimmung mit dem Unionsrecht – wie oben geschehen – festgestellt werden sollte. Wie den Ausführungen im Vorlagebeschluss, die diese Vorlagefrage speziell betreffen, zu entnehmen ist(16), möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88 ihm gegebenenfalls die unionsrechtliche Verpflichtung auferlegt, in einem Streitfall zwischen Privatpersonen die streitgegenständliche nationale Bestimmung unangewendet zu lassen.
55. Die Beantwortung dieser Frage bedarf einiger Ausführungen zu zwei wesentlichen rechtlichen Aspekten, die miteinander verbunden sind. Zum einen geht es um die Rolle der nationalen Gerichte bei der Anwendung des Unionsrechts, wie sie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht. Zum anderen geht es um die Bedeutung, welche die Unionsrechtsordnung dem Anspruch auf Jahresurlaub beimisst, sowie um dessen Durchsetzbarkeit.
b) Vorliegen eines Rechtsstreits zwischen Privaten
56. Bevor ich mich diesen zentralen Aspekten der Vorlagefrage zuwende, möchte ich der Vollständigkeit halber anmerken, dass der Umstand, dass sich im Ausgangsrechtsstreit zwei Private gegenüberstehen, aus meiner Sicht außer Frage steht.
57. Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, dass es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs allein Sache des vorlegenden Gerichts ist, den Gegenstand der Fragen festzulegen, die es dem Gerichtshof vorlegen will. Denn nur die mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte, in deren Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, haben im jeweiligen Einzelfall sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen(17).
58. Insoweit, als das vorlegende Gericht in seiner Vorlageentscheidung klar von einem Rechtsstreit zwischen Privaten ausgeht und der Frage einer eventuellen Zugehörigkeit des Beklagten des Ausgangsverfahrens zum französischen Staat, und zwar als Teil der öffentlichen Verwaltung, jedenfalls nicht explizit nachgeht, ist der Gerichtshof auch an diese Beurteilung gebunden.
59. Ausnahmsweise darf der Gerichtshof aber eine Würdigung derjenigen Gründe vornehmen, die das nationale Gericht zur Vorlage einer bestimmten Frage veranlasst haben. Dies ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn der Gerichtshof offensichtlich in Wirklichkeit dazu veranlasst werden soll, über einen konstruierten Rechtsstreit zu entscheiden oder Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben, die begehrte Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Rechtsstreits steht oder der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(18).
60. Die Voraussetzungen dafür sind hier indes nicht gegeben. Nach den klarstellenden Ausführungen der Verfahrensbeteiligten im Rahmen der mündlichen Verhandlung geht es im Ausgangsverfahren um einen Rechtsstreit aus einem arbeitsrechtlichen Vertrag, wobei der Beklagte des Ausgangsverfahrens als Privater und keineswegs als eine mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattete Behörde gegenüber der Klägerin des Ausgangsverfahrens aufgetreten ist. Diese Ausführungen bestätigen letztlich die Beurteilung des vorlegenden Gerichts.
2. Die Rolle des nationalen Richters in einem Rechtsstreit zwischen Privaten
a) Die unionsrechtlichen Grenzen der Anwendbarkeit von Richtlinien
61. Zur Rolle des nationalen Gerichts, das über einen Rechtsstreit zwischen Privaten zu entscheiden hat, in dem sich zeigt, dass die fragliche nationale Regelung – wie im Ausgangsfall – gegen das Unionsrecht verstößt, hat der Gerichtshof entschieden, dass es den nationalen Gerichten obliegt, den Rechtsschutz sicherzustellen, der sich für den Einzelnen aus den unionsrechtlichen Bestimmungen ergibt, und deren volle Wirkung zu gewährleisten(19). Eine wichtige Einschränkung besteht bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten allerdings insofern, als nach der Rechtsprechung eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist(20).
62. Daraus folgt nach Auffassung des Gerichtshofs, dass sogar eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung, mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Einzelne gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung finden kann. Der Gerichtshof begründet seine Auffassung damit, dass dies anderenfalls dazu führen würde, der Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zulasten der Bürger Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist(21). Diese Auffassung trägt der besonderen Natur der Richtlinie Rechnung, die unmittelbar Verpflichtungen nur zulasten der Mitgliedstaaten begründet, an die sie gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV gerichtet ist, und dem Einzelnen Verpflichtungen nur über die jeweiligen nationalen Umsetzungsmaßnahmen auferlegen kann.
63. Diese Rechtsprechung verdient Zustimmung. Dementsprechend ist auch die im Hinblick auf Horizontalverhältnisse verschiedentlich vorgeschlagene(22) Differenzierung zwischen einer positiven und einer negativen unmittelbaren Wirkung von Richtlinien abzulehnen. Nach dieser Ansicht sollen nicht umgesetzte Richtlinien zwar nicht unmittelbar Pflichten des Einzelnen gegenüber anderen Privatrechtssubjekten begründen können; jedoch soll richtlinienwidriges nationales Recht – unter Heranziehung des Grundsatzes vom Anwendungsvorrang des Unionsrechts – auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten unangewendet bleiben. Hiergegen wird zu Recht eingewandt, dass dieser Ansatz der Rechtssicherheit abträglich wäre(23). Denn je nachdem, in welchem normativen Kontext eine richtlinienwidrige Vorschrift im nationalen Recht steht, kann ihre Nichtanwendung eben doch zu einer Ausweitung der Pflichten von Privatrechtssubjekten führen; ob dies der Fall ist, hängt von den – aus Sicht des Unionsrechts – eher zufälligen Faktoren ab, etwa davon, ob es im nationalen Recht eine andere (pflichtenbegründende) Vorschrift gibt, auf die bei Suspension des richtlinienwidrigen Rechts zurückgegriffen werden kann.
64. Folglich könnte sich die Klägerin des Ausgangsverfahrens nach dieser Rechtsprechung nicht auf Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 berufen, um vom vorlegenden Gericht die Unanwendbarkeit der unionsrechtswidrigen nationalen Regelung zu fordern.
65. Als Ausgleich für das Fehlen einer horizontalen unmittelbaren Wirkung der Richtlinien hat der Gerichtshof gleichwohl auf alternative Lösungen verwiesen, die dem Einzelnen, der sich durch eine unterbliebene oder fehlerhafte Umsetzung einer Richtlinie beschwert fühlt, Befriedigung verschaffen können. Dabei geht es zum einen um die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, zum anderen um die Anwendung der Grundsätze der unionsrechtlichen Haftung des Mitgliedstaats wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht.
66. Der Gerichtshof hat die Methode der richtlinienkonformen Auslegung mit der Verpflichtung aller Träger öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch der Gerichte begründet, das in einer Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen sowie alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen(24). Sie impliziert, dass bei der Anwendung des nationalen Rechts dieses Recht unter Anwendung aller verfügbaren Auslegungsmethoden so ausgelegt wird, dass die Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck dieser Richtlinie ausgerichtet wird, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen(25). Im Urteil Pfeiffer u. a.(26) hat der Gerichtshof erläutert, wie das nationale Gericht in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen vorzugehen hat. Ermöglicht es das nationale Recht durch die Anwendung seiner Auslegungsmethoden, eine innerstaatliche Bestimmung unter bestimmten Umständen so auszulegen, dass eine Kollision mit einer anderen Norm innerstaatlichen Rechts vermieden wird, oder die Reichweite dieser Bestimmung zu diesem Zweck einzuschränken und sie nur insoweit anzuwenden, als sie mit dieser Norm vereinbar ist, dann ist das nationale Gericht verpflichtet, die gleichen Methoden anzuwenden, um das von der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen.
67. Wie der Gerichtshof mehrfach erklärt hat, findet die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts allerdings ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere im Grundsatz der Rechtssicherheit, und zwar in dem Sinne, dass sie nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen darf(27).
68. Dem Vorlagebeschluss kann nicht explizit entnommen werden, ob eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts überhaupt möglich ist. Allerdings kann aus einer Gesamtwürdigung des Vorabentscheidungsersuchens gefolgert werden, dass dem vorlegenden Gericht offenbar als einziger Ausweg, um zu einem richtlinienkonformen Auslegungsergebnis zu gelangen, die Option bliebe, die streitgegenständliche Regelung unangewendet zu lassen. In Anbetracht der Tatsache, dass das vorlegende Gericht in seinem Vorlagebeschluss die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Grenzen dieser Auslegungsmethode wiedergegeben hat, kann davon ausgegangen werden, dass eine richtlinienkonforme Auslegung im Ausgangsfall nicht möglich ist, ohne das nationale Recht contra legem auszulegen.
b) Mögliche alternative Ansätze
69. Es bleibt also der Frage nachzugehen, ob dem nationalen Gericht dennoch unter bestimmten Voraussetzungen ein Vorgehen gestattet wäre, bei dem es die streitgegenständliche Regelung in einem Verhältnis zwischen Privaten unangewendet lassen könnte. Meines Erachtens kommen drei verschiedene Ansätze in Betracht, die ich im Einzelnen erläutern und auf ihre Durchführbarkeit untersuchen werde.
70. Zunächst einmal ist zu untersuchen, ob eine unmittelbare Anwendbarkeit des Grundrechts aus Art. 31 Abs. 2 der Charta in Betracht kommt(28). Anschließend ist eine Analyse der Frage notwendig, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts eingeordnet und in einem Verhältnis zwischen Privaten unmittelbar angewandt werden kann(29). Schließlich ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Ansatz des Gerichtshofs im Urteil Kücükdeveci erforderlich im Hinblick auf eine Beurteilung der Übertragbarkeit dieses Ansatzes auf die vorliegende Rechtssache(30).
i) Unmittelbare Anwendbarkeit des Grundrechts aus Art. 31 Abs. 2 der Charta
71. Ein erster Ansatz könnte, wie bereits angedeutet, in der unmittelbaren Anwendung des in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankerten Grundrechts auf bezahlten Jahresurlaub bestehen.
– Anwendbarkeit der Charta
72. Hatte die Charta ursprünglich insofern vornehmlich deklaratorischen Charakter, als sie als Ausdruck der Selbstverpflichtung der Union zur Achtung der Grundrechte zu verstehen war, so hat dieser Text mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags am 1. Dezember 2009 gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV endgültig primärrechtlichen Rang innerhalb der Unionsrechtsordnung erlangt(31). Dies hat zur Folge, dass Rechtsakte, die die Organe der Union auf dem Gebiet der Arbeitszeitgestaltung erlassen, aufgrund der in Art. 51 Abs. 1 der Charta angeordneten Grundrechtsbindung nunmehr am Maßstab dieser Bestimmung zu messen sind. Ebenfalls von nun an daran gebunden sind die Mitgliedstaaten, soweit sie Unionsrecht durchführen(32).
73. Angesichts des Umstands, dass die Fakten, die Anlass zum Ausgangsrechtsstreit gegeben haben, sich in den Jahren 2005 bis 2007 und damit zu einem Zeitpunkt abgespielt haben, als die Charta noch nicht in Kraft getreten war, müsste ihre Anwendbarkeit ratione temporis auf den Sachverhalt, der der vorliegenden Rechtssache zugrunde liegt, streng genommen verneint werden. Dabei würde aber außer Acht gelassen werden, dass die Unionsgerichte ihr bereits lange vor ihrer förmlichen Inkorporation in die Unionsrechtsordnung maßgebliche Bedeutung bei der Auslegung des Unionsrechts beigemessen haben(33). Eine Heranziehung der Charta als Auslegungshilfe ist nicht zu beanstanden, zumal sie jene Rechte bekräftigt, die in einer Vielzahl von Rechtsinstrumenten niedergelegt sind und sich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergeben, womit sie letztlich als Ausdruck der europäischen Werteordnung angesehen werden kann.
74. Nach ihrer inzwischen erfolgten Inkraftsetzung dürfte ihr verbindlicher Charakter bei der Auslegung nunmehr unbestritten sein, was insbesondere durch den Umstand bestätigt wird, dass der Gerichtshof sie in Randnr. 22 des Urteils Kücükdeveci trotz ihrer erkennbaren zeitlichen Unanwendbarkeit in seine rechtlichen Überlegungen einbezogen hat(34). Es erscheint deshalb konsequent, auch in der vorliegenden Rechtssache die jeweils relevanten Bestimmungen der Charta als Ausgangspunkt für die Auslegung aller anderen Normen des Unionsrechts, darunter der allgemeinen Rechtsgrundsätze und des Sekundärrechts, zu verwenden. Es gilt insbesondere, jede Auslegung jener Normen zu vermeiden, die möglicherweise im Widerspruch zu den Wertungen der Charta stehen könnte.
– Grundrechtseigenschaft
75. Die Einordnung des in Art. 31 Abs. 2 der Charta verbrieften Rechts der Arbeitnehmer auf bezahlten Jahresurlaub als ein soziales Grundrecht bereitet meines Erachtens keine besonderen Schwierigkeiten. Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Schultz-Hoff u. a. dargelegt habe(35), stellt die Tatsache, dass dieser Anspruch Aufnahme in die Charta gefunden hat, eine Bestätigung dafür dar, dass er Grundrechtscharakter besitzt. Angeschlossen habe ich mich dabei der Auffassung von Generalanwalt Tizzano, der dies bereits in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache BECTU zum Ausdruck gebracht hatte(36). Sofern ich es überblicken kann, vertritt ein nicht unerheblicher Teil des rechtswissenschaftlichen Schrifttums ebenfalls diese Auffassung(37), wobei ähnliche Argumente dafür vorgebracht werden. Sie stützen sich im Wesentlichen auf den Wortlaut sowie auf die rechtliche Konstruktion dieser Grundrechtsnorm.
76. In der Tat legt bereits der Wortlaut dieser Bestimmung den Schluss nahe, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als „Grundrecht“ konzipiert worden ist, womit eine Zugehörigkeit zu den in Art. 51 Abs. 1 der Charta genannten „Grundsätzen“, die keine unmittelbaren subjektiven Rechte begründen, sondern vielmehr einer Konkretisierung durch die Adressaten im Rahmen ihrer Zuständigkeiten bedürfen, sogleich ausgeschlossen werden kann. Art. 31 Abs. 2 der Charta bestimmt nämlich, dass „jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub [hat]“. Hierin kommt die menschenrechtliche Qualität der Verbürgung klar zum Ausdruck, zumal in diesem Artikel die Würde des Menschen im Arbeitsleben im Vordergrund steht(38). Damit unterscheidet er sich deutlich von anderen Bestimmungen des Titels IV („Solidarität“) der Charta, die eher im Sinne einer objektivrechtlichen Garantie so formuliert sind, dass die darin gewährten Rechte „anerkannt“ oder „geachtet“ werden. Diese unterschiedlichen Formulierungen lassen eine abgestufte Intensität des Schutzes je nach Rechtsgut erkennbar werden(39).
77. Entsprechend diesem abgestuften Schutzsystem legen jene Bestimmungen, die lediglich „Grundsätze“ enthalten und insoweit gemäß Art. 52 Abs. 5 Satz 1 der Charta in erster Linie den Gesetzgeber bei der Umsetzung binden, oft auch fest, dass Schutz nur „nach Maßgabe des Unionsrechts bzw. der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ gewährt wird(40). Ein wesentliches Merkmal der Grundsätze ist nämlich, dass ihre Anwendung oft die Verabschiedung von Durchführungsmaßnahmen voraussetzt, die im Übrigen nur nach Maßgabe der durch das Vertragswerk vorgegebenen Zuständigkeitsverteilung und unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips erfolgen darf(41). Die Tatsache, dass Grundsätze zur Entfaltung eines Tätigwerdens gesetzlicher und organisatorischer sowie praktischer Maßnahmen der Union und ihrer Mitgliedstaaten bedürfen, kommt in dem auch für sie geltenden Passus „fördern sie deren Anwendung“ in Art. 51 Abs. 1 Satz 2 der Charta zum Ausdruck.
78. Dies ist bei Art. 31 Abs. 2 der Charta jedoch nicht der Fall, der insoweit auf eine individuelle Einforderung angelegt ist. Der Umstand, dass Art. 31 Abs. 1 der Charta, in dem auf das „Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen“ verwiesen wird, relativ abstrakt gefasst ist und erst einer Konkretisierung durch Abs. 2 bedarf, lässt sich nicht als Argument für eine Einordnung dieser Vorschrift als Ganzes als „Grundsatz“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta ins Feld führen, zumal Grundrechtsnormen grundsätzlich recht abstrakt in ihrer Formulierung gefasst sein können, insbesondere um politischen und gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragen zu können(42). Dies gilt erst recht für soziale Rechte, die oft auf Konkretisierung angelegt sind, nicht zuletzt wegen der damit einhergehenden Kosten, die eine Verwirklichung dieser Rechte letztlich von den tatsächlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten des Staates abhängig machen können(43).
79. Eine systematische Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis. Art. 28 und Art. 29 der Charta sprechen ebenfalls davon, dass die jeweiligen Grundrechtsträger ein „Recht“ haben, womit beide Bestimmungen subjektive Rechte gewähren(44). Aufgrund der Nähe der Vorschriften zu Art. 31 der Charta, ihrer inhaltlichen Verbindung und ihrer strukturellen Gleichheit ist auch bei Art. 31 der Charta von einem subjektiven Recht auszugehen.
– Fehlende Drittwirkung
Das System des Grundrechtsschutzes nach der Charta
80. Die Formulierung des Art. 31 der Charta könnte auf den ersten Blick dazu verleiten, der Norm Drittwirkung(45) zu unterstellen und sie unmittelbar auf das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber anzuwenden. Damit würden theoretisch auch Privatpersonen verpflichtet, gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Gemäß Art. 51 Abs. 1 Satz 1 gilt die Charta jedoch nur „für die Organe und Einrichtungen der Union und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“. Ferner bestimmt Art. 52 Abs. 2, dass „die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte, die in den Gemeinschaftsverträgen oder im Vertrag über die Europäische Union begründet sind, im Rahmen der darin festgelegten Bedingungen und Grenzen [erfolgt]“. Meines Erachtens deuten diese Bestimmungen auf eine beabsichtigte Beschränkung des Kreises der Grundrechtsadressaten hin, die wiederum Aufschluss über die vom Unionsgesetzgeber angestrebte Art des Grundrechtsschutzes gibt.
81. Danach dürften Eingriffe in den Gewährleistungsbereich des Art. 31 der Charta nur dann vorliegen, wenn die Union oder die Mitgliedstaaten ihren Bediensteten keine gerechten und angemessenen Arbeitsbedingungen gewähren oder wenn sie keine Regelungen zur Sicherung der in Art. 31 der Charta genannten Rechte erlassen, obwohl sie über entsprechende Kompetenzen verfügen(46). Diese Bestimmung gewährt dem Einzelnen somit ein subjektives Recht, das in erster Linie in einer Schutzpflicht der Union und ihrer Mitgliedstaaten ihm gegenüber besteht.
82. Eine Beeinträchtigung des Grundrechts durch mitgliedstaatliches Handeln käme angesichts des eindeutigen Wortlauts von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta nur im Rahmen der Durchführung von Unionsrecht in Betracht, beispielsweise bei der Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht(47). Bestätigt wird in dieser Bestimmung letztlich die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannte Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Unionsrecht(48). Dabei ist allerdings zu bedenken, dass den Grundrechtsverpflichteten bei der Umsetzung ein erheblicher Spielraum zukommt, da Art. 31 der Charta als Schutzgrundrecht gerade den Erlass ausgestaltender Regelungen voraussetzt(49).
83. Angesichts der Tatsache, dass erstens Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta den Kreis der Grundrechtsverpflichteten eindeutig festlegt, und zweitens die Funktion des Grundrechts aus Art. 31 der Charta seinem Regelungszweck nach zu urteilen sich in der Begründung einer Schutzpflicht der Union und der Mitgliedstaaten erschöpft, ist davon auszugehen, dass Privatpersonen durch dieses Grundrecht nicht unmittelbar verpflichtet sind(50). Als zusätzliches Argument gegen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Allgemeinen lässt sich ferner anführen, dass Privatpersonen dem in Art. 52 Abs. 1 der Charta vorgesehenen Gesetzesvorbehalt („Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein“) auch nicht genügen können. Diese rechtsstaatliche Anforderung für Eingriffe in Grundrechte kann sich naturgemäß nur an die Union und ihre Mitgliedstaaten als Träger von Hoheitsgewalt richten. Privatpersonen können deshalb allenfalls mittelbar durch Regelungen zur Umsetzung der Schutzpflicht gebunden werden(51). Darüber hinaus kommt die grundrechtskonforme Auslegung auch bei privatrechtlichen Vorschriften zum Tragen. Dies ist für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens jedoch nicht weiter relevant. Relevant ist vielmehr die Feststellung, dass das in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankerte Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub keine unmittelbare Anwendung zwischen Privaten findet.
Das System des Grundrechtsschutzes nach der EMRK
84. Dass es einer unmittelbaren Grundrechtsbindung von Privatpersonen nicht zwingend bedarf, um in sogenannten Horizontalverhältnissen einen angemessenen Grundrechtsschutz zu gewährleisten, sondern es vielmehr ausreicht, wenn der Einzelne sich auf eine Schutzpflicht des Gesetzgebers berufen kann, um Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Private zu unterbinden, beweist das in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vorgesehene Grundrechtsschutzsystem.
85. Zwar sieht die EMRK kein dem Art. 31 Abs. 2 der Charta vergleichbares Recht auf Jahresurlaub vor, dennoch ist zu bedenken, dass gemäß Art. 52 Abs. 3 und Art. 53 der Charta das in der EMRK enthaltene Niveau des Grundrechtsschutzes für die Unionsrechtsordnung maßgeblich ist. Diese Bestimmungen sind ihrem Sinn und Zweck entsprechend nämlich dahin gehend zu verstehen, dass das in der Charta gewährleistete Grundrechtsschutzniveau nicht hinter den Mindeststandards der EMRK zurückbleiben darf(52). Aus diesem Grund, aber auch im Hinblick auf einen künftigen Beitritt der Union zur EMRK, wie in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 EUV vorgesehen, erscheint eine Berücksichtigung der Lösungsansätze, die dieses gesamteuropäische System des Grundrechtsschutzes bietet, unverzichtbar.
86. Dazu ist festzustellen, dass in keiner Grundrechtsgewährleistung der EMRK Ansatzpunkte für eine Drittwirkung zu finden sind, mag es auch Bestimmungen geben, die dies nahezulegen scheinen(53). Eine Drittwirkung würde auch aus prozessualen Gründen vor kaum überwindbaren Schwierigkeiten stehen, da Beschwerden wegen Verletzungen der Gewährleistungen der EMRK durch Private nach Art. 35 EMRK von vornherein ratione personae unzulässig sind(54). Stattdessen erfolgt der Grundrechtsschutz im Verhältnis zwischen Privaten dadurch, dass dem Staat eine Schutzpflicht auferlegt wird, die er durch die Ergreifung positiver Maßnahmen (sogenannte „obligations positives“) erfüllen muss. Nach diesem Konzept obliegt es dem Staat, Angriffe von Privaten (Störern) auf die Rechtspositionen des betroffenen Grundrechtsberechtigten (Opfer) abzuwehren(55), wobei er über einen gewissen Spielraum bei der Wahl der Mittel verfügt. Nur in besonderen Konstellationen verlangt die EMRK mit Strafe bewehrte gesetzliche Verbote zum Schutz eines Grundrechts, etwa im Bereich des Schutzes des Lebens gemäß Art. 2 EMRK gegenüber Angriffen durch Private. Seiner Schutzpflicht kommt der Staat durch Gesetze und durch die Vollziehung derselben nach, indem er beispielsweise im Privatrecht für einen der EMRK entsprechenden Interessenausgleich sorgt, Grundrechtsträger strafrechtlich vor Übergriffen durch Private hinreichend schützt oder nachbarrechtliche Belange im Verwaltungsrecht angemessen regelt(56). Die Verletzung dieser Schutzpflicht wird durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Wege einer Verurteilung des jeweiligen Staates verbindlich festgestellt(57). Mangels einer Passivlegitimation von Privatpersonen ist mit einer solchen Verurteilung aber keine Mitverantwortung des Störers verbunden, auf den die Grundrechtsbeeinträchtigung letztlich zurückzuführen ist.
87. Dieser kurze Überblick zeigt bereits, dass die Schutzpflichtendogmatik, auf der das Grundrechtsschutzsystem nach der EMRK beruht, eine Grundrechtsbindung Privater überflüssig erscheinen lässt, da sie angemessene Lösungen für die Rechtsfragen bietet, die gemeinhin im Rahmen der Drittwirkung diskutiert werden(58). Es lässt sich somit nicht behaupten, dass das Grundrechtsschutzniveau in der Union hinter dem Niveau der EMRK zurückbliebe, wenn eine unmittelbare Wirkung der Grundrechte der Charta in Horizontalverhältnissen verneint würde.
– Ergebnis
88. Demnach kann sich das vorlegende Gericht nicht auf Art. 31 Abs. 2 der Charta stützen, um unionsrechtswidriges nationales Recht, das einer richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich ist, in einem Rechtsstreit zwischen Privaten unangewendet zu lassen.
ii) Unmittelbare Anwendbarkeit eines etwaigen allgemeinen Rechtsgrundsatzes
89. Ein weiterer denkbarer Ansatz bestünde darin, einen etwaigen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts, der gegebenenfalls einen Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub vorsähe, in einem Verhältnis zwischen Privaten anzuwenden.
90. Dieser Ansatz würde allerdings die Klärung zweier grundlegender Fragen voraussetzen. Zum einen müsste der Frage nachgegangen werden, ob das Recht auf bezahlten Jahresurlaub überhaupt den Rang eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes innerhalb der Unionsrechtsordnung besitzt. Zum anderen müsste geklärt werden, ob dieser allgemeine Rechtsgrundsatz gegebenenfalls auch im Verhältnis zwischen Privaten anwendbar wäre.
– Rang des Rechts auf Jahresurlaub innerhalb der Unionsrechtsordnung
Begriff des allgemeinen Rechtsgrundsatzes
91. Als Einleitung zur Untersuchung der ersten Frage sollen in einem kurzen Überblick sowohl Begriff als auch Funktion der allgemeinen Rechtsgrundsätze im Unionsrecht dargestellt werden.
92. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts nehmen innerhalb der Rechtsprechung des Gerichtshofs einen besonderen Platz ein. Dennoch ist der Begriff der allgemeinen Rechtsgrundsätze bis heute umstritten(59). Die Terminologie ist sowohl im rechtswissenschaftlichen Schrifttum als auch in der Rechtsprechung uneinheitlich. Teilweise bestehen Unterschiede nur hinsichtlich der Wortwahl, so, wenn der Gerichtshof und die Generalanwälte sich auf einen „allgemein anerkannten Rechtssatz“(60), einen „allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz“(61), „elementare Rechtsgrundsätze“(62), einen „fundamentalen Grundsatz“(63), einen schlichten „Grundsatz“(64), einen „Rechtssatz“(65) oder den „allgemeinen Gleichheitssatz, der zu den Grundprinzipien des Unionsrechts gehört“(66), beziehen.
93. Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass den allgemeinen Rechtsgrundsätzen in der Rechtsprechung zur Lückenfüllung und als Auslegungshilfe große Bedeutung zukommt(67). Dies resultiert nicht zuletzt daraus, dass es sich bei der Unionsrechtsordnung um eine in der Entwicklung befindliche Rechtsordnung handelt, die wegen ihrer Offenheit für die Integrationsentwicklung notwendigerweise lückenhaft und auslegungsbedürftig sein muss. Aufgrund dieser Erkenntnis hat wohl auch der Gerichtshof auf eine genaue Klassifizierung der allgemeinen Rechtsgrundsätze verzichtet, um sich die Flexibilität zu erhalten, die er benötigt, um die unabhängig von den terminologischen Unterschieden auftretenden Sachfragen entscheiden zu können(68). Darüber hinaus kommt den allgemeinen Rechtsgrundsätzen Bedeutung in ihrer Funktion als Maßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit und Gültigkeit von Rechtsakten(69) der Union sowie als Grundlage für die richterliche Rechtsfortbildung zu(70).
94. Nach einer im Schrifttum vertretenen Definition zählen zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen jene grundlegenden Bestimmungen des ungeschriebenen primären Unionsrechts, die der Rechtsordnung der Europäischen Union selbst inhärent oder den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind(71). Grundsätzlich lässt sich zwischen allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts im engeren Sinne, nämlich jenen, die ausschließlich aus dem Geist und dem System der Verträge entwickelt werden und sich auf spezifische Probleme des Unionsrechts beziehen, und jenen allgemeinen Rechtsgrundsätzen unterscheiden, die den Rechts- und Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind(72). Während die erste Gruppe von allgemeinen Rechtsgrundsätzen sich direkt aus dem primären Unionsrecht ableiten lässt, bedient sich der Gerichtshof bei der zweiten Gruppe im Wesentlichen zum Zweck ihrer Ermittlung einer kritisch-wertenden Rechtsvergleichung(73), bei der jedoch keinesfalls die Methode des kleinsten gemeinsamen Nenners gilt. Ebenso wenig wird dabei als erforderlich erachtet, dass die so entwickelten Rechtsgrundsätze in ihrer konkreten Ausformulierung auf Unionsebene immer in allen verglichenen Rechtsordnungen gleichzeitig vorkommen(74).
95. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze zeichnen sich dadurch aus, dass sie grundlegende Prinzipien der Union und ihrer Mitgliedstaaten verkörpern, was ihren primärrechtlichen Rang innerhalb der Normenhierarchie der Unionsrechtsordnung erklärt(75). Von herausragender Bedeutung sind insbesondere der durch die Unionsgerichtsbarkeit unter dieser übergreifenden Bezeichnung entwickelte und gewährleistete Grundrechtsschutz im engeren Sinne sowie die Herausarbeitung jener grundrechtsgleichen Verfahrensrechte, die als allgemeine Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in den Rang des Verfassungsrechts der Union erhoben worden sind(76). Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören daher auch jene Grundsätze, die mit den Strukturprinzipien der Europäischen Union wie Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie Rechtsstaatlichkeit im Sinne des Art. 2 EUV eng verbunden sind und sich aus ihnen ableiten lassen. Ihre Verletzung durch einen Mitgliedstaat kann den besonderen Sanktionsmechanismus des Art. 7 EUV auslösen.
96. Als allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts wurden beispielsweise wichtige rechtsstaatliche Prinzipien anerkannt wie der Gedanke der Verhältnismäßigkeit(77), die Rechtsklarheit(78) oder das Recht des Einzelnen auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz(79). In diesen Zusammenhang gehören auch verschiedene allgemeine Grundsätze der ordentlichen Verwaltung wie das Prinzip des Vertrauensschutzes(80), das Prinzip ne bis in idem(81), des rechtlichen Gehörs(82), auch in Gestalt der Gelegenheit zur Stellungnahme bei beeinträchtigenden Maßnahmen(83), der Begründungszwang bei Rechtsakten(84) oder der Amtsermittlungsgrundsatz(85). Auch die Berufung auf „höhere Gewalt“(86) zählt dazu. Man kann aber auch Grundsätze finden, die dem Vertragsrecht nicht fremd sind, wie z. B. der allgemeine Rechtsgrundsatz pacta sunt servanda(87) oder auch der Grundsatz clausula rebus sic stantibus(88).
97. In sozialstaatliche Richtung weisen etwa die Anerkennung des Prinzips der Solidarität(89) oder die Fürsorgepflicht der Behörde gegenüber ihren Bediensteten(90). Zur Anerkennung föderaler Bindungen innerhalb der Europäischen Union zählen die oftmalige Betonung des Grundsatzes der Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten und ihrer Mitwirkungspflichten im Verhältnis zur Union. Unter Heranziehung von Art. 10 EG hat der Gerichtshof somit das Prinzip der gegenseitigen Gemeinschaftstreue(91) entwickelt. Ferner hat sich der Gerichtshof zum Demokratieprinzip bekannt, etwa indem er auf die Notwendigkeit der wirksamen Beteiligung des Parlaments am Gesetzgebungsverfahren der Union gemäß den im Vertrag vorgesehenen Verfahren hingewiesen hat(92).
98. Zu den Unionsgrundrechten, die der Gerichtshof mittels der bereits erwähnten wertenden Rechtsvergleichung sowie unter Berücksichtigung internationaler und europäischer Menschenrechtsabkommen anerkannt hat, zählen solche Grund- und Menschenrechte, die liberale und demokratische Gesellschaften auszeichnen wie etwa die Meinungsfreiheit(93) und die Vereinigungsfreiheit(94). Ebenso dazu zählen solche Grundprinzipien, die unmittelbar aus den Verträgen hervorgehen wie das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit(95) sowie das Verbot auf dem Geschlecht beruhender Diskriminierungen(96).
Zum Recht auf bezahlten Jahresurlaub in der Europäischen Union
99. Fraglich ist, ob das Recht auf bezahlten Jahresurlaub den Anforderungen der Rechtsprechung an einen allgemeinen Rechtsgrundsatz genügt. Dazu müsste ein solches Recht auf dem Gebiet des Arbeitsrechts der Union ähnlich den oben genannten Beispielen von so grundlegender Bedeutung sein, dass es Ausdruck in zahlreichen Normen des Primärrechts bzw. des abgeleiteten Unionsrechts gefunden hat.
100. Als weitere Erkenntnisquelle sind die zahlreichen völkerrechtlichen Verträge zum Schutz der Menschenrechte sowie der Rechte der Arbeitnehmer, denen die Mitgliedstaaten der Union beigetreten sind, zu berücksichtigen.
101. Schließlich muss das Recht der Mitgliedstaaten selbst einer Untersuchung unterzogen werden. Ein Rückgriff auf den vom Gerichtshof häufig angewandten rechtsvergleichenden Ansatz könnte nämlich Aufschluss darüber geben, ob diesem Recht nach den Verfassungsüberlieferungen(97) oder jedenfalls den Kernbestimmungen des nationalen Arbeitsrechts eine herausragende Stellung innerhalb der nationalen Rechtsordnungen zukommt.
Unionsrechtliche Bestimmungen
102. Was die relevanten unionsrechtlichen Bestimmungen anbelangt, so kann im Folgenden an die vorangegangenen Ausführungen zur Einordnung des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub als Grundrecht angeknüpft werden. Wie bereits erwähnt, stellt seine Kodifizierung in Art. 31 Abs. 1 der Charta eine Bestätigung für seine herausragende Stellung innerhalb der Unionsrechtsordnung dar. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die Charta, wie im fünften Erwägungsgrund ihrer Präambel zu lesen ist, „die Rechte bekräftigt, die sich vor allem aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen und den gemeinsamen internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, aus den von der Gemeinschaft und dem Europarat beschlossenen Sozialchartas sowie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergeben“. Mit anderen Worten, die Charta gibt nichts Geringeres als den heutigen grundrechtlichen Besitzstand in der Europäischen Union wieder.
103. Wenngleich erkennbar ist, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/104 – die Vorgängerbestimmung zu Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 – als Vorbild für die Formulierung von Art. 31 Abs. 1 der Charta gedient hat, so darf dies nicht zu dem Glauben verleiten, der Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub sei erst mit der Richtlinie über Arbeitszeiten festgelegt worden. Vielmehr wird dieser Anspruch unabhängig von der Dauer der gewährleisteten Urlaubszeit seit Langem zu den völkerrechtlich anerkannten sozialen Grundrechten gezählt.
Völkerrechtliche Bestimmungen
104. Auf internationaler Ebene findet dieses Grundrecht etwa in Art. 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte(98) Erwähnung, der jedem „das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub“ zuerkennt. Es wird ebenfalls in Art. 2 Abs. 3 der Sozialcharta des Europarates(99) sowie in Art. 7 Buchst. d des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte(100) als Ausdruck des Rechts eines jeden auf gerechte und billige Arbeitsbedingungen anerkannt. Auch Art. 8 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer stipuliert den Anspruch jedes Arbeitnehmers auf einen bezahlten Jahresurlaub(101). Letzteres ist deshalb relevant, da diese Charta in der Rechtsprechungspraxis des Gerichtshofs als Erkenntnisquelle eine erhebliche Bedeutung besitzt. Sie spiegelt nämlich die gemeinsamen Ansichten und Traditionen der Mitgliedstaaten wider und wird als eine Erklärung von Grundprinzipien angesehen, an die sich die Union und ihre Mitgliedstaaten halten wollen(102). Im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) als Sonderorganisation der Vereinten Nationen ist das Recht auf bezahlten Mindestjahresurlaub bisher Gegenstand zweier multilateraler Abkommen gewesen, wobei das am 30. Juni 1973 in Kraft getretene Abkommen Nr. 132(103) das bis dahin geltende Abkommen Nr. 52(104) geändert hat. Sie enthalten zwingende Vorgaben an die Abkommensstaaten im Hinblick auf die Verwirklichung dieses sozialen Grundrechts innerhalb ihrer nationalen Rechtsordnungen.
105. Diese vielfältigen internationalen Akte unterscheiden sich allerdings sowohl in ihrem Regelungsgehalt als auch in ihrer normativen Tragweite, da es sich in einigen Fällen um völkerrechtliche Verträge, in anderen hingegen lediglich um feierliche Erklärungen ohne rechtliche Bindungswirkung handelt(105). Auch ist der persönliche Geltungsbereich unterschiedlich ausgestaltet, so dass der Kreis der Berechtigten keinesfalls identisch ist. Dazu ist den Unterzeichnerstaaten als Adressaten dieser Akte in der Regel ein weiter Umsetzungsspielraum eingeräumt, so dass die begünstigten Individuen sich nicht unmittelbar auf dieses Recht berufen können(106). Dennoch ist es bezeichnend, dass der Anspruch auf bezahlten Urlaub von all diesen internationalen Akten in eindeutigen Worten zu den Grundrechten der Arbeitnehmer gezählt wird.
Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
106. Soziale Rechte sind auf der Ebene des Verfassungsrechts sehr unterschiedlich ausgeprägt. So enthalten mehrere, allerdings nicht alle Verfassungstexte Verbürgungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, die das Recht der Arbeitnehmer auf Erholung umfassen.
107. Beispielsweise legen Art. 11 Abs. 5 der Verfassung von Luxemburg und Art. 40 Abs. 2 der Verfassung von Spanien dem Staat die Pflicht auf, gesunde Arbeitsbedingungen zu schaffen und die Erholung der Arbeiter zu gewährleisten bzw. dafür Sorge zu tragen(107). Eine sehr viel ausführlichere, der Formulierung in Art. 31 der Charta viel eher entsprechende Regelung findet sich in Art. 36 der Verfassung Italiens, die u. a. ein Recht auf einen wöchentlichen Ruhetag und bezahlten Jahresurlaub vorsieht. Die Verfassung von Portugal scheint eines der Vorbilder der Regelungen der Charta gewesen zu sein, da ihr Art. 59 Abs. 1 Buchst. d das Recht auf Erholung und Freizeit, auf eine Höchstgrenze der täglichen Arbeitszeit, eine wöchentliche Erholungspause sowie regelmäßigen, bezahlten Urlaub festschreibt(108). Allerdings ist festzustellen, dass die in diesen Verfassungen detailliert und subjektiv formulierten sozialen Grundrechte allgemein lediglich als Staatsaufgaben und nicht als unmittelbar einklagbare Rechte verstanden werden(109).
108. In den meisten alten Mitgliedstaaten der Europäischen Union gründet sich das Recht auf bezahlten Mindestjahresurlaub hingegen auf einfachgesetzliche Regelungen, welche die relevanten sekundärrechtlichen Vorgaben der Richtlinien widerspiegeln, soweit unionsrechtliche Anwendungsfelder betroffen sind. Dies gilt beispielsweise für das deutsche Recht, das zwar das „Sozialstaatsprinzip“, aus dem sich mehrere soziale Mindestansprüche ableiten lassen, als Staatsziel in Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes anerkennt, im Übrigen aber dem Gesetzgeber die Regelung des Jahresurlaubs belässt(110). Ungeachtet dessen enthalten die Verfassungen der deutschen Bundesländer aber eine Vielzahl sozialer Garantien und Grundsätze, die u. a. auch die Pflicht des Landesgesetzgebers zur Festlegung eines ausreichenden, bezahlten Urlaubs vorschreiben(111).
109. Dagegen weisen die neuen Mitgliedstaaten bis auf Zypern eine recht ausführliche Kodifizierung dieses Rechts auf. Dies gilt etwa für Art. 36 Buchst. f der slowakischen, Art. 66 Abs. 2 der polnischen, Art. 70/B Abs. 4 der ungarischen, Art. 107 der lettischen, Art. 41 Abs. 2 der rumänischen, Art. 48 Abs. 5 der bulgarischen, Art. 13 Abs. 2 der maltesischen sowie Art. 49 Abs. 1 der litauischen Verfassung, die den bezahlten Mindestjahresurlaub ausdrücklich gewährleisten. Arbeitsbedingungen allgemein sind in den Verfassungen Sloweniens (Art. 66), der Tschechischen Republik (Art. 28) sowie Estlands (Art. 29 Abs. 4) angesprochen(112).
– Schlussfolgerungen
110. Die Bedeutung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs seit Langem anerkannt. Nach ständiger Rechtsprechung ist er als „ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union“ anzusehen, von dem nicht abgewichen werden darf und den die zuständigen nationalen Stellen nur in den in der Richtlinie 2003/88 selbst ausdrücklich gezogenen Grenzen umsetzen dürfen. Dennoch hat der Gerichtshof bislang nicht zweifelsfrei erkennen lassen, ob es sich dabei um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts handelt. Der Umstand, dass in der Rechtsprechung keine einheitliche Terminologie bei der Bezeichnung solcher allgemeiner Rechtsgrundsätze verwendet wird(113), erschwert eine eindeutige Einordnung zusätzlich.
111. Die vorstehende rechtsvergleichende Untersuchung zeigt allerdings, dass der Gedanke, wonach dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf regelmäßige Erholung zustehen sollte, die Rechtsordnungen der Union und ihrer Mitgliedstaaten durchzieht. Die Tatsache, dass dieser Gedanke sowohl auf Unionsebene(114) als auch in mehreren Mitgliedstaaten Verfassungsrang hat(115), spricht bereits für eine herausragende Stellung dieses Rechts, die eine Einordnung als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts nahelegt.
112. Unschädlich ist dabei, dass nicht alle Mitgliedstaaten ihm Verfassungsrang innerhalb ihrer Rechtsordnungen einräumen(116), denn jedenfalls wird er als ein Kernbestandteil des nationalen Rechts angesehen, und zwar unabhängig davon, ob es um privat- oder öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse geht, was im Übrigen auch von der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt wird(117). Indem er nicht auf einen bestimmten Rechtsbereich beschränkt ist, sondern vielmehr sektorübergreifend, d. h. für eine Vielzahl von Berufsfeldern sowohl im Bereich des Arbeits- als auch des Dienstrechts, in allen Mitgliedstaaten gilt, beansprucht der Anspruch auf Jahresurlaub jene allgemeine Geltung, die allgemeine Rechtsgrundsätze typischerweise besitzen und sie von spezifischen Rechtsregeln unterscheiden(118). Im Bereich der Unionsgesetzgebung ist es nicht anders, denn, wie ich zuletzt in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑155/10 (Williams u. a.) gezeigt habe(119), sehen auch jene Richtlinien zur Arbeitszeitgestaltung, die wegen der Besonderheiten einzelner Berufsfelder sektorspezifische Regelungen enthalten(120), die insoweit als lex specialis zu den Regelungen in der Richtlinie 2003/88 angesehen werden können, eigene Bestimmungen zum Urlaubsrecht vor.
113. Darüber hinaus weist der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub inhaltlich ein Mindestmaß an normativer Bestimmtheit auf, was gemeinhin als Voraussetzung für eine Anerkennung als allgemeiner Rechtsgrundsatz angesehen wird(121). Dies bestätigt zum einen eine Gegenüberstellung mit einigen, in der Rechtsprechung anerkannten Rechtsgrundsätzen, wie etwa dem bereits genannten „Demokratieprinzip“ oder der „Solidarität“, die sich durch ihre Abstraktheit auszeichnen. Dies zeigt sich zum anderen an der Klarheit des Anspruchsziels. Ungeachtet der notwendigen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber zielt der Anspruch auf Jahresurlaub im Wesentlichen auf eine vorübergehende Freistellung des Arbeitnehmers von der vertraglichen Arbeitspflicht ab. Indem dieses Recht jedenfalls den minimalen Anforderungen an inhaltliche Bestimmtheit genügt, erfüllt es auch die Voraussetzungen, um noch als allgemeiner Rechtsgrundsatz angesehen zu werden.
114. Nach alledem ist festzustellen, dass mehrere Argumente dafür sprechen, dem Anspruch auf Jahresurlaub den Rang eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes innerhalb der Unionsrechtsordnung einzuräumen.
– Anwendbarkeit des allgemeinen Rechtsgrundsatzes zwischen Privaten
115. Des Weiteren muss geklärt werden, ob dieser allgemeine Rechtsgrundsatz auch im Verhältnis zwischen Privaten gegebenenfalls anwendbar wäre.
Grundsätzliche Möglichkeit einer unmittelbaren Anwendung
116. Es ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt, dass Einzelne sich im Verhältnis zum Staat auf allgemeine Rechtsgrundsätze berufen können(122). Hingegen hat der Gerichtshof zur grundsätzlichen Fragestellung, ob die Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze überhaupt im Verhältnis zwischen Privaten unmittelbar anwendbar sind, bislang nicht ausdrücklich Stellung genommen.
117. Diese Frage verdient gerade angesichts der Bedeutung des individuellen Grundrechtsschutzes besondere Beachtung. Denn einerseits ließe sich unter Verweis auf Ursprung und Zweck der allgemeinen Rechtsgrundsätze argumentieren, dass diese in erster Linie dazu dienen, den Einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu schützen, was zur Folge hätte, dass eine unmittelbare Anwendung unter Privaten verneint werden müsste. Andererseits ließe sich die Auffassung vertreten, dass die traditionelle Gegenüberstellung „öffentlich/privat“ in einem modernen Staat nicht länger zeitgemäß ist. Tatsächlich lassen sich Fallkonstellationen ersinnen, die einen Schutz von Grundrechten gegenüber privaten Einrichtungen ebenso notwendig erscheinen lassen wie gegenüber Behörden, mit der Folge, dass die Nichtgewährung von Grundrechtsschutz einer Grundrechtsverletzung gleichkäme(123).
118. Dies wäre beispielsweise bei Arbeitsverhältnissen wie in der hier zu entscheidenden Rechtssache der Fall, zumal ein Arbeitsverhältnis – und zwar unabhängig davon, ob es im Einzelfall privat- oder öffentlich-rechtlich gestaltet ist – in der Regel durch ein asymmetrisches Machtverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gekennzeichnet ist(124). Da es aber oft vom Zufall abhängt, ob der Arbeitgeber ein Privatrechtsubjekt oder die öffentliche Hand ist(125), wäre es schwer begründbar, warum je nach Fallkonstellation ein Unterschied im Grundrechtsschutz vorgenommen werden sollte.
119. Für eine Bindung von Privatpersonen an die Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze würden nicht zuletzt der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit (effet utile) im Unionsrecht und die Einheit der Unionsrechtsordnung sprechen. Dem Unionsrecht könnte über eine Drittwirkung der Grundrechte in manchen Bereichen zu größerer Wirksamkeit verholfen werden. Während die Mitgliedstaaten wegen ihrer Grundrechtsbindung Unionsrecht etwa nur grundrechtskonform anwenden dürfen, könnten Private die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts im Rahmen ihrer Rechtsbeziehungen gefährden, wenn sie die Grundrechte in unionsrechtlich determinierten Bereichen verletzen dürften. Darin würde eine Gefährdung der Einheit des Unionsrechts liegen(126).
120. Eine Untersuchung der bisherigen Rechtsprechung offenbart entsprechende Ansätze in diese Richtung in der Argumentation des Gerichtshofs.
121. Anhaltspunkte für eine unmittelbare Anwendbarkeit von allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Verhältnis zwischen Privaten lassen sich z. B. dem Urteil Defrenne(127) entnehmen, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass der in Art. 119 EWG-Vertrag (jetzt Art. 157 AEUV) aufgestellte Grundsatz ein Recht auf Gleichheit des Arbeitsentgelts zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern begründet, auf den sich die Betroffenen vor den innerstaatlichen Gerichten berufen können, und zwar gleichermaßen im Verhältnis zwischen öffentlichen oder privaten Arbeitgebern.
122. Anhaltspunkte lassen sich darüber hinaus aus der Rechtsprechung zur Anwendung der Grundfreiheiten gegenüber Privaten, etwa aus dem Urteil Walrave(128) ableiten, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit in den Art. 7, 48 und 59 EWG-Vertrag (jetzt Art. 18, 45 und 56 AEUV) nicht nur für Akte der staatlichen Behörden gilt, sondern sich auch auf sonstige Maßnahmen erstreckt – im konkreten Fall eines Sportverbandes –, die eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich enthalten. Der Gerichtshof hat seine Entscheidung damit begründet, dass die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr gefährdet wäre, wenn die Beseitigung der staatlichen Schranken dadurch in ihren Wirkungen wieder aufgehoben würde, dass privatrechtliche Vereinigungen oder Einrichtungen kraft ihrer rechtlichen Autonomie derartige Hindernisse aufrichteten. Da im Übrigen die Arbeitsbedingungen je nach Mitgliedstaat einer Regelung durch Gesetze und Verordnungen oder durch Verträge und sonstige Rechtsgeschäfte, die von Privatpersonen geschlossen oder vorgenommen werden, unterliegen, bestünde bei einer Beschränkung auf staatliche Maßnahmen die Gefahr, dass das fragliche Verbot nicht einheitlich angewandt würde(129). Später im Urteil Bosman(130) hat der Gerichtshof festgestellt, dass die primärrechtlichen Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit auch auf die Transferregeln der internationalen Fußballverbände FIFA („Fédération Internationale de Football Association“) und UEFA („Fédération Européenne des Associations de Football“) Anwendung finden.
123. Andererseits ist es fraglich, ob sich aus den Urteilen Walrave und Bosman ohne Weiteres Schlussfolgerungen für eine generelle unmittelbare Anwendung von Grundrechten in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Verhältnis zwischen Privaten ziehen lassen, zumal es in beiden Rechtssachen jeweils um die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten auf Privatorganisationen ging, die in gewisser Hinsicht eine Regelungskompetenz besaßen und deshalb quasi öffentlich-rechtlichen Charakter hatten. Es wäre somit vertretbar, anzunehmen, dass die Entscheidung des Gerichtshofs durch die besonderen Umstände in jenen Rechtssachen gerechtfertigt war. Folgt man dieser Auffassung, so würde sich in Anbetracht der Tatsache, dass der Beklagte des Ausgangsverfahrens wohl keine derartige mit Regelungskompetenzen ausgestattete Privatorganisation darstellt, jede Parallele verbieten.
124. Als weiterer Anhaltspunkt für eine unmittelbare Anwendbarkeit von allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Verhältnis zwischen Privaten ließe sich das Urteil Angonese anführen, das den Zugang zur Beschäftigung in einer Privatbank betraf und in dem der Gerichtshof die Auffassung vertreten hat, dass „[d]as in [Art. 45 AEUV] ausgesprochene Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit … für Privatpersonen [gilt]“(131).
125. Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang schließlich das Urteil Kücükdeveci(132), in dem der Gerichtshof das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, dessen Stellung als allgemeiner Rechtsgrundsatz innerhalb der Unionsrechtsordnung im Urteil Mangold(133) zum ersten Mal anerkannt worden ist, auf ein Arbeitsverhältnis zwischen Privaten angewandt hat. Diesbezüglich ist anzumerken, dass der Gerichtshof sich zur Begründung der unmittelbaren Anwendbarkeit des allgemeinen Rechtsgrundsatzes eines eigenen Ansatzes bedient hat, der nicht zuletzt wegen seines innovativen Charakters einer näheren Untersuchung in dogmatischer Hinsicht bedarf. Verwiesen sei daher bereits an dieser Stelle auf meine weiteren Ausführungen(134) zu diesem Ansatz, auf den ich gesondert und im Detail eingehen werde.
126. Zusammenfassend ist festzustellen, dass nach dieser Rechtsprechung eine unmittelbare Anwendbarkeit von Grundrechten in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Verhältnis zwischen Privaten nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann(135).
Risiko eines Wertungswiderspruchs zu den Bestimmungen der Charta
127. Mit dem Inkrafttreten der Charta hat der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nunmehr seine Grundlage in Art. 31 Abs. 2 derselben. Ein vom Gerichtshof gegebenenfalls auf der Basis der vorstehenden Erwägungen zu entwickelnder allgemeiner Rechtsgrundsatz, der im Wesentlichen denselben Anspruch vorsieht, dürfte dennoch selbständig weiter bestehen, da Art. 6 EUV die Charta und die Grundrechte aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen in Abs. 1 und 3 ausdrücklich und nebeneinander aufführt(136). Für das Verhältnis der Rechte aus der Charta zu den Rechten aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ist aus diesen Bestimmungen zu entnehmen, dass sie gleichberechtigt nebeneinander stehen(137). Dementsprechend können sie auch kumulativ angewendet werden, so dass dem Einzelnen nicht verwehrt ist, sich auf die weiter gehende Gewährleistung zu berufen. Inhaltlich dürften sie sich aber weitestgehend decken, denn einerseits sollte die Charta, wie aus ihrer Präambel hervorgeht, die Rechte bekräftigen, die sich aus den vom Gerichtshof gebrauchten Rechtserkenntnisquellen ergeben, andererseits bildet die Charta ein Indiz für den Inhalt gemeinsamer Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen abgeleiteten und sich weiterentwickelnden Grundrechte einen weiteren Schutzbereich aufweisen als die der Charta(138).
128. Sofern im Folgenden von einer parallelen Geltung der Grundrechte aus der Charta und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen innerhalb der Unionsrechtsordnung auszugehen ist, ist darauf aufmerksam zu machen, dass eine unmittelbare Anwendung eines Rechtsgrundsatzes, der einen Anspruch auf Jahresurlaub vorsieht, zumindest in einem Rechtsstreit zwischen Privaten das Risiko eines Wertungswiderspruchs in sich birgt. Wie bereits dargelegt, ist Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta dahin gehend auszulegen, dass das in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankerte Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub keine unmittelbare Anwendung zwischen Privaten findet. Privaten gleichzeitig zu gestatten, sich auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz zu berufen, hätte allerdings zur Folge, dass die vom Unionsgesetzgeber in der Charta vorgenommene Beschränkung des Kreises der Grundrechtsverpflichteten umgangen würde.
129. Indes gebietet das Erfordernis eines kohärenten Grundrechtsschutzes, dass beide Grundrechte möglichst abgestimmt ausgelegt werden(139). Da die Grundrechte aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und vor allem die dazu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs laut dem fünften Erwägungsgrund der Präambel der Charta in die Auslegung der Grundrechte aus der Charta zu integrieren sind, darf es keinen inhaltlichen Widerspruch zwischen den beiden Kategorien von Grundrechten geben. Erforderlich ist vielmehr eine harmonisierende Auslegung, wo immer das Grundrecht aus der Charta dies zulässt(140).
130. Im vorliegenden Fall wäre bei einer unmittelbaren Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine harmonisierende Auslegung nicht möglich. Die Entscheidung des Unionsgesetzgebers, Grundrechtsschutz – im Ausgangsfall über Art. 31 Abs. 2 der Charta – nur mittelbar durch die Auferlegung einer Schutzpflicht der Union und ihrer Mitgliedstaaten zu gewährleisten, würde dadurch konterkariert werden, dass über den Weg der ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsätze letztlich doch die Möglichkeit der Drittwirkung eröffnet würde, einschließlich des Rechts, vom nationalen Richter zu verlangen, unionsrechtswidriges nationales Recht auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen unangewendet zu lassen. Um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, müsste eine unmittelbare Anwendbarkeit des allgemeinen Rechtsgrundsatzes abgelehnt werden(141).
131. Es ist gleichwohl zu betonen, dass diese Ausführungen nur insoweit gelten, als es sich bei dem Grundrecht aus Art. 31 Abs. 2 der Charta und dem allgemeinen Rechtsgrundsatz um dasselbe Grundrecht bzw. um Grundrechte mit demselben Schutzumfang handeln sollte. Wie einleitend dargelegt, ist aber nicht auszuschließen, dass die aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen abgeleiteten und sich weiterentwickelnden Grundrechte einen umfangreicheren Schutz als die Grundrechte der Charta gewähren. In einem solchen Fall könnte der Wertungswiderspruch zu Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta unter Umständen hinfällig sein.
132. Die folgenden Ausführungen gelten nur für den Fall, dass der Gerichtshof in der grundsätzlichen Anwendung eines auf die Gewährung von Jahresurlaub gerichteten allgemeinen Rechtsgrundsatzes im Verhältnis zwischen Privaten keinen Wertungswiderspruch zu Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta sehen sollte.
– Übertragbarkeit auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub
133. Nachdem eine unmittelbare Anwendbarkeit von Grundrechten in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Verhältnis zwischen Privaten nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann, ist sogleich zu prüfen, ob die Voraussetzungen hierfür vorliegen.
Einräumung eines subjektiven Rechts
134. Dazu müsste der hier in Frage stehende Anspruch auf Jahresurlaub zunächst auf die Einräumung von subjektiven Rechten abzielen. Wie bereits ausgeführt, gewährt der allgemeine Rechtsgrundsatz ein subjektives Recht, indem er einen Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber begründet, im Wesentlichen darauf, vorübergehend von der vertraglichen Arbeitspflicht freigestellt zu werden, um eine angemessene Zeit für Erholung zu haben. Insoweit genügt er der ersten Anforderung an einer unmittelbaren Anwendbarkeit.
Inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt
135. Des Weiteren müsste der allgemeine Rechtsgrundsatz inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sein, um ihn gegenüber dem Arbeitgeber als Privatperson geltend machen zu können. Inhaltlich unbedingt ist eine Bestimmung, wenn sie vorbehaltlos und ohne Bedingung anwendbar ist und keiner weiteren Maßnahme der Organe der Mitgliedstaaten oder der Union bedarf(142). Hinreichend genau ist eine Bestimmung, wenn sie unzweideutig eine Verpflichtung begründet(143), also rechtlich in sich abgeschlossen ist und als solche von jedem Gericht angewandt werden kann(144).
136. Es ist zweifelhaft, ob diese Voraussetzungen im Fall des Anspruchs auf Jahresurlaub erfüllt sind, zumal unklar ist, wie weit der Schutzbereich des allgemeinen Rechtsgrundsatzes tatsächlich reicht. Da sein Umfang nicht von vornherein eindeutig und abschließend bestimmbar ist, müsste in jedem Einzelfall untersucht werden, ob der Schutzbereich eventuell durch eine Maßnahme der Union und/oder ihrer Mitgliedstaaten tangiert ist. Eine solche Aufgabe käme dem zur Auslegung der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts berufenen Gerichtshof zu(145).
137. Um hinreichend bestimmt zu sein, müsste der allgemeine Rechtsgrundsatz mehrere Aspekte des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub erfassen, die aber sinnvollerweise nur vom Gesetzgeber selbst geregelt werden müssten, um den Anforderungen der Zeit angemessen und flexibel genug Rechnung zu tragen. Diese regelungsbedürftigen Aspekte betreffen, um nur ein paar Beispiele zu nennen, zum einen die Anzahl der zu gewährenden Urlaubstage, wobei sich u. a. die Frage stellt, ob damit eine genau festgelegte Anzahl oder vielmehr eine Mindestanzahl von Tagen gemeint ist. Ferner müsste der allgemeine Rechtsgrundsatz, um unmittelbar gegen den Arbeitgeber anwendbar zu sein, bestimmen, wie die Urlaubstage im Jahr verteilt sein müssen, damit der Jahresurlaub seine Erholungsfunktion erfüllen kann. Des Weiteren müsste der allgemeine Rechtsgrundsatz die Besonderheiten jeder Wirtschaftsbranche berücksichtigen, indem er, sofern erforderlich, sektorspezifische Regelungen für einzelne Tätigkeitsfelder enthält.
138. Dass dies nicht möglich ist, liegt auf der Hand. Denn zum einen kann es keinen derart umfassenden allgemeinen Rechtsgrundsatz geben, ohne dass damit zugleich die begriffliche Abgrenzung zu den spezifischen Rechtsregeln in Frage gestellt würde(146). Zum anderen ist zu bedenken, dass die Regelung dieser Einzelheiten in die ureigenste Kompetenz des Gesetzgebers fällt. Nicht zuletzt deshalb überlassen auch die Verfassungen jener Mitgliedstaaten, die den Anspruch auf Jahresurlaub explizit als Grundrecht anerkennen, dem nationalen Gesetzgeber die Festlegung der Durchführungsmodalitäten. Ähnlich verhält es sich auf Unionsebene im Verhältnis zwischen Art. 31 der Charta und der Richtlinie 2003/88.
139. Die gesetzgeberische Kompetenz der Union wird gemäß den Verträgen vom Rat und dem Europäischen Parlament gemeinsam wahrgenommen. Die Regelungsprärogative, die sie als Gesetzgeber im Bereich des Urlaubsrechts als Teil des Sozialrechts der Union haben, muss auf jeden Fall gewahrt bleiben. Dies gebieten nicht nur die oben angeführten Praktikabilitätsgründe, sondern auch das institutionelle Gleichgewicht innerhalb der Union. Letzteres basiert nicht auf dem Prinzip der Gewaltenteilung im staatsrechtlichen Sinne, sondern vielmehr auf einem Prinzip der Funktionsteilung, nach dem die Funktionen der Union von denjenigen Organen wahrgenommen werden sollen, die dazu vertraglich am besten ausgestattet worden sind. Anders als das Prinzip der Gewaltenteilung, das u. a. der Sicherung des Schutzes des Individuums durch eine Mäßigung der Staatsgewalt dient, bezweckt das Prinzip der Funktionsteilung im Unionsrecht eine effektive Erreichung der Unionsziele(147).
140. Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑101/08 (Audiolux) dargelegt habe, ist der Gerichtshof als Organ der Union im Sinne des Art. 12 Abs. 1 EU ebenfalls Teil dieses institutionellen Gleichgewichts(148). Dieser Umstand impliziert, dass er in seiner Eigenschaft als Rechtsprechungsorgan der Union, das im Rahmen seiner Zuständigkeit zur Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrags berufen ist, die Kompetenzen des Rates und des Parlaments im Bereich der Rechtsetzung respektiert(149). Dies setzt notwendigerweise voraus, dass er zum einen dem Unionsgesetzgeber die ihm vertraglich übertragene Aufgabe der Rechtsetzung auf dem Gebiet der Arbeitszeitgestaltung überlässt und zum anderen wie bisher die erforderliche Zurückhaltung bei der Entwicklung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts, die unter Umständen den gesetzgeberischen Zielen zuwiderlaufen könnten, wahrt.
141. Die unmittelbare Anwendbarkeit eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes mit dem Inhalt eines Anspruchs des Arbeitnehmers auf Jahresurlaub gegen den Arbeitgeber würde demnach erstmal voraussetzen, dass der Gerichtshof ihm im Wege der Auslegung einen hinreichend bestimmten normativen Inhalt verleiht, womit er aber angesichts der Fülle an notwendigen Regelungen letztlich Kompetenzen wahrnehmen würde, die traditionell dem Unionsgesetzgeber vorbehalten sind. Da dies aus den oben genannten Gründen nicht gestattet ist, ist davon auszugehen, dass dieser allgemeine Rechtsgrundsatz zumindest in seiner reinen Form nicht als inhaltlich unbedingt angesehen werden kann, sondern vielmehr der gesetzlichen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedarf.
142. Folglich erfüllt der allgemeine Rechtsgrundsatz nicht die Voraussetzungen, um im Verhältnis zwischen Privaten unmittelbar anwendbar zu sein.
– Ergebnis
143. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass das vorlegende Gericht sich nicht auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz stützen kann, um unionsrechtswidriges nationales Recht, das einer richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich ist, in einem Rechtsstreit zwischen Privaten unangewendet zu lassen.
iii) Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, wie er durch die Richtlinie 2003/88 konkretisiert ist
144. Ein weiterer denkbarer Ansatz bestünde darin, den oben genannten allgemeinen Rechtsgrundsatz, wie er durch die Richtlinie 2003/88 konkretisiert ist, anzuwenden(150).
– Der Ansatz des Gerichtshofs im Urteil Kücükdeveci
145. Im Urteil Kücükdeveci, auf das einige Verfahrensbeteiligte in ihren Ausführungen verwiesen haben, hat sich der Gerichtshof eines ähnlichen Ansatzes bedient und dabei die Verpflichtung jedes nationalen Gerichts bestätigt, das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf(151) durchzusetzen, indem es erforderlichenfalls jede diesem Verbot entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lassen muss(152).
146. Mit dieser Feststellung hat der Gerichtshof das Prinzip des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht auf sogenannte Horizontalverhältnisse ausgedehnt(153). Dieser Ansatz steht insoweit mit der bisherigen Rechtsprechung zur fehlenden horizontalen unmittelbaren Wirkung von Richtlinien im Einklang(154), als der Gerichtshof nicht etwa entschieden hat, dass die Richtlinie 2000/78 in einem Verhältnis zwischen Privaten Anwendung finden soll, sondern allein das darin konkretisierte Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, welches – wie bereits im Urteil Mangold(155) festgestellt – als spezifische Anwendung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt(156). Der vom Gerichtshof im Urteil Kücükdeveci verfolgte Ansatz beruht im Wesentlichen auf dem Gedanken, dass ein allgemeiner Grundsatz wie der des Verbots der Altersdiskriminierung im Interesse des individuellen Rechtsschutzes sowie der Wirksamkeit des Unionsrechts auch auf nationaler Ebene konsequent durchgesetzt werden muss(157). In dogmatischer Hinsicht stellt dieser Ansatz eine Weiterentwicklung der Mangold-Rechtsprechung dar.
147. Eine unmittelbare Anwendbarkeit des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78 in einem Verhältnis zwischen Privaten kommt nach den Ausführungen des Gerichtshofs aber offenbar erst dann in Betracht, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu muss erstens im Ausgangsfall eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund des Alters vorliegen, was anhand der Tatbestandsvoraussetzungen der Richtlinie 2000/78 zu ermitteln ist(158). Zweitens muss die jeweilige nationale Regelung einen von der Richtlinie geregelten Bereich erfassen(159).
– Übertragbarkeit dieses Ansatzes auf den Anspruch auf Jahresurlaub
Voraussetzungen für eine Anwendung
148. Eine entsprechende Anwendung dieses Ansatzes auf den Ausgangsfall, um dem nationalen Gericht die Befugnis einzuräumen, unionsrechtswidriges nationales Recht erforderlichenfalls unangewendet zu lassen, würde u. a. voraussetzen, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub über seine sekundärrechtliche Kodifizierung in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 hinaus innerhalb der Unionsrechtsordnung den Rang eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes besitzt, wofür die bereits angeführten Argumente sprechen(160).
149. Als weitere Bedingung wäre das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zu fordern, was im Ausgangsfall offensichtlich vorliegt. Schließlich müsste ein Anspruch auf Urlaub entsprechend den Voraussetzungen der Richtlinie gegeben sein. Letzteres würde sicherstellen, dass der allgemeine Rechtsgrundsatz nicht unbegrenzt Anwendung findet, sondern nur insoweit, als die betreffende nationale Regelung in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 fällt. Auch diese Voraussetzung ist im Ausgangsfall erfüllt, da Gegenstand der streitigen Regelung eine vom nationalen Gesetzgeber aufgestellte Bedingung für die Inanspruchnahme von Jahresurlaub ist(161).
150. Damit der allgemeine Rechtsgrundsatz aktiviert und dem nationalen Recht entgegengesetzt werden kann, wäre es schließlich notwendig, dass ein Verstoß gegen das in der Richtlinie verankerte Recht auf Urlaub vorliegt. Letzteres ist bereits im Rahmen meiner Untersuchung der ersten Vorlagefrage bejaht worden(162).
151. Von einem formalen Standpunkt aus betrachtet, wären die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung des Anspruchs auf Jahresurlaub in Gestalt des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, wie er durch die Richtlinie 2003/88 konkretisiert ist, eigentlich erfüllt. Dennoch erscheint es sinnvoll, über die Vor- und Nachteile eines solchen Ansatzes nachzudenken, bevor ein solches Vorgehen in der vorliegenden Rechtssache überhaupt in Erwägung gezogen wird(163).
Vor- und Nachteile eines solchen Ansatzes
152. Dieser Ansatz hat den Vorteil, die bereits genannten Unzulänglichkeiten einer unmittelbaren Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes in reiner Form(164) zu beseitigen. Dies gilt vor allem in Bezug auf das Erfordernis der „hinreichenden Bestimmtheit“. Indem die Richtlinie den allgemeinen Rechtsgrundsatz konkretisiert, erlangt Letzterer schließlich die inhaltliche Bestimmtheit, die für eine unmittelbare Anwendbarkeit notwendig ist.
153. Allerdings sind hinsichtlich der dogmatischen Richtigkeit dieses Ansatzes Bedenken anzumerken, die ich im Folgenden erläutern werde.
Gefahr einer Vermengung der Rechtsquellen
154. Meine Bedenken betreffen zunächst das nicht auszuschließende Risiko einer unzulässigen Vermengung von Rechtsquellen unterschiedlicher Rangordnung innerhalb der Unionsrechtsordnung, die aus einer kombinierten Anwendung von allgemeinem Rechtsgrundsatz und Richtlinie resultiert.
155. Objektiv betrachtet basiert dieser Ansatz im Wesentlichen auf der Annahme, dass der Inhalt des allgemeinen Rechtsgrundsatzes im Inhalt der Richtlinie Niederschlag gefunden haben muss und dass sich deshalb eine autonome Bestimmung dieses Inhalts im Wege der Auslegung prinzipiell erübrigt. Letzten Endes wird nichts anderes unterstellt, als dass der Schutzbereich des allgemeinen Rechtsgrundsatzes mit dem der konkretisierenden Richtlinienbestimmung weitgehend deckungsgleich ist(165).
156. Er hat allerdings den Nachteil, völlig offenzulassen, wie weit der Schutzbereich des jeweiligen allgemeinen Rechtsgrundsatzes tatsächlich reicht und ob die Richtlinie möglicherweise weiter gehende Regelungen enthält, die gar nicht vom Schutzbereich erfasst sind(166). Die Annahme, auf der dieser Ansatz gründet, täuscht darüber hinweg, dass ein Gleichlauf von Richtlinieninhalt und Gehalt des Primärrechts nicht nur keineswegs zwingend, sondern in Wahrheit die Ausnahme ist, weil das Sekundärrecht meist weiter gehende Regelungen enthalten wird(167). Dies ist insofern problematisch, als in einem solchen Fall ein Rückgriff auf diesen Ansatz nicht in Betracht käme. Wenn dieser Ansatz, wie vom Gerichtshof postuliert, tatsächlich die Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes bezweckt, so wäre es doch dogmatisch richtig, als Erstes eine autonome Bestimmung seines Inhalts vorzunehmen, statt umgekehrt von den Richtlinienbestimmungen auf den Inhalt des allgemeinen Rechtsgrundsatzes zu schließen(168).
157. Da nach diesem Ansatz im Endeffekt die Richtlinie und nicht etwa der allgemeine Rechtsgrundsatz selbst als Ausgangspunkt für die Ermittlung des Schutzbereichs der Norm herangezogen wird(169), birgt diese Vorgehensweise die Gefahr, dass immer mehr normative Inhalte der Richtlinie als Teil des Rechtsgrundsatzes angesehen werden. Mit anderen Worten, die Richtlinie könnte sich theoretisch zu einer unerschöpflichen Erkenntnisquelle für die Anreicherung des Schutzbereichs des allgemeinen Rechtsgrundsatzes entwickeln, was langfristig eine Verschmelzung von Rechtsquellen unterschiedlicher Rangordnung zur Folge hätte(170). Letztendlich würde diese Vorgehensweise zu einer unumkehrbaren „Erstarrung“ dieser normativen Inhalte führen. Dem Gesetzgeber wäre nämlich infolge der Eingliederung von immer mehr normativen Inhalten aus der Richtlinie in den Schutzbereich des allgemeinen Rechtsgrundsatzes die Möglichkeit genommen, Änderungen an der Richtlinie vorzunehmen, zumal solche normativen Inhalte in den Rang des Primärrechts gehoben würden, auf das er nicht einwirken kann.
158. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub um ein soziales Grundrecht handelt, das – seiner Natur entsprechend – in erheblichem Maße konkretisierungsbedürftig ist und zudem oft nur in Abhängigkeit von der jeweiligen wirtschaftlichen und sozialen Wirklichkeit gewährt werden kann(171), könnte dieser Ansatz nicht absehbare Folgen für die Union und ihre Mitgliedstaaten haben. Es ist darauf hinzuweisen, dass bei der Konkretisierung eines solchen allgemeinen Rechtsgrundsatzes durch den Gesetzgeber eine gewisse Flexibilität notwendig ist, da die Auffassung in der Gesellschaft darüber, was als „sozial“ bzw. „sozial gerecht“ anzusehen ist, sich zum einen im Laufe der Zeit ändern kann und zum anderen nicht selten auf Kompromissen beruhen wird(172). Nicht außer Acht gelassen werden darf ferner, dass die Umsetzung des Sozialstaatsgedankens von der jeweiligen wirtschaftlichen Situation in der Union und ihren Mitgliedstaaten abhängig sein dürfte. Eine Zementierung von sozialen Standards ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Wirklichkeit muss deshalb vermieden werden.
159. Dies darf aber nicht dahin gehend verstanden werden, dass die Union die soziale Dimension der Integration außer Acht lassen soll. Die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts im Sinne des Gedankens der „Solidarität“ ist und bleibt ein wichtiges Ziel der europäischen Integration, wie Art. 2 („Solidarität“ als Wert der Union) und Art. 3 Abs. 3 EUV („Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung“, „soziale Gerechtigkeit“, „sozialer Schutz“, „Gleichstellung von Frauen und Männern“, „Solidarität zwischen den Generationen“, „Schutz der Rechte des Kindes“) sowie Art. 9 AEUV („Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus“, „Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes“, „Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung“) eindeutig zu entnehmen ist. Vielmehr gilt es, den Gestaltungsspielraum, der dem Unionsgesetzgeber bei der Wahrnehmung seiner Schutzpflicht aus dem Grundrecht zusteht, zu beachten.
Keine abschließende Konkretisierung durch die Richtlinie
160. Doch auch wenn der Gerichtshof diese Bedenken nicht teilen sollte, wäre es zweifelhaft, ob der im Urteil Kücükdeveci verwendete Ansatz auf den Ausgangsfall übertragbar wäre, zumal die Richtlinie 2003/88 den allgemeinen Rechtsgrundsatz kaum hinreichend konkretisiert, um dessen unmittelbare Anwendung im Verhältnis zwischen Privaten zu ermöglichen.
161. Nicht nur sieht die Richtlinie 2003/88 eine Reihe von Sonderregelungen vor, indem sie beispielsweise in Art. 15 den Erlass günstigerer mitgliedstaatlicher Bestimmungen oder in Art. 17 Abweichungen und Ausnahmen von einigen zentralen Richtlinienbestimmungen gestattet(173). Darüber hinaus räumt sie den Mitgliedstaaten einen weiten Ausgestaltungsspielraum ein. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 sieht ausdrücklich vor, dass die Mitgliedstaaten „die erforderlichen Maßnahmen [treffen]“ müssen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Jahresurlaub erhält, und zwar „nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung …, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind“. Konkrete Antworten auf essenzielle Fragen des Urlaubsrechts, wie etwa wie viel Urlaub zu gewähren ist, lassen sich weder der Richtlinie noch dem Wortlaut von Art. 31 Abs. 2 der Charta unmittelbar entnehmen(174), der im Hinblick auf die Verbürgungen des Grundrechts auf Jahresurlaub sogar kürzer gefasst ist als die relevante Umsetzungsregelung in Art. 7 der Richtlinie 2003/88.
162. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu den Diskriminierungsverboten, für die der im Urteil Kücükdeveci angewandte Ansatz entwickelt wurde. Die Diskriminierungsverbote weisen die Besonderheit auf, dass ihr inhaltlicher Kern auf primär- und sekundärrechtlicher Ebene im Wesentlichen identisch ist. Was eine Diskriminierung ist, lässt sich auch durch Auslegung der primärrechtlichen Diskriminierungsverbote ermitteln. Die Regeln der Richtlinien sind insoweit nicht mehr als detailliertere Ausformulierungen der primärrechtlichen Grundsätze. Nur soweit die Richtlinien den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich sowie Rechtsfolgen und Verfahren regeln, treffen sie Regelungen, die sich inhaltlich nicht auch ohne Weiteres direkt aus dem Primärrecht ableiten lassen. Bei den Arbeitnehmergrundrechten der Art. 27 ff. der Charta ist dies anders, da sie von vornherein auf eine Konkretisierung durch den Gesetzgeber angelegt sind(175).
163. In Anbetracht der Tatsache, dass die Richtlinie 2003/88 den Jahresurlaub nicht abschließend regelt, sondern in erheblichem Maße auf das nationale Recht verweist, stellt sich die Frage, ob bei der Konkretisierung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes auch das nationale Umsetzungsrecht herangezogen werden darf. Meines Erachtens würde dieser Ansatz aber an Hindernisse stoßen. Denn angesichts der Vielzahl an unterschiedlichen nationalen Regelungen auf dem Gebiet des Urlaubsrechts wäre nicht nur die Praktikabilität eines solchen Ansatzes fragwürdig. Außerdem wäre die einheitliche Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten nicht gewährleistet.
Fehlende Rechtssicherheit für Private
164. Zum anderen bestehen Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit dieses Ansatzes mit dem Gebot der Rechtssicherheit. Letzteres stellt ebenfalls einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts dar(176). Wie der Gerichtshof mehrmals erklärt hat, gebietet der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass eine Regelung, die nachteilige Folgen für Einzelne hat, klar und bestimmt und ihre Anwendung für die Einzelnen voraussehbar sein muss(177). Da ein Privater sich aber nie darüber sicher sein können wird, wann ein ungeschriebener allgemeiner Rechtsgrundsatz in seiner Konkretisierung durch die entsprechende Richtlinie sich gegen nationales geschriebenes Recht durchsetzen wird, dürfte aus seiner Perspektive eine ähnliche Unsicherheit im Hinblick auf die Geltung nationalen Rechts bestehen wie bei einer unmittelbaren Anwendung der Richtlinie im Verhältnis zwischen Privaten, die der Gerichtshof, wie so oft in seiner Rechtsprechung(178) bekräftigt, doch gerade vermeiden will(179). Die Folgen dürften gerade im Bereich des Arbeitsrechts, das die Einzelheiten einer kaum zu überblickenden Anzahl von Arbeitsverhältnissen regelt, beträchtlich sein.
165. Es besteht nämlich das nicht auszuschließende Risiko, dass nationale Gerichte sich durch diesen Ansatz dazu gezwungen sehen könnten, nationales Recht, das in irgendeiner Form vom Regelungsbereich einer Richtlinie gedeckt ist, aber ohne jeden Bezug zur Richtlinie erlassen wurde, unangewendet zu lassen, und zwar mit der Begründung, dass die fraglichen Richtlinienbestimmungen allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts konkretisieren bzw. Rechtsgüter von primärrechtlichem Rang verkörpern(180) und zwar ungeachtet dessen, ob ihnen nach nationalem Recht eine entsprechende Verwerfungskompetenz zusteht. Dieses Risiko besteht umso mehr, als aus dem Urteil Kücükdeveci ausdrücklich hervorgeht, dass das nationale Gericht in einer solchen Situation nicht verpflichtet ist, zuvor den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen(181).
166. Sollte sich dieser Ansatz in der Rechtsprechung des Gerichtshofs durchsetzen, würde den Richtlinien eine Stellung eingeräumt werden, die ihnen nach der Konzeption des Primärrechts nicht zukommt. Sie würden zu Einfallstoren für das Primärrecht weit über den Bereich hinaus, den ihnen die sie erlassenden Organe der Union eingeräumt hatten und einräumen wollten. In Kombination mit der primärrechtlichen Folge der Unanwendbarkeit der nationalen Norm und der vom Gerichtshof angenommenen Normverwerfungskompetenz nationaler Gerichte jeder Instanz ohne vorherige Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens würde es angesichts der Tatsache, dass eine Vielzahl von Rechtsmaterien irgendwie durch Richtlinien beeinflusst sind, zu einer erheblichen Erosion nationaler Vorschriften kommen.
167. Es ist indes zweifelhaft, ob dies im Einklang mit dem System der Rechtsetzung und ‑durchsetzung steht, das die Verträge geschaffen haben.
Risiko eines Wertungswiderspruchs zu den Bestimmungen der Charta
168. Der von mir im Zusammenhang mit einer unmittelbaren Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes geltend gemachte Einwand im Hinblick auf das Risiko eines Wertungswiderspruchs zu Art. 51 der Charta(182) gilt im Fall eines Rückgriffs auf diesen Ansatz entsprechend. Insoweit verweise ich auf meine Ausführungen zu dieser Problematik. Die in Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta festgelegte Beschränkung des Kreises der Grundrechtsverpflichteten steht demnach einer Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, wie er durch die Richtlinie 2003/88 konkretisiert ist, ebenfalls entgegen.
– Ergebnis
169. Nach alledem komme ich zu der Schlussfolgerung, dass eine unmittelbare Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes wie in der Rechtssache Kücükdeveci, um unionsrechtswidriges nationales Recht zu verdrängen, im Ausgangsfall nicht möglich wäre.
c) Abschließende Schlussfolgerung
170. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Unionsrecht dem nationalen Gericht keine Möglichkeit einräumt, die streitgegenständliche Regelung in einem Verhältnis zwischen Privaten unangewendet zu lassen. Da die Vorlagefrage so formuliert ist, dass mit ihr eigentlich um Aufschluss darüber gebeten wird, ob eine dahin gehende unionsrechtliche Verpflichtung des nationalen Richters besteht, müsste diese Frage sinngemäß dahin gehend beantwortet werden, dass der nationale Richter mangels Vorgaben aus dem Unionsrecht dazu auch nicht verpflichtet ist.
3. Hilfsweise Haftung des Mitgliedstaats wegen Verletzung des Unionsrechts
171. Steht – wie im Ausgangsfall – fest, dass ein Verstoß gegen das Unionsrecht wegen mangelhafter Umsetzung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88 vorliegt, eine Unanwendbarkeitserklärung der unionsrechtswidrigen nationalen Regelung durch den nationalen Richter dennoch nicht möglich ist, so bedeutet dies keineswegs, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens rechtlos gestellt wäre.
172. Vielmehr bleibt ihr, wie eingangs angedeutet(183), zwecks Durchsetzung ihres aus dem Unionsrecht abgeleiteten Anspruchs auf Jahresurlaub die Möglichkeit einer Haftungsklage gegen den vertragsbrüchigen Mitgliedstaat offen. Das Rechtsinstitut der unionsrechtlichen Staatshaftung vermag dem Bürger in einem solchen Fall Befriedigung zu verschaffen, indem es dem jeweiligen Mitgliedstaat die Verpflichtung auferlegt, ihm diejenigen Schäden zu ersetzen, die ihm durch staatliche Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen.
173. Das Unionsrecht erkennt einen Entschädigungsanspruch unter drei Voraussetzungen an: Die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, den Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den Geschädigten entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang(184). Im Urteil Dillenkofer u. a.(185) hat der Gerichtshof die erste Voraussetzung insbesondere in Bezug auf Fälle, in denen Maßnahmen zur fristgemäßen Umsetzung einer Richtlinie fehlten, zusätzlich geringfügig umformuliert – das durch die Richtlinie vorgeschriebene Ziel umfasst die Verleihung von Rechten an den Einzelnen, deren Inhalt auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden kann –, gleichzeitig aber betont, dass die beiden Formulierungen im Wesentlichen die gleiche Bedeutung hätten(186).
174. Was die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Unionsgerichten und den mitgliedstaatlichen Gerichten angeht, ist anzumerken, dass es grundsätzlich Sache der nationalen Gerichten ist, festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Haftung der Mitgliedstaaten für einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht im konkreten Fall erfüllt sind(187). Hingegen betrifft die Frage des Bestehens und des Umfangs der Haftung eines Staates für Schäden, die sich aus einem solchen Verstoß ergeben, die Auslegung des Unionsrechts selbst, die als solche in die Zuständigkeit des Gerichtshofs fällt(188).
4. Ergebnis
175. Nach alledem ist auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 dem mit einem Streitfall zwischen Privatpersonen befassten Richter des Mitgliedstaats nicht die Verpflichtung auferlegt, eine nationale Bestimmung, die den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von einer effektiven Mindestarbeitszeit von wenigstens zehn Tagen während des Bezugszeitraums abhängig macht und einer richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich ist, unangewendet zu lassen.
C – Zur dritten Vorlagefrage
176. Bei der Formulierung seiner dritten Vorlagefrage geht das vorlegende Gericht offenbar von einem bestimmten nationalen rechtlichen Rahmen aus, der einen Anspruch auf Jahresurlaub von unterschiedlicher Dauer vorsieht, je nachdem, was die Ursache für die krankheitsbedingte Abwesenheit des Arbeitnehmers war, wobei allem Anschein nach danach unterschieden wird, ob die Ursache ein Arbeitsunfall, eine Berufskrankheit, ein Wegeunfall oder eine außerberufliche Krankheit war. Aus dem Vorlagebeschluss geht nicht hervor, wie viel die Urlaubsdauer jeweils beträgt. Es steht lediglich fest, dass dieser nationale rechtliche Rahmen unter bestimmten Voraussetzungen für den bezahlten Jahresurlaub eine längere als die von der Richtlinie vorgesehene Mindestdauer von vier Wochen vorsieht.
177. Bereits im Rahmen meiner Ausführungen zur ersten Vorlagefrage habe ich dargelegt, dass der in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 gewährleistete Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub unabhängig davon entsteht, ob der Arbeitnehmer im fraglichen Zeitraum krankheitsbedingt abwesend war, sofern dieser ordnungsgemäß krankgeschrieben war(189). Wie das vorlegende Gericht in seinem Vorlagebeschluss zutreffend bemerkt, unterscheidet Art. 7 der Richtlinie 2003/88 nicht nach der Ursache der krankheitsbedingten Abwesenheit. Vielmehr findet diese Richtlinienbestimmung in Bezug auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auf „jeden Arbeitnehmer“ Anwendung. Dementsprechend verfügen alle Arbeitnehmer, einschließlich jener, die aus einem der oben genannten Gründe krankgeschrieben sind, gemäß Art. 7 Abs. 1 über einen Mindestjahresurlaub von vier Wochen.
178. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es den Mitgliedstaaten verwehrt wäre, in ihren nationalen Bestimmungen einen Jahresurlaub festzulegen, dessen Dauer über den unionsrechtlich festgelegten Zeitraum von vier Wochen hinausgeht, da es sich dabei, wie bereits der Wortlaut der Bestimmung verrät, lediglich um eine Mindestdauer handelt. Diese Bestimmung ist nämlich im Zusammenhang mit der allgemeinen Zielsetzung der Richtlinie 2003/88 auszulegen, die gemäß Art. 1 Abs. 1 darin besteht, „Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung“ festzulegen, und im Übrigen gemäß Art. 15 das Recht der Mitgliedstaaten unberührt lässt, „für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder die Anwendung von günstigeren Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu fördern oder zu gestatten“. Daraus lässt sich die Befugnis der Mitgliedstaaten ableiten, in Bezug auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub günstigere Regelungen zu erlassen als unionsrechtlich vorgegeben.
179. Die Richtlinie 2003/88 hindert ihrerseits die Mitgliedstaaten ebenso wenig daran, solche Regelungen, die eine günstigere Behandlung vorsehen, an bestimmte Bedingungen zu knüpfen, vorausgesetzt, der in der Richtlinie gewährleistete Mindestschutz wird dadurch nicht beeinträchtigt. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das Urteil Merino Gómez(190), in dem der Gerichtshof erklärt hat, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen „nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung [treffen], die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind“, dahin zu verstehen ist, dass „durch die nationalen Anwendungsmodalitäten auf jeden Fall der Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen gewahrt sein muss“(191). Für die Problematik des Ausgangsfalls bedeutet dies, dass es einem Mitgliedstaat grundsätzlich freisteht, Arbeitnehmer im Hinblick auf die Mindestdauer des Jahresurlaubs je nach Ursache ihrer krankheitsbedingten Abwesenheit unterschiedlich zu behandeln, sofern die in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie vorgeschriebene Mindestdauer von vier Wochen dabei nicht unterschritten wird.
180. Etwaige Vorgaben, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten, lassen sich den Bestimmungen, die den Anspruch auf Krankheitsurlaub und die Modalitäten für seine Ausübung regeln, auch nicht entnehmen, da dieser Anspruch, wie der Gerichtshof im Urteil Schultz-Hoff u. a. zutreffend festgestellt hat, „beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts von diesem nicht geregelt ist“(192). Dieser Anspruch unterliegt vielmehr der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten. Demzufolge steht ihnen auch frei, Regelungen zu erlassen, die sich eventuell auch mindernd auf die Dauer des Jahresurlaubs auswirken, sofern die von der Richtlinie 2003/88 aufgestellte Voraussetzung der Einhaltung der vierwöchigen Mindestdauer des Jahresurlaubs in jedem Fall erfüllt wird.
181. Die fehlende Anrechenbarkeit als Dienstzeit einer krankheitsbedingten Fehlzeit aufgrund der Vorgaben des nationalen Rechts, wie etwa im Fall eines Wegeunfalls oder einer außerberuflichen Krankheit, darf sich nicht zulasten des vierwöchigen Mindestjahresurlaubs auswirken. Der französischen Regierung(193) ist darin zuzustimmen, dass dies erforderlichenfalls dadurch verhindert werden muss, dass der Arbeitnehmer die Möglichkeit erhält, seinen Urlaub innerhalb eines angemessen langen Übertragungszeitraums nachzuholen, der dem Erholungszweck der Richtlinie 2003/88 Rechnung trägt. Wie der Gerichtshof im Urteil Federatie Nederlandse Vakbeweging(194) festgestellt hat, muss der Jahresurlaub, damit er seine positive Wirkung für die Sicherheit und die Gesundheit des Arbeitnehmers vollständig entfaltet, zwar grundsätzlich in dem hierfür vorgesehenen, also dem laufenden Jahr genommen werden. Dennoch verliert diese Ruhezeit ihre Bedeutung nicht, wenn sie auch zu einer späteren Zeit, beispielsweise während des Übertragungszeitraums, genommen wird.
182. Aus den vorstehenden Erwägungen ist daher die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 dahin ausgelegt werden muss, dass er nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, die eine entsprechend der Ursache für die Abwesenheit des Arbeitnehmers unterschiedliche Dauer des bezahlten Urlaubs vorsehen, nicht entgegensteht, sofern die in dieser Richtlinienbestimmung vorgesehene Mindestdauer von vier Wochen in jedem Fall gewährleistet ist.
VII – Ergebnis
183. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die von der Cour de cassation gestellten Vorlagefragen wie folgt zu antworten:
1. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Bestimmungen oder Praktiken entgegensteht, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von einer effektiven Mindestarbeitszeit von zehn Tagen (oder einem Monat) während des Bezugszeitraums abhängt.
2. Art. 7 der Richtlinie 2003/88 erlegt dem mit einem Streitfall zwischen Privatpersonen befassten Richter des Mitgliedstaats nicht die Verpflichtung auf, eine nationale Bestimmung, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von einer effektiven Mindestarbeitszeit von wenigstens zehn Tagen während des Bezugszeitraums abhängt und die einer richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich ist, unangewendet zu lassen.
3. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, die eine entsprechend der Ursache für die Abwesenheit des Arbeitnehmers unterschiedliche Dauer des bezahlten Urlaubs vorsehen, nicht entgegensteht, sofern die in dieser Richtlinienbestimmung vorgesehene Mindestdauer von vier Wochen in jedem Fall gewährleistet ist.