Language of document : ECLI:EU:C:2019:1075

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

12. Dezember 2019(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Richtlinie 79/7/EWG – Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit – Art. 4 Abs. 1 und 2 – Art. 7 Abs. 1 – Berechnung der Leistungen – Richtlinie 2006/54/EG – Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen – Nationale Regelung, die für Frauen, die zwei oder mehr leibliche oder adoptierte Kinder hatten und die eine beitragsbezogene Rente wegen dauernder Invalidität erhalten, einen Anspruch auf eine Rentenzulage vorsieht – Kein Anspruch für Männer, die sich in der gleichen Situation befinden – Vergleichbare Situation – Unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – Ausnahmen – Fehlen“

In der Rechtssache C‑450/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Social n.°3 de Gerona (Sozialgericht Nr. 3 Gerona, Spanien) mit Entscheidung vom 21. Juni 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juli 2018, in dem Verfahren

WA

gegen

Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta, der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und L. Bay Larsen sowie der Richterin C. Toader,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juni 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–      von WA, vertreten durch F. Casas Corominas, abogado,

–      des Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS), zunächst vertreten durch A. R. Trillo García, L. Martínez-Sicluna Sepúlveda und P. García Perea, dann durch L. Martínez-Sicluna Sepúlveda und P. García Perea, letrados,

–      der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz als Bevollmächtigten,

–      der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch N. Ruiz García, C. Valero und I. Galindo Martín, dann durch N. Ruiz García und C. Valero als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. September 2019

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 157 AEUV und der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. 2006, L 204, S. 23).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen WA, Vater zweier Kinder, und dem Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) (Nationales Institut der Sozialen Sicherheit, Spanien) wegen dessen Weigerung, WA eine Rentenzulage zu gewähren, die Frauen gewährt wird, die zwei oder mehr leibliche oder adoptierte Kinder hatten.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 79/7/EWG

3        Die Erwägungsgründe 2 und 3 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24) lauten:

„Es ist angezeigt, den Grundsatz der Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit in erster Linie bei den gesetzlichen Systemen, die Schutz gegen die Risiken Krankheit, Invalidität, Alter, Arbeitsunfall, Berufskrankheit und Arbeitslosigkeit bieten, sowie bei den Sozialhilferegelungen, soweit sie die vorgenannten Systeme ergänzen oder ersetzen sollen, zu verwirklichen.

Die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit steht Bestimmungen, die sich auf den Schutz der Frau wegen Mutterschaft beziehen, nicht entgegen, und die Mitgliedstaaten können in diesem Rahmen zugunsten der Frauen besondere Bestimmungen erlassen, um die tatsächlich bestehenden Ungleichheiten zu beseitigen“.

4        Art. 1 der Richtlinie 79/7 bestimmt:

„Diese Richtlinie hat zum Ziel, dass auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und der sonstigen Bestandteile der sozialen Sicherung im Sinne von Artikel 3 der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit – im Folgenden ‚Grundsatz der Gleichbehandlung‘ genannt – schrittweise verwirklicht wird.“

5        Art. 2 dieser Richtlinie sieht vor:

„Diese Richtlinie findet Anwendung auf die Erwerbsbevölkerung – einschließlich der Selbständigen, deren Erwerbstätigkeit durch Krankheit, Unfall oder unverschuldete Arbeitslosigkeit unterbrochen ist, und der Arbeitsuchenden – sowie auf die im Ruhestand befindlichen oder arbeitsunfähigen Arbeitnehmer und Selbständigen.“

6        In Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Diese Richtlinie findet Anwendung

a)      auf die gesetzlichen Systeme, die Schutz gegen folgende Risiken bieten:

–        Krankheit,

–        Invalidität,

–        Alter

–        Arbeitsunfall und Berufskrankheit,

–        Arbeitslosigkeit;

…“

7        Art. 4 der Richtlinie 79/7 lautet:

„(1)      Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im Besonderen betreffend:

–      den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,

–      die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge,

–      die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen.

(2)      Der Grundsatz der Gleichbehandlung steht den Bestimmungen zum Schutz der Frau wegen Mutterschaft nicht entgegen.“

8        Art. 7 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, Folgendes von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen:

b)      die Vergünstigungen, die Personen, welche Kinder aufgezogen haben, auf dem Gebiet der Altersversicherung gewährt werden; den Erwerb von Ansprüchen auf Leistungen im Anschluss an Zeiträume der Beschäftigungsunterbrechung wegen Kindererziehung;

(2)      Die Mitgliedstaaten überprüfen in regelmäßigen Abständen die aufgrund des Absatzes 1 ausgeschlossenen Bereiche, um festzustellen, ob es unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung in dem Bereich gerechtfertigt ist, die betreffenden Ausnahmen aufrechtzuerhalten.“

 Richtlinie 2006/54

9        Mit der Richtlinie 2006/54 wurde die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. 1976, L 39, S. 40) in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. 2002, L 269, S. 15) geänderten Fassung aufgehoben.

10      Der 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/54 lautet:

„Mit seinem Urteil vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache [Barber, (C‑262/88, EU:C:1990:209)] befand der Gerichtshof, dass alle Formen von Betriebsrenten Bestandteil des Entgelts im Sinne von Artikel 141 des [EG‑]Vertrags sind.“

11      In Art. 1 dieser Richtlinie heißt es:

„Ziel der vorliegenden Richtlinie ist es, die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherzustellen.

Zu diesem Zweck enthält sie Bestimmungen zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Bezug auf

b)      Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts,

c)      betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit.

…“

12      Art. 2 der Richtlinie bestimmt in Abs. 1:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

f)      ‚betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit‘ Systeme, die nicht durch die Richtlinie [79/7] geregelt werden und deren Zweck darin besteht, den abhängig Beschäftigten und den Selbständigen in einem Unternehmen oder einer Unternehmensgruppe, in einem Wirtschaftszweig oder den Angehörigen eines Berufes oder einer Berufsgruppe Leistungen zu gewähren, die als Zusatzleistungen oder Ersatzleistungen die gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit ergänzen oder an ihre Stelle treten, unabhängig davon, ob der Beitritt zu diesen Systemen Pflicht ist oder nicht.“

 Spanisches Recht

13      Art. 7 Abs. 1 der Ley General de la Seguridad Social (Allgemeines Gesetz über die soziale Sicherheit) in ihrer konsolidierten Fassung, gebilligt durch das Real Decreto Legislativo 8/2015 (Königliches Gesetzesdekret 8/2015) vom 30. Oktober 2015 (BOE Nr. 261 vom 31. Oktober 2015, S. 103291) (im Folgenden: LGSS), lautet:

„Unabhängig von Geschlecht, Familienstand und Beruf unterliegen in Spanien wohnhafte spanische Staatsbürger und Ausländer, die ihren Wohnsitz oder rechtmäßigen Aufenthalt in Spanien haben, hinsichtlich der beitragsbezogenen Leistungen dem System der sozialen Sicherheit, sofern sie, in beiden Fällen, eine Tätigkeit im Inland ausüben und unter einen der folgenden Absätze fallen:

a)      Arbeitnehmer, die in den verschiedenen Wirtschaftszweigen ihre Dienste unter den in Art. 1 Abs. 1 der Neufassung des Estatuto de los Trabajadores [(Arbeitnehmerstatut)] vorgesehenen Bedingungen erbringen, oder Arbeitnehmer, die ihnen gleichgestellt sind, unabhängig davon, ob es sich um Zeitbedienstete, Saisonarbeitnehmer, Festangestellte oder Arbeitnehmer in unterbrochenen Festbeschäftigungen, einschließlich Telearbeitnehmer, handelt und in allen Fällen unabhängig von der Berufsgruppe des Arbeitnehmers, der Art und Höhe des Entgelts, das er erhält, sowie der allgemeinen Art seines Arbeitsverhältnisses;

b)      Selbständige, unabhängig davon, ob sie Einzelunternehmen oder Familienunternehmen besitzen oder nicht, die über 18 Jahre alt sind und alle Bedingungen erfüllen, die ausdrücklich in diesem Gesetz oder in den zu seiner Durchführung erlassenen Rechtsvorschriften festgelegt sind;

c)      Partnerarbeitnehmer von Arbeitnehmergenossenschaften;

d)      Studenten;

e)      öffentliche, zivile und militärische Beamte.“

14      Art. 60 Abs. 1 LGSS sieht vor:

„Frauen, die leibliche oder adoptierte Kinder hatten und von irgendeiner Untergliederung des Systems der sozialen Sicherheit eine beitragsbezogene Alters- oder Witwenrente oder Rente wegen dauernder Invalidität erhalten, wird aufgrund ihres demografischen Beitrags zur sozialen Sicherheit eine Rentenzulage gewährt.

Diese Zulage, die in jeder Hinsicht die Rechtsnatur einer öffentlichen beitragsbezogenen Rente hat, besteht aus einem Betrag in Höhe eines bestimmten, auf den Ausgangsbetrag der entsprechenden Renten angewandten Prozentsatzes, der sich je nach der Zahl der Kinder wie folgt bemisst:

a)      bei 2 Kindern: 5 Prozent,

b)      bei 3 Kindern: 10 Prozent,

c)      bei 4 oder mehr Kindern: 15 Prozent.

Bei der Feststellung des Anspruchs auf die Zulage sowie ihrer Höhe werden nur Kinder berücksichtigt, die vor dem Sachverhalt, auf dem die entsprechende Rente beruht, geboren oder adoptiert wurden.“

15      Art. 196 Abs. 3 LGSS lautet:

„Die der dauernden vollständigen Invalidität entsprechende finanzielle Leistung besteht aus einer lebenslangen Rente.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

16      Mit Bescheid vom 25. Januar 2017 gewährte das INSS Herrn WA eine Rente wegen dauernder vollständiger Invalidität in Höhe von 100 % des Grundbetrags (im Folgenden: Bescheid vom 25. Januar 2017). Diese Rente belief sich auf 1 603,43 Euro pro Monat zuzüglich Anpassungen.

17      WA legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und machte geltend, dass er als Vater von zwei Töchtern nach Art. 60 Abs. 1 LGSS einen Anspruch auf die in dieser Bestimmung vorgesehene Rentenzulage (im Folgenden: streitige Rentenzulage) in Höhe von 5 % des Grundbetrags seiner Rente habe, und zwar unter den gleichen Bedingungen wie Frauen, die Mütter von zwei Kindern seien und von einer Untergliederung des spanischen Systems der sozialen Sicherheit beitragsbezogene Renten wegen dauernder vollständiger Invalidität erhielten.

18      Mit Bescheid vom 9. Juni 2017 wies das INSS den Widerspruch von WA zurück und bestätigte den Bescheid vom 25. Januar 2017. Das INSS wies insoweit darauf hin, dass die streitige Rentenzulage ausschließlich Frauen, die eine beitragsbezogene Leistung von einer Untergliederung des spanischen Systems der sozialen Sicherheit erhielten und Mütter von zwei oder mehr Kindern seien, aufgrund ihres demografischen Beitrags zur sozialen Sicherheit gewährt werde.

19      In der Zwischenzeit erhob WA am 23. Mai 2017 gegen den Bescheid vom 25. Januar 2017 beim Juzgado de lo Social n.°3 de Gerona (Sozialgericht Nr. 3 Girona, Spanien) eine Klage, mit der er die Anerkennung seines Anspruchs auf die streitige Rentenzulage beantragte.

20      Am 18. Mai 2018 wurde diesem Gericht mitgeteilt, dass WA am 9. Dezember 2017 verstorben war. DC, seine Ehefrau, trat als seine Rechtsnachfolgerin im Ausgangsverfahren an seine Stelle. Das vorlegende Gericht führt aus, dass eine etwaige Zahlung der streitigen Rentenzulage somit bis zum Tod von WA erfolgen könne.

21      Art. 60 Abs. 1 LGSS gewähre Frauen, die zwei oder mehr leibliche oder adoptierte Kinder gehabt hätten, aufgrund ihres demografischen Beitrags zur sozialen Sicherheit die streitige Rentenzulage, während Männer, die sich in der gleichen Situation befänden, keinen solchen Anspruch hätten. Es sei zweifelhaft, ob diese Bestimmung mit dem Unionsrecht vereinbar sei.

22      Der in Art. 60 Abs. 1 LGSS genannte Begriff des demografischen Beitrags zur sozialen Sicherheit könne nämlich für Frauen und für Männer gleichermaßen gültig sein, da die Fortpflanzung und die Verantwortung für die Pflege, Betreuung, Versorgung und Bildung von Kindern jeden angingen, der Vater oder Mutter sei. Folglich könne eine Unterbrechung der Berufsausübung nach der Geburt oder Adoption von Kindern oder zur Betreuung dieser Kinder für Frauen und Männer gleichermaßen nachteilig sein, und zwar unabhängig von ihrem demografischen Beitrag zur sozialen Sicherheit. Insoweit begründe Art. 60 Abs. 1 LGSS eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zugunsten der Frauen und zulasten der Männer, die sich in der gleichen Situation befänden.

23      Auf persönlicher und beruflicher Ebene bedeute die Fortpflanzung allerdings ein größeres Opfer für die Frauen. Sie müssten nämlich den Zeitraum der Schwangerschaft und die Entbindung verkraften, die eindeutige biologische und physiologische Opfer mit sich brächten und für sie Nachteile nicht nur in physischer Hinsicht, sondern auch im Bereich der Beschäftigung und ihrer berechtigten Erwartungen hinsichtlich des beruflichen Aufstiegs zur Folge hätten. Aus biologischer Sicht könnten die Bestimmungen von Art. 60 Abs. 1 LGSS daher gerechtfertigt sein, soweit sie darauf abzielten, Frauen vor den Folgen von Schwangerschaft und Mutterschaft zu schützen.

24      Unter diesen Umständen hat der Juzgado de lo Social n.°3 de Gerona (Sozialgericht Nr. 3 Girona) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Verstößt eine nationale Vorschrift (konkret Art. 60 Abs. 1 LGSS), nach der Frauen, die leibliche oder adoptierte Kinder hatten und von irgendeiner Untergliederung des Systems der sozialen Sicherheit eine beitragsbezogene Alters- oder Witwenrente oder eine Rente wegen dauernder Invalidität erhalten, aufgrund ihres demografischen Beitrags zur sozialen Sicherheit eine Zulage zur Rente gewährt wird, während Männer, die sich in der gleichen Situation befinden, darauf keinen Anspruch haben, gegen den in Art. 157 AEUV und in der Richtlinie 76/207, geändert durch die Richtlinie 2002/73 und zusammengefasst durch die Richtlinie 2006/54, verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung, der jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet?

 Zur Vorlagefrage

 Vorbemerkungen

25      Im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof ist es dessen Aufgabe, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Es ist nämlich seine Aufgabe, alle Bestimmungen des Unionsrechts auszulegen, die die staatlichen Gerichte benötigen, um die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, auch wenn diese Bestimmungen in den ihm von diesen Gerichten vorgelegten Fragen nicht ausdrücklich genannt sind (Urteile vom 26. Juni 2008, Wiedemann und Funk, C‑329/06 und C‑343/06, EU:C:2008:366, Rn. 45, sowie vom 8. Mai 2019, PI, C‑230/18, EU:C:2019:383, Rn. 42).

26      Auch wenn das vorlegende Gericht in der vorliegenden Rechtssache seine Fragen formal auf die Auslegung von Art. 157 AEUV und der Richtlinie 2006/54 beschränkt hat, hindert dies den Gerichtshof nicht daran, ihm alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten von dem nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Januar 2010, Wolf, C‑229/08, EU:C:2010:3, Rn. 32, und vom 8. Mai 2019, PI, C‑230/18, EU:C:2019:383, Rn. 43).

27      Im vorliegenden Fall hat WA, Vater von zwei Kindern, auf der Grundlage von Art. 60 Abs. 1 LGSS die Gewährung der streitigen Rentenzulage beantragt, die zu seiner beitragsbezogenen Rente wegen dauernder vollständiger Invalidität hinzukäme.

28      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass unter den Begriff „Entgelt“ im Sinne von Art. 157 Abs. 2 AEUV Versorgungsbezüge fallen, die von dem Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber abhängen, ausgenommen Versorgungsbezüge aus einem gesetzlichen System, zu deren Finanzierung Arbeitnehmer, Arbeitgeber und eventuell die öffentliche Hand in einem Maße beitragen, das weniger von einem Beschäftigungsverhältnis abhängt, sondern vielmehr durch sozialpolitische Erwägungen bestimmt wird. Daher können unmittelbar durch Gesetz geregelte, keinerlei vertragliche Vereinbarungen innerhalb des Unternehmens oder in dem betroffenen Gewerbezweig zulassende Sozialversicherungssysteme oder ‑leistungen, wie z. B. Altersrenten, die zwingend für allgemein umschriebene Gruppen von Arbeitnehmern gelten, nicht in den Entgeltbegriff einbezogen werden (Urteil vom 22. November 2012, Elbal Moreno, C‑385/11, EU:C:2012:746, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Eine beitragsbezogene Rente wegen dauernder Invalidität wie die von WA bezogene, auf deren Grundlage die streitige Rentenzulage berechnet wird, stellt sich als eine Rente dar, die weniger von einem Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber abhängt als von sozialen Erwägungen im Sinne der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils aufgeführten Rechtsprechung.

30      Ferner wird in Art. 60 Abs. 1 LGSS klargestellt, dass die streitige Rentenzulage in jeder Hinsicht die Rechtsnatur einer beitragsbezogenen öffentlichen Rente hat.

31      Erwägungen der Sozialpolitik, der Staatsorganisation und der Ethik oder gar den Haushalt betreffende Überlegungen, die bei der Festlegung eines Systems durch den nationalen Gesetzgeber tatsächlich oder möglicherweise eine Rolle gespielt haben, können zwar dann nicht ausschlaggebend sein, wenn die Versorgung nur für eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern gilt, wenn sie unmittelbar von der abgeleisteten Dienstzeit abhängt und wenn ihre Höhe nach den letzten Bezügen berechnet wird (Urteile vom 28. September 1994, Beune, C‑7/93, EU:C:1994:350, Rn. 45, und vom 22. November 2012, Elbal Moreno, C‑385/11, EU:C:2012:746, Rn. 23).

32      Insoweit scheint die erste dieser drei Bedingungen, wie das INSS geltend macht, nicht erfüllt zu sein, da die dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen keinen Hinweis darauf enthalten, dass eine beitragsbezogene Rente wegen dauernder Invalidität wie die im Ausgangsverfahren streitige nur für eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern gilt.

33      Daher fällt eine solche beitragsbezogene Rente wegen dauernder Invalidität weder unter den Begriff „Entgelt“ im Sinne von Art. 157 Abs. 1 und 2 AEUV noch unter die Richtlinie 2006/54 (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Februar 1996, Gillespie u. a., C‑342/93, EU:C:1996:46, Rn. 14, vom 22. November 2012, Elbal Moreno, C‑385/11, EU:C:2012:746, Rn. 25, und vom 14. Juli 2016, Ornano, C‑335/15, EU:C:2016:564, Rn. 38).

34      Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 1 Abs. 2 Buchst. c in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/54, dass diese nicht für gesetzliche Systeme gilt, die unter die Richtlinie 79/7 fallen.

35      Die streitige Rentenzulage fällt jedoch unter die Richtlinie 79/7, da sie im Rahmen eines gesetzlichen Systems des Schutzes gegen eines der in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie aufgeführten Risiken, nämlich der Invalidität, gewährt wird und unmittelbar und in effektiver Weise mit dem Schutz gegen dieses Risiko zusammenhängt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Dezember 1999, Taylor, C‑382/98, EU:C:1999:623, Rn. 14, und vom 22. November 2012, Elbal Moreno, C‑385/11, EU:C:2012:746, Rn. 26).

36      Diese Rentenzulage zielt nämlich darauf ab, Frauen, die zwei oder mehr leibliche oder adoptierte Kinder hatten und eine Rente wegen Invalidität erhalten, zu schützen, indem gewährleistet wird, dass sie über die insbesondere im Hinblick auf ihre Bedürfnisse erforderlichen Mittel verfügen können.

37      Unter diesen Umständen ist die Vorlagefrage dahin zu verstehen, dass geklärt werden soll, ob die Richtlinie 79/7 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die aufgrund des demografischen Beitrags von Frauen zur sozialen Sicherheit einen Anspruch auf eine Rentenzulage für Frauen vorsieht, die zwei oder mehr leibliche oder adoptierte Kinder hatten und von einer Untergliederung des Systems der nationalen sozialen Sicherheit eine beitragsbezogene Rente wegen dauernder Invalidität erhalten, während Männer, die sich in der gleichen Situation befinden, keinen solchen Anspruch haben.

 Beantwortung der Frage

38      Gemäß Art. 4 Abs. 1 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 79/7 beinhaltet der Grundsatz der Gleichbehandlung den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, bei der Berechnung der Leistungen.

39      Der Ausgangsrechtsstreit betrifft die Berechnung der Gesamthöhe der Rente wegen dauernder Invalidität, die einem Vater von zwei Kindern gewährt wird, der den streitigen Rentenzuschlag beansprucht.

40      Nach Art. 60 Abs. 1 LGSS wird Frauen, die zwei oder mehr leibliche oder adoptierte Kinder hatten und von einer Untergliederung des Systems der sozialen Sicherheit u. a. eine beitragsbezogene Rente wegen dauernder Invalidität erhalten, aufgrund ihres demografischen Beitrags zur sozialen Sicherheit eine Rentenzulage gewährt. Männer, die sich in der gleichen Situation befinden, erhalten diese Rentenzulage hingegen nicht.

41      Somit erweist sich, dass diese nationale Regelung Männer, die zwei oder mehr leibliche oder adoptierte Kinder hatten, benachteiligt. Diese Benachteiligung aufgrund des Geschlechts kann eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 darstellen.

42      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht eine Diskriminierung darin, dass unterschiedliche Vorschriften auf gleiche Sachverhalte angewandt werden oder dieselbe Vorschrift auf ungleiche Sachverhalte angewandt wird (Urteile vom 13. Februar 1996, Gillespie u. a., C‑342/93, EU:C:1996:46, Rn. 16, und vom 8. Mai 2019, Praxair MRC, C‑486/18, EU:C:2019:379, Rn. 73).

43      Es ist daher zu prüfen, ob die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen, die durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung herbeigeführt wird, Personengruppen betrifft, die sich in vergleichbaren Situationen befinden.

44      Insoweit bedeutet das Erfordernis der Vergleichbarkeit der Situationen nicht, dass sie identisch, sondern nur, dass sie ähnlich sein müssen (Urteil vom 26. Juni 2018, MB [Geschlechtsumwandlung und Altersrente], C‑451/16, EU:C:2018:492, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Die Vergleichbarkeit der Situationen ist nicht allgemein und abstrakt, sondern spezifisch und konkret anhand aller diese Situationen kennzeichnenden Merkmale, insbesondere im Licht des Gegenstands und Ziels der nationalen Regelung, mit der die fragliche Unterscheidung eingeführt wird, sowie gegebenenfalls der Grundsätze und Ziele des Regelungsbereichs, dem diese nationale Regelung unterfällt, zu beurteilen (Urteil vom 26. Juni 2018, MB [Geschlechtsumwandlung und Altersrente], C‑451/16, EU:C:2018:492, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Zu dem mit Art. 60 Abs. 1 LGSS verfolgten Ziel, Frauen für ihren demografischen Beitrag zur sozialen Sicherheit zu belohnen, ist festzustellen, dass der demografische Beitrag der Männer ebenso notwendig ist wie der der Frauen.

47      Der demografische Beitrag zur sozialen Sicherheit allein kann es daher nicht rechtfertigen, dass sich Männer und Frauen bei der Gewährung der streitigen Rentenzulage nicht in einer vergleichbaren Situation befinden.

48      Auf eine schriftliche Frage des Gerichtshofs hin hat die spanische Regierung jedoch hervorgehoben, dass das Ziel dieser Rentenzulage nicht nur darin bestehe, Frauen, die zwei oder mehr Kinder gehabt hätten, für ihren demografischen Beitrag zur sozialen Sicherheit zu belohnen. Die Zulage sei auch als eine Maßnahme konzipiert worden, mit der der Unterschied bei der Höhe der Renten von Männern und Frauen, der sich aus ihren unterschiedlichen beruflichen Laufbahnen ergebe, verringert werden solle. Das verfolgte Ziel bestehe darin, angemessene Renten für Frauen sicherzustellen, deren berufliche Laufbahn unterbrochen oder verkürzt worden sei, weil sie zwei oder mehr Kinder gehabt hätten, und die deshalb weniger Beiträge geleistet und geringere Rentenansprüche erworben hätten.

49      Ferner macht das INSS in seinen schriftlichen Erklärungen geltend, dass die streitige Rentenzulage aus sozialpolitischen Gründen gerechtfertigt sei. Hierfür legt es eine Vielzahl statistischer Daten vor, die einen Unterschied bei der Höhe der Rente von Männern und Frauen sowie bei der Höhe der Rente von Frauen, die keine Kinder oder ein Kind gehabt hätten, und von Frauen, die zwei oder mehr Kinder gehabt hätten, belegen.

50      Zum Ziel, durch die Gewährung der streitigen Rentenzulage den Unterschied bei der Höhe der Rente von Frauen und Männern zu verringern, ist festzustellen, dass Art. 60 Abs. 1 LGSS zumindest teilweise darauf abzielt, Frauen in ihrer Eigenschaft als Elternteil zu schützen.

51      Dabei handelt es sich allerdings zum einen um eine Eigenschaft, die sowohl Männer als auch Frauen haben können, und zum anderen können die Lage eines Vaters und die einer Mutter miteinander vergleichbar sein, soweit es um die Kindererziehung geht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. November 2001, Griesmar, C‑366/99, EU:C:2001:648, Rn. 56, und vom 26. März 2009, Kommission/Griechenland, C‑559/07, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:198, Rn. 69).

52      Insbesondere ist der Umstand, dass Frauen von beruflichen Nachteilen, die sich aus der Erziehung der Kinder ergeben, stärker betroffen sind, weil die Erziehung im Allgemeinen von Frauen wahrgenommen wird, nicht geeignet, die Vergleichbarkeit ihrer Lage mit derjenigen eines Mannes auszuschließen, der die Erziehung seiner Kinder übernommen und deshalb die gleichen Laufbahnnachteile hinzunehmen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. November 2001, Griesmar, C‑366/99, EU:C:2001:648, Rn. 56).

53      Unter diesen Umständen lässt sich, wie der Generalanwalt in Nr. 66 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, aus statistischen Daten, die strukturelle Unterschiede zwischen den Renten von Frauen und Männern belegen, nicht folgern, dass sich Frauen und Männer in Bezug auf die streitige Rentenzulage nicht in einer vergleichbaren Situation als Elternteil befinden.

54      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Abweichung von dem in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 verankerten Verbot jeglicher unmittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nur in den in der Richtlinie abschließend aufgezählten Fällen möglich (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. September 2014, X, C‑318/13, EU:C:2014:2133, Rn. 34 und 35, sowie vom 26. Juni 2018, MB [Geschlechtsumwandlung und Altersrente], C‑451/16, EU:C:2018:492, Rn. 50).

55      Zu diesen Gründen für eine Abweichung ist erstens festzustellen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 79/7 den Bestimmungen über den Schutz der Frau wegen Mutterschaft nicht entgegensteht.

56      Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 79/7, indem er den Mitgliedstaaten das Recht vorbehält, Vorschriften zur Gewährleistung dieses Schutzes beizubehalten oder einzuführen, anerkennt, dass es im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter gerechtfertigt ist, zum einen die körperliche Verfassung der Frau während und nach ihrer Schwangerschaft und zum anderen die besondere Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der Zeit nach der Entbindung zu schützen (vgl. in diesem Sinne zur Richtlinie 76/207 Urteile vom 12. Juli 1984 Hofmann, 184/83, EU:C:1984:273, Rn. 25, und vom 19. September 2013, Betriu Montull, C‑5/12, EU:C:2013:571, Rn. 62).

57      Im vorliegenden Fall enthält Art. 60 Abs. 1 LGSS jedoch nichts, was einen Zusammenhang zwischen der Gewährung der streitigen Rentenzulage und der Inanspruchnahme des Mutterschaftsurlaubs oder den Nachteilen herstellen würde, die einer Frau bei ihrer beruflichen Laufbahn entstehen, weil sie in der Zeit nach der Entbindung nicht erwerbstätig ist.

58      Insbesondere wird die Zulage Frauen gewährt, die Kinder adoptiert haben, was zeigt, dass der nationale Gesetzgeber die Anwendung von Art. 60 Abs. 1 LGSS nicht auf den Schutz der körperlichen Verfassung von Frauen beschränken wollte, die entbunden haben.

59      Darüber hinaus ist nach dieser Bestimmung, wie der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht erforderlich, dass Frauen zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihre Kinder bekommen haben, die Arbeit eingestellt haben müssen, so dass es keine Voraussetzung, dass sie Mutterschaftsurlaub genommen haben müssen, gibt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Frau entbunden hat, bevor sie eine Erwerbstätigkeit aufnimmt.

60      Daher ist festzustellen, dass eine Rentenzulage wie die im Ausgangsverfahren streitige nicht unter die in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 79/7 vorgesehene Ausnahme vom Diskriminierungsverbot fällt.

61      Zweitens steht die Richtlinie 79/7 nach ihrem Art. 7 Abs. 1 Buchst. b nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, die Vergünstigungen, die Personen, welche Kinder aufgezogen haben, auf dem Gebiet der Altersversicherung gewährt werden, und den Erwerb von Ansprüchen auf Leistungen im Anschluss an Zeiträume der Beschäftigungsunterbrechung wegen Kindererziehung von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen.

62      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 60 Abs. 1 LGSS die Gewährung der streitigen Rentenzulage jedenfalls nicht von der Erziehung von Kindern oder vom Vorhandensein von Zeiten der Unterbrechung der Beschäftigung aufgrund der Erziehung von Kindern abhängig macht, sondern nur davon, dass die begünstigten Frauen zwei oder mehr leibliche oder adoptierte Kinder hatten und von einer Untergliederung des Systems der sozialen Sicherheit eine beitragsbezogene Alters- oder Witwenrente oder Rente wegen dauernder Invalidität erhalten.

63      Daher gilt Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 79/7 nicht für eine Leistung wie die streitige Rentenzulage.

64      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 157 Abs. 4 AEUV der Grundsatz der Gleichbehandlung im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen.

65      Diese Bestimmung kann jedoch nicht auf eine nationale Regelung wie Art. 60 Abs. 1 LGSS Anwendung finden, weil sich die streitige Rentenzulage darauf beschränkt, Frauen zu dem Zeitpunkt, zu dem ihnen eine Rente, insbesondere im Fall dauernder Invalidität, gewährt wird, einen Aufschlag zukommen zu lassen, ohne den Schwierigkeiten abzuhelfen, auf die sie während ihrer beruflichen Laufbahn stoßen können, und weil diese Zulage nicht geeignet ist, die Nachteile, die Frauen hinzunehmen haben, dadurch auszugleichen, dass ihnen in dieser beruflichen Laufbahn geholfen wird, und damit die volle Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben effektiv zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. November 2001, Griesmar, C‑366/99, EU:C:2001:648, Rn. 65, und vom 17. Juli 2014, Leone, C‑173/13, EU:C:2014:2090, Rn. 101).

66      Es ist somit festzustellen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt und daher nach der Richtlinie 79/7 verboten ist.

67      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Richtlinie 79/7 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die für Frauen, die zwei oder mehr leibliche oder adoptierte Kinder hatten und von einer Untergliederung des Systems der nationalen sozialen Sicherheit eine beitragsbezogene Rente wegen dauernder Invalidität erhalten, einen Anspruch auf eine Rentenzulage vorsieht, während Männer, die sich in der gleichen Situation befinden, keinen solchen Anspruch haben.

 Kosten

68      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die für Frauen, die zwei oder mehr leibliche oder adoptierte Kinder hatten und von einer Untergliederung des Systems der nationalen sozialen Sicherheit eine beitragsbezogene Rente wegen dauernder Invalidität erhalten, einen Anspruch auf eine Rentenzulage vorsieht, während Männer, die sich in der gleichen Situation befinden, keinen solchen Anspruch haben.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Spanisch.