Language of document : ECLI:EU:C:2020:257

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

2. April 2020(*)

Inhaltsverzeichnis



„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Beschlüsse (EU) 2015/1523 und (EU) 2015/1601 – Art. 5 Abs. 2 und 4 bis 11 dieser Beschlüsse – Vorläufige Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten der Hellenischen Republik und der Italienischen Republik – Notlage bestimmter Mitgliedstaaten aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in ihr Hoheitsgebiet – Umsiedlung dieser Drittstaatsangehörigen in das Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten – Umsiedlungsverfahren – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, in regelmäßigen Abständen, zumindest aber alle drei Monate, die Zahl der internationalen Schutz beantragenden Personen anzugeben, die schnell in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden können – Zur tatsächlichen Umsiedlung führende Folgeverpflichtungen – Interessen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung – Möglichkeit für einen Mitgliedstaat, sich auf Art. 72 AEUV zu berufen, um verbindliche Unionsrechtsakte nicht anzuwenden“

In den verbundenen Rechtssachen C‑715/17, C‑718/17 und C‑719/17

betreffend Vertragsverletzungsklagen nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 21. und 22. Dezember 2017,

Europäische Kommission, vertreten durch Z. Malůšková, A. Stobiecka-Kuik, G. Wils und A. Tokár als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Republik Polen, vertreten durch E. Borawska-Kędzierska und B. Majczyna als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch:

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil, J. Pavliš und A. Brabcová als Bevollmächtigte,

Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér als Bevollmächtigten,

Streithelfer (Rechtssache C‑715/17),

Europäische Kommission, vertreten durch Z. Malůšková, A. Stobiecka-Kuik, G. Wils und A. Tokár als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch:

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil, J. Pavliš und A. Brabcová als Bevollmächtigte,

Republik Polen, vertreten durch E. Borawska-Kędzierska und B. Majczyna als Bevollmächtigte,

Streithelferinnen (Rechtssache C‑718/17),

und

Europäische Kommission, vertreten durch Z. Malůšková, A. Stobiecka-Kuik, G. Wils und A. Tokár als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil, J. Pavliš und A. Brabcová als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch:

Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér als Bevollmächtigten,

Republik Polen, vertreten durch E. Borawska-Kędzierska und B. Majczyna als Bevollmächtigte,

Streithelfer (Rechtssache C‑719/17),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer, der Richterin L. S. Rossi sowie der Richter J. Malenovský und F. Biltgen,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Mai 2019,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 31. Oktober 2019

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klageschrift in der Rechtssache C‑715/17 beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Republik Polen vom 16. März 2016 an dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses (EU) 2015/1523 des Rates vom 14. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland (ABl. 2015, L 239, S. 146) und Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses (EU) 2015/1601 des Rates vom 22. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland (ABl. 2015, L 248, S. 80) und folglich gegen ihre anschließenden Verpflichtungen zur Umsiedlung nach Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieser beiden Beschlüsse verstoßen hat, dass sie nicht in regelmäßigen Abständen, zumindest aber alle drei Monate, die entsprechende Zahl der internationalen Schutz beantragenden Personen angegeben hat, die schnell in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden konnten.

2        Mit ihrer Klageschrift in der Rechtssache C‑718/17 beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass Ungarn dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und folglich gegen seine anschließenden Verpflichtungen zur Umsiedlung nach Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieses Beschlusses verstoßen hat, dass es nicht in regelmäßigen Abständen, zumindest aber alle drei Monate, die entsprechende Zahl der internationalen Schutz beantragenden Personen angegeben hat, die schnell in sein Hoheitsgebiet umgesiedelt werden konnten.

3        Mit ihrer Klageschrift in der Rechtssache C‑719/17 beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Tschechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1523 und Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und folglich gegen ihre anschließenden Verpflichtungen zur Umsiedlung nach Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieser beiden Beschlüsse verstoßen hat, dass sie nicht in regelmäßigen Abständen, zumindest aber alle drei Monate, die entsprechende Zahl der internationalen Schutz beantragenden Personen angegeben hat, die schnell in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden konnten.

 Rechtlicher Rahmen

 Völkerrecht

4        Das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]) trat am 22. April 1954 in Kraft. Es wurde durch das am 31. Januar 1967 in New York abgeschlossene und am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ergänzt (im Folgenden: Genfer Abkommen).

5        Art. 1 des Genfer Abkommens enthält in Abschnitt A u. a. eine Definition des Begriffs „Flüchtling“ im Sinne des Abkommens und sieht in Abschnitt F vor:

„Die Bestimmungen dieses Abkommens finden keine Anwendung auf Personen, in Bezug auf die aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist,

a)      dass sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen haben, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen;

b)      dass sie ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes begangen haben, bevor sie dort als Flüchtling aufgenommen wurden;

c)      dass sie sich Handlungen zuschulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.“

 Unionsrecht

 Richtlinie 2011/95/EU

6        In Kapitel III („Anerkennung als Flüchtling“) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9, im Folgenden: Anerkennungsrichtlinie) sieht Art. 12 („Ausschluss“) in den Abs. 2 und 3 vor:

„(2)      Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass er

a)      ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen;

b)      eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Aufnahmelandes begangen hat, bevor er als Flüchtling aufgenommen wurde, das heißt vor dem Zeitpunkt der Ausstellung eines Aufenthaltstitels aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft; insbesondere grausame Handlungen können als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft werden, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden;

c)      sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der [am 26. Juni 1945 in San Francisco unterzeichneten] Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen.

(3)      Absatz 2 findet auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.“

7        Kapitel V („Voraussetzungen für subsidiären Schutz“) der Richtlinie 2011/95 umfasst Art. 17 („Ausschluss“), in dem es heißt:

„(1)      Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

a)      ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen;

b)      eine schwere Straftat begangen hat;

c)      sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen;

d)      eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält.

(2)      Absatz 1 findet auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3)      Die Mitgliedstaaten können einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen von der Gewährung subsidiären Schutzes ausschließen, wenn er vor seiner Aufnahme in dem betreffenden Mitgliedstaat ein oder mehrere nicht unter Absatz 1 fallende Straftaten begangen hat, die mit Freiheitsstrafe bestraft würden, wenn sie in dem betreffenden Mitgliedstaat begangen worden wären, und er sein Herkunftsland nur verlassen hat, um einer Bestrafung wegen dieser Straftaten zu entgehen.“

 Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601

8        In den Erwägungsgründen 1, 2, 7, 11, 12, 23, 25, 26, 31 und 32 des Beschlusses 2015/1601 hieß es:

„(1)      Gemäß Artikel 78 Absatz 3 [AEUV] kann der Rat, wenn sich ein oder mehrere Mitgliedstaaten aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage befinden, auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments vorläufige Maßnahmen zugunsten des bzw. der betreffenden Mitgliedstaaten erlassen.

(2)      Gemäß Artikel 80 AEUV gilt für die Politik der Union im Bereich Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung und ihre Umsetzung der Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten und die in diesem Bereich erlassenen Rechtsakte der Union haben entsprechende Maßnahmen für die Anwendung dieses Grundsatzes zu enthalten.

(7)      Auf seiner Tagung vom 25. und 26. Juni 2015 hat der Europäische Rat unter anderem beschlossen, dass drei zentrale Dimensionen parallel vorangebracht werden sollten: Umsiedlung/Neuansiedlung, Rückkehr bzw. Rückführung/Rückübernahme/Wiedereingliederung und Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern. Der Europäische Rat verständigte sich insbesondere angesichts der derzeitigen Krisensituation und des Bekenntnisses zur Stärkung von Solidarität und Verantwortung darauf, im Laufe von zwei Jahren 40 000 Personen, die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen, von Italien und von Griechenland vorübergehend und ausnahmsweise in andere Mitgliedstaaten umzusiedeln, woran sich alle Mitgliedstaaten beteiligen würden.

(11)      Am 20. Juli 2015 wurde unter Berücksichtigung der besonderen Situationen der Mitgliedstaaten einvernehmlich eine Entschließung der im [Europäischen] Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten über die Umsiedlung von 40 000 Personen, die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen, aus Griechenland und Italien angenommen. Über einen Zeitraum von zwei Jahren werden demnach 24 000 Personen aus Italien und 16 000 Personen aus Griechenland umgesiedelt werden. Am 14. September 2015 hat der Rat [der Europäischen Union] den Beschluss … 2015/1523 … angenommen, der eine Regelung vorsieht, wonach Personen, die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen, von Italien und Griechenland vorübergehend und ausnahmsweise in andere Mitgliedstaaten umgesiedelt werden.

(12)      In den letzten Monaten hat sich der Migrationsdruck an den südlichen Land- und Seeaußengrenzen erneut drastisch erhöht, und die Migrationsströme haben sich infolge der zunehmenden Zahl von Migranten, die in und aus Griechenland ankommen, weiter vom zentralen zum östlichen Mittelmeerraum und zur Westbalkanroute verlagert. In Anbetracht der Lage sind weitere vorläufige Maßnahmen zur Entlastung der Asylsysteme Italiens und Griechenlands angezeigt.

(23)      Die in diesem Beschluss vorgesehenen Maßnahmen zur Umsiedlung von Migranten aus Italien und aus Griechenland haben eine vorübergehende Aussetzung der in Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31)] festgelegten Bestimmung zur Folge, wonach Italien und Griechenland auf der Grundlage der in Kapitel III der genannten Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig wären, sowie eine vorübergehende Aussetzung der Verfahrensschritte, die in den Artikeln 21, 22 und 29 der genannten Verordnung festgelegt sind, einschließlich der Fristen. Die anderen Bestimmungen der Verordnung … Nr. 604/2013 … gelten weiterhin …

(25)      Unbeschadet der Entscheidungen über Asylanträge auf nationaler Ebene waren die Kriterien festzulegen, nach denen sich entscheidet, welche und wie viele Antragsteller aus Italien und aus Griechenland umgesiedelt werden sollen. Geplant ist ein klares und praktikables System auf der Grundlage der durchschnittlichen Quote der unionsweit in erstinstanzlichen Verfahren ergangenen Entscheidungen zur Gewährung internationalen Schutzes, die von Eurostat unter Zugrundelegung der neuesten verfügbaren Statistiken in Relation zur Gesamtzahl der unionsweit in erster Instanz ergangenen Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz festgelegt wird. Zum einen muss mit der Quote so weit wie möglich sichergestellt werden, dass alle Antragsteller, die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen, ihre Schutzrechte im Umsiedlungsmitgliedstaat rasch und umfassend in Anspruch nehmen können. Zum anderen wäre damit so weit wie möglich zu verhindern, dass Antragsteller, deren Antrag voraussichtlich abgelehnt wird, in einen anderen Mitgliedstaat umgesiedelt werden und dass sich auf diese Weise ihr Aufenthalt in der Union über Gebühr verlängert. Auf der Grundlage der jüngsten aktualisierten vierteljährlichen Eurostat-Daten zu erstinstanzlichen Entscheidungen sollte in diesem Beschluss eine Quote von 75 % zugrunde gelegt werden.

(26)      Die vorläufigen Maßnahmen sollen die einem erheblichen Druck ausgesetzten Asylsysteme Italiens und Griechenlands insbesondere dadurch entlasten, dass eine bedeutende Zahl der unzweifelhaft internationalen Schutz benötigenden Antragsteller, die nach Inkrafttreten dieses Beschlusses im Hoheitsgebiet Italiens oder Griechenlands eingetroffen sein werden, umgesiedelt werden. Unter Berücksichtigung der Gesamtzahl der Drittstaatsangehörigen, die 2015 irregulär nach Italien und Griechenland gelangt sind, und der Zahl der Personen, die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen, sollten insgesamt 120 000 Antragsteller, die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen, aus Italien und Griechenland umgesiedelt werden. …

(31)      Es muss dafür gesorgt werden, dass ein Verfahren für eine rasche Umsiedlung eingeführt wird und dass die vorläufigen Maßnahmen im Wege einer engen administrativen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und mit operativer Unterstützung durch das [Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO)] durchgeführt werden.

(32)      Der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung sollte während des gesamten Umsiedlungsverfahrens bis zum Abschluss der Überstellung des Antragstellers Rechnung getragen werden. Unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte des Antragstellers, einschließlich der einschlägigen Datenschutzvorschriften, sollte ein Mitgliedstaat die anderen Mitgliedstaaten unterrichten, wenn er berechtigte Gründe zu der Annahme hat, dass ein Antragsteller eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung darstellt.“

9        Die Erwägungsgründe 1, 2, 7, 23, 25, 26, 31 und 32 des Beschlusses 2015/1601 hatten im Wesentlichen den gleichen Wortlaut wie die Erwägungsgründe 1, 2, 6, 18, 20, 21, 25 und 26 des Beschlusses 2015/1523.

10      Art. 1 („Gegenstand“) des Beschlusses 2015/1601 bestimmte in seinem Abs. 1 mit im Wesentlichen gleichem Wortlaut wie Art. 1 des Beschlusses 2015/1523:

„Mit diesem Beschluss werden vorläufige Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland eingeführt, um diese Länder dabei zu unterstützen, eine durch den plötzlichen Zustrom von Drittstaatsangehörigen in die betreffenden Mitgliedstaaten geprägte Notlage besser zu bewältigen.“

11      Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Beschlüsse bestimmte:

„Im Sinne dieses Beschlusses bezeichnet der Ausdruck

e)      ‚Umsiedlung‘ die Überstellung eines Antragstellers aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, der nach den Kriterien in Kapitel III der Verordnung … Nr. 604/2013 für die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, in das Hoheitsgebiet des Umsiedlungsmitgliedstaats;

f)      ‚Umsiedlungsmitgliedstaat‘ den Mitgliedstaat, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz gemäß der Verordnung … Nr. 604/2013 nach Umsiedlung des Antragstellers in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats zuständig ist.“

12      Art. 3 („Geltungsbereich“) des Beschlusses 2015/1601 bestimmte mit im Wesentlichen gleichem Wortlaut wie Art. 3 des Beschlusses 2015/1523:

„(1)      Eine Umsiedlung nach Maßgabe dieses Beschlusses erfolgt nur bei Antragstellern, die einen Antrag auf internationalen Schutz in Italien oder Griechenland gestellt haben und für die diese Staaten nach den Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats in Kapitel III der Verordnung … Nr. 604/2013 sonst zuständig gewesen wären.

(2)      Eine Umsiedlung nach Maßgabe dieses Beschlusses erfolgt nur bei Antragstellern, die Staaten angehören, bei deren Staatsangehörigen der Anteil der Entscheidungen zur Gewährung internationalen Schutzes im Verhältnis zu allen in erster Instanz ergangenen Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz gemäß Kapitel III der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60)] nach den jüngsten aktualisierten vierteljährlichen Eurostat-Daten im Unionsdurchschnitt mindestens 75 % beträgt. …“

13      Art. 4 des Beschlusses 2015/1523 sah die Umsiedlung von 40 000 Personen, die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigten, aus Italien und Griechenland in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten, für die dieser Beschluss galt – wozu Ungarn nicht gehörte –, vor, davon 24 000 aus Italien und 16 000 aus Griechenland.

14      Art. 4 des Beschlusses 2015/1601 bestimmte:

„(1)      Es werden 120 000 Antragsteller in die anderen Mitgliedstaaten umgesiedelt, wobei Folgendes gilt:

a)      15 600 Antragsteller werden entsprechend der Tabelle in Anhang I aus Italien in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten umgesiedelt.

b)      50 400 Antragsteller werden entsprechend der Tabelle in Anhang II aus Griechenland in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten umgesiedelt.

c)      54 000 Antragsteller werden im Verhältnis zu den Zahlen in den Anhängen I und II entweder gemäß Absatz 2 des vorliegenden Artikels oder durch eine in Artikel 1 Absatz 2 und Absatz 3 des vorliegenden Artikels genannte Änderung dieses Beschlusses in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten umgesiedelt.

(2)      Ab dem 26. September 2016 werden die in Absatz 1 Buchstabe c genannten 54 000 Antragsteller aus Italien und Griechenland anteilsgemäß auf der Grundlage von Absatz 1 Buchstaben a und b im Verhältnis zu den Zahlen in den Anhängen I und II in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten umgesiedelt. Die Kommission legt dem Rat einen Vorschlag mit den jeweils pro Mitgliedstaat zuzuweisenden Zahlen vor.

…“

15      Durch Art. 1 des Beschlusses (EU) 2016/1754 des Rates vom 29. September 2016 (ABl. 2016, L 268, S. 82) wurde in Art. 4 des Beschlusses 2015/1601 folgender Absatz eingefügt:

„(3a)      Im Zusammenhang mit der Umsiedlung der in Absatz 1 Buchstabe c genannten Antragsteller können sich die Mitgliedstaaten dafür entscheiden, ihre Verpflichtung zu erfüllen, indem sie in der Türkei aufhältige Syrer im Rahmen von nationalen oder multilateralen Aufnahmeregelungen für Personen, die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen, in ihrem Hoheitsgebiet aufnehmen, mit Ausnahme der Neuansiedlungsregelung, die Gegenstand der Schlussfolgerungen der im [Europäischen] Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 20. Juli 2015 war. Die Zahl der auf diese Weise von einem Mitgliedstaat aufgenommenen Personen führt zu einer entsprechenden Verringerung der Verpflichtung des jeweiligen Mitgliedstaats.

…“

16      Die Anhänge I und II des Beschlusses 2015/1601 enthielten Tabellen, in denen für die anderen Mitgliedstaaten – als die Hellenische Republik und die Italienische Republik –, für die dieser Beschluss galt, darunter die Republik Polen, Ungarn und die Tschechische Republik, die verbindlichen Kontingente internationalen Schutz beantragender Personen aus Italien bzw. aus Griechenland aufgeführt waren, die in das Hoheitsgebiet jedes dieser Mitgliedstaaten umgesiedelt werden sollten.

17      Art. 5 („Umsiedlungsverfahren“) des Beschlusses 2015/1601 sah vor:

„…

(2)      Die Mitgliedstaaten geben in regelmäßigen Abständen, zumindest aber alle drei Monate, die Zahl der Antragsteller an, die schnell in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden können, und übermitteln alle sonstige einschlägige Informationen.

(3)      Auf der Grundlage dieser Informationen bestimmen Italien und Griechenland mit Unterstützung des EASO und gegebenenfalls der in Absatz 8 genannten Verbindungsbeamten der Mitgliedstaaten die einzelnen Antragsteller, die in andere Mitgliedstaaten umgesiedelt werden könnten, und übermitteln den Kontaktstellen dieser Mitgliedstaaten so bald wie möglich alle einschlägigen Informationen. Dabei wird schutzbedürftigen Personen im Sinne der Artikel 21 und 22 der Richtlinie 2013/33/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. 2013, L 180, S. 96),] Vorrang eingeräumt.

(4)      Nach Zustimmung des Umsiedlungsmitgliedstaats entscheiden Italien und Griechenland in Abstimmung mit dem EASO so bald wie möglich, dass jeder ermittelte Antragsteller in einen bestimmten Umsiedlungsmitgliedstaat umgesiedelt wird, und setzen den Antragsteller gemäß Artikel 6 Absatz 4 davon in Kenntnis. Der Umsiedlungsmitgliedstaat kann nur dann entscheiden, der Umsiedlung eines Antragstellers nicht zuzustimmen, wenn berechtigte Gründe nach Absatz 7 vorliegen.

(5)      Antragsteller, deren Fingerabdrücke entsprechend den Vorgaben in Artikel 9 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT‑Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (ABl. 2013, L 180, S. 1)] abgenommen werden müssen, dürfen nur dann für eine Umsiedlung vorgeschlagen werden, wenn ihre Fingerabdrücke gemäß der genannten Verordnung abgenommen und dem Zentralsystem von Eurodac übermittelt wurden.

(6)      Die Überstellung eines Antragstellers in das Hoheitsgebiet des Umsiedlungsmitgliedstaats erfolgt so bald wie möglich, nachdem die Überstellungsentscheidung gemäß Artikel 6 Absatz 4 dieses Beschlusses der betroffenen Person zugestellt wurde. Italien und Griechenland teilen dem Umsiedlungsmitgliedstaat das Datum und die Uhrzeit der Überstellung sowie jegliche anderen einschlägigen Informationen mit.

(7)      Die Mitgliedstaaten behalten nur dann das Recht, die Umsiedlung eines Antragstellers abzulehnen, wenn berechtigte Gründe dafür vorliegen, dass der Antragsteller als Gefahr für ihre nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung betrachtet wird oder wenn schwerwiegende Gründe für die Anwendung der Ausnahmen gemäß den Artikeln 12 und 17 der Richtlinie 2011/95/EU vorliegen.

(8)      Die Mitgliedstaaten können beschließen, für die Durchführung sämtlicher Aspekte des Umsiedlungsverfahrens nach Maßgabe dieses Artikels nach Austausch aller einschlägigen Informationen Verbindungsbeamte in Italien und Griechenland zu benennen.

(9)      Im Einklang mit dem Besitzstand der Union kommen die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in vollem Umfang nach. Dementsprechend werden die Identifizierung, Registrierung und Abnahme von Fingerabdrücken für das Umsiedlungsverfahren von Italien und Griechenland garantiert. Um sicherzustellen, dass dieser Prozess sich auch künftig effizient und praktikabel gestaltet, werden ordnungsgemäß Aufnahmemöglichkeiten organisiert und Maßnahmen getroffen, um die Menschen im Einklang mit dem Besitzstand der Union vorübergehend unterzubringen, bis rasch eine Entscheidung über ihre Situation getroffen wird. Antragsteller, die sich dem Umsiedlungsverfahren entziehen, werden von der Umsiedlung ausgeschlossen.

(10)      Das in diesem Artikel vorgesehene Umsiedlungsverfahren wird so rasch wie möglich, in jedem Fall jedoch spätestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt der Angabe durch den Umsiedlungsmitgliedstaat nach Absatz 2, abgeschlossen, es sei denn, die Zustimmung des Umsiedlungsmitgliedstaates gemäß Absatz 4 erfolgt weniger als zwei Wochen vor Ablauf dieser Zweimonatsfrist. In diesem Fall kann die Frist für den Abschluss des Umsiedlungsverfahrens um höchstens zwei weitere Wochen verlängert werden. Darüber hinaus kann die Frist erforderlichenfalls um weitere vier Wochen verlängert werden, wenn Italien oder Griechenland objektive praktische Hindernisse vorweisen, die die Überstellung verhindern.

Wird das Umsiedlungsverfahren nicht innerhalb dieser Fristen abgeschlossen und verständigen sich Italien und Griechenland mit dem Umsiedlungsmitgliedstaat nicht auf eine angemessene Verlängerung dieser Frist, sind Italien und Griechenland weiterhin für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zuständig.

(11)      Nach der Umsiedlung des Antragstellers nimmt der Umsiedlungsmitgliedstaat die Fingerabdrücke des Antragstellers ab und übermittelt sie dem Zentralsystem von Eurodac im Einklang mit Artikel 9 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 und aktualisiert die Datensätze gemäß Artikel 10 und gegebenenfalls Artikel 18 der genannten Verordnung.“

18      Art. 5 („Umsiedlungsverfahren“) des Beschlusses 2015/1523 hatte im Wesentlichen denselben Wortlaut wie Art. 5 des Beschlusses 2015/1601.

19      Art. 12 des Beschlusses 2015/1523 und des Beschlusses 2015/1601 sah u. a. vor, dass die Kommission dem Rat alle sechs Monate über die Durchführung dieser Beschlüsse Bericht erstattet.

20      Die Kommission verpflichtete sich im Anschluss, monatliche Berichte über die Durchführung der verschiedenen auf Unionsebene getroffenen Maßnahmen zur Umsiedlung und Neuansiedlung der internationalen Schutz beantragenden Personen zu erstellen, darunter die in den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 vorgesehenen Maßnahmen. Auf dieser Grundlage legte die Kommission dem Europäischen Parlament, dem Europäischen Rat und dem Rat 15 Berichte über die Umverteilung und Neuansiedlung vor.

21      Am 15. November 2017 und am 14. März 2018 legte die Kommission auch Fortschrittsberichte vor, die u. a. aktualisierte Angaben zu den gemäß den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 vorgenommenen Umsiedlungen enthielten.

22      Gemäß Art. 13 Abs. 1 und 2 des Beschlusses 2015/1523 trat dieser am 16. September 2015 in Kraft und galt bis zum 17. September 2017. Nach Art. 13 Abs. 3 dieses Beschlusses galt dieser für Personen, die ab dem 16. September 2015 bis zum 17. September 2017 im italienischen und im griechischen Hoheitsgebiet eintrafen, sowie für internationalen Schutz beantragende Personen, die seit dem 15. August 2015 in einem dieser Hoheitsgebiete eingetroffen waren.

23      Gemäß Art. 13 Abs. 1 und 2 des Beschlusses 2015/1601 trat dieser am 25. September 2015 in Kraft und galt bis zum 26. September 2017. Nach Art. 13 Abs. 3 dieses Beschlusses galt dieser für Personen, die ab dem 25. September 2015 bis zum 26. September 2017 im italienischen und im griechischen Hoheitsgebiet eintrafen, sowie für internationalen Schutz beantragende Personen, die seit dem 24. März 2015 in einem dieser Hoheitsgebiete eingetroffen waren.

 Vorgeschichte der Rechtsstreitigkeiten und Vorverfahren

24      Am 16. Dezember 2015 gab die Republik Polen gemäß Art. 5 Abs. 2 der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 jeweils eine Zahl von 100 internationalen Schutz beantragenden Personen an, die schnell in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden könnten, davon 65 aus Griechenland und 35 aus Italien. In der Folge bestimmten die Hellenische Republik und die Italienische Republik 73 bzw. 36 Personen, um deren Umsiedlung sie die Republik Polen ersuchten. Der letztgenannte Mitgliedstaat kam diesen Ersuchen nicht nach, und es wurde keine internationalen Schutz beantragende Person gemäß den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats umgesiedelt. Die Republik Polen erteilte in der Folge keine Umsiedlungszusage mehr.

25      Es steht fest, dass Ungarn, das nicht an der im Beschluss 2015/1523 vorgesehenen Maßnahme zur freiwilligen Umsiedlung teilnahm, zu keinem Zeitpunkt eine Zahl von internationalen Schutz beantragenden Personen angegeben hat, die nach Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 schnell in sein Hoheitsgebiet hätten umgesiedelt werden können, und dass folglich keine internationalen Schutz beantragende Person gemäß diesem Beschluss in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats umgesiedelt wurde.

26      Am 5. Februar und am 13. Mai 2016 gab die Tschechische Republik gemäß Art. 5 Abs. 2 der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 eine Zahl von 30 bzw. 20 internationalen Schutz beantragenden Personen an, die schnell in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden könnten, davon einmal 20 und einmal 10 aus Griechenland aus zweimal 10 aus Italien. Die Hellenische Republik und die Italienische Republik bestimmten 30 bzw. 10 Personen, um deren Umsiedlung in die Tschechische Republik sie ersuchten. Dieser Mitgliedstaat erklärte sich bereit, 15 Personen aus Griechenland umzusiedeln, von denen 12 tatsächlich umgesiedelt wurden. Die Tschechische Republik akzeptierte keine der von der Italienischen Republik bestimmten Personen, und es erfolgte keine Umsiedlung aus Italien in die Tschechische Republik. Somit wurden insgesamt 12 internationalen Schutz beantragende Personen, alle aus Griechenland, gemäß den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 in das Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik umgesiedelt. Nach dem 13. Mai 2016 erteilte die Tschechische Republik keine Umsiedlungszusage mehr.

27      Mit Schreiben vom 10. Februar 2016 forderte die Kommission die Republik Polen, Ungarn und die Tschechische Republik u. a. auf, mindestens alle drei Monate Angaben über die Zahl der internationalen Schutz beantragenden Personen, die in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden könnten, zu übermitteln und solche Antragsteller in regelmäßigen Abständen umzusiedeln, um ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen.

28      Mit Schreiben vom 5. August 2016 erinnerte die Kommission alle Mitgliedstaaten an ihre Umsiedlungsverpflichtungen aus den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601.

29      Mit einem Schreiben vom 28. Februar 2017, das die Kommission und der Vorsitz im Rat der Europäischen Union gemeinsam an die Minister für Inneres richteten, wurden die Mitgliedstaaten, die noch keine Umsiedlungen vorgenommen oder nicht im Verhältnis zu ihrem Kontingent umgesiedelt hatten, aufgefordert, ihre Bemühungen umgehend zu intensivieren.

30      Die Tschechische Republik teilte mit Schreiben vom 1. März 2017 mit, dass ihr erstes Angebot vom 5. Februar 2016, 30 Personen umzusiedeln, ausreichend sei.

31      Am 5. Juni 2017 verabschiedete die Tschechische Republik die Entschließung Nr. 439, mit der sie beschloss, die Erfüllung ihrer in der Sitzung des Europäischen Rates vom 25. und 26. Juni 2015 eingegangenen Verpflichtungen, die sodann in der Sitzung der im Europäischen Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 20. Juli 2015 formalisiert und durch den Beschluss 2015/1523 umgesetzt wurden, sowie die Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Beschluss 2015/1601 „angesichts der erheblichen Verschlechterung der Sicherheitslage in der Union … und in Anbetracht des offensichtlichen Nichtfunktionierens des Umsiedlungssystems“ auszusetzen.

32      Die Kommission bestand in mehreren an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat gerichteten Berichten über die Umverteilung und Neuansiedlung darauf, dass die Mitgliedstaaten in regelmäßigen Abständen eine Zahl von internationalen Schutz beantragenden Personen angeben, die gemäß den Verpflichtungen der einzelnen Mitgliedstaaten nach dem Beschluss 2015/1523 und/oder dem Beschluss 2015/1601 in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden könnten, und entsprechend ihren Verpflichtungen und insbesondere ihren in den Anhängen I und II des Beschlusses 2015/1601 angeführten Kontingenten tatsächlich Umsiedlungen vornähmen, da andernfalls eine Vertragsverletzungsklage drohe.

33      In ihren Mitteilungen vom 18. Mai 2016 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat – Umverteilung und Neuansiedlung – Dritter Fortschrittsbericht (COM[2016] 360 final), vom 15. Juni 2016 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat – Umverteilung und Neuansiedlung – Vierter Fortschrittsbericht (COM[2016] 416 final), vom 13. Juli 2016 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat – Umverteilung und Neuansiedlung – Fünfter Fortschrittsbericht (COM[2016] 480 final), vom 28. September 2016 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat – Umverteilung und Neuansiedlung – Sechster Fortschrittsbericht (COM[2016] 636 final), vom 9. November 2016 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat – Umverteilung und Neuansiedlung – Siebter Fortschrittsbericht (COM[2016] 720 final) und vom 8. Dezember 2016 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat – Umverteilung und Neuansiedlung – Achter Fortschrittsbericht (COM[2016] 791 final) wies die Kommission darauf hin, dass sie sich das Recht vorbehalte, von Befugnissen, mit denen sie durch die Verträge ausgestattet sei, Gebrauch zu machen, wenn die betroffenen Mitgliedstaaten nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um ihren Umsiedlungsverpflichtungen gemäß den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 nachzukommen.

34      Außerdem forderte die Kommission in ihren Mitteilungen vom 8. Februar 2017 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat – Umverteilung und Neuansiedlung – Neunter Fortschrittsbericht (COM[2017] 74 final), vom 2. März 2017 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat – Umverteilung und Neuansiedlung – Zehnter Fortschrittsbericht (COM[2017] 202 final), vom 12. April 2017 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat – Umverteilung und Neuansiedlung – Elfter Fortschrittsbericht (COM[2017] 212 final) und vom 16. Mai 2017 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat – Umverteilung und Neuansiedlung – Zwölfter Fortschrittsbericht (COM[2017] 260 final) ausdrücklich, dass die Republik Polen, Ungarn und die Tschechische Republik ihren Umsiedlungsverpflichtungen gemäß dem Beschluss 2015/1523 und/oder dem Beschluss 2015/1601 nachkommen, indem sie internationalen Schutz beantragende Personen umsiedeln und Umsiedlungszusagen erteilen. Sie wies darauf hin, dass sie sich die Möglichkeit vorbehalte, Vertragsverletzungsverfahren gegen diese Mitgliedstaaten einzuleiten, wenn diese ihren Verpflichtungen nicht schnellstmöglich nachkämen.

35      Im zwölften Bericht über die Umverteilung und Neuansiedlung verlangte die Kommission, dass die Mitgliedstaaten, die noch überhaupt keine internationalen Schutz beantragende Person umgesiedelt hatten oder die seit einem Jahr keine Zahl von internationalen Schutz beantragenden Personen angegeben hatten, die aus Griechenland und Italien in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden könnten, umgehend, spätestens aber binnen einer Frist von einem Monat solche Umsiedlungen vornähmen und solche Zusagen erteilten.

36      Mit Mahnschreiben vom 15. Juni 2017, was Ungarn und die Tschechische Republik anbelangt, und vom 16. Juni 2017, was die Republik Polen anbelangt, leitete die Kommission gegen diese drei Mitgliedstaaten ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 Abs. 1 AEUV ein. In diesen Schreiben machte die Kommission geltend, dass diese Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1523 und/oder Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und folglich auch ihren nachfolgenden Verpflichtungen zur Umsiedlung nach Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1523 und/oder Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1601 nicht nachgekommen seien.

37      Da die Kommission von den Antworten der Republik Polen, Ungarns und der Tschechischen Republik auf diese Mahnschreiben nicht überzeugt war, richtete sie am 26. Juli 2017 an jeden dieser drei Mitgliedstaaten eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie an ihrem Standpunkt festhielt, dass die Republik Polen seit dem 16. März 2016, Ungarn seit dem 25. Dezember 2015 und die Tschechische Republik seit dem 13. August 2016 gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1523 und/oder Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und folglich gegen ihre nachfolgenden Verpflichtungen gemäß Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1523 und/oder Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1601 verstoßen hätten, und forderte diese drei Mitgliedstaaten auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Verpflichtungen binnen einer Frist von vier Wochen, d. h. bis spätestens 23. August 2017, nachzukommen.

38      Die Tschechische Republik antwortete mit Schreiben vom 22. August 2017 und die Republik Polen sowie Ungarn antworteten jeweils mit Schreiben vom 23. August 2017 auf die mit Gründen versehenen Stellungnahmen.

39      In ihrer Mitteilung vom 6. September 2017 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat – Umverteilung und Neuansiedlung – Fünfzehnter Fortschrittsbericht (COM[2017] 465 final) stellte die Kommission erneut fest, dass die Republik Polen und Ungarn die einzigen Mitgliedstaaten seien, die keine einzige internationalen Schutz beantragende Person umgesiedelt hätten, dass die Republik Polen seit dem 16. Dezember 2015 keine Umsiedlungszusagen mehr erteilt habe und dass die Tschechische Republik seit dem 13. Mai 2016 keine Umsiedlungszusagen mehr erteilt und seit August keine Umsiedlungen mehr vorgenommen habe. Sie forderte diese drei Mitgliedstaaten auf, sofort Umsiedlungszusagen zu erteilen und umgehend Umsiedlungen vorzunehmen. Außerdem nahm sie in dieser Mitteilung auf das Urteil vom 6. September 2017, Slowakei und Ungarn/Rat (C‑643/15 und C‑647/15, EU:C:2017:631), Bezug und wies darauf hin, dass der Gerichtshof mit diesem Urteil die Gültigkeit des Beschlusses 2015/1601 bestätigt habe.

40      Mit Schreiben vom 19. September 2017 wies die Kommission die Republik Polen, Ungarn und die Tschechische Republik mit Hinweis auf dieses Urteil erneut darauf hin, dass damit die Gültigkeit des Beschlusses 2015/1601 bestätigt worden sei, und forderte diese drei Mitgliedstaaten auf, so schnell wie möglich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Umsiedlungszusagen zu erteilen und Umsiedlungen vorzunehmen.

41      Da die Kommission auf diese Schreiben keine Antwort erhielt, beschloss sie, die vorliegenden Klagen zu erheben.

 Verfahren vor dem Gerichtshof

42      Mit Beschluss vom 8. Juni 2018 hat der Präsident des Gerichtshofs die Tschechische Republik und Ungarn als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Republik Polen in der Rechtssache C‑715/17 zugelassen.

43      Mit Beschluss vom 12. Juni 2018 hat der Präsident des Gerichtshofs Ungarn und die Republik Polen als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Tschechischen Republik in der Rechtssache C‑719/17 zugelassen.

44      Mit Beschluss vom 13. Juni 2018 hat der Präsident des Gerichtshofs die Tschechische Republik und die Republik Polen als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge Ungarns in der Rechtssache C‑718/17 zugelassen.

45      Nach Anhörung der Parteien und der Generalanwältin sind die vorliegenden Rechtssachen wegen Zusammenhangs gemäß Art. 54 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu gemeinsamem Urteil zu verbinden.

 Zu den Klagen

 Zur Zulässigkeit

46      Die drei betroffenen Mitgliedstaaten tragen mehrere Argumente vor, mit denen sie die Zulässigkeit der sie jeweils betreffenden Vertragsverletzungsklage in Abrede stellen.

 Zu den Einreden der Unzulässigkeit in den Rechtssachen C715/17, C718/17 und C719/17, mit denen geltend gemacht wird, die Klagen seien gegenstandslos und widersprächen dem Zweck des Verfahrens nach Art. 258 AEUV

–       Vorbringen der Parteien

47      Die drei betroffenen Mitgliedstaaten machen im Wesentlichen geltend, dass die sie jeweils betreffende Klage unzulässig sei, da es, sollte der Gerichtshof den ihnen vorgeworfenen Verstoß gegen die Verpflichtungen aus dem Beschluss 2015/1523 und/oder dem Beschluss 2015/1601 feststellen, für jeden betroffenen Mitgliedstaat unmöglich sei, diesem Verstoß dadurch abzuhelfen, dass er die Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 und 4 bis 11 dieser Beschlüsse erfülle, da deren Geltungsdauer zum 17. bzw. zum 26. September 2017 abgelaufen sei und folglich die mit ihnen auferlegten Verpflichtungen erloschen seien.

48      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs gehe aber hervor, dass eine Klage nach Art. 258 AEUV die Feststellung des Vorliegens einer Vertragsverletzung im Hinblick auf ihre Beendigung zum Ziel haben müsse und nicht allein die Verkündung eines rein deklaratorischen Urteils zum Ziel haben dürfe, mit dem das Vorliegen der Vertragsverletzung festgestellt werde.

49      Daher seien die Klagen gegenstandslos und dienten nicht dem Zweck des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV.

50      Außerdem könne die Kommission bei Verstößen gegen Verpflichtungen aus Unionsrechtsakten mit endgültig abgelaufener Geltungsdauer, denen nicht mehr abgeholfen werden könne, kein hinreichendes Interesse an der Feststellung dieser Verstöße durch den Gerichtshof geltend machen.

51      Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

52      Das mit dem Verfahren nach Art. 258 AEUV verfolgte Ziel ist die objektive Feststellung des Verstoßes eines Mitgliedstaats gegen seine Verpflichtungen aus dem AEU-Vertrag oder einem Sekundärrechtsakt, und zudem ermöglicht ein solches Verfahren die Feststellung, ob ein Mitgliedstaat in einem konkreten Fall gegen Unionsrecht verstoßen hat (Urteil vom 27. März 2019, Kommission/Deutschland, C‑620/16, EU:C:2019:256, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53      In diesem Kontext besteht eines der Ziele des Vorverfahrens darin, dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit zu geben, seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. September 2015, Kommission/Slowakei, C‑433/13, EU:C:2015:602, Rn. 39 und 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

54      Aus Art. 258 Abs. 2 AEUV geht hervor, dass die Kommission den Gerichtshof anrufen kann, wenn der betreffende Mitgliedstaat der mit Gründen versehenen Stellungnahme innerhalb der darin gesetzten Frist nicht nachkommt. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung folglich anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf dieser Frist befand (Urteil vom 27. März 2019, Kommission/Deutschland, C‑620/16, EU:C:2019:256, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Zwar fällt der Kommission kraft ihres Amtes nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, wie die drei betroffenen Mitgliedstaaten ausführen, die Aufgabe zu, die Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten im allgemeinen Interesse zu überwachen und etwaige Verstöße gegen die sich hieraus ergebenden Verpflichtungen feststellen zu lassen, damit sie abgestellt werden (vgl. u. a. Urteil vom 7. April 2011, Kommission/Portugal, C‑20/09, EU:C:2011:214, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56      Diese Rechtsprechung ist jedoch dahin zu verstehen, dass die Kommission mit einer Vertragsverletzungsklage vom Gerichtshof nichts anderes verlangen kann als die Feststellung des Vorliegens der behaupteten Vertragsverletzung im Hinblick auf deren Beendigung. So kann die Kommission z. B. im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage nicht beantragen, einem Mitgliedstaat aufzugeben, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, um dem Unionsrecht nachzukommen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. April 2011, Kommission/Portugal, C‑20/09, EU:C:2011:214, Rn. 41).

57      Dagegen ist eine Vertragsverletzungsklage zulässig, wenn sich die Kommission – u. a. in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Sekundärrechtsakt, dessen Verletzung geltend gemacht wird, nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist endgültig außer Kraft getreten ist – darauf beschränkt, beim Gerichtshof die Feststellung des Vorliegens der behaupteten Vertragsverletzung zu beantragen.

58      In Anbetracht der in Rn. 52 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung entspricht eine solche Vertragsverletzungsklage nämlich in vollem Umfang dem mit dem Verfahren nach Art. 258 AEUV verfolgten Ziel, da sie auf die objektive Feststellung durch den Gerichtshof gerichtet ist, dass ein Mitgliedstaat seine Verpflichtungen aus einem Sekundärrechtsakt nicht erfüllt hat, und die Feststellung ermöglicht, ob ein Mitgliedstaat in einem konkreten Fall gegen das Unionsrecht verstoßen hat.

59      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Geltungsdauer der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 am 17. bzw. am 26. September 2017 endgültig abgelaufen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2017, Slowakei und Ungarn/Rat, C‑643/15 und C‑647/15, EU:C:2017:631, Rn. 94).

60      Die drei betroffenen Mitgliedstaaten berufen sich insoweit darauf, dass es nicht mehr möglich sei, der behaupteten Vertragsverletzung abzuhelfen, da die Geltungsdauer der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 endgültig abgelaufen sei. Dieser Umstand kann jedoch, unterstellt man ihn als erwiesen, nicht zur Unzulässigkeit der vorliegenden Klagen führen.

61      Den drei betroffenen Mitgliedstaaten wurde nämlich die Möglichkeit geboten, die ihnen jeweils vorgeworfene Vertragsverletzung vor Ablauf der in den mit Gründen versehenen Stellungnahmen gesetzten Frist, d. h. dem 23. August 2017, und damit vor Ablauf der Geltungsdauer der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 dadurch abzustellen, dass sie Umsiedlungszusagen gemäß Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1523 und/oder des Beschlusses 2015/1601 erteilten und tatsächliche Umsiedlungen in Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1523 und/oder Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1601 vornähmen, wozu sie von der Kommission übrigens in einer Reihe von Schreiben und mehreren ihrer monatlichen Mitteilungen über die Umverteilung und Neuansiedlung aufgefordert worden waren.

62      Da die sich für die Mitgliedstaaten aus den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 ergebenden Verpflichtungen bei Ablauf der Frist, die in den mit Gründen versehenen Stellungnahmen gesetzt worden war, noch bestanden und, wie die Kommission insoweit unwidersprochen geltend macht, die drei betroffenen Mitgliedstaaten diesen Verpflichtungen immer noch nicht nachgekommen waren, obwohl die Kommission ihnen die Möglichkeit geboten hatte, dies bis spätestens zu dem genannten Zeitpunkt zu tun, kann dieses Organ trotz des späteren Ablaufs der Geltungsdauer der genannten Beschlüsse zulässigerweise die vorliegenden Klagen erheben, um die behaupteten Vertragsverletzungen durch den Gerichtshof feststellen zu lassen.

63      Würde man der Argumentation der drei betroffenen Mitgliedstaaten folgen, könnte jeder Mitgliedstaat, der durch sein Verhalten die Erreichung des Ziels, das einem auf der Grundlage von Art. 78 Abs. 3 AEUV erlassenen Beschluss inhärent ist, der als „vorläufige Maßnahme“ im Sinne dieser Bestimmung nur für einen begrenzten Zeitraum gilt, wie dies bei den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 der Fall ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2017, Slowakei und Ungarn/Rat, C‑643/15 und C‑647/15, EU:C:2017:631, Rn. 90 und 94), damit einem Vertragsverletzungsverfahren allein deshalb entgehen, weil sich die Verletzung auf einen Unionsrechtsakt bezieht, dessen Geltungsdauer nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist endgültig abgelaufen ist, so dass die Mitgliedstaaten aus ihrem eigenen Fehler einen Vorteil ziehen könnten (vgl. entsprechend Urteil vom 27. März 2019, Kommission/Deutschland, C‑620/16, EU:C:2019:256, Rn. 48).

64      In diesem Fall könnte die Kommission somit im Rahmen der ihr in Art. 258 AEUV eingeräumten Befugnisse nicht Klage gegen den betreffenden Mitgliedstaat vor dem Gerichtshof erheben, um eine solche Vertragsverletzung feststellen zu lassen und die ihr in Art. 17 EUV übertragene Aufgabe als Hüterin der Verträge vollständig zu erfüllen (Urteil vom 27. März 2019, Kommission/Deutschland, C‑620/16, EU:C:2019:256, Rn. 49).

65      Darüber hinaus wäre unter Umständen wie denen der vorliegenden Rechtssachen die Feststellung der Unzulässigkeit einer Vertragsverletzungsklage gegen einen Mitgliedstaat wegen Verstoßes gegen nach Art. 78 Abs. 3 AEUV erlassene Beschlüsse wie die Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 sowohl dem verbindlichen Charakter dieser Beschlüsse als auch allgemein der Achtung der Werte, auf die sich die Union gemäß Art. 2 EUV gründet, und zu denen insbesondere die Rechtsstaatlichkeit gehört, abträglich (vgl. entsprechend Urteil vom 27. März 2019, Kommission/Deutschland, C‑620/16, EU:C:2019:256, Rn. 50).

66      An der Feststellung der in Rede stehenden Vertragsverletzung besteht im Übrigen weiterhin u. a. deshalb ein sachliches Interesse, weil diese die Grundlage für eine Haftung abgeben kann, die möglicherweise einen Mitgliedstaat als Folge seiner Pflichtverletzung gegenüber anderen Mitgliedstaaten, der Union oder Einzelnen trifft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Februar 1973, Kommission/Italien, 39/72, EU:C:1973:13, Rn. 11).

67      Was schließlich das Argument anbelangt, dass die Kommission nach dem endgültigen Ablauf der Geltungsdauer der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 kein Klageinteresse mehr habe, ist auf den in ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigten Grundsatz hinzuweisen, wonach die Kommission kein Klageinteresse nachzuweisen braucht und auch nicht die Gründe darlegen muss, die sie zur Erhebung einer Vertragsverletzungsklage veranlasst haben (Urteil vom 3. März 2016, Kommission/Malta, C‑12/14, EU:C:2016:135, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68      Insoweit trifft es zwar zu, dass der Gerichtshof, wie die Republik Polen geltend macht, in Bezug auf eine Situation, in der die Klage zu einem Zeitpunkt erhoben wurde, zu dem der Verstoß wegen der Ersetzung der angeblich verletzten Bestimmungen des Unionsrechts durch neue Vorschriften des Unionsrechts praktisch beendet war, darauf hingewiesen hat, dass er als Ausnahme von dem in der vorstehenden Randnummer angeführten Grundsatz, zu prüfen hat, ob eine sich auf ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten beziehende Klage eine Klage darstellt, für die noch ein „ausreichendes Rechtsschutzinteresse“ besteht, wobei er die Zweckmäßigkeitserwägungen außer Betracht zu lassen hat, die der von der Kommission erhobenen Klage zugrunde liegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 1970, Kommission/Frankreich, 26/69, EU:C:1970:67, Rn. 9 und 10).

69      Es ist jedoch festzustellen, dass die Situation, um die es in den vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren geht, nicht der besonderen Situation entspricht, auf die sich die in der vorstehenden Randnummer angeführte Rechtsprechung bezieht und die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Bestimmungen des Unionsrechts, deren Verletzung geltend gemacht wurde, durch neue Bestimmungen ersetzt wurden, die praktisch zur Beendigung des betreffenden Verstoßes führten.

70      Zudem kann im vorliegenden Fall jedenfalls das Interesse an der von der Kommission erhobenen Klage nicht in Zweifel gezogen werden. Zum einen endete nämlich die in den mit Gründen versehenen Stellungnahmen gesetzte Frist zu einem Zeitpunkt, zu dem die vorgeworfenen Verstöße noch fortbestanden. Zum anderen werfen diese drei Rechtssachen, wie auch die Generalanwältin in Nr. 105 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, wichtige Fragen zum Unionsrecht auf, darunter die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen sich ein Mitgliedstaat auf Art. 72 AEUV berufen kann, um auf der Grundlage von Art. 78 Abs. 3 AEUV erlassene Beschlüsse unangewendet zu lassen, deren verbindlicher Charakter unbestritten ist und die die Umsiedlung einer bedeutenden Zahl von internationalen Schutz beantragenden Personen unter Wahrung des Grundsatzes der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten, der nach Art. 80 AEUV für die Politik der Union im Asylbereich gilt, bezwecken (vgl. entsprechend Urteil vom 9. Juli 1970, Kommission/Frankreich, 26/69, EU:C:1970:67, Rn. 11 und 13).

71      Daher sind die Einreden der Unzulässigkeit, mit denen geltend gemacht wird, dass die Klagen gegenstandslos seien und dem Zweck des Verfahrens nach Art. 258 AEUV widersprächen, ebenso wie die Einreden der Unzulässigkeit, mit denen geltend gemacht wird, dass die Kommission kein ausreichendes Interesse an der Erhebung dieser Klagen geltend gemacht habe, zurückzuweisen.

 Zu den Einreden der Unzulässigkeit in den Rechtssachen C715/17 und C718/17, mit denen ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung geltend gemacht wird

–       Vorbringen der Parteien

72      In der Rechtssache C‑718/17 macht Ungarn geltend, die Vertragsverletzungsklagen seien unzulässig, da die Kommission dadurch, dass sie sich darauf beschränkt habe, eine Klage nur gegen die drei betroffenen Mitgliedstaaten zu erheben, obwohl die große Mehrheit der Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen aus dem Beschluss 2015/1523 und/oder dem Beschluss 2015/1601 nicht in vollem Umfang nachgekommen sei, gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen und damit das ihr durch Art. 258 AEUV eingeräumte Ermessen überschritten habe.

73      In der Rechtssache C‑715/17 erhebt die Republik Polen im Wesentlichen eine gleichartige Einrede der Unzulässigkeit.

74      Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

75      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verfügt die Kommission über ein Ermessen bei der Entscheidung darüber, ob ein Einschreiten gegen einen Mitgliedstaat zweckmäßig ist, bei der Benennung der ihrer Ansicht nach verletzten Bestimmungen und bei der Wahl des Zeitpunkts für die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens, wobei die Erwägungen, die für diese Wahl bestimmend sind, die Zulässigkeit der Klage nicht beeinflussen (Urteil vom 19. September 2017, Kommission/Irland [Zulassungssteuer], C‑552/15, EU:C:2017:698, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76      So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass es in Anbetracht dieses Beurteilungsspielraums für die Zulässigkeit der gegen einen Mitgliedstaat erhobenen Vertragsverletzungsklage ohne Bedeutung ist, dass gegen einen anderen Mitgliedstaat keine derartige Klage erhoben wurde (Urteil vom 3. März 2016, Kommission/Malta, C‑12/14, EU:C:2016:135, Rn. 25).

77      Im Übrigen hat die Kommission, worauf sie in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, im zwölften Bericht über die Umverteilung und Neuansiedlung klar angegeben, dass gegen die Mitgliedstaaten, die noch keine internationalen Schutz beantragenden Personen umgesiedelt hätten – in dieser Situation befanden sich die Republik Polen und Ungarn – und/oder die seit mehr als einem Jahr keine Zusagen für Umsiedlungen aus Griechenland und Italien erteilt hätten – in dieser Situation befanden sich die Republik Polen und die Tschechische Republik – ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden könne, wenn sie nicht umgehend, spätestens aber binnen einer Frist von einem Monat solche Zusagen erteilten und tatsächliche Umsiedlungen vornähmen.

78      In der Folge stellte die Kommission in ihrer Mitteilung vom 13. Juni 2017 an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat – Umverteilung und Neuansiedlung – Dreizehnter Fortschrittsbericht (COM[2017] 330 final) fest, dass alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Republik Polen, Ungarns und der Tschechischen Republik infolge ihres Aufrufs im zwölften Bericht über die Umverteilung und Neuansiedlung damit begonnen hätten, regelmäßig Umsiedlungszusagen nach Art. 5 Abs. 2 der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 zu erteilen, und wies darauf hin, dass sie sich daher dazu entschieden habe, gegen diese drei Mitgliedstaaten ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

79      Vor diesem Hintergrund fügt sich die von der Kommission erhobene Klage, soweit mit ihr sichergestellt werden sollte, dass alle an die Umsiedlungsverpflichtungen aus den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 gebundenen Mitgliedstaaten außer der Hellenischen Republik und der Italienischen Republik diesen Verpflichtungen nachkommen, vollständig in das mit diesen Beschlüssen verfolgte Ziel ein.

80      Die mit den in den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 vorgesehenen vorläufigen Maßnahmen verbundenen Belastungen müssen nämlich aufgrund dessen, dass diese Beschlüsse gemäß Art. 78 Abs. 3 AEUV erlassen wurden, um die Hellenische Republik und die Italienische Republik dabei zu unterstützen, eine durch den plötzlichen Zustrom von Drittstaatsangehörigen in ihr Hoheitsgebiet geprägte Notlage besser zu bewältigen, im Einklang mit dem Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten, der nach Art. 80 AEUV für die Politik der Union im Asylbereich gilt, grundsätzlich auf alle anderen Mitgliedstaaten aufgeteilt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2017, Slowakei und Ungarn/Rat, C‑643/15 und C‑647/15, EU:C:2017:631, Rn. 291).

81      Das Vorgehen der Kommission beruht somit im vorliegenden Fall auf einem neutralen und objektiven Kriterium, nämlich der Schwere und dem Fortdauern der der Republik Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik vorgeworfenen Verstöße, das es im Hinblick auf das Ziel der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601, auf das soeben hingewiesen worden ist, ermöglicht, die Situation dieser drei Mitgliedstaaten von der der anderen Mitgliedstaaten, einschließlich derjenigen, die ihren Verpflichtungen aus diesen Beschlüssen nicht in vollem Umfang nachgekommen sind, zu unterscheiden.

82      Folglich hat die Kommission im vorliegenden Fall keineswegs die Grenzen des ihr im Rahmen von Art. 258 AEUV zustehenden Ermessens überschritten, indem sie sich dazu entschieden hat, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Polen, Ungarn und die Tschechische Republik, nicht aber gegen andere Mitgliedstaaten einzuleiten. Somit sind die Einreden der Unzulässigkeit, mit denen ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung geltend gemacht wird, zurückzuweisen.

 Zur Einrede der Unzulässigkeit in der Rechtssache C718/17, mit der eine Verletzung der Verteidigungsrechte im Vorverfahren geltend gemacht wird

–       Vorbringen der Parteien

83      In der Rechtssache C‑718/17 wirft Ungarn der Kommission erstens vor, seine Verteidigungsrechte im Vorverfahren nicht beachtet zu haben, da die im Mahnschreiben und in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzte vierwöchige Antwortfrist übermäßig kurz gewesen, mit der üblichen Frist von zwei Monaten unvereinbar und nicht durch eine legitime Notlage gerechtfertigt gewesen sei.

84      Insbesondere habe die Kommission die Verteidigungsrechte Ungarns verletzt, indem sie seinen Antrag auf Verlängerung der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Antwortfrist abgelehnt habe.

85      Ungarn macht geltend, die Kommission habe, da sie sich erst im Juni 2017 und somit zu einem relativ nahe dem Ablauf der Geltungsdauer der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 liegenden Zeitpunkt dazu entschieden habe, die Vertragsverletzungsverfahren gegen die drei betroffenen Mitgliedstaaten einzuleiten, selbst die Ursache für die von ihr geltend gemachte Dringlichkeit gesetzt. Die übermäßig kurzen Antwortfristen und das überstürzte Vorgehen im Vorverfahren seien nicht durch eine wirkliche Dringlichkeit zu erklären, sondern dadurch, dass die Kommission in der mit Gründen versehenen Stellungnahme den Zeitpunkt für den Ablauf der Frist habe festlegen wollen, die den betreffenden Mitgliedstaaten gesetzt worden sei, um ihren Verpflichtungen nachzukommen, so dass diese Frist ablaufen würde, bevor die genannten Beschlüsse im September 2017 außer Kraft träten, womit sie habe verhindern wollen, dass ihr die Unzulässigkeit ihrer Klagen entgegengehalten werde. Die Dringlichkeit, auf die sich die Kommission berufe, werde auch dadurch widerlegt, dass sie nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist noch vier Monate zugewartet habe, bevor sie die vorliegenden Klagen erhoben habe.

86      Zweitens wirft Ungarn der Kommission vor, sie habe den ihm vorgeworfenen Verstoß im Vorverfahren nicht angegeben.

87      Ungarn macht insoweit geltend, die Kommission habe zwar in ihrer Klageschrift kurz erläutert, weshalb ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 ihrer Ansicht nach einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieses Beschlusses impliziere, doch reiche diese Erklärung nicht aus, um dem Umstand abzuhelfen, dass die Kommission im Vorverfahren des Vertragsverletzungsverfahrens den Verstoß, der Gegenstand dieses Verfahrens sei, nicht klar definiert habe.

88      Während in der Begründung des Mahnschreibens und der mit Gründen versehenen Stellungnahme Ungarn nur ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 vorgeworfen worden sei, habe die Kommission in den Schlussfolgerungen in diesem Schreiben und dieser Stellungnahme ohne weitere Prüfung auch einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieses Beschlusses geltend gemacht.

89      Diese Ungenauigkeit des Gegenstands des Verfahrens beruhe auch darauf, dass sich die Kommission im Vorverfahren mehrfach auf einen Verstoß sowohl gegen den Beschluss 2015/1523 als auch gegen den Beschluss 2015/1601 bezogen habe, während Ungarn mangels einer freiwilligen Zusage nicht verpflichtet gewesen sei, internationalen Schutz beantragende Personen nach dem ersten dieser beiden Beschlüsse umzusiedeln.

90      Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

91      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs soll das Vorverfahren dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit geben, seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und sich gegen die Rügen der Kommission wirksam zu verteidigen. Der ordnungsgemäße Ablauf dieses Verfahrens ist nicht nur eine vom AEU-Vertrag vorgeschriebene wesentliche Garantie für den Schutz der Rechte des betroffenen Mitgliedstaats, sondern auch dafür, dass ein etwaiges streitiges Verfahren einen eindeutig festgelegten Streitgegenstand hat (Urteil vom 19. September 2017, Kommission/Irland [Zulassungssteuer], C‑552/15, EU:C:2017:698, Rn. 28 und 29 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

92      Diese Ziele gebieten es der Kommission, den Mitgliedstaaten eine angemessene Frist einzuräumen, um auf das Mahnschreiben zu antworten und einer mit Gründen versehenen Stellungnahme nachzukommen oder um gegebenenfalls ihre Verteidigung vorzubereiten. Ob die festgesetzte Frist angemessen ist, ist dabei unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Sehr kurze Fristen können daher in besonderen Fällen gerechtfertigt sein, insbesondere wenn es dringend ist, einer Vertragsverletzung zu begegnen, oder wenn dem betroffenen Mitgliedstaat der Standpunkt der Kommission schon vor dem Beginn des Verfahrens vollständig bekannt ist (Urteil vom 13. Dezember 2001, Kommission/Frankreich, C‑1/00, EU:C:2001:687, Rn. 65).

93      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass es der Kommission nach der bereits in Rn. 75 des vorliegenden Urteils angeführten ständigen Rechtsprechung obliegt, die Zweckmäßigkeit eines Einschreitens gegen einen Mitgliedstaat zu beurteilen, die Bestimmungen zu benennen, die er verletzt haben soll, und den Zeitpunkt für die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens gegen ihn zu wählen, wobei die Erwägungen, die für diese Wahl bestimmend sind, die Zulässigkeit der Klage nicht beeinflussen.

94      Was im vorliegenden Fall erstens die Einrede der Unzulässigkeit wegen angeblich zu kurzer Antwortfristen betrifft, die im Mahnschreiben und in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgelegt worden seien, geht aus den Berichten der Kommission über die Umverteilung und Neuansiedlung eindeutig hervor, dass sich die Kommission am 15. und am 16. Juni 2017 und damit in einem relativ fortgeschrittenen Stadium der zweijährigen Geltungsdauer der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601, die am 17. bzw. am 26 September 2017 endete, entschloss, die Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass die Kommission vor der Einleitung dieser Verfahren und vor Ablauf dieser Geltungsdauer den drei betroffenen Mitgliedstaaten, die entweder noch keine einzige internationalen Schutz beantragende Person umgesiedelt oder seit mehr als einem Jahr keine Umsiedlungszusage mehr erteilt hatten, eine letzte Möglichkeit habe einräumen wollen, ihren Verpflichtungen aus den genannten Beschlüssen nachzukommen, indem sie förmliche Zusagen erteilten und spätestens innerhalb eines Monats internationalen Schutz beantragende Personen umsiedelten.

95      Im Übrigen erscheint diese Entscheidung, das Vertragsverletzungsverfahren in einem relativ fortgeschrittenen Stadium der zweijährigen Geltungsdauer der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 einzuleiten, gerechtfertigt in Anbetracht der vom Gerichtshof bereits getroffenen Feststellung, dass die im Beschluss 2015/1601 vorgesehene Umsiedlung einer bedeutenden Zahl von internationalen Schutz beantragenden Personen ein noch nie dagewesener und komplexer Vorgang ist, der insbesondere bei der Koordinierung zwischen den Verwaltungen der Mitgliedstaaten eine gewisse Vorbereitungs- und Umsetzungszeit erfordert, bevor er konkrete Wirkungen entfaltet (Urteil vom 6. September 2017, Slowakei und Ungarn/Rat, C‑643/15 und C‑647/15, EU:C:2017:631, Rn. 97).

96      Wenn es angesichts des relativ baldigen Ablaufs der Geltungsdauer der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 schließlich im Mai 2017 dringlich wurde, die drei betroffenen Mitgliedstaaten im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens zur Einhaltung ihrer Umsiedlungsverpflichtungen nach diesen Beschlüssen in Bezug auf den verbleibenden Teil dieser Geltungsdauer zu zwingen, kann der Grund für diese Dringlichkeit folglich nicht einer etwaigen Untätigkeit oder einem etwaigen verspäteten Handeln der Kommission zugeschrieben werden, sondern liegt vielmehr in der beharrlichen Weigerung dieser drei Mitgliedstaaten, den wiederholten Aufforderungen der Kommission nachzukommen, die diese Mitgliedstaaten veranlassen sollten, diesen Verpflichtungen nachzukommen.

97      Es war vollkommen legitim, dass die Kommission im Rahmen des Ermessens, das ihr bei der Wahl des Zeitpunkts der Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens zusteht, zunächst alle Möglichkeiten ausschöpfte, um die drei betroffenen Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, Umsiedlungen vorzunehmen und förmliche Zusagen zu erteilen, damit diese Mitgliedstaaten unter Wahrung des Grundsatzes der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten, der nach Art. 80 AEUV für die Politik der Union im Asylbereich gilt, einen angemessenen Beitrag zur Erreichung des mit den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 verfolgten Ziels einer tatsächlichen Umsiedlung leisteten, und zugleich darauf achtete, dass die genannten Mitgliedstaaten nicht einer Vertragsverletzungsklage entgingen, sollten sie sich dazu entscheiden, der letzten Aufforderung der Kommission, ihren Verpflichtungen nachzukommen, nicht Folge zu leisten.

98      Folglich hat die Kommission im vorliegenden Fall dieses Ermessen nicht überschritten.

99      Im Übrigen waren die drei betroffenen Mitgliedstaaten spätestens am 16. Mai 2017, dem Datum des zwölften Berichts über die Umverteilung und Neuansiedlung, über die Absicht der Kommission informiert, eine Vertragsverletzungsklage gegen sie zu erheben, sollten sie sich weiterhin weigern, den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 nachzukommen.

100    Ebenso war ihnen der Standpunkt der Kommission bereits lange vor Eröffnung des Vorverfahrens am 15. und am 16. Juni 2017 vollständig bekannt. Der Standpunkt der Kommission bezüglich der den drei betroffenen Mitgliedstaaten vorgeworfenen Verstöße war nämlich von ihr in verschiedenen Schreiben sowie in mehreren Berichten über die Umverteilung und Neuansiedlung dargelegt worden. Unter diesen Umständen können die in Rede stehenden vierwöchigen Fristen nicht als unangemessen kurz angesehen werden.

101    Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die in den Mahnschreiben und in den mit Gründen versehenen Stellungnahmen gesetzten vierwöchigen Antwortfristen es den betroffenen Mitgliedstaaten nicht ermöglicht hätten, im Vorverfahren ihre Verteidigungsmittel gegenüber den Rügen der Kommission in sachdienlicher Weise geltend zu machen.

102    In ihren Klagebeantwortungen, Gegenerwiderungen und Streithilfeschriftsätzen wiederholen die drei betroffenen Mitgliedstaaten nämlich im Wesentlichen die Argumente, die sie bereits in ihren Antworten auf die Mahnschreiben und die mit Gründen versehenen Stellungnahmen vorgebracht hatten.

103    Zurückzuweisen ist auch das spezifischere Argument Ungarns, die Kommission habe ihm keine Antwortfristen von vier Wochen setzen und ihm eine Verlängerung dieser Fristen nicht verweigern dürfen, da diese in der Sommerperiode des Jahres 2017 abgelaufen seien, in der ein kleinerer Personalbestand innerhalb des betreffenden ungarischen Ministeriums eine Antwort nicht nur in dieser Rechtssache habe vorbereiten müssen, sondern auch in zwei anderen Rechtssachen, in denen komplexe Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts aufgeworfen worden und erhebliche Anstrengungen erforderlich gewesen seien.

104    Ungarn wusste nämlich zumindest seit dem 16. Mai 2017, dem Datum des zwölften Berichts über die Umverteilung und Neuansiedlung, dass die Kommission beabsichtigte, kurzfristig ein Vertragsverletzungsverfahren gegen diesen Mitgliedstaat einzuleiten, falls er den Beschluss 2015/1601 weiterhin nicht durchführte. Ungarn musste auch wissen, dass die Kommission, wenn dieses Verfahren eingeleitet würde, gezwungen wäre, relativ kurze Antwortfristen zu gewähren, um sicherzustellen, dass das Vorverfahren vor Ablauf der Geltungsdauer dieses Beschlusses am 26. September 2017 abgeschlossen werden könnte. Daher musste dieser Mitgliedstaat im vorliegenden Fall – auch während der Sommerperiode des Jahres 2017 – eine ausreichende Besetzung vorsehen, um auf das Mahnschreiben und die mit Gründen versehene Stellungnahme antworten zu können.

105    Was zweitens die angebliche Ungenauigkeit der von der Kommission im Vorverfahren gegen Ungarn erhobenen Rügen und insbesondere den Umstand betrifft, dass der Zusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und dem Verstoß gegen die Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieses Beschlusses nur in der Klageschrift und in besonders knapper Form erläutert worden sei, ist festzustellen, dass die Kommission sowohl in den Schlussfolgerungen des Mahnschreibens als auch in den Schlussfolgerungen der mit Gründen versehenen Stellungnahme Ungarn ausdrücklich einen Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und „folglich“ gegen seine „weiteren Umsiedlungsverpflichtungen“ aus Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieses Beschlusses vorgeworfen hat.

106    Außerdem erläuterte die Kommission in der Begründung des Mahnschreibens und der mit Gründen versehenen Stellungnahme diesen Kausalzusammenhang mit denselben hinreichend klaren Worten, indem sie darauf hinwies, dass die in Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 genannten Zusagen den „ersten Schritt“ darstellten, auf dem das detaillierte und verbindliche Verfahren der administrativen Zusammenarbeit zwischen der Hellenischen Republik und der Italienischen Republik auf der einen und den Umsiedlungsmitgliedstaaten auf der anderen Seite „aufbaut“, dessen Zweck in der Überstellung von internationalen Schutz beantragenden Personen aus den beiden erstgenannten Mitgliedstaaten in die anderen Mitgliedstaaten bestehe, und dass Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieses Beschlusses eine Reihe genauer rechtlicher Folgeverpflichtungen für die Umsiedlungsmitgliedstaaten enthalte.

107    Hierzu ist festzustellen, dass die tatsächliche Umsiedlung von internationalen Schutz beantragenden Personen durch ihre Überstellung in das Hoheitsgebiet eines Umsiedlungsmitgliedstaats nur möglich ist, wenn dieser Mitgliedstaat in der ersten Phase des Umsiedlungsverfahrens eine entsprechende Zusage für eine bestimmte Zahl von internationalen Schutz beantragenden Personen erteilt hat. Ist eine solche Zusage unter Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 nicht erteilt worden, so führt ein solcher Verstoß zwangsläufig zu einem Verstoß gegen die sich aus Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieser Beschlüsse ergebenden Folgeverpflichtungen im Rahmen der nachfolgenden Phasen des Verfahrens zur tatsächlichen Umsiedlung der betreffenden Antragsteller durch ihre Überstellung in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats.

108    Daher musste Ungarn den offensichtlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und dem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieses Beschlusses erkennen.

109    Außerdem nahm die Kommission zwar an einigen Stellen in der Begründung des Mahnschreibens und der mit Gründen versehenen Stellungnahme, konkret in den Gründen, in denen der rechtliche Rahmen beschrieben wird, nicht nur auf den Beschluss 2015/1601, sondern auch auf den Beschluss 2015/1523 Bezug, obwohl Ungarn durch den letztgenannten Beschluss nicht verpflichtet wurde, doch war der Gegenstand der Ungarn vorgeworfenen Vertragsverletzung für diesen Mitgliedstaat bei einer Gesamtschau der Gründe des Mahnschreibens und der mit Gründen versehenen Stellungnahme, konkret der sich auf die Bewertung der Kommission des Beschlusses 2015/1601 beziehenden Gründe, vollkommen klar. Im Übrigen wird Ungarn sowohl in den Schlussfolgerungen des Mahnschreibens als auch den Schlussfolgerungen der mit Gründen versehenen Stellungnahme nur ein Verstoß gegen diesen Beschluss vorgeworfen. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die behauptete Ungenauigkeit bestimmter Teile der Begründung der Klage die Ausübung der Verteidigungsrechte durch Ungarn hätte beeinträchtigen können.

110    Nach alledem ist die von Ungarn erhobene Einrede der Unzulässigkeit, mit der eine Verletzung der Verteidigungsrechte im Vorverfahren geltend gemacht wird, zurückzuweisen.

 Zur Einrede der Unzulässigkeit in der Rechtssache C719/17, mit der eine mangelnde Genauigkeit oder Inkohärenz der Klageschrift gemacht wird

–       Vorbringen der Parteien

111    In der Rechtssache C‑719/17 hat die Tschechische Republik auf eine ihr vom Gerichtshof im Hinblick auf die mündliche Verhandlung zur schriftlichen Beantwortung gestellte Frage in ihrer Antwort auf diese Frage die Zulässigkeit der sie betreffenden Klage mit der Begründung in Abrede gestellt, dass die ihr vorgeworfene Vertragsverletzung in der Klageschrift nicht kohärent und genau dargelegt werde. Sie macht insoweit geltend, in den Anträgen der Klageschrift sei der Zeitpunkt des Beginns des ihr vorgeworfenen Verstoßes nicht angegeben, während in den Schlussfolgerungen sowohl des Mahnschreibens als auch der mit Gründen versehenen Stellungnahme der 13. August 2016 als Zeitpunkt des Beginns des Verstoßes genannt sei. Außerdem seien in einigen Gründen der Klageschrift entweder der 13. Mai 2016 oder der 13. August 2016 als Zeitpunkt des Beginns dieses Verstoßes angegeben.

112    Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

113    Eine Klage ist allein anhand der in der Klageschrift enthaltenen Anträge zu prüfen (Urteil vom 30. September 2010, Kommission/Belgien, C‑132/09, EU:C:2010:562, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

114    Außerdem muss nach ständiger Rechtsprechung zu Art. 120 Buchst. c der Verfahrensordnung die Klageschrift den Streitgegenstand klar und deutlich angeben und eine kurze Darstellung der geltend gemachten Klagegründe enthalten, damit der Beklagte sein Verteidigungsvorbringen vorbereiten und der Gerichtshof seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Daraus leitet sich ab, dass sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die eine solche Klage gestützt wird, zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben müssen und dass die Klageanträge eindeutig formuliert sein müssen, um zu verhindern, dass der Gerichtshof ultra petita entscheidet oder eine Rüge übergeht (Urteil vom 31. Oktober 2019, Kommission/Niederlande, C‑395/17, EU:C:2019:918, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

115    Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass eine nach Art. 258 AEUV erhobene Klage eine zusammenhängende und genaue Darstellung der Rügen enthalten muss, damit der Mitgliedstaat und der Gerichtshof die Tragweite des gerügten Verstoßes gegen das Unionsrecht richtig erfassen können, was notwendig ist, damit der betreffende Staat sich sachgerecht verteidigen und der Gerichtshof überprüfen kann, ob die behauptete Vertragsverletzung vorliegt (Urteil vom 31. Oktober 2019, Kommission/Niederlande, C‑395/17, EU:C:2019:918, Rn. 53).

116    Insbesondere muss die Klage der Kommission eine zusammenhängende und detaillierte Darlegung der Gründe enthalten, aus denen diese zu der Überzeugung gelangt ist, dass der betreffende Mitgliedstaat gegen eine der ihm nach den Verträgen obliegenden Verpflichtungen verstoßen hat. Daher erfüllt ein Widerspruch in der Darlegung des von der Kommission zur Stützung ihrer Vertragsverletzungsklage geltend gemachten Klagegrundes nicht die gestellten Anforderungen (Urteil vom 2. Juni 2016, Kommission/Niederlande, C‑233/14, EU:C:2016:396, Rn. 35).

117    Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Kommission zwar in den Schlussfolgerungen sowohl des Mahnschreibens als auch der mit Gründen versehenen Stellungnahme den Zeitpunkt des Beginns des der Tschechischen Republik vorgeworfenen Verstoßes auf den 13. August 2016 festgelegt hat, in den Anträgen der Klageschrift in der Rechtssache C‑719/17, wie sie im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2018, C 112, S. 19) veröffentlicht wurden, aber weder dieser Zeitpunkt noch im Übrigen ein anderer Zeitpunkt als Zeitpunkt des Beginns des Verstoßes erwähnt wird.

118    Folglich ist die Beschreibung als solche des der Tschechischen Republik vorgeworfenen Verhaltens in den Anträgen der Klageschrift mit einer gewissen Ungenauigkeit oder Mehrdeutigkeit behaftet. Diese Anträge könnten somit dahin verstanden werden, dass dieser Mitgliedstaat während der gesamten Geltungsdauer der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 von zwei Jahren gegen seine Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 dieser Beschlüsse verstoßen hat, obwohl feststeht, dass die Tschechische Republik während der genannten Geltungsdauer Umsiedlungszusagen nach dieser Bestimmung erteilt hat, wobei ihre zweite und letzte Zusage vom 13. Mai 2016 datiert.

119    Auch wenn diese Ungenauigkeit oder Mehrdeutigkeit der Anträge in der Klageschrift in der Rechtssache C‑719/17 angesichts der Ausführungen in Rn. 113 des vorliegenden Urteils bedauerlich ist, ist doch festzustellen, dass aus der Begründung der Klageschrift hinreichend klar hervorgeht und durch die Erwiderung bestätigt wird, dass die konkrete Vertragsverletzung, die die Kommission der Tschechischen Republik vorwirft, darin besteht, dass diese nach dem 13. Mai 2016 keine Umsiedlungszusagen gemäß Art. 5 Abs. 2 der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 mehr erteilt hat. Da solche Zusagen nach diesen Bestimmungen aber „zumindest alle drei Monate“ erteilt werden mussten, entspricht der Zeitpunkt des Beginns der der Tschechischen Republik vorgeworfenen Vertragsverletzung zwangsläufig dem 13. August 2016, wie die Kommission im Übrigen sowohl in den Schlussfolgerungen des Mahnschreibens und den Schlussfolgerungen der mit Gründen versehenen Stellungnahme als auch in bestimmten Teilen der Begründung der Klageschrift ausdrücklich erwähnt hat.

120    Folglich konnte sich die Tschechische Republik vernünftigerweise nicht über den genauen Zeitpunkt des Beginns des ihr von der Kommission vorgeworfenen Verstoßes gegen ihre Verpflichtungen irren und konnte ihre Verteidigungsrechte in Bezug auf diese Vertragsverletzung tatsächlich ausüben (vgl. entsprechend Urteile vom 5. Mai 2011, Kommission/Portugal, C‑267/09, EU:C:2011:273, Rn. 28, und vom 31. Oktober 2019, Kommission/Niederlande, C‑395/17, EU:C:2019:918, Rn. 57). Unter diesen Umständen besteht auch keine Gefahr, dass der Gerichtshof ultra petita entscheidet.

121    Somit ist die von der Tschechischen Republik erhobene Einrede der Unzulässigkeit, die auf mangelnde Genauigkeit oder Inkohärenz der Klageschrift in der Rechtssache C‑719/17 gestützt wird, zurückzuweisen.

122    Was die Rechtssache C‑718/17 betrifft, ist außerdem darauf hinzuweisen, dass die Kommission zwar in der mit Gründen versehenen Stellungnahme den Zeitpunkt des Beginns des Ungarn vorgeworfenen Verstoßes auf den 25. Dezember 2015 festgelegt hat, aber in den Anträgen in der Klageschrift, wie sie im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2018, C 112, S. 19) veröffentlicht wurden, insoweit kein Datum genannt wird. Unter diesen Umständen und da der Gegenstand des Rechtsstreits, mit dem der Gerichtshof befasst ist, durch die mit Gründen versehene Stellungnahme begrenzt ist (siehe insbesondere Urteil vom 18. Juni 1998, Kommission/Italien, C‑35/96, EU:C:1998:303, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung), ist die Klage in dieser Rechtssache zulässig, soweit sie sich auf einen behaupteten Verstoß Ungarns gegen seine Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 und 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1601 vom 25. Dezember 2015 an bezieht.

123    Nach alledem ist unter dem Vorbehalt der in der vorstehenden Randnummer vorgenommenen Klarstellung festzustellen, dass die drei Vertragsverletzungsklagen zulässig sind.

 Zur Begründetheit

 Zum Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzungen

124    Im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens gemäß Art. 258 AEUV ist es Sache der Kommission, die das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen hat, dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte zu liefern, die es ihm ermöglichen, das Vorliegen der Vertragsverletzung zu prüfen, wobei sie sich nicht auf irgendeine Vermutung stützen kann (Urteil vom 18. November 2010, Kommission/Portugal, C‑458/08, EU:C:2010:692, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

125    Im vorliegenden Fall wirft die Kommission der Republik Polen vor, vom 16. März 2016 an, Ungarn vor, vom 25. Dezember 2015 an, und der Tschechischen Republik vor, vom 13. August 2016 an ihren Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1523 und/oder Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und folglich auch ihren anschließenden Verpflichtungen zur Umsiedlung nach Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1523 und/oder Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1601 nicht nachgekommen zu sein.

126    Hierzu ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtung, zumindest alle drei Monate Umsiedlungszusagen zu erteilen, in Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1523 mit dem gleichen Wortlaut wie in Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 vorgeschrieben ist und dass die anschließenden Verpflichtungen zur tatsächlichen Umsiedlung in Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1523 mit einem im Wesentlichen gleichen Wortlaut wie in Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1601 vorgeschrieben sind, wobei die wenigen Unterschiede in der Formulierung der Abs. 4 und 9 des genannten Art. 5 für die Beurteilung der Begründetheit der drei Klagen unerheblich sind.

127    Zum anderen besteht, wie bereits in Rn. 107 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ein offensichtlicher Kausalzusammenhang – über den sich die drei betroffenen Mitgliedstaaten vernünftigerweise nicht im Unklaren sein konnten – zwischen dem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1523 und/oder Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und dem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1523 und/oder Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1601.

128    Es handelt sich nämlich um Folgeverpflichtungen im Rahmen des Umsiedlungsverfahrens, so dass dann, wenn die durch Art. 5 Abs. 2 dieser Beschlüsse auferlegte Verpflichtung nicht eingehalten wird, indem die Zusagen zur Umsiedlung einer bestimmten Zahl internationalen Schutz beantragender Personen nicht erteilt werden, auch die durch Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieser Beschlüsse auferlegten Verpflichtungen im Hinblick auf die tatsächliche Umsiedlung von internationalen Schutz beantragenden Personen, bezüglich deren Zusagen erteilt worden sind, nicht eingehalten werden.

129    Es ist festzustellen, dass die drei betroffenen Mitgliedstaaten nicht bestreiten, dass am 23. August 2017, dem Tag, an dem die in den mit Gründen versehenen Stellungnahmen gesetzte Frist ablief, Verstöße ihrerseits gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1523 und/oder Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 vorlagen, so dass das Vorliegen dieser Verstöße und folglich der Verstöße gegen ihre anschließenden Verpflichtungen zur Umsiedlung nach Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1523 und/oder Art. 5 Abs. 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1601 als erwiesen anzusehen sind.

130    Diese Verstöße können im Übrigen nicht bestritten werden, da die Kommission in ihren verschiedenen monatlichen Berichten über die Umverteilung und Neuansiedlung, die den drei in Rede stehenden Mitgliedstaaten unstreitig bekannt waren, eine Überwachung – u. a. des Stands des Fortschritts bei den in den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 vorgesehenen Umsiedlungen aus Griechenland und Italien – gewährleistete, wobei sie für jeden Umsiedlungsmitgliedstaat die Zahl der internationalen Schutz beantragenden Personen, bezüglich deren Umsiedlungszusagen erteilt wurden, sowie die Zahl der tatsächlich umgesiedelten internationalen Schutz beantragenden Personen angab. Diese Berichte belegen aber das tatsächliche Vorliegen der von der Kommission behaupteten und in Rn. 125 des vorliegenden Urteils angeführten Vertragsverletzungen.

131    Was die Tschechische Republik betrifft, geht das Vorliegen der ihr vorgeworfenen Vertragsverletzung auch klar aus der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Entschließung Nr. 439 vom 5. Juni 2017 hervor, mit der dieser Mitgliedstaat beschloss, die Erfüllung seiner in der Sitzung des Europäischen Rates vom 25. und 26. Juni 2015 eingegangen Verpflichtungen, die sodann in der Sitzung der im Europäischen Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 20. Juli 2015 formalisiert und durch den Beschluss 2015/1523 umgesetzt wurden, sowie die Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Beschluss 2015/1601 auszusetzen.

132    Somit ist festzustellen, dass die Kommission das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzungen in den drei betreffenden Vertragsverletzungsverfahren nachgewiesen hat.

133    Die drei betroffenen Mitgliedstaaten tragen jedoch eine Reihe von Argumenten vor, die rechtfertigen sollen, dass sie die Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 unangewendet ließen. Dabei handelt es sich zum einen um Argumente betreffend die Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit, die die Republik Polen und Ungarn auf Art. 72 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 EUV stützen, und zum anderen um Argumente, mit denen die Tschechische Republik das Nichtfunktionieren und die Ineffektivität des in diesen Beschlüssen vorgesehenen Umsiedlungsmechanismus geltend machen.

 Zu den Verteidigungsmitteln, die die Republik Polen und Ungarn auf Art. 72 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 EUV stützen

 Vorbringen der Parteien

134    Die Republik Polen und Ungarn tragen im Wesentlichen vor, dass sie im vorliegenden Fall nach Art. 72 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 EUV, der ihnen die ausschließliche Zuständigkeit für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit im Rahmen von Rechtsakten vorbehalte, die im Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Sinne von Titel V des AEU-Vertrags erlassen würden, berechtigt gewesen seien, ihre Verpflichtungen nach dem Sekundärrecht und damit nachrangigem Recht, die sich aus dem Beschluss 2015/1523 und/oder dem Beschluss 2015/1601 ergäben, Rechtsakten also, die auf der Grundlage von Art. 78 Abs. 3 AEUV erlassen worden seien und somit unter den genannten Titel V fielen, nicht zu erfüllen.

135    Diese Mitgliedstaaten machen geltend, sie hätten gemäß Art. 72 AEUV entschieden, den Beschluss 2015/1523 und/oder den Beschluss 2015/1601 unangewendet zu lassen. Sie tragen vor, dass nach ihrer Einschätzung der Gefahren, die mit der möglichen Umsiedlung extremistischer und gefährlicher Personen, die gewalttätige oder sogar terroristische Handlungen begehen könnten, in ihr Hoheitsgebiet verbunden seien, der Umsiedlungsmechanismus, wie er in Art. 5 dieser Beschlüsse vorgesehen sei und wie er von den griechischen und italienischen Behörden angewandt worden sei, es ihnen nicht ermöglicht habe, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit in vollem Umfang zu gewährleisten.

136    Insoweit verweisen die genannten Mitgliedstaaten auf die zahlreichen Probleme, die bei der Anwendung des Umsiedlungsmechanismus u. a. hinsichtlich der hinreichend sicheren Feststellung der Identität und der Herkunft der internationalen Schutz beantragenden Personen, die umgesiedelt werden sollten, aufgetreten seien; diese Probleme seien durch die mangelnde Zusammenarbeit der griechischen und italienischen Behörden im Rahmen des Umsiedlungsverfahrens, insbesondere dadurch, dass diese den betroffenen Verbindungsbeamten der Umsiedlungsmitgliedstaaten verweigert hätten, die betreffenden Antragsteller vor deren Überstellung zu befragen, noch verschärft worden.

137    Konkret ist die Republik Polen der Auffassung, dass Art. 72 AEUV keine Bestimmung sei, mit der die Gültigkeit eines Unionsrechtsakts in Frage gestellt werden könne. Es handele sich vielmehr um eine Vorschrift, die mit einer Kollisionsnorm vergleichbar sei, nach der die Vorrechte der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit Vorrang vor ihren sekundärrechtlichen Verpflichtungen hätten. Ein Mitgliedstaat könne sich immer dann auf Art. 72 AEUV berufen, um einen im Rahmen von Titel V des Vertrags erlassenen Rechtsakt nicht durchzuführen, wenn er der Auffassung sei, dass eine auch nur potenzielle Gefahr für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit bestehe, für die er verantwortlich sei. Insoweit verfüge ein Mitgliedstaat über ein sehr weites Ermessen und müsse nur die Plausibilität einer Gefahr für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit nachweisen, um sich auf Art. 72 AEUV berufen zu können.

138    Die Tschechische Republik macht, ohne ein gesondertes, auf Art. 72 AEUV gestütztes Verteidigungsmittel vorzubringen, ihrerseits geltend, dass angesichts der Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die die Umsiedlung von Personen zur Folge hätte, die möglicherweise mit einem religiösen Extremismus in Zusammenhang stünden, sichergestellt werden müsse, dass jeder Umsiedlungsmitgliedstaat seine innere Sicherheit aufrechterhalten könne. Diese Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit sei aber vor allem wegen des Fehlens ausreichender Informationen über die betroffenen Personen und der Unmöglichkeit, Befragungen durchzuführen, mit denen überprüft werden solle, dass die betreffenden internationalen Schutz beantragenden Personen keine Bedrohung für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung im Umsiedlungsmitgliedstaat darstellten, nicht gewährleistet gewesen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

139    In der Union, die auf Rechtsstaatlichkeit gründet, gilt für Handlungen der Organe die Vermutung der Rechtmäßigkeit. Da die Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 seit ihrem Erlass für die Republik Polen und die Tschechische Republik verbindlich waren, waren diese Mitgliedstaaten verpflichtet, diese Unionsrechtsakte zu beachten und sie während ihrer gesamten Geltungsdauer von zwei Jahren durchzuführen. Gleiches gilt für Ungarn in Bezug auf den Beschluss 2015/1601, der ab seinem Erlass und während seiner gesamten Geltungsdauer von zwei Jahren für diesen Mitgliedstaat verbindlich war (vgl. entsprechend Urteil vom 27. März 2019, Kommission/Deutschland, C‑620/16, EU:C:2019:256, Rn. 85).

140    An dieser Verbindlichkeit der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 ändert sich nichts dadurch, dass Ungarn und die Slowakische Republik die Rechtmäßigkeit des Beschlusses 2015/1601 vor dem Gerichtshof im Rahmen von Nichtigkeitsklagen nach Art. 263 AEUV in Abrede gestellt haben und die Republik Polen in diesen Verfahren als Streithelferin zur Unterstützung dieser beiden Mitgliedstaaten aufgetreten ist. Von den Letztgenannten beantragte im Übrigen keiner die Aussetzung der Vollziehung des letztgenannten Beschlusses oder den Erlass einstweiliger Anordnungen durch den Gerichtshof nach den Art. 278 und 279 AEUV, so dass diese Nichtigkeitsklagen gemäß Art. 278 AEUV keine aufschiebende Wirkung hatten (vgl. entsprechend Urteil vom 27. März 2019, Kommission/Deutschland, C‑620/16, EU:C:2019:256, Rn. 86 und 87).

141    Im Übrigen hat der Gerichtshof mit Urteil vom 6. September 2017, Slowakei und Ungarn/Rat (C‑643/15 und C‑647/15, EU:C:2017:631), diese Nichtigkeitsklagen gegen den Beschluss 2015/1601 abgewiesen und damit die Rechtmäßigkeit dieses Beschlusses bestätigt.

142    Im vorliegenden Fall machen die Republik Polen und Ungarn unter Hinweis darauf, dass sie nicht beabsichtigten, die Rechtswidrigkeit des Beschlusses 2015/1523 und/oder des Beschlusses 2015/1601 im Hinblick auf Art. 72 AEUV einzuwenden, geltend, dass diese Vorschrift es ihnen ermöglicht habe, beide Beschlüsse oder einen davon unangewendet zu lassen.

143    Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs zwar Sache der Mitgliedstaaten ist, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die öffentliche Ordnung in ihrem Hoheitsgebiet sowie ihre innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten, doch bedeutet dies nicht, dass solche Maßnahmen der Anwendung des Unionsrechts völlig entzogen wären. Der Vertrag sieht nämlich, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ausdrückliche Abweichungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit nur in den Art. 36, 45, 52, 65, 72, 346 und 347 AEUV vor, die ganz bestimmte außergewöhnliche Fälle betreffen. Aus ihnen lässt sich kein allgemeiner, dem Vertrag immanenter Vorbehalt ableiten, der jede Maßnahme, die im Interesse der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit getroffen wird, vom Anwendungsbereich des Unionsrechts ausnähme. Würde ein solcher Vorbehalt unabhängig von den besonderen Tatbestandsmerkmalen der Bestimmungen des Vertrags anerkannt, so könnte dies die Verbindlichkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 15. Dezember 2009, Kommission/Dänemark, C‑461/05, EU:C:2009:783, Rn. 51, und vom 4. März 2010, Kommission/Portugal, C‑38/06, EU:C:2010:108, Rn. 62 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

144    Außerdem ist die in Art. 72 AEUV vorgesehene Ausnahme eng auszulegen, wie es u. a. bei den in den Art. 346 und 347 AEUV vorgesehenen Ausnahmen ständige Rechtsprechung ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Dezember 2009, Kommission/Dänemark, C‑461/05, EU:C:2009:783, Rn. 52, und vom 4. März 2010, Kommission/Portugal, C‑38/06, EU:C:2010:108, Rn. 63).

145    Daraus folgt, dass Art. 72 AEUV, obgleich er vorsieht, dass Titel V des Vertrags die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit unberührt lässt, nicht als eine Ermächtigung der Mitgliedstaaten dazu ausgelegt werden kann, durch bloße Berufung auf diese Zuständigkeiten von den Bestimmungen des Vertrags abzuweichen (vgl. entsprechend Urteile vom 15. Dezember 2009, Kommission/Dänemark, C‑461/05, EU:C:2009:783, Rn. 53, und vom 4. März 2010, Kommission/Portugal, C‑38/06, EU:C:2010:108, Rn. 64).

146    Die Tragweite der Erfordernisse bezüglich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit kann daher nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Kontrolle durch die Organe der Union bestimmt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Juni 2015, Zh. und O., C‑554/13, EU:C:2015:377, Rn. 48, sowie vom 2. Mai 2018, K. und H. F. [Aufenthaltsrecht und Vorwürfe von Kriegsverbrechen], C‑331/16 und C‑366/16, EU:C:2018:296, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

147    Es obliegt dem Mitgliedstaat, der sich auf Art. 72 AEUV beruft, nachzuweisen, dass eine Inanspruchnahme der in diesem Artikel geregelten Ausnahme erforderlich ist, um seine Zuständigkeiten im Bereich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit wahrzunehmen (vgl. entsprechend Urteile vom 15. Dezember 2009, Kommission/Dänemark, C‑461/05, EU:C:2009:783, Rn. 55, und vom 4. März 2010, Kommission/Portugal, C‑38/06, EU:C:2010:108, Rn. 66).

148    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Bezug auf den Beschluss 2015/1601 in den Rn. 307 bis 309 des Urteils vom 6. September 2017, Slowakei und Ungarn/Rat (C‑643/15 und C‑647/15, EU:C:2017:631), bereits das Vorbringen der Republik Polen als Streithelferin zurückgewiesen hat, wonach dieser Beschluss gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße, da er es den Mitgliedstaaten nicht ermögliche, die wirksame Wahrnehmung der ihnen für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit nach Art. 72 AEUV obliegenden Zuständigkeiten zu gewährleisten.

149    Der Gerichtshof hat nämlich festgestellt, dass es im 32. Erwägungsgrund des Beschlusses 2015/1601, der im Übrigen gleich lautet wie der 26. Erwägungsgrund des Beschlusses 2015/1523, u. a. hieß, dass der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung während des gesamten Umsiedlungsverfahrens bis zum Abschluss der Überstellung der internationalen Schutz beantragenden Person Rechnung getragen werden sollte und dass in diesem Rahmen die Grundrechte der internationalen Schutz beantragenden Person, einschließlich der einschlägigen Datenschutzvorschriften, uneingeschränkt zu achten waren (Urteil vom 6. September 2017, Slowakei und Ungarn/Rat, C‑643/15 und C‑647/15, EU:C:2017:631, Rn. 307).

150    Der Gerichtshof hat auch auf Art. 5 („Umsiedlungsverfahren“) des Beschlusses 2015/1601 Bezug genommen, der in seinem Abs. 7, der im Übrigen den gleichen Wortlaut hat wie Art. 5 Abs. 7 des Beschlusses 2015/1523, vorsieht, dass die Mitgliedstaaten nur dann das Recht, die Umsiedlung einer internationalen Schutz beantragenden Person abzulehnen, behalten, wenn berechtigte Gründe dafür vorliegen, dass die internationalen Schutz beantragende Person als Gefahr für ihre nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung betrachtet wird oder wenn schwerwiegende Gründe für die Anwendung der Ausnahmen gemäß den Art. 12 und 17 der Richtlinie 2011/95 vorliegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2017, Slowakei und Ungarn/Rat, C‑643/15 und C‑647/15, EU:C:2017:631, Rn. 308).

151    Insoweit ist hinzuzufügen, dass Art. 5 Abs. 4 des Beschlusses 2015/1523 und mit identischem Wortlaut Art. 5 Abs. 4 des Beschlusses 2015/1601 vorsehen, dass ein Umsiedlungsmitgliedstaat nur dann entscheiden kann, der Umsiedlung einer von der Hellenischen Republik oder der Italienischen Republik zum Zwecke ihrer Umsiedlung bestimmten internationalen Schutz beantragenden Person nicht zuzustimmen, wenn berechtigte Gründe nach Art. 5 Abs. 7 vorliegen, d. h. berechtigte Gründe dafür, dass der betreffende Antragsteller als Gefahr für ihre nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung in seinem Hoheitsgebiet betrachtet wird.

152    Die Modalitäten des in Art. 5 dieser Beschlüsse enthaltenen Mechanismus spiegeln im Übrigen die in den Rn. 143 bis 147 des vorliegenden Urteils angeführten Grundsätze wider, nach denen Art. 72 AEUV als Ausnahmebestimmung eng auszulegen ist und den Mitgliedstaaten daher nicht die Befugnis verleiht, von den Bestimmungen des Unionsrechts durch bloße Berufung auf die Interessen abzuweichen, die mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz der inneren Sicherheit verbunden sind, sondern sie verpflichtet, nachzuweisen, dass die Inanspruchnahme der in dieser Vorschrift vorgesehenen Ausnahme notwendig ist, damit sie ihre Zuständigkeiten in diesen Bereichen wahrnehmen können.

153    Somit ist festzustellen, dass der Rat beim Erlass der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 die Wahrnehmung der den Mitgliedstaaten nach Art. 72 AEUV zukommenden Zuständigkeiten gebührend berücksichtigt hat, indem er diese Wahrnehmung, was die beiden Phasen des Umsiedlungsverfahrens, die auf die Phase der Erteilung von Zusagen folgten, anbelangt, unter die in Art. 5 Abs. 4 und 7 dieser Beschlüsse aufgestellten spezifischen Bedingungen stellte.

154    Was insoweit die „schwerwiegenden Gründe“ für die Anwendung der Ausnahmen gemäß den Art. 12 und 17 der Richtlinie 2011/95 anbelangt, die es nach Art. 5 Abs. 7 der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 einem Mitgliedstaat erlaubten, die Umsiedlung einer internationalen Schutz beantragenden Person zu verweigern, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass sich die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaats auf den in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 und Art. 17 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie – die sich auf die Begehung einer „schweren Straftat“ beziehen – vorgesehenen Ausschlussgrund erst berufen darf, nachdem sie in jedem Einzelfall eine Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, die ihr bekannt sind, vorgenommen hat, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Handlungen des Betreffenden, der im Übrigen die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erfüllt, unter diesen Ausschlusstatbestand fallen, wobei die Beurteilung der Schwere der fraglichen Straftat eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls erfordert (Urteil vom 13. September 2018, Ahmed, C‑369/17, EU:C:2018:713, Rn. 48, 55 und 58).

155    Des Weiteren hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die Ausschlussgründe in den Art. 12 und 17 der Richtlinie 2011/95 zwar den Begriff „schwere Straftat“ betreffen, der Anwendungsbereich des in Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 vorgesehenen Grundes für den Ausschluss vom subsidiären Schutz jedoch weiter ist als der des in Art. 1 Abschnitt F Buchst. b des Genfer Abkommens und in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 vorgesehenen Grundes für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling. Während der in der letztgenannten Bestimmung vorgesehene Grund für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling eine schwere nicht politische Straftat betrifft, die der Betreffende außerhalb des Aufnahmelandes begangen hat, bevor er als Flüchtling aufgenommen wurde, erfasst der in Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 vorgesehene Grund für den Ausschluss vom subsidiären Schutz nämlich ganz allgemein eine schwere Straftat und ist somit weder territorial noch zeitlich noch in Bezug auf die Art der in Rede stehenden Straftaten beschränkt (Urteil vom 13. September 2018, Ahmed, C‑369/17, EU:C:2018:713, Rn. 46 und 47).

156    Was die so genannten „berechtigten“ Gründe für die Annahme anbelangt, dass die internationalen Schutz beantragende Person eine „Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung“ im Hoheitsgebiet des betreffenden Umsiedlungsmitgliedstaats darstellt, die es Letzterem ermöglichen, gemäß Art. 5 Abs. 4 der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 der Umsiedlung einer von der Hellenischen Republik oder der Italienischen Republik bestimmten internationalen Schutz beantragenden Person nicht zuzustimmen und gemäß Art. 5 Abs. 7 dieser Beschlüsse die Umsiedlung einer internationalen Schutz beantragenden Person auf internationalen Schutz abzulehnen, so lassen diese Gründe, da sie „berechtigt“ und nicht „schwerwiegend“ sein müssen und sich nicht zwingend auf eine schwere Straftat beziehen, die der Betreffende außerhalb des Aufnahmelandes begangen hat, bevor er als Flüchtling aufgenommen wurde, sondern lediglich den Nachweis einer „Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung“ erfordern, den Umsiedlungsmitgliedstaaten eindeutig einen größeren Ermessensspielraum als die schwerwiegenden Gründe für die Anwendung der Ausnahmen gemäß den Art. 12 und 17 der Richtlinie 2011/95.

157    Ferner ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 5 Abs. 4 und 7 der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 sich u. a. vom Wortlaut des Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, berichtigt in ABl. 2004, L 229, S. 35) unterscheidet, wonach das Verhalten der betreffenden Person eine „tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen [muss], die ein Grundinteresse der Gesellschaft“ des betreffenden Mitgliedstaats „berührt“. Daher ist der Begriff „Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung“ im Sinne der oben genannten Bestimmungen der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 weiter auszulegen, als er es in der Rechtsprechung in Bezug auf Personen wird, die das Recht auf Freizügigkeit genießen. Dieser Begriff kann insbesondere potenzielle Bedrohungen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung umfassen (vgl. entsprechend Urteile vom 4. April 2017, Fahimian, C‑544/15, EU:C:2017:255, Rn. 40, und vom 12. Dezember 2019, E.P. [Gefahr für die öffentliche Ordnung], C‑380/18, EU:C:2019:1071, Rn. 29 und 32).

158    Den zuständigen Behörden der Umsiedlungsmitgliedstaaten ist daher ein weites Ermessen zuzuerkennen, wenn sie bestimmen, ob ein Drittstaatsangehöriger, der umzusiedeln ist, eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung in ihrem Hoheitsgebiet darstellt (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Dezember 2019, E.P. [Gefahr für die öffentliche Ordnung], C‑380/18, EU:C:2019:1071, Rn. 37).

159    Allerdings können sich die Behörden des Umsiedlungsmitgliedstaats auf die berechtigten Gründe dafür, eine internationalen Schutz beantragende Person als eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung zu betrachten, ebenso wie auf die schwerwiegenden Gründe für die Anwendung der Ausnahmen gemäß den Art. 12 und 17 der Richtlinie 2011/95 nur dann berufen, wenn übereinstimmende, objektive und eindeutige Indizien vorliegen, die den Verdacht stützen, dass der betreffende Antragsteller eine solche gegenwärtige oder potenzielle Gefahr darstellt (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Dezember 2019, E.P. [Gefahr für die öffentliche Ordnung], C‑380/18, EU:C:2019:1071, Rn. 49), und nachdem diese Behörden für jeden Antragsteller, dessen Umsiedlung vorgeschlagen wird, eine Prüfung der Tatsachen vorgenommen haben, von denen sie Kenntnis haben, um zu bestimmen, ob bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände des betreffenden Einzelfalls solche berechtigten Gründe vorliegen.

160    Daraus folgt, dass die im Rahmen des Umsiedlungsverfahrens in Art. 5 Abs. 4 und 7 der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 vorgesehene Regelung den zuständigen Behörden des Umsiedlungsmitgliedstaats eine Berufung auf schwerwiegende oder berechtigte Gründe betreffend die Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung in ihrem Hoheitsgebiet erst nach Durchführung einer Einzelfallprüfung der gegenwärtigen oder potenziellen Gefahr, die die betreffende internationalen Schutz beantragende Person für diese Interessen darstellte, gestattete. Sie stand somit, wie auch die Generalanwältin in Nr. 223 ihrer Schlussanträge im Kern ausgeführt hat, dem entgegen, dass ein Mitgliedstaat sich im Rahmen dieses Verfahrens allein zu Zwecken der Generalprävention und ohne Nachweis eines unmittelbaren Zusammenhangs mit einem Einzelfall kategorisch auf Art. 72 AEUV berief, um eine Aussetzung oder gar eine Beendigung der Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Beschluss 2015/1523 und/oder dem Beschluss 2015/1601 zu rechtfertigen.

161    Dies erklärt, weshalb Art. 5 Abs. 2 der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601, der die erste Phase des Umsiedlungsverfahrens betraf und die Verpflichtung der Umsiedlungsmitgliedstaaten vorsah, zumindest alle drei Monate eine Zahl von internationalen Schutz beantragenden Personen anzugeben, die schnell in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden könnten, dieser Verpflichtung unbedingten Charakter verlieh und für diese Mitgliedstaaten keine Möglichkeit vorsah, sich auf das Bestehen einer Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung in ihrem Hoheitsgebiet zu berufen, um die Nichtanwendung dieser Bestimmung zu rechtfertigen. Da in diesem Anfangsstadium dieses Verfahrens die Antragsteller, die in den betreffenden Mitgliedstaat umgesiedelt werden sollten, nicht bestimmt waren, war nämlich jede individualisierte Beurteilung der Gefahr, die sie für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit dieses Mitgliedstaats hätten darstellen können, unmöglich.

162    Was außerdem die Schwierigkeiten anbelangt, die der Republik Polen bei der Gewährleistung der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung in den auf ihre am 16. Dezember 2016 erteilten Zusagen folgenden Phasen des Umsiedlungsverfahrens entstanden sein sollen, ist festzustellen, dass sich diese Schwierigkeiten auf den Beginn der zweijährigen Geltungsdauer der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 beziehen.

163    Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass, wie bereits in Rn. 95 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die in den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 vorgesehene Umsiedlung einer bedeutenden Zahl von Personen ein noch nie dagewesener und komplexer Vorgang ist, der insbesondere bei der Koordinierung zwischen den Verwaltungen der Mitgliedstaaten eine gewisse Vorbereitungs- und Umsetzungszeit erfordert, bevor er konkrete Wirkungen entfaltet.

164    Zudem ist, auch wenn der in Art. 5 Abs. 4 und 7 der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 vorgesehene Mechanismus, wie die Republik Polen und die Tschechische Republik geltend machen, u. a. aufgrund mangelnder Zusammenarbeit seitens der italienischen Behörden ineffektiv gewesen sein sollte, festzustellen, dass derartige praktische Schwierigkeiten diesem Mechanismus nicht inhärent zu sein scheinen und gegebenenfalls im Geist der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Vertrauens der Behörden der durch die Umsiedlung begünstigten Mitgliedstaaten und der Behörden der Umsiedlungsmitgliedstaaten, der im Rahmen der Umsetzung des in Art. 5 dieser Beschlüsse vorgesehenen Umsiedlungsverfahrens vorherrschen musste, zu lösen waren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2017, Slowakei und Ungarn/Rat, C‑643/15 und C‑647/15, EU:C:2017:631, Rn. 309).

165    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass aus den Berichten über die Umverteilung und Neuansiedlung hervorgeht, dass zwar zu Beginn der Geltungsdauer der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 die Zahl der tatsächlich umgesiedelten internationalen Schutz beantragenden Personen u. a. deshalb relativ gering war, weil bestimmte Mitgliedstaaten in einer erheblichen Zahl von Fällen die Umsiedlung der von der Hellenischen Republik oder der Italienischen Republik bestimmten internationalen Schutz beantragenden Personen u. a. wegen der Gefahr, die diese ihrer Ansicht nach für ihre nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung darstellten, ablehnten, dieses Problem aber allmählich an Bedeutung verlor und das Tempo der durchgeführten Umsiedlungen anstieg.

166    Wie aus dem achten, dem elften und dem zwölften Bericht über die Umverteilung und Neuansiedlung hervorgeht, konnten die Umsiedlungsmitgliedstaaten nämlich unter bestimmten Voraussetzungen zusätzliche und sogar systematische Sicherheitskontrollen u. a. im Wege von Befragungen durchführen und hatten, was die Umsiedlungen aus Italien betrifft, die Möglichkeit, ab dem 1. Dezember 2016 zur Durchführung dieser Befragungen die Unterstützung der Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol) zu beantragen, mit dem Ziel, zu vermeiden, dass solche Kontrollen den Umsiedlungsprozess weiterhin unangemessen verlangsamten.

167    Außerdem konnten die Umsiedlungsmitgliedstaaten, was die Umsiedlungen aus Griechenland anbelangt, vom Inkrafttreten der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 an verlangen, dass vor der Umsiedlung Sicherheitsbefragungen durch ihre eigenen Polizeibeamten durchgeführt werden.

168    Diese Maßnahmen kamen zu der Regelung hinzu, die bereits in Art. 5 der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 vorgesehen war, um die Identifizierung der betreffenden Personen zu gewährleisten, namentlich in den Abs. 5 und 11 dieses Art. 5, die die Abnahme ihrer Fingerabdrücke vor und nach ihrer Überstellung sowie die Übermittlung der Fingerabdrücke in das Zentralsystem von Eurodac vorschrieben.

169    Daraus folgt, dass sich die Republik Polen und Ungarn nicht auf Art. 72 AEUV berufen können, um ihre Weigerung zu rechtfertigen, sämtliche ihnen durch Art. 5 Abs. 2 und 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1523 und/oder Art. 5 Abs. 2 und 4 bis 11 des Beschlusses 2015/1601 auferlegten Umsiedlungsverpflichtungen zu erfüllen.

170    Wie auch die Generalanwältin in den Nrn. 226 und 227 ihrer Schlussanträge im Kern ausgeführt hat, ist das auf Art. 72 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 EUV gestützte Vorbringen nicht geeignet, diese Schlussfolgerung in Frage zu stellen. Es deutet nämlich nichts darauf hin, dass die tatsächliche Wahrung der in dieser Bestimmung genannten grundlegenden staatlichen Funktionen wie die des Schutzes der nationalen Sicherheit nur durch die Nichtanwendung der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 hätte sichergestellt werden können.

171    Im Gegenteil ließ der in Art. 5 Abs. 4 und 7 dieser Beschlüsse vorgesehene Mechanismus, auch in seiner konkreten Anwendung, wie sie sich in der Praxis während der Geltungsdauer der Beschlüsse entwickelt hat, den Umsiedlungsmitgliedstaaten tatsächliche Möglichkeiten, ihre Interessen im Zusammenhang mit der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit im Rahmen der Prüfung der individuellen Situation jeder internationalen Schutz beantragenden Person, deren Umsiedlung vorgeschlagen worden war, zu wahren, ohne dabei jedoch den Zweck dieser Beschlüsse zu beeinträchtigen, der darin bestand, die tatsächliche und schnelle Umsiedlung einer bedeutenden Zahl von Antragstellern, die unzweifelhaft internationalen Schutz benötigten, zu gewährleisten, um die einem erheblichen Druck ausgesetzten Asylsysteme Italiens und Griechenlands zu entlasten.

172    Daher sind die Verteidigungsmittel, die die Republik Polen und Ungarn auf Art. 72 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 EUV stützen, zurückzuweisen.

 Zum Verteidigungsmittel, mit dem die Tschechische Republik geltend macht, der in den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 vorgesehene Umsiedlungsmechanismus habe in seiner konkreten Anwendung nicht funktioniert und sei ineffektiv gewesen

 Vorbringen der Parteien

173    Die Tschechische Republik trägt vor, ihre Entscheidung, die Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 unangewendet zu lassen, sei dadurch gerechtfertigt gewesen, dass sich der Umsiedlungsmechanismus, wie er in diesen Beschlüssen vorgesehen gewesen sei, in seiner konkreten Anwendung u. a. aufgrund des systematischen Mangels an Zusammenarbeit seitens der griechischen und italienischen Behörden oder des tatsächlichen Fehlens umzusiedelnder internationalen Schutz beantragender Personen zum Zeitpunkt der Erteilung von Umsiedlungszusagen zu einem großen Teil als nicht funktionierend und ineffektiv herausgestellt habe, was durch den geringen Erfolg dieses Mechanismus, ausgedrückt in der Gesamtzahl der tatsächlich vorgenommenen Umsiedlungen, deutlich werde.

174    Angesichts der Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die die Umsiedlung von Personen zur Folge hätte, die möglicherweise mit einem religiösen Extremismus in Zusammenhang stünden, müsse sichergestellt werden, dass sich jeder Umsiedlungsmitgliedstaat gemäß Art. 4 Abs. 2 EUV und insbesondere gemäß Art. 72 AEUV schützen könne. Dieser Grundsatz spiegele sich auch in Art. 5 Abs. 7 der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 wider. In seiner konkreten Anwendung habe der Umsiedlungsmechanismus aber u. a. deshalb keinen solchen Schutz der öffentlichen Sicherheit gewährleistet, weil ausreichende Informationen über die betroffenen Personen gefehlt hätten und die Durchführung von Sicherheitsbefragungen unmöglich gewesen sei, obwohl es sich um unerlässliche Voraussetzungen für die Prüfung gehandelt habe, dass diese Personen keine Bedrohung für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung im Umsiedlungsmitgliedstaat darstellten.

175    Daraus folge, dass die Erteilung von Umsiedlungszusagen nach Art. 5 Abs. 2 dieser Beschlüsse lediglich ein rein formaler Vorgang gewesen sei, mit dem das mit diesen Beschlüssen verfolgte Ziel der tatsächlichen Umsiedlung nicht verwirklicht worden sei.

176    Die Tschechische Republik habe es daher vorgezogen, ihre Bemühungen auf wirksamere Unterstützungsmaßnahmen als eine Umsiedlungsmaßnahme zu konzentrieren, indem sie sowohl auf bilateraler Ebene als auch im Rahmen der Union den am stärksten betroffenen Drittländern und den Mitgliedstaaten, die in der vordersten Reihe zu dem Massenzustrom von eindeutig internationalen Schutz benötigenden Personen gestanden hätten, finanzielle, technische oder personelle Unterstützung gewährt habe.

177    Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.

 Würdigung durch den Gerichtshof

178    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Tschechische Republik, wie bereits in Rn. 31 des vorliegenden Urteils ausgeführt, am 5. Juni 2017 die Entschließung Nr. 439 verabschiedete, mit der dieser Mitgliedstaat beschloss, die Erfüllung ihrer in der Sitzung des Europäischen Rates vom 25. und 26. Juni 2015 eingegangen Verpflichtungen, die sodann in der Sitzung der im Europäischen Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 20. Juli 2015 formalisiert und durch den Beschluss 2015/1523 umgesetzt wurden, sowie die Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Beschluss 2015/1601 „angesichts der erheblichen Verschlechterung der Sicherheitslage in der Union … und in Anbetracht des offensichtlichen Nichtfunktionierens des Umsiedlungssystems“ auszusetzen. Es steht fest, dass die Tschechische Republik diese Aussetzung zu keinem späteren Zeitpunkt während der jeweiligen Geltungsdauer dieser Beschlüsse aufgehoben hat.

179    Im vorliegenden Fall stützt sich die Tschechische Republik im Rahmen ihrer Verteidigung in dem sie betreffenden Vertragsverletzungsverfahren auf Erwägungen bezüglich des angeblichen Nichtfunktionierens bzw. der angeblichen Ineffektivität des in den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 vorgesehenen Umsiedlungsmechanismus in seiner konkreten Anwendung einschließlich des in Art. 5 Abs. 4 und 7 dieser Beschlüsse vorgesehenen spezifischen Mechanismus – der es den Mitgliedstaaten ermöglichen sollte, die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung in ihrem Hoheitsgebiet im Rahmen des Umsiedlungsverfahrens zu schützen –, um damit ihre Entscheidung zu rechtfertigen, ihre Umsiedlungsverpflichtungen nach Art. 5 Abs. 2 und 4 bis 11 der genannten Beschlüsse nicht zu erfüllen.

180    Hierzu ist festzustellen, dass das den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 inhärente Ziel der Solidarität sowie der verbindliche Charakter dieser Rechtsakte beeinträchtigt würden, ließe man es zu, dass sich ein Mitgliedstaat, im Übrigen ohne dazu eine in den Verträgen vorgesehene Rechtsgrundlage geltend zu machen, auf seine einseitige Beurteilung des behaupteten Mangels an Effektivität oder gar des angeblichen Nichtfunktionierens des durch diese Rechtsakte geschaffenen Umsiedlungsmechanismus u. a. in Bezug auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und die Wahrung der inneren Sicherheit stützen kann, um sich jeglicher Umsiedlungsverpflichtung, die ihm nach diesen Rechtsakten obliegt, zu entziehen.

181    Ferner ist darauf hinzuweisen, dass, wie bereits in Rn. 80 des vorliegenden Urteils hervorgehoben worden ist, die mit den in den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 vorgesehenen vorläufigen Maßnahmen verbundenen Belastungen aufgrund dessen, dass diese Beschlüsse gemäß Art. 78 Abs. 3 AEUV erlassen wurden, um die Hellenische Republik und die Italienische Republik dabei zu unterstützen, eine durch den plötzlichen Zustrom von Drittstaatsangehörigen in ihr Hoheitsgebiet geprägte Notlage besser zu bewältigen, im Einklang mit dem Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten, der nach Art. 80 AEUV für die Politik der Union im Asylbereich gilt, grundsätzlich auf alle anderen Mitgliedstaaten aufgeteilt werden müssen.

182    Außerdem scheinen die praktischen Schwierigkeiten bei der Anwendung der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601, auf die sich die Tschechische Republik beruft, weder dem in diesen Beschlüssen vorgesehenen Umsiedlungsmechanismus noch dem in Art. 5 Abs. 4 und 7 dieser Beschlüsse enthaltenen besonderen Mechanismus inhärent zu sein und waren, wie bereits in Rn. 164 des vorliegenden Urteils ausgeführt, gegebenenfalls im Geist der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Vertrauens der Behörden der durch die Umsiedlung begünstigten Mitgliedstaaten und der Behörden der Umsiedlungsmitgliedstaaten, der im Rahmen der Umsetzung des in Art. 5 der genannten Beschlüsse vorgesehenen Umsiedlungsverfahrens vorherrschen muss, zu lösen.

183    So hinderte die angebliche Ineffektivität oder das angebliche Nichtfunktionieren des Umsiedlungsmechanismus andere Mitgliedstaaten nicht daran, während der gesamten Geltungsdauer der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 – und noch deutlicher gegen Ende dieser Geltungsdauer als Reaktion auf den Aufruf der Kommission in ihren monatlichen Berichten über die Umverteilung und Neuansiedlung, das Tempo der Umverteilung vor Ablauf der genannten Geltungsdauer zu steigern – in regelmäßigen Abständen Umsiedlungszusagen zu erteilen und tatsächlich Umsiedlungen von internationalen Schutz beantragenden Personen vorzunehmen.

184    Im Übrigen beziehen sich einige der von der Tschechischen Republik aufgeworfenen praktischen Probleme auf den bereits in den Rn. 95 und 163 des vorliegenden Urteils angeführten Umstand, dass die in den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 vorgesehene Umsiedlung einer bedeutenden Zahl von Personen ein noch nie dagewesener und komplexer Vorgang ist, der insbesondere bei der Koordinierung zwischen den Verwaltungen der Mitgliedstaaten eine gewisse Vorbereitungs- und Umsetzungszeit erfordert, bevor er konkrete Wirkungen entfaltet.

185    Insoweit ist auch darauf hinzuweisen, dass, wie bereits in Rn. 166 des vorliegenden Urteils ausgeführt, während der Geltungsdauer der Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 bestimmte Anpassungen des Umsiedlungsverfahrens vorgenommen wurden, um insbesondere den von der Tschechischen Republik erwähnten praktischen Problemen Rechnung zu tragen. Dies gilt u. a. für die Möglichkeit der Umsiedlungsmitgliedstaaten, vor der Umsiedlung von internationalen Schutz beantragenden Personen zusätzliche Sicherheitskontrollen in Griechenland oder Italien durchzuführen, und für die vom 1. Dezember 2016 an gebotene Möglichkeit, die Unterstützung von Europol bei der Durchführung dieser zusätzlichen Sicherheitskontrollen in Italien zu beantragen.

186    Schließlich ist auch das Vorbringen der Tschechischen Republik zurückzuweisen, sie habe es vorgezogen, die Hellenische Republik und die Italienische Republik als in der vordersten Reihe stehende Mitgliedstaaten sowie bestimmte Drittländer durch die Gewährung anderer Hilfen als Umsiedlungen zu unterstützen.

187    Da nämlich die Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601 seit ihrem Erlass und während ihrer Geltungsdauer für die Tschechische Republik verbindlich waren, war dieser Mitgliedstaat verpflichtet, den durch diese Beschlüsse auferlegten Umsiedlungsverpflichtungen unabhängig von der Gewährung anderer Arten von Hilfen an die Hellenische Republik und die Italienische Republik nachzukommen, und zwar auch dann, wenn solche Hilfen ebenfalls bezweckten, den auf die Asylsysteme dieser beiden Mitgliedstaaten an den Außengrenzen lastenden Druck zu verringern. Zudem ist zu bemerken, dass bestimmte Hilfen im Übrigen durch die genannten oder andere auf Unionsebene erlassene Rechtsakte vorgeschrieben waren. Solche Hilfen konnten keinesfalls die Erfüllung der Verpflichtungen aus den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 ersetzen.

188    Folglich ist das Verteidigungsmittel, mit dem die Tschechische Republik ein angebliches Nichtfunktionieren und eine angebliche Ineffektivität des in den Beschlüssen 2015/1523 und 2015/1601 vorgesehenen Umsiedlungsmechanismus geltend macht, zurückzuweisen.

189    Nach alledem ist festzustellen, dass

–        die Republik Polen vom 16. März 2016 an dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1523 und Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und folglich gegen ihre anschließenden Verpflichtungen zur Umsiedlung nach Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieser beiden Beschlüsse verstoßen hat, dass sie nicht in regelmäßigen Abständen, zumindest aber alle drei Monate, die entsprechende Zahl der internationalen Schutz beantragenden Personen angegeben hat, die schnell in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden konnten,

–        Ungarn vom 25. Dezember 2015 an dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und folglich gegen seine anschließenden Verpflichtungen zur Umsiedlung nach Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieses Beschlusses verstoßen hat, dass es nicht in regelmäßigen Abständen, zumindest aber alle drei Monate, die entsprechende Zahl der internationalen Schutz beantragenden Personen angegeben hat, die schnell in sein Hoheitsgebiet umgesiedelt werden konnten und

–        die Tschechische Republik vom 13. August 2016 an dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1523 und Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und folglich gegen ihre anschließenden Verpflichtungen zur Umsiedlung nach Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieser beiden Beschlüsse verstoßen hat, dass sie nicht in regelmäßigen Abständen, zumindest aber alle drei Monate, die entsprechende Zahl der internationalen Schutz beantragenden Personen angegeben hat, die schnell in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden konnten.

 Kosten

190    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

191    Da die Republik Polen in der Rechtssache C‑715/17 mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Kommission aufzuerlegen. Die Tschechische Republik und Ungarn, die dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Republik Polen als Streithelfer beigetreten sind, tragen ihre eigenen Kosten.

192    Da Ungarn in der Rechtssache C‑718/17 mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm entsprechend dem Antrag der Kommission neben seinen eigenen Kosten die Kosten der Kommission aufzuerlegen. Die Tschechische Republik und die Republik Polen, die dem Rechtsstreit zur Unterstützung Ungarns als Streithelfer beigetreten sind, tragen ihre eigenen Kosten.

193    Da die Tschechische Republik in der Rechtssache C‑719/17 mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Kommission aufzuerlegen. Ungarn und die Republik Polen, die dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Tschechischen Republik als Streithelfer beigetreten sind, tragen ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Rechtssachen C715/17, C718/17 und C719/17 werden zu gemeinsamem Urteil verbunden.

2.      Die Republik Polen hat vom 16. März 2016 an dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses (EU) 2015/1523 des Rates vom 14. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland und Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses (EU) 2015/1601 des Rates vom 22. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland und folglich gegen ihre anschließenden Verpflichtungen zur Umsiedlung nach Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieser beiden Beschlüsse verstoßen, dass sie nicht in regelmäßigen Abständen, zumindest aber alle drei Monate, die entsprechende Zahl der internationalen Schutz beantragenden Personen angegeben hat, die schnell in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden konnten.

3.      Ungarn hat vom 25. Dezember 2015 an dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und folglich gegen seine anschließenden Verpflichtungen zur Umsiedlung nach Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieses Beschlusses verstoßen, dass es nicht in regelmäßigen Abständen, zumindest aber alle drei Monate, die entsprechende Zahl der internationalen Schutz beantragenden Personen angegeben hat, die schnell in sein Hoheitsgebiet umgesiedelt werden konnten.

4.      Die Tschechische Republik hat vom 13. August 2016 an dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1523 und Art. 5 Abs. 2 des Beschlusses 2015/1601 und folglich gegen ihre anschließenden Verpflichtungen zur Umsiedlung nach Art. 5 Abs. 4 bis 11 dieser beiden Beschlüsse verstoßen, dass sie nicht in regelmäßigen Abständen, zumindest aber alle drei Monate, die entsprechende Zahl der internationalen Schutz beantragenden Personen angegeben hat, die schnell in ihr Hoheitsgebiet umgesiedelt werden konnten.

5.      Die Republik Polen trägt neben ihren eigenen Kosten in den Rechtssachen C715/17, C718/17 und C719/17 die Kosten der Kommission in der Rechtssache C715/17.

6.      Ungarn trägt neben seinen eigenen Kosten in den Rechtssachen C715/17, C718/17 und C719/17 die Kosten der Kommission in der Rechtssache C718/17.

7.      Die Tschechische Republik trägt neben ihren eigenen Kosten in den Rechtssachen C715/17, C718/17 und C719/17 die Kosten der Kommission in der Rechtssache C719/17.

Unterschriften


*      Verfahrenssprachen: Tschechisch, Ungarisch und Polnisch.