Language of document : ECLI:EU:C:2007:487

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

DÁMASO RUIZ-JARABO COLOMER

vom 6. September 20071(1)

Rechtssache C‑337/06

Bayerischer Rundfunk,

Deutschlandradio,

Hessischer Rundfunk,

Mitteldeutscher Rundfunk,

Norddeutscher Rundfunk,

Radio Bremen,

Rundfunk Berlin-Brandenburg,

Saarländischer Rundfunk,

Südwestrundfunk,

Westdeutscher Rundfunk,

Zweites Deutsches Fernsehen

gegen

GEWA - Gesellschaft für Gebäudereinigung und Wartung mbH

(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf [Deutschland])

„Öffentliche Aufträge – Öffentlicher Auftraggeber – Vergabe von Reinigungsdienstleistungen ohne förmliche europaweite Ausschreibung durch eine Vereinigung von Rundfunkanstalten, die indirekt durch den Staat finanziert werden“





I –    Einleitung

1.        Den Rundfunk als ein Informationsmittel anzusehen hieße, ihn auf seinen charakteristischsten Aspekt zu reduzieren und dabei andere von größerer Tragweite zu übergehen, die sich aus der soziokulturellen Bedeutung ergeben, die er im Lauf seiner Geschichte gewonnen hat. In den westlichen Gesellschaften scheint die Verbindung dieser Kommunikationssysteme mit dem erreichten materiellen Wohlstand die römische Maxime panem et circenses wieder aufleben zu lassen, mit der sich der lateinische Dichter Juvenal (2) über den anpassungsfähigen Müßiggang des römischen Volkes und sein Desinteresse an politischen Angelegenheiten lustig machte(3). Man könnte diesen Ausspruch auf heute übertragen, indem man das Brot durch Komfort und die römischen Zirkusspiele durch das Fernsehen ersetzt.

2.        Niemand bestreitet mehr die enorme Anziehungskraft der Bilder, die bis in die geheimsten Winkel der Privatsphäre eindringen können; um zu verhindern, dass wie in Vorahnungen wie der von George Orwell in seinem Roman 1984(4) die audiovisuelle Technik in eine Maschine im Dienst der Propaganda verwandelt wird, geben sich die Regierungen daher größte Mühe, Vorsichtsmaßregeln zu entwerfen, die einen gewissen Grad an Objektivität und Unabhängigkeit zumindest im öffentlichen Rundfunk garantieren.

3.        Die drei Fragen, die das Oberlandesgericht Düsseldorf dem Gerichtshof vorgelegt hat, fügen sich ein in diesen Kontext des Kampfs für einen leistungsfähigen und mit den Erfordernissen des Rechtsstaats, insbesondere mit seiner die Vielfalt der politischen Wahlmöglichkeiten repektierenden Neutralität, in Einklang stehenden öffentlichen Rundfunk. Wie sich dem Vorlagebeschluss entnehmen lässt, stützt sich diese Garantie in Deutschland großenteils darauf, dass den öffentlichen Rundfunkanstalten der Auftrag erteilt wird, ihre Mittel, die aus der Verpflichtung zu einer bestimmten, allein an den Umstand des Bereithaltens eines Radio- oder Fernsehgerätes geknüpften Abgabe stammen, einzuziehen und zu verwalten.

4.        Diese Form der indirekten Finanzierung, die sich aus einem unbestrittenen öffentlichen Auftrag herleitet, führt zu der Frage, ob diese Rundfunkanstalten als „öffentliche Auftraggeber“ im Sinne der gemeinschaftlichen Richtlinien auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens anzusehen sind, oder ob sie im Gegenteil nicht unter diese Kategorie fallen und von den Ausschreibungsverfahren befreit bleiben.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

5.        Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht sowohl Art. 1 Abs. 9 – für den persönlichen Anwendungsbereich – als auch, bezüglich des sachlichen Anwendungsbereichs, Art. 16 Buchst. b der Richtlinie 2004/18/EG(5), mit der die Ausschreibungsregelungen für öffentliche Aufträge auf Gemeinschaftsebene kodifiziert wurden, herangezogen hat. Da die Frist für die Anpassung des nationalen Rechts an die Richtlinie ohne die entsprechende Umsetzung abgelaufen sei, seien nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die nationalen Regelungen im Licht einer neu gefassten Gemeinschaftsvorschrift auszulegen, selbst wenn diese nicht auf das streitige Beschaffungsverfahren anwendbar sei.

6.        Auch wenn man die Gründe des Oberlandesgerichts akzeptiert, ist hier auf die ursprüngliche Vorschrift des Art. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 92/50/EG(6) abzustellen, und zwar aus zwei Gründen: erstens weil es sich hierbei um die Grundsatzvorschrift handelt, die den deutschen Gesetzgeber bei der Angleichung seiner Rechtsordnung an die der Gemeinschaft geleitet hat und auf die folglich die nationale Regelung verweist, und zweitens weil die entsprechenden Regelungen der neu gefassten Richtlinie 2004/18 damit voll und ganz übereinstimmten.

7.        Um den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50 abzugrenzen, betrachtet deren Art. 1 Buchst. b, der sich in Abschnitt I („Allgemeine Vorschriften“) befindet, als öffentliche Auftraggeber

„…

de[n] Staat, Gebietskörperschaften, Einrichtungen des öffentlichen Rechts und Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen bestehen.“

Hierbei gilt als „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ jede Einrichtung,

„–      die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind, und

–      die Rechtspersönlichkeit besitzt und

–        die überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind“.

8.        Weiter bestimmt diese Vorschrift: „Die Verzeichnisse der Einrichtungen des öffentlichen Rechts und der Kategorien solcher Einrichtungen, die [diese] Kriterien erfüllen, sind in Anhang I der Richtlinie 71/305/EWG [(7)] enthalten. Diese Verzeichnisse sind so vollständig wie möglich und können nach dem Verfahren gemäß Artikel 30b der Richtlinie 71/305/EWG revidiert werden.“

9.        Art. 1 Buchst. a selbst zählt die Rechtsgeschäfte auf, die in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, unter ausdrücklichem Ausschluss von:

„…

iv)      Kauf, Entwicklung, Produktion oder Koproduktion von Programmen durch Rundfunk- oder Fernsehanstalten sowie die Ausstrahlung von Sendungen;

…“

B –    Nationales Recht

1.      Die Regelung über das öffentliche Auftragswesen

10.      Die Vorschriften über die Ausschreibung von Aufträgen der deutschen öffentlichen Verwaltung befinden sich im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen(8) (im Folgenden: GWB); Art. 1 Buchst. b der Richtlinie, der die öffentlichen Auftraggeber betrifft, findet seine nationale Entsprechung in § 98 Nr. 2 GWB:

„§ 98 Auftraggeber

Öffentliche Auftraggeber im Sinne dieses Teils sind:

1.      Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen,

2.      andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, wenn Stellen, die unter Nummer 1 oder 3 fallen, sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben. Das Gleiche gilt dann, wenn die Stelle, die einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat, unter Satz 1 fällt,

3.      Verbände, deren Mitglieder unter Nummer 1 oder 2 fallen,

…“

2.      Die Regelung über die Gebühr für den öffentlichen Rundfunk

11.      Dem Vorlagebeschluss zufolge ist die Finanzierung der Einrichtungen des öffentlichen Rundfunks in Deutschland in zwei Staatsverträgen zwischen dem Bund und den Ländern geregelt. Die Grundlagen der Rundfunkgebühr sind im Staatsvertrag über die Regelung des Rundfunkgebührenwesens (im Folgenden: RGebStV) vom 31. August 1991, geändert 1996, niedergelegt.

12.      Dessen § 2 sieht vor:

„(1)      Die Rundfunkgebühr besteht aus der Grundgebühr und der Fernsehgebühr. Ihre Höhe wird durch den Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag festgesetzt.

…“

13.      § 4 des Staatsvertrags bestimmt:

„(1)      Die Rundfunkgebührenpflicht beginnt mit dem ersten Tag des Monats, in dem ein Rundfunkempfangsgerät zum Empfang bereitgehalten wird.

(2)      …“

14.      § 7 des Staatsvertrags regelt die Verteilung der Einnahmen aus der Gebühr:

„(1)      Das Aufkommen aus der Grundgebühr steht der Landesrundfunkanstalt und in dem im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag bestimmten Umfang dem Deutschlandradio sowie der Landesmedienanstalt zu, in deren Bereich das Rundfunkempfangsgerät zum Empfang bereitgehalten wird.

2)      Das Aufkommen aus der Fernsehgebühr steht der Landesrundfunkanstalt und in dem im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag bestimmten Umfang der Landesmedienanstalt, in deren Bereich das Fernsehempfangsgerät zum Empfang bereitgehalten wird, sowie dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) zu. …

…“

15.      Das vorlegende Gericht führt aus, dass ein zweiter Staatsvertrag, der Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag (im Folgenden: RFinStV) vom 26. November 1996, die Höhe der Gebühren mit Zustimmungsbeschluss der Länderparlamente konkret festlegt.

16.      Die Prüfung und Ermittlung des Budgets der Rundfunkanstalten wurde nach §§ 2 bis 6 RFinStV der unabhängigen Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (im Folgenden: KEF) übertragen, die mindestens alle zwei Jahre einen Bericht erstellt, auf den die Gebührenentscheidung der Länderparlamente und Landesregierungen gestützt wird (§ 3 Abs. 5 i. V. m. § 7 Abs. 2 RFinStV).

17.      Gemäß einer nach § 4 Abs. 7 RGebStV mit Genehmigung der Landesregierung erlassenen Satzung über das Verfahren zur Leistung der Gebühren des Westdeutschen Rundfunks Köln vom 18. November 1993 ziehen die Rundfunkanstalten der jeweiligen Länder die Gebühren bei den Bürgern über die Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden: GEZ) im Wege hoheitlichen Handelns ein.

III – Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen

18.      Beschwerdeführer vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf sind die Rundfunkanstalten der Länder, Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (im Folgenden: ARD), die durch Staatsvertrag vom 6. Juni 1961 errichtete öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt ZDF und das Deutschlandradio (im Folgenden zusammen: Rundfunkanstalten).

19.      Diese Einrichtungen gründeten im Jahr 2002 die GEZ als öffentlich-rechtliche Verwaltungsgemeinschaft mit der Aufgabe, die den jeweiligen Rundfunkanstalten der Länder zustehenden Gebühren einzuziehen und abzurechnen. Diese hat keine eigene Rechtspersönlichkeit, sondern handelt im Namen und für Rechnung der jeweiligen Rundfunkanstalt.

20.      Im August 2005 forderte die GEZ nach vorheriger Marktsondierung elf Unternehmen schriftlich auf, verbindliche Angebote abzugeben für die Durchführung von Reinigungsdienstleistungen in ihren Gebäuden und der Kantine des Westdeutschen Rundfunks (einer zur ARD gehörenden Rundfunkanstalt) in Köln im Zeitraum vom 1. März 2006 bis zum 31. Dezember 2008, wobei eine stillschweigende Vertragsverlängerung um jeweils ein Jahr vorgesehen war. Der geschätzte Auftragswert betrug mehr als 400 000 Euro. Ein gemeinschaftsweites Vergabeverfahren entsprechend den nationalen Vorschriften und der einschlägigen Richtlinie wurde nicht durchgeführt.

21.      Die Gesellschaft für Gebäudereinigung und Wartung mbH (im Folgenden: GEWA), Antragstellerin vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf, und der Beigeladene, Herr Warnecke, gaben auf den Aufruf der GEZ hin jeweils ein Angebot ab. Das der GEWA hatte von allen Angeboten den niedrigsten Preis. Mit Beschluss vom 9. November 2005 entschied der Verwaltungsrat der Gebühreneinzugszentrale, mit vier Bietern Verhandlungen aufzunehmen, zu denen auch die Antragstellerin und der Beigeladene gehörten. Ferner beschloss er, die Wirtschaftlichkeit der Angebote unter Verwendung der Kepner‑Tregoe-Methode, die für die Kriterien der technisch-fachlichen Wertung, der kaufmännischen Wertung und der Risikobeurteilung bestimmte Werte festlegt, im Detail zu analysieren. Nach dieser Wertung belegte das Angebot der Antragstellerin den dritten und das des Beigeladenen den ersten Rang.

22.      Die GEZ teilte der GEWA telefonisch mit, dass sie den Auftrag nicht erhalten habe. Mit Schreiben vom 14. November 2001 rügte diese, dass die GEZ als öffentliche Auftraggeberin gegen Vergaberecht verstoßen habe, indem sie den Reinigungsauftrag nicht gemeinschaftsweit ausgeschrieben habe. Die GEZ half der Rüge nicht ab.

23.      Daraufhin reichte die GEWA einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer der Bezirksregierung Köln ein, in dem sie die GEZ als Antragsgegnerin bezeichnete. Sie begehrte, die Einzugszentrale zu verpflichten, die Reinigungsarbeiten in einem förmlichen Verfahren nach dem Vierten Teil des GWB zu vergeben und hilfsweise eine neue Wertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen.

24.      Die GEZ sei als Teil der Rundfunkanstalten ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB, da diese Anstalten überwiegend durch die Gebühren der Bürger finanziert würden und da die offensichtlich öffentlich-rechtliche Grundversorgung mit Radio und Fernsehen eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht gewerblicher Art sei.

25.      Art. 1 Buchst. b Ziff. iv der Richtlinie 92/50 schließe lediglich die Dienstleistungen Kauf, Entwicklung, Produktion oder Koproduktion von Programmen durch Rundfunk- oder Fernsehanstalten und die Ausstrahlung von Sendungen aus, die vom Gegenstand der im Ausgangsverfahren streitigen Dienstleistung klar verschieden seien.

26.      Mit Beschluss vom 13. Februar 2006 gab die Vergabekammer dem Nachprüfungsantrag der GEWA statt und erlegte der GEZ und den Rundfunkanstalten für den Fall, dass sie an ihrem Auftrag festhalten wollten, auf, sich an das Vergaberecht sowie die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz zu halten und eine europaweite Ausschreibung zu veröffentlichen.

27.      Die Rundfunkanstalten der Länder beantragten im Wege der Beschwerde die Aufhebung dieses Beschlusses, weil der von der Antragstellerin gegen die GEZ gerichtete Antrag unzulässig oder jedenfalls unbegründet sei. Sie seien als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten keine öffentlichen Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB, weil die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überwiegend durch die Gebühren der Teilnehmer erfolge.

28.      Es fehle an der staatlichen Aufsicht des § 98 Nr. 2 GWB, weil nur eine subsidiäre und eingeschränkte Rechtsaufsicht durchgeführt werde. Zudem repräsentierten die Mitglieder der Verwaltungsräte der Rundfunkanstalten verschiedene gesellschaftlich relevante Gruppen. Das Fehlen einer Mehrheitsbildung in den Rundfunkräten schließe jeden staatlichen Einfluss bei der Vergabe öffentlicher Aufträge aus.

29.      Die GEWA verteidigt dagegen den Beschluss der Vergabekammer.

30.      Da er der Auffassung ist, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung des Art. 1 der Richtlinie [92/50] abhängt, hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 Abs. 1 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist das Tatbestandsmerkmal der „Finanzierung durch den Staat“ des Art. 1 [Buchst. b Abs. 2 dritter Gedankenstrich erste Alternative der Richtlinie 92/50] dahin auszulegen, dass es aufgrund einer dem Staat obliegenden verfassungsrechtlichen Gewährsgarantie für die unabhängige Finanzierung und Existenz der Einrichtungen eine mittelbare Finanzierung von Einrichtungen durch eine Gebührenzahlung durch diejenigen, die Rundfunkgeräte bereithalten, umfasst?

2.      Falls die erste Vorlagefrage mit Ja zu beantworten ist: Ist Art. 1 [Buchst. b Abs. 2 dritter Gedankenstrich erste Alternative der Richtlinie 92/50] dahin auszulegen, dass das Tatbestandsmerkmal der „Finanzierung durch den Staat“ die Eröffnung eines direkten Einflusses des Staates bei der Vergabe von Aufträgen durch die staatlich finanzierte Einrichtung verlangt?

3.      Falls die zweite Vorlagefrage mit Nein zu beantworten ist, ist Art. 1 [Buchst. b Abs. 2 dritter Gedankenstrich erste Alternative der Richtlinie 92/50] im Licht des Art. 1 Buchst. a Ziff. iv dahin auszulegen, dass nur die in Art. 1 Buchst. a Ziff. iv genannten Dienstleistungen dem Anwendungsbereich der Richtlinie entzogen sind und andere Dienstleistungen, die nicht programmspezifischer Art sind, sondern Hilfs- und Unterstützungscharakter haben, dem Anwendungsbereich der Richtlinie unterliegen (argumentum e contrario)?

IV – Das Verfahren vor dem Gerichtshof

31.      Der Vorlagebeschluss ist am 7. August 2006 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen worden.

32.      Die GEWA, die Rundfunkanstalten, die deutsche, die polnische und die österreichische Regierung, die EFTA-Überwachungsbehörde und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

33.      In der mündlichen Verhandlung am 14. Juni 2007 sind die Vertreter der Rundfunkanstalten und der GEWA sowie die Bevollmächtigten der deutschen Regierung, der EFTA-Überwachungsbehörde und der Europäischen Kommission erschienen, um mündliche Ausführungen zu machen.

V –    Untersuchung der Vorlagefragen

A –    Vorab zu treffende Abgrenzungen

34.      Obwohl das vorlegende Gericht drei Fragen formuliert hat, erscheint es angebracht, die ersten zwei zusammen zu behandeln(9), da beide den persönlichen Anwendungsbereich und Art. 1 Buchst. b Abs. 2 dritter Gedankenstrich erste Alternative der Richtlinie 92/50 betreffen(10).

35.      Die deutschen Rundfunkanstalten tragen vor, dass sie nicht mit öffentlichen Mitteln finanziert würden, und machen eine Analogie zwischen dem Vergaberecht, das Gegenstand dieses Rechtsstreits ist, und den die staatlichen Beihilfen betreffenden Art. 87 EG und 88 EG geltend, die eine Zahlung „aus staatlichen Mitteln“ voraussetzen.

36.      Ich glaube allerdings, wie auch die Kommission zutreffend ausgeführt hat, dass weder die unterschiedliche Natur der beiden Regelungen noch der mit ihnen verfolgte Zweck einen derart gewagten Vergleich rechtfertigen, denn während der EG-Vertrag im Fall der Beihilfen darauf abzielt, jede ungerechtfertigte, durch den Einsatz öffentlicher Gelder hervorgerufene Wettbewerbsverzerrung in einem konkreten Markt zu verhindern, geht es bei Ausschreibungen um die Subsumtion einer Einrichtung unter den Begriff „öffentlicher Auftraggeber“, um zu bestimmen, ob sie den Ausschreibungsverfahren unterliegt.

37.      Somit fehlt es an der „Identität des Gesetzeszwecks“ dieser beiden Rechtsgebiete, so dass eine Analogie nicht in Betracht kommt.

38.      Schließlich ist die Prüfung der dritten Frage, obwohl sie für die Frage der Qualifizierung der deutschen Rundfunkanstalten als öffentliche Auftraggeber nicht relevant ist, wie diese selbst in ihrer schriftlichen Stellungnahme vorbringen, in gewisser Weise von Nutzen, wenn die erste mit Ja und die zweite mit Nein beantwortet wird; denn das Oberlandesgericht zielt mit den Ersuchen um Auslegung von Art. 1 Buchst. a Ziff. iv der Richtlinie 92/50 darauf ab, den sachlichen Anwendungsbereich klären zu lassen, was sinnvoll ist, auch wenn er offensichtlich zu sein scheint.

B –    Zur ersten und zur zweiten Vorlagefrage

39.      Die Auseinandersetzung betrifft das deutsche Modell der Ausstattung der Rundfunkeinrichtungen mit finanziellen Mitteln. Es sind daher die wesentlichen Merkmale des Systems zu untersuchen, um festzustellen, ob die Einnahmen dieser Anstalten gemäß der Richtlinie 92/50 und der Rechtsprechung des Gerichtshofs „staatlich“ sind.

1.      Eine durch öffentlich-rechtliche Normen geregelte Zahlungspflicht

40.      Die Rundfunkanstalten bringen vor, dass die Zahlung der Gebühr im Belieben des Nutzers stehe, der die Zahlung vermeiden könne, indem er auf jedes Empfangsgerät verzichte. Die deutsche Regierung teilt diese Überlegung und vertritt die Auffassung, dass es ein direktes Schuldverhältnis zwischen den Rundfunkanstalten und dem Nutzer gebe, das die Staatshaushalte nicht betreffe, da die GEZ die Gebühren einziehe, das eingezogene Geld aber nicht in die Staatskasse einzahle. Sowohl die Rundfunkanstalten als auch die deutsche Regierung verneinen daher eine Finanzierung „durch den Staat“ in diesem Fall.

41.      Jedoch sind die Alternativen des Art. 1 Buchst. b Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 92/50 als eine Vermutung aufzufassen, die von einer überwiegend öffentlichen Finanzierung abhängt. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, wird eine Verbindung vermutet, weshalb das Vorliegen weiterer Anwendungsvoraussetzungen, wie z. B. dass die Finanzierung zu einem direkten Einfluss des Staates bei der Vergabe öffentlicher Aufträge führt, nicht verlangt wird. Die Prüfung dieser Voraussetzung betrifft die zweite Alternative, die der Kontrolle, da sie es erlaubt, deren Intensität zu messen(11).

42.      Außerdem wird diese Überlegung untermauert durch die im Urteil University of Cambridge getroffene Unterscheidung zwischen Beträgen, die mit oder ohne Gegenleistung gezahlt werden(12), denn sie sollte nur als Richtschnur für das vorlegende Gericht für die Feststellung dienen, ob die genannte Prämisse für die Vermutung, d. h. die überwiegend öffentliche Finanzierung, gegeben ist.

43.      Aus den beiden vorstehenden Nummern ergibt sich, dass die zweite Frage, so wie sie das Oberlandesgericht formuliert hat, nicht sachdienlich ist und dass es sich anbietet, sie zusammen mit der ersten Frage zu behandeln.

44.      Was den Kern der Rechtssache angeht, so steht im vorliegenden Rechtsstreit fest, dass die Gebühr durch öffentlich-rechtliche Verträge („Staatsverträge“) eingeführt wurde, nämlich den Staatsvertrag über die Rundfunkgebühren und den über die Rundfunkfinanzierung(13).

45.      Ebensowenig wird bestritten, dass ein „Staatsvertrag“ in der deutschen Rechtsordnung ein Akt des öffentlichen Rechts ist(14).

46.      Folglich gehört das Rechtsverhältnis, das den Besitzer eines Fernseh- oder eines Radiogeräts mit den Rundfunkanstalten verbindet, zum Bereich des öffentlichen Rechts und stellt quasi eine Abgabe dar, da die Zahlungspflicht durch den bloßen Besitz eines Empfängers für Radio- oder Fernsehwellen entsteht, welcher einen jede Abgabenerhebung kennzeichnenden echten „Steuertatbestand“ bildet, bei dem der Fernsehzuschauer zu einem passiven Subjekt wird. Wie diese Belastung im nationalen Recht bezeichnet wird, ist im Übrigen nicht von Bedeutung(15).

47.      Somit sind sowohl der Betrieb als auch die Existenz der Rundfunkanstalten mit dem Tätigwerden des Gesetzgebers verbunden, was höchster Ausdruck der Staatsunterworfenheit ist; daher ist die Erwähnung der überwiegenden Finanzierung durch den Staat als erste Alternative der zu untersuchenden Bestimmung auch keineswegs zufällig, sondern entspricht dem Gedanken, dass die wirtschaftliche Unterordnung der Ausdruck schlechthin jener „engen Verbindung einer Einrichtung mit dem Staat“ ist, die der Gerichtshof anspricht(16). Hier dürfte der berühmte Satz „drei berichtigende Worte des Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zur Makulatur“(17) des deutschen Juristen von Kirchmann angebracht sein, mit dem er anprangert, dass die Jurisprudenz nicht zu den Wissenschaften gehört, und der auch die Macht der Legislative verdeutlicht.

48.      Nach alledem zeichnet sich der öffentlich-rechtliche Charakter der durch die GEZ einkassierten Mittel der Rundfunkanstalten ab. Darüber hinaus erkennt ein Autor dieser Einzugszentrale trotz ihrer fehlenden Rechtspersönlichkeit die Eigenschaft einer staatlichen Einrichtung zu, wobei er auf ihre Befugnis abstellt, die Gebühr im Wege des Verwaltungs(zwangs)verfahrens zu erheben und beizutreiben(18); beides seien typische Vorrechte der Ausübung von mit der staatlichen Souveränität verbundenen Funktionen, was ihren öffentlich-rechtlichen Charakter verstärke.

49.      Jedoch ist dieser Charakter zwar ein wichtiges Indiz, aber, wie die Rundfunkanstalten vortragen, kein eindeutiger Beweis für eine Finanzierung durch den Staat, so dass weitere Besonderheiten des deutschen Systems zur Finanzierung des staatlichen Rundfunks zu prüfen sind.

2.      Eine indirekte Finanzierung

50.      Die Rundfunkanstalten und die deutsche Regierung sind gemeinsam der Auffassung, dass die Richtlinie 92/50 nur auf Zahlungen anzuwenden ist, die direkt aus den Staatshaushalten erbracht werden(19), und nicht auf die mittelbar durch eine öffentliche Stelle oder einen anderen öffentlichen Auftraggeber durchgeführte Übertragung von Finanzmitteln. Außerdem machen sie geltend, dass im vorliegenden Fall die Zahlung der Gebühr ausschließlich zwischen dem Nutzer und den Rundfunkanstalten stattfinde, ohne jedes Eingreifen des Staates, der an diesem Kapitalfluss nicht beteiligt sei.

51.      Dieser Ansicht kann ich ganz und gar nicht zustimmen.

52.      Erstens legt die deutsche Regierung den Schwerpunkt auf eine allzu vereinfachende, auf die Übertragung abstellende Bedeutung von Finanzierung, die nur die Auszahlung, den Scheck, die Banküberweisung oder den körperlichen Transport von Geldsäcken in einem gepanzerten Fahrzeug von der Staatskasse bis zum Sitz der subventionierten Einrichtung umfassen würde.

53.      Abgesehen davon, dass es keinen wesentlichen Unterschied macht, ob der Staat die Gebühren einzieht, um sie danach den finanzierten Einrichtungen zu übergeben oder ob er ihnen das Recht zur Gebührenerhebung einräumt(20), darf nicht übersehen werden, dass der Staat selbst die Grundlagen für die Erhebung der Gebühr schafft, indem er die Zahlungspflicht einführt und die Höhe der Zahlung festlegt, zwar mittels einer unabhängigen Kommission, der KEF, aber unter dem Vorbehalt der Genehmigung oder möglicher Änderungen durch die Länder, die das letzte Wort behalten(21).

54.      Zweitens beschränkt sich Art. 1 Buchst. b Abs. 2 dritter Gedankenstrich erste Alternative der Richtlinie 92/50 nicht auf die direkten Finanzierungsarten, denn das Verb „finanzieren“ erhält seine einzige nähere Bestimmung durch das Adverb „überwiegend“ („mayoritariamente“ auf Spanisch, „majoritairement“ auf Französisch und „for the most part“ auf Englisch), und es wird kein Hinweis darauf gegeben, in welcher Form – direkt oder indirekt – die Finanzmittel für die subventionierten Einrichtungen aufzubringen sind.

55.      Schließlich gibt es auch einen impliziten Rückhalt in der Rechtsprechung für die Möglichkeit einer indirekten wirtschaftlichen Unterstützung durch den Staat. Denn der Gerichtshof hat in Bezug auf die zweite Alternative des dritten Gedankenstrichs der Bestimmung die Möglichkeit einer mittelbaren staatlichen Kontrolle anerkannt(22), was auch auf die erste Alternative erstreckt werden könnte, insbesondere wenn man die Gleichwertigkeit der drei Alternativen berücksichtigt(23), auf die die deutsche Regierung zu Recht hingewiesen hat.

3.      Eine Finanzierung ohne Gegenleistung

56.      Das bereits angeführte Urteil University of Cambridge hat für die Definition der öffentlichen Finanzierung eine grundlegende Unterscheidung danach getroffen, ob die Einrichtung, die die Finanzhilfe empfängt, zu einer spezifischen Gegenleistung verpflichtet ist; denn die Voraussetzung der öffentlichen Finanzierung sei nur dann erfüllt, wenn es an einer solchen Gegenleistung fehle(24).

57.      Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung und unter Berufung auf ihre Auffassung, dass der Verbraucher unmittelbar an die Rundfunkanstalten zahlt, vertreten diese Einrichtungen und die deutsche Regierung die Ansicht, der Nutzer erhalte für diese Vergütung als spezifische Gegenleistung das Recht zum Empfang von Bildern und Wellen des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Radios; hierauf gestützt verneinen sie den öffentlichen Charakter der streitigen Finanzierung(25).

58.      Um dieses Vorbringen zu widerlegen, würde es zwar genügen, darauf hinzuweisen, dass die durch die Fernsehgebühr erzeugten Einnahmen angesichts ihres normativen Ursprungs nicht privatrechtlicher Natur sind. Hiergegen könnte man aber einwenden, dass auch die Honorare der Architekten, Rechtsanwälte und Ärzte als mittelbare öffentliche Ausgaben im Sinne der Richtlinien über Ausschreibungen anzusehen wären, wenn die gesetzliche Regelung der durch den Nutzer zu zahlenden Beträge bestimmend wäre für den öffentlichen Charakter der eingenommenen Mittel. Wenn aber in Anwendung des Arguments der Rundfunkanstalten und der deutschen Regierung bei der Prüfung der Alternative der öffentlichen Finanzierung allein auf den privaten Ursprung des Geldes abzustellen wäre, so könnten weder die Zahlungen an Patent- und Markenämter, noch die an Kataster- und Grundbuchämter, um nur einige der Einrichtungen zu nennen, bei denen der Betreffende die von der öffentlichen Verwaltung erbrachten Dienstleistungen direkt bezahlt, kurzum überhaupt keine Abgaben, als öffentliche Mittel gemäß der Richtlinie 92/50 bezeichnet werden.

59.      Selbst wenn vertreten würde, dass auch die öffentlichen Gelder im Austausch für die auf den staatlichen Radio- und Fernsehkanälen ausgestrahlten Programme gegeben werden, verliehe dies dem Argument nicht mehr Überzeugungskraft. Eine Verbindung, die der in normalen Geschäftsbeziehungen entspräche, wird durch die an die Rundfunkanstalten ausgeschütteten (öffentlichen) Beträge weder begründet noch verstärkt, da diese eine ergänzende Maßnahme(26) darstellen, auf der die Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen beruht, ohne dass der Staat einen Gegenwert in Form einer konkreten Leistung erwartet oder erhält.

60.      Im Ergebnis lehne ich nicht nur die Theorie ab, wonach die Zahlung der Gebühr dem Nutzer als Gegenleistung für den Zugang zu einem öffentlichen Programm auferlegt wird, sondern auch den Gedanken, dass der Staat die Dienstleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Gegenleistung für seine wirtschaftliche Unterstützung erhält.

4.      Eine wettbewerbsfreie Tätigkeit

61.      Auch wenn es nicht angebracht ist, näher darzulegen, was unter einer „Einrichtung des öffentlichen Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind“ zu verstehen ist(27), führen die österreichische Regierung und die EFTA-Überwachungsbehörde zu Recht die Prüfung der Wettbewerbssituation der Rundfunkanstalten in den Kontext dieses Vorabentscheidungsverfahrens ein.

62.      In Anbetracht des Struktur der Erhebung der Rundfunkgebühr, die in einem eigenen Gesetz geregelt ist und mit den erwähnten Vorrechten der Verwaltung durchgeführt wird (Festsetzung und mögliche Zwangsvollstreckung), kann nicht angenommen werden, dass die finanziellen Mittel, die zur Erfüllung der im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe einer von den Rundfunkanstalten zweifellos erbrachten öffentlichen Programmgestaltung bestimmt sind, in Abhängigkeit von den Marktbedingungen generiert werden. Die Geldmittel, mit denen sie durch die Abgabe ausgestattet werden, stammen also nicht aus einer in der Auseinandersetzung mit ihren Wettbewerbern ausgeübten Tätigkeit, sondern werden von der Allgemeinheit aufgebracht(28), ohne Rücksicht darauf, ob der Verbraucher ihr Angebot an audiovisuellen Programmen tatsächlich in Anspruch nimmt.

63.      Diese geschützte Form der Tätigkeit auf dem freien Markt befreit die Rundfunkanstalten von der Unsicherheit bezüglich ihrer Einnahmen, da für sie eine staatliche Garantie in Gestalt des durch die KEF festgelegten Budgets gilt. Auch wenn man die Ansicht, dass die Mittel privaten Ursprungs sind, für richtig hält, unterscheidet sich somit die Art und Weise, in der diese Einrichtungen auf den Fluss von Geldmitteln vertrauen können, nicht davon, dass ihnen das Kapital direkt vom Staat zur Verfügung gestellt wird.

64.      Auf die von mir in der mündlichen Verhandlung gestellten Frage hin, ob sich diese Finanzgarantie der Rundfunkanstalten, zu der der deutsche Staat von Verfassung wegen verpflichtet ist, auch auf die eingegangenen Verbindlichkeiten erstrecke(29), wies die deutsche Regierung eine solche Möglichkeit kategorisch zurück. Wie die Kommission bemerkt hat, stellt sich diese Frage allerdings nicht einmal, da die KEF den finanziellen Bedarf der Rundfunkanstalten regelmäßig ermittelt und ihn umfassend abdeckt; somit brauchen sie auch in der kritischen Lage der Insolvenz nicht auf private Kredite zurückzugreifen, was daher den öffentlichen Aspekt der Subvention verstärkt.

5.      Weitere Gesichtspunkte für die Beurteilung

65.      Aus alledem ergibt sich der öffentliche Charakter der die Arbeit der Rundfunkanstalten tragenden wirtschaftlichen Mittel. Einige Überlegungen sind dennoch hinzuzufügen.

66.      So verlangt, erstens, die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der autonome Begriff „öffentlicher Auftraggeber“ des Gemeinschaftsrechts funktionell(30) und weit(31) ausgelegt wird, unter Berücksichtigung des Zieles, die Gefahr einer Bevorzugung einheimischer Bieter oder Bewerber bei der Auftragsvergabe durch öffentliche Auftraggeber und die Möglichkeit, dass eine vom Staat finanzierte oder kontrollierte Stelle sich von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt(32), auszuschließen.

67.      In diesem Zusammenhang haben die Rundfunkanstalten in Beantwortung einer Frage, die ich ihnen in der mündlichen Verhandlung gestellt habe, erklärt, dass keines der elf von der GEZ wegen der Vorlage verbindlicher Angebote kontaktierten Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat angesiedelt sei. Diese Angabe allein zeigt, dass die Befürchtungen des Gemeinschaftsgesetzgebers nicht unbegründet waren.

68.      Zweitens betonen die Rundfunkanstalten in Übereinstimmung mit einem Teil der deutschen Rechtslehre(33) den Verfassungsauftrag der Unparteilichkeit, der sie vor jeder Einmischung der öffentlichen Gewalten in ihre Verwaltung schütze.

69.      Ohne auf die Vorzüge des Art. 5 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes näher eingehen zu müssen, mit dem die Errichtung eines öffentlichen Rundfunks von hoher Qualität gelungen ist, besteht kein Widerspruch zwischen diesem Auftrag und der in Rede stehenden Verpflichtung dieser Anstalten, die durch die gemeinschaftlichen Richtlinien geschaffenen Ausschreibungsverfahren zu beachten und zu befolgen.

70.      In den Erklärungen zu diesem Vorabentscheidungsverfahren ist nichts dafür vorgebracht worden, dass die Unterwerfung der Rundfunkanstalten unter die Modalitäten der Richtlinien ihre Neutralität gefährden könnte. Darüber hinaus sind die Rundfunkfreiheit und die Unparteilichkeit des Rundfunks nie Kriterien gewesen, um zu prüfen, ob Anstalten des öffentlichen Rechts die Eigenschaft eines öffentlichen Auftraggebers besitzen(34).

71.      Schließlich ist das absolute Übergewicht der Gebührenfinanzierung der Rundfunkanstalten gegenüber anderen Einnahmequellen, insbesondere der Werbung, unbestritten, so dass man in Anbetracht der dargelegten Erläuterungen zu dem Ergebnis kommt, dass die Form der Kostentragung der Fernsehanstalten die Voraussetzung der überwiegenden Finanzierung durch den Staat im Sinne von Art. 1 Buchst. b Abs. 2 dritter Gedankenstrich erste Alternative der Richtlinie 92/50 erfüllt.

6.      Antwort auf die erste und die zweite Vorlagefrage

72.      Im Licht der vorstehenden Überlegungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die erste und die zweite Frage des Oberlandesgerichts Düsseldorf wie folgt zu antworten: Eine indirekte Finanzierung von Einrichtungen durch eine Gebührenzahlung derjenigen, die Rundfunkempfänger bereithalten, ist eine Finanzierung im Sinne der in Rede stehenden Vorschrift, deren Prüfung ergibt, dass es nicht zulässig ist, zu verlangen, dass zusätzliche Tatbestandsmerkmale, wie z. B. ein direkter Einfluss des Staates bei der Vergabe von Aufträgen durch die staatlich finanzierte Einrichtung, vorliegen.

C –    Zur dritten Vorlagefrage

73.      Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Anwendungsbereich des Art. 1 Buchst. a Ziff. iv der Richtlinie 92/50 Dienstleistungen mit Hilfs- und Unterstützungscharakter umfasst, die keinen spezifischen Bezug zur Programmgestaltung haben.

74.      Ich habe bereits auf den Nutzen der Antwort für die Frage hingewiesen, ob die Rundfunkanstalten die Voraussetzung erfüllen, „öffentliche Auftraggeber“ zu sein. Mit seinem Ersuchen um die Auslegung dieser Bestimmung zielt das Oberlandesgericht auf eine Präzisierung von deren sachlichem Anwendungsbereich ab, um festzustellen, ob die Dienstleistung der Reinigung von Räumlichkeiten dieser Einrichtungen hiervon ausgenommen ist.

75.      Der Wortlaut der Vorschrift ist so klar, dass es genügen würde, auf den Grundsatz in claris non fit interpretatio zu verweisen. Sie befreit in Bezug auf Verträge, die einen engen Bezug zum Inhalt der Radio- und Fernsehprogramme haben (Kauf, Entwicklung, Produktion und Koproduktion sowie Ausstrahlung von Sendungen) von der Verpflichtung zur Durchführung des Vergabeverfahrens.

76.      Da es sich um eine Ausnahme von der allgemeinen Regel handelt, ist sie restriktiv auszulegen, so dass jedes Rechtsgeschäft über eine darin nicht ausdrücklich genannte Tätigkeit nur nach einer öffentlichen Ausschreibung zustande kommen darf.

77.      Die Entwicklung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften, wie sie sich aus dem Vergleich der Erwägungsgründe der Richtlinien 92/50 und 2004/18 ergibt, scheint diese Schlussfolgerung zu bestätigen. So nuanciert der 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18 den knapp gefassten elften Erwägungsgrund der Richtlinie 92/50, indem der Schutz auf „andere Vorbereitungsdienste … wie z. B. Dienste im Zusammenhang mit den für die Programmproduktion erforderlichen Drehbüchern oder künstlerischen Leistungen“ erstreckt wird. Dafür bezieht er die „Bereitstellung des … erforderlichen technischen Materials” für die Herstellung dieser Programme nicht ein.

78.      Wenn folglich die speziellen Arbeitsmittel nicht unter die Ausnahme fallen, kann sie auch nicht für die Reinigungsdienstleistungen in den Gebäuden der Rundfunkanstalten gelten.

79.      Zusammengefasst spricht sowohl die grammatische als auch die authentische Auslegung für die Anwendung des argumentum e contrario bei der Definition des sachlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie 92/50 in Bezug auf von deutschen Rundfunkanstalten vergebene Aufträge.

80.      Ich erlaube mir eine letzte Bemerkung, da die Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Garantie der Unparteilichkeit der deutschen Rundfunkeinrichtungen besser im Zusammenhang mit dieser Vorschrift zu suchen ist als in dem der Art ihrer Finanzierung(35); daher hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die Ausnahme für die Programme zur Berücksichtigung kultureller oder gesellschaftspolitischer Erwägungen vorgesehen, wie es im 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18 heißt.

VI – Ergebnis

81.      Aus all diesen Gründen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Oberlandesgericht Düsseldorf vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      Das Tatbestandsmerkmal der „Finanzierung durch den Staat“ des Art. 1 Buchst. b Abs. 2 dritter Gedankenstrich erste Alternative der Richtlinie 92/50/EWG vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass es eine mittelbare Finanzierung von Einrichtungen durch eine Gebührenzahlung durch diejenigen, die Rundfunkgeräte bereithalten, umfasst, ohne dass weitere Voraussetzungen, wie z. B. ein direkter Einfluss des Staates bei der Vergabe von Aufträgen durch die staatlich finanzierte Einrichtung, vorliegen müssen.

2.      Art. 1 Buchst. a Ziff. iv der Richtlinie 92/50 entzieht deren Anwendungsbereich nur die in dieser Vorschrift genannten Dienstleistungen; andere Dienstleistungen mit Hilfs- und Unterstützungscharakter, die nicht programmspezifischer Art sind, unterliegen dem Anwendungsbereich der Richtlinie.


1 – Originalsprache: Spanisch.


2 – Decimus Iunius Iuvenalis (wahrscheinlich zwischen 55 und 60 in Aquinum geboren und mit aller Gewissheit erst nach 127 gestorben), Verfasser der „Satiren“, zu dem es keine anderen biografischen Hinweise gibt als die vereinzelten Angaben in seinem eigenen Werk. Wegen seiner Kritiken an der Obrigkeit wurde er am Ende seines Lebens irgendwann verbannt, vielleicht wegen einer Anspielung in einem seiner Werke der Dichtkunst, das sich auf Titus Aelius Alcibiades, einen Hofmarschall des Kaisers Hadrian, bezieht; Juvenal, Sátiras, Consejo Superior de Investigaciones Científicas; Übersetzung, Einführung und Anmerkungen von B. Segura Ramos, Madrid 1996, S. XIV.


3 – „… dasselbe Volk … Schon lange, seit wir unsere Stimmen niemandem mehr verkaufen, kümmert sich die Menge um nichts: das Volk, das einst Imperium, die Faszes, die Armee, kurz, alles verlieh, hält sich zurück jetzt: nach zwei Dingen lechzt es nur – nach Brot und Spielen. …“ 10. Satire, Verse 74-81 [deutsche Übersetzung von Harry C. Schnur, aus: Juvenal, Satiren, Reclam Universal-Bibliothek Nr. 8598].


4 – Dieser Roman, der 1948 nach dem Trauma des Zweiten Weltkriegs geschrieben wurde, wird im Allgemeinen nicht als Streitschrift gegen den Totalitarismus eingeordnet, sondern als Warnung vor der Subtilität, mit der sich ein solches Regime einrichten kann, indem es die Kommunikationsmedien manipuliert. G. Orwell, 1984, Ed. Destino S.A., Madrid, 1997.


5 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114).


6 – Richtlinie des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1).


7 – Richtlinie Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 185, S. 5).


8 – Seit 1. Januar 1999 ist die Fassung des Gesetzes nach der sechsten Änderung durch das Gesetz 703-4/1 vom 26. August 1998 (BGBl. I S. 2521) in Kraft.


9 – Diesen Standpunkt nehmen die österreichische Regierung und, beide Fragen gleichwohl getrennt prüfend, auch die polnische Regierung ein.


10 – Die Wahl dieser Vorschrift wird in den Nrn. 5 und 6 dieser Schlussanträge erläutert.


11 – Urteil vom 1. Februar 2001, Kommission/Frankreich (C‑237/99, Slg. 2001, I‑939, Randnrn. 48 ff.).


12 – Urteil vom 3. Oktober 2000 (C‑380/98; Slg. 2000, I‑8035), Randnrn. 22 bis 25.


13 – Nrn. 11 ff. dieser Schlussanträge.


14 – Vgl. für die Lehre dieses Landes: Maurer, H., Allgemeines Verwaltungsrecht, 12., revidierte und erweiterte Auflage, C. H. Beck, München 1999, S. 352 ff.


15 – Während die deutsche Regierung bemerkt, dass der Begriff „Gebühr“ nicht geeignet sei, eine Zahlungspflicht zu benennen, schreibt ein Teil der Lehre ihn als „Abgabe“ dem Steuerrecht zu; Boesen, A., Vergaberecht: Kommentar zum 4. Teil des GWB, Bundesanzeiger Verlag, 1. Aufl., Köln 2000, S. 151, Nr. 73.


16 – Urteile University of Cambridge, Randnr. 20, und Kommission/Frankreich, Randnr. 44.


17 – Von Kirchmann, J.-H., Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, ins Spanische übertragen und mit einem Vorwert versehen von Antonio Truyol y Sierra, Instituto de Estudios Políticos, Madrid, 1949, S. 54.


18 – Frenz, W., „Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten als Beihilfeempfänger und öffentliche Auftraggeber“, in: WRP – Wettbewerb in Recht und Praxis, 3/2007, S. 269.


19 – Dreher, M. „Öffentlich-rechtliche Anstalten und Körperschaften im Kartellvergaberecht“, NZBau – Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergabe, 6/2005, S. 302.


20 – Opitz, M., „Vergaberechtliche Staatsgebundenheit des öffentlichen Rundfunks?“, NVwZ – Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Nr. 9/2003, S. 1090.


21 – Frenz, W., a. a. O., S. 272. In ihrer Erklärung erwähnen die Rundfunkanstalten eine beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfassungsbeschwerde, die gegen eine Entscheidung der Länder gerichtet ist, mit der die vorgeschlagene Gebührenerhöhung verringert wurde.


22 – Urteil vom 17. Dezember 1998, Connemara Machine Turf (C‑306/97, Slg. 1998, I‑8761, Randnr. 34).


23 – Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 49.


24 – Randnr. 21 des Urteils.


25 – Hailbronner, K., „Öffentliches Auftragswesen“, in Grabitz, E./Hilf, M., Das Recht der Europäischen Union, C. H. Beck, München, 2006, B 4, S. 22, Nr. 121.


26 – Vgl. Urteil University of Cambridge, Randnr. 25.


27 – Urteil vom 10. November 1998, BFI Holding (C‑360/96, Slg. 1998, I‑6821, Randnrn. 48 bis 50).


28 – Seidel, I., „Öffentliches Auftragswesen“, in: Dauses, M., Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, C.H. Beck, München 2006, S. 27, Nr. 82; Boesen, A, a. a. O., S. 152.


29 – Bis jetzt wurde das Erfordernis eines öffentlichen Mechanismus für den Ausgleich von Verbindlichkeiten nur im Rahmen der Prüfung von Art. 1 Buchst. b Abs. 2 Erster Gedankenstrich der Gemeinschaftsrichtlinien auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens, bezogen auf die Erfüllung des Allgemeininteresses, angesprochen; Urteil vom 10. Mai 2001, Agorà und Excelsior (C‑223/99 und C‑260/99, Slg. 2001, I‑3605, Randnr. 40).


30 – Urteile BFI Holding, Randnr. 62, vom 17. Dezember 1998, Kommission/Irland (C‑353/96, Slg. 1998, I‑8565, Randnr. 36), vom 12. Dezember 2002, Universale-Bau, (C‑470/99, Slg. 2002, I‑11617, Randnr. 53), vom 27. Februar 2003, Truley (C‑373/00, Slg. 2003, I‑1931, Randnr. 41), und vom 16. Oktober 2003, Kommission/Spanien (C‑283/00, Slg. 2003, I‑11697, Randnr. 73).


31 – Wollenschläger, F., „Der Begriff des ‚öffentlichen Auftraggebers‘ im Licht der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes“, EWS (Europäisches Wirtschafts- und Steuerecht), Nr. 8/2005, S. 345.


32 – Urteile University of Cambridge, Randnr. 17, Universale-Bau, Randnr. 52, und Truley, Randnr. 42.


33 – Dreher, M., a. a. O., S. 303; Hailbronner, K., a. a. O., S. 22, Nr. 123.


34 – Seidel, I., a. a. O., S. 27, Nr. 82.


35 – So auch Boesen, A., a. a. O., S. 152, Nr. 75.