Language of document : ECLI:EU:C:2015:442

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PEDRO CRUZ VILLALÓN

vom 2. Juli 2015(1)

Rechtssache C‑245/14

Thomas Cook Belgium NV

gegen

Thurner Hotel GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen des Handelsgerichts Wien [Österreich])

„Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 – Europäisches Mahnverfahren – Art. 20 Abs. 2 – Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls nach Ablauf der Einspruchsfrist – Falsche oder unrichtige Angaben – Fehlende Zuständigkeit des den Europäischen Zahlungsbefehl erlassenden Gerichts – Begriff der ‚außergewöhnlichen Umstände‘“





1.        Die vorliegende Rechtssache eröffnet dem Gerichtshof die Möglichkeit, sich praktisch zum ersten Mal zu dem Begriff „außergewöhnliche Umstände“ in Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 zu äußern(2). Insbesondere geht es um die Klärung der Frage, ob im Rahmen des Europäischen Mahnverfahrens die mögliche Unzuständigkeit des einen Europäischen Zahlungsbefehl erlassenden Gerichts wegen einer zwischen den Parteien möglicherweise geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung, die im Antragsformular für den Zahlungsbefehl nicht angegeben wurde, als ein „außergewöhnlicher Umstand“ anzusehen ist, der eine Überprüfung des Zahlungsbefehls rechtfertigt, wenn der Schuldner offensichtlich die Möglichkeit hatte, gegen den Zahlungsbefehl innerhalb der vorgesehenen Frist Einspruch einzulegen, dies aber nicht getan hat.

I –    Rechtlicher Rahmen

2.        Der 25. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1896/2006 lautet wie folgt:

„Nach Ablauf der Frist für die Einreichung des Einspruchs sollte der Antragsgegner in bestimmten Ausnahmefällen berechtigt sein, eine Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls zu beantragen. Die Überprüfung in Ausnahmefällen sollte nicht bedeuten, dass der Antragsgegner eine zweite Möglichkeit hat, Einspruch gegen die Forderung einzulegen. Während des Überprüfungsverfahrens sollte die Frage, ob die Forderung begründet ist, nur im Rahmen der sich aus den vom Antragsgegner angeführten außergewöhnlichen Umständen ergebenden Begründungen geprüft werden. Zu den anderen außergewöhnlichen Umständen könnte auch der Fall zählen, dass der Europäische Zahlungsbefehl auf falschen Angaben im Antragsformular beruht.“

3.        Art. 16 („Einspruch gegen den Europäischen Zahlungsbefehl“) der genannten Verordnung sieht vor:

„(1)      Der Antragsgegner kann beim Ursprungsgericht Einspruch gegen den Europäischen Zahlungsbefehl unter Verwendung des Formblatts F gemäß Anhang VI einlegen, das dem Antragsgegner zusammen mit dem Europäischen Zahlungsbefehl zugestellt wird.

(2)      Der Einspruch muss innerhalb von 30 Tagen ab dem Tag der Zustellung des Zahlungsbefehls an den Antragsgegner versandt werden.

(3)      Der Antragsgegner gibt in dem Einspruch an, dass er die Forderung bestreitet, ohne dass er dafür eine Begründung liefern muss.

(4)      Der Einspruch ist in Papierform oder durch andere – auch elektronische – Kommunikationsmittel, die im Ursprungsmitgliedstaat zulässig sind und dem Ursprungsgericht zur Verfügung stehen, einzulegen.

…“

4.        Art. 20 („Überprüfung in Ausnahmefällen“) der genannten Verordnung bestimmt Folgendes:

„(1)       Nach Ablauf der in Artikel 16 Absatz 2 genannten Frist ist der Antragsgegner berechtigt, bei dem zuständigen Gericht des Ursprungsmitgliedstaats eine Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls zu beantragen, falls

a)       i)       der Zahlungsbefehl in einer der in Artikel 14 genannten Formen zugestellt wurde, und

      ii)       die Zustellung ohne Verschulden des Antragsgegners nicht so rechtzeitig erfolgt ist, dass er Vorkehrungen für seine Verteidigung hätte treffen können, oder

b)      der Antragsgegner aufgrund höherer Gewalt oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände ohne eigenes Verschulden keinen Einspruch gegen die Forderung einlegen konnte,

wobei in beiden Fällen vorausgesetzt wird, dass er unverzüglich tätig wird.

(2)       Ferner ist der Antragsgegner nach Ablauf der in Artikel 16 Absatz 2 genannten Frist berechtigt, bei dem zuständigen Gericht des Ursprungsmitgliedstaats eine Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls zu beantragen, falls der Europäische Zahlungsbefehl gemessen an den in dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen oder aufgrund von anderen außergewöhnlichen Umständen offensichtlich zu Unrecht erlassen worden ist.

(3)       Weist das Gericht den Antrag des Antragsgegners mit der Begründung zurück, dass keine der Voraussetzungen für die Überprüfung nach den Absätzen 1 und 2 gegeben ist, bleibt der Europäische Zahlungsbefehl in Kraft.

Entscheidet das Gericht, dass die Überprüfung aus einem der in den Absätzen 1 und 2 genannten Gründe gerechtfertigt ist, wird der Europäische Zahlungsbefehl für nichtig erklärt.“

II – Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

5.        Die Rekurswerberin im Ausgangsverfahren, die Thomas Cook Belgium NV (im Folgenden: Thomas Cook), ist ein in Gent (Belgien) ansässiges Reisebürounternehmen, das Dienstleistungen verschiedener Art im Bereich Tourismus anbietet. Am 3. September 2009 schloss Thomas Cook mit der Thurner Hotel GmbH (im Folgenden: Thurner Hotel), einer österreichischen Gesellschaft mit Sitz in Sölden (Österreich), einen Vertrag, in dem die neuen Bedingungen ihrer Zusammenarbeit für die Sommersaison 2010 vereinbart wurden. Als Thomas Cook nicht zahlte, beantragte Thurner Hotel – die gemäß den in dem genannten Vertrag vereinbarten Bedingungen Urlaubsunterkünfte in Sölden bereitgestellt hatte – vor dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien (Österreich) die Erlassung eines Europäischen Zahlungsbefehls über einen Betrag von mehr als 15 000 Euro gegen das belgische Reisebürounternehmen. Die Zuständigkeit dieses Gerichts begründete sie damit, dass der Erfüllungsort in Österreich liege.

6.        Am 26. Juni 2013 wurde Thomas Cook der Europäische Zahlungsbefehl wirksam zugestellt. Diese legte innerhalb der in Art. 16 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 vorgesehenen 30‑tägigen Frist keinen Einspruch ein, weil sie ihren eigenen Angaben zufolge mit Recherchen in ihren Archiven beschäftigt war, um herauszufinden, ob der streitgegenständliche Zahlungsbefehl gerechtfertigt war.

7.        Am 25. September 2013 beantragte Thomas Cook vor dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien die Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls gemäß Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006. Im Wesentlichen machte sie geltend, der genannte Zahlungsbefehl sei durch ein unzuständiges Gericht erlassen worden, weil die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die zwischen den Parteien vereinbart gewesen seien, eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gerichte in Gent (Belgien) enthalten hätten. Da der Europäische Zahlungsbefehl zu Unrecht erlassen worden sei, sei er gemäß Art. 20 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1896/2006 für nichtig zu erklären, denn die Unzuständigkeit des erlassenden Gerichts stelle einen Überprüfungsgrund nach Art. 20 Abs. 2 dieser Verordnung dar.

8.        Mit Beschluss vom 28. Oktober 2013 wies das Bezirksgericht für Handelssachen Wien den von Thomas Cook eingereichten Antrag auf Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls ab. Dagegen legte Thomas Cook rechtzeitig Rekurs an das vorlegende Gericht ein. Zur Begründung ihres Rekurses verwies sie auf den 25. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1896/2006, der ausdrücklich vorsehe, dass ein „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 20 Abs. 2 dieser Verordnung vorliege, wenn der Europäische Zahlungsbefehl auf falschen Angaben im Antragsformular beruhe. Das Bezirksgericht für Handelssachen Wien habe im vorliegenden Fall nicht erkannt, dass nicht die österreichischen Gerichte zuständig seien, sondern aufgrund der zwischen den Parteien vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Gerichte in Gent (Belgien). Das Gericht hätte nach Ansicht von Thomas Cook feststellen müssen, dass der Europäische Zahlungsbefehl im Sinne von Art. 20 Abs. 2 der angeführten Verordnung offensichtlich zu Unrecht erlassen worden sei.

9.        Das Handelsgericht Wien hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist die Verordnung Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens dahin gehend auszulegen, dass der Antragsgegner einen Antrag auf gerichtliche Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls gemäß Art. 20 Abs. 2 dieser Verordnung auch dann stellen kann, wenn ihm der Zahlungsbefehl zwar wirksam zugestellt wurde, dieser jedoch aufgrund der Angaben zur Zuständigkeit im Antragsformular von einem unzuständigen Gericht erlassen wurde?

2.      Für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen ist: Liegen außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 gemäß dem 25. Erwägungsgrund der Mitteilung der Europäischen Kommission zu 2004/0055 vom 7. Februar 2006 bereits dann vor, wenn der Europäische Zahlungsbefehl aufgrund von Angaben im Antragsformular erlassen wurde, die sich nachträglich als unrichtig herausstellen können, insbesondere wenn davon die Zuständigkeit des Gerichts abhängt?

10.      Im vorliegenden Fall haben Thurner Hotel, die österreichische Regierung, die portugiesische Regierung, die Europäische Kommission und die deutsche Regierung schriftliche Erklärungen abgegeben. Thomas Cook reichte ihre schriftlichen Erklärungen nach Ablauf der Frist ein, weshalb sie nicht zugelassen wurden. In der auf Antrag von Thomas Cook am 16. April 2015 durchgeführten mündlichen Verhandlung erschien nur die Kommission.

III – Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien

11.      In erster Linie weist Thurner Hotel die Behauptung von Thomas Cook im Ausgangsverfahren zurück, ihr (Thomas Cook) seien die unbeglichenen Forderungen nicht bekannt gewesen, weil ihr die entsprechenden Rechnungen nicht (oder jedenfalls nicht rechtzeitig) zugeschickt worden seien, was sie daran gehindert habe, rechtzeitig Einspruch einzulegen. Weiterhin bestreitet Thurner Hotel, dass die Parteien Gent als Gerichtsstand vereinbart hätten. In jedem Fall sei aus dem Antrag auf Erlass des Europäischen Zahlungsbefehls eindeutig zu ersehen gewesen, dass die Zuständigkeit des Gerichts, bei dem der Antrag gestellt worden sei, auf den Gesichtspunkt des Erfüllungsorts (gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001) gestützt worden sei, so dass Thomas Cook ihre Einwände dagegen innerhalb der Frist von 30 Tagen hätte geltend machen können.

12.      Thurner Hotel ist der Ansicht, dass die streitgegenständliche Bestimmung (Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006) eng auszulegen sei. Es widerspräche dem Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn über diese Vorschrift Prozesseinreden geltend gemacht werden könnten, die bereits innerhalb der Einspruchsfrist hätten geltend gemacht werden können (und müssen).

13.      Die österreichische Regierung spricht sich ebenfalls für eine enge Auslegung von Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 aus. Danach sei es ausgeschlossen, Umstände, die bereits im Rahmen des Einspruchs vom Schuldner hätten geltend gemacht werden können, als „außergewöhnliche Umstände“ anzusehen. Dieser Auffassung stimmt auch die deutsche Regierung zu. Nach Ansicht der österreichischen Regierung können Gegenstand einer Überprüfung gemäß Art. 20 Abs. 2 der Verordnung nur Europäische Zahlungsbefehle sein, die offensichtlich zu Unrecht erlassen oder betrügerisch erwirkt worden seien.

14.      Die portugiesische Regierung ist der Auffassung, dass Art. 20 Abs. 2 der Verordnung zwei Sachverhalte erfasse, in denen ein Antrag auf Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls nach Ablauf der Einspruchsfrist zulässig sei: Erstens, wenn eindeutig sei, dass der fragliche Zahlungsbefehl gemessen an den in dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen offensichtlich zu Unrecht erlassen worden sei, in dem Sinne, dass bei Erlass des Zahlungsbefehls die dafür in der Verordnung vorgesehenen Gültigkeitsvoraussetzungen nicht eingehalten worden seien, und zweitens, wenn ein anderer außergewöhnlicher Umstand vorliege. Die in Art. 16 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 vorgesehene Einspruchsfrist solle dazu dienen, die Rechtmäßigkeit der Forderung, deren Vollstreckung begehrt werde, oder ihr Bestehen zu bestreiten, wenn der Europäische Zahlungsbefehl die in der genannten Verordnung vorgesehenen Gültigkeitsvoraussetzungen erfülle. Im Gegensatz dazu diene die in Art. 20 Abs. 2 der Verordnung vorgesehene Überprüfung dem Zweck, die Vollstreckung eines unter Missachtung der Verordnung erlassenen Zahlungsbefehls zu verhindern. Bei Erlass des Zahlungsbefehls durch ein unzuständiges Gericht fehlte eine wesentliche Gültigkeitsvoraussetzung, so dass die Anfechtung eines solchen Zahlungsbefehls auch noch nach Ablauf der in Art. 16 vorgesehenen Frist möglich sein müsse.

15.      Die Kommission schlägt vor, die erste Vorlagefrage zu bejahen, in dem Sinne, dass dann, wenn der Zahlungsbefehl tatsächlich durch ein international unzuständiges Gericht erlassen worden sei, er gemessen an den in der Verordnung Nr. 1896/2006 festgelegten Voraussetzungen zu Unrecht erlassen worden sei, was die Möglichkeit der Überprüfung gemäß Art. 20 Abs. 2 der Verordnung eröffne. Die zweite Frage sei in Abhängigkeit davon zu beantworten, ob der Zahlungsbefehl „offensichtlich“ zu Unrecht erlassen worden sei. Wenn es um die internationale Gerichtszuständigkeit gehe, sei in der Mehrzahl der Fälle nicht „offensichtlich“, ob das den Zahlungsbefehl erlassende Gericht zuständig sei. Daher liefe es nach Ansicht der Kommission dem Zweck der Verordnung zuwider, dem Gericht in jedem einzelnen Fall eine erschöpfende Prüfung der eigenen Zuständigkeit für den Erlass des Zahlungsbefehls aufzubürden.

16.      Die Kommission schlägt vor, den Anwendungsbereich von Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 in ähnlicher Weise einzugrenzen, wie es in der Verordnung Nr. 1215/2012(3) vorgesehen sei. Demnach solle die Anfechtung des Europäischen Zahlungsbefehls außerhalb der Einspruchsfrist nur dann möglich sein, wenn Vorschriften über die internationale gerichtliche Zuständigkeit verletzt worden seien, die gerade den Schutz der schwächeren Partei eines Rechtsverhältnisses bezweckten, oder in den in Art. 24 der Verordnung Nr. 1215/2012 (ausschließliche Zuständigkeiten) vorgesehenen Fällen, auf die in Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii dieser Verordnung verwiesen werde. Zu keinem der dort genannten Fälle passe die mögliche Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung, wie sie dem vorliegenden Fall anscheinend zugrunde liege, so dass man nicht sagen könne, dass der Zahlungsbefehl „offensichtlich“ zu Unrecht erlassen worden sei.

17.      Sodann bleibe zu prüfen, ob ein „anderer außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 vorliege. Dieser Begriff müsse eng ausgelegt werden und solle nur die Fälle eines vorsätzlichen Missbrauchs des Mahnverfahrens erfassen, was in jedem Einzelfall nachgewiesen werden müsse(4).

18.      Die deutsche Regierung ist der Auffassung, dass nicht jede unrichtige oder falsche Angabe im Antragsformular die Möglichkeit einer Anfechtung über Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 eröffne. Die Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls sei nur gerechtfertigt, wenn unter Abwägung der Interessen beider Parteien seine Vollstreckung für eine Partei „unerträglich“ wäre. Die deutsche Regierung führt außerdem den Beschluss Novontech-Zala(5) zu Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 an, in dem der Gerichtshof im Hinblick auf die Einspruchsfrist von 30 Tagen feststellte: „Ist die Überschreitung der Frist jedoch … auf einen Mangel an Sorgfalt des Vertreters des Antragsgegners zurückzuführen, kann eine solche Situation, da sie leicht hätte vermieden werden können, keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne [von Art. 20 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2] darstellen.“ Aus den gleichen Gründen könne nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ angesehen werden, was derjenige, der sich darauf berufe, leicht hätte vermeiden können. Zudem laufe es den Zielen der Verordnung Nr. 1896/2006 (insbesondere Beschleunigung und Kostensenkung) zuwider, die Überprüfung eines Europäischen Zahlungsbefehls zuzulassen, gegen den innerhalb der vorgesehenen Frist Einspruch hätte eingelegt werden können (zumal der Einspruch gemäß Art 16 Abs. 3 der Verordnung nicht einmal begründet werden müsse).

19.      Für die deutsche Regierung ist der Umstand, dass sich die Partei, die einen Europäischen Zahlungsbefehl beantrage, und ihr Gegner über die internationale gerichtliche Zuständigkeit nicht einig seien, absolut nichts „Außergewöhnliches“. Im vorliegenden Fall habe Thomas Cook die fehlende Zuständigkeit des den Zahlungsbefehl erlassenden Gerichts zudem ohne größere Schwierigkeit durch Einlegung eines Einspruchs geltend machen können. Schließlich handele es sich, selbst wenn das Gericht, das letztlich den Zahlungsbefehl erlassen habe, international nicht zuständig gewesen sein sollte, jedenfalls um ein unparteiisches und unabhängiges Gericht eines Mitgliedstaats, weshalb kein Grund für die Annahme bestehe, dass seine Entscheidung die Interessen von Thomas Cook außer Acht gelassen oder verletzt habe.

IV – Prüfung

A –    Vorüberlegungen

20.      Das vorlegende Gericht hat zwei Fragen zur Vorlage an den Gerichtshof formuliert. Mit der ersten fragt es, ob die Überprüfung eines Europäischen Zahlungsbefehls gemäß Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 beantragt werden kann, der aufgrund der Angaben zur Zuständigkeit im Antragsformular von einem unzuständigen Gericht erlassen wurde; mit der zweiten Frage (die nur für den Fall der Bejahung der ersten Frage gestellt wird) möchte das Gericht wissen, ob der Umstand, dass der Zahlungsbefehl aufgrund von Angaben im Antragsformular erlassen wurde, die sich nachträglich als unrichtig herausstellen, als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist.

21.      Meiner Ansicht nach lassen sich diese beiden Fragen, so wie es auch die deutsche Regierung in ihren Erklärungen vorgeschlagen hat, in eine einzige Frage umformulieren, die wie folgt lautet:

Ist Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 im Zusammenhang mit dem 25. Erwägungsgrund dieser Verordnung dahin auszulegen, dass es einen „außergewöhnlichen Umstand“ darstellt, der es dem Antragsgegner, dem der Europäische Zahlungsbefehl wirksam zugestellt worden ist, gestattet, die gerichtliche Überprüfung dieses Zahlungsbefehls zu beantragen, wenn dieser Zahlungsbefehl aufgrund von Angaben im Antragsformular erlassen wurde, die sich nachträglich als unrichtig herausstellen, insbesondere wenn von ihnen die Zuständigkeit des Gerichts abhängt?

B –    Prüfung der Frage

22.      Art. 20 („Überprüfung in Ausnahmefällen“) Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 bestimmt: „Ferner ist der Antragsgegner nach Ablauf der in Artikel 16 Absatz 2 genannten Frist berechtigt, bei dem zuständigen Gericht des Ursprungsmitgliedstaats eine Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls zu beantragen, falls der Europäische Zahlungsbefehl gemessen an den in dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen oder aufgrund von anderen außergewöhnlichen Umständen offensichtlich zu Unrecht erlassen worden ist“, wozu nach dem 25. Erwägungsgrund der genannten Verordnung, auf den das vorlegende Gericht ausdrücklich verweist(6), auch der Fall zählen könnte, „dass der Europäische Zahlungsbefehl auf falschen Angaben im Antragsformular beruht“.

23.      Sowohl die Voraussetzung in Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006, dass „der Zahlungsbefehl offensichtlich zu Unrecht erlassen worden“ sein muss, als auch die Vorgabe im 25. Erwägungsgrund, wonach „[d]ie Überprüfung in Ausnahmefällen … nicht bedeuten [sollte], dass der Antragsgegner eine zweite Möglichkeit hat, Einspruch gegen die Forderung einzulegen“, stützen meines Erachtens die These, dass der Weg der „Überprüfung in Ausnahmefällen“ nur in eng begrenzten Fällen eröffnet sein sollte. Daher stimme ich im Grundsatz mit der deutschen Regierung darin überein, dass nicht jede falsche oder unrichtige Angabe im Antragsformular eine Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls gemäß Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 zu rechtfertigen vermag.

24.      Auch die Gestaltung des Europäischen Mahnverfahrens selbst widerspräche der großzügigen Anwendung eines Verfahrens, das ausschließlich für Ausnahmefälle gedacht ist, denn sie gibt dem Schuldner im Allgemeinen nur eine einzige Möglichkeit, auf die Geltendmachung des Anspruchs durch den Gläubiger zu reagieren – den Einspruch gemäß Art. 16 der Verordnung Nr. 1896/2006 –, stellt aber gerade aus diesem Grund an diesen Einspruch auch nur sehr geringe formelle Anforderungen (er ist schriftlich innerhalb von 30 Tagen einzulegen) und keinerlei materielle Anforderungen (er bedarf keiner Begründung)(7).

25.      Daher bin ich der Auffassung, dass Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 im Zusammenhang mit dem 25. Erwägungsgrund dieser Verordnung eng auszulegen ist. In diesem Punkt stimmen mit Ausnahme der portugiesischen Regierung alle Beteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, überein.

26.      Bei einem Sachverhalt wie dem vorliegenden bedeutet das im Hinblick auf die Angaben des Antragstellers im Antragsformular, dass der Weg der Überprüfung nicht eröffnet sein sollte, wenn der Schuldner (gerade dann, wenn es sich wie hier um einen Gewerbetreibenden handelt) bereits bei der Prüfung des ihm wirksam zugestellten Europäischen Zahlungsbefehls hätte feststellen können, dass die Angaben, auf die sich das erlassende Gericht gestützt hat (also die dem Gericht vom Antragsteller übermittelten Angaben), ungenau, unrichtig oder falsch sind. Ich stimme also mit Thurner Hotel und der österreichischen Regierung darin überein, dass es nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ anzusehen ist, der eine Überprüfung des Zahlungsbefehls rechtfertigt, wenn eine falsche oder unrichtige Angabe vorliegt, auf die der Schuldner schon mit dem Einspruch hätte reagieren können. Letzten Endes sind meines Erachtens die im 25. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1896/2006 genannten „falschen Angaben“ auf solche Angaben zu beschränken, deren Unrichtigkeit sich tatsächlich erst nachträglich zeigt oder erst nachträglich für den Schuldner erkennbar wird, nachdem die in Art. 16 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 vorgesehene Frist schon abgelaufen ist; ob dies der Fall ist, hat das nationale Gericht im konkreten Einzelfall festzustellen.

27.      Daher komme ich vorläufig zu dem Ergebnis, dass es nur dann als „außergewöhnlicher Umstand“ anzusehen ist, der dem Schuldner die Möglichkeit der Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls nach Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 eröffnet, wenn die Tatsache, dass der Zahlungsbefehl auf unrichtigen oder falschen Angaben im Antragsformular beruht, sich tatsächlich erst nachträglich, nach Ablauf der Einspruchsfrist, gezeigt hat, was der Schuldner im Einzelfall beweisen muss. Mit anderen Worten: Beruht der Zahlungsbefehl auf Angaben im Antragsformular, deren Unrichtigkeit vom Schuldner schon innerhalb der Einspruchsfrist gemäß Art. 16 Abs. 2 der Verordnung hätte erkannt werden können – worüber das nationale Gericht zu entscheiden hat –, liegt kein „außergewöhnlicher Umstand“ vor, der eine Überprüfung rechtfertigt.

28.      Aus den Gründen, die ich im Folgenden darstellen werde, führt meines Erachtens auch die Tatsache, dass es die Zuständigkeit des den Zahlungsbefehl erlassenden Gerichts ist, die auf den falschen oder unrichtigen Angaben im Antragsformular beruht – wie im konkreten Fall, auf den das Handelsgericht Wien Bezug nimmt –, nicht zu einem anderen Ergebnis.

29.      Im 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1896/2006 heißt es: „Das Gericht sollte den Antrag [auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls], einschließlich der Frage der gerichtlichen Zuständigkeit …, auf der Grundlage der im Antragsformular enthaltenen Angaben prüfen“, wobei die Prüfung nicht von einem Richter durchgeführt werden muss(8). Zu den Voraussetzungen, die das mit einem Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls befasste Gericht gemäß Art. 8 der Verordnung Nr. 1896/2006 anhand des Antragsformulars zu prüfen hat, gehört die internationale gerichtliche Zuständigkeit (Art. 6 der Verordnung). Insoweit beurteilt derjenige, der den Antrag auf einen Europäischen Zahlungsbefehl prüft, nur, ob der numerische Code (von den 13 möglichen) für die Zuständigkeit des Gerichts, den der Antragsteller im Formular A gemäß Anhang I der Verordnung Nr. 1896/2006 angegeben hat, nach den Vorgaben der Verordnung Nr. 44/2001(9), auf die Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1896/2006 im Zusammenhang mit der gerichtlichen Zuständigkeit verweist, plausibel ist(10).

30.      Andererseits wird der Schuldner, dem mittels des Formulars E gemäß Anhang V der Verordnung Nr. 1896/2006 ein Europäischer Zahlungsbefehl zugestellt wird, in Buchst. c in optisch hervorgehobener Weise nicht nur darauf hingewiesen, dass er innerhalb von 30 Tagen Einspruch einlegen kann und welche Rechtsfolgen es hat, wenn er dies unterlässt, sondern auch darauf, dass „[d]ieser Zahlungsbefehl … ausschließlich auf der Grundlage der Angaben des Antragstellers erlassen [wurde]. Diese Angaben werden vom Gericht nicht nachgeprüft.“

31.      Angesichts der Tatsache, dass nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts der Zahlungsbefehl im vorliegenden Fall Thomas Cook wirksam zugestellt wurde, muss man davon ausgehen, dass dieser Gesellschaft ab dem Zeitpunkt der Zustellung (in dem die Einspruchsfrist zu laufen begann) bewusst war, dass der Zahlungsbefehl ausschließlich aufgrund der Angaben von Thurner Hotel im Formular A gemäß Anhang I der Verordnung Nr. 1896/2006 erlassen worden war. Infolgedessen konnte die belgische Gesellschaft – auch wenn sich aus der Akte nicht ergibt, ob sie tatsächlich eine Kopie des entsprechenden Formulars A erhielt – davon ausgehen, dass Thurner Hotel in ihrem Antrag nicht auf das Bestehen einer Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Parteien hingewiesen hatte (da der Zahlungsbefehl von einem österreichischen Gericht stammte und nicht von einem Genter Gericht) und dass grundsätzlich derjenige, der die Prüfung auf der Grundlage der im Antragsformular angegebenen Daten vorgenommen hatte, nicht notwendigerweise vom Bestehen dieser Vereinbarung wusste(11).

32.      Außerdem bin ich der Ansicht, dass man im Hinblick darauf, dass gemäß Art. 24 der Verordnung Nr. 44/2001 ganz allgemein eine stillschweigende Änderung der Zuständigkeit zulässig ist, wenn der Beklagte sich vor einem Gericht einlässt, das ursprünglich nicht als zuständiges Gericht zwischen den Parteien vereinbart war(12), den Umstand, dass die Antragstellerin – um die Reaktion der Schuldnerin erst einmal abzuwarten – als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte den Erfüllungsort (Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001) angegeben hat, nicht ohne Weiteres als „falsche Angabe“ bezeichnen kann(13). Wie der Gerichtshof bereits im Zusammenhang mit den vergleichbaren Bestimmungen des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen)(14) festgestellt hat, „gibt es keinen aus dem allgemeinen Aufbau oder den Zielen des Übereinkommens abzuleitenden Grund für die Ansicht, dass es an einer Zuständigkeitsvereinbarung im Sinne von Artikel 17 [Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001] beteiligten Personen verwehrt wäre, ihre Streitigkeit freiwillig einem anderen als dem vereinbarten Gericht zu unterbreiten“(15).

33.      Auch ist zu berücksichtigen, dass die bloße Existenz einer solchen Klausel in den zwischen den Parteien vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht bedeutet, dass diese gemäß Art. 23 der genannten Verordnung wirksam ist(16). Die Prüfung ihrer formellen Wirksamkeit erfordert, sofern die Parteien darüber streiten, eine eingehendere Prüfung durch das mit der Sache befasste Gericht, als sie im Rahmen von Art. 8 der Verordnung Nr. 1896/2006 geboten ist, selbst wenn das Bestehen einer solchen Klausel im Antragsformular für den Europäischen Zahlungsbefehl angegeben wird. Daher bin ich der Auffassung, dass der Antragsteller, wenn er Zweifel am Bestehen oder der Wirksamkeit einer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung hegt, nicht dazu verpflichtet ist, diese in dem Formular anzugeben, mit dem er den Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls beantragt, weil diese Aspekte ohnehin im Rahmen des Europäischen Mahnverfahrens nicht erörtert werden können.

34.      Deshalb kann man meines Erachtens unter diesen Umständen nur dann von „außergewöhnlichen Umständen“ sprechen, die es dem Schuldner gestatten, eine Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls gemäß Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 zu beantragen, wenn dieser Zahlungsbefehl auf der Grundlage von Angaben im Antragsformular erlassen wurde, die sich tatsächlich erst nachträglich, nach Ablauf der Einspruchsfrist, als falsch oder unrichtig herausgestellt haben, auch wenn von diesen Angaben die Zuständigkeit des Gerichts abhängt, insbesondere dann, wenn der Antragsteller es unterlassen hat, eine zwischen den Parteien geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung anzugeben.

35.      Demzufolge bin ich der Ansicht, dass die vom Handelsgericht Wien dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage im vorliegenden Fall so zu beantworten ist, dass Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 in Verbindung mit ihrem 25. Erwägungsgrund dahin auszulegen ist, dass kein „außergewöhnlicher Umstand“ gegeben ist, der es dem Antragsgegner, dem der Europäische Zahlungsbefehl wirksam zugestellt worden ist, gestattet, eine gerichtliche Überprüfung dieses Zahlungsbefehls zu beantragen, nur weil dieser Zahlungsbefehl auf der Grundlage von falschen oder unrichtigen Angaben im Antragsformular erlassen worden ist, auch wenn von diesen Angaben die Zuständigkeit des Gerichts abhängt, insbesondere dann, wenn der Antragsteller es unterlassen hat, eine angeblich zwischen den Parteien geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung anzugeben. Dies alles gilt jedoch unter dem Vorbehalt, dass der Schuldner vor dem nationalen Gericht nachweisen kann, dass er tatsächlich erst nach Ablauf der in Art. 16 Abs. 2 der Verordnung vorgesehenen Einspruchsfrist von der Unrichtigkeit der Angaben im Antragsformular Kenntnis erlangen konnte.

V –    Ergebnis

36.      Nach alledem schlage ich vor, die Frage des Handelsgerichts Wien wie folgt zu beantworten:

Art. 20 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens in Verbindung mit dem 25. Erwägungsgrund dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass in einem Fall wie dem hier vorliegenden kein „außergewöhnlicher Umstand“ gegeben ist, der es dem Antragsgegner, dem der Europäische Zahlungsbefehl wirksam zugestellt worden ist, gestattet, eine gerichtliche Überprüfung dieses Zahlungsbefehls zu beantragen, nur weil dieser Zahlungsbefehl auf der Grundlage von falschen oder unrichtigen Angaben im Antragsformular erlassen worden ist, auch wenn von diesen Angaben die Zuständigkeit des Gerichts abhängt, insbesondere dann, wenn der Antragsteller es unterlassen hat, eine angeblich zwischen den Parteien geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung anzugeben. Dies alles gilt jedoch nur unter dem Vorbehalt, dass der Schuldner vor dem nationalen Gericht nachweisen kann, dass er tatsächlich erst nach Ablauf der in Art. 16 Abs. 2 der Verordnung vorgesehenen Einspruchsfrist von der Unrichtigkeit der Angaben im Antragsformular Kenntnis erlangen konnte.


1 –      Originalsprache: Spanisch.


2 – Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. L 399, S. 1). Im Beschluss vom 21. März 2013, Novontech-Zala, C‑324/12, EU:C:2013:205, stellte der Gerichtshof bereits fest, dass die Überschreitung der Frist zur Vorlage eines Einspruchsschreibens gegen einen Europäischen Zahlungsbefehl infolge des fahrlässigen Handelns eines Vertreters des Beklagten eine Überprüfung des betreffenden Zahlungsbefehls nicht rechtfertigt, weil es sich dabei nicht um einen Umstand handelt, der im Sinne von Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006 als außergewöhnlich anzusehen ist. Im Urteil vom 4. September 2014, eco cosmetics und Raiffeisenbank St. Georgen, C‑119/13 und C‑120/13, EU:C:2014:2144, stellte der Gerichtshof fest, dass das in Art. 20 der genannten Verordnung vorgesehene Verfahren nicht anwendbar ist, wenn der Europäische Zahlungsbefehl nicht in einer Form zugestellt worden ist, die den in den Art. 13 und 15 dieser Verordnung vorgesehenen Mindestanforderungen genügt.


3 – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 351, S. 1).


4 – Ihrer Ansicht nach scheint ein solcher Fall in dieser Rechtssache, in der Thurner Hotel die internationale Zuständigkeit des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien mit dem Erfüllungsort gemäß Art. 5 der Verordnung Nr. 44/2001 begründet hat, nicht vorzuliegen.


5 – C‑324/12, EU:C:2013:205, Rn. 21.


6 – Der Wortlaut der zweiten Vorlagefrage des Handelsgerichts Wien bezieht sich auf den „25. Erwägungsgrund der Mitteilung der Europäischen Kommission zu 2004/0055 vom 07.02.[2006]“. Ich gehe davon aus, dass damit der geänderte Vorschlag für die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Februar 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (KOM[2006] 57 endgültig) gemeint ist, der den 25. Erwägungsgrund in seiner derzeit geltenden Fassung in den Text einbrachte.


7 – Der Einspruch bewirkt grundsätzlich gemäß Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1896/2006, dass das Verfahren vor den zuständigen Gerichten des Ursprungsmitgliedstaats im Einklang mit den entsprechenden Vorschriften für ein ordentliches Zivilgerichtsverfahren fortgesetzt wird. In diesem Verfahren kann beispielsweise auch die Frage der internationalen gerichtlichen Zuständigkeit erörtert werden, im vorliegenden Fall insbesondere die Wirksamkeit und die Rechtsfolgen einer zwischen den Parteien geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung.


8 – Art. 8 der Verordnung Nr. 1896/2006 gestattet es sogar, dass diese Prüfung durch ein automatisiertes Verfahren erfolgen kann.


9 – Konkret bestimmt Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1896/2006, soweit es in dieser Rechtssache (in der kein Verbraucher beteiligt ist) von Interesse ist: „Für die Zwecke der Anwendung dieser Verordnung wird die Zuständigkeit nach den hierfür geltenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts bestimmt, insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 44/2001.“ Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) wurde am 10. Januar 2015 durch die Verordnung Nr. 1215/2012 ersetzt, die aber in zeitlicher Hinsicht auf den vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung findet.


10 – Mit den Worten Kormanns: „Es kommt lediglich eine Plausibilitätsprüfung im Vergleich zu den Angaben über die Hauptforderung in Betracht“ (Kormann, J. M., Das neue Europäische Mahnverfahren im Vergleich zu den Mahnverfahren in Deutschland und Österreich., Jena: Jenaer Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2007, S. 96).


11 – Dabei ist zu berücksichtigen, dass gemäß Art. 7 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 1896/2006 der Antragsteller im Europäischen Mahnverfahren zu diesem Zeitpunkt lediglich die Beweise bezeichnen muss, die zur Begründung der Forderung herangezogen werden, so dass es mehr als wahrscheinlich ist, dass dem Gericht, bei dem der Antrag gestellt wird, im Zeitpunkt der Durchführung der in Art. 8 vorgesehenen Prüfung der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag noch gar nicht vorliegt.


12 – Gemäß Art. 24 der genannten Verordnung ist es zulässig, dass der Kläger trotz einer zwischen den Parteien geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung seine Klage vor einem anderen Gericht als dem vereinbarten erhebt und der Beklagte die Zuständigkeit dieses Gerichts stillschweigend akzeptiert, indem er sich vor diesem Gericht einlässt, wodurch eine zuvor zwischen den Parteien geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung wirksam außer Kraft gesetzt wird (hiervon ausgenommen sind die Fälle der ausschließlichen Zuständigkeit nach Art. 22 der Verordnung Nr. 44/2001). In diesem Sinne hat der Gerichtshof bereits konkret im Zusammenhang mit dem Europäischen Mahnverfahren festgestellt, dass „ein Einspruch gegen den Europäischen Zahlungsbefehl, mit dem der Mangel der Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats nicht geltend gemacht wird, nicht als Einlassung im Sinne des Art. 24 der Verordnung Nr. 44/2001 angesehen werden kann“, selbst wenn der Antragsgegner im Rahmen des von ihm eingelegten Einspruchs Vorbringen zur Hauptsache erstattet hat (Urteil vom 13. Juni 2013, Goldbet Sportwetten, C‑144/12, EU:C:2013:393). Siehe auch allgemein zu Art. 24 Urteil vom 27. Februar 2014, Cartier parfums-lunettes und Axa Corporate Solutions assurances, C‑1/13, EU:C:2014:109, Rn. 34 ff.


13 – Wobei außerdem zu berücksichtigen ist, dass Thurner Hotel das Bestehen der von Thomas Cook behaupteten Gerichtsstandsvereinbarung bestreitet (siehe Rn. 2 und 3 der Erklärungen von Thurner Hotel).


14 – ABl. 1972, L 299, S. 32, in der durch die nachfolgenden Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen geänderten Fassung.


15 – Urteil vom 24. Juni 1981, Elefanten Schuh, 150/80, EU:C:1981:148, Rn. 10. Vgl. auch Urteil vom 20. Mai 2010, ČPP Vienna Insurance Group, C‑111/09, EU:C:2010:290, Rn. 21 ff. Außerdem ist an diesem Punkt zu beachten, dass Art. 35 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 einer Entscheidung, die ohne Beachtung einer gemäß Art. 23 dieser Verordnung geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung erlassen wurde, nicht die Anerkennung versagt. Es sind nur solche Entscheidungen nicht anzuerkennen, bei denen die Vorschriften der Abschnitte 3 („Zuständigkeit für Versicherungssachen“), 4 („Zuständigkeit bei Verbrauchersachen“) und 6 („Ausschließliche Zuständigkeiten“) des Kapitels II dieser Verordnung verletzt worden sind, oder wenn ein Fall von Art. 72 vorliegt.


16 – Siehe hierzu Mankowski, P., „Artikel 23 Brüssel I-VO“, in Rauscher, T. (Hrsg.), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht – EuZPR / EuIPR, München, Sellier, 2006, S. 411 ff., insbesondere Rn. 16 ff.