Language of document : ECLI:EU:C:2018:368

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

31. Mai 2018(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren – Art. 26 Abs. 1 – Erlass und Zustellung der Überstellungsentscheidung, bevor der ersuchte Mitgliedstaat dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben hat“

In der Rechtssache C‑647/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal administratif de Lille (Verwaltungsgericht Lille, Frankreich) mit Entscheidung vom 1. Dezember 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Dezember 2016, in dem Verfahren

Adil Hassan

gegen

Préfet du Pas-de-Calais

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), des Richters A. Rosas, der Richterinnen C. Toader und A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, E. de Moustier und E. Armoet als Bevollmächtigte,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Dezember 2017

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 26 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin‑III-Verordnung).

2        Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Adil Hassan, einem irakischen Staatsangehörigen, und dem Préfet du Pas-de-Calais (Präfekt von Pas-de-Calais, Frankreich) über die Rechtmäßigkeit der Anordnung seiner Überstellung nach Deutschland.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Verordnung (EU) Nr. 603/2013

3        Der vierte Erwägungsgrund der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT‑Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (ABl. 2013, L 180, S. 1) lautet:

„Die Anwendung der [Dublin‑III-Verordnung] setzt voraus, dass die Identität der Personen, die internationalen Schutz beantragen, und der Personen, die beim illegalen Überschreiten der Außengrenzen der Union aufgegriffen wurden, festgestellt wird. Im Sinne einer wirksamen Anwendung der [Dublin‑III-Verordnung] und insbesondere des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b und d wäre es darüber hinaus wünschenswert, dass jeder Mitgliedstaat in Erfahrung bringen kann, ob ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der sich illegal in seinem Hoheitsgebiet aufhält, bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.“

4        Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 603/2013 sieht vor:

„Es wird ein System mit der Bezeichnung ‚Eurodac‘ eingerichtet, dessen Aufgabe es ist, nach Maßgabe der vorliegenden Verordnung die Bestimmung des Mitgliedstaats, der gemäß der [Dublin‑III-Verordnung] für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, zu unterstützen und allgemein die Anwendung der [Dublin‑III-Verordnung] unter den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen zu erleichtern.“

5        Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 603/2013 bestimmt:

„Jeder Mitgliedstaat nimmt jeder Person, die internationalen Schutz beantragt und mindestens 14 Jahre alt ist, umgehend den Abdruck aller Finger ab und übermittelt die Fingerabdruckdaten … so bald wie möglich, spätestens aber 72 Stunden nach Antragstellung gemäß Artikel 20 Absatz 2 der [Dublin‑III-Verordnung] an das Zentralsystem.“

 DublinIIIVerordnung

6        In den Erwägungsgründen 4, 5, 9 und 19 der Dublin‑III-Verordnung heißt es:

„(4)      Entsprechend den Schlussfolgerungen [des Europäischen Rates auf seiner Sondertagung vom 15. und 16. Oktober 1999 in] Tampere sollte das [Gemeinsame Europäische Asylsystem] auf kurze Sicht eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats umfassen.

(5)      Eine solche Formel sollte auf objektiven und für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basieren. Sie sollte insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden.

(9)      Angesichts der Bewertungsergebnisse in Bezug auf die Umsetzung der Instrumente der ersten Phase empfiehlt es sich in dieser Phase, die der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 [des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 50, S. 1)] zugrunde liegenden Prinzipien zu bestätigen und angesichts der bisherigen Erfahrungen gleichzeitig die notwendigen Verbesserungen mit Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des Dublin-Systems und den auf der Grundlage dieses Systems gewährten Schutz der [Antragsteller] vorzunehmen. …

(19)      Um einen wirksamen Schutz der Rechte der Betroffenen zu gewährleisten, sollten im Einklang insbesondere mit Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Rechtsgarantien und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Überstellungsentscheidungen festgeschrieben werden. Um die Einhaltung des Völkerrechts sicherzustellen, sollte ein wirksamer Rechtsbehelf gegen diese Entscheidungen sowohl die Prüfung der Anwendung dieser Verordnung als auch die Prüfung der Rechts- und Sachlage in dem Mitgliedstaat umfassen, in den der Antragsteller überstellt wird.“

7        Art. 3 („Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz“) Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung lautet:

„Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.“

8        Art. 5 der Verordnung sieht vor:

„(1)      Um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern, führt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat ein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller. …

(2)      Auf das persönliche Gespräch darf verzichtet werden, wenn

b)      der Antragsteller, nachdem er die in Artikel 4 genannten Informationen erhalten hat, bereits die sachdienlichen Angaben gemacht hat, so dass der zuständige Mitgliedstaat auf andere Weise bestimmt werden kann. Der Mitgliedstaat, der auf das Gespräch verzichtet, gibt dem Antragsteller Gelegenheit, alle weiteren sachdienlichen Informationen vorzulegen, die für die ordnungsgemäße Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats von Bedeutung sind, bevor eine Entscheidung über die Überstellung des Antragstellers in den nach Artikel 26 Absatz 1 zuständigen Mitgliedstaat ergeht.

(3)      Das persönliche Gespräch wird zeitnah geführt, in jedem Fall aber, bevor über die Überstellung des Antragstellers in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß Artikel 26 Absatz 1 entschieden wird.

…“

9        Art. 18 („Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats“) Abs. 1 der Verordnung lautet:

„Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a)      einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b)      einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c)      einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d)      einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.“

10      In Art. 19 der Dublin‑III‑Verordnung heißt es:

„(1)      Erteilt ein Mitgliedstaat dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel, so obliegen diesem Mitgliedstaat die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1.

(2)      Die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1 erlöschen, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d, um dessen/deren Aufnahme oder Wiederaufnahme er ersucht wurde, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, die betreffende Person ist im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels.

(3)      Die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben c und d erlöschen, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d, um dessen/deren Wiederaufnahme er ersucht wurde, nach Rücknahme oder Ablehnung des Antrags das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines Rückführungsbeschlusses oder einer Abschiebungsanordnung verlassen hat.

…“

11      Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung lautet:

„Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Artikel 20 Absatz 2, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen.“

12      Art. 22 der Verordnung sieht vor:

„(1)      Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt des Gesuchs.

(7)      Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.“

13      In Art. 24 der Verordnung heißt es:

„(1)      Ist ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich eine Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ohne Aufenthaltstitel aufhält und bei dem kein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, der Auffassung, dass ein anderer Mitgliedstaat gemäß Artikel 20 Absatz 5 und Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d zuständig ist, so kann er den anderen Mitgliedstaat ersuchen, die Person wieder aufzunehmen.

(2)      Beschließt ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich eine Person ohne Aufenthaltstitel aufhält, in Abweichung von Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger [(ABl. 2008, L 348, S. 98)] eine Abfrage de[s] Eurodac-System[s] …, so ist das Gesuch um Wiederaufnahme einer Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b oder c dieser Verordnung oder einer Person im Sinne ihres Artikels 18 Absatz 1 Buchstabe d, deren Antrag auf internationalen Schutz nicht durch eine endgültige Entscheidung abgelehnt wurde, so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach de[m] Erhalt der Eurodac-Treffermeldung … zu unterbreiten.

(5)      Für das Gesuch um Wiederaufnahme der Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ist ein Standardformblatt zu verwenden, das Beweismittel oder Indizien im Sinne der beiden Verzeichnisse nach Artikel 22 Absatz 3 und/oder sachdienliche Angaben aus der Erklärung der Person enthalten muss, anhand deren die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats prüfen können, ob ihr Staat auf Grundlage der in dieser Verordnung festgelegten Kriterien zuständig ist.

…“

14      Art. 25 der Dublin‑III‑Verordnung sieht vor:

„(1)      Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Wiederaufnahme der betreffenden Person so rasch wie möglich, in jedem Fall aber nicht später als einen Monat, nachdem er mit dem Gesuch befasst wurde. Stützt sich der Antrag auf Angaben aus dem Eurodac-System, verkürzt sich diese Frist auf zwei Wochen.

(2)      Wird innerhalb der Frist von einem Monat oder der Frist von zwei Wochen gemäß Absatz 1 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.“

15      Art. 26 („Zustellung der Überstellungsentscheidung“) der Verordnung bestimmt:

„(1)      Stimmt der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme oder Wiederaufnahme eines Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d zu, setzt der ersuchende Mitgliedstaat die betreffende Person von der Entscheidung in Kenntnis, sie in den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, sowie gegebenenfalls von der Entscheidung, ihren Antrag auf internationalen Schutz nicht zu prüfen. …

(2)      Die Entscheidung nach Absatz 1 enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung, einschließlich des Rechts, falls erforderlich, aufschiebende Wirkung zu beantragen, und der Fristen für die Einlegung eines Rechtsbehelfs sowie Informationen über die Frist für die Durchführung der Überstellung mit erforderlichenfalls Angaben über den Ort und den Zeitpunkt, an dem oder zu dem sich die betreffende Person zu melden hat, wenn diese Person sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt.

…“

16      Art. 27 („Rechtsmittel“) der Verordnung sieht vor:

„(1)      Der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d hat das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht.

(2)      Die Mitgliedstaaten sehen eine angemessene Frist vor, in der die betreffende Person ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Absatz 1 wahrnehmen kann.

(3)      Zum Zwecke eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder einer Überprüfung einer Überstellungsentscheidung sehen die Mitgliedstaaten in ihrem innerstaatlichen Recht Folgendes vor:

a)      dass die betroffene Person aufgrund des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung berechtigt ist, bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats zu bleiben; oder

b)      dass die Überstellung automatisch ausgesetzt wird und diese Aussetzung innerhalb einer angemessenen Frist endet, innerhalb der ein Gericht nach eingehender und gründlicher Prüfung darüber entschieden hat, ob eine aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung gewährt wird; oder

c)      [dass] die betreffende Person … die Möglichkeit [hat], bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung zu beantragen. Die Mitgliedstaaten sorgen für einen wirksamen Rechtsbehelf in der Form, dass die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist. …

(4)      Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung auszusetzen.

…“

17      In Art. 28 („Haft“) der Verordnung heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt.

(2)      Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren … dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle, dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.

(3)      Die Haft hat so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird.

Wird eine Person nach diesem Artikel in Haft genommen, so darf die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs einen Monat ab der Stellung des Antrags nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Verfahren gemäß dieser Verordnung durchführt, ersucht in derartigen Fällen um eine dringende Antwort. Diese Antwort erfolgt spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs. Wird innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

…“

18      Art. 29 Abs. 1 und 2 der Dublin‑III‑Verordnung sieht vor:

„(1)      Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.

(2)      Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.“

 Verordnung (EG) Nr. 1560/2003

19      Art. 4 („Behandlung eines Wiederaufnahmegesuchs“) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 222, S. 3, im Folgenden: Durchführungsverordnung), sieht vor:

„Stützt sich ein Wiederaufnahmegesuch auf Daten, die die Eurodac-Zentraleinheit zur Verfügung gestellt und die der ersuchende Mitgliedstaat … geprüft hat, erkennt der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit an, sofern die von ihm durchgeführten Überprüfungen nicht ergeben haben, dass seine Zuständigkeit gemäß [Art. 20 Abs. 5 Unterabs. 2 bzw. Art. 19 Abs. 1, 2 oder 3 der Dublin‑III-Verordnung] erloschen ist. Das Erlöschen der Zuständigkeit nach diesen Bestimmungen kann ausschließlich aufgrund von Tatsachenbeweisen oder umfassenden und nachprüfbaren Erklärungen des Asylbewerbers geltend gemacht werden.“

20      Art. 6 („Zustimmende Antwort“) der Durchführungsverordnung lautet:

„Erkennt der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit an, erklärt er dies in seiner Antwort, die neben der Angabe der für diese Anerkennung relevanten Bestimmung der [Dublin‑III-Verordnung] die sachdienlichen Hinweise für die weitere Abwicklung der Überstellung enthält, darunter insbesondere die Koordinaten der Dienststelle oder Person, mit der Kontakt aufzunehmen ist.“

 Französisches Recht

21      In Art. L. 512-1 Abs. 3 Unterabs. 1 des Code de l’entrée et du séjour des étrangers et du droit d’asile (Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern sowie über das Asylrecht, im Folgenden: Ceseda) in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung heißt es:

,,Im Fall einer Inhaftierung nach Art. L. 551-1 kann der Ausländer innerhalb von 48 Stunden nach Bekanntgabe der Verpflichtung zum Verlassen des französischen Hoheitsgebiets und der gegebenenfalls damit einhergehenden Entscheidungen, mit denen die Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise verweigert wird, der Zielstaat genannt wird und die Rückkehr in das französische Hoheitsgebiet oder das Reisen im französischen Hoheitsgebiet verboten wird, beim Präsidenten des Verwaltungsgerichts deren Nichtigerklärung beantragen, wenn diese Entscheidungen zusammen mit der Inhaftierungsentscheidung zugestellt werden. …“

22      In Art. L. 551-1 Abs. 1 Ceseda heißt es:

„In den in Art. L. 561-2 Abs. 1 Ziff. 1 bis 7 vorgesehenen Fällen kann ein Ausländer, der keine effektiven Garantien für sein Erscheinen vor Gericht vorweist, die geeignet sind, der in Art. L. 511‑1 Abs. 2 Ziff. 3 genannten Gefahr vorzubeugen, von der Verwaltungsbehörde … für 48 Stunden inhaftiert werden.“

23      Art. L. 561-2 Abs. 1 Ceseda sieht vor:

„Die Verwaltungsbehörde kann gegenüber einem Ausländer, der das französische Hoheitsgebiet nicht sofort verlassen darf, bei dem jedoch eine hinreichende Aussicht auf Abschiebung fortbesteht, Hausarrest anordnen, wenn der Ausländer

1°      den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats der Europäischen Union … zu übergeben ist oder gegen ihn eine Überstellungsentscheidung nach Art. L. 742‑3 ergangen ist;

7°      nach Anordnung von Hausarrest nach den Ziff. 1° bis 6° des vorliegenden Artikels oder Verwaltungshaft … gegen ihn der ihm gegenüber erlassenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht nachgekommen ist oder ihr zwar zunächst nachgekommen ist, aber nach Frankreich zurückgekehrt ist, obwohl diese Maßnahme noch immer vollstreckbar ist.

…“

24      Art. L. 742-1 Abs. 1 Ceseda, der im Kapitel II („Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Staates“) seines Buches VII („Asylrecht“) steht, bestimmt:

„Ist nach Ansicht der Verwaltungsbehörde für die Prüfung eines Asylantrags ein anderer Staat zuständig, den sie zu ersuchen gedenkt, hat der Ausländer das Recht, sich im französischen Hoheitsgebiet aufzuhalten, bis das Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung seines Antrags zuständigen Staates beendet ist und gegebenenfalls seine Überstellung in diesen Staat tatsächlich erfolgt. …“

25      In Art. L. 742-3 Ceseda heißt es:

„Vorbehaltlich des Art. L. 742-1 Abs. 2 kann der Ausländer, bei dem ein anderer Staat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, in den für diese Prüfung zuständigen Staat überstellt werden.

Jede Überstellungsentscheidung ist von der Verwaltungsbehörde schriftlich abzufassen und mit Gründen zu versehen.

Diese Entscheidung wird dem Betroffenen mitgeteilt. Sie gibt die Rechtsbehelfe und die Rechtsbehelfsfristen sowie das Recht an, das eigene Konsulat, einen Beistand oder eine Person seiner Wahl zu benachrichtigen. …“

26      Art. L. 742-4 Abs. 1 Ceseda sieht vor:

„Ein Ausländer, gegenüber dem eine Überstellungsentscheidung nach Art. L. 742‑3 ergangen ist, kann binnen 15 Tagen ab Zustellung der Entscheidung beim Präsidenten des Verwaltungsgerichts deren Nichtigerklärung beantragen.

Der Präsident oder der Richter, den er hierzu … bestimmt, entscheidet binnen 15 Tagen ab seiner Befassung.

…“

27      Art. L. 742-5 Ceseda lautet:

,,Die Art. L. 551-1 und L. 561-2 gelten für einen Ausländer, gegen den eine Überstellungsentscheidung ergangen ist, ab Zustellung der Entscheidung.

Die Überstellungsentscheidung ist weder vor Ablauf einer Frist von 15 Tagen, noch – sofern sie zusammen mit einer Inhaftierungsentscheidung nach Art. L. 551‑1 oder einer Anordnung von Hausarrest nach Art. L. 561‑2 zugestellt wurde – vor Ablauf einer Frist von 48 Stunden, noch – sofern das Verwaltungsgericht mit der Sache befasst ist – vor dessen Entscheidung von Amts wegen vollziehbar.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

28      Herr Adil Hassan wurde am 26. November 2016 von der Luftsicherheits- und Grenzpolizei von Pas-de-Calais (Frankreich) im zugangsbeschränkten Bereich des Terminals des Hafens von Calais (Frankreich) vorläufig festgenommen. Eine Abfrage des Eurodac-Systems ergab, dass die deutschen Behörden am 7. November und 14. Dezember 2015 seine Fingerabdrücke abgenommen hatten und er damals in Deutschland internationalen Schutz beantragt hatte. Er stellte in Frankreich keinen solchen Antrag.

29      Noch am Tag dieser vorläufigen Festnahme und dieser Abfrage des Eurodac-Systems richtete der Präfekt von Pas-de-Calais an die deutschen Behörden ein Wiederaufnahmegesuch in Bezug auf Herrn Hassan und beschloss gleichzeitig, ihn nach Deutschland zu überstellen und in Verwaltungshaft zu nehmen. Diese Entscheidung wurde Herrn Hassan am selben Tag mitgeteilt.

30      Herr Hassan rügte auf der Grundlage von Art. L. 512-1 Abs. 3 Ceseda die Verwaltungsinhaftierung beim Haftrichter des Tribunal de grande instance de Lille (Regionalgericht Lille, Frankreich). Mit Urteil vom 29. November 2016 hob der Haftrichter diese Maßnahme auf.

31      Zudem legte Herr Hassan beim Tribunal administratif de Lille (Verwaltungsgericht Lille, Frankreich) einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung gegen die Entscheidung vom 26. November 2016 insoweit ein, als mit ihr seine Überstellung nach Deutschland angeordnet wird.

32      Mit diesem Rechtsbehelf macht Herr Hassan insbesondere geltend, diese Entscheidung verstoße gegen Art. 26 der Dublin‑III-Verordnung, da sie erlassen und ihm mitgeteilt worden sei, bevor der ersuchte Mitgliedstaat, hier die Bundesrepublik Deutschland, ausdrücklich oder stillschweigend auf das Gesuch der französischen Behörden um seine Wiederaufnahme geantwortet habe.

33      Der Präfekt von Pas-de-Calais trägt vor, dass er weder durch Art. 26 der Dublin‑III-Verordnung noch durch eine nationalrechtliche Vorschrift daran gehindert sei, bereits ab der Inhaftierung eine Überstellungsentscheidung zu erlassen und sie dem Betroffenen mitzuteilen. Der Betroffene könne dagegen die ihm nach Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung offenstehenden Rechtsbehelfe einlegen. Um Herrn Hassan in Haft nehmen zu dürfen, sei er nach nationalem Recht sogar verpflichtet gewesen, zuvor eine Überstellungsentscheidung zu erlassen, ohne die Antwort des ersuchten Mitgliedstaats abzuwarten. Jedenfalls dürfe die Überstellung nicht vollstreckt werden, solange der ersuchte Mitgliedstaat der Wiederaufnahme des Betroffenen nicht zugestimmt habe.

34      Das vorlegende Gericht führt insoweit aus, dass der Präfekt von Pas-de-Calais nicht verpflichtet gewesen sei, eine Überstellungsentscheidung zu erlassen, um Herrn Hassan in Verwaltungshaft nehmen zu dürfen, da diese Inhaftierung in Art. 28 der unmittelbar anwendbaren Dublin‑III-Verordnung vorgesehen sei. Es räumt jedoch ein, dass das nationale Recht, auf das sich der Präfekt zum Erlass der Überstellungsentscheidung gestützt habe, es nicht verbiete, diese Entscheidung zusammen mit der Inhaftierungsentscheidung zu erlassen. Daher stellt sich ihm die Frage, ob diese Verwaltungspraxis mit Art. 26 der Dublin‑III-Verordnung vereinbar ist.

35      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass sich die nationalen Gerichte insoweit uneins seien, und führt dazu aus, dass einige Verwaltungsgerichte der Ansicht seien, dass eine Überstellungsentscheidung erlassen und dem Betroffenen zugestellt werden dürfe, bevor der ersuchte Mitgliedstaat antworte, während andere Gerichte der Ansicht seien, dass der ersuchende Mitgliedstaat den Abschluss des in den Art. 20 bis 25 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abzuwarten habe, bevor er diese Entscheidung erlasse und zustelle.

36      Das vorlegende Gericht selbst vertritt die Ansicht, dass sowohl der Wortlaut der verschiedenen Sprachfassungen von Art. 26 der Dublin‑III-Verordnung als auch die teleologische Auslegung dieser Bestimmung und der Bestimmungen, zu deren Kontext sie gehöre, für die zweite Auslegung sprächen, was sich im Übrigen nach einer Prüfung der Vorarbeiten der Dublin‑III-Verordnung bestätige.

37      Allerdings hinderten der Erlass und die Zustellung einer Überstellungsentscheidung vor der Antwort des ersuchten Mitgliedstaats den Betroffenen nicht daran, diese Entscheidung gemäß Art. 27 der Dublin‑III‑Verordnung in sachdienlicher Weise vor dem zuständigen Richter im Rahmen eines Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung anzufechten. Sollte sich herausstellen, dass der ersuchte Mitgliedstaat im Hinblick auf die in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht zuständig sei, dürfe die Überstellungsentscheidung aufgehoben werden.

38      Unter diesen Umständen hat das Tribunal administratif de Lille (Verwaltungsgericht Lille) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Steht Art. 26 der Dublin‑III‑Verordnung dem entgegen, dass die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, der an einen anderen Mitgliedstaat, den er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien als den zuständigen Staat ansieht, ein Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme eines Drittstaatsangehörigen oder eines Staatenlosen, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden wurde, oder einer anderen Person im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Buchst. c oder d der Verordnung gerichtet hat, eine Überstellungsentscheidung erlassen und sie dem Betroffenen zustellen, bevor der ersuchte Staat dieser Aufnahme oder Wiederaufnahme zugestimmt hat?

 Zur Vorlagefrage

39      Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass er es dem Mitgliedstaat, der bei einem anderen Mitgliedstaat, den er aufgrund der in der Verordnung festgelegten Kriterien dafür zuständig hält, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, ein Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme einer Person im Sinne des Art. 18 Abs. 1 der Verordnung gestellt hat, verwehrt, eine Überstellungsentscheidung zu erlassen und dieser Person zuzustellen, bevor der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat.

40      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift ihr Wortlaut, ihre Entstehungsgeschichte sowie ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Dezember 2017, Acacia und D’Amato, C‑397/16 und C‑435/16, EU:C:2017:992, Rn. 31, und vom 17. April 2018, Egenberger, C‑414/16, EU:C:2018:257, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Was insoweit zunächst den Wortlaut von Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung anbelangt, steht in dieser Bestimmung, dass der ersuchende Mitgliedstaat, wenn der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme oder Wiederaufnahme eines Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Buchst. c oder d der Verordnung zustimmt, die betreffende Person von der Entscheidung in Kenntnis setzt, sie in den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, sowie gegebenenfalls von der Entscheidung, ihren Antrag auf internationalen Schutz nicht zu prüfen.

42      Somit ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung – und zwar in fast allen seinen Sprachfassungen, wie der Generalanwalt in Nr. 35 seiner Schlussanträge ebenfalls ausgeführt hat –, dass eine Überstellungsentscheidung dem Betroffenen erst zugestellt werden darf, wenn – und daher nachdem – der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme stattgegeben hat oder gegebenenfalls die Fristen abgelaufen sind, innerhalb der der ersuchte Mitgliedstaat auf das Gesuch zu antworten hat, wobei im Fall der Nichterteilung einer Antwort nach Art. 22 Abs. 7 und Art. 25 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung davon auszugehen ist, dass dem Gesuch stattgegeben wird.

43      Der Wortlaut von Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III‑Verordnung zeigt also, dass der Unionsgesetzgeber eine genaue Verfahrensabfolge zwischen der Stattgabe des Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme durch den ersuchten Mitgliedstaat und der Zustellung der Überstellungsentscheidung an die betreffende Person festgelegt hat.

44      Was sodann die Entstehungsgeschichte von Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III‑Verordnung anbelangt, ist entsprechend den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 36 seiner Schlussanträge festzustellen, dass im Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (KOM[2008] 820 endgültig), der die Neufassung der Verordnung Nr. 343/2003 betraf und zum Erlass der Dublin‑III-Verordnung geführt hat, erwähnt wurde, dass es notwendig sei, das Verfahren der Zustellung der Überstellungsentscheidung an den Betroffenen klarer zu fassen, um einen effizienteren Rechtsschutz zu ermöglichen.

45      Wie aus der Begründung des Vorschlags hervorgeht, sollten diese Klarstellungen u. a. den Zeitpunkt, die Form und den Inhalt der Zustellung der Überstellungsentscheidungen betreffen. Art. 25 Abs. 1 des Vorschlags, der zu Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III‑Verordnung wurde und diese Klarstellungen enthielt, wurde insoweit während des Gesetzgebungsverfahrens jedoch nicht wesentlich geändert.

46      Daher ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung in Verbindung mit seiner Entstehungsgeschichte, dass eine Überstellungsentscheidung dem Betroffenen erst zugestellt werden darf, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat seiner Aufnahme oder Wiederaufnahme stillschweigend oder ausdrücklich zugestimmt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, A. S., C‑490/16, EU:C:2017:585, Rn. 33).

47      Die Systematik der Dublin‑III‑Verordnung bestätigt diese Auslegung.

48      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung in deren Kapitel VI („Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren“) steht, das Bestimmungen enthält, mit denen die aufeinanderfolgenden Phasen dieser Verfahren und eine Reihe zwingender Fristen festgelegt werden, die zur Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats beitragen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2017, Shiri, C‑201/16, EU:C:2017:805, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Diese Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren müssen zwingend im Einklang mit den Regeln durchgeführt werden, die insbesondere in dem genannten Kapitel VI stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, Mengesteab, C‑670/16, EU:C:2017:587, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50      So ergibt sich aus den das Aufnahme- und das Wiederaufnahmeverfahren betreffenden Abschnitten II und III des Kapitels VI der Dublin‑III-Verordnung, dass im ersten Schritt der ersuchende Mitgliedstaat je nach Fallgestaltung gemäß Art. 21 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 der Verordnung einen anderen Mitgliedstaat ersuchen kann, die betreffende Person aufzunehmen bzw. wieder aufzunehmen.

51      Im zweiten Schritt hat der ersuchte Mitgliedstaat je nach Fallgestaltung gemäß Art. 22 Abs. 1 bzw. Art. 25 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung die erforderlichen Überprüfungen vorzunehmen, um zu bestimmen, ob er im Hinblick auf die in Kapitel III der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, und folglich in den von diesen Vorschriften vorgesehenen Fristen über das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme zu entscheiden.

52      Daher kann der ersuchte Mitgliedstaat erst nach Vornahme dieser Überprüfungen über das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme entscheiden und dem ersuchenden Mitgliedstaat antworten. Insoweit gilt eine zustimmende Antwort als grundsätzliches Einverständnis zur Überstellung des Betroffenen, und diesem Einverständnis folgt im Allgemeinen der Vollzug der Überstellung im Einklang mit den Bestimmungen von Art. 29 der Dublin‑III-Verordnung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, A. S., C‑490/16, EU:C:2017:585, Rn. 50).

53      Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III‑Verordnung, der zusammen mit dem die Rechtsmittel betreffenden Art. 27 der Verordnung im Abschnitt IV („Verfahrensgarantien“) des Kapitels VI der Verordnung steht, soll somit durch die Verpflichtung des ersuchenden Mitgliedstaats zur Zustellung der Überstellungsentscheidung an die betroffene Person den Schutz der Rechte dieser Person dadurch stärken, dass er sicherstellt, dass ihr in dem Fall, dass die am Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahren beteiligten Mitgliedstaaten eine grundsätzliche Einigung über die Überstellung erreicht haben, die gesamte Begründung dieser Entscheidung mitgeteilt wird, damit sie sie gegebenenfalls beim zuständigen Gericht anfechten und die Aussetzung ihres Vollzugs beantragen kann.

54      Die Systematik der Dublin‑III‑Verordnung spricht daher ebenfalls für eine Auslegung ihres Art. 26 Abs. 1 dahin gehend, dass eine Überstellungsentscheidung dem Betroffenen erst zugestellt werden darf, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme- oder Wiederaufnahme dieser Person zugestimmt hat.

55      Entgegen der von der Europäischen Kommission offenbar vertretenen Ansicht gilt das Gleiche für das Ziel der Dublin‑III-Verordnung.

56      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass mit der Dublin‑III-Verordnung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine klare und praktikable Formel geschaffen werden soll, die auf objektiven und für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basiert und eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglicht, um einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden sowie – nach dem 19. Erwägungsgrund – den von der Verordnung eingeführten wirksamen Rechtsbehelf gegen Überstellungsentscheidungen sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Juni 2016, Ghezelbash, C‑63/15, EU:C:2016:409, Rn. 42, und vom 25. Oktober 2017, Shiri, C‑201/16, EU:C:2017:805, Rn. 31 und 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass der Unionsgesetzgeber nicht die Absicht hatte, dem Erfordernis der zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz den gerichtlichen Schutz der Personen zu opfern, die solche Anträge stellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Juni 2016, Ghezelbash, C‑63/15, EU:C:2016:409, Rn. 57, und vom 13. September 2017, Khir Amayry, C‑60/16, EU:C:2017:675, Rn. 65).

58      Was den u. a. durch Art. 47 der Charta der Grundrechte gewährleisteten effektiven gerichtlichen Rechtsschutz anbelangt, geht aus Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung hervor, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht hat. Dieses Rechtsmittel, dessen Tragweite nicht eng ausgelegt werden darf, muss zum einen die Prüfung der Anwendung dieser Verordnung sowohl hinsichtlich der Anwendung der in ihrem Kapitel III genannten Kriterien als auch hinsichtlich der Beachtung der u. a. in ihrem Kapitel VI vorgesehenen Verfahrensgarantien und zum anderen die Prüfung der Rechts- und Sachlage in dem Mitgliedstaat erfassen, in den der Antragsteller überstellt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Juli 2017, A. S., C‑490/16, EU:C:2017:585, Rn. 26 bis 28, vom 26. Juli 2017, Mengesteab, C‑670/16, EU:C:2017:587, Rn. 43, 47 und 48, und vom 25. Oktober 2017, Shiri, C‑201/16, EU:C:2017:805, Rn. 36 und 37).

59      Würde insoweit zugelassen, dass eine Überstellungsentscheidung an die betroffene Person zugestellt werden darf, bevor der ersuchte Mitgliedstaat auf das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme geantwortet hat, könnte dies zur Folge haben, dass die Person bei der Anfechtung der Entscheidung mit einem Rechtsbehelf eine Frist zu wahren hätte, die in dem Zeitpunkt abläuft, in dem der ersuchte Mitgliedstaat seine Antwort geben soll, oder sogar – wie im Ausgangsverfahren –, bevor diese Antwort erfolgt, da nach Art. 27 Abs. 2 der Dublin‑III‑Verordnung die Mitgliedstaaten eine Frist festzusetzen haben, in der die betreffende Person ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf wahrnehmen kann. Dabei verlangt diese Bestimmung lediglich, dass diese Frist angemessen ist.

60      Unter diesen Umständen wäre die betroffene Person gegebenenfalls gezwungen, gemäß Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorsorglich ein Rechtsmittel gegen die Überstellungsentscheidung einzulegen oder einen Antrag auf Überprüfung der Entscheidung zu stellen, noch bevor der ersuchte Mitgliedstaat auf das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme der betroffenen Person geantwortet hat. Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass ein solches Rechtsmittel oder ein solcher Antrag auf Überprüfung grundsätzlich nur dann zum Tragen kommen kann, wenn der ersuchte Mitgliedstaat diesem Gesuch stattgegeben hat (vgl. entsprechend Urteil vom 26. Juli 2017, Mengesteab, C‑670/16, EU:C:2017:587, Rn. 60).

61      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 46 bis 48 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, könnte zudem das in Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehene Recht auf ein wirksames Rechtsmittel in seiner Tragweite eingeschränkt sein, da eine vor der Antwort des ersuchten Mitgliedstaats auf das Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch erlassene und an die betroffene Person zugestellte Überstellungsentscheidung nur auf die vom ersuchenden Mitgliedstaat gesammelten und nicht auf die vom ersuchten Mitgliedstaat stammenden Beweise und Indizien gestützt wäre, wie etwa der Zeitpunkt seiner Antwort auf das Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch oder die inhaltliche Begründung, die ihn dazu veranlasst hat, dem Gesuch stattzugeben, wenn seine Antwort ausdrücklich ist.

62      Wie auch der Generalanwalt in Nr. 48 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sind diese Angaben des ersuchten Mitgliedstaats im Rahmen der gegen eine nach Abschluss eines Aufnahmeverfahrens erlassene Überstellungsentscheidung gerichteten Rechtsmittel oder Überprüfungsanträge jedoch besonders wichtig, da der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit nach den Kriterien in der Dublin‑III-Verordnung abschließend zu prüfen und auch Informationen zu berücksichtigen hat, die dem ersuchenden Mitgliedstaat nicht notwendigerweise bekannt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2016, Ghezelbash, C‑63/15, EU:C:2016:409, Rn. 43).

63      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass sich der ersuchte Mitgliedstaat selbst bei einer Eurodac-Treffermeldung veranlasst sehen kann, ein Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme abschlägig zu beantworten, und zwar insbesondere dann, wenn er meint, dass seine Zuständigkeit gemäß Art. 19 oder Art. 20 Abs. 5 Unterabs. 2 der Dublin‑III-Verordnung erloschen ist, wie auch Art. 4 der Durchführungsverordnung bestätigt, und der Antragsteller die Möglichkeit haben muss, einen solchen Umstand im Rahmen seines Rechtsbehelfs geltend zu machen (vgl. insoweit Urteil vom 7. Juni 2016, Karim, C‑155/15, EU:C:2016:410, Rn. 26 und 27).

64      Was im Übrigen den in Rn. 33 des vorliegenden Urteils genannten Umstand anbelangt, dass in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren fraglichen der Vollzug einer Überstellungsentscheidung bis zur Antwort des ersuchten Mitgliedstaats ausgesetzt wäre, genügt die Feststellung, dass die Dublin‑III-Verordnung keine Bestimmung enthält, in der eine solche Aussetzung vorgesehen ist. Die in Art. 27 Abs. 3 und 4 der Verordnung genannten Regeln über die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen betreffen nämlich die Möglichkeit, die Überstellungsentscheidung für den Zeitraum zwischen dem Datum der Einlegung des Rechtsbehelfs oder Überprüfungsantrags und spätestens dem Abschluss des Rechtsbehelfs oder Überprüfungsantrags auszusetzen, ohne dass deren Einlegung zwangsläufig die Aussetzung der Überstellungsentscheidung bedeutet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. September 2017, Khir Amayry, C‑60/16, EU:C:2017:675, Rn. 64 und 68, und vom 25. Januar 2018, Hasan, C‑360/16, EU:C:2018:35, Rn. 38).

65      Dürfte die Zustellung der Überstellungsentscheidung im Sinne von Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vor der Antwort des ersuchten Mitgliedstaats stattfinden, liefe dies in den Rechtsordnungen, die im Gegensatz zur der des Ausgangsverfahrens keine Aussetzung dieser Entscheidung vor der Antwort des ersuchten Mitgliedstaats vorsehen, daher darauf hinaus, dass die betroffene Person dem Risiko ausgesetzt wäre, an den ersuchten Mitgliedstaat überstellt zu werden, bevor dieser der Überstellung grundsätzlich zugestimmt hat.

66      Da im Übrigen mit der Dublin‑III‑Verordnung – wie in Rn. 56 des vorliegenden Urteils ausgeführt – eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden soll, kann nicht zugelassen werden, dass die Auslegung von Art. 26 Abs. 1 der Verordnung, mit dem der Gesetzgeber den Schutz der Rechte der betroffenen Person stärken wollte, je nach der Regelung der an dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats beteiligten Mitgliedstaaten variieren kann.

67      Derselben Logik folgend kann die Schwierigkeit, die sich aus dem Umstand, dass es das französische Recht nicht zulässt, die betroffene Person vor der Zustellung der Überstellungsentscheidung an sie in Verwaltungshaft zu nehmen, ergibt und – wie das vorlegende Gericht bestätigt – ausschließlich auf das nationale Recht zurückgeht, die in Rn. 46 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung von Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung nicht in Frage stellen. Im Übrigen geht aus Art. 28 Abs. 2 und 3 der Verordnung eindeutig hervor, dass die Mitgliedstaaten die betroffenen Personen inhaftieren dürfen, noch bevor das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme an den ersuchten Mitgliedstaat gerichtet worden ist, wenn die in diesem Artikel vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind, so dass die Zustellung der Überstellungsentscheidung keine notwendige Voraussetzung für die Inhaftierung ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. März 2017, Al Chodor, C‑528/15, EU:C:2017:213, Rn. 25, und vom 13. September 2017, Khir Amayry, C‑60/16, EU:C:2017:675, Rn. 25 bis 27, 30 und 31).

68      Das Ziel der Dublin‑III‑Verordnung widerlegt somit nicht die in Rn. 46 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung, sondern spricht vielmehr ebenfalls für sie.

69      Darüber hinaus betreffen die Fragen des vorlegenden Gerichts nicht nur den Zeitpunkt, an dem die Überstellungsentscheidung zuzustellen ist, sondern auch den Zeitpunkt, an dem diese Entscheidung zu erlassen ist.

70      Insoweit trifft es zu, dass sich der Wortlaut von Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III‑Verordnung auf die Zustellung der Überstellungsentscheidung und nicht auf ihren Erlass bezieht. In Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und Art. 5 Abs. 3 der Verordnung, der die Voraussetzungen, unter denen der Mitgliedstaat bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auf das persönliche Gespräch mit dem Antragsteller verzichten darf, bzw. den Zeitpunkt, an dem es stattzufinden hat, festlegt, steht jedoch, dass dieses Gespräch und jede andere Gelegenheit für den Antragsteller, sachdienliche Informationen vorzulegen, stattfinden müssen, bevor die Überstellungsentscheidung gemäß Art. 26 Abs. 1 der Verordnung ergeht.

71      Außerdem ist festzustellen, dass nach Art. 26 Abs. 2 Unterabs. 1 der Dublin‑III-Verordnung die Überstellungsentscheidung eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten muss, einschließlich des Rechts, falls erforderlich, aufschiebende Wirkung zu beantragen, und der Fristen für die Einlegung eines Rechtsbehelfs sowie Informationen über die Frist für die Durchführung der Überstellung mit erforderlichenfalls Angaben über den Ort und den Zeitpunkt, an dem oder zu dem sich die betreffende Person zu melden hat, wenn diese Person sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt.

72      Diese Informationen hängen jedoch, wie der Generalanwalt in Nr. 44 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, grundsätzlich sowohl vom Zeitpunkt, an dem der ersuchte Mitgliedstaat auf das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme antwortet, als auch vom Inhalt der Antwort gemäß den in Art. 6 der Durchführungsverordnung festgelegten Modalitäten ab, wenn sie ausdrücklich ist.

73      Jedenfalls kann eine Überstellungsentscheidung der betroffenen Person nicht entgegengehalten werden, bevor sie ihr zugestellt worden ist, wobei der Zeitpunkt, an dem die Zustellung stattfinden muss, in Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III‑Verordnung genau festgelegt ist, wie aus den vorstehenden Ausführungen hervorgeht. Daraus ergibt sich, dass der Erlass einer solchen Entscheidung vor der Antwort des ersuchten Mitgliedstaats – selbst wenn ihre Zustellung erst nach dieser Antwort stattfinden sollte – weder zum Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz noch zum Ziel der Gewährleistung eines effektiven gerichtlichen Schutzes der Rechte der betroffenen Person beitragen könnte, da die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung zwangsläufig nach ihrer Zustellung erfolgt (vgl. insoweit Urteil vom 26. Juli 2017, A. S., C‑490/16, EU:C:2017:585, Rn. 54).

74      Daher steht Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III‑Verordnung auch dem Erlass einer Überstellungsentscheidung vor der ausdrücklichen oder stillschweigenden Antwort des ersuchten Mitgliedstaats auf das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme entgegen.

75      Nach alledem ist Art. 26 Abs. 1 der Dublin‑III‑Verordnung dahin auszulegen, dass er es dem Mitgliedstaat, der bei einem anderen Mitgliedstaat, den er aufgrund der in der Verordnung festgelegten Kriterien dafür zuständig hält, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, ein Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme einer Person im Sinne des Art. 18 Abs. 1 der Verordnung gestellt hat, verwehrt, eine Überstellungsentscheidung zu erlassen und dieser Person zuzustellen, bevor der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat.

 Kosten

76      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 26 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass er es dem Mitgliedstaat, der bei einem anderen Mitgliedstaat, den er aufgrund der in der Verordnung festgelegten Kriterien dafür zuständig hält, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, ein Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme einer Person im Sinne des Art. 18 Abs. 1 der Verordnung gestellt hat, verwehrt, eine Überstellungsentscheidung zu erlassen und dieser Person zuzustellen, bevor der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Französisch.