Language of document : ECLI:EU:C:2001:50

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ANTONIO TIZZANO

vom 23. Januar 2001 (1)

Rechtssache C-144/99

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

gegen

Königreich der Niederlande

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 93/13/EWG - Unvollständige Umsetzung“

I - Vorbemerkung

1.
    In der vorliegenden Rechtssache, die von der Europäischen Kommission nach Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) anhängig gemacht worden ist, hat der Gerichtshof zu prüfen, ob die dem Königreich der Niederlande obliegende Pflicht, die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29) in sein innerstaatliches Recht umzusetzen, durch im niederländischen Recht bereits vorhandene Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs erfüllt werden kann, die angeblich der Richtlinie entsprächen. Der Gerichtshof hat insbesondere zu untersuchen, ob das mit den Artikeln 4 Absatz 2 und 5 der Richtlinie angestrebte Ergebnis durch verschiedene Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus dem Bereich des Schuldrechts und des Allgemeinen Vertragsrechts - vor allem wenn man sie im Licht der einschlägigen nationalen Rechtsprechung betrachtet - erreicht wird.

II - Rechtlicher Rahmen

A - Gemeinschaftsrecht

2.
    Die hier zu untersuchende Richtlinie bezweckt bekanntlich die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern (Artikel 1 Absatz 1), wobei sie vorrangig das Ziel verfolgt, die Verbraucher im Fall der Verwendung solcher Klauseln in Verträgen zu schützen, die sie mit einem „Gewerbetreibenden“ abschließen, d. h. mit „einer natürlichen oder juristischen Person, die bei Verträgen, die unter [die] Richtlinie fallen, im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, auch wenn diese dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist“ (Artikel 2 Buchstabe c). Die Richtlinie definiert den Begriff der „missbräuchlichen Klauseln“ (Artikel 3) und bestimmt im Anschluss daran insbesondere, dass solche Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sind (Artikel 6).

3.
    Im vorliegenden Zusammenhang sind insbesondere die Artikel 4 Absatz 2 und 5 der Richtlinie von Interesse. Artikel 4 enthält spezielle Regeln für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel; er bestimmt in Absatz 2:

„Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.“

4.
    Artikel 5 der Richtlinie lautet wie folgt:

„Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlichabgefasst sein. Bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung. Diese Auslegungsregel gilt nicht im Rahmen der in Artikel 7 Absatz 2 vorgesehenen Verfahren.“

Der besagte Artikel 7 Absatz 2 verpflichtet die Mitgliedstaaten, in ihrem innerstaatlichem Recht Rechtsvorschriften einzuführen, wonach Personen oder Verbraucherorganisationen im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen können, damit diese darüber entscheiden, ob bestimmte Vertragsklauseln, die im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefasst wurden, missbräuchlich sind, und angemessene Mittel anwenden, um der Verwendung solcher Klauseln ein Ende zu setzen.

5.
    Nach Artikel 10 Absatz 1 der Richtlinie mussten die Mitgliedstaaten spätestens am 31. Dezember 1994 die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen, um der Richtlinie nachzukommen. In Artikel 10 Absatz 2 wurden die Mitgliedstaaten außerdem verpflichtet, „wenn [sie] diese Vorschriften erlassen, ... in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug [zu nehmen]“.

B - Nationale Rechtsvorschriften

6.
    Buch III des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs behandelt das Vermögensrecht im Allgemeinen, während Buch VI den Allgemeinen Teil des Schuldrechts und die Bücher VII und VIII Besondere Verträge zum Gegenstand haben.

7.
    Obwohl die niederländische Regierung im Lauf des Verfahrens verschiedene Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs angeführt hat, hat sich das Interesse der Parteien später auf die nachstehend wiedergegebenen Vorschriften konzentriert (wobei ich zugleich darauf hinweise, dass ich eine nicht amtliche Übersetzung benutze):

-    Artikel 35 des Buches III (im Folgenden: Artikel 3:35):

„Gegenüber demjenigen, der die Erklärung oder das Verhalten eines anderen entsprechend dem Sinn, den er dieser Erklärung oder diesem Verhalten unter den gegebenen Umständen vernünftigerweise zuschreiben durfte, als eine von diesem anderen an ihn gerichtete Erklärung eines bestimmten Inhalts aufgefasst hat, kann man sich nicht auf den Mangel eines mit dieser Erklärung übereinstimmenden Willens berufen.“

-    Artikel 228 des Buches VI (im Folgenden: Artikel 6:228):

„(1)    Ein Vertrag, der unter dem Einfluss eines Irrtums zustande gekommen ist und bei einer richtigen Vorstellung über das Geschäft nicht geschlossen worden wäre, ist anfechtbar:

a)    wenn der Irrtum auf eine Auskunft der anderen Partei zurückzuführen ist, es sei denn, dass diese annehmen durfte, dass der Vertrag auch ohne diese Auskunft geschlossen würde;

b)    wenn die andere Partei in Anbetracht dessen, was sie bezüglich des Irrtums wusste oder wissen musste, den Irrenden hätte aufklären können;

c)    wenn die andere Partei beim Abschluss des Vertrages von derselben falschen Voraussetzung wie der Irrende ausgegangen ist, es sei denn, dass sie auch bei einer richtigen Vorstellung von dem Geschäft nicht hätte erkennen müssen, dass der Irrende dadurch vom Abschluss des Vertrages abgehalten würde.

(2)    Die Anfechtung kann nicht auf einen Irrtum gestützt werden, der einen ausschließlich zukünftigen Umstand betrifft oder der in Anbetracht der Art des Vertrages, der Verkehrsauffassungen oder der Umstände des Falles von dem Irrenden zu verantworten ist.“

-    Artikel 231 des Buches VI, Titel 5, Abschnitt 3 („Allgemeine Geschäftsbedingungen“, im Folgenden: Artikel 6:231):

„In diesem Abschnitt bedeuten;

a)    .Allgemeine Geschäftsbedingungen': Eine oder mehrere schriftlich niedergelegte Bestimmungen, die zu dem Zweck aufgestellt worden sind, in eine Mehrzahl von Verträgen aufgenommen zu werden, mit Ausnahme von Bestimmungen, die die Hauptleistungen bezeichnen;

b)    .Verwender': Derjenige, der Allgemeine Geschäftsbedingungen in einem Vertrag verwendet;

c)    .die andere Vertragspartei': Derjenige, der durch Unterzeichnung eines Schriftstücks oder auf andere Weise die Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen anerkannt hat.“

-    Artikel 233 des Buches VI (im Folgenden: Artikel 6:233):

„Eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist anfechtbar,

a)    wenn sie unter Berücksichtigung der Art und des sonstigen Inhalts des Vertrages, der Weise, auf die die Geschäftsbedingungen zustande gekommen sind, der gegenseitig erkennbaren Interessen der Parteien undder sonstigen Umstände des Falles die andere Vertragspartei unangemessen benachteiligt; oder

b)    wenn der Verwender der anderen Vertragspartei keine angemessene Möglichkeit gegeben hat, von den Allgemeinen Geschäftsbedingungen Kenntnis zu nehmen.“

-    Artikel 248 des Buches VI, Titel 5, Abschnitt 4 („Rechtsfolgen von Verträgen“, im Folgenden: Artikel 6:248):

„(1)    Ein Vertrag hat nicht nur die von den Parteien vereinbarten Rechtsfolgen, sondern auch die, die sich je nach der Art des Vertrages aus dem Gesetz, der Gewohnheit oder den Erfordernissen der Vernünftigkeit und Billigkeit ergeben.

(2)    Eine zwischen den Parteien infolge des Vertrages geltende Regel findet keine Anwendung, soweit dies unter den gegebenen Umständen nach Maßgabe von Vernünftigkeit und Billigkeit unannehmbar wäre.“

III - Vorbringen der Parteien

8.
    Die Kommission begehrt mit der vorliegenden Klage die Feststellung, dass das Königreich der Niederlande eine Vertragsverletzung begangen hat, da sie die Umsetzung der Richtlinie in diesem Mitgliedstaat sowohl hinsichtlich der Form und der verwendeten Mittel als auch vom Ergebnis her für unzureichend hält.

9.
    Die Kommission macht insbesondere geltend, dass eine gleichsam „implizite“ Umsetzung einer Richtlinie, die sich ausschließlich auf bereits im nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorhandene richtlinienkonforme Bestimmungen stützt, nur in sehr engen Grenzen zulässig sei. Dies gelte umso mehr, wenn die Richtlinie - wie im vorliegenden Fall - den Zweck verfolge, den Verbraucher durch die Gewährung genau umschriebener Ansprüche zu schützen. In diesen Fällen müsse nämlich die Umsetzung in klarer und eindeutiger Form erfolgen, so dass die Verbraucher volle Kenntnis von den Ansprüchen erhielten, die ihnen dabei gewährt würden. Unabhängig von diesen allgemeinen Erwägungen bestreitet die Kommission, dass die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs tatsächlich das mit den Artikeln 4 Absatz 2 und 5 der Richtlinie angestrebte Ergebnis sicherstellen.

10.
    Die niederländische Regierung vertritt die gegenteilige Auffassung und beantragt die Abweisung der Klage, da der Gegenstand der Richtlinie bereits vollständig durch die vorhandenen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelt sei.

11.
    Sie macht in erster Linie geltend, dass Artikel 189 Absatz 3 EG-Vertrag (jetzt Artikel 249 Absatz 3 EG) den Mitgliedstaaten Freiheit bei der Wahl derForm und der Mittel lasse, die zur Umsetzung einer Richtlinie erforderlich seien, und dass der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung anerkannt habe, dass angesichts dieser Freiheit eine ausdrückliche Umsetzung entbehrlich sei, wenn die mit der Richtlinie verfolgten Ziele im nationalen Recht bereits erreicht seien. Genau das sei vorliegend der Fall, und zwar sowohl aufgrund der genannten Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die die niederländische Regierung einer umfangreichen und gründlichen Untersuchung unterzieht, als auch aufgrund von im niederländischen Recht anerkannten ungeschriebenen Rechtsregeln, wie beispielsweise des Grundsatzes der interpretatio contra proferentem, der Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie vollauf entspreche.

12.
    In diesem Zusammenhang legt die niederländische Regierung in ihrer Verteidigung besonderen Wert auf die Anwendung der fraglichen Bestimmungen in der Rechtsprechung, die eine zusätzliche und endgültige Bestätigung ihrer Auffassung von der vollen Vereinbarkeit des niederländischen Rechts mit der Richtlinie darstelle. Sie verweist dabei insbesondere auf ein Urteil vom 19. September 1997 (NJ 1998, Nr. 6), in dem der Hoge Raad (das höchste Gericht des Königreichs der Niederlande) festgestellt habe, dass „die niederländische Regelung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen [im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1992], die nach der Auffassung des Gesetzgebers die Richtlinie einbezieht, so ausgelegt werden muss, dass sie den Verbrauchern mindestens denselben Schutz wie die Richtlinie gewährt“.

13.
    Obwohl es an seinem soeben dargelegten Standpunkt uneingeschränkt festhält, verweist das Königreich der Niederlande zusätzlich darauf, dass das niederländische Parlament am 28. Oktober 1999 (und somit nach Ablauf der von der Kommission in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist) ein Gesetz zur „Verdeutlichung“ der Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verabschiedet habe. Es hebt allerdings hervor, dass dieses Gesetz keinerlei Änderung der bestehenden Rechtsvorschriften über missbräuchliche Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen bewirke, sondern ausschließlich „Erläuterungen“ enthalte, die die bereits geltenden Grundsätze des nationalen Rechts wiedergäben.

IV - Rechtliche Würdigung

A - Allgemeine Erwägungen

14.
    Bekanntlich ist die Richtlinie gemäß Artikel 189 Absatz 3 EG-Vertrag „für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel“.

15.
    Wie ebenfalls bekannt ist, hatte der Gerichtshof wiederholt die Gelegenheit, den Sinn und die Tragweite dieser Bestimmung zu klären. Im vorliegenden Zusammenhang beschränke ich mich darauf, auf die ständige Rechtsprechunghinzuweisen: „Zwar belässt [Artikel 189 Absatz 3 EG-Vertrag] den Mitgliedstaaten die Freiheit bei der Wahl der Mittel und Wege zur Durchführung der Richtlinie, doch lässt diese Freiheit die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt, im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu erreichen.“(2) Die Mitgliedstaaten müssen hierzu nach Auffassung des Gerichtshofes einen eindeutigen gesetzlichen Rahmen auf dem betreffenden Gebiet schaffen, durch den die nationale Rechtsordnung in Einklang mit den Bestimmungen der Richtlinie gebracht wird(3). Dies hat in einer Form zu geschehen, die keine Zweifel oder Mehrdeutigkeiten bestehen lässt, und zwar nicht nur hinsichtlich des Inhalts und der Vereinbarkeit der nationalen Bestimmungen mit der Richtlinie, sondern auch in Bezug auf deren förmlichen Stellenwert und ihre Eignung als rechtliche Grundlage zur Regelung des betreffenden Bereiches. So sind beispielsweise eine bloße Praxis oder ein Verwaltungsrundschreiben für eine ordnungsgemäße Umsetzung von Richtlinien nicht ausreichend, da sie anders als die echten Rechtsquellen keine Gewähr für Beständigkeit, Verbindlichkeit und Publizität bieten.(4) Gerade weil der betroffene Mitgliedstaat verpflichtet ist, „die Bestimmungen einer jeden Richtlinie vollständig und genau einzuhalten“, besteht seine Vertragsverletzung fort, solange er „der Richtlinie nicht vollständig nachgekommen ist“, selbst wenn „die innerstaatlichen ... Vorschriften die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie bereits weitgehend gewährleisten“(5).

16.
    Zwar hat der Gerichtshof - wie die niederländische Regierung betont - anerkannt, dass es hierfür nicht immer eines förmlichen Umsetzungsakts und noch weniger eines gesetzgeberischen Aktes bedarf. Das ist insbesondere der Fall, wenn die einschlägige Bestimmung aus der nationalen Rechtsordnung bereits „hinreichend bestimmt und klar“ ist, so dass „die Begünstigten in der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor dennationalen Gerichten geltend zu machen“(6). Man muss jedoch berücksichtigen, dass es in all diesen Fällen um eine Ausnahme von den zuvor dargestellten Grundsätzen ging, die aus Gründen der gesetzgeberischen Zweckmäßigkeit gerechtfertigt war. Wie stets bei derartigen Ausnahmen ist daher eine sehr enge Auslegung geboten, was für den vorliegenden Fall bedeutet, dass eine allgemeine Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit der Richtlinie nicht ausreicht, um eine mögliche Vertragsverletzung des betreffenden Mitgliedstaats auszuschließen, sondern dass eine klare und genaue Konformität gegeben sein muss.

17.
    Wie sich nämlich aus der genannten Rechtsprechung ergibt, sind bei der gegebenen Sachlage sowohl das Erfordernis einer vollständigen und einheitlichen Anwendung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten als auch die daraus folgende Notwendigkeit eines umfassenden Schutzes der von der Richtlinie gewährten Rechte als vorrangig anzusehen. Gerade im Hinblick auf den letztgenannten Gesichtspunkt muss man vor allem berücksichtigen, dass der Gerichtshof mehrfach besonderen Wert darauf gelegt hat, dass bei der Konformität des vorhandenen nationalen rechtlichen Rahmens keinerlei Zweifel im Hinblick auf die Reichweite der von der Richtlinie den Einzelnen eingeräumten Rechtspositionen bestehen dürfen. So hat der Gerichtshof etwa darauf hingewiesen, dass es „für die Erfüllung des Erfordernisses der Rechtssicherheit von besonderer Bedeutung [ist], dass die Rechtslage für den Einzelnen hinreichend bestimmt und klar ist und ihn in die Lage versetzt, von allen seinen Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen“(7).

18.
    Die Möglichkeit, von einer ausdrücklichen Umsetzungsmaßnahme abzusehen, unterliegt daher ganz besonders strengen Voraussetzungen, wenn es um Richtlinien geht, die Ansprüche der Einzelnen begründen sollen, oder gar um Richtlinien, die, wie im vorliegen Fall, den Zweck verfolgen, einen verstärkten Schutzrahmen für die große, aber unbestimmte Gruppe der Verbraucher gegenüber „stärkeren“ Vertragspartnern zu schaffen. Wie der Gerichtshof bemerkt hat, ist dies „besonders wichtig, wenn die Richtlinie darauf abzielt, den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Ansprüche zu verleihen, denn diese sind normalerweise über [über Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten] nicht unterrichtet“(8). Gerade dies ist jedoch bei der vorliegenden Richtlinie der Fall, denn sie bezweckt u. a.,„den Bürger in seiner Rolle als Verbraucher beim Kauf von Waren und Dienstleistungen mittels Verträgen zu schützen, für die die Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten gelten“ (sechste Begründungserwägung).

19.
    Nach diesen allgemeinen Feststellungen möchte ich bemerken, dass ich keineswegs davon überzeugt bin, dass die Rechtslage nach dem niederländischen Recht im vorliegenden Fall den soeben wiedergegeben Anforderungen vollauf gerecht wird. So glaube ich weder, dass die bestehende niederländische Regelung des Gegenstands der Richtlinie völlig richtlinienkonform ist, noch dass sie die Klarheit, Offensichtlichkeit und Eindeutigkeit aufweist, die nach den Worten des Gerichtshofes „ausreichend“ sind, damit die Begünstigten in der Lage sind, „von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen“.

20.
    Im Gegenteil stelle ich - unabhängig davon, was sich im weiteren Verlauf der Untersuchung ergeben wird - fest, dass bereits die Diskussionen zwischen den Parteien der vorliegenden Rechtssache zumindest indirekt zeigen, dass die Auslegung der niederländischen Regelung keineswegs frei von Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten ist. Diese Zweifel werden zudem dadurch bestärkt, dass sich die Diskussionen vornehmlich um die Frage drehten, welche Bedeutung und Tragweite den einschlägigen Urteilen hoher niederländischer Rechtsprechungsorgane beizumessen sei. Die Anwendung einer Richtlinie, die eine solche Bedeutung und Tragweite hat wie die vorliegende, darf nicht in einem bestimmten Mitgliedstaat derartigen Auslegungsschwierigkeiten ausgesetzt sein, und vor allem darf das Recht der Einzelnen, seien sie niederländische Staatsbürger oder nicht, auf die Geltendmachung der ihnen durch die Richtlinie verliehenen Rechtspositionen hiervon nicht betroffen sein.

21.
    Schon die Tatsache, dass die niederländische Regierung es für erforderlich gehalten hat, ein Gesetz zu erlassen, um die nationale Regelung über missbräuchliche Klauseln in Standardverträgen zu „erläutern“ und zu „erklären“, beweist, dass auch diese Regierung, entgegen ihren Behauptungen, höchstwahrscheinlich die Notwendigkeit gesehen hat, die von der Kommission beanstandeten Schwierigkeiten zu beheben. Ob dieses Gesetz das gewünschte Ergebnis erreicht, spielt vorliegend keine Rolle, da es über ein Jahr nach dem Verstreichen der Frist erlassen wurde, die die Kommission in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt hatte, und daher jedenfalls die dem Königreich der Niederlande vorgeworfene Vertragsverletzung nicht beseitigen kann(9).

B - Zur Vereinbarkeit der Grundsätze und Bestimmungen des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der Gemeinschaftsrichtlinie

22.
    Unabhängig von diesen allgemeinen Bedenken müssen zur Prüfung der Begründetheit der von der Kommission erhobenen Klage die Rügen, die diese gegenüber der beklagten Regierung erhoben hat, sowie die hierauf vorgebrachten Gegenargumente näher untersucht werden.

23.
    Ich möchte zunächst auf das Argument eingehen, dass es im niederländischen Recht einen allgemeinen Grundsatz gebe, der für diese Rechtsordnung dieselbe Regel der für den Verbraucher günstigsten Auslegung aufstelle wie Artikel 5 Satz 2 der Richtlinie. Nach Darstellung der niederländischen Regierung handelt es sich bei diesem Grundsatz um eine Auslegungsregel, die üblicherweise von den Gerichten angewandt werde, was jedoch zumindest zweifelhaft erscheint, wenn man die von der Kommission angeführte Rechtsprechung des Hoge Raad berücksichtigt, der es mehrmals abgelehnt hat, den genannten Grundsatz als „Rechtsregel“ anzuerkennen(10).

24.
    In Bezug auf die Auslegungsgrundsätze macht die beklagte Regierung weiter geltend, es bestünden keine Unterschiede zwischen der Richtlinie und ihrem innerstaatlichen Recht, soweit es um die Rechtsfolgen gehe, die für den Fall vorgesehen seien, dass der Vertrag mehrdeutige oder unverständliche Klauseln enthalte.

25.
    Mir scheint jedoch die gegenteilige Auffassung der Kommission überzeugender, die auf folgende Gesichtspunkte verweist:

a)    Während Artikel 6:233 des Bürgerlichen Gesetzbuchs für Klauseln, die den Transparenzgrundsatz verletzen, stets die Anfechtbarkeit vorsieht, kann die Anwendung eines hermeneutischen Kriteriums wie des Grundsatzes der für den Verbraucher günstigsten Auslegung (auch als „interpretatio contra proferentem“ bezeichnet), der in der Richtlinie vorgesehen ist, die Aufrechterhaltung der fraglichen Klausel ermöglichen;

b)    das Kriterium der „Vernünftigkeit“, das nach den Artikeln 3:35 und 6:248 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bei der Auslegung unklarer oder unverständlicher Klauseln heranzuziehen ist, stimmt nicht notwendigerweise mit dem hierfür in der Richtlinie vorgesehenen Kriterium überein, wonach die für den Verbraucher günstigste Auslegung gilt;

c)    ebenso kommt die Regelung des Artikels 3:35 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, nach der unklare oder unverständliche Klauseln, oder besser gesagt, Vertragsklauseln, die in unvernünftiger oder unbilliger Weise ausgelegt werden können, dem Verbraucher nicht entgegengehalten werden können, nicht notwendigerweise der Rechtsfolge gleich, dass solche Klauseln gegenüber dem Verbraucher in der für ihn günstigsten Auslegung gelten.

26.
    Ich komme nun zur Prüfung der Vereinbarkeit des niederländischen Rechts mit den Artikeln 4 Absatz 2 und 5 Satz 3 der Richtlinie und muss sogleich darauf hinweisen, dass das Königreich der Niederlande nicht darlegen konnte, dass seine Rechtsordnung Vorschriften enthält, die diesen Bestimmungen entsprechen. Es hat sich im Wesentlichen auf das Vorbringen beschränkt, eine ausdrückliche Umsetzung sei insoweit entbehrlich, da die mit diesen Bestimmungen angestrebten Ziele durch eine systematische Auslegung des niederländischen Rechts erreicht werden könnten. Ich glaube jedoch nicht, dass dies zutrifft und der von den niederländischen Behörden aufgezeigte Weg tatsächlich eine getreue Umsetzung der Richtlinie erlaubt. Ich will versuchen, die Gründe hierfür darzustellen.

27.
    Zunächst möchte ich daran erinnern, dass Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie ausdrücklich vorsieht, dass sogar Klauseln, die den Hauptgegenstand des Vertrages und die Angemessenheit zwischen dem Preis oder Entgelt und den Dienstleistungen oder Gütern betreffen, als missbräuchlich anzusehen sind, wenn sie unklar oder mehrdeutig sind. Dem Verbraucher wird dadurch in klarer und eindeutiger Form die Möglichkeit eingeräumt, gegenüber solchen Klauseln den Schutz des Artikels 6 Absatz 1 der Richtlinie in Anspruch zu nehmen und so die Bindungswirkung der Klauseln zu beseitigen.

28.
    Ich bin dagegen nicht der Auffassung, dass eine systematische Auslegung des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch die Gerichte zu einer vergleichbaren Sicherheit und Klarheit der Regeln und Ergebnisse führen kann. Mir scheint vielmehr, dass der Gewerbetreibende beim derzeitigen Stand der Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach wie vor die Möglichkeit hat, den Verbraucher daran zu hindern, „Bestimmungen, die die Hauptleistung bezeichnen“ nach Artikel 6:233 des Bürgerlichen Gesetzbuchs anzufechten. Da Artikel 6:231 zudem „Bestimmungen, die die Hauptleistung bezeichnen“ aus der Definition der „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ (für die allein die Anfechtungsmöglichkeit nach Artikel 6:233 besteht) ausnimmt, kann der Gewerbetreibende sich stets auf diese Bestimmung berufen, um solche Klauseln aus der Gruppe derjenigenVertragsbestimmungen auszuschließen, die unter den Begriff der „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ fallen.

29.
    In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Ausschluss von Klauseln, die sich auf die Hauptleistung beziehen, aus der Regelung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine erhebliche Beschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie darstellt. Man braucht sich dabei nur vor Augen zu halten, welche Auswirkungen dies für Verträge jeder Art haben kann, wie etwa im Fall der Versicherungsverträge, bei denen sich eine mehrdeutige Formulierung des wesentlichen Vertragsgegenstands, wie etwa bei der Definition des versicherten Risikos, besonders anbietet.

30.
    Ein weiterer problematischer Bereich betrifft Artikel 5 Satz 3 der Richtlinie. Bekanntlich hindert diese Bestimmung den Gewerbetreibenden daran, sich in einem Untersagungsverfahren auf den Grundsatz der für den Verbraucher günstigsten Auslegung zu berufen, wenn er sich dadurch gegen die Untersagung der Verwendung einer mehrdeutigen Klausel verteidigen könnte, die zu den von dem Gewerbetreibenden bei Geschäften mit Verbrauchern allgemein verwendeten Vertragsbedingungen gehört. Wie die Kommission bemerkt, soll mit dieser Bestimmung verhindert werden, dass ein zum Schutz des Verbrauchers bestimmter Grundsatz sich im Untersagungsverfahren zu dessen Nachteil auswirken kann, wenn sich der Gewerbetreibende gegen eine Verurteilung zur Unterlassung der Verwendung unklar formulierter Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die als missbräuchliche Klauseln ausgelegt werden können, verteidigt, indem er eine für den Verbraucher günstigere Auslegung dieser Klauseln anführt. Dieses Ergebnis lässt sich jedoch durch eine systematische Auslegung des nationalen Rechts, wie sie die niederländische Regierung vornehmen will, nicht erreichen, weil es die Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs dem auf Unterlassung verklagten Gewerbetreiben in jedem Fall erlauben würde, sich auf den entsprechenden Grundsatz zu berufen.

31.
    Schließlich ist auch zu bezweifeln, ob das niederländische Recht die volle Beachtung des Transparenzgebots gewährleistet, das gemäß Artikel 5 Satz 1 der Richtlinie für den Gewerbetreibenden bei der Abfassung von Klauseln in Formularverträgen gilt. Die vom Königreich der Niederlande insoweit angeführten Bestimmungen greifen vielmehr auf Kriterien von Treu und Glauben zurück, um ein scheinbar ähnliches Ergebnis zu erreichen. Auf diese Weise wird aber, wie die Kommission bemerkt, das Ergebnis nur indirekt und nicht mit der Wirksamkeit und Unmittelbarkeit angestrebt, die eine Bestimmung hätte, die dem in der Richtlinie aufgestellten Grundsatz ausdrücklich Rechnung trüge; dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewählte Lösung, wie wiederum die Kommission bemerkt, gerade darauf abzielt, den Gewerbetreibenden zu zwingen, von Anfang an für Klarheit und Verständlichkeit der Klauseln Sorge zu tragen und damit sicher zu stellen, dass der Verbraucher schon vor Abschlussdes Vertrages die erforderlichen Informationen erhalten kann, um seine Entscheidung in voller Kenntnis der Sache zu treffen(11).

C - Zur richtlinienkonformen Auslegung der niederländischen Vorschriften

32.
    Nach diesen Feststellungen zu den Unterschieden zwischen den einschlägigen Bestimmungen des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs und der Richtlinie bleibt zu prüfen, ob das zuvor genannte Urteil des Hoge Raad vom 19. September 1997 (vgl. oben, Nr. 12) und insbesondere der darin ausdrücklich erwähnte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung der niederländischen Vorschriften Abhilfe schaffen kann. Wie bereits erläutert, behauptet die niederländische Regierung, dass das mit der Richtlinie angestrebte Ziel durch die von den nationalen Gerichten praktizierte Auslegung und vor allem durch das erwähnte Urteil des Hoge Raad vollauf erreicht würde.

33.
    Insoweit ist jedoch vor allem darauf hinzuweisen, dass die erwähnte Rechtsprechung weder eine Besonderheit des niederländischen Rechts darstellt noch im vorliegenden Zusammenhang eine besondere Bedeutung hat. Sie bringt eine allgemein anerkannte Tendenz zum Ausdruck, betrifft jedoch nicht die hier anstehende Frage, ob eine bestehende nationale Regelung zur vollständigen und ordnungsgemäßen Umsetzung einer Richtlinie geeignet ist, und beantwortet diese daher auch nicht.

34.
    Der Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts, einer der bekanntesten Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, wurde vom Gerichtshof auch in Fällen der verspäteten Umsetzung von Richtlinien angewandt. Erst kürzlich hat der Gerichtshof gerade in Bezug auf die hier einschlägige Richtlinie Folgendes in Erinnerung gebracht: „Da es sich um einen Fall handelt, in dem eine Richtlinie nicht umgesetzt worden ist, muss das nationale Gericht, das das nationale Recht - gleich, ob es sich um vor oder nach der Richtlinie erlassene Vorschriften handelt - bei dessen Anwendung auszulegen hat, nach ständiger Rechtsprechung ... seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen undauf diese Weise Artikel 189 Absatz 3 EG-Vertrag (jetzt Artikel 249 EG) nachzukommen.“(12)

35.
    Ich wiederhole jedoch, dass diese Auslegungshinweise die hier anstehende Frage nicht beantworten. Sie sind nämlich dazu bestimmt, in der Zeit bis zur Umsetzung der Richtlinie oder solange die Umsetzung nicht ordnungsgemäß oder unvollständig ist, angewandt zu werden; als Rechtfertigung für eine unzureichende oder fehlende Umsetzung kommen sie dagegen gewiss nicht in Betracht. Wie zu Recht bemerkt wird, beseitigt der Umstand allein, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats erklärt, das nationale Recht nach den vom Gerichtshof aufgestellten Grundsätzen im Licht des Gemeinschaftsrechts auszulegen, „nicht die Verpflichtung aller Träger öffentlicher Gewalt dieses Mitgliedstaats, namentlich des Gesetzgebers, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten alle Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Umsetzung und damit die Erreichung der Ziele der Gemeinschaftsnorm zu gewährleisten“(13).

36.
    Wie nämlich Generalanwalt Léger festgestellt hat und wie sich aus der oben angeführten Rechtsprechung ergibt, verstieße „eine derartige Annahme ... gegen grundlegende Erfordernisse, die jede Umsetzung voraussetzt, nämlich diejenigen der Rechtssicherheit und einer angemessenen Publizität. So hat der Gerichtshof wiederholt festgestellt, dass die Vorschriften einer Richtlinie .mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit ... [umgesetzt werden müssen], die ... notwendig sind, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen', und zwar so, dass - soweit die Richtlinie Ansprüche der Einzelnen begründen soll - die Begünstigten in der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen. ... Eine nationale Rechtsprechung, die innerstaatliche Rechtsvorschriften in einem Sinn auslegt, der als mit den Anforderungen einer Richtlinie in Einklang stehend angesehen wird, genügt nicht, um diesen Vorschriften die Qualität von Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verleihen.“(14) Wie bereits erwähnt, hat der Gerichtshof bei derselben Gelegenheit im Einklang mit diesen Schlussfolgerungen festgestellt, dass es „nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ... für die Erfüllung des Erfordernisses der Rechtssicherheit von besonderer Bedeutung [ist], dass die Rechtslage für den Einzelnen hinreichend bestimmt und klar ist und ihn in die Lage versetzt, von allenseinen Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen“(15).

37.
    Nach diesen allgemeinen Feststellungen ist zu bemerken, dass die Rechtsprechung des Hoge Raad im vorliegenden Fall noch nicht einmal geeignet erscheint, um die Ergebnisse zu erreichen, die ihr die niederländische Regierung zuschreibt. Wie nämlich die Kommission ausgeführt hat, stimmt der Grundsatz, der in dem dem erwähnten Urteil des Hoge Raad vom 19. September 1997 zum Ausdruck kommt, nicht vollständig mit dem überein, was sich anderen Urteilen desselben Gerichts entnehmen lässt (vgl. Fußnote 9). In anderen Fällen hat es nämlich im Hinblick auf grundlegende Gesichtspunkte der Richtlinie, insbesondere auf den in Artikel 5 Satz 2 enthaltenen wichtigen Grundsatz der für den Verbraucher günstigsten Auslegung, festgestellt, dass dieser Grundsatz im niederländischen Recht keine „Rechtsregel“, sondern allenfalls ein allgemeiner Gesichtspunkt sei, der bei der Vertragsauslegung durch das Gericht eine gewisse Bedeutung erlangen könne.

38.
    Diese Urteile sind zwar älter als das erwähnte Urteil von 1997, doch ist mindestens eines davon nach Inkrafttreten der Richtlinie ergangen. Dies stellt meines Erachtens zusammen mit den bereits dargelegten Gesichtspunkten eine zusätzliche Bestätigung für die Unangemessenheit einer Methode der Richtlinienumsetzung dar, die auf Lösungen beruht, denen es nicht nur an Klarheit und Offenkundigkeit mangelt, sondern auch an Sicherheit und Endgültigkeit, da sie notwendigerweise den möglichen Schwankungen der Rechtsprechungen unterliegen.

39.
    Im Ergebnis bin ich daher der Auffassung, dass auch die von der niederländischen Regierung angeführte Rechtsprechung die bereits festgestellte mangelnde Eignung der Rechtsvorschriften dieses Landes zu einer klaren und eindeutigen Durchführung der Richtlinie nicht behebt. Der Klage der Kommission ist folglich stattzugeben.

D - Kosten

40.
    Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Die Kommission hat den entsprechenden Antrag gestellt, dem in Anbetracht der soeben getroffenen Feststellungen zum Ausgang des Verfahrens stattzugeben ist.

Ergebnis

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor,

1.    festzustellen, dass das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 189 Absatz 3 EG-Vertrag (jetzt Artikel 249 Absatz 3 EG) und aus der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen verstoßen hat, dass es die für eine ordnungsgemäße Umsetzung der Artikel 4 Absatz 2 und 5 der Richtlinie in das innerstaatliche Recht erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nicht erlassen hat;

2.    dem Königreich der Niederlande die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.


1: Originalsprache: Italienisch.


2: -     Vgl. statt aller Urteil vom 10. April 1984 in der Rechtssache 14/83 (Von Colson und Kamann, Slg. 1984, 1891, Randnr. 15).


3: -     Vgl. z. B. Urteile vom 15. März 1990 in der Rechtssache C-339/87 (Kommission/Niederlande, Slg. 1990, I-851, Randnr. 25), vom 30. Mai 1991 in der Rechtssache C-59/89 (Kommission/Deutschland, Slg. 1991, I-2607, Randnr. 28), vom 22. April 1999 in der Rechtssache C-340/96 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1999, I-2023, Randnr. 27).


4: -     Vgl. statt vieler Urteile vom 2. Dezember 1986 in der Rechtssache 239/85 (Kommission/Belgien, Slg. 1986, 3645, Randnr. 7), vom 17. Oktober 1991 in der Rechtssache C-58/89 (Kommission/Deutschland, Slg. 1991, I-4983, Randnr. 13), vom 10. Dezember 1991 in der Rechtssache C-306/89 (Kommission/Griechenland, Slg. 1991, I-5863, Randnr. 19) und vom 20. März 1997 in der Rechtssache C-96/95 (Kommission/Deutschland, Slg. 1997, I-1653, Randnr. 38).


5: -     Urteile vom 18. März 1980 in der Rechtssache 91/79 (Kommission/Italien, Slg. 1990, 1099, Randnr. 6) und in der Rechtssache 92/79 (Kommission/Italien, Slg. 1990, 1115, Randnr. 6).


6: -     Vgl. statt vieler Urteile vom 23. Mai 1985 in der Rechtssache 29/84 (Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 1661, Randnr. 23), vom 30. Mai 1991 in der Rechtssache C-59/89 (Kommission/Deutschland, Slg. 1991, I-2607, Randnr. 18) und vom 23. März 1995 in der Rechtssache C-365/93 (Kommission/Griechenland, Slg. 1995, I-499, Randnr. 9).


7: -     Vgl. z. B. Urteil vom 19. September 1996 in der Rechtssache C-236/95 (Kommission/Griechenland, Slg. 1996, I-4459, Randnr. 13) und die dort zitierte Rechtsprechung.


8: -     Vgl. statt aller die Urteile Kommission/Deutschland vom 23. Mai 1985, a. a. O., Randnr. 23, und Kommission/Griechenland vom 23. März 1995, a. a. O., Randnr. 9.


9: -     Wie allgemein bekannt, ist eine Vertragsverletzung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes anhand der Lage zum Zeitpunkt des Ablaufs der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist zu beurteilen, vgl. u. a. Urteile vom 23. März 2000 in der Rechtssache C-327/98 (Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I-1851, Randnr. 28), und vom 7. Dezember 2000 in der Rechtssache C-69/99 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2000, I-10979, Randnr. 22) sowie in der Rechtssache C-374/98(Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I-10799, Randnr. 14).


10: -     Vgl. neben dem Urteil vom 12. Januar 1996 (NJ 1996, Nr. 683), auf das die Kommission in ihren Schriftsätzen verweist, die Nachweise in „CLAB Europa“, European Database on Case Law about Unfair Contractual Terms (Europäische Rechtsprechungsdatenbank über missbräuchliche Vertragsklauseln), www.europa.eu.int/clab (vgl. die Einträge NL000047, NL000056 und NL000079) sowie bei E. Hondius, „Non-implementation of the Directive on Unfair Contract Terms: the Dutch case“, European Review of Private Law 1997, S. 193 ff., insbesondere S. 194 und 195 und Fußnote 4 mit weiteren Nachweisen, der darauf hinweist, dass sich die Haltung der niederländischen Gerichte nach dem Inkrafttreten der Richtlinie nicht geändert habe, obwohl sie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes das nationale Recht im Licht des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen hätten.


11: -     Überdies ergibt sich aus mehreren Stellen der Richtlinie, dass im Verhältnis zwischen dem Gewerbetreibenden so früh wie möglich Klarheit über die in den Formularverträgen enthaltenen Klauseln hergestellt werden soll. So heißt es beispielsweise in der zwanzigsten Begründungserwägung, dass „der Verbraucher ... tatsächlich die Möglichkeit haben [muss], von allen Vertragsklauseln Kenntnis zu nehmen“, und nach Ziffer 1 Buchstabe i des Anhangs der Richtlinie kann eine Klausel als missbräuchlich erklärt werden, wenn sie darauf abzielt, dass „die Zustimmung des Verbrauchers zu Klauseln unwiderlegbar festgestellt wird, von denen er vor Vertragsabschluss nicht tatsächlich Kenntnis nehmen konnte“.


12: -    Urteil vom 27. Juni 2000 in den verbundenen Rechtssachen C-240/98 und C-244/98 (Océano Grupo Editorial, Slg. 2000, I-4941, Randnr. 30) und die dort zitierte Rechtsprechung.


13: -     Nr. 19 der Schlussanträge von Generalanwalt Da Cruz Vilaça in der Rechtssache 412/85 (Kommission/Deutschland, Urteil vom 17. September 1987, Slg. 1987, 3503).


14: -     Nrn. 24 und 26 der Schlussanträge in der Rechtssache C-236/95 (mit weiteren Nachweisen).


15: -     Urteil Kommission/Griechenland vom 19. September 1996, a. a. O., Randnr. 13, und die dort angeführte Rechtsprechung.