SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
DÁMASO RUIZ-JARABO COLOMER
vom 16. März 20061(1)
Verbundene Rechtssachen C-392/04 und C-422/04
i-21 Germany GmbH
und
ISIS Multimedia Net GmbH & Co. KG
gegen
Bundesrepublik Deutschland
(Ersuchen um Vorabentscheidung, vorgelegt vom Bundesverwaltungsgericht [Deutschland])
„Telekommunikationsdienste – Allgemein‑ und Einzelgenehmigungen – Richtlinie 97/13/EG – Gebühren und Abgaben für Einzelgenehmigungen – Auslegung von Artikel 11 Absatz 1 – Unzulässigkeit einer Gebühr, bei deren Berechnung von einer Vorauserhebung der Kosten des allgemeinen Verwaltungsaufwands der nationalen Regulierungsbehörde für einen Zeitraum von 30 Jahren ausgegangen worden ist – Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegen Rechtssicherheit – Bestandskräftige Verwaltungsakte, die gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen – Überprüfung“
I – Einleitung
1. Das Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) ersucht um die Auslegung des Artikels 10 EG und des Artikels 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. April 1997 über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste(2).
2. Es hält eine solche Auslegung im Wege der Vorabentscheidung zur Lösung der beiden Rechtsstreitigkeiten für erforderlich, in denen es darum geht, ob die jeweiligen Gebührenbescheide für die Erteilung der Telekommunikationslizenzen, die mangels rechtzeitiger Anfechtung bestandskräftig geworden sind, nicht noch einmal zu prüfen sind.
3. In beiden Ersuchen werden die zwei gleichen Fragen gestellt. Die erste gründet sich auf die Rechtsprechung zur Richtlinie 97/13, insbesondere die Urteile Connect Austria(3), Albacom und Infostrada(4) und ISIS Multimedia und Firma 02(5), von denen es die beiden Letztgenannten waren, in denen die Schlussanträge von mir verfasst wurden(6). Die zweite Frage ist von erheblicher Bedeutung, da sie dem Gerichtshof Gelegenheit bietet, das Gleichgewicht zwischen dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts und der Rechtssicherheit zu finden(7), indem er das Steuer umlegt, um das Kielwasser des Urteils Kühne & Heitz(8) zu verlassen, dessen Doktrin in eine Sackgasse führt.
4. Der Gerichtshof hat eine neue Gelegenheit, den Kurs zu wechseln, da er in Kürze über die Ausdehnung dieser Doktrin auf rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen zu befinden haben wird(9).
II – Der rechtliche Rahmen
A – Das Gemeinschaftsrecht
1. Der „Grundsatz der Loyalität“
5. Nach Artikel 10 EG treffen die „Mitgliedstaaten … alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben“ und „erleichtern diesen die Erfüllung ihrer Aufgabe“. Weiterhin „unterlassen [sie] alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der [gemeinschaftlichen] Ziele … gefährden könnten“.
2. Die Richtlinie 97/13
6. Diese Regelung ist im Rahmen der Bemühungen der Gemeinschaft zu sehen, den Markt für elektronische Kommunikation zu liberalisieren, worauf ich unlängst in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Nuova società di telecomunicazioni eingegangen bin, die ich am 27. Oktober 2005 gehalten habe(10).
7. Die freie Bereitstellung der Telekommunikationsdienste und die Öffnung ihrer Netze sind die Leitlinien der Regelung, die eine ungehinderte Verteilung und Nutzung aufgrund von „Allgemeingenehmigungen“(11) anstrebt und dabei die „Einzelgenehmigungen“(12) auf Ausnahmefälle oder Ergänzungen der allgemeinen Erlaubnisse beschränkt (7. und 13. Begründungserwägung; Artikel 3 Absatz 3 und Artikel 7). Beide Genehmigungen fallen unter den Oberbegriff „Erlaubnis“(13).
8. Diese harmonisierte Lösung gründet sich auf die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit, der Transparenz und der Nichtdiskriminierung mit dem Ziel, einen Rahmen zu schaffen, der mit der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit vereinbar ist (1., 2., 4. und 11. Begründungserwägung; Artikel 3 Absatz 2).
9. Im Hinblick darauf beschränkt die Richtlinie nicht die Anzahl der einzelnen Genehmigungen, die die Mitgliedstaaten erteilen dürfen, es sei denn, dass die Beschränkung zur Gewährleistung der effizienten Nutzung von Funkfrequenzen und für eine ausreichende Bereitstellung von Nummern erforderlich ist. Grundsätzlich hat jede Organisation, die den Anforderungen genügt, die in den nationalen Rechtsvorschriften aufgestellt und veröffentlicht worden sind, einen Anspruch auf Erteilung einer solchen Erlaubnis (Artikel 10 Absatz 1 und Artikel 9 Absatz 3).
10. Die Artikel 6 und 11 der Richtlinie 97/13, die die Abgaben betreffen, sind unter dem Gesichtspunkt erlassen worden, den Wettbewerb auf dem Markt der Telekommunikationsdienste zu fördern und nicht mehr Beschränkungen oder Belastungen für die Wirtschaftsteilnehmer einzuführen als unerlässlich ist(14), wobei dann die genannten Kriterien der Verhältnismäßigkeit, der Neutralität, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz beachtet werden müssen (12. Begründungserwägung).
11. Die erstgenannte Bestimmung trägt die Überschrift „Gebühren bei den Verfahren für Allgemeingenehmigungen“; die zweite ist überschrieben: „Gebühren und Abgaben für Einzelgenehmigungen“.
12. Artikel 6 der Richtlinie lautet: „Unbeschadet der finanziellen Beiträge zur Erbringung des Universaldienstes gemäß dem Anhang stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass von den Unternehmen im Rahmen der Genehmigungsverfahren nur die Gebühren erhoben werden, die die für die Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung der jeweiligen Allgemeingenehmigung anfallenden Verwaltungskosten abdecken. Die Gebühren sind mit ausreichenden Einzelheiten in geeigneter Form zu veröffentlichen, damit die Kenntnisnahme ohne Schwierigkeiten möglich ist.“
13. Artikel 11 der Richtlinie lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass von dem Unternehmen im Rahmen der Genehmigungsverfahren nur die Gebühren erhoben werden, die die für die Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung der jeweiligen Einzelgenehmigungen anfallenden Verwaltungskosten abdecken. Die Gebühren für eine Einzelgenehmigung müssen in Relation zu dem damit verbundenen Aufwand stehen und sind mit ausreichenden Einzelheiten in geeigneter Form zu veröffentlichen, damit die Kenntnisnahme ohne Schwierigkeiten möglich ist.
(2) Ungeachtet des Absatzes 1 können die Mitgliedstaaten ihren nationalen Regulierungsbehörden für den Fall, dass auf knappe Ressourcen zurückgegriffen werden soll, gestatten, Abgaben zu erheben, die die Notwendigkeit widerspiegeln, die optimale Nutzung dieser Ressourcen sicherzustellen. Diese Abgaben müssen nichtdiskriminierend sein und insbesondere der Notwendigkeit Rechnung tragen, die Entwicklung innovativer Dienste und den Wettbewerb zu fördern.“
14. Nach Artikel 25 der Richtlinie kommen die Mitgliedstaaten der Richtlinie vor dem 1. Januar 1998 nach.
B – Das deutsche Recht
1. Zu den Gebühren im Telekommunikationssektor
15. Die Richtlinie 97/13 ist in Deutschland durch das Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 25. Juli 1996(15) umgesetzt worden. Nach § 16 Absatz 1 TKG werden die Lizenzen gegen Gebühr erteilt, deren Regelung einer späteren Verordnung vorbehalten war.
16. Auf dieser Ermächtigungsgrundlage erließ das Bundesministerium für Post und Telekommunikation am 28. Juli 1997 die Telekommunikations‑Lizenzgebührenverordnung (TKLGebV 1997)(16), die rückwirkend zum 1. August 1996 in Kraft trat.
17. Nach dieser Verordnung deckte die Abgabe neben dem Verwaltungsaufwand für die Lizenzerteilung auch den Aufwand für die Verwaltung der Lizenzrechte und für die Kontrolle der Einhaltung der Lizenzpflichten (§ 1 Absatz 1).
18. Für die Lizenzen der Klasse 3(17) war ein Betrag zu entrichten, der von dem Gebiet, das die Lizenzen abdeckten, und damit von der Zahl der möglichen Nutzer der angebotenen Dienste abhing und zwischen 2 000 DM (1 022,58 Euro) und 10 600 000 DM (5 419 693,94 Euro) schwankte(18).
19. Das Bundesverwaltungsgericht führt in den Vorlagebeschlüssen aus, dass die früheren Berechnungen auf einer Schätzung des allgemeinen Verwaltungsaufwands der nationalen Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (im Folgenden: Regulierungsbehörde) in den nächsten dreißig Jahren beruht hätten(19).
20. Im Urteil vom 19. September 2001 hatte das Bundesverwaltungsgericht erklärt, dass die Gebühren für die Erteilung der Lizenzen der Klasse 3, die nach der TKLGebV 1997 berechnet worden waren, nicht von § 16 Absatz 1 TKG gedeckt seien, da sie mit der Genehmigung nicht zusammenhängende Aufgaben mit einbezogen und außerdem gegen den Gleichheitssatz des Artikels 3 Absatz 1 des Grundgesetzes verstoßen hätten(20).
21. Nach der Verkündung dieses Urteils wurde die TKLGebV 1997 nicht mehr angewandt und durch die Telekommunitions‑Lizenzgebührenverordnung vom 9. September 2002 (im Folgenden: TKLGebV 2002)(21) ersetzt, die für die genannten Lizenzen der Klasse 3 eine Gebühr von 4 260 Euro vorsah, die bis auf 1 000 Euro ermäßigt werden konnte (§ 2 Absatz 3).
22. Die deutsche Regierung hat mitgeteilt(22), dass die bei Verkündung des Urteils vom 19. September 2001 noch anfechtbaren Bescheide von Amts wegen aufgehoben worden seien und einige Unternehmen sich mit der Regulierungsbehörde dahin geeinigt hätten, dass ihnen die gezahlten Lizenzgebühren gegen Verzicht auf eine Klage erstattet würden(23).
23. Somit gilt die TKLGebV 2002 rückwirkend gegenüber noch nicht bestandskräftigen Gebührenbescheiden. Dies kommt in § 4 dieser Verordnung zum Ausdruck, nach dem diese Verordnung mit Wirkung vom 1. August 1996 gegenüber Lizenznehmern anwendbar ist, soweit ihr Gebührenbescheid bei Verkündung der Verordnung noch nicht unanfechtbar war.
2. Zur Überprüfung von Verwaltungsakten
24. Unter dieser allgemeinen Überschrift lassen sich drei verschiedene, aber doch verwandte Rechtsinstitute zusammenfassen, die im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vom 25. Mai 1976(24) geregelt sind. Das erste, das Wiederaufgreifen des Verfahrens, ist in § 51 VwVfG enthalten und sieht die Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts auf Antrag des Betroffenen wegen Änderung der Sach‑ oder Rechtslage vor; es stellt eine Überprüfung des Verwaltungsakts im strengen Sinne dar.
25. Die beiden anderen Rechtsinstitute unterscheiden sich hinsichtlich der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der untersuchten Entscheidung. Das zweite in § 49 VwVfG betrifft den Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts, während das dritte in § 48 VwVfG die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts regelt und vorsieht, dass „ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar[(25)] geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden“ kann.
26. Wie sich aus den Vorlagebeschlüssen ergibt, versteht die deutsche Rechtsprechung die Befugnis nach § 48 VwVfG als Ermessen, das unter bestimmten Umständen bis auf null reduziert sein kann. So erkennt sie einen Anspruch auf Rücknahme eines Verwaltungsakts zu, wenn seine Aufrechterhaltung „schlechthin unerträglich“ wäre, was gegeben ist, wenn er gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, gegen die öffentliche Ordnung oder gegen Treu und Glauben verstößt, offensichtlich rechtswidrig ist oder wenn die besondere Situation des Adressaten die Rücknahme verlangt.
III – Der Sachverhalt und die Vorlagefragen
27. Die ISIS Multimedia Net GmbH & Co. KG und die i‑21 Germany GmbH (im Folgenden: ISIS und i‑21) besitzen in Deutschland Telekommunikationslizenzen der Klasse 3, für die ihnen Gebühren in Höhe von 131 660 DM (67 316,69 Euro) bzw. 10 600 000 DM (5 419 693,14 Euro) gemäß § 16 Absatz 1 TKG und der TKLGebV 1997 auferlegt wurden.
28. Beide Unternehmen kamen den entsprechenden Bescheiden nach und entrichteten die Gebühr mit der Folge, dass die Bescheide unanfechtbar wurden.
29. Andere Unternehmen, die Telekommunikationslizenzen besaßen, fochten jedoch die an sie gerichteten Bescheide an und erreichten, dass das Bundesverwaltungsgericht das Urteil vom 19. September 2001 erließ(26), durch das, wie ich bereits bemerkt habe, die Bescheide aufgehoben wurden, da sie auf eine Verordnung – die TKLGebV 1997 – gestützt waren, die gegen höherrangiges Recht verstieß, und die Beklagte zur Rückzahlung der von den Klägerinnen an den Staat gezahlten Beträge verurteilt wurde.
30. Nach der Veröffentlichung dieses Urteils wandten sich ISIS und i-21 an die Regulierungsbehörde und verlangten die Rückerstattung der von ihnen entrichteten Gebühr. Da ihr Antrag erfolglos blieb, erhoben beide Klage zum Verwaltungsgericht, die mit der Begründung abgewiesen wurde, dass eine Rückzahlung nicht in Betracht komme, da die Gebührenbescheide bestandskräftig seien und eine erneute Prüfung weder nach § 51 Absatz 1 noch nach § 48 Absatz 1 VwVfG geboten sei.
31. Daraufhin legten die Klägerinnen Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht ein. Dieses Gericht ist der Meinung, dass die Revision nach deutschem Recht keinen Erfolg haben könne, hat aber Zweifel, wie sich das Gemeinschaftsrecht in diesem Zusammenhang auswirkt. Es hat deshalb in beiden Fällen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. April 1997 über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste (Lizenzierungsrichtlinie) dahin zu verstehen, dass er der Erhebung einer Lizenzgebühr entgegensteht, bei deren Berechnung von einer Vorauserhebung der Kosten des allgemeinen Verwaltungsaufwands einer nationalen Regulierungsbehörde für einen Zeitraum von 30 Jahren ausgegangen worden ist?
Bei Bejahung der Frage 1:
2. Sind Artikel 10 EG und Artikel 11 der Lizenzierungsrichtlinie dahin zu verstehen, dass sie es gebieten, einen Gebührenbescheid, mit dem Gebühren im Sinne der Frage 1 festgesetzt worden sind und der nicht angefochten worden ist, obwohl das nationale Recht das ermöglichte, aufzuheben, wenn das nationale Recht dies zulässt, aber nicht fordert?
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
32. Der Präsident des Gerichtshofes hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2004 die Rechtssachen wegen des objektiven Zusammenhangs zwischen ihnen verbunden.
33. Innerhalb der Frist des Artikels 23 der EG‑Satzung des Gerichtshofes haben die Kommission, die deutsche und die niederländische Regierung sowie die beiden Klägerinnen des Ausgangsverfahrens Erklärungen eingereicht.
34. In der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2006 sind die Bevollmächtigten der am schriftlichen Verfahren Beteiligten erschienen, um ihren Standpunkt mündlich darzulegen.
V – Untersuchung der Vorlagefragen
A – Die Vorlage
35. Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Gebühren für die Erteilung der Telekommunikationslizenzen der Klassen 3 und 4 für ungültig erklärt werden können, da ihre Rechtsgrundlage, die TKLGebV 1997, rechtswidrig war. Das hat das Gericht in seinem Urteil vom 19. September 2001 entschieden.
36. Ebenso überzeugt vertritt das Gericht die Auffassung, dass die nationale Rechtsordnung keine Möglichkeit für eine erneute Prüfung der bestandskräftigen Bescheide bietet und die Adressaten daher nicht die Rückzahlung der zu Unrecht erhobenen Beträge erreichen können.
37. Es möchte jedoch wissen, ob das Gemeinschaftsrecht zu derselben Lösung führt oder umgekehrt die Rücknahme der rechtswidrigen Bescheide mit allen Konsequenzen verlangt, auch wenn sie nicht mehr anfechtbar sind (zweite Frage). Diese Unbekannte setzt voraus, dass die Gebühren auch gegen die Gemeinschaftsrechtsordnung verstoßen, so dass die Prüfung der eventuellen „Gemeinschaftsrechtswidrigkeit“ der Gebühren die Grundlage für die Untersuchung des Vorabentscheidungsersuchens bildet (erste Frage)(27).
38. Somit ist der gemeinschaftsrechtliche Kontext der gerichtlichen Erörterung klar festgelegt, ohne dass auf die nationale Rechtsordnung einzugehen wäre, die jedoch als Kontrapunkt dient und den Rahmen der Debatte vorgibt. Was die erste Frage betrifft, so hat nämlich das TKG, das durch die TKLGebV 1997 verletzt worden ist, die Richtlinie 97/13 in deutsches Recht umgesetzt und, was die zweite Frage betrifft, hat die Verteidigung der Rechte, die die europäische Rechtsordnung gewährleistet, in Ermangelung einer entsprechenden Vorschrift nach den deutschen Verfahrensvorschriften zu erfolgen(28).
B – Die erste Vorlagefrage
39. Das vorlegende Gericht möchte Aufschluss darüber erhalten, ob Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13 eine Gebühr zulässt, bei deren Berechnung von einer Vorauserhebung der Kosten des allgemeinen Verwaltungsaufwands der Regulierungsbehörde für einen Zeitraum von 30 Jahren ausgegangen worden ist.
40. Um dies zu beantworten, ist die Natur der von der genannten Richtlinie vorgesehenen Abgaben zu untersuchen.
1. Die Artikel 6 und 11 der Richtlinie 97/13
41. Obwohl die beiden Bestimmungen inhaltlich ähnlich sind, wie ich in meinen Schlussanträgen in den Rechtssachen Albacom und Infostrada(29) ausgeführt habe, haben sie einen unterschiedlichen Anwendungsbereich, da sie verschiedene Systeme betreffen.
42. Die Allgemeingenehmigungen sind im Voraus festgelegte Erlaubnisse allgemeiner Art(30), die es den Unternehmen ermöglichen, auf dem Telekommunikationsmarkt ohne ausdrückliche Entscheidung der zuständigen Stelle tätig zu werden, wobei eine spätere Überprüfung jedoch möglich bleibt, wie sich aus Artikel 5 ergibt.
43. Dagegen bedürfen Einzelgenehmigungen, die spezielle Erlaubnisse für die Tätigkeit ihrer Inhaber darstellen, einer einzelnen Entscheidung in einem Ad‑hoc‑Verfahren (diese Auslegung ergibt sich aus den Artikeln 2 Absatz 1 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich und 9 der Richtlinie).
44. Diese Unterschiede erklären, warum Artikel 6 von der Abdeckung der „für die Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung der jeweiligen Allgemeingenehmigung anfallenden Verwaltungskosten“ spricht, während Artikel 11 Absatz 1 sich auf die Zahlungen gleicher Art für „die Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung der jeweiligen Einzelgenehmigungen“ bezieht(31). Daher verlangt Artikel 11, dass die Gebühr für eine Einzelgenehmigung im Verhältnis zu dem damit verbundenen Aufwand stehen muss, während dieser Hinweis bei den Allgemeingenehmigungen fehlt.
45. Die Artikel 6 und 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13 enthalten daher zwei Tatbestände, die unabhängig davon, wie sie zu qualifizieren sind(32), eine Gebühren‑ oder Sonderabgabenregelung darstellen, da sie der Ausgleich für die dem Betroffenen erbrachte Handlung oder Dienstleistung sind. Wegen der verschiedenen Grundlagen der Leistung ist allerdings der in der erstgenannten Vorschrift bestimmte Gebührenbetrag allgemein zur Deckung der Kosten für die Durchführung der jeweiligen Allgemeingenehmigungsregelung(33) vorgesehen, während die entsprechende Vorschrift über die Einzelgenehmigungen ausschließlich dazu dient, die Kosten zu decken, die der Verwaltung durch die Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung der jeweiligen Einzelgenehmigung entstehen.
46. Artikel 11 Absatz 2 sieht eine Abgabe vor, die jeglichen Entgeltcharakter verloren hat und daher als Steuer zu qualifizieren ist, auch wenn sie auf Einzelfälle beschränkt ist(34).
2. Die Gebühr für Einzelgenehmigungen nach Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13
47. Grundlage für die Erhebung dieser Gebühr ist die Durchführung eines Verfahrens für die Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung der Genehmigung.
48. Es sollen die Aufwendungen gedeckt werden, die mit der Durchführung der notwendigen Schritte verbunden sind, weshalb mit der Gebührenerhebung keine anderen Aufgaben der Regulierungsbehörde finanziert werden dürfen.
49. Die Verhältnismäßigkeit der Gebühr gegenüber dem erbrachten Aufwand ist in der Regelung vorgeschrieben, weshalb sie den entstandenen Kosten entsprechen muss und deren Höhe niemals übersteigen darf. Dies verlangt ihr Entgeltcharakter. Geht die Gebühr darüber hinaus, wird sie zu einer steuerlichen Belastung.
50. Diese Regelung unterliegt den Grundsätzen der Neutralität, der Nichtdiskriminierung, der Transparenz und der Öffentlichkeit.
51. Die bisherigen Überlegungen bilden die Leitlinien für die Beantwortung der ersten Frage des Bundesverwaltungsgerichts, das darüber entscheiden muss, ob die Höhe der Gebühr auf der Grundlage einer Vorausschätzung der Kosten der Regulierungsbehörde für den Zeitraum, auf den sich diese Schätzung bezieht, berechnet werden darf.
3. Zur Art und Weise der Schätzung und Erhebung der Gebühr für Einzelgenehmigungen
52. Die in Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13 vorgesehene Gebühr beschränkt sich somit auf die Deckung der Kosten für die Ausstellung, die Verwaltung, die Kontrolle und die Durchsetzung der Einzelgenehmigungen, wobei sie dem Aufwand, den diese Leistungen verlangen, angepasst sein muss.
53. Unter Beachtung dieser Bedingungen steht es den Mitgliedstaaten frei, die Formen und die Verfahren für die Einziehung festzulegen und die Höhe der Gebühr zu veranschlagen.
54. Der Zweck der Gebühr verlangt, dass sie eingezogen wird, wenn der Gebührentatbestand nach der Erteilung der Genehmigung und nach der von den Behörden erbrachten Verwaltung, Kontrolle oder Durchsetzung erfüllt ist. Diese Alternative ermöglicht die feinste Abstimmung, da bei der nachträglichen Entrichtung der Gebühr der Aufwand in allen Einzelheiten bekannt ist, der sich aus einer Gesamtbewertung der Anzahl und Qualifikation der beteiligten Bediensteten, der von ihnen aufgewendeten Zeit sowie der für den Vorgang anfallenden Sachkosten ergibt(35). Dieses Verfahren hat jedoch den Nachteil, dass der Betroffene wiederholt zu Zahlungen herangezogen wird und die Steuerverwaltung fortlaufend mit diesen Vorgängen beschäftigt bleibt, was höhere Kosten und eine geringere Effizienz zur Folge hat.
55. Da der öffentlichen Hand die Ausgaben für eine umfangreiche Verwaltung zugunsten des Genehmigungsinhabers ersetzt werden sollen, spricht nichts dagegen, dass die Gebühr im Voraus erhoben und anhand einer vorsichtigen Berechnung ihrer Höhe ermittelt wird. Wird so vorgegangen, spielt es keine Rolle, ob die Gebühr auf einmal oder in Raten eingezogen wird.
56. Das von mir soeben in Fußnote 35 zitierte Urteil Fantask u. a. lässt in Randnummer 32 unter Hinweis auf die indirekten Steuern bei der Ansammlung von Kapital zu, die Gebühr anhand einer Schätzung, die in regelmäßigen Abständen durchzuführen ist, im Voraus festzusetzen. Nichts spricht dagegen, diese Würdigung auf die Gebühr für Einzelgenehmigungen im Telekommunikationssektor auszudehnen, sofern die Mitgliedstaaten, wie es in dem angeführten Urteil (Randnrn. 32 bis 34) heißt, sich in regelmäßigen Abständen vergewissern, dass die Abgabe nicht die angefallenen Kosten übersteigt, und dabei gegebenenfalls die eventuellen Erstattungen sicherstellen.
4. Zu den Grenzen des von der Gebühr abgedeckten Zeitraums
57. Wird der Zeitraum vergrößert, auf den sich die Berechnung bezieht, erhöht sich die Gefahr von Fehlern, da die Ermittlungen in dem Maß schwieriger werden, in dem sich die Prüfung von der jetzigen Zeit entfernt. Die Objektivität nimmt im selben Takt ab wie die Unsicherheit wächst, und es besteht die Gefahr der Unverhältnismäßigkeit, wenn die Verlässlichkeit der herangezogenen Daten abnimmt.
58. Die Situation verschärft sich noch, wenn die Länge des Zeitraums sich nicht nur auf die Bemessung der Gebühr, sondern auch auf deren Zahlung auswirkt, weil eine einmalige Zahlung verlangt wird, die den gesamten geschätzten Zeitraum abdeckt. Unter diesen Umständen werden die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Neutralität der Richtlinie 97/13 stark beeinträchtigt, da heute Dienstleistungen vergütet werden, die über einen langen Zeitraum bezogen werden. Auch wenn die genannten Grundsätze es nicht verlangen, empfiehlt sich doch eine größere Zeitnähe zwischen der Verwaltungsleistung, der Bemessung der Gebühr und deren Zahlung.
59. Darüber hinaus sind der Charakter des Sektors, seine Entwicklung und der Grad seiner Öffnung von Bedeutung. Die Erschließungsmöglichkeiten sind auf einem stabilen Markt, in dem sich der Wettbewerb seit langem eingespielt hat und dementsprechend keine großen Überraschungen zu erwarten sind und wo die Ereignisse sich leicht vorhersagen lassen, nicht die gleichen wie in einem Markt, in dem es gärt, der gerade liberalisiert worden ist und wo sich überraschende Veränderungen ankündigen.
60. Folglich ist es nach der Richtlinie 97/13 nicht verboten, eine Belastung wie die streitige im Voraus zu bestimmen und einzuziehen, sofern die genannten Garantien der Neutralität und Verhältnismäßigkeit, deren Beachtung die Richtlinie verlangt, nicht beeinträchtigt werden.
61. Diese unerwünschte Folge tritt jedoch ein, wenn eine Abgabe, die aufgrund einer Vorausschätzung der Kosten für die nächsten 30 Jahre bestimmt worden ist, in Form einer einmaligen Zahlung zu einem Zeitpunkt verlangt wird, in dem der Telekommunikationsmarkt sich in einem Zustand der Veränderung und Anpassung befindet.
62. In meinen bereits genannten Schlussanträgen in der Rechtssache Nuova società di telecomunicazioni habe ich darauf hingewiesen, dass in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit der Öffnung des genannten Marktes und der Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften begonnen wurde, indem eine Vielzahl von Vorschriften erlassen wurde, die ständig überarbeitet wurden(36) und gegenwärtig immer noch nicht ihre endgültige Form gefunden haben. Daher geht die Festsetzung einer Zahlung im Jahr 1997, d. h. mitten im Strudel dieses Prozesses, auf der Grundlage einer Vorausschätzung des allgemeinen Aufwands der Regulierungsbehörde bis zum Jahr 2027 über die Grenzen dessen hinaus, was vernünftig ist, und verkennt aus den bereits dargelegten Gründen den Geist der Richtlinie 97/13(37). Als Beleg hierfür mag der Hinweis genügen, dass diese Regelung, die 1997 erlassen wurde, fünf Jahre später durch die bereits genannte Richtlinie 2002/20 abgelöst wurde, die die Einzelgenehmigungen durch die „Nutzungsrechte“ ersetzt und die Bemessung der Gebühr detaillierter geregelt hat(38), wobei Abgaben wie die in den Ausgangsverfahren streitigen bei dieser Regelung weggelassen wurden.
63. Diese Prüfung stimmt mit der des Bundesverwaltungsgerichts in dem genannten Urteil vom 19. September 2001 überein, da das TKG, das durch die TKLGebV 1997 ausgeführt worden war, die Richtlinie 97/13 umgesetzt hat(39). Die Lehre in Deutschland teilt diese Auffassung(40).
64. Aufgrund dieser Überlegungen möchte ich dem Gerichtshof vorschlagen, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13 und insbesondere die Grundsätze der Neutralität und der Verhältnismäßigkeit der Erhebung einer Gebühr für die Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle oder Durchsetzung von Einzelgenehmigungen entgegenstehen, bei deren Berechnung von einer Vorauserhebung der Kosten des allgemeinen Verwaltungsaufwands der nationalen Regulierungsbehörde für einen Zeitraum von 30 Jahren ausgegangen worden ist.
C – Die zweite Vorlagefrage
1. Vorbemerkung: Der richtige Ansatz
65. Da die streitigen Gebühren nicht nur gegen das deutsche Recht, wie das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, sondern auch gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen, bleibt noch zu prüfen, ob die letztgenannte Rechtsordnung eine Überprüfung ihrer Gültigkeit verlangt, auch wenn die Bescheide seinerzeit nicht angefochten wurden.
66. Die bundesrechtliche Regelung gründet sich auf das VwVfG, das nach den Ausführungen in den Nummern 24 bis 26 dieser Schlussanträge und dem Vorlagebeschluss nicht erlaubt, die Verwaltungsakte aufzuheben und den Ansprüchen von ISIS und i-21 stattzugeben.
67. Diese Feststellung legt die genauen Grenzen der Debatte fest und offenbart den Irrtum der auf das Urteil Kühne & Heitz gestützten Lehre, die die erneute Prüfung einer bestandskräftigen Entscheidung von einer ausdrücklichen Regelung in der nationalen Rechtsordnung abhängig macht und damit das Bundesverwaltungsgericht ratlos zurückgelassen hat, das, um zu einer so unbefriedigenden Lösung zu gelangen, die Vorlagefrage gar nicht erst hätte stellen müssen. Die vom Gerichtshof insoweit befürwortete Verweisung auf das nationale Recht wirft außerdem ernste Probleme auf, unter denen der ungleiche Schutz der sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Rechte hervorsticht(41).
68. In den hier vorgelegten Rechtssachen geht es nicht um die Entscheidung, ob die an die genannten Unternehmen gerichteten Gebührenbescheide, die bereits bestandskräftig sind, nach deutschem Recht überprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden können, da die Gerichte diese Frage schon verneint haben, sondern es ist zu entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen das Gemeinschaftsrecht trotz dieses Hindernisses eine Überprüfung verlangt.
69. Im Fall Kühne & Heitz war dieses Dilemma der Grund für die vom niederländischen College van Bereop voor het bedrijsleven vorgelegte Frage, und Generalanwalt Léger fand die richtige Lösung hierfür in seinen Schlussanträgen vom 17. Juli 2003, in denen er vorschlug, die Frage vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts und seiner unmittelbaren Anwendbarkeit aus anzugehen.
70. Der Gerichtshof wird sich mit diesem Vorschlag auseinandersetzen müssen, indem er das Gebot der Rechtssicherheit und das der gemeinschaftsrechtlichen Rechtmäßigkeit gegeneinander abwägt, um dann zu entscheiden, ob das erste Gebot stets eine unüberwindbare Barriere darstellt oder in einigen Fällen hinter dem zweiten Gebot zurücktreten muss.
2. Zu den Grenzen des Grundsatzes der Rechtssicherheit
71. Die Bedeutung dieses Grundsatzes für das ordnungsgemäße Funktionieren jedes Gemeinwesens liegt auf der Hand. In meinen Schlussanträgen vom 28. Januar 1999 in der Rechtssache, in der das Urteil Kommission/AssiDomän Kraft Products u. a. (im Folgenden Urteil AssiDomän) erging(42), habe ich hervorgehoben, dass das Recht die Unordnung verabscheut, weshalb es sich gegen deren Hauptursache, die Unbeständigkeit, gewappnet hat (Nr. 55).
72. Unter den Waffen, mit denen es sich gewappnet hat, kommt eine besondere Bedeutung der Rechtssicherheit zu, die in der Idee der „Bestandskraft“ zum Ausdruck gebracht wird. Verwaltungsentscheidungen werden unangreifbar, wenn die Frist für ihre Anfechtung abgelaufen ist oder sie nach Ausschöpfung aller Rechtsbehelfe bestätigt worden sind.
73. Ist die Rechtsbehelfsfrist verstrichen, kann die Entscheidung, auch wenn sie fehlerhaft ist, nicht mehr angefochten werden, und der Fehler wird endgültig Bestandteil der Rechtsordnung.
74. Die Unangreifbarkeit bestandskräftiger Rechtsakte, auch wenn sie rechtswidrig sind, ist daher die allgemeine Regel(43); kein Rechtssystem lässt zu, dass die Gültigkeit der Rechtsverhältnisse unbegrenzt in Frage gestellt werden kann.
75. Der Gerichtshof hat sich für diese strukturelle Regel empfänglich gezeigt und sie von seinen ersten Urteilen an anerkannt(44) und im Urteil Kühne & Heitz als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts bestätigt (Randnr. 24). Diese Feststellung hat er im Urteil Gerekens und Procola noch einmal bekräftigt (Randnr. 22)(45). Im Urteil AssiDomän hat der Gerichtshof die Auffassung zurückgewiesen, dass ein Gemeinschaftsorgan Entscheidungen, die nicht angefochten worden sind, überprüfen muss, wenn andere Entscheidungen gleichen Inhalts, die seinerzeit angefochten wurden, in einem gerichtlichen Verfahren für nichtig erklärt wurden (Randnr. 63).
76. Der genannte Grundsatz kann sich aber in ein Hindernis für die einheitliche und zutreffende Anwendung des Gemeinschaftsrechts verwandeln(46), weshalb die Rechtsprechung ihm keinen absoluten Charakter zuerkennt(47) und sich dagegen ausgesprochen hat, dass er unter allen Umständen Vorrang hat. Im Urteil SNUPAT/Hohe Behörde(48) wurde dieser Grundsatz mit anderen schutzbedürftigen Werten in Einklang gebracht.
77. Der erste dieser Werte, der die Rechtssicherheit begrenzt, ist die Billigkeit(49), die heranzuziehen ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache AssiDomän vorgeschlagen habe, nicht um einen Ausweg in dem damals zu lösenden Konflikt zu finden, sondern um allgemein die Tragweite der Rechtssicherheit innerhalb des Gemeinschaftsrechts festzulegen. Obwohl der Gerichtshof dem Kriterium meiner Schlussanträge folgte, vermied er doch, auf die Grenze der Billigkeit Bezug zu nehmen. Die Bestandskraft einer Entscheidung darf kein Hindernis für deren Überprüfung sein, wenn die Aufrechterhaltung der Entscheidung zu einer unerträglichen Ungerechtigkeit führen würde. Die Mehrzahl der Mitgliedstaaten, wenn nicht sogar alle, sehen aus derartigen Gründen eine Durchbrechung der Unangreifbarkeit von Verwaltungsentscheidungen nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist vor. Das deutsche System bietet ein gutes Beispiel hierfür. Dem Vorlagebeschluss zufolge hat die Rechtsprechung das Ermessen, das § 48 VwVfG der Verwaltung einräumt, in Fällen, in denen die Aufrechterhaltung der Entscheidung sich als „schlechthin unerträglich“ erweist(50), auf null reduziert und dem Einzelnen einen Anspruch auf Rücknahme der Entscheidung zuerkannt.
78. Diese Grenze der Rechtssicherheit ist hierdurch ausgesprochen subjektiv gefärbt. Es sollen die Störungen, die den elementarsten Gerechtigkeitssinn verletzen, beseitigt werden, indem die Diskriminierungen und andere Verstöße gegen die Unparteilichkeit eliminiert werden(51).
79. Die andere Grenze, die ich hervorheben möchte, ist mehr objektiver Art und ergibt sich aus dem Gesetzesvorrang. Sie betrifft nicht nur die Grundlagen der Rechtsordnung, von denen das übrige Recht abhängt, sondern auch die angestrebte Richtung(52). Wenn die Aufrechterhaltung eines bestandskräftigen Rechtsakts das Wesen des Systems beeinträchtigt oder das System in eine Sackgasse führt, ist die Beseitigung dieses Aktes unvermeidlich.
80. In Wirklichkeit überschneiden sich die beiden Grenzen teilweise, da viele der Werte, die der Gewährleistung der Billigkeit dienen, allgemeine Grundsätze darstellen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind und zum Teil wie die Grundrechte auf der höchsten Stufe festgelegt sind. Letzten Endes müssen Lösungen, die zu einer Schutzlosigkeit führen, die größer ist als die, die vermieden werden soll, einer erneuten Überprüfung unterzogen werden, da es keine größere Unsicherheit gibt als die, die durch Ungerechtigkeit oder offenkundige Rechtswidrigkeit ausgelöst wird.
81. Folglich bleibt nach der Gemeinschaftsrechtsordnung die Rechtssicherheit ausnahmsweise außer Ansatz, um durch die Überprüfung unanfechtbarer Entscheidungen ihre Grundlagen zu schützen(53). Es bedarf jedoch einer näheren Klärung, wann diese Ausnahme gilt. Hierzu erscheint mir ein Rückblick angebracht, um zu belegen, dass die strukturellen Muster dieser Ordnung, die in großem Umfang durch die Rechtsprechung geprägt ist, dazu dienen, die praktische Wirksamkeit dieser Ordnung sicherzustellen und die Ziele der Verträge zu verwirklichen.
82. Dennoch ist an einer Grenze festzuhalten, die nie überschritten werden darf: die Rechte Dritter(54). Werden diese Rechte beeinträchtigt, hat die Rechtsbeständigkeit, auch wenn sie ungerecht ist, Vorrang, und dem Geschädigten ist auf anderen, etwas gewundeneren Wegen, z. B. über die Staatshaftung wegen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht, ein Ausgleich zu gewähren.
3. Ein ständiges Bestreben, das Gemeinschaftsrecht zu verteidigen
83. Der Gerichtshof qualifizierte im Urteil Van Gend & Loos(55) die Gemeinschaftsrechtsordnung als eine unabhängige Rechtsordnung, zu deren Gunsten die Mitgliedstaaten ihre Souveränitsrechte eingeschränkt haben, und erklärte weiter, dass Artikel 12 EWG‑Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 25 EG) unmittelbare Wirkungen habe und individuelle Rechte der Einzelnen begründen könne, die vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden könnten. Hintergrund des Urteils war der Konflikt zwischen der genannten Bestimmung des EWG-Vertrags, die eine Erhöhung der Zölle verbot, und einem von der niederländischen Regierung 1960 festgesetzten neuen Zolltarif, der den Zollsatz für einige Erzeugnisse von 3 % auf 8 % erhöht hatte.
84. Die Anerkennung dieser unmittelbaren Wirkung der Gemeinschaftsvorschriften führte im Urteil vom 27. Februar 1962 in der Rechtssache Kommission/Italien(56) stillschweigend zur Anerkennung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor den staatlichen Rechtsordnungen und wurde im Urteil Costa(57) ausdrücklich festgestellt. Der Gerichtshof wiederholte in diesem Urteil seine Ausführungen im Urteil Van Gend & Loos zur Aufgabe der Souveränität und dem besonderen Charakter der Gemeinschaftsordnung und erklärte, dass es den Mitgliedstaaten unmöglich sei, gegen eine von ihnen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit angenommene Rechtsordnung nachträgliche einseitige Maßnahmen ins Feld zu führen, wobei er hinzufügte, dass die Ziele jener Ordnung gefährdet würden, wenn das Gemeinschaftsrecht je nach der nachträglichen innerstaatlichen Gesetzgebung von einem Staat zum anderen verschiedene Geltung haben könnte. Der Vorrang wurde auch auf Artikel 189 EG‑Vertrag (jetzt Artikel 249 EG) gestützt, der die Verordnungen für verbindlich erklärt und damit deren Behinderung durch nationale Rechtsvorschriften verbietet, da sonst die Grundlagen der Gemeinschaft in Frage gestellt würden.
85. Die unmittelbare Wirkung und der Vorrang sind keine bloßen Techniken, um die Beziehungen zwischen den einzelnen Rechtsordnungen zu regeln, sondern Ausdruck der Gemeinschaft als eines Zusammenschlusses von Staaten, Völkern und Bürgern(58). Aufgrund des Kontextes, in dem die Urteile Van Gend & Loos und Costa/ENEL ergingen, blieben jedoch Zweifel, ob diese Feststellungen auch für Richtlinien gelten. Im Urteil Ratti(59) erkannte der Gerichtshof jedoch diesen ebenfalls Vorrang zu, indem er erklärte, dass keiner, der nach Ablauf der Umsetzungsfrist sich nach den Bestimmungen der Richtlinie richte, dem noch nicht angepassten nationalen Recht unterworfen werden könne.
86. Die Gelegenheit, sich zu der anderen Eigenschaft des Gemeinschaftsrechts zu äußern, bot dem Gerichtshof eine deutsche Staatsangehörige, Frau Becker, die sich geweigert hatte, Mehrwertsteuer für bestimmte Kreditgeschäfte zu zahlen, obwohl sie nach den geltenden deutschen Rechtsvorschriften dieser Steuer unterlagen. Sie berief sich dabei auf Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nr. 1 der Sechsten Richtlinie zur Regelung der Abgabe(60). Die Mitgliedstaaten hatten sich verpflichtet, die Richtlinie vor dem 1. Januar 1979 umzusetzen, um diese Rechtsgeschäfte von der Steuer zu befreien. Der Gerichtshof entschied in dem Urteil vom 19. Januar 1982 in der Rechtssache Becker(61), dass die unbedingten und hinreichend genauen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie von jenem Zeitpunkt an unmittelbar gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geltend gemacht werden könnten, da diese Art von Bestimmungen, auch wenn sie keine unmittelbare Wirkung hätten, eine solche entfalteten, wenn die Mitgliedstaaten sie nicht oder nicht zutreffend umgesetzt hätten. In diesen Fällen dürfe den Richtlinien nicht die Verbindlichkeit genommen werden, die ihnen Artikel 189 EWG-Vertrag einräumt.
87. Diese Eigenschaft wurde als automatische „Sanktion“ für den Verstoß der Mitgliedstaaten gegen ihre Verpflichtungen angesehen, weshalb sich Zweifel erhoben, ob dies auch gilt, wenn die Richtlinien horizontale Verhältnisse regeln, ohne dass ein Träger staatlicher Gewalt beteiligt ist. Dies wurde im Urteil Marshall(62) verneint, das eine lange Kette von Urteilen anführt, in der das Urteil Pfeiffer u. a.(63) eines der letzten Glieder ist.
88. Die genannten Eigenschaften des Gemeinschaftsrechts sprechen jedoch dagegen, sich mit der Nichtanwendung seiner Bestimmungen abzufinden, da die Ziele der Verträge sonst nicht erreicht würden. Der Gerichtshof hat betont, dass der Grundsatz der Loyalität in Artikel 5 des EG-Vertrags (jetzt Artikel 10) die Mitgliedstaaten dazu verpflichte, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, um die in den Richtlinien festgelegten Ziele zu erreichen. Diese Aufgabe obliege allen Trägern öffentlicher Gewalt, auch den Gerichten. Diese Auffassung, die der Gerichtshof im Urteil Von Colson und Kamann(64) dargelegt hat, hat die Folgen der Tatsache, dass den Richtlinien in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen keine unmittelbare Wirkung zuerkannt wird, abgemildert, da sie zu der Doktrin der so genannten „richtlinienkonformen Auslegung“ führte, der zufolge das nationale Gericht bei der Anwendung seines Rechts der Gemeinschaftsbestimmung einen Sinn geben muss, um auf diese Weise Artikel 189 Absatz 3 EG-Vertrag nachzukommen.
89. Im Urteil Marleasing(65) vertiefte der Gerichtshof diesen Gedankengang und zeigte eine konkrete Lösung auf, um die Gemeinschaftsrechtsordnung zu stärken. Es ging um die Nichtigkeit eines Gesellschaftsvertrags wegen Fehlens eines Rechtsgrunds. Dieser Fall war in Artikel 11 der Richtlinie 68/151/EWG(66), die in spanisches Recht umgesetzt worden war, nicht vorgesehen, wohl aber in den Artikeln 1261 und 1275 des spanischen Código Civil. Der Gerichtshof sprach sich dafür aus, die Auslegung des innerstaatlichen Rechts am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, und verbot die Feststellung der Nichtigkeit einer Gesellschaft aus einem anderen Grund als den in dem genannten Artikel 11 aufgezählten. Das vorlegende Gericht entschied den Rechtsstreit(67), indem es statt der Artikel des Código Civil die Gemeinschaftsvorschrift anwendete.
90. Diese Folge wurde in der Rechtsprechung gebilligt. Im Urteil Simmenthal(68) wurde den Gerichten der Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, für die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen, ohne dass sie die vorherige Änderung oder Beseitigung dieser Bestimmung durch irgendein verfassungsrechtliches Verfahren abwarten müssen. Die andere Seite der Medaille zeigt das Urteil Fratelli Costanzo(69), in dem verlangt wurde, eine Richtlinie von Amts wegen anzuwenden, auch wenn dem nationale Vorschriften entgegenstehen.
91. Das Ziel ist das gleiche: Die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts soll gewährleistet werden. Die Lehre der richtlinienkonformen Auslegung und die Befugnis, das nationale Recht beiseite zu lassen, stellen einen Ausweg dar, der notwendig ist, weil den Richtlinien keine horizontale Wirkung zuerkannt wird. Ein gutes Beispiel ist das Urteil Arcaro(70), in dem der Gerichtshof darauf hinwies, dass ein Mechanismus zur Eliminierung richtlinienwidriger Vorschriften eines Mitgliedstaats fehle und die Verpflichtung des Richters zur Auslegung dieser Vorschriften anhand der Gemeinschaftsvorschrift auf unüberwindliche Hindernisse stoße, wenn einem Einzelnen eine noch nicht in das nationale Recht aufgenommene Verpflichtung auferlegt werde. Auch das bereits genannte Urteil Pfeiffer u. a. hat dieses Problem nicht endgültig gelöst, da der Gerichtshof entsprechend meinem Vorschlag in meinen zweiten Schlussanträgen in dieser Sache vom 27. April 2004 sich dafür aussprach, dass die nationalen Gerichte sich bei dieser Auslegung nicht auf die Prüfung der nationalen Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinien beschränken dürften, sondern auch das gesamte übrige nationale Recht berücksichtigen müssten, um ein Ergebnis zu erreichen, das dem Gemeinschaftsrecht nicht widerspreche.
92. Der Gerichtshof, stets darum bemüht, der Gemeinschaftsordnung zu ihrer vollen Wirksamkeit zu verhelfen, wollte den Kreis schließen, um zu vermeiden, dass die Schwierigkeiten der Verknüpfung dieser Rechtsordnung mit den nationalen Systemen zu einer Sackgasse führen. Im Urteil Francovich und Bonifaci(71) legte er den Grundsatz fest, dass ein Mitgliedstaat, wenn das mit einer Richtlinie verfolgte Ziel sich nicht im Wege der Auslegung erreichen lasse, den Schaden ersetzen müsse, der dem Einzelnen entstanden sei, weil die Bestimmungen der Richtlinie nicht rechtzeitig oder unzulänglich umgesetzt worden seien. Die Gesamtheit der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften würde beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert, wenn der Einzelne nicht die Möglichkeit hätte, eine Entschädigung zu verlangen, wenn er durch das Verschulden eines Mitgliedstaats in seinen Rechten verletzt werde. Dies gelte erst recht, wenn die Durchsetzbarkeit dieser Rechte von einem staatlichen Handeln abhänge und der Einzelne deshalb im Falle der Untätigkeit seine Rechte nicht vor den Gerichten geltend machen könne. Der Gerichtshof begründet diese Auffassung auch mit dem bereits genannten Artikel 5 EG‑Vertrag, der zur Beseitigung der rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht verpflichtet.
93. In diesem letztgenannten Urteil wurden die Voraussetzungen für die Entstehung einer Entschädigungspflicht umrissen. In späteren Entscheidungen wurden sie näher beschrieben, wobei die Träger staatlicher Gewalt genannt wurden, die die Verantwortung trifft. Im Urteil Brasserie du Pêcheur und Factortame(72) wurde diese staatliche Verantwortung bejaht, obwohl der Verstoß vom Gesetzgeber begangen worden war, während im Urteil Köbler(73) die gleiche Entscheidung im Hinblick auf die rechtsprechende Gewalt getroffen wurde. Im Urteil Kommission/Italien vom 9. Dezember 2003(74) wurde gleichfalls die Haftung des Mitgliedstaats als Gesetzgeber mit der Begründung festgestellt, dass er ein Gesetz nicht geändert habe, das die italienischen Gerichte in einer Weise auslegten, die der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zuwiderlaufe(75).
4. Die Voraussetzung für die Überprüfung von Verwaltungsakten
94. Die bisherigen Ausführungen in diesen Schlussanträgen zeigen, dass die Kriterien, die die Geltung und Abweichungen von Rechtsvorschriften, deren Auslegung, deren Rangordnung oder die enge Bindung der Richter an das Gesetz betreffen, die in den Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten von gleicher Bedeutung wie die Rechtssicherheit sind, zurücktreten, wenn es darum geht, dem Gemeinschaftsrecht zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen, ohne die Wurzeln der nationalen Rechtsordnungen zu zerstören.
95. Da die Billigkeit und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie ich bereits ausgeführt habe, manchmal die Folgen der Rechtssicherheit mildern, ist dies auch für den Fall zu fordern, dass eine rigorose Anwendung der Rechtssicherheit das Wesen des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt, was eintritt, wenn diese Grundsätze verletzt werden. Wendet man diese Auffassung auf den konkreten Fall von ISIS und i‑21 an, ergibt sich, dass die bestandskräftigen Gebührenbescheide überprüft werden müssen, wenn ihre Aufrechterhaltung die Ziele des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt und zu Ungerechtigkeiten führt, die im Widerspruch zu den Grundlagen dieses Rechts, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz(76), stehen.
a) Eine Lösung, die den Zugang zu Telekommunikationsdienstleistungen eröffnet
96. Der erste Schritt besteht somit in der Untersuchung, ob die Aufrechterhaltung der hohen Gebühren, die von ISIS und i‑21 widerspruchslos gezahlt wurden, während sie anderen Wirtschaftsteilnehmern aufgrund einer Klage oder von Verhandlungen zurückgezahlt wurden, die Ziele der Richtlinie 97/13 und allgemein des Normenkomplexes zur Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes in Frage stellt.
97. Die von mir vorgeschlagene Antwort auf die erste Vorlagefrage liefert bereits einen Hinweis, da Artikel 11 Absatz 1, wie ich ausgeführt habe, eine nach der TKLGebV 1997 berechnete Gebühr nicht zulässt. Diese abstrakte Feststellung hat jedoch noch keine Bedeutung, da der bloße Widerspruch noch kein unüberwindbares Hindernis für die Durchsetzung des Willens des Gesetzgebers darstellt.
98. Die Entscheidung wird klarer, wenn man näher auf die Abgabenbestimmungen der Richtlinie 97/13 und die Weise eingeht, in der sich die Ereignisse entwickelt haben.
99. Artikel 11 und 6 fördern den Wettbewerb bei Telekommunikationsdienstleistungen, indem sie verbieten, dass den Unternehmen höhere Belastungen auferlegt werden, als die genannten Bestimmungen vorsehen, um neuen Marktteilnehmern den Eintritt zu erleichtern. Auf diese Weise tragen sie zu der beabsichtigten Einführung eines gemeinsamen Marktes in diesem Sektor bei, indem sie die Verkehrsfreiheiten ohne stärkere Beschränkungen, als im allgemeinen Interesse erforderlich ist(77), gewährleisten.
100. Werden andere Leistungen verlangt als die in der Richtlinie 97/13 ausdrücklich festgelegten (Rechtssache Albacom und Infostrada) oder werden die Leistungen, auch wenn die Vorschriften der Richtlinie berücksichtigt werden, nicht in gleicher Weise verlangt (Rechtssachen ISIS Multimedia und Firma 02), werden die Gemeinschaftsziele missachtet. Gerade hiergegen wenden sich ISIS und i‑21.
101. Zum Zeitpunkt, als die jetzt streitigen Verwaltungsakte erlassen wurden (18. Mai 2000 der erste und 14. Juni 2000 der zweite), waren auf dem deutschen Markt 305 Unternehmen mit Lizenzen der Klassen 3 und 4 vertreten. Von diesen erhielten neun die Gebühren zurück, nachdem ihren Klagen stattgegeben worden war, während 149 dasselbe Ergebnis im Wege von Verhandlungen erreichten. Eine andere Gruppe von fünf Unternehmen erreichte dies, weil ihre Bescheide, die zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts am 19. September 2001 noch nicht bestandskräftig waren, von Amts wegen widerrufen wurden. Acht Unternehmen befanden sich in der gleichen Lage wie ISIS und i‑21.
102. Somit entrichtete eine Gruppe von Inhabern der Lizenzen der Klassen 3 und 4 die sicher hohen Gebühren der für nichtig erklärten TKLGebV 1997 (u. a. ISIS 67 316,69 Euro und i‑21 5 419 693,94 Euro), während die übrigen in den Markt durch Zahlung der Gebühren nach der TKLGebV 2002 eintraten, die zwischen 1 000 und 4 260 Euro schwankten. Die Unterschiede sind enorm, entbehren jeder Logik und haben in der wirtschaftlichen Bilanz der Unternehmen zwangsläufig ihren Niederschlag gefunden.
103. In einem Zeitraum des Übergangs von einem geschlossenen Markt, der durch ausschließliche und Sonderrechte einiger Unternehmen geprägt ist, zu einem anderen, auf dem Wettbewerb herrscht und der für alle offen ist, festigt jedes Hindernis für den Markteintritt neuer Teilnehmer den Status quo und beeinträchtigt den Wettbewerb, insbesondere, wenn es diskriminierende Züge hat. Das Urteil Connnect Austria, das ich bereits genannt habe, ist insoweit sehr deutlich, wenn es wiederholt, dass ein System nicht verfälschten Wettbewerbs nur gewährleistet werden könne, wenn die Chancengleichheit der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer sichergestellt sei (Randnr. 83). Diese Feststellung führte in dem ebenfalls bereits angeführten Urteil ISIS Multimedia und Firma 02 zu der Bemerkung, dass die Richtlinie 97/13 eine Begünstigung des ehemaligen Monopolunternehmens, das in Wirklichkeit eine beherrschende Stellung einnehme, nicht zulasse. Infolgedessen müssen die Regulierungsbehörden neutral handeln und dürfen keine willkürlichen Unterschiede vornehmen.
104. Insgesamt festigt die Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Bescheide, um die es in den Vorlagefragen geht (deren Wirkung, was nicht vergessen werden darf, sich über 30 Jahre erstreckt) eine Situation, die gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt und die Vollendung der stufenweisen Öffnung erschwert, die mit den Richtlinien 90/387(78) und 90/388(79) begonnen hat.
105. Des Weiteren ist zu entscheiden, ob diese Folge grundlegend ungerecht ist und gegen die Prinzipien des Gemeinschaftsrechts verstößt.
b) Eine Folge, die nicht hinnehmbar ist
106. Zunächst zeigt sich im Ergebnis eine asymmetrische Behandlung der Betroffenen, die alle die gleiche Stellung haben, d. h. für die Teilnahme am deutschen Markt die Lizenzen der Klassen 3 und 4 besitzen(80). Fehlt ein objektiver, vernünftiger Rechtfertigungsgrund, zwingt die völlige Verkennung einer Kernvorschrift des Gemeinschaftsrechts(81) zur Überprüfung der streitigen Gebührenbescheide trotz deren Bestandskraft; gibt es eine befriedigende Erklärung, verbietet die Rechtssicherheit jede weitere Prüfung.
107. Man könnte argumentieren, dass ISIS und i‑21 einen anderen Weg als die anderen Unternehmen gegangen seien, da sie die an sie gerichteten Gebührenbescheide nicht angefochten haben, was die unterschiedliche Regelung rechtfertigen könnte. Diese Aussage ist jedoch nicht ganz richtig, da zumindest einige Unternehmen, die die Rückzahlung erreichten, die Bescheide ebenfalls nicht angefochten hatten, konkret diejenigen, die mit der Regulierungsbehörde „Gleichbehandlungsvereinbarungen“ geschlossen hatten und laut der deutschen Regierung nach der Erstattung der entrichteten Abgaben auf die Erhebung einer Klage verzichtet hatten. Andere Unternehmen legten ebenfalls keinen Rechtsbehelf ein, da ihre Gebührenbescheide von Amts wegen für nichtig erklärt wurden.
108. Ohne Bedeutung sind die Gründe, weshalb ISIS und i‑21 von den Verhandlungen ausgeschlossen waren(82), weil die Untätigkeit der Unternehmen, durch die die von ihnen entrichteten rechtswidrigen Gebühren nicht mehr angreifbar wurden, kein Grund ist, diese für die abweichende, nachteilige und unverhältnismäßige Regelung haften zu lassen. Hierfür sprechen verschiedene Erwägungen.
109. Erstens kann allein unter dem Gesichtspunkt möglicher Maßnahmen ihre Untätigkeit nicht fehlender Sorgfalt gleichgesetzt werden, da bei der Aufforderung zur Entrichtung der Gebühren die TKLGebV 1997 und die in Ausführung dieser Verordnung erlassenen Verwaltungsakte noch nicht für rechtswidrig erklärt worden waren(83). Anders ausgedrückt, zu jener Zeit konnten von ISIS und i‑21 keine derartigen Vorsichtsmaßnahmen erwartet werden, da der Mangel, der später festgestellt wurde, noch nicht offenkundig war.
110. Zweitens lässt sich unter einem weiter gefassten Blickwinkel einwenden, dass innerhalb des für diese Rechtssachen geltenden rechtlichen Rahmens ein Rechtsverstoß, der mit den Zielen der Rechtsordnung nicht vereinbar ist, in dieser Rechtsordnung allein aufgrund eines zufälligen Umstands wie des Verkündungszeitpunkts des Urteils am 19. September 2001 sichtbar geworden ist. Diese unterschiedliche Behandlung der Wirtschaftsteilnehmer, die sowohl die Chancengleichheit bezüglich des Eintritts in den Markt der Telekommunikationsdienstleistungen als auch dessen Liberalisierung beeinträchtigt und auf dem Tag beruht, an dem das Bundesverwaltungsgericht die TKLGebV 1997 für unwirksam erklärt hat, durfte nicht zu einer Ablehnung einer Überprüfung der Abgaben führen, die damals nicht mehr in Frage gestellt werden konnten, wenn andererseits die übrigen Abgaben von Amts wegen aufgehoben und durch niedrigere Gebühren, nämlich die der TKLGebV 2002, ersetzt wurden. Die glücklichen Unternehmen, von denen die Zahlung der Gebühr später verlangt wurde, haben ein unerwartetes Geschenk erhalten, für das sie nichts getan haben.
111. Unter einem mehr inhaltlichen Aspekt erhebt schließlich die Aufrechterhaltung einer rechtswidrigern Gebühr – abgesehen von ihrer Tragweite und ihren Auswirkungen im Rechtssystem – mit dem Argument, der Gebührenschuldner habe ihr „zugestimmt“, eine Technik, die im Dienste der Rechtsordnung steht, nicht nur zu einem absoluten Prinzip, sondern folgt auch einer dem Privatrecht eigenen Logik und lässt die entscheidende Bindung der Verwaltung an das öffentliche Interesse und die Gesetze außer Acht. Darauf habe ich in meinen bereits genannten Schlussanträgen in der Rechtssache AssiDomän (Nr. 49) hingewiesen.
112. Um der begrifflichen Genauigkeit willen sind verschiedene Fälle der „Rechtsbeständigkeit“ hinsichtlich ihrer Legitimität, ihrer Merkmale und der Möglichkeit ihrer Kontrolle zu unterscheiden. Die mit der Rechtssicherheit verbundenen Forderungen sind höher, wenn die Verwaltungsentscheidung einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen worden ist, die ihre Bestandskraft durch die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung verstärkt. Im Spannungsverhältnis zwischen Stabilität und Legalität gewinnt die Legalität an Gewicht, wenn die Beständigkeit sich wie in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten(84) aus bloßen Verwaltungsentscheidungen herleitet.
113. Dennoch gibt es welche, die die Meinung vertreten, dass die Unterschiedlichkeit der Fälle trotz allem ein leicht unterschiedliches System rechtfertige, da die Unternehmen, auch wenn sie getrennte Wasserwege benutzt hätten, doch alle im selben Meer angekommen seien. Diejenigen, die die betreffenden Gebührenbescheide angefochten hätten oder darüber verhandelt hätten, auf direktem Weg: Nichtigerklärung nach vorheriger Überprüfung von Amts wegen. Die anderen, die untätig geblieben seien und die Rechtsbehelfsfrist hätten verstreichen lassen, auf einem sehr viel gewundeneren Weg: Schadensersatz aufgrund staatlicher Haftung. Diese Konzeption lässt aber den Fall derjenigen außer Acht, die sich zwar für ein passives Verhalten entschieden hatten, aber von einem von ihrem Willen unabhängigen Ereignis (der Verkündung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts zu einem Zeitpunkt, als ihr Gebührenbescheid noch nicht bestandskräftig war) profitiert und so Früchte geerntet hatten, die auch sie nicht gesät hatten; die Ansicht entspricht einer rein subjektiven Sichtweise, bei der die objektive Dimension, die des öffentlichen Interesses, vergessen wird, die eine Gleichbehandlung verlangt, um jede Behinderung der Öffnung der Telekommunikationsdienstleistungsmärkte auszuschließen.
114. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in beiden Fällen, in denen um eine Vorabentscheidung ersucht wird, ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliegt, der die Billigkeit und die allgemeinen Grundsätze dieses Rechts verletzt, so dass nach einer angemessenen Lösung zu suchen ist.
5. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten in ihrem angemessenen Rahmen
115. Die Antwort ist völlig eindeutig: Die nationalen Gerichte müssen, wenn es zulässig ist, die Verwaltungsakte unter Einhaltung ihrer jeweiligen Verfahrensordnung überprüfen(85). Es ist daran zu erinnern, dass es in Ermangelung von Harmonisierungsmaßnahmen(86) Sache der Mitgliedstaaten ist, die Verfahren zum Schutz der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung begründeten Rechte vorzusehen, doch unterliegt diese Befugnis zwei Einschränkungen: Erstens darf die Regelung, die sie einführen, nicht ungünstiger sein als die für vergleichbare Sachverhalte interner Art (Äquivalenzprinzip); zweitens ist sie so auszugestalten, dass die Ausübung solcher Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (Effektivitätsprinzip)(87).
116. Die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten kennen unter der einen oder der anderen Bezeichnung die Möglichkeit, unangreifbare Verwaltungsakte zu überprüfen, wenn sie mit bestimmten Fehlern behaftet sind. Nach deutschem Recht kann die Verwaltung nach § 48 VwVfG eine rechtswidrige Entscheidung zurücknehmen, auch wenn sie bestandskräftig ist. Für den Fall, dass die Aufrechterhaltung der Entscheidung „schlechthin unerträglich“ ist, hat die nationale Rechtsprechung das entsprechende Ermessen bis auf null reduziert und dadurch eine Verpflichtung zur Nichtigerklärung begründet.
117. Das vorlegende Gericht hat daher diese Bestimmung so auszulegen und anzuwenden, dass unter Beachtung der genannten Grundsätze, unter Gewährleistung der Rechte Dritter und unter Vermeidung von gesetzwidrigen Ergebnissen Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13 seine volle Wirksamkeit entfaltet.
118. Nicht zu vergessen ist, dass dieser Absatz ebenso wie der Absatz 2 inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist, um unmittelbare Wirkung zu entfalten(88), so dass das nationale Gericht sich darum bemühen muss, anhand der nationalen Verfahrensvorschriften eine Lösung zu erreichen, die diesen Merkmalen der Gemeinschaftsvorschrift gerecht wird. Die Pflicht zur Auslegung des nationalen Rechts im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Geboten, die in dem genannten Urteil Marleasing festgestellt worden ist und in dem im genannten Urteil Pfeiffer u. a. angegebenen Umfang besteht, zeigt sich hier in aller Klarheit.
119. Wenn wir nun die Besonderheiten des deutschen Systems betrachten, das dem Gericht eine Bestimmung zur Verfügung stellt, auf das es sich bei seiner Aufgabe, der Gemeinschaftsordnung Wirkung zu verleihen, stützen kann, so löst sich das Problem im Wege der Auslegung(89). Im Urteil Ciola(90) erklärte der Gerichtshof, dass ein bestandskräftiger Verwaltungsakt, der mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sei, den Rechtsschutz des Einzelnen nicht mindern könne. Im Bereich des dritten Pfeilers der Europäischen Union, in dem Rahmenbeschlüsse keine unmittelbare Wirkung haben (Artikel 34 EU Absatz 2 Buchstabe b), ermächtigte der Gerichtshof in seinem unlängst ergangenen Urteil Pupino(91) das vorlegende Gericht, eine verfahrensrechtliche Ausnahmevorschrift (vorgezogene Beweiserhebung außerhalb der Hauptverhandlung in einem Strafprozess) zu einem vom nationalen Gesetzgeber nicht vorgesehenen Zeitpunkt anzuwenden, um die Ziele des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren(92) zu verwirklichen.
120. Mit dem gleichen Ziel hat der Gerichtshof Auslegungen auch im Rahmen von Gerichtsverfahren ausnahmsweise verteidigt, die dem Wortlaut des nationalen Gesetzes widersprachen, da die Gerichte nach dem Urteil Simmenthal und Factortame u. a.(93) keine Vorschrift anwenden dürfen, die ein Hindernis für die Entfaltung der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts darstellt. In diesem Sinne hat er im Urteil Peterbroeck(94) entschieden, dass das Gemeinschaftsrecht einer nationalen Verfahrensvorschrift entgegenstehe, die es dem angerufenen Gericht unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits(95) verbiete, von Amts wegen die Vereinbarkeit eines innerstaatlichen Rechtsakts mit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts zu prüfen, wenn sich kein Verfahrensbeteiligter innerhalb eines bestimmten Zeitraums auf die Gemeinschaftsvorschrift berufen habe. Im Urteil Océano Grupo Editorial und Salvat Editores(96) vertrat er die Ansicht, dass das Erfordernis einer richtlinienkonformen Auslegung insbesondere verlange, dass das nationale Gericht der Auslegung den Vorzug gebe, die der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über den Verbraucherschutz(97) zur Wirksamkeit verhelfe, indem es von Amts wegen seine Zuständigkeit verneine, wenn diese durch eine missbräuchliche Klausel vereinbart worden sei. Auf derselben Linie hat er im Urteil Cofidis(98) entschieden, dass diese Richtlinie einer innerstaatlichen Regelung entgegenstehe, die es dem nationalen Gericht im Rahmen einer von einem Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher erhobenen Klage, die auf einen von ihnen geschlossenen Vertrag gestützt werde, verwehre, nach Ablauf einer Ausschlussfrist von Amts wegen oder auf eine vom Verbraucher erhobene Einrede hin die Missbräuchlichkeit einer in diesem Vertrag enthaltenen Klausel festzustellen. Nach dem Urteil Larsy(99) sind innerstaatliche Vorschriften (in diesem Fall das Rechtskraftprinzip) insoweit nicht anzuwenden, als sie der tatsächlichen Wahrung der Rechte, die sich aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergeben, entgegenstehen.
121. Daher sind nach Artikel 11 der Richtlinie 97/13 aufgrund der in Artikel 10 EG festgelegten Loyalitätspflicht die Gebührenbescheide, die gegen diesen Artikel verstoßen, aber mangels rechtzeitiger Anfechtung bestandskräftig geworden sind, zu überprüfen, wenn ihre Aufrechterhaltung den Geist dieser Bestimmung oder die anderen der Gemeinschaftsordnung zugrunde liegenden Prinzipien verletzt. Die nationalen Gerichte müssen das nationale Recht so auslegen, dass bei Vorliegen derartiger Umstände die Überprüfung solcher Rechtsakte möglich ist, sofern nicht Rechte Dritter verletzt werden.
VI – Ergebnis
122. Nach alledem möchte ich dem Gerichtshof vorschlagen, dem Bundesverwaltungsgericht wie folgt zu antworten:
1. Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. April 1997 über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein‑ und Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste steht der Erhebung einer Gebühr für die Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung von Einzelgenehmigungen entgegen, bei deren Berechnung von einer Vorauserhebung der Kosten des allgemeinen Verwaltungsaufwands der nationalen Regulierungsbehörde für einen Zeitraum von 30 Jahren ausgegangen worden ist.
2. Nach Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13 sind aufgrund der in Artikel 10 EG niedergelegten Loyalitätspflicht die Gebührenbescheide, die gegen diesen Artikel verstoßen, aber mangels rechtzeitiger Anfechtung bestandskräftig geworden sind, zu überprüfen, wenn ihre Aufrechterhaltung den Geist dieser Bestimmung oder die anderen der Gemeinschaftsordnung zugrunde liegenden Prinzipien verletzt. Es ist Aufgabe der nationalen Gerichte, ihr nationales Recht so auszulegen, dass es diese Überprüfung zulässt, ohne dass Rechte Dritter beeinträchtigt werden.