Language of document : ECLI:EU:C:2017:767

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

18. Oktober 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Richtlinie 76/207/EWG – Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen – Diskriminierung wegen des Geschlechts – Auswahlverfahren für den Zugang zur Polizeischule eines Mitgliedstaats – Regelung dieses Mitgliedstaats, die für alle Bewerber für die Zulassung zu diesem Auswahlverfahren eine Mindestkörpergröße vorschreibt“

In der Rechtssache C‑409/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat, Griechenland) mit Entscheidung vom 15. Juli 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juli 2016, in dem Verfahren

Ypourgos Esoterikon,

Ypourgos Ethnikis paideias kai Thriskevmaton

gegen

Maria-Eleni Kalliri

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter C. G. Fernlund, J.‑C. Bonichot, S. Rodin und E. Regan,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau Kalliri, vertreten durch P. Aggelakis, dikigoros,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch K. Georgiadis, D. Katopodis und E. Zisi als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Patakia und C. Valero als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. 1976, L 39, S. 40) in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. 2002, L 269, S. 15) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 76/207) und der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. 2006, L 204, S. 23).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Ypourgos Esoterikon (Innenminister, Griechenland) und dem Ypourgos Ethnikis paideias kai Thriskevmaton (Minister für nationales Erziehungswesen und Religionsangelegenheiten) einerseits und Frau Maria-Eleni Kalliri andererseits über Frau Kalliris Klage auf Aufhebung der Verwaltungsakte, die auf der Grundlage einer nationalen Regelung erlassen wurden, wonach die Zulassung von Bewerbern zum Auswahlverfahren für den Zugang zu den Schulen der griechischen Polizei von einer Mindestgröße abhängig ist.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 76/207 lautet:

„Diese Richtlinie hat zum Ziel, dass in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und in Bezug auf die soziale Sicherheit unter den in Absatz 2 vorgesehenen Bedingungen verwirklicht wird. Dieser Grundsatz wird im Folgenden als ‚Grundsatz der Gleichbehandlung‘ bezeichnet.“

4        Art. 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf.

(2)      Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

–        ‚unmittelbare Diskriminierung‘: wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

–        ‚mittelbare Diskriminierung‘: wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einem Geschlecht angehören, in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich;

…“

5        Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bedeutet, dass es im öffentlichen und privaten Bereich einschließlich öffentlicher Stellen in Bezug auf folgende Punkte keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben darf:

a)      die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, einschließlich des beruflichen Aufstiegs;

…“

 Griechisches Recht

6        Nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. a des Gesetzes 2226/1994 über Zulassung, Ausbildung und weiterführende Ausbildung an den Schulen der Polizeiakademie und in der Unteroffiziersabteilung der Feuerwehrakademie (FEK Α’ 122) in der durch Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes 2713/1999 (FEK Α’ 89) und dann durch Art. 20 des Gesetzes 3103/2003 (FEK A’ 23) geänderten Fassung werden zu diesen Schulen Männer und Frauen zugelassen. Nach dieser Bestimmung sind die von den Bewerbern zu erfüllenden Anforderungen und die Vorauswahlprüfungen, denen sie sich unterziehen müssen, für beide Geschlechter gleich.

7        Art. 2 Abs. 1 Buchst. f des Präsidialdekrets 4/1995 über die Zulassung zu den Schulen für Offiziere und Polizisten gemäß dem System allgemeiner Prüfungen (FEK A’ 1) in der durch Art. 1 Abs. 1 des Präsidialdekrets 90/2003 (FEK A’ 82) geänderten Fassung sieht vor, dass die zivilen Bewerber – Männer und Frauen – für die Schulen für Offiziere und Polizisten der Polizeiakademie ohne Schuhe eine Mindestgröße von 1,70 m haben müssen.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

8        Mit Entscheidung des Leiters der griechischen Polizei wurde gemäß den Bestimmungen des Präsidialdekrets 4/1995 in der durch das Präsidialdekret 90/2003 geänderten Fassung ein Auswahlverfahren für die Einschreibung in die Schulen für Offiziere und Polizisten der griechischen Polizei für das akademische Jahr 2007/2008 bekannt gegeben.

9        Nach Punkt II.6 dieser Bekanntmachung mussten die Bewerber für dieses Auswahlverfahren ohne Schuhe mindestens 1,70 m groß sein.

10      Frau Kalliri bewarb sich bei der Polizeistation Vrachati (Griechenland) für dieses Auswahlverfahren und legte die erforderlichen Unterlagen vor, die ihr mit der Begründung zurückgegeben wurden, dass sie die nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. f des Präsidialdekrets 4/1995 in der durch Art. 1 Abs. 1 des Präsidialdekrets 90/2003 geänderten Fassung erforderliche Mindestgröße von 1,70 m nicht erreiche, da sie nur 1,68 m groß sei.

11      Basierend auf dieser Rückgabehandlung der Polizeistation von Vrachati wurde Frau Kalliri die Teilnahme an dem fraglichen Auswahlverfahren von der Verwaltung verweigert.

12      Frau Kalliri focht diese Weigerung beim Dioikitiko Efeteio Athinon (Verwaltungsberufungsgericht Athen, Griechenland) an, das ihrer Klage stattgab und feststellte, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. f des Präsidialdekrets 4/1995 in der durch Art. 1 Abs. 1 des Präsidialdekrets 90/2003 geänderten Fassung den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter verletze, und diese Bestimmungen für nichtig erklärte.

13      Der Innenminister und der Minister für nationales Erziehungswesen und Religionsangelegenheiten legten gegen diese Entscheidung des Dioikitiko Efeteio Athinon (Verwaltungsberufungsgericht Athen) Berufung beim vorlegenden Gericht ein.

14      Vor diesem Hintergrund hat der Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat, Griechenland) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 1 Abs. 1 des Präsidialdekrets 90/2003, durch den Art. 2 Abs. 1 des Präsidialdekrets 4/1995 geändert wurde und wonach zivile Bewerber für das Auswahlverfahren für den Zugang zu den Schulen für Offiziere und Polizisten der Polizeiakademie – neben anderen Eigenschaften – „eine Köpergröße (Männer und Frauen) von mindestens 1,70 m haben müssen“, mit den Richtlinien 76/207, 2002/73 und 2006/54 vereinbar, die jede mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Sektor verbieten (es sei denn, diese im Ergebnis ungleiche Behandlung ist Faktoren zuzuschreiben, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, und geht nicht über das hinaus, was geeignet und erforderlich ist, um dem mit der Maßnahme verfolgten Ziel zu dienen)?

 Zur Vorlagefrage

15      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen der Richtlinien 76/207 und 2006/54 dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, wonach für die Zulassung von Bewerbern für das Auswahlverfahren für den Zugang zur Polizeischule dieses Mitgliedstaats unabhängig von ihrem Geschlecht eine Mindestkörpergröße von 1,70 m erforderlich ist.

16      Es ist zunächst zu ermitteln, ob der Ausgangsrechtsstreit in den Geltungsbereich dieser Bestimmungen fällt.

17      Dazu ist festzustellen, dass dieser Rechtsstreit Verwaltungsakte betrifft, die im Jahr 2007 erlassen worden sind, nachdem Frau Kalliri einen Antrag auf Zulassung zum Auswahlverfahren für den Zugang zu den Schulen für Offiziere und Polizisten der griechischen Polizei für das akademische Jahr 2007/2008 gestellt hatte.

18      Nach Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 ist die Frist für ihre Umsetzung am 15. August 2008 abgelaufen.

19      Außerdem ist die Richtlinie 76/207 durch Art. 34 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 mit Wirkung vom 15. August 2009 aufgehoben worden.

20      Also sind auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits nicht die Bestimmungen der Richtlinie 2006/54, sondern diejenigen der Richtlinie 76/207 zeitlich anwendbar.

21      Die Richtlinie 76/207 hat nach ihrem Art. 1 Abs. 1 zum Ziel, dass in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung verwirklicht wird.

22      Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie verbietet jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im öffentlichen und privaten Bereich einschließlich öffentlicher Stellen in Bezug auf die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbständiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit.

23      Demnach gilt die Richtlinie 76/207 für eine Person, die eine Beschäftigung sucht, und zwar auch in Bezug auf die Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen für diese Beschäftigung (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Juli 2016, Kratzer, C‑423/15, EU:C:2016:604, Rn. 34).

24      Das ist bei einer Person der Fall, die sich wie Frau Kalliri für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren für den Zugang zu einer Polizeischule eines Mitgliedstaats bewirbt.

25      Die im Ausgangsverfahren streitige Regelung berührt aber dadurch, dass sie vorsieht, dass Personen, die weniger als 1,70 m groß sind, nicht zum Auswahlverfahren für den Zugang zur griechischen Polizeischule zugelassen werden können, die Einstellungsbedingungen dieser Arbeitnehmer und ist demnach als eine Regelung des Zugangs zur Beschäftigung im öffentlichen Bereich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 76/207 anzusehen (vgl. entsprechend Urteile vom 13. November 2014, Vital Pérez, C‑416/13, EU:C:2014:2371, Rn. 30, und vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo, C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 25).

26      Folglich fällt ein Rechtsstreit wie der beim vorlegenden Gericht anhängige in den sachlichen Geltungsbereich der Richtlinie 76/207.

27      Es ist daher zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung zu einer durch diese Richtlinie verbotenen Diskriminierung führt.

28      Dazu ist festzustellen, dass nach dieser Regelung alle Personen, die sich für das Auswahlverfahren für den Zugang zur Polizeischule bewerben, unabhängig von ihrem Geschlecht gleich behandelt werden.

29      Folglich führt diese Regelung keine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 76/207 ein.

30      Allerdings kann eine solche Regelung eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich darstellen.

31      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn eine nationale Maßnahme zwar neutral formuliert ist, in ihrer Anwendung aber eine sehr viel höhere Zahl von Frauen als von Männern benachteiligt (vgl. u. a. Urteile vom 2. Oktober 1997, Kording, C‑100/95, EU:C:1997:453, Rn. 16, und vom 20. Juni 2013, Riežniece, C‑7/12, EU:C:2013:410, Rn. 39).

32      Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht im Vorlagebeschluss selbst festgestellt, dass eine höhere Zahl von Frauen als von Männern weniger als 1,70 m groß ist, so dass Frauen nach dieser Regelung im Vergleich zu Männern in Bezug auf die Zulassung zum Auswahlverfahren für den Zugang zur Schule für Offiziere und Polizisten der griechischen Polizei sehr deutlich benachteiligt werden. Daraus folgt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung zu einer mittelbaren Diskriminierung führt.

33      Aus Art. 2 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 76/207 ergibt sich jedoch, dass eine solche Regelung keine durch diese Richtlinie verbotene mittelbare Diskriminierung darstellt, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

34      Auch wenn es Sache des vorlegenden Gerichts ist, festzustellen, ob eine solche Rechtfertigung besteht, so ist doch der Gerichtshof, der dem vorlegenden Gericht in sachdienlicher Weise zu antworten hat, dafür zuständig, diesem Hinweise zu geben, die ihm die Entscheidung ermöglichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. März 2005, Nikoloudi, C‑196/02, EU:C:2005:141, Rn. 48 und 49).

35      Im vorliegenden Fall trägt die griechische Regierung vor, dass es Ziel der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung sei, die wirksame Erfüllung der Aufgabe der griechischen Polizei zu ermöglichen, und dass der Besitz gewisser besonderer physischer Eignungen, wie eine Mindestkörpergröße, eine erforderliche und angemessene Bedingung für die Erreichung dieses Ziels sei.

36      Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, stellt das Bemühen, die Einsatzbereitschaft und das ordnungsgemäße Funktionieren der Polizei zu gewährleisten, ein rechtmäßiges Ziel dar (vgl. in Bezug auf Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf [ABl. 2000, L 303, S. 16], deren Struktur, Bestimmungen und Ziel mit denjenigen der Richtlinie 76/207 weitgehend vergleichbar sind, Urteile vom 13. November 2014, Vital Pérez, C‑416/13, EU:C:2014:2371, Rn. 44, und vom 15. November 2016, Salaberria Sorondo, C‑258/15, EU:C:2016:873, Rn. 38).

37      Allerdings ist zu prüfen, ob ein Mindestgrößenerfordernis wie das nach der im Ausgangsverfahren streitigen Regelung vorgesehene geeignet ist, die Erreichung des mit dieser Regelung angestrebten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hierfür Erforderliche hinausgeht.

38      Zwar kann die Ausübung von Tätigkeiten der Polizei wie der Schutz von Personen und Sachen, die Festnahme und Ingewahrsamnahme von Straftätern sowie der präventive Streifendienst die Anwendung körperlicher Gewalt erfordern und besondere körperliche Fähigkeiten erforderlich machen, dennoch erfordern bestimmte Polizeiaufgaben wie der Beistand für den Bürger und die Verkehrsregelung offenkundig keinen hohen körperlichen Einsatz (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. November 2014, Vital Pérez, C‑416/13, EU:C:2014:2371, Rn. 39 und 40).

39      Selbst wenn im Übrigen angenommen werden sollte, dass alle von der griechischen Polizei ausgeübten Aufgaben eine besondere körperliche Eignung erfordern, ist nicht ersichtlich, dass eine solche Eignung zwangsläufig mit dem Besitz einer Mindestkörpergröße verbunden ist und dass kleinere Personen darüber von Natur aus nicht verfügen.

40      In diesem Zusammenhang kann insbesondere der Umstand herangezogen werden, dass die griechische Regelung bis zum Jahr 2003 für die Zulassung zum Auswahlverfahren für den Zugang zu den Schulen für Offiziere und Polizisten der griechischen Polizei für Männer und für Frauen verschiedene Mindestgrößen vorgesehen hat, da die erforderliche Mindestgröße für Frauen mit 1,65 m festgesetzt war, während für Männer 1,70 m vorgeschrieben waren.

41      Ebenfalls maßgeblich ist, dass – wie Frau Kalliri vorträgt – in Bezug auf die griechischen Streitkräfte, die griechische Hafenpolizei und die griechische Küstenwache für Männer und für Frauen verschiedene Mindestgrößen vorgeschrieben sind, und dass die Mindestgröße für Frauen 1,60 m beträgt.

42      Das von der im Ausgangsverfahren streitigen Regelung verfolgte Ziel könnte jedenfalls mit Maßnahmen erreicht werden, die für Personen weiblichen Geschlechts weniger nachteilig sind, wie eine Vorauswahl der Bewerber für das Auswahlverfahren für den Zugang zu den Schulen für Offiziere und Polizisten, die auf spezifischen Prüfungen zur Überprüfung ihrer körperlichen Fähigkeiten beruht.

43      Daraus folgt, dass diese Regelung vorbehaltlich der dem vorlegenden Gericht obliegenden Prüfungen nicht gerechtfertigt ist.

44      Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Bestimmungen der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, wonach für die Zulassung von Bewerbern für das Auswahlverfahren für den Zugang zur Polizeischule dieses Mitgliedstaats unabhängig von ihrem Geschlecht eine Mindestkörpergröße von 1,70 m erforderlich ist, wenn diese Regelung eine viel höhere Zahl von Personen weiblichen Geschlechts als männlichen Geschlechts benachteiligt und für die Erreichung des rechtmäßigen Ziels, das sie verfolgt, nicht geeignet und erforderlich ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 Kosten

45      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Die Bestimmungen der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, wonach für die Zulassung von Bewerbern für das Auswahlverfahren für den Zugang zur Polizeischule dieses Mitgliedstaats unabhängig von ihrem Geschlecht eine Mindestkörpergröße von 1,70 m erforderlich ist, wenn diese Regelung eine viel höhere Zahl von Personen weiblichen Geschlechts als männlichen Geschlechts benachteiligt und für die Erreichung des rechtmäßigen Ziels, das sie verfolgt, nicht geeignet und erforderlich ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Griechisch.