Language of document : ECLI:EU:C:2019:1073

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

12. Dezember 2019(*)

„Rechtsmittel – Unionsmarke – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b – Absolutes Eintragungshindernis – Marken ohne Unterscheidungskraft – Dreidimensionale Marken, die aus der Form der Ware bestehen – Kriterien für die Beurteilung der Unterscheidungskraft – Begründungspflicht – Form eines Behältnisses – Amphore“

In der Rechtssache C‑783/18 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 12. Dezember 2018,

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch D. Hanf als Bevollmächtigten,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Wajos GmbH mit Sitz in Dohr (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J. Schneiders, R. Krillke und B. Schneiders,

Klägerin im ersten Rechtszug,

erlässt


DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis sowie der Richter M. Ilešič und C. Lycourgos (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit seinem Rechtsmittel beantragt das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 3. Oktober 2018, Wajos/EUIPO (Form eines Behältnisses) (T‑313/17, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2018:638), mit dem dieses die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des EUIPO vom 15. Februar 2017 (Sache R 1526/2016‑1) über die Anmeldung eines dreidimensionalen Zeichens in Form eines Behältnisses als Unionsmarke (im Folgenden: streitige Entscheidung) aufgehoben hat.

 Rechtlicher Rahmen

2        Die Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) wurde durch die am 23. März 2016 in Kraft getretene Verordnung (EU) 2015/2424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 (ABl. 2015, L 341, S. 21) geändert. Die Verordnung Nr. 207/2009 in der durch die Verordnung 2015/2424 geänderten Fassung wurde durch die Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) mit Wirkung zum 1. Oktober 2017 aufgehoben und ersetzt. Aufgrund des Zeitpunkts der hier in Rede stehenden Anmeldung, dem 7. Dezember 2015, sind auf den vorliegenden Rechtsstreit jedoch die materiellen Vorschriften der Verordnung Nr. 207/2009 anwendbar.


3        Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 bestimmt, dass von der Eintragung Marken ausgeschlossen sind, die keine Unterscheidungskraft haben.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

4        Die Vorgeschichte des Rechtsstreits und die streitige Entscheidung sind in den Rn. 1 bis 7 des angefochtenen Urteils wie folgt zusammengefasst:

„1      Am 7. Dezember 2015 meldete die [Wajos GmbH] nach der [Verordnung Nr. 207/2009] beim [EUIPO] eine Unionsmarke an.

2      Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um folgendes dreidimensionales Zeichen:

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3      Die Marke wurde für … Waren der Klassen 29, 30, 32 und 33 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet …

4      Mit Entscheidung vom 28. Juni 2016 wies der Prüfer die Anmeldung gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 … für sämtliche oben in Rn. 3 genannten Waren zurück.

5      Am 19. August 2016 legte [Wajos] gegen die Entscheidung des Prüfers nach den Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009 … beim EUIPO Beschwerde ein.


6      Mit [der streitigen] Entscheidung … wies die Erste Beschwerdekammer des EUIPO die Beschwerde mit der Begründung zurück, der angemeldeten Marke fehle es in Bezug auf die oben in Rn. 3 genannten Waren an Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009.

7      Die Beschwerdekammer war der Ansicht, dass sich die beanspruchten Waren vorliegend sowohl an die breite Öffentlichkeit als auch an Fachleute bzw. gewerbliche Kunden richteten und dass je nach Art der betreffenden Waren der Aufmerksamkeitsgrad der maßgeblichen Verbraucher durchschnittlich bis erhöht sei. Im Wesentlichen stellte die Beschwerdekammer fest, dass die Anmeldemarke nur eine Variante der üblichen Form und der Aufmachung der von der Anmeldung erfassten Waren darstelle, die es dem durchschnittlichen Verbraucher nicht ermögliche, die Waren der Klägerin von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Die angemeldete Marke stelle ein amphorenartiges Gefäß dar, dessen einzige Abweichung von gewöhnlichen Amphorenformen in dem Wulst liege, der ausgeprägter als sonst üblich sei. Diese Abweichung sei jedoch technisch und funktionell bedingt. Sie werde daher von den relevanten Verbrauchern selbst bei hohem Aufmerksamkeitsgrad nicht als herkunftskennzeichnendes Merkmal wahrgenommen.“

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

5        Mit Klageschrift, die am 22. Mai 2017 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Wajos Klage auf Aufhebung der streitigen Entscheidung. Sie stützte ihre Klage auf einen einzigen Klagegrund, mit dem sie einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 rügte.

6        Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht dieser Klage mit der Begründung stattgegeben, dass die Beschwerdekammer des EUIPO gegen diese Bestimmung verstoßen habe, weil sie sich auf eine unzutreffende Wahrnehmung der Merkmale und der Art der angemeldeten Marke gestützt habe.

 Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

7        Das EUIPO beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben, und

–        Wajos zur Tragung der dem EUIPO entstandenen Kosten zu verurteilen.

8        Wajos beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen, und

–        dem EUIPO ihre Kosten aufzuerlegen.

9        Mit Entscheidung vom 29. Juli 2019 hat der Präsident des Gerichtshofs den Antrag der Laux GmbH auf Zulassung als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des EUIPO zurückgewiesen.

 Zum Rechtsmittel

10      Das EUIPO stützt sein Rechtsmittel auf zwei Rechtsmittelgründe. Mit dem ersten wird eine Verletzung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 durch das angefochtene Urteil gerügt. Mit dem zweiten wird dem Gericht eine Verletzung seiner Begründungspflicht vorgeworfen.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund

 Vorbringen der Parteien

11      Der erste Rechtsmittelgrund besteht aus drei Teilen. Mit dem ersten Teil dieses Rechtsmittelgrundes macht das EUIPO geltend, die angemeldete Marke bestehe aus der Form eines flaschen- bzw. amphorenähnlichen Behältnisses, das die beanspruchten Lebensmittel enthalten und in dem diese Lebensmittel angeboten bzw. dargereicht werden könnten. Daher sei – wie das Gericht in Rn. 28 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt habe – zur Feststellung, ob diese Marke als hinreichend unterscheidungskräftig angesehen werden könne, zu prüfen, ob diese Marke „erheblich“ von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweiche und deshalb geeignet sei, ihre wesentliche herkunftskennzeichnende Funktion zu erfüllen.

12      Das Gericht habe allerdings die erhebliche Abweichung der angemeldeten Marke von der Norm oder der Branchenüblichkeit nicht geprüft, sondern auf ein anderes, in Rn. 26 des angefochtenen Urteils genanntes Kriterium abgestellt, nämlich, ob diese über „hinreichende Merkmale“ verfüge, um die Aufmerksamkeit des Durchschnittsverbrauchers zu erwecken.

13      Daher habe das Gericht in den Rn. 34, 35, 37 und 40 des angefochtenen Urteils lediglich festgestellt, dass die angemeldete Marke in der Kombination ihrer Elemente tatsächlich besonders sei und nicht als völlig alltäglich angesehen werden könne, so dass sie eine auffällige Form aufweise, die sich insgesamt leicht einpräge und sich von den üblicherweise auf dem Markt verfügbaren Flaschen unterscheide, und dass auch das Erscheinungsbild der Marke von dem klassischer Amphoren abweiche, insbesondere durch den ungewöhnlichen Wulst, der ihr auch einen ästhetischen Wert verleihe. Das Gericht habe auch festgestellt, dass der Form der angemeldeten Marke somit ein „außergewöhnlicher“ Charakter zukomme.


14      All diese Charakterisierungen der angemeldeten Marke belegten jedoch nicht das Vorliegen einer erheblichen Abweichung von der Norm oder der Branchenüblichkeit.

15      Mit dem zweiten Teil seines ersten Rechtsmittelgrundes trägt das EUIPO vor, das Gericht habe nicht die Kriterien geprüft, die für die Feststellung der Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke relevant seien.

16      So habe das Gericht nicht die in dem betreffenden Nahrungsmittelsektor einschlägige Norm oder Branchenüblichkeit festgestellt. Die Feststellung der Norm oder Branchenüblichkeit sei jedoch umso mehr geboten, als mit der streitigen Entscheidung festgestellt worden sei, dass die betreffenden Waren seit der Antike sowohl in Flaschen als auch in amphorenähnlichen Gefäßen als Vorrats- und Transportgefäße benutzt würden und aus solchen heraus verkauft würden.

17      In dem Verfahren vor dem Gericht habe das EUIPO auch geltend gemacht, dass der Formenschatz für Verpackungen im betreffenden Marktsegment reich sei. Eine große Vielfalt von Formen in dem betreffenden Sektor impliziere jedoch notwendigerweise, dass Abweichungen in der Formgestaltung in der Regel nur unter besonderen Umständen als erheblich angesehen werden könnten.

18      Mit dem dritten Teil seines ersten Rechtsmittelgrundes trägt das EUIPO vor, das Gericht habe bei seiner Prüfung der Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke auf Kriterien abgestellt, die nicht relevant seien.

19      Zum einen habe das Gericht in den Rn. 34 und 35 des angefochtenen Urteils auf den „ästhetischen Wert“ der streitgegenständlichen Form abgestellt, um seine Beurteilung zu rechtfertigen, dass die angemeldete Marke es den maßgeblichen Verbrauchern ermögliche, die von ihr erfassten Waren als Hinweis auf die betriebliche Herkunft dieser Waren wahrzunehmen.

20      Für die Unterscheidungskraft einer Marke komme es jedoch grundsätzlich ebenso wenig auf ihren ästhetischen Wert wie auf das Fehlen eines solchen ästhetischen Wertes an. Zudem spreche ein ästhetischer Wert einer Form, der eine Abweichung von der Norm begründe, eher gegen die Annahme ihrer Unterscheidungskraft als Marke, da der relevante Verbraucher die Abweichung gerade als ästhetisches bzw. dekoratives Element und nicht als Hinweis auf eine betriebliche Herkunft wahrnehmen werde. Ferner sei der Wulst, dem das Gericht einen ästhetischen Wert zugesprochen habe, auch technisch und funktionell bedingt, während funktionale Elemente in der Regel nicht als betriebliche Herkunftshinweise wahrgenommen würden.

21      Zum anderen habe das Gericht in Rn. 38 des angefochtenen Urteils auch auf die „tatsächlichen Umstände der Vermarktung“ der mit der angemeldeten Marke gekennzeichneten Waren abgestellt, um den Befund in Rn. 37 des Urteils zu stützen, dass die Marke Unterscheidungskraft habe. Ein solches Kriterium sei jedoch nur im Rahmen der Prüfung einer durch Benutzung erworbenen Unterscheidungskraft gemäß Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 relevant und nicht für die Prüfung der inhärenten Unterscheidungskraft gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung.

22      Wajos hält den ersten Rechtsmittelgrund für unbegründet.

 Würdigung durch den Gerichtshof

23      Was die ersten beiden Teile des ersten Rechtsmittelgrundes betrifft, die zusammen zu prüfen sind, so bedeutet Unterscheidungskraft einer Marke im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 nach ständiger Rechtsprechung, dass diese Marke geeignet ist, die Ware, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Die Unterscheidungskraft einer Marke ist zum einen im Hinblick auf die Waren oder Dienstleistungen, für die sie angemeldet worden ist, und zum anderen im Hinblick auf die Anschauung der maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen (Urteil vom 13. September 2018, Birkenstock Sales/EUIPO, C‑26/17 P, EU:C:2018:714, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Insoweit sind die Kriterien für die Beurteilung der Unterscheidungskraft dreidimensionaler Marken, die in der Form der Ware selbst oder ihrer Verpackung bestehen, keine anderen als die für die übrigen Markenkategorien geltenden. Im Rahmen der Anwendung dieser Kriterien wird jedoch eine dreidimensionale Marke, die im Erscheinungsbild der Ware selbst oder ihrer Verpackung besteht, vom Durchschnittsverbraucher nicht notwendig in der gleichen Weise wahrgenommen wie eine Wort- oder Bildmarke, die aus einem Zeichen besteht, das vom Erscheinungsbild der mit der Marke bezeichneten Waren unabhängig ist. Denn wenn grafische oder Wortelemente fehlen, schließen die Durchschnittsverbraucher aus der Form der Waren oder der ihrer Verpackung gewöhnlich nicht auf die Herkunft dieser Waren; daher kann es schwieriger sein, die Unterscheidungskraft einer solchen dreidimensionalen Marke nachzuweisen als diejenige einer Wort- oder Bildmarke. Unter diesen Umständen ist, je mehr sich die angemeldete Form der Form annähert, in der die betreffende Ware oder ihre Verpackung am wahrscheinlichsten in Erscheinung tritt, umso eher zu erwarten, dass dieser Form die Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 fehlt. Nur eine Marke, die erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweicht und deshalb ihre wesentliche herkunftskennzeichnende Funktion zu erfüllen geeignet ist, besitzt auch Unterscheidungskraft im Sinne dieser Vorschrift (Urteile vom 20. Oktober 2011, Freixenet/HABM, C‑344/10 P und C‑345/10 P, EU:C:2011:680, Rn. 45 bis 47, und vom 7. Mai 2015, Voss of Norway/HABM, C‑445/13 P, EU:C:2015:303, Rn. 90 und 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).


25      Daraus folgt, dass, wenn eine dreidimensionale Marke in der Form der Ware, für die sie angemeldet wird, oder in der Form der Verpackung dieser Ware besteht, der bloße Umstand, dass diese Form eine „Variante“ der üblichen Formen dieser Warengattung oder der Verpackung dieser Warengattung ist, nicht ausreicht, um zu beweisen, dass es der genannten Marke nicht an Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 fehlt. Es ist stets zu prüfen, ob diese Marke es dem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der fraglichen Ware erlaubt, diese – ohne Prüfung und ohne besondere Aufmerksamkeit – von Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. u. a. Urteile vom 12. Januar 2006, Deutsche SiSi-Werke/HABM, C‑173/04 P, EU:C:2006:20, Rn. 29 und 31, und vom 7. Mai 2015, Voss of Norway/HABM, C‑445/13 P, EU:C:2015:303, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Im vorliegenden Fall hat das Gericht – wie das EUIPO hervorhebt – in Rn. 26 des angefochtenen Urteils zwar festgestellt, dass „der Durchschnittsverbraucher [von Waren der Lebensmittelbranche] vollauf in der Lage ist, die Form der Verpackung dieser Waren als Hinweis auf deren betriebliche Herkunft wahrzunehmen, sofern diese Form hinreichende Merkmale aufweist, um seine Aufmerksamkeit zu erwecken“, doch hat das Gericht in Rn. 28 des Urteils klargestellt, dass bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft einer dreidimensionalen Marke gemäß der in Rn. 24 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs festzustellen ist, ob die angemeldete Marke „erheblich“ von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweicht.

27      Ferner hat das Gericht, nachdem es in Rn. 31 des angefochtenen Urteils zu Recht daran erinnert hat, dass der Gesamteindruck zu prüfen ist, den das Erscheinungsbild des die angemeldete Marke bildenden Behältnisses hervorruft, in Rn. 34 des Urteils festgestellt, dass die Kombination der Elemente, aus denen die Marke besteht, „tatsächlich besonders ist und nicht als völlig alltäglich angesehen werden kann“, dass sie dem in Rede stehenden Behältnis „ein besonderes Erscheinungsbild [verleiht], das es auch unter Berücksichtigung des ästhetischen Gesamtergebnisses von den üblicherweise auf dem Markt verfügbaren Flaschen unterscheidet, da die Verbraucher nicht an Behältnisse gewöhnt sind, die in der Mitte eine markant gekrümmte Form aufweisen“, und dass außerdem das Erscheinungsbild der angemeldeten Marke „von dem klassischer Amphoren [abweicht], insbesondere weil solche Amphoren normalerweise nicht aus Glas sind“.

28      In Rn. 37 des angefochtenen Urteils hat das Gericht des Weiteren klargestellt, dass, „[auch] wenn der Durchschnittsverbraucher im Allgemeinen der Form von Lebensmitteln keine Bedeutung beimisst und hinter dieser Form keinen Herkunftshinweis vermutet …, … im vorliegenden Fall der in Anbetracht der Branchenüblichkeit außergewöhnliche Charakter einer Aufmachung der betreffenden Waren in Form der angemeldeten Marke [bewirkt], dass diese auf die betriebliche Herkunft der beanspruchten Waren hinzuweisen vermag“.

29      Damit hat das Gericht kein anderes Kriterium als das vom Gerichtshof zugrunde gelegte angewandt, sondern seine Beurteilung, dass sich das in Rede stehende Behältnis erheblich von Flaschen und Amphoren unterscheidet, wie sie üblicherweise auf dem betreffenden Markt erscheinen, eingehend untermauert und somit begründet, inwiefern die Beschwerdekammer des EUIPO seiner Ansicht nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 falsch angewandt hatte, als sie in Rn. 27 der streitigen Entscheidung ausdrücklich angenommen hatte, dass das betreffende Behältnis allenfalls als „eine im Rahmen der Bandbreite üblicher Verpackungsformen bleibende … Variante einer Amphore“ aufgefasst werden könne.

30      Folglich hat das Gericht in dem angefochtenen Urteil den Maßstab der „erheblichen Abweichung von der Norm oder der Branchenüblichkeit“, wie er in Rn. 24 des vorliegenden Urteils angeführt worden ist, richtig formuliert und angewandt.

31      Des Weiteren hat das Gericht in den Rn. 34 und 37 des angefochtenen Urteils implizit, aber denknotwendig die Norm und die Branchenüblichkeit in der Weise ermittelt, dass üblicherweise keine Flasche, die in der Mitte eine markant gekrümmte Form aufweist, oder Glasamphore verwendet wird. Daher brauchte es nicht zusätzlich allgemein und abstrakt alles anzugeben, was der Norm und der Üblichkeit in der betreffenden Branche entspricht, und durfte sich auf die Angabe beschränken, von welcher Branchenüblichkeit die angemeldete Marke erheblich abweichen soll (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 22. Juni 2006, Storck/HABM, C‑25/05 P, EU:C:2006:422, Rn. 30 bis 33, vom 4. Oktober 2007, Henkel/HABM, C‑144/06 P, EU:C:2007:577, Rn. 43 und 44, vom 7. Mai 2015, Voss of Norway/HABM, C‑445/13 P, EU:C:2015:303, Rn. 82 bis 87, und vom 4. Mai 2017, August Storck/EUIPO, C‑417/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:340, Rn. 42).

32      Zum dritten Teil dieses Rechtsmittelgrundes ist zum einen festzustellen, dass die Berücksichtigung des „ästhetischen Ergebnisses“ und des „ästhetischen Wertes“ in den Rn. 34 und 35 des angefochtenen Urteils nur einer der Gesichtspunkte ist, aufgrund deren das Gericht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Gesamteindruck der angemeldeten Marke erhebliche Abweichungen von der Norm und der Branchenüblichkeit aufweist. Es lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass der ästhetische Aspekt einer Marke in Form der Verpackung einer Ware – hier ihres Behältnisses – neben anderen Gesichtspunkten berücksichtigt werden kann, um einen Unterschied gegenüber der Norm und der Branchenüblichkeit zu ermitteln, sofern dieser ästhetische Aspekt so verstanden wird, dass er auf die objektive und ungewöhnliche visuelle Wirkung verweist, die durch die spezifische Gestaltung der Marke entsteht.


33      Zum anderen trifft es zwar zu, dass das Gericht in Rn. 38 des angefochtenen Urteils auf den Kontakt des Verbrauchers mit dem Behältnis sowohl beim Kauf der betroffenen Waren als auch bei ihrer Benutzung verweist, doch genügt insoweit die Feststellung, dass Rn. 38 ein vom Gericht ergänzend vorgebrachtes Argument enthält, so dass diese Rüge jedenfalls ins Leere geht.

34      Folglich ist der erste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund

 Vorbringen der Parteien

35      Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund trägt das EUIPO vor, das Gericht habe gegen die Art. 36 und 53 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union verstoßen, indem es in Rn. 37 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, dass der Form der angemeldeten Marke in Anbetracht der Branchenüblichkeit ein außergewöhnlicher Charakter zukomme, und damit den Befund in Rn. 36 des angefochtenen Urteils begründet habe, dass die streitige Marke Unterscheidungskraft besitze.

36      Das EUIPO macht geltend, dass weder der in Rn. 34 des angefochtenen Urteils enthaltene unspezifische Bezug auf die „Akte des EUIPO“ noch der allgemeine Hinweis auf das „ästhetische Gesamtergebnis“ im Vergleich zu den üblicherweise auf dem Markt verfügbaren Flaschen noch die sonstigen Gründe des Gerichts es dem EUIPO oder dem Gerichtshof ermöglichten, nachzuvollziehen, aus welchen Gründen das Gericht zu diesem Befund gelangt sei. Gleiches gelte für die ohne Begründung erfolgte Feststellung in Rn. 35 des angefochtenen Urteils, dass der Wulst des betreffenden Behältnisses der angemeldeten Marke auch einen ästhetischen Wert verleihe.

37      Eine Begründung sei umso notwendiger gewesen, als das Gericht sowohl die Einschätzung des Prüfers als auch die der Beschwerdekammer verworfen habe, obwohl es sich bei dem für das Gericht entscheidenden Merkmal, dem Wulst, um ein technisch und funktionell bedingtes Merkmal handele. Zudem sei eine „verständliche Begründung“ auch aus dem Grund erforderlich gewesen, weil es sich sowohl bei der Verwendung von Flaschen und amphorenähnlichen Gefäßen im betreffenden Sektor als auch bei dem Reichtum des Formenschatzes für Verpackungen im betreffenden Marktsegment um allgemein bekannte Tatsachen handele.

38      Nach Ansicht von Wajos ist dieser Rechtsmittelgrund für unbegründet zu erklären.


 Würdigung durch den Gerichtshof

39      Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet die Begründungspflicht, die dem Gericht nach Art. 36 und Art. 53 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union obliegt, nicht, dass das Gericht in seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend behandeln müsste. Die Begründung kann auch implizit erfolgen, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die Gründe zu erfahren, auf denen das angefochtene Urteil beruht, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben liefert, damit er seine Kontrollaufgabe im Rahmen eines Rechtsmittels wahrnehmen kann (Urteil vom 4. Juli 2019, FTI Touristik/EUIPO, C‑99/18 P, EU:C:2019:565, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      In der vorliegenden Rechtssache genügt das angefochtene Urteil den dem Gericht obliegenden Begründungsanforderungen, da das Gericht in den Rn. 31 bis 36 des Urteils die Gesichtspunkte eingehend dargelegt hat, aufgrund deren es in Rn. 37 des Urteils zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die angemeldete Marke in Anbetracht der Branchenüblichkeit einen außergewöhnlichen Charakter aufweist. Diese Begründung ermöglicht es nämlich den Betroffenen und insbesondere dem EUIPO, die Gründe zu erfahren, auf denen das angefochtene Urteil beruht, und sie liefert dem Gerichtshof ausreichende Angaben, damit er im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann.

41      Folglich ist der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

42      Nach alledem ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

 Kosten

43      Nach Art. 137 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, wird über die Kosten im Endurteil oder in dem das Verfahren beendenden Beschluss entschieden. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 ebenfalls auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

44      Da Wajos beantragt hat, dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen, und das EUIPO mit seinen Anträgen unterlegen ist, sind dem EUIPO neben seinen eigenen Kosten die Kosten von Wajos aufzuerlegen.


Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) trägt neben seinen eigenen Kosten die Kosten der Wajos GmbH.

Jarukaitis

Ilešič

Lycourgos

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Dezember 2019.

Der Kanzler

 

Der Präsident der Zehnten Kammer

A. Calot Escobar

 

I. Jarukaitis


*      Verfahrenssprache: Deutsch.