Language of document : ECLI:EU:C:2007:455

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 18. Juli 2007(1)

Rechtssache C‑294/06

The Queen,

auf Antrag von

Ezgi Payir,

Burhan Akyuz

und

Birol Ozturk

gegen

Secretary of State for the Home Department

(Vorabentscheidungsersuchen des Court of Appeal, Civil Division [England & Wales], Vereinigtes Königreich)

„Assoziierungsabkommen EWG–Türkei – Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG–Türkei – Begriff des Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört – Türkische Staatsangehörige, die als Au-pair-Kraft beschäftigt sind – Türkische Staatsangehörige, die ein Studium in einem Mitgliedstaat absolvieren und dort auch einer Beschäftigung nachgehen“





I –    Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG–Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80) und hat die Frage zum Gegenstand, ob Au-pair-Kräfte und Studenten, die einer Nebenbeschäftigung nachgehen, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen.

II –  Rechtlicher Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

2.        Das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (im Folgenden: Assoziierungsabkommen) wurde am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963(2) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt.

3.        Nach Artikel 36 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen vom 23. November 1970 legt der Assoziationsrat die erforderlichen Regeln für die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei nach den Grundzügen des Artikels 12 des Assoziierungsabkommens fest.

4.        Demgemäß erließ der Assoziationsrat den Beschluss Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation(3).

5.        Artikel 6 Absätze 1 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:

„(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat

–      nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

–      nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

–      nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis."

B –    Nationales Recht

6.        Die einschlägigen Bestimmungen über die Einreise für Au-pair-Kräfte bzw. Studenten finden sich im „House of Commons Paper“ 395 (im Folgenden: HC 395).

7.        Die Einreise von Au-pair-Kräften ist in den Vorschriften Nr. 88-93 des HC 395 geregelt. In der Vorschrift Nr. 88 wird eine Au-pair-Stelle definiert als ein Vertrag, aufgrund dessen eine Person im Alter zwischen 17 und 27 Jahren für die Zwecke des Erlernens der englischen Sprache in das Vereinigte Königreich einreist. Eine Au-pair-Kraft lebt danach für eine Zeitlang als Mitglied einer Englisch sprechenden Familie, verfügt dort über geeignete Lernmöglichkeiten und arbeitet im Haushalt der Familie für höchstens fünf Stunden am Tag bei zwei freien Tagen pro Woche und gegen eine angemessene Vergütung.

8.        Eine Person, die um Erlaubnis zur Einreise in das Vereinigte Königreich als Au-pair-Kraft nachsucht, darf gemäß der Vorschrift Nr. 89 u. a. nicht beabsichtigen, sich länger als zwei Jahre im Vereinigten Königreich als Au-pair-Kraft aufzuhalten, sondern muss vielmehr beabsichtigen, das Vereinigte Königreich bei Abschluss ihres Aufenthalts als Au-pair-Kraft zu verlassen.

9.        Bestimmungen über die Einreise von Studenten sind in den Vorschriften 57 bis 62 des HC 395 aufgeführt.

10.      Gemäß der Vorschrift Nr. 57 muss eine Person, die die Erlaubnis zur Einreise in das Vereinigte Königreich als Student anstrebt, zu einem Studium zugelassen und in der Lage sein und beabsichtigen, ein anerkanntes Vollzeitstudium zu absolvieren. Die Person muss beabsichtigen, das Vereinigte Königreich am Ende ihres Studiums zu verlassen; sie darf nicht beabsichtigen, eine selbständige Tätigkeit oder eine Beschäftigung aufzunehmen, mit Ausnahme von Teilzeit- oder Ferienarbeit, die einer Genehmigung bedarf.

11.      Nach der Vorschrift Nr. 58 kann einer Person, die die Erlaubnis zur Einreise in das Vereinigte Königreich als Student anstrebt, die Einreise bewilligt werden, mit einer Auflage, die ihre Freiheit zur Aufnahme einer Beschäftigung beschränkt. In Kapitel 3 Anhang A Abschnitt 4 der „Immigration Director’s Instructions“ (Weisungen des Direktorates für Einreise) sind hierzu weitere Einzelheiten geregelt. Danach verfügt eine Person, der eine Erlaubnis zur Einreise oder zum Aufenthalt als Student unter einer Auflage erteilt worden ist, mit der ihre Freiheit eine Beschäftigung aufzunehmen beschränkt wird (anstelle eins Verbotes der Aufnahme einer Beschäftigung), über eine allgemeine Arbeitserlaubnis, solange die Arbeit 20 Stunden pro Woche während irgendeines Zeitraums außerhalb der Ferienzeit nicht übersteigt.

III –  Sachverhalt und Ausgangsverfahren

12.      Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind türkische Staatsangehörige, die eine Einreiseerlaubnis für das Vereinigte Königreich erhalten haben, um dort eine Stelle als Au-pair-Kraft anzutreten (Frau Payir) bzw. ein Studium aufzunehmen (Herr Akyuz und Herr Ozturk).

13.      Frau Payir erhielt im Jahr 2000 eine Einreiseerlaubnis für das Vereinigte Königreich. Diese Erlaubnis enthielt u. a. die Auflage, dass sie keine andere entgeltliche oder unentgeltliche Beschäftigung als die einer Au-pair-Kraft aufnehmen dürfe. Seit ihrer Einreise war Frau Payir bei zwei Familien beschäftigt. Bei der zweiten Familie war sie seit März 2001, sie arbeitete dort zwischen 15 und 25 Stunden pro Woche im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. Hierfür erhielt sie Unterkunft und Verpflegung sowie 70 GBP in der Woche. Frau Payir möchte weiter bei dieser Familie beschäftigt bleiben.

14.      Herr Akyuz und Herr Ozturk reisten im Jahre 1999 bzw. 1997 als Studenten in das Vereinigte Königreich ein. Sie erhielten hierzu eine Einreiseerlaubnis und später eine Aufenthaltserlaubnis, in denen ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung mit einer zeitlichen Begrenzung für die Zeit außerhalb der Ferien von höchstens 20 Stunden pro Woche erlaubt wurde. Beide Studenten übten neben ihrem Studium eine Teilzeitbeschäftigung im erlaubten Umfang als Kellner aus. Ihre jeweiligen Arbeitgeber haben ihnen eine Verlängerung des Arbeitsvertrages angeboten.

15.      Die Kläger beantragten beim Secretary of State for the Home Department (Innenministerium, im Folgenden: Secretary of State) die Abänderung oder Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis zu dem Zweck, im Vereinigten Königreich weiterhin beschäftigt bleiben zu dürfen. Sie stützten ihre Anträge auf Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80. Sie machten geltend, sie seien seit über einem Jahr bei dem gleichen Arbeitgeber beschäftigt gewesen und beantragten, weiter bei diesem Arbeitgeber beschäftigt zu bleiben.

16.      Der Secretary of State lehnte die Anträge ab. Er begründete diese Ablehnung damit, dass Studenten, die eine Teilzeitbeschäftigung ausüben, und Au-pair-Kräfte sich nicht auf Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 berufen könnten. Diese ablehnenden Entscheidungen haben die Kläger gerichtlich angefochten. Der Administrative Court des High Court of Englang and Wales gab diesen Klagen statt und hob die Entscheidungen des Secretary of State mit der Begründung auf, dass die Kläger in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 fielen. Gegen die Beschlüsse des Administrative Court legte der Secretary of State Rechtsmittel beim Court of Appeal ein.

IV – Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

17.      Mit Beschluss vom 15. Juni 2006 hat der Court of Appeal dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Wenn

a)      einer türkischen Staatsangehörigen die Erlaubnis zur Einreise in das Vereinigte Königreich für 2 Jahre zu dem Zweck erteilt wurde, in diesem Land eine „Au-pair“-Stelle im Sinne der Definition der Einwanderungsregelung des Vereinigten Königreichs anzutreten,

b)      ihre Einreiseerlaubnis die Genehmigung umfasste, in dieser Eigenschaft einer Beschäftigung nachzugehen,

c)      sie während der Geltungsdauer ihrer Einreiseerlaubnis in dieser Eigenschaft länger als ein Jahr beim selben Arbeitgeber ununterbrochen beschäftigt war,

d)      es sich bei dieser Beschäftigung um eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit handelte und

e)      diese Beschäftigung im Einklang mit den nationalen Regelungen für die Beschäftigung und die Einwanderung stand,

war dann die betreffende türkische Staatsangehörige während dieser Beschäftigung

i)      Arbeitnehmerin im Sinne von Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats, der durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Gemeinschaft und der Türkei eingesetzt wurde,

ii)      ordnungsgemäß als dem regulären Arbeitsmarkt des Vereinigten Königreichs im Sinne dieses Artikels angehörend registriert?

2.      Wenn

a)      einem türkischen Staatsangehörigen die Erlaubnis zur Einreise in das Vereinigte Königreich nach dessen Einwanderungsregelung zu dem Zweck erteilt wurde, ein Studium in diesem Land zu absolvieren,

b)      seine Einreiseerlaubnis die Genehmigung umfasste, jeder Beschäftigung mit einer Beschränkung auf 20 Arbeitsstunden pro Woche außerhalb der Ferienzeit nachzugehen,

c)      er während der Geltungsdauer seiner Einreiseerlaubnis länger als ein Jahr beim selben Arbeitgeber ununterbrochen beschäftigt war;

d)      es sich bei dieser Beschäftigung um eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit handelte und

e)      diese Beschäftigung im Einklang mit den nationalen Regelungen für die Beschäftigung und die Einwanderung stand,

war dann der betreffende türkische Staatsangehörige während dieser Beschäftigung

i)      Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats, der durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Gemeinschaft und der Türkei eingesetzt wurde,

ii)      ordnungsgemäß als dem regulären Arbeitsmarkt des Vereinigten Königreich im Sinne dieses Artikels angehörend registriert?

18.      Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben neben den Parteien der Ausgangsverfahren die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die deutsche und die niederländische Regierung schriftlich und mündlich Stellung genommen; ferner hat die italienische Regierung schriftlich Stellung genommen.

V –    Würdigung

19.      Um sich auf die Rechte aus Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 berufen zu können, muss der Betroffene ein türkischer Arbeitnehmer sein, dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehören und dort entsprechend den zeitlichen Staffelungen des Art. 6 Abs. 1 ordnungsgemäß beschäftigt sein. Das vorlegende Gericht fragt nun danach, ob Au-pair-Kräfte und Studenten, die eine Nebenbeschäftigung ausüben, Arbeitnehmer im Sinne des Art. 6 sind und als ordnungsgemäß dem regulären Arbeitsmarkt angehörend zu qualifizieren sind. Im Wesentlichen geht es um die Frage, ob es für die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 von Bedeutung ist, dass der Aufnahmestaat die Einreise zum Zweck der Aufnahme eines Studiums bzw. im Fall einer Au-pair-Kraft zum Zweck des Spracherwerbs gestattet hat.

20.      Explizit fragt das vorlegende Gericht nicht nach dem dritten Tatbestandsmerkmal des Art. 6 Abs. 1, nämlich dem Begriff der „ordnungsgemäßen Beschäftigung“. Um die Frage des vorlegenden Gerichts aber umfassend und abschließend zu beantworten, ist im Folgenden auch auf das dritte Tatbestandsmerkmal des Art. 6 einzugehen.

A –    Arbeitnehmereigenschaft

21.      Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs die Auslegung dieses Begriffes im Gemeinschaftsrecht heranzuziehen.(4) Danach hat dieser Begriff eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung und ist nicht eng auszulegen. Er ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Arbeitnehmer ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei solche Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die wegen ihres geringen Umfangs völlig untergeordnet und unwesentlich sind. Das wesentliche Merkmal eines Arbeitsverhältnisses in diesem Sinne besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.(5)

1.      Au-pair-Kräfte

22.      Bei einer Au-pair-Kraft, die wie die Klägerin Payir nach Angaben des vorlegenden Gerichts 25 bis 30 Stunden pro Woche die Kinder der Gastfamilie betreut und Hausarbeiten verrichtet, wird regelmäßig die Arbeitnehmereigenschaft zu bejahen sein.

23.      Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 bis 30 Stunden und Tätigkeiten wie Kinderbetreuung und Hausarbeit kann sowohl hinsichtlich der Dauer der Tätigkeit als auch hinsichtlich ihres Inhalts nicht davon gesprochen werden, dass nur eine völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit vorliegt. Hierbei handelt es sich vielmehr um eine tatsächliche und echte Tätigkeit im Sinne des Arbeitnehmerbegriffs.

24.      Dass eine Au-pair-Kraft keine Vollzeittätigkeit ausübt steht der Annahme der Arbeitnehmereigenschaft ebenfalls nicht entgegen. Im Rahmen des Art. 39 EG hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass auch eine Person, die nur in Teilzeit arbeitet, als Arbeitnehmer anzusehen ist.(6) Dies hat auch im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 zu gelten. Entscheidend muss vielmehr sein, ob eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausgeübt wird, die nicht völlig untergeordnet und unwesentlich ist.

25.      In der Regel wird eine Au-pair-Kraft hinsichtlich ihrer Tätigkeit auch den Weisungen der Gastfamilie unterliegen.

26.      Fraglich ist, ob es der Einordnung als Arbeitnehmerin entgegensteht, dass eine Au-pair-Kraft ihre Vergütung in Form von freier Kost und Logis zuzüglich eines Geldbetrages erhält. Auch die Klägerin des Ausgangsverfahrens zu 1) erhält als Gegenleistung für ihre Tätigkeit freie Kost und Logis und 70 GBP pro Woche.

27.      In seiner Rechtsprechung zu Art. 39 EG hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass es für die Frage, ob jemand als Arbeitnehmer anzusehen ist, keine Rolle spielt, ob seine Vergütung in Form freier Kost und Logis und eines Taschengeldes gezahlt wird.(7)

28.      Für die Auslegung des Begriffes des Arbeitnehmers im Sinne von Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 zieht der Gerichthof in ständiger Rechtsprechung die Auslegung dieses Begriffes im Rahmen des Art. 39 EG heran. Es ist kein Grund ersichtlich, warum es – anders als im Rahmen des Art. 39 EG – im Rahmen des Beschlusses Nr. 1/80 für den Begriff des Arbeitnehmers von Bedeutung sein sollte, dass die Gegenleistung in Form von freier Kost und Logis zuzüglich eines Taschengeldes gewährt wird.

29.      Eine andere Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft einer Au-pair-Kraft folgt auch nicht aus dem besonderen Kontext, in dem eine Au-pair-Beschäftigung angesiedelt ist. Eine Beschäftigung als Au-pair-Kraft soll zwar in erster Linie dem Erwerb und der Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse des Au-pairs und dem kulturellen Austausch dienen. Für eine Au-pair-Kraft ist die Au-pair-Beschäftigung somit in besonderem Maße mit Vorteilen verbunden, die über die Vergütung ihrer Tätigkeiten, die sie in Form von freier Kost und Logis zuzüglich eines Taschengeldes erhält, hinausgehen. Allein aufgrund dieses Umstandes kann aber nicht die Arbeitnehmereigenschaft einer Au-pair-Kraft verneint werden. Denn auch andere Arbeitsverhältnisse können mit über den Erhalt des Lohnes hinausgehenden Vorteilen für den Arbeitnehmer verbunden sein. Dies kann bei einer Tätigkeit im Ausland beispielsweise ebenfalls die Möglichkeit sein, eine Sprache zu erlernen, oder allgemein der Vorteil, den der Erwerb von Berufserfahrung im Ausland darstellt.

30.      Darüber hinaus kann eine weitere Besonderheit einer Au-pair-Beschäftigung darin liegen, dass der Integration in die Gastfamilie besondere Bedeutung beigemessen wird, worauf auch die italienische Regierung hingewiesen hat. In dieser Hinsicht kann eine Parallele zur Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Arbeitnehmereigenschaft von Familienmitgliedern gezogen werden. Im Rahmen der Frage, ob eine Person, die bei einem Familienangehörigen angestellt ist, als Arbeitnehmerin im Sinne des Vertrages anzusehen ist, hat der Gerichtshof entscheidend darauf abgestellt, ob ein Unterordnungsverhältnis besteht, wie es für ein Arbeitsverhältnis typisch ist.(8)

31.      Regelmäßig wird somit eine Au-pair-Kraft als Arbeitnehmerin im Sinne des Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 anzusehen sein.(9)

32.      Abschließend bleibt klarzustellen, dass die Ausgestaltung eines Au-pair-Verhältnisses unterschiedlich sein kann. Ob eine Au-pair-Kraft mithin die Kriterien des Arbeitnehmerbergriffes erfüllt, hängt von der konkreten Ausgestaltung des Einzelfalls ab. Es fällt somit in die Kompetenz der nationalen Gerichte abschließend zu bestimmen, ob die dargelegten Kriterien für die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft im konkreten Fall erfüllt sind.

2.      Studenten

33.      Studenten, die wie die Kläger zu 2) in einem Umfang von 20 Stunden pro Woche als Kellner tätig sind und hierfür eine übliche Vergütung erhalten, sind Arbeitnehmer im Sinne des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80. Denn sie üben in Weisungsgebundenheit eine tatsächliche und echte Tätigkeit aus, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhalten. Dass sie nur eine Teilzeittätigkeit ausüben, steht der Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegen.(10) Obwohl eine Tätigkeit von 20 Stunden pro Wochen keine Vollzeittätigkeit darstellt, kann diese Tätigkeit nicht als völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit bezeichnet werden.

34.      Studenten, die neben ihrem Studium einer Beschäftigung nachgehen, sind daher regelmäßig als Arbeitnehmer einzuordnen, es sei denn, dass es sich bei ihrer Beschäftigung um völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeiten handelt.(11)

3.      Parallele zur Rechtssache Bettray

35.      Das vorlegende Gericht verweist auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Bettray und fragt den Gerichtshof, ob diesem Urteil die allgemeine Aussage entnommen werden kann, dass die Mitgliedstaaten Systeme schaffen können, die einen überragenden sozialen Zweck verfolgen, mit der Folge, dass eine Beschäftigung innerhalb eines solchen Systems nicht als Arbeitsverhältnis im Sinne des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 anzusehen ist. Ein System in diesem Sinne könne in der Erlaubnis der Nebenbeschäftigung für Studenten oder in der Möglichkeit der Beschäftigung als Au-pair-Kraft gesehen werden.

36.      Der Gerichtshof hat im Urteil Bettray festgestellt, dass Tätigkeiten, die nur ein Mittel der Rehabilitation oder der Wiedereingliederung des Betroffenen in das Arbeitsleben darstellen, nicht als tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit angesehen werden können.(12) In dem Sachverhalt, der dem Urteil Bettray zugrunde lag, handelte es sich um eine Person, die aufgrund ihrer Drogenabhängigkeit nach nationalen Rechtsvorschriften eingestellt worden war, die bezweckten, solchen Personen Arbeit zu verschaffen, die infolge von Umständen, die in ihrer Person begründet liegen, auf unbestimmte Zeit nicht in der Lage sind, unter normalen Bedingungen zu arbeiten; außerdem war der Betroffene nicht nach seiner Befähigung zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit ausgesucht worden, sondern hatte im Gegenteil im Rahmen von Unternehmen oder Arbeitsorganisationen, die speziell zur Erreichung eines sozialen Zwecks geschaffen wurden, Tätigkeiten verrichtet, die auf seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten zugeschnitten waren.

37.      Der Gerichtshof hat in der Folge jedoch die Einzigartigkeit der Situation, die dem Urteil Bettray zugrunde lag, betont und festgestellt, dass das im Urteil Bettray gefundene Ergebnis nur durch die Besonderheiten jenes Falles erklärbar ist und zudem nicht auf der Linie der Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffes des Arbeitnehmers im Gemeinschaftsrecht liegt; das Urteil könne folglich nicht auf Situationen übertragen werden, die keine mit der Rechtssache Bettray vergleichbaren Merkmale aufweisen.(13)

38.      Bei den Tätigkeiten, die Au-pair-Kräfte und Studenten ausüben, handelt es sich aber in der Regel um tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeiten. Die besonderen Charakteristika, die in der Rechtssache Bettray gegeben waren, liegen im Fall von Studenten und Au-pair-Kräften nicht vor. Auch aus dem Urteil Bettray ergibt sich folglich nicht, dass bei Au-pair-Kräften und Studenten, die eine Nebentätigkeit ausüben, die Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen ist.

B –    Ordnungsgemäße Beschäftigung

39.      Der Begriff „ordnungsgemäße Beschäftigung“ setzt nach der Rechtsprechung eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus.(14) Der Betroffene darf sich nicht in einer nur vorläufigen Situation befunden haben, die jederzeit in Frage gestellt werden konnte.(15)

40.      Wie das vorlegende Gericht vorgetragen hat, besaßen die Kläger im vorliegenden Fall während der Zeit ihrer Beschäftigung auch ein Aufenthaltsrecht. Au-pair-Kräfte und Studenten befinden sich auch nicht grundsätzlich in einer Situation, die nur vorläufig ist und jederzeit in Frage gestellt werden kann.

41.      Die niederländische Regierung hat zwar zu Recht betont, dass der Aufenthalt eines Studenten im Aufnahmemitgliedstaat zum Zweck des Studiums durch die Studiendauer zeitlich begrenzt ist. Dies führt aber nicht dazu, dass der Aufenthalt eines Studenten als nur vorläufig und jederzeit in Frage zu stellen charakterisiert werden kann.

42.      Der Gerichtshof hat nämlich bereits festgestellt, dass es für die Charakterisierung als „ordnungsgemäße Beschäftigung“ irrelevant ist, dass der Arbeitnehmer schon bei der Gestattung seiner Einreise in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats darüber unterrichtet wurde, dass sein Aufenthalt und seine Beschäftigung von der Einhaltung bestimmter zeitlicher und sachlicher Bedingungen abhängig sind.(16)

43.      Allein die Tatsache also, dass der Aufenthalt im Aufnahmestaat nur für eine bestimmte zeitliche Dauer vorgesehen ist, führt nicht dazu, dass der Aufenthalt als nicht gesichert und nur vorläufig zu bezeichnen ist.

44.      Unter einer nur vorläufigen Position auf dem Arbeitsmarkt ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs vielmehr beispielsweise der Zeitraum zu verstehen, in dem ein Arbeitnehmer infolge der aufschiebenden Wirkung der Klage, die er gegen die Ablehnung seiner Aufenthaltserlaubnis erhoben hat, bis zum Ausgang des Rechtsstreits vorläufig in dem betreffenden Mitgliedstaat bleiben und dort eine Beschäftigung ausüben durfte.(17)

45.      Mit dieser Situation ist aber die Situation einer Au-pair-Kraft oder eines Studenten nicht zu vergleichen.

C –    Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt

46.      Nach ständiger Rechtsprechung bestimmt der Begriff „regulärer Arbeitsmarkt“ in Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80, dass das Arbeitsverhältnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats lokalisiert sein muss oder eine enge Verknüpfung zu diesem Gebiet aufweist.(18)

47.      Fraglich war, ob durch das Erfordernis eines regulären Arbeitsmarkts Voraussetzungen aufgestellt werden, die über das Erfordernis der ordnungsgemäßen Beschäftigung hinausgehen. Der Gerichtshof hat diese Frage in seinem Urteil Birden verneint.(19) Der Gerichtshof hat dort festgestellt, dass die in der deutschen Sprachfassung verwendeten Begriffe „regulär“ und „ordnungsgemäß“ synonym sind.

48.      Der Begriff „regulärer Arbeitsmarkt“ umschreibt demnach die Gesamtheit der Arbeitnehmer, die den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats nachkommen und somit das Recht haben, dort eine Berufstätigkeit auszuüben.(20)

49.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Begriff regulärer Arbeitsmarkt demnach auch nicht dahin gehend auszulegen, dass er den allgemeinen Arbeitsmarkt im Gegensatz zu einem begrenzten Markt mit besonderer sozialer Zwecksetzung bezeichnet.(21)

50.      Dass die Tätigkeit als Au-pair-Kraft und die Tätigkeiten, die Studenten regelmäßig als Nebenbeschäftigung zum Studium ausüben werden, regelmäßig Besonderheiten aufweisen – indem sie eine besondere soziale Zwecksetzung aufweisen, da sie (auch) dem Spracherwerb der Au-pair-Kräfte dienen bzw. der Finanzierung des Studiums – ändert also nichts an der Tatsache, dass es sich hierbei um Tätigkeiten auf dem „regulären Arbeitsmarkt“ im Sinne des Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 handelt.

D –    Zwischenergebnis

51.      Sowohl Studenten als auch Au-pair-Kräfte erfüllen somit prima facie die Tatbestandsmerkmale des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80.

E –    Zweck der Einreise

52.      Die vorliegenden Fallkonstellationen weisen jedoch eine Besonderheit auf: Die am Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten betonen, dass die Einreiseerlaubnis jeweils nicht zum Zweck der Aufnahme einer Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt erteilt worden ist. Studenten werde die Einreise zum Zweck des Studiums gestattet und die Aufnahme einer Beschäftigung nur akzessorisch zur Finanzierung des Studiums. Die Zulassung einer Au-pair-Kraft erfolge zum Zweck des Spracherwerbs und des kulturellen Austauschs.

53.      Im Folgenden ist also zu untersuchen, welche Auswirkungen der bei der Einreise in den Aufnahmestaat maßgebliche Aufenthaltszweck auf die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs im Sinne des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 hat.

1.      Studenten

54.      Die am Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten sind der Ansicht, dass türkische Staatsangehörige, denen die Einreise zum Zweck des Studiums gestattet wurde, auch wenn diese eine Nebenbeschäftigung ausüben, grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 fallen. Art. 6 Abs. 1 betreffe nur diejenigen, denen die Einreise gerade als Arbeitnehmer gestattet wurde.

55.      Die niederländische und die deutsche Regierung verweisen in diesem Zusammenhang auf die Richtlinie 2004/114/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst.(22) Deren Art. 17 Abs. 1 verpflichtet die Mitgliedstaaten, Studenten aus Drittstaaten eine Nebenbeschäftigung zu gestatten in einem Umfang von mindestens zehn Stunden pro Woche oder einer entsprechenden Zahl von Tagen bzw. Monaten pro Jahr.

56.      Der Systematik der Richtlinie 2004/114 könne entnommen werden, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber Studenten, die eine Nebentätigkeit ausüben, nicht als Arbeitnehmer, sondern weiterhin ausschließlich als Studenten ansehe, weshalb auch im Rahmen des Beschlusses 1/80 Studenten nicht als Arbeitnehmer qualifiziert werden könnten.

57.      Diese Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen. Zum einen bestimmt die Richtlinie 2004/114 – an die das Vereinigte Königreich im Übrigen nicht gebunden ist(23) – in ihrem Art. 4 Abs. 1 explizit, dass die Richtlinie günstigere Bestimmungen in bilateralen Abkommen unberührt lässt. Vor diesem Hintergrund kann sich ein restriktives Verständnis einer bilateral geltenden Regelung keinesfalls aus der Richtlinie ergeben. Zum anderen haben beide Rechtsakte einen unterschiedlichen Regelungsgegenstand. Sofern die Richtlinie 2004/114 den Mindestumfang regelt, in dem Studenten das Recht auf die Ausübung einer Nebentätigkeit zu gewähren ist, kann hieraus keine Schlussfolgerung gezogen werden für die Auslegung und Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80.

58.      Im Zusammenhang mit der Richtlinie 2004/114 haben die deutsche und die niederländische Regierung jedoch darüber hinaus darauf hingewiesen, dass bei einer Anwendung des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 auf Studenten, die neben ihrem Studium eine Nebenbeschäftigung ausüben, die sich aus der Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Studenten eine Nebenbeschäftigung zu gestatten, dazu führen würde, dass jeder türkische Student die Möglichkeit hätte, in den Genuss der Rechte aus Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses zu kommen. Die Entscheidung eines Mitgliedstaates, einem türkischen Staatsangehörigen die Einreise zum Zweck des Studiums zu gestatten, hätte über die Regelung des Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie zur Folge, dass der Student – sofern er im Lauf seines in der Regel die Frist des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 überdauernden Studiums von seinem Recht auf Nebenbeschäftigung Gebrauch macht – , unmittelbar ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erlangen würde.

59.      Die Mitgliedstaaten verweisen insofern auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die Entscheidung über die erstmalige Einreise und die erstmalige Arbeitsaufnahme eines Staatsangehörigen und damit die Entscheidung, ob ein türkischer Staatsangehöriger die Möglichkeit bekommt, sukzessiv die Rechte aus Art. 6 Abs.1 zu erwerben, bei den Mitgliedstaaten liegt.(24)

60.      Aufgrund der in der Richtlinie enthaltenen Verpflichtung, türkischen Studenten eine Nebenbeschäftigung zu gestatten, können die Mitgliedstaaten über die erstmalige Arbeitsaufnahme eines Studenten nicht mehr selbständig entscheiden. Ginge man zudem von einer Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses aus, würde ein türkischer Student im Ergebnis einen dauerhaften Aufenthalt zum Zweck der Erwerbsausübung erhalten können, ohne dass dem Aufnahmestaat in der Regel über die Frage der Erwerbstätigkeit und des weiteren Aufenthalts zur Erwerbsausübung ein Entscheidungsspielraum zustünde. Die Mitgliedsstaaten weisen insofern darauf hin, dass ihnen als einziges arbeitsmarktpolitisches Regulierungsinstrument im Hinblick auf türkische Stundenten und deren etwaigen durch Art. 6 des Beschlusses ermöglichten Eintritt auf den Arbeitsmarkt nur verbliebe, bereits die Zahl der türkischen Staatsangehörigen, denen die Einreise zur Aufnahme eines Studiums gestattet wird, stärker zu steuern und gegebenenfalls deutlich zu reduzieren.

61.      Auch die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung auf die Frage nach der sich aus dem Zusammenspiel zwischen dem Beschluss Nr. 1/80 und der Richtlinie 2004/114 ergebenden Konsequenzen geantwortet. Sofern die Kommission jedoch ausführte, dass gegebenenfalls bei einer Tätigkeit von 10 Stunden pro Woche die Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen sei, kann dem aus den bereits oben bei der Erörterung des Arbeitnehmerbegriffs erfolgten Ausführungen nicht gefolgt werden. Auch eine Tätigkeit von 10 Stunden pro Woche stellt eine tatsächliche und echte Tätigkeit dar, die nicht im Sinne der Definition des Gerichtshofs einen so geringen Umfang hat, dass sie nur völlig untergeordnet und unwesentlich ist.

62.      Die Frage, ob dem spezifischen Zweck der Einreise von Studenten und der Tatsache, dass die Beschäftigung nur akzessorisch zur Finanzierung des Studiums gestattet wurde, bei der Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 Relevanz zukommt, ist vielmehr auf der Grundlage einer am Sinn und Zweck des Beschlusses ausgerichteten Auslegung zu beantworten.

63.      Der Gerichtshof legt – wie oben bereits dargelegt – grundsätzlich den Begriff des Arbeitnehmers im Sinne des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 parallel zu den im Rahmen der Art. 39 EG und 40 EG anerkannten Grundsätze aus. Dabei stützt er sich auf Art. 12 des Assoziierungsabkommens, in dem die Vertragsparteien vereinbart haben, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 EWG-Vertrag (jetzt Art. 39 ff. EG) leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen.(25)

64.      Im Rahmen des Art. 39 EG hat der Gerichtshof festgestellt, dass für das Gemeinschaftsrecht der Inhalt der ausgeübten Arbeit entscheidend ist und nicht die Gründe für die Aufnahme der Arbeit.(26)

65.      Der Gerichtshof hat allerdings auch festgestellt, dass die im Rahmen des Art. 39 EG anerkannten Grundsätze nur so weit wie möglich auf die im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte zu übertragen sind.(27) Damit hat der Gerichtshof bereits angedeutet, dass Sinn und Zweck des Art. 6 Abs. 1 sowie die besondere Zielrichtung des Assoziierungsabkommens bei der Auslegung des Beschlusses Berücksichtigung finden müssen.(28)

66.      Der Gerichtshof hat wiederholt festgestellt, dass die Rechte im Bereich der Beschäftigung und damit einhergehend im Bereich des Aufenthalts, die durch Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehen werden, bezwecken, die Situation der Betroffenen im Aufnahmemitgliedstaat schrittweise zu festigen.(29)

67.      Die Intention von Art. 6 Abs. 1 ist es also, dem Wanderarbeitnehmer, der zunehmend in den Arbeitsmarkt des Aufnahmestaats integriert wird, entsprechend gestaffelte Bleiberechte zu gewähren. Diese in Art. 6 Abs. 1 normierten Arbeits- und Bleiberechte realisieren somit einen Vertrauensschutz für die türkischen Arbeitnehmer, die sich in den Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten begeben. Je stärker ihre Integration in den Arbeitsmarkt, je größer ihr Bedürfnis nach Planungssicherheit und nach Schutz ihres Vertrauens in die Beständigkeit ihrer Situation, desto weiter reichen die Rechte, die Art. 6 Abs. 1 ihnen gewährt.

68.      Eine vergleichbare Interessenlage und Schutzbedürftigkeit weist jedoch ein Student, der zum Studium in einen Mitgliedstaat gekommen ist und nur nebenbei einer Beschäftigung nachgeht, nicht auf. Denn der Zweck seiner Einreise ist das Studium. Ein Student hat somit kein vergleichbares Bedürfnis nach Vertrauensschutz, Planungssicherheit und Verfestigung seiner Situation im Aufnahmestaat.

69.      Bei einem teleologischen Verständnis des Art. 6 des Beschlusses muss darüber hinaus Sinn und Zweck des Assoziierungsabkommens insgesamt Berücksichtigung finden. Denn eine vom Wortlaut eröffnete Auslegung des Art. 6, die den Zielen des Assoziierungsabkommens zuwider läuft, kann keinen Bestand haben.

70.      Gemäß Art. 2 Abs. 1 des Assoziierungsabkommens ist es Ziel des Abkommens, „eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien unter voller Berücksichtigung der Notwendigkeit zu fördern, dass hierbei der beschleunigte Aufbau der türkischen Wirtschaft sowie die Hebung des Beschäftigungsstandes und der Lebensbedingungen des türkischen Volkes gewährleistet werden“.

71.      Es zeigt sich, dass es der Verwirklichung dieser Ziele in vielfacher Hinsicht abträglich ist, wenn Studenten, die eine Nebenbeschäftigung ausüben, in den Anwen­dungsbereich des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 fallen, mit der Folge, dass sie, wenn sie während ihres Studiums unter Einhaltung der Konditionen des Art. 6 Abs. 1 gearbeitet haben, gemäß Art. 6 Abs. 1 3. Gedankenstrich nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung hätten.

72.      Im Hinblick auf die Aufenthaltsgewährung türkischer Studenten zum Studium in Mitgliedstaaten liegt der wesentliche Schwerpunkt der Förderung des „beschleunigten Aufbaus der türkischen Wirtschaft sowie der Hebung des Beschäftigungsstandes und der Lebensbedingungen des türkischen Volkes“ in der Ausbildung junger türkischer Akademiker, die nach Abschluss ihrer Studiums das erworbene Wissen und Können in ihrem Heimatland in Wirtschaft, Forschung und Lehre einsetzen, weitergeben und so in die türkische Gesellschaft einbringen.

73.      Diesem von den Parteien des Assoziierungsabkommens gemeinsam verfolgtem Ziel liefe es zuwider, wenn bei der Auslegung des Art. 6 des Beschlusses ein Verständnis der Norm zugrunde gelegt würde, welches durch Miteinbeziehung von ihr Studium durch Nebenerwerb finanzierenden Studenten diesen letztlich ein in vielen Fällen attraktives Verbleiben im Aufnahmestaat mit geringen Hürden ermöglicht würde. Statt in ihr Herkunftsland zurückzukehren und ihre erworbene Ausbildung dort zum Einsatz zu bringen, stünde zu befürchten, dass bei entsprechendem Normverständnis viele türkische Studenten von der Möglichkeit Gebrauch machen würden, im Aufnahmestaat zu verbleiben, um dort einer Beschäftigung nachzugehen. Das Ziel des Assoziierungsabkommens, den Aufbau der türkischen Wirtschaft zu beschleunigen sowie zur Hebung der Lebensbedingungen des türkischen Volkes beizutragen, wäre hierdurch gefährdet.

74.      Im Bezug auf das Verständnis des Arbeitnehmerbegriffs verbietet sich daher eine vollständige Parallelität des Begriffsverständnisses in Art. 39 EG und Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80. Türkische Staatsangehörige, die zum Studium in einen Mitgliedstaat kommen und denen neben dem Studium zu dessen Finanzierung eine Nebenbeschäftigung gestattet wird, fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80, und zwar auch dann nicht, wenn sie bei isolierter Betrachtung ihrer Nebenbeschäftigung alle Arbeitnehmereigenschaften im Sinne des Art. 39 EG besitzen.

75.      Dieses Auslegungsergebnis führt zugleich unter weiteren Gesichtspunkten zu positiven Konsequenzen, sowohl für die betroffenen türkischen Studenten, als auch im Hinblick auf die insgesamt mit dem Assoziierungsabkommen verfolgten Ziele. Da eine etwaige Begrenzung der Studentenzahlen unter Zugrundelegung arbeitsmarktpolitischer Überlegungen nicht erforderlich ist, eröffnet sich für eine größere Zahl türkischer Studenten die Möglichkeit des Studiums in einem Mitgliedsstaat. Durch die Möglichkeit, neben dem Studium in größerem Umfang arbeiten zu dürfen, und damit die Möglichkeit, sich das Studium im Aufnahmestaat selbst finanzieren zu können, ist zudem gewährleistet, dass nicht nur Studenten mit einem wohlhabenden familiären Hintergrund zu einem Studium in die Mitgliedstaaten kommen können.

76.      Dem dargestellten Auslegungsergebnis steht nicht die Rechtsprechung des Gerichtshofs entgegen, nach der von den Mitgliedstaaten ausgesprochene zeitliche Befristungen oder vom Arbeitnehmer bei seiner Einreise abgegebene Erklärungen, dass er nach einer bestimmten Zeit wieder ausreisen werde, im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 unerheblich sind. Dem Gerichtshof ist darin zuzustimmen, dass der Anwendungsbereich des Art. 6 der Willkür der Mitgliedstaaten ausgesetzt wäre, würde man vorstehende Befristungen bzw. Erklärungen eine Auswirkung auf die Anwendbarkeit von Art. 6 entfalten lassen. Die vorliegende Situation ist jedoch anders gelagert, denn wie die niederländische Regierung zu Recht vorgetragen hat, ist der Aufenthalt von Studenten per definitionem zeitlich auf die Dauer des Studiums begrenzt, die Befristung steht somit in keinerlei Zusammenhang mit den in Art. 6 aufgeführten Zeitspannen.

77.      Auch die Entscheidungen des Gerichtshofs, in denen er für bestimmte Fallkonstellationen dargelegt hat, dass die Mitgliedstaaten die Verlängerung der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis nicht mit der Begründung verweigern dürfen, die Einreise und der Aufenthalt sei aus anderen Gründen als zur Aufnahme einer Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis gestattet worden(30), stehen nicht im Widerspruch zum hier vertretenen Auslegungsergebnis. Denn den Ausführungen des Gerichtshofs zu diesen – anders gelagerten – Fallkonstellationen lässt sich kein allgemein aufgestellter Grundsatz entnehmen, dass der Zweck der ursprünglich erteilten Einreise- und Aufenthaltserlaubnis ausnahmslos unbeachtlich zu bleiben hat. Vielmehr hat der Gerichtshof durch seine Rechtsprechung, wonach beim Verständnis des Beschlusses die Grundsätze zu Art. 39 EG so weit wie möglich zu übertragen sind, gerade zum Ausdruck gebracht, dass statt einer schematischen Generalisierung jeweils die spezifische Situation zu berücksichtigen ist.

78.      In einem der entschiedenen Fälle ging es beispielsweise um einen türkischen Arbeitnehmer, dem die Einreise und Arbeitsaufnahme in einem Mitgliedstaat gestattet wurde, um dort Berufserfahrung beim Mutterunternehmen seines türkischen Arbeitgebers zu sammeln.(31) Anders als in der vorliegenden Fallkonstellation, in der die Einreise zur Aufnahme eines Studiums erfolgte, reiste dort somit ein Arbeitnehmer gerade zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ein, so dass lediglich über die Frage zu entscheiden war, welche Bedeutung der Motivlage hinsichtlich der aufgenommenen Erwerbstätigkeit zukommt. Sofern der Gerichtshof der Motivation zur zunächst aufgenommenen Erwerbstätigkeit keine Relevanz zugesprochen hat, kann dieser Entscheidung keine Aussage zur vorliegenden Konstellation entnommen werden.

79.      In einem anderen Fall war einem türkischen Staatsangehörigen die Einreise zur Eheschließung gestattet worden, nach Scheidung begehrte dieser dann Verlängerung der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.(32) Auch sofern der Gerichtshof für diese Konstellation festgehalten hat, dass die Verlängerung nicht unter Berufung darauf abgelehnt werden darf, dass die Einreise aus anderen Gründen als zur Aufnahme einer Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis gestattet worden war, lässt sich dieser Entscheidung keine Aussage zur vorliegenden Fallkonstellation entnehmen. Denn eine Einreise zum Zweck der Eheschließung ist mit der Einreise zum Studium schon deshalb nicht vergleichbar, weil die Einreise zur Eheschließung bereits per definitionem nicht auf einen zeitlich begrenzten Aufenthalt abzielt, sondern der Aufenthalt vielmehr auf Dauer angelegt ist und sich hierauf ein entsprechendes schützenswertes Vertrauen richtet. Eine Einreise zum Zweck der Eheschließung ist daher mit einer Einreise zum Zweck der Studienaufnahme nicht vergleichbar, eine Gleichbehandlung hinsichtlich des Art. 6 daher keineswegs geboten.

80.      In der Rechtssache Kurz wurde schließlich die Einreiseerlaubnis zur Absolvierung einer Lehre als Gas- und Wasserinstallateur erteilt.(33) Nur auf den ersten Blick scheint diese Fallkonstellation eine gewisse Nähe zur Einreise zum Studium aufzuweisen, handelt es sich doch jeweils um eine Einreise zu Ausbildungszwecken. Entscheidender Unterschied der beiden Ausbildungsformen, welcher auch eine unterschiedliche Relevanz des ursprünglichen Einreisezwecks für die Entscheidung einer Verlängerung des Aufenthalts bzw. der Anwendung des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 rechtfertigt, ist jedoch die große Nähe der beruflichen Ausbildung zur Erwerbstätigkeit, die – insbesondere aufgrund der weiten Raum einnehmenden praktischen Arbeit und der Organisation des Ausbildungsverhältnisses – die berufliche Ausbildung letztlich als Stadium des Erwerbslebens erscheinen lässt: Letztlich stellt die Einreise zur Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses die Einreise zur Aufnahme einer Beschäftigung dar. Auch diese Fallkonstellation ist daher mit einer Einreise zum Zweck des Studiums hinsichtlich der Einordnung in Art. 6 nicht vergleichbar.

81.      Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Eroglu(34), welches das durch Art. 7 Abs. 2 des Beschlusses Nr. 1/80 gewährte Aufenthaltsrecht zum Gegenstand hat. Art. 7 Abs. 2 verleiht den Kindern türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, das Recht sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts dort auf jedes Stellenangebot zu bewerben, sofern ein Elternteil dort seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war. Sofern der Gerichtshof in dieser Entscheidung ausdrücklich festhält, dass es für die Inanspruchnahme dieses Rechts nicht darauf ankommt, zu welchem Zweck dem Betroffenen die Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden ist, berücksichtigt dies zutreffend das mit Art. 7 Abs. 2 bzw. dem Assoziierungsabkommen verfolgte Ziel, nämlich auch Sicherheit, Verlässlichkeit und Stabilität für die Familien der türkischen Arbeitnehmer, die in einem Aufnahmeland erwerbstätig sind, zu schaffen. Art. 7 Abs. 2 betrifft somit die besondere Fallkonstellation der Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben. In diesem Zusammenhang wäre es mit den gerade genannten Zielen nicht vereinbar, den weiteren Aufenthalt nur denjenigen zu bewilligen, denen die ursprüngliche Einreisegenehmigung zum Zweck der Familienzusammenführung gewährt wurde und nicht auch denen, denen diese zu Studienzwecken gewährt wurde. Eine vergleichbare Interessenlage, welche den Zweck der ursprünglichen Einreise irrelevant erscheinen lässt, liegt im Fall des allgemeinen Art. 6 Abs. 1 jedoch gerade nicht vor. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 7 Abs. 2 steht daher der Berücksichtigung des Einreisezwecks im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 nicht entgegen.

2.      Au-pair-Kräfte

82.      Schließlich ist die Frage zu beantworten, ob auch bei einer Einreise zum Zweck der Aufnahme einer Au-pair-Beschäftigung, welche – wie oben aufgezeigt – im Einzelfall oftmals die Voraussetzungen des Arbeitnehmerbegriffs i.S.d. Art. 39 EG erfüllen wird, im Rahmen des Arbeitnehmerbegriffs des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 eine teleologische Beschränkung zu erfolgen hat.

83.      Gründe für ein von dem Arbeitnehmerbegriff des Art. 39 EG im Hinblick auf Sinn und Zweck des Assoziierungsabkommens abweichendes Begriffsverständnis sind insofern jedoch – anders als bei der Einreise zum Zweck des Studiums – nicht ersichtlich. Vielmehr stellt die Aufnahme einer Au-pair-Tätigkeit für sich genommen bereits die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit dar. Dass eine bestimmte Motivation zur Aufnahme dieser Erwerbstätigkeit keinen Einfluss auf die Qualifikation als Arbeitnehmer im Rahmen des Art. 6 haben kann, hat der Gerichtshof – wie bereits aufgezeigt – in den Entscheidungen Kurz und Günaydin zum Ausbildungsverhältnis und zur Sammlung von Auslandsberufserfahrung beim Mutterkonzern – ausgeführt. Dass durch den Au-pair-Aufenthalt gerade kulturelle Erfahrungen gesammelt und Sprachkenntnisse vertieft werden sollen, kann auf die Qualifikation als Arbeitnehmer daher keinen Einfluss haben.

84.      Es steht auch nicht zu befürchten, dass womöglich durch vorstehende Qualifikation im Hinblick auf die Regelung des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 veranlasste zeitliche Beschränkungen von Au-pair-Verhältnissen durch Mitgliedsstaaten auf maximal ein Jahr negative Auswirkungen auf den durch das Assoziierungsabkommen bezweckten kulturellen Austausch haben werden. Denn bereits nach der Grundkonzeption des Au-pair-Gedankens werden die mit einem Au-pair-Aufenthalt verfolgten Ziele in der Regel während eines auf ein Jahr beschränkten Aufenthalts erreicht.

F –    Zwischenergebnis

85.      Ein türkischer Staatsangehöriger, der zum Zweck der Absolvierung eines Studiums in einen Mitgliedstaat eingereist ist und nebenbei zur Finanzierung seines Studiums eine Beschäftigung ausübt, fällt nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80. Die Einreise zur Aufnahme einer Au-pair-Beschäftigung führt hingegen nicht zur Verneinung des Anwendungsbereichs des Art. 6 Abs. 1.

VI – Ergebnis

86.      Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Court of Appeal wie folgt zu antworten:

1.      Ein türkischer Staatsangehöriger, dem die Erlaubnis zur Einreise in einen Mitgliedstaat zur Aufnahme einer Stelle als Au-pair-Kraft erteilt worden ist, gehört dem regulären Arbeitsmarkt an und fällt in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80, wenn er eine tatsächliche und echte Tätigkeit für einen anderen nach dessen Weisung erbringt und als Gegenleistung eine Vergütung erhält.

2.      Ein türkischer Staatsangehöriger, dem die Einreise in einen Mitgliedstaat zu dem Zweck erteilt wurde, ein Studium in diesem Land zu absolvieren, und der neben seinem Studium eine Nebenbeschäftigung ausübt, fällt nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685.


3 – Der Beschluss wurde nicht im Amtsblatt veröffentlicht, abgedruckt in: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Assoziierungsabkommen und Protokolle EWG–Türkei sowie andere Basisdokumente, Brüssel 1992.


4 – Vgl. Urteil vom 26. November 1998, Birden (C‑1/97, Slg. 1998, I‑7747, Randnr. 23).


5 – Vgl. betreffend Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 nur Urteile vom 19. November 2002, Kurz (C‑188/00, Slg. 2002, I‑10691, Randnr. 32), und Urteil Birden (zitiert in Fußnote 4, Randnr. 25 und 28).


6 – Vgl. Urteil vom 23. März 1982, Levin (53/81, Slg. 1982, 1035, Randnr. 16), und vom 3. Juni 1986, Kempf (139/85, Slg. 1986, 1741, Randnr. 11).


7 – Vgl. Urteile vom 5. Oktober 1988, Steymann (196/87, Slg. 1988, 6159, Randnr. 12) und vom 7. September 2004, Trojani (C‑456/02, Slg. 2004, I‑7573, Randnr. 22).


8 – Vgl. Urteil vom 8. Juni 1999, Meeusen (C‑337/97, Slg. 1999, I‑3289, Randnr. 15).


9 – Vgl. im Rahmen des Art. 39 EG Schlussanträge des Generalanwalts Trabucchi vom 2. Juni 1976, Watson (118/75, Slg. 1976, 1201, Randnr. 2).


10 – Vgl. oben, Nr. 24 dieser Schlussanträge.


11 – Siehe auch Generalanwalt Alber, der in seinen Schlussanträgen vom 28. September 2000, Grzelczyk (C-184/99, Slg. 2001, I-6193, Randnrn. 70 ff.), festgestellt hat, dass Studenten, die einer Nebentätigkeit nachgehen, Arbeitnehmer im Sinne des EG-Vertrags sind.


12 – Urteil vom 31. Mai 1989, Bettray (344/87, Slg. 1989, 1621, Randnr. 17).


13 – Vgl. Urteil Birden (zitiert in Fußnote 4, Randnr. 31).


14 – Vgl. Urteile vom 20. September 1990, Sevince (C‑192/89, Slg. 1990, I‑3461, Randnr. 30), vom 6. Juni 1995, Bozkurt (C‑434/93, Slg. 1995, I‑1475, Randnr. 26), und vom 16. Dezember 1992, Kus (C‑237/91, Slg. 1992, I‑6781, Randnrn. 12 und 22).


15 – Vgl. Urteil Kurz (zitiert in Fußnote 5, Randnr. 49).


16 – Vgl. Urteil vom 30. September 1997, Ertanir (C‑98/96, Slg. 1997, I‑5179, Randnr. 58).


17 – Vgl. Urteil Sevince (zitiert in Fußnote 14, Randnr. 31) und Urteil Kus (zitiert in Fußnote 14, Randnr. 13), in dem festgestellt wird, dass der Verbleib im Aufnahmeland während der Dauer des Verfahrens für die Gewährung der Aufenthaltserlaubnis diese Voraussetzung ebenfalls nicht erfüllt.


18 – Vgl. Urteile vom 30. September 1997, Günaydin (C‑36/96, Slg. 1997, I‑5143, Randnr. 29), Birden (zitiert in Fußnote 4, Randnr. 33) und Ertanir (zitiert in Fußnote 16, Randnr. 39).


19 – Vgl. Urteile Birden (zitiert in Fußnote 4, Randnrn. 47 ff.) unter Verweis auf die verschiedenen Sprachfassungen des Beschlusses Nr. 1/80.


20 – Vgl. Urteile Birden (zitiert in Fußnote 4, Randnr. 51), vom 10. Februar 2000, Nazli (C‑340/97, Slg. 2000, I‑957, Randnr. 31) und vom 26. Oktober 2006, Güzeli (C‑4/05, Slg. 2006, I‑10279, Randnr. 32).


21 – Vgl. Urteil Birden (zitiert in Fußnote 4, Randnr. 51).


22 – ABl. L 375, S. 12 im Folgenden: Richtlinie 2004/114.


23 – Vgl. den 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/114.


24 – Vgl. nur Urteile Nazli (zitiert in Fußnote 20, Randnr. 29), Ertanir (zitiert in Fußnote 16, Randnr. 23) und Kus (zitiert in Fußnote 14, Randnr. 25).


25 – Der Gerichtshof nennt in diesem Zusammenhang jeweils auch Art. 36 des Zusatzabkommens, das am 23. November 1970 unterzeichnet, dem Abkommen als Anlage beigefügt und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1) abgeschlossen wurde.


26 – Vgl. Urteil Levin (zitiert in Fußnote 6, Randnr. 21).


27 – Vgl. Urteile Kurz (zitiert in Fußnote 5, Randnr. 30), Nazli (zitiert in Fußnote 20, Randnr. 55), Bozkurt (zitiert in Fußnote 14, Randnr. 20), und vom 23. Januar 1997, Tetik (C‑171/95, Slg. 1997, I‑329, Randnr. 20).


28 – Prononciert differenzierend zwischen dem Zweck des Assoziierungsabkommens und Art. 39 EG Generalanwalt Geelhoed in seinen Schlussanträgen vom 12. September 2006, Tum & Dari (C-16/05, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).


29 – Vgl. nur Urteile vom 10. Januar 2006, Sedef (C‑230/03, Slg. 2006, I‑157, Randnr. 34) und Tetik (zitiert in Fußnote 27, Randnr. 21).


30 – Vgl. Urteile vom 30. September 1997, Günaydin (zitiert in Fußnote 18, Randnr. 52), Kus (zitiert in Fußnote 14, Randnr. 52) und Kurz (zitiert in Fußnote 5, Randnr. 56).


31 – Urteil Günaydin (zitiert in Fußnote 18).


32 – Urteil Kus (zitiert in Fußnote 14).


33 – Urteil Kurz (zitiert in Fußnote 5).


34 – Urteil vom 5. Oktober 1994, Eroglu (C-355/93, Slg. 1994, I-5113).