Language of document : ECLI:EU:C:2017:691

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 14. September 2017(1)

Rechtssache C103/16

Jessica Porras Guisado

gegen

Bankia SA,

Sección Sindical de Bankia de CCOO,

Sección Sindical de Bankia de UGT,

Sección Sindical de Bankia de ACCAM,

Sección Sindical de Bankia de SATE,

Sección Sindical de Bankia de CSICA,

Fondo de Garantía Salarial (Fogasa),

Beteiligte:

Ministerio Fiscal (Staatsanwaltschaft)

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de Cataluña [Oberstes Gericht von Katalonien, Spanien])

„Sozialpolitik – Richtlinie 92/85/EWG – Sicherheit und Gesundheitsschutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen – Art. 10 Nr. 1 und 3 – Verbot der Kündigung – Νicht mit dem Zustand der schwangeren Arbeitnehmerin in Zusammenhang stehende Ausnahmefälle – Art. 10 Nr. 2 – Kündigungsschreiben – Richtlinie 98/59/EG – Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen – Art. 1 Abs. 1 Buchst. a – Entlassung aus Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen“






 Einleitung

1.        Die Auswahl der Arbeitnehmer, die im Rahmen einer Massenentlassung „gehen müssen“, ist immer ein brisantes Thema. Bevor eine Massenentlassung umgesetzt wird, finden in Einklang mit der Richtlinie über Massenentlassungen(2) stets Konsultationen zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmervertretern statt. Dabei können bestimmte Kategorien von Arbeitnehmern als schutzwürdig im Rahmen der Massenentlassung angesehen werden (in dem Sinne, dass sie vorrangig für die Weiterbeschäftigung ausgewählt werden). Allerdings kann die Belegschaft auch andere Kategorien von Arbeitnehmern umfassen, die auf der Grundlage irgendeines anderen Rechtsinstruments Kündigungsschutz genießen (wie z. B. von der Mutterschaftsrichtlinie(3) erfasste Arbeitnehmerinnen).

2.        Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de Cataluña (Oberstes Gericht von Katalonien, Spanien, im Folgenden: vorlegendes Gericht) wird der Gerichtshof darum ersucht, das Verbot der Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen in Art. 10 der Mutterschaftsrichtlinie auszulegen. Genauer gesagt werden Hinweise des Gerichtshofs dazu erbeten, wie dieses Verbot im Fall eines Massenentlassungsverfahrens in Verbindung mit der Richtlinie über Massenentlassungen auszulegen ist.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Die Mutterschaftsrichtlinie

3.        In den Erwägungsgründen der Mutterschaftsrichtlinie, bei der es sich um die zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 89/391/EWG(4) handelt, wird erläutert, dass mit dieser Richtlinie Mindestvorschriften eingeführt werden sollen, um die Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zu fördern und so die Sicherheit und die Gesundheit u. a. von schwangeren Arbeitnehmerinnen zu schützen, die als eine besonders gefährdete Gruppe angesehen werden(5). Der Schutz der Sicherheit und der Gesundheit von schwangeren Arbeitnehmerinnen darf Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht benachteiligen; er darf ferner nicht die Richtlinien zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen beeinträchtigen(6). Die Gefahr, aus Gründen entlassen zu werden, die mit ihrem Zustand in Verbindung stehen, kann sich schädlich auf die physische und psychische Verfassung von schwangeren Arbeitnehmerinnen auswirken; daher ist es erforderlich, ihre Kündigung zu verbieten(7).

4.        Der Begriff „schwangere Arbeitnehmerin“ bezeichnet gemäß Art. 2 Buchst. a „jede schwangere Arbeitnehmerin, die den Arbeitgeber gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten von ihrer Schwangerschaft unterrichtet“.

5.        Die Kommission soll im Benehmen mit den Mitgliedstaaten und mit Unterstützung des Beratenden Ausschusses für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz Leitlinien für die Beurteilung von Risiken für die von der Mutterschaftsrichtlinie erfassten Arbeitnehmerinnen erstellen(8). Es hat eine Beurteilung der Arbeitsumgebung und der Stelle der schwangeren Arbeitnehmerin zu erfolgen(9). Arbeitgeber sind verpflichtet, die Arbeitsbedingungen und/oder Arbeitszeiten der schwangeren Arbeitnehmerin umzugestalten, um festgestellte Risiken auszuschließen. Ist dies nicht möglich, erfolgt ein Arbeitsplatzwechsel, falls auch das nicht möglich ist, eine Beurlaubung(10).

6.        Art. 10 („Verbot der Kündigung“) lautet:

„Um den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 die Ausübung der in diesem Artikel anerkannten Rechte in Bezug auf ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz zu gewährleisten, wird Folgendes vorgesehen:

1.      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die Kündigung der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs nach Artikel 8 Absatz 1 zu verbieten; davon ausgenommen sind die nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind, wobei gegebenenfalls die zuständige Behörde ihre Zustimmung erteilen muss.

2.      Wird einer Arbeitnehmerin im Sinne des Artikels 2 während der in Nummer 1 genannten Zeit gekündigt, so muss der Arbeitgeber schriftlich berechtigte Kündigungsgründe anführen.

3.      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 vor den Folgen einer nach Nummer 1 widerrechtlichen Kündigung zu schützen.“

7.        Art. 12 bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die innerstaatlichen Vorschriften erlassen, die notwendig sind, damit jede Arbeitnehmerin, die sich durch die Nichterfüllung der Verpflichtungen aus dieser Richtlinie für beschwert hält, ihre Rechte geltend machen kann.

 Richtlinie über Massenentlassungen

8.        Die Richtlinie über Massenentlassungen zielt darauf ab, unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Europäischen Union den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu verstärken(11). In ihren Erwägungsgründen wird erläutert, dass die Verwirklichung des Binnenmarktes zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeitnehmer führen soll und dass die Unterschiede zwischen den in den Mitgliedstaaten geltenden Bestimmungen hinsichtlich der Voraussetzungen und des Verfahrens für Massenentlassungen sowie hinsichtlich der Maßnahmen, die die Folgen dieser Entlassungen für die Arbeitnehmer mildern könnten, sich auf das Funktionieren des Binnenmarktes unmittelbar auswirken können(12).

9.        In Teil I („Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereich“) bestimmt Art. 1 Abs. 1 Buchst. a „Massenentlassungen“ als „Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt und bei denen – nach Wahl der Mitgliedstaaten – die Zahl der Entlassungen

i)      entweder innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen

–        mindestens 10 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern,

–        mindestens 10 v. H. der Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern,

–        mindestens 30 in Betrieben mit in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmern,

ii)      oder innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens 20, und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind,

beträgt;

Für die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß Absatz 1 Buchstabe a) werden diesen Entlassungen Beendigungen des Arbeitsvertrags gleichgestellt, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erfolgen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt.“(13)

10.      Teil II enthält die Informations- und Konsultationspflichten. Wenn ein Arbeitgeber beabsichtigt, Massenentlassungen vorzunehmen, muss er die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen. Damit die Arbeitnehmervertreter konstruktive Vorschläge unterbreiten können, hat der Arbeitgeber ihnen rechtzeitig im Verlauf der Konsultationen die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihnen Folgendes mitzuteilen: i) die Gründe der geplanten Entlassung, ii) die Zahl und die Kategorien der zu entlassenden Arbeitnehmer, iii) die Zahl und die Kategorien der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, iv) den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, und v) die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, soweit die innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken dem Arbeitgeber die Zuständigkeit dafür zuerkennen. Der zuständigen Behörde ist eine Abschrift der schriftlichen Mitteilung zu übermitteln(14).

11.      Das Massenentlassungsverfahren ist in Teil III geregelt. Das Verfahren beginnt mit der schriftlichen Anzeige beabsichtigter Massenentlassungen bei der zuständigen Behörde(15). Den Arbeitnehmervertretern ist ebenfalls eine Kopie der Anzeige zu übermitteln(16). Die beabsichtigten Massenentlassungen werden frühestens 30 Tage nach Eingang der in Art. 3 Abs. 1 genannten Anzeige wirksam; die im Fall der Einzelkündigung für die Kündigungsfrist geltenden Bestimmungen bleiben unberührt(17). Die Mitgliedstaaten können von der Anwendung der vorgesehenen Fristen auf Massenentlassungen infolge einer Einstellung der Tätigkeit des Betriebs absehen, wenn diese Einstellung aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung erfolgt(18).

 Spanische Rechtsvorschriften

 Vorschriften zur Umsetzung der Mutterschaftsrichtlinie

12.      Dem vorlegenden Gericht zufolge wurde die Mutterschaftsrichtlinie in Spanien durch die Ley 39/99 de Conciliación de la vida personal, laboral y familiar (Gesetz 39/1999 zur Förderung des Ausgleichs zwischen dem Familien- und dem Arbeitsleben der Arbeitnehmer) vom 5. November 1999 umgesetzt. Schwangere Arbeitnehmerinnen sind auf zwei Arten geschützt. Die erste Art von Schutz greift während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses und setzt nur die Schwangerschaft voraus. Wird eine schwangere Arbeitnehmerin entlassen (unabhängig davon, ob der Arbeitgeber von ihrem Zustand weiß), muss sie lediglich ihre Schwangerschaft nachweisen; der Arbeitgeber muss dann seinerseits objektive und nachvollziehbare Gründe für die Kündigung nachweisen. Werden entsprechende Nachweise erbracht, kann gegebenenfalls eine Rechtmäßigkeitserklärung verlangt werden; andernfalls ist die Kündigung kraft Gesetzes unwirksam(19).

13.      Die zweite Art von Schutz beruht auf Art. 53 Abs. 4 Unterabs. 1 und Art. 55 Abs. 5 Unterabs. 1 des Arbeitnehmerstatuts sowie auf Art. 8 der Ley Orgánica 3/2007 para la igualdad efectiva de hombres y mujeres (Ley Orgánica 3/2007 über die wirksame Gleichbehandlung von Frauen und Männern) vom 22. März 2007 (im Folgenden: Ley Orgánica von 2007). Diese Bestimmungen sehen im Kern vor, dass eine Arbeitnehmerin, die behauptet, von Diskriminierung betroffen zu sein, weil sie wegen der Schwangerschaft entlassen worden sei, hinreichende Anhaltspunkte dafür vortragen muss, dass die Entlassung wegen der Schwangerschaft erfolgt ist. Dann liegt die Beweislast dafür, dass keine Diskriminierung vorgelegen hat, beim Arbeitgeber. Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass das Ausgangsverfahren die zweite Art von Schutz nicht betrifft(20).

 Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie über Massenentlassungen

14.      Der Begriff der Massenentlassungen ist in Art. 51 Abs. 1 des Arbeitnehmerstatuts bestimmt als Kündigung von Arbeitsverträgen aus wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder produktionsbedingten Gründen, wenn bestimmte Schwellen überschritten werden. Nach Art. 51 Abs. 5 des Arbeitnehmerstatuts sind im Rahmen der Auswahl der Arbeitnehmer, die eine betriebsbedingte Kündigung erhalten, die Arbeitnehmervertreter vorrangig durch das betroffene Unternehmen weiterzubeschäftigen. Ein solcher Vorrang kann auch anderen Gruppen eingeräumt werden, z. B. Arbeitnehmern mit familiären Pflichten, Arbeitnehmern einer bestimmten Altersgruppe oder Behinderten(21).

15.      Art. 13 des Real Decreto 1483/2012 por el que se aprueba el Reglamento de los procedimientos de despido colectivo y de suspensión de contratos y reducción de jornada (Königliches Dekret 1483/2012 zur Annahme der Verordnung über Massenentlassungsverfahren, die Aussetzung von Verträgen und Kurzarbeit) vom 29. Oktober 2012 enthält die Regelungen über die Auswahlkriterien bei Massenentlassungen. Art. 13 Abs. 3 bestimmt, dass in der endgültigen Entscheidung über eine Massenentlassung die Gründe anzugeben sind, aus denen bestimmte Arbeitnehmer vorrangig ihre Stelle im Unternehmen behalten dürfen.

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

16.      Frau Porras Guisado wurde am 18. April 2006 von der Bankia SA (im Folgenden: Bankia) eingestellt. Am 9. Januar 2013 begannen Konsultationen zwischen Bankia und der Arbeitnehmervertretung im Hinblick auf eine Massenentlassung. Am 8. Februar 2013 traf das Verhandlungsgremium eine Vereinbarung (im Folgenden: Vereinbarung des Verhandlungsgremiums), in der die Kriterien für die Auswahl sowohl der Arbeitnehmer festgelegt wurden, die entlassen, als auch derer, die von Bankia weiterbeschäftigt werden sollten. Zwei Kategorien von Arbeitnehmern wurde dabei Vorrang eingeräumt: Verheirateten und in Lebenspartnerschaft lebenden Personen sowie behinderten Arbeitnehmern mit einem Grad der Behinderung von mehr als 33 %.

17.      Am 13. November 2013 übermittelte Bankia Frau Porras Guisado ein Schreiben (im Folgenden: Kündigungsschreiben), in dem ihr Arbeitsvertrag gemäß den Regelungen der Vereinbarung des Verhandlungsgremiums gekündigt wurde. In dem Kündigungsschreiben wird ausgeführt:

„… Im konkreten Fall der Provinz Barcelona, in der Sie beschäftigt sind, ist es nach Durchführung des Verfahrens zur Teilnahme am Vorruhestandsprogramm und nach Abzug der von Fällen der geografischen Mobilität und Arbeitsplatzwechseln betroffenen Personen erforderlich geworden, weitere Personalanpassungen vorzunehmen und nach Maßgabe von Abschnitt II-B der [Vereinbarung des Verhandlungsgremiums] Arbeitsverhältnisse im Wege der unmittelbaren Auswahl durch das Unternehmen zu beenden.

In diesem Sinne beträgt Ihr Bewertungsergebnis in dem vom Unternehmen durchgeführten Bewertungsverfahren, das in der Konsultationsphase ausgehandelt wurde und einen maßgeblichen Faktor beim Abschluss der [Vereinbarung des Verhandlungsgremiums] … bildete, 6 Punkte und gehört damit zu den niedrigsten in der Provinz Barcelona, in der Sie beschäftigt sind.

Daher müssen wir Ihnen mitteilen, dass nach Anwendung der dargelegten Bewertungskriterien und aus den genannten Gründen entschieden wurde, Ihren Arbeitsvertrag mit Wirkung zum 10. Dezember 2013 zu kündigen.“(22)

18.      Noch am selben Tag erhielt Frau Porras Guisado durch Banküberweisung 11 782,05 Euro als Abfindung. Gemäß der Vereinbarung des Verhandlungsgremiums wurde ihre Kündigung zum 10. Dezember 2013 wirksam.

19.      Frau Porras Guisado war zum Kündigungszeitpunkt schwanger.

20.      Am 9. Januar 2014 beantragte Frau Porras Guisado eine Güteverhandlung. Diese wurde am 1. April 2014 erfolglos durchgeführt. Zwischenzeitlich reichte Frau Porras Guisado am 3. Februar 2014 Klage gegen ihre Kündigung beim Juzgado Social no 1 de Mataró (Sozialgericht Nr. 1 von Mataró) ein; dieses Gericht entschied am 25. Februar 2015 zugunsten von Bankia.

21.      Frau Porras Guisado legte gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel zum vorlegenden Gericht ein, das um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:

1.      Ist Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie dahin auszulegen, dass der Tatbestand der „nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind“ als Ausnahme vom Verbot der Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen nicht dem Tatbestand „aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie über Massenentlassungen gleichkommt, sondern einen engeren Tatbestand darstellt?

2.      Ist es bei einer Massenentlassung für die Beurteilung der Frage, ob Ausnahmefälle vorliegen, die die Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen im Sinne von Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie rechtfertigen, erforderlich, dass die betroffene Arbeitnehmerin nicht auf einer anderen Stelle weiterbeschäftigt werden kann, oder genügt der Nachweis wirtschaftlicher, technischer oder produktionsbedingter Gründe, die ihren Arbeitsplatz betreffen?

3.      Steht mit Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie, der die Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen verbietet, eine Regelung wie die spanische in Einklang, die dieses Verbot umsetzt, indem sie gewährleistet, dass bei unterbliebenem Nachweis der Gründe, die ihre Kündigung rechtfertigen, deren Unwirksamkeit festgestellt wird (Schutz durch Wiedergutmachung), die aber kein Kündigungsverbot vorsieht (präventiver Schutz)?

4.      Steht mit Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie eine Regelung wie die spanische in Einklang, die für schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen bei einer Massenentlassung keinen Anspruch auf vorrangige Weiterbeschäftigung im Unternehmen vorsieht?

5.      Steht mit Art. 10 Nr. 2 der Mutterschaftsrichtlinie eine nationale Regelung in Einklang, nach der ein Kündigungsschreiben wie das im vorliegenden Fall fragliche, das neben den Gründen für die Massenentlassung keinerlei Bezugnahme auf das Vorliegen eines Ausnahmefalls enthält, ausreichend ist, um die Entscheidung über eine Massenentlassung auf die schwangere Arbeitnehmerin zu erstrecken?

22.      Bankia, die spanische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. In der Sitzung vom 26. Januar 2017 haben die Parteien mündliche Ausführungen gemacht.

 Würdigung

 Zur Zulässigkeit

23.      Bankia trägt vor, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, weil Frau Porras Guisado sich nicht auf die Mutterschaftsrichtlinie berufen habe, als sie ihre Klage vor dem Juzgado Social no 1 de Mataró (Sozialgericht Nr. 1 von Mataró) erhoben habe, und nach nationalem Verfahrensrecht sei ihr verwehrt, dies zu einem späteren Zeitpunkt zu tun. Außerdem verfüge Frau Porras Guisado nicht über die nach spanischer Rechtsprechung erforderliche Klagebefugnis für die Erhebung einer Klage, die gegen die zwischen Bankia und der Arbeitnehmervertretung vereinbarten Auswahlkriterien im Hinblick auf die Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern im Unternehmen gerichtet sei.

24.      Zu diesen beiden Argumenten ist zu sagen, dass die Zuständigkeit des Gerichtshofs auf die Auslegung von unionsrechtlichen Vorschriften beschränkt ist. Der Gerichtshof ist „[n]ach der Verteilung der Aufgaben zwischen ihm und den nationalen Gerichten … nicht befugt nachzuprüfen, ob die Entscheidung, durch die er angerufen worden ist, den nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das Verfahren entspricht“(23).

25.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist demnach zulässig.

 Anwendbarkeit der Mutterschaftsrichtlinie

26.      Bankia trägt vor, dass die Mutterschaftsrichtlinie auf Frau Porras Guisado nicht anwendbar sei, weil sie ihren Arbeitgeber nicht über ihre Schwangerschaft unterrichtet habe. Art. 2 Buchst. a dieser Richtlinie sehe ausdrücklich vor, dass nur Arbeitnehmerinnen, „die den Arbeitgeber gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten von ihrer Schwangerschaft unterrichtet“ haben, in ihren Anwendungsbereich fielen.

27.      Aus dem in der Vorlageentscheidung dargestellten Sachverhalt ergibt sich nicht, wann genau Frau Porras Guisado ihren Arbeitgeber von ihrer Schwangerschaft unterrichtet hat. In der mündlichen Verhandlung hat Bankia behauptet, ihr sei dieser Umstand zum Zeitpunkt der Kündigung nicht bekannt gewesen(24).

28.      Im Rahmen der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten ist es grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob in der bei ihm anhängigen Rechtssache die Tatbestandsvoraussetzungen für die Anwendung einer Norm des Unionsrechts erfüllt sind, wobei der Gerichtshof in seiner Entscheidung auf ein Vorabentscheidungsersuchen gegebenenfalls Klarstellungen vornehmen kann, um dem nationalen Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben(25).

29.      Im vorliegenden Fall ist es daher Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, wann Frau Porras Guisado ihren Arbeitgeber von ihrer Schwangerschaft unterrichtet hat. Allerdings ist es Sache des Gerichtshofs, Hinweise zur Auslegung der Bestimmungen der Mutterschaftsrichtlinie zu geben und insbesondere dazu, ob eine Schwangere, die ihren Arbeitgeber vor der Kündigung nicht von ihrem Zustand unterrichtet hat, den Schutz von Art. 10 dieser Richtlinie genießen kann.

30.      Dieser Artikel verbietet die Entlassung von schwangeren Arbeitnehmerinnen „im Sinne von Artikel 2“ der Mutterschaftsrichtlinie.

31.      Diese Begriffsbestimmung umfasst zwei Elemente. Erstens muss die Arbeitnehmerin schwanger sein(26), und zweitens muss sie ihren Arbeitgeber gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten von ihrer Schwangerschaft unterrichtet haben. Beide Elemente müssen vorliegen, damit eine Arbeitnehmerin im Sinne der Mutterschaftsrichtlinie als „schwangere Arbeitnehmerin“ gilt.

32.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs wollte der Unionsgesetzgeber dem Begriff „schwangere Arbeitnehmerin“ eine eigenständige unionsrechtliche Bedeutung geben, selbst wenn er für einen der Aspekte dieser Definition, nämlich denjenigen der Modalitäten, nach denen die Arbeitnehmerin ihren Arbeitgeber über ihre Schwangerschaft unterrichtet, auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten verweist(27).

33.      Im Zusammenhang mit dem Kündigungsverbot hat der Gerichtshof die Voraussetzung der Unterrichtung frei ausgelegt. So hat er im Urteil Danosa festgestellt, dass die Modalitäten der Unterrichtung den besonderen Schutz der Frau, der in Art. 10 der Mutterschaftsrichtlinie verankert ist, nicht seiner Substanz entleeren können. „Wenn der Arbeitgeber, ohne von der Arbeitnehmerin selbst formal darüber unterrichtet worden zu sein, von der Schwangerschaft Kenntnis hatte, liefe es dem Zweck und dem Geist der [Mutterschaftsrichtlinie] zuwider, den Wortlaut ihres Art. 2 Buchst. a eng auszulegen und der betroffenen Arbeitnehmerin den in Art. 10 vorgesehenen Kündigungsschutz zu verweigern.“(28)

34.      An dieser Stelle weise ich auf eine Unstimmigkeit im Wortlaut der Mutterschaftsrichtlinie hin. Während andere Bestimmungen dieser Richtlinie (namentlich die Art. 5, 6 und 7) einen fortlaufenden Schutz bieten, solange die Arbeitnehmerin arbeitet, zeichnet sich Art. 10 durch ein unmissverständliches Kündigungsverbot für „Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs nach Artikel 8 Absatz 1“ aus. Die einzige Ausnahme von diesem Verbot betrifft die „nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle“, auf die ich später eingehen werde. Zu Beginn der Schwangerschaft wird die Arbeitnehmerin allerdings selbst noch gar nicht wissen, dass sie schwanger ist. Wenn sie es dann erkannt hat, wird zwangsläufig eine gewisse Zeit verstreichen, bevor sie ihren Arbeitgeber über diesen Umstand unterrichtet und damit beide Voraussetzungen erfüllt, um nach der Begriffsbestimmung in Art. 2 Buchst. a als „schwangere Arbeitnehmerin“ zu gelten. Und doch gilt das Verbot in Art. 10 Nr. 1 ausdrücklich „vom Beginn der Schwangerschaft“ an – also von einem Zeitpunkt, zu dem sie die Voraussetzung, ihren Arbeitgeber von ihrem Zustand zu unterrichten, unmöglich erfüllen kann.

35.      Wie ist diese Unstimmigkeit aufzulösen? Mir scheinen zwei Alternativen denkbar.

36.      Die erste besteht darin, dass das Kündigungsverbot eben nicht gilt, bis die Schwangere ihren Arbeitgeber von der Schwangerschaft unterrichtet hat. Dieses (von Bankia vertretene) Verständnis ist günstig für den Arbeitgeber. Sofern er nicht von der Schwangerschaft unterrichtet worden ist oder auf andere Weise davon Kenntnis erlangt hat(29), kann er die fragliche Arbeitnehmerin entlassen. Dem Ausdruck „Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2“ wird zulasten eines weiter gehenden Schutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen Vorrang eingeräumt. Ein solches Verständnis schützt die schwangere Arbeitnehmerin, die die Voraussicht (oder das Glück) gehabt hat, ihren Arbeitgeber von ihrem Zustand zu unterrichten, bevor er ihr kündigt (oder sie im Rahmen einer Massenentlassung entlässt). Weiß sie zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kündigung wirksam wird, noch nichts von ihrer Schwangerschaft oder hat sie es ihrem Arbeitgeber noch nicht gesagt, so genießt sie keinen Schutz. Der geschützte Zeitraum ist zwangsläufig kürzer als nach dem Wortlaut von Art. 10 Nr. 1.

37.      Die Alternative ist, dem Schutz der Arbeitnehmerinnen „während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs“ Vorrang einzuräumen, selbst wenn sie ihren Arbeitgeber noch nicht von ihrem Zustand unterrichtet haben. Dieses Verständnis (wie ich es sehe, ist dies die Auslegung, die die Kommission für richtig hält) ist für die schwangere Arbeitnehmerin günstiger; es scheint mir die bessere Alternative zu sein.

38.      Der Gerichtshof hat wiederholt festgestellt, dass „[g]erade in Anbetracht der Gefahr, die eine mögliche Entlassung für die physische und psychische Verfassung von schwangeren Arbeitnehmerinnen … darstellt, einschließlich des besonders schwerwiegenden Risikos, dass eine schwangere Arbeitnehmerin zum freiwilligen Abbruch ihrer Schwangerschaft veranlasst wird, der Unionsgesetzgeber … einen besonderen Schutz für die Frau vorgesehen [hat], indem er das Verbot der Kündigung während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs verfügt hat“(30). Er hat weiter (ebenso kategorisch) festgestellt: „Für diesen Zeitraum sieht Art. 10 der [Mutterschaftsrichtlinie] keine Ausnahme oder Abweichung vom Verbot der Kündigung gegenüber schwangeren Arbeitnehmerinnen vor, außer in nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefällen und unter der Voraussetzung, dass der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung schriftlich angibt.“(31) Diese wiederholt getroffenen Feststellungen zeigen, dass der Gerichtshof seit Jahrzehnten anerkennt, dass Schwangere tatsächlich eine besonders gefährdete Gruppe sind und dass dies bei der Auslegung von Bestimmungen über ihren Schutz am Arbeitsplatz in vollem Umfang zu berücksichtigen ist.

39.      Allerdings hat sich die Rechtsprechung des Gerichtshofs bislang noch nicht mit der Unstimmigkeit beschäftigt, auf die ich hingewiesen habe. So war den Arbeitgebern in den Rechtssachen Webb und Tele Danmark bekannt, dass die jeweilige Arbeitnehmerin schwanger war, als sie sie entließen(32). Das Urteil Webbbefasste sich mit der Frage, ob eine Frau, die eingestellt worden war, um eine in Mutterschaftsurlaub befindliche Arbeitnehmerin zu ersetzen, und selbst schwanger wurde, nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG (der frühen Richtlinie über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Beschäftigung)(33) in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie Kündigungsschutz genoss. Im Urteil Tele Danmark ging es darum, ob der Kündigungsschutz nach Art. 10 der Mutterschaftsrichtlinie auch gilt, wenn die im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrags beschäftigte Arbeitnehmerin bereits zum Zeitpunkt der Einstellung schwanger ist, dies aber verbirgt(34). In beiden Fällen hat der Gerichtshof die Frage bejaht. Im Urteil Danosa hielt der Gerichtshof fest, dass Gegenstand einer „streitigen Auseinandersetzung“ u. a. war, ob die beklagte Gesellschaft von Frau Danosas Schwangerschaft unterrichtet worden war; er erließ sein Urteil auf der Grundlage, dass die Feststellung solcher tatsächlichen Gesichtspunkte Sache des nationalen Gerichts ist(35).

40.      Erwähnenswert ist außerdem das Urteil Pontin(36). In diesem Fall hatte der Arbeitgeber (T‑Comalux) Frau Pontin mit sofortiger Wirkung durch eingeschriebenen Brief vom 25. Januar 2007 gekündigt. Frau Pontin unterrichtete T‑Comalux durch eingeschriebenen Brief vom 26. Januar 2007 (also vom folgenden Tag) von ihrer Schwangerschaft und machte geltend, ihre Kündigung durch T‑Comalux sei deshalb unwirksam(37). In seiner Antwort an das vorlegende Gericht befasste sich der Gerichtshof umfassend mit komplexen Fragen betreffend die Äquivalenz und die Effektivität der Frau Pontin gegen ihre Kündigung zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe. Meiner Ansicht nach muss der Gerichtshof dabei zwangsläufig davon ausgegangen sein, dass Frau Pontin Kündigungsschutz nach Art. 10 der Mutterschaftsrichtlinie in der Umsetzung durch das nationale Recht genoss, obwohl sie ihren Arbeitgeber nicht von ihrem Zustand unterrichtet hatte, bevor die Kündigung wirksam wurde. Allerdings geht das Urteil auf diesen Punkt nicht ein.

41.      Wenn die Voraussetzung, den Arbeitgeber zu unterrichten, ex post erfüllt werden kann, folgt daraus, dass nach der entsprechenden Unterrichtung die fragliche Kündigung widerrechtlich im Sinne von Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie wird (es sei denn, es liegt ein „Ausnahmefall“ vor). Die Arbeitnehmerin, die den Arbeitgeber unterrichtet hat, ist unbestreitbar eine „schwangere Arbeitnehmerin“ im Sinne der Begriffsbestimmung in Art. 2 Buchst. a. Da sie in diesem Fall aber bereits entlassen worden ist, bewirkt Art. 10 Nr. 3 dann, dass ihr ein Rechtsbehelf zur Verfügung steht, indem er bestimmt, dass die Mitgliedstaaten „die erforderlichen Maßnahmen [treffen], um Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 vor den Folgen einer nach Nummer 1 widerrechtlichen Kündigung zu schützen“.

42.      Es ist richtig, dass nach diesem Verständnis ein Arbeitgeber unwissentlich eine Arbeitnehmerin entlassen kann, die er eigentlich nicht entlassen darf. Wird er allerdings bereits kurz nach der Entlassung auf diesen Fehler aufmerksam gemacht(38), so kann er den unweigerlich durch die Kündigung entstandenen Schaden wiedergutmachen. Dieses Ergebnis steht vollumfänglich in Einklang mit Art. 10 der Mutterschaftsrichtlinie.

43.      Die Frage ist, ob der Zeitraum, in dem die Arbeitnehmerin ihren früheren Arbeitgeber nach der Kündigung von ihrem Zustand unterrichten und dadurch den Schutz nach Art. 10 der Mutterschaftsrichtlinie in Anspruch nehmen kann, begrenzt ist. Angesichts der Unstimmigkeit, auf die ich bereits hingewiesen habe, ist es wenig überraschend, dass Art. 10 keine ausdrückliche Antwort auf diese Frage bereithält. Meines Erachtens ist die entlassene Arbeitnehmerin aus Gründen der Fairness gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet, dessen Unterrichtung und die Geltendmachung ihres Anspruchs nicht unangemessen zu verzögern; die Möglichkeit, Ersteres als Voraussetzung für Letzteres zu tun, sollte bis zum Ende der in Art. 10 Nr. 1 vorgesehenen Schutzfrist bestehen – also bis zum „Ende des Mutterschaftsurlaubs nach Artikel 8 Absatz 1“. Wann genau das ist, hängt von der Umsetzung der Mutterschaftsrichtlinie im fraglichen Mitgliedstaat ab. Dieses Datum mag bei einer Schwangeren, die entlassen worden ist, zwar insoweit hypothetisch sein, als sie wegen ihrer Entlassung möglicherweise nicht oder nur teilweise in den Genuss ihres Mutterschaftsurlaubs gekommen ist(39). Allerdings wird es den nationalen Gerichten möglich sein, das Datum zu bestimmen, zu dem ihr Mutterschaftsurlaub beendet gewesen wäre, und damit auch, ob sie ihren Arbeitgeber vor diesem Datum von ihrem Zustand unterrichtet hat.

44.      Bei meinen Ausführungen zu diesem Punkt ist mir durchaus bewusst, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, die relevanten Tatsachen festzustellen, und dass das spanische Recht (konkret das Gesetz 39/1999) offenbar unabhängig davon Schutz bietet, ob dem Arbeitgeber die Schwangerschaft der Arbeitnehmerin bekannt war(40). Wie genau diese Bestimmung des nationalen Rechts anzuwenden ist, ist ebenfalls vom nationalen Gericht zu entscheiden. Gleichwohl ist es möglich, dass das vorlegende Gericht für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Falles konkret wissen muss, ob der in Art. 10 der Mutterschaftsrichtlinie vorgesehene Schutz sich auf eine Arbeitnehmerin erstreckt, die zum Zeitpunkt ihrer Entlassung im Rahmen einer Massenentlassung ihren Arbeitgeber noch nicht von ihrem Zustand unterrichtet hatte. Aus diesem Grund und im Interesse der Rechtssicherheit möchte ich dem Gerichtshof vorschlagen, diesen Punkt in dem von mir vorgeschlagenen Sinne klarzustellen.

45.      Vor diesem Hintergrund komme ich nun zu den Fragen des vorlegenden Gerichts.

 Erste Frage

46.      Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Tatbestand der „nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind“, bei dessen Vorliegen die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin zulässig ist (Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie), dahin auszulegen ist, dass er dem Ausdruck „aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen“ in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie über Massenentlassungen genau entspricht oder ob Ersterer enger auszulegen ist.

47.      Bankia, Spanien und die Kommission bejahen diese Frage.

48.      Ich teile diese Auffassung nicht.

 Das Verhältnis zwischen der Mutterschaftsrichtlinie und der Richtlinie über Massenentlassungen

49.      Die erste Frage betrifft die Wechselwirkungen zwischen den Kündigungsschutzvorschriften in der Mutterschaftsrichtlinie und den Regelungen über Entlassungen in der Richtlinie über Massenentlassungen. Daher ist es wichtig, zuerst das Verhältnis zwischen diesen beiden Rechtsinstrumenten klarzustellen.

50.      Die Themen dieser beiden Richtlinien wurden von der Kommission schon 1973 gleichzeitig und im selben Dokument angesprochen(41). In der Entschließung des Rates aus dem Jahr 1974 wurde derselbe Ansatz verfolgt(42). In diesem Zusammenhang wurde dann im Jahr 1975 die erste Richtlinie über Massenentlassungen angenommen(43). Im Gegensatz dazu wurden vor der Verabschiedung der Mutterschaftsrichtlinie Fälle schwangerer Arbeitnehmerinnen durch den Rückgriff entweder auf Art. 119 des EWG-Vertrags und die Richtlinie 75/117/EWG über gleiches Entgelt(44) oder auf die Richtlinie 76/207/EWG über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen(45) gelöst.

51.      Sowohl die Mutterschaftsrichtlinie als auch die Richtlinie über Massenentlassungen wurzeln in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer(46). Letztere verweist konkret sowohl auf Maßnahmen, die entwickelt werden sollen, um Männern und Frauen zu ermöglichen, ihre beruflichen und familiären Pflichten besser miteinander in Einklang zu bringen, und auf die Notwendigkeit, die Rechte der Arbeitnehmer auf Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung bei Massenentlassungen weiterzuentwickeln(47).

52.      Dies vorausgeschickt ist offenkundig, dass sich der Anwendungsbereich der beiden Richtlinien unterscheidet. Die Mutterschaftsrichtlinie schützt schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen, deren Sicherheit und Gesundheit als gefährdet angesehen werden(48). Die Richtlinie über Massenentlassungen schützt Arbeitnehmer, die von einer Massenentlassung betroffen sein können und deren Schutz daher verstärkt werden muss(49).

53.      Eine schwangere Arbeitnehmerin, die von einer Massenentlassung betroffen ist, gehört zwei unterschiedlichen Gruppen an, die aus unterschiedlichen Gründen geschützt werden, und sollte daher den Schutz beider Richtlinien genießen. Wird eine schwangere Arbeitnehmerin im Rahmen eines Massenentlassungsverfahrens entlassen, finden daher sowohl die in Art. 10 der Mutterschaftsrichtlinie als auch die in Art. 2 bis 4 der Richtlinie über Massenentlassungen vorgesehenen Garantien Anwendung. Ich stimme daher mit dem mündlichen Vorbringen aller Beteiligten überein, dass diese beiden Rechtsinstrumente einander insoweit ergänzen.

 Das Verbot der Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen in der Mutterschaftsrichtlinie

54.      Der Zweck der Mutterschaftsrichtlinie, die auf der Grundlage von Art. 118a des EWG-Vertrags (dem Vorläufer von Art. 153 AEUV) angenommen wurde, besteht darin, Verbesserungen der Sicherheit und Gesundheit von schwangeren Arbeitnehmerinnen zu fördern(50). In diesem Zusammenhang dient das in Art. 10 geregelte Kündigungsverbot dem Zweck, schwangere Arbeitnehmerinnen vor den schädlichen Auswirkungen zu schützen, die die Gefahr, aus Gründen entlassen zu werden, die mit ihrem Zustand in Verbindung stehen, auf ihre physische und psychische Verfassung haben könnten(51).

55.      Nach dem Wortlaut von Art. 10 ist der Kündigungsschutz objektiv. Er hängt vom Bestehen der Schwangerschaft ab und nicht von den Gründen für die Kündigung. Die Gründe sind nur dann von Bedeutung, wenn es um die Ausnahme vom Grundsatz des Kündigungsschutzes geht, die in Art. 10 Nr. 1 am Ende vorgesehen ist. In diesem Artikel geht es mithin „vor allem um den Ausnahmecharakter der Kündigung“ von Schwangeren(52).

56.      Nach ständiger Rechtsprechung sind Ausnahmen von einem Grundsatz eng auszulegen(53). Das gilt umso mehr, wenn der Grundsatz (wie hier) eine Schutzvorschrift ist, die dem Schutz der Sicherheit und Gesundheit einer gefährdeten Gruppe von Arbeitnehmern dient.

57.      Die Ausnahme vom Kündigungsverbot gemäß Art. 10 Nr. 1 gilt unter drei kumulativen Voraussetzungen. Erstens darf die Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen nur in Ausnahmefällen erfolgen, die nicht mit ihrer Schwangerschaft zusammenhängen. Zweitens müssen diese Ausnahmefälle sich aus den nationalen Rechtsvorschriften bzw. den nationalen Gepflogenheiten ergeben(54). Drittens muss gegebenenfalls die zuständige Behörde zustimmen. Im vorliegenden Fall geht es um die erste Voraussetzung. Aus dem Wortlaut ist eindeutig zu ersehen, dass zwei Elemente vorliegen müssen. Die Fälle, in denen die Kündigung der schwangeren Arbeitnehmerin nicht verboten ist, müssen i) eine Ausnahme darstellen und dürfen ii) nicht mit der Schwangerschaft zusammenhängen.

58.      Der Begriff „Ausnahmefälle“ ist nicht nur eng auszulegen; er muss auch entsprechend der gewöhnlichen Bedeutung dieses Wortes ausgelegt werden(55). Die gewöhnliche Bedeutung von „Ausnahmefall“ ist „ungewöhnlicher Fall“ oder „außergewöhnlicher Fall“. In diesem Sinne werde ich diesen Begriff verstehen.

59.      Der Ausdruck „nicht mit [der Schwangerschaft] in Zusammenhang stehend“ bedeutet, dass die Kündigung auf objektive Gründe gestützt werden muss, die keinen Bezug zum Zustand der schwangeren Arbeitnehmerin aufweisen.

 Das Verbot der Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen und die Richtlinie über Massenentlassungen

60.      Der Unionsgesetzgeber wollte mit der Harmonisierung der Rechtsvorschriften über Massenentlassungen sowohl einen vergleichbaren Schutz der Rechte der Arbeitnehmer in den verschiedenen Mitgliedstaaten gewährleisten als auch die für die Unternehmen in der Union mit diesen Schutzvorschriften verbundenen Belastungen einander angleichen(56).

61.      Massenentlassungen sind nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie über Massenentlassungen „Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt“. Im Kontext dieser Richtlinie ist der Begriff „Entlassungen“ vom Gerichtshof dahin gehend ausgelegt worden, dass er „jede vom Arbeitnehmer nicht gewollte, also ohne seine Zustimmung erfolgte, Beendigung des Arbeitsvertrags umfasst. Er verlangt nicht, dass die Gründe, auf denen die Beendigung beruht, dem Willen des Arbeitgebers entsprechen.“(57) Der Gerichtshof legt diesen Begriff also weit aus(58).

62.      Entspricht diese Definition, genauer gesagt der Ausdruck „aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen“, genau den Gründen, aus denen die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin rechtmäßig sein kann, namentlich den „nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefällen“?

63.      Ich denke nicht.

64.      Richtig ist, dass es eine Übereinstimmung gibt zwischen dem Ausdruck „aus … Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen“ in der Richtlinie über Massenentlassungen und dem zweiten Element der Ausnahme in Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie, wonach die Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen zulässig ist, also „nicht mit [der Schwangerschaft] in Zusammenhang stehenden“ Fällen. Allerdings erfüllen meiner Ansicht nach Kündigungen im Zusammenhang mit einer Massenentlassung nicht unbedingt in jedem Fall die erste Voraussetzung der Ausnahme in Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie, dass es sich um „Ausnahmefälle“ handeln muss, und zwar aus folgenden Gründen.

65.      Erstens enthält die Bestimmung des Begriffs der Massenentlassungen in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie über Massenentlassungen keinen mit dem Wort „Ausnahmefälle“ vergleichbaren Begriff. Diese Vorschrift ist eine Begriffsbestimmung und keine Ausnahme. Daraus folgt, dass Erstere zu Recht weit ausgelegt werden kann, während Letztere eng auszulegen ist.

66.      Zweitens passen die Struktur und der Wortlaut der Bestimmung des Begriffs der Massenentlassungen nicht zu „Ausnahmefällen“. Vielmehr beschreibt der Begriff Situationen, die leider mit einer gewissen Regelmäßigkeit immer wieder auftreten. Aus diesem Grund ist die Begriffsbestimmung für solche Entlassungen weit gefasst, und es gibt je nach der Zahl der Beschäftigten des betroffenen Unternehmens drei unterschiedliche Schwellen für Entlassungen, die innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen erfolgen, sowie eine weitere Schwelle für Entlassungen innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen. Diese sorgfältige Abstufung als solche deutet schon darauf hin, dass Massenentlassungen oft genug stattfinden, um ihre Einteilung nach Zeitraum, Unternehmensgröße und Zahl der Entlassungen in dem relevanten Zeitraum sinnvoll erscheinen zu lassen.

67.      Drittens zeigen auch der Ursprung und die Geschichte der Richtlinie über Massenentlassungen, dass Massenentlassungen keine „Ausnahmefälle“ sind. Der Vorschlag für eine Richtlinie der Kommission wurde dem Rat schon im Jahr 1972 vorgelegt(59). Die Kommission betonte darin, dass die Unterschiede zwischen den Regelungen über Massenentlassungen in den Mitgliedstaaten sich unmittelbar auf den Binnenmarkt auswirkten. Diese Unterschiede führten zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen, die die Entscheidungen von – insbesondere multinationalen – Unternehmen über die Verteilung von zu besetzenden Stellen beeinflussten. Sie hätten folglich einen negativen Einfluss auf eine ausgewogene und regionale Entwicklung und verhinderten die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmern(60). Die Richtlinie 75/129, Vorgängerin der Richtlinie über Massenentlassungen, wurde Anfang 1975 verabschiedet. In der sorgfältigen Abstufung der Fälle, in denen eine in ihren Anwendungsbereich fallende Massenentlassung vorliegt, weist diese Richtlinie eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der gegenwärtigen Rechtslage auf(61).

68.      Damit ist klar, dass die Richtlinie über Massenentlassungen Situationen regeln sollte, die oft genug auftreten, um das Funktionieren des Binnenmarkts zu beeinträchtigen, und die sich offenkundig auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmern auswirken.

69.      Natürlich kann es Fälle geben, in denen eine konkrete Massenentlassung zu Recht als „Ausnahmefall“ im Sinne von Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie angesehen werden kann, z. B. wenn das Unternehmen seinen Betrieb einstellt oder einen kompletten Unternehmensbereich schließt. Die Richtlinie über Massenentlassungen ihrerseits trifft auch besondere Regelungen für Entlassungen wegen der Einstellung der Tätigkeit des Betriebs, die aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung erfolgt; in diesem Fall finden die Wartezeiten nach Art. 4 keine Anwendung(62). Diese Vorschrift zeigt, dass im Kontext dieser Richtlinie durchaus Situationen auftreten können, die tatsächlich als Ausnahmefälle anzusehen sind. Das bedeutet meiner Ansicht nach aber nicht, dass jede Massenentlassung einen „Ausnahmefall“ im Sinne der Ausnahme vom Kündigungsverbot in Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie darstellt(63).

70.      Daher komme ich zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen, unter denen gemäß Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmer zulässig ist, insbesondere der Tatbestand der „nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind“, nicht dahin auszulegen ist, dass er dem Ausdruck „aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen“ in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie über Massenentlassungen genau entspricht. Eine konkrete Situation, die zu einer Massenentlassung führt, kann aufgrund der Umstände als ein „Ausnahmefall“ im Sinne der erstgenannten Vorschrift anzusehen sein. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob solche Umstände vorliegen.

 Zweite Frage

71.      Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob nach Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie im Fall einer Massenentlassung nur dann von einem „Ausnahmefall“ ausgegangen werden kann, in dem die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin ausnahmsweise zulässig ist, wenn nicht die Möglichkeit besteht, die Arbeitnehmerin auf einer anderen Stelle weiterzubeschäftigen. Diese Frage hängt mit der ersten Frage insoweit zusammen, als sie die Bedeutung des Begriffs „Ausnahmefälle“ im Sinne von Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie betrifft.

72.      Aus der vorstehenden Würdigung des Begriffs „Ausnahmefälle“ im Sinne von Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie und der Bestimmung des Begriffs der Massenentlassungen(64) ergibt sich, dass die Rechtmäßigkeit der Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin mehr voraussetzt als die Angabe der Gründe, die sich im Fall einer Massenentlassung (oder sogar außerhalb einer solchen) auf ihre Stelle beziehen. Es darf keine plausible Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung der schwangeren Arbeitnehmerin auf einer anderen geeigneten Stelle bestehen. Fallen in einem Unternehmen beispielsweise alle Sekretariatsstellen bis auf eine weg und ist diese eine Stelle besetzt, so könnte vom Arbeitgeber vernünftigerweise erwartet werden, die schwangere Arbeitnehmerin als Verwaltungsassistentin weiterzubeschäftigen, nicht aber als Fahrerin oder Schweißerin. Oder ein kompletter Unternehmensbereich wird geschlossen, und ihre Fähigkeiten werden deshalb nicht mehr benötigt(65).

73.      Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme vom Kündigungsverbot nicht anwendbar ist, wenn eine plausible Möglichkeit besteht, eine schwangere Arbeitnehmerin im Zusammenhang mit einer Massenentlassung auf einer anderen geeigneten Stelle weiterzubeschäftigen. Dies zu klären, ist Sache des nationalen Gerichts.

 Fragen 3, 4 und 5

74.      So wie das vorlegende Gericht die Fragen 3, 4 und 5 formuliert hat, scheint es den Gerichtshof um eine Entscheidung darüber zu ersuchen, ob einzelne nationale Bestimmungen mit dem Unionsrecht vereinbar sind.

75.      Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV nicht über die Vereinbarkeit innerstaatlicher Rechtsnormen mit dem Unionsrecht entscheiden(66). Der Gerichtshof ist jedoch befugt, dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen, über die Frage der Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht zu entscheiden(67). Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren(68). Das werde ich also tun.

 Dritte Frage

76.      Mit der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob Art. 10 der Mutterschaftsrichtlinie von den Mitgliedstaaten verlangt, schwangere Arbeitnehmerinnen sowohl vor einer rechtswidrigen Kündigung als solcher zu schützen (präventiver Schutz) als auch vor deren Auswirkungen (Schutz durch Wiedergutmachung).

77.      Das vorlegende Gericht führt aus, das spanische Recht sehe für schwangere Arbeitnehmerinnen nur Schutz durch Wiedergutmachung vor. Dagegen regele Art. 10 Nr. 1 einen präventiven Schutz, während Art. 10 Nr. 3 Schutz durch Wiedergutmachung umfasse.

78.      Bankia, Spanien und die Kommission sind der Ansicht, das spanische Recht stehe in Einklang mit der Mutterschaftsrichtlinie.

79.      Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass es „den Mitgliedstaaten im Rahmen der Anwendung des Art. 10 der [Mutterschaftsrichtlinie] nicht möglich [ist], die Bedeutung des Begriffs ‚Kündigung‘ zu ändern und so dem durch diese Bestimmung gewährten Schutz seine Tragweite zu nehmen und die praktische Wirksamkeit der Bestimmung zu gefährden“(69). Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten den in der Mutterschaftsrichtlinie vorgesehenen Kündigungsschutz ordnungsgemäß in nationales Recht umsetzen müssen.

80.      Genügt es den Anforderungen sowohl von Art. 10 Nr. 1 als auch von Art. 10 Nr. 3 der Mutterschaftsrichtlinie, wenn das nationale Recht einen Schutz vor den Auswirkungen einer rechtswidrigen Kündigung (Schutz durch Wiedergutmachung) vorsieht, aber keinen gesonderten spezifischen Schutz vor der rechtswidrigen Kündigung als solcher (präventiven Schutz)?

81.      Meiner Ansicht nach sprechen sowohl der Zweck als auch der Wortlaut der Mutterschaftsrichtlinie dafür, diese Frage zu verneinen.

82.      Der Zweck der Richtlinie ist, die Sicherheit und Gesundheit schwangerer Arbeitnehmerinnen zu schützen. Eine Entlassung kann sich schädlich auf ihre physische und psychische Verfassung auswirken(70). Der Wortlaut des 15. Erwägungsgrundes, die Überschrift von Art. 10 („Kündigungsverbot“) und der Wortlaut von Art. 10 Nr. 1, der die Mitgliedstaaten unmissverständlich dazu auffordert, „die erforderlichen Maßnahmen [zu treffen], um die Kündigung [von schwangeren Arbeitnehmerinnen] zu verbieten“, zeigen außerdem klar, dass vorrangiges Ziel des Unionsgesetzgebers bei der Abfassung dieses Artikels der Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen vor Kündigung war. Wenn aber trotz dieses Verbots ein Fall eintritt, in dem einer schwangeren Arbeitnehmerin (rechtswidrig) gekündigt wurde, verlangt Art. 10 Nr. 3 von dem Mitgliedstaat, die Arbeitnehmerin „vor den Folgen einer nach [Art. 10] Nummer 1 widerrechtlichen Kündigung zu schützen“.

83.      Richtig ist, dass im fraglichen Erwägungsgrund (seltsamerweise) nur von der sich in dieser Weise schädlich auswirkenden „Gefahr, aus Gründen entlassen zu werden, die mit ihrem Zustand in Verbindung stehen“, die Rede ist. Allerdings ist es die Gefahr der Entlassung selbst, die solche Auswirkungen verursachen kann. Entlassung, Unterbrechung der Laufbahn und Arbeitslosigkeit versetzen die schwangere Arbeitnehmerin in eine von Enttäuschung, Stress und Unsicherheit geprägte Lage. Diese Emotionen können sich schädlich auf ihre physische und psychische Verfassung auswirken, einschließlich des vom Gerichtshof so bezeichneten „besonders schwerwiegenden Risikos“, dass sie zum freiwilligen Abbruch ihrer Schwangerschaft veranlasst wird(71).

84.      Eine mögliche nachträgliche Wiedergutmachung, die erst nach einem Rechtsstreit erlangt wird, wie die Anordnung, die Arbeitnehmerin auf ihrer Stelle weiterzubeschäftigen, die Zahlung rückständiger Gehälter und/oder von Schadensersatz können zweifellos helfen, die Auswirkungen einer rechtswidrigen Kündigung abzumildern. Es ist indes höchst unwahrscheinlich, dass sie die bereits durch die rechtswidrige Kündigung verursachten schädlichen physischen und psychischen Auswirkungen vollkommen ungeschehen machen kann.

85.      An dieser Stelle möchte ich in Erinnerung rufen, dass der Gerichtshof das eigentliche Kündigungsverbot weit ausgelegt hat. Im Urteil Paquay hat der Gerichtshof festgestellt: „Angesichts der mit der [Mutterschaftsrichtlinie] und insbesondere mit ihrem Art. 10 verfolgten Ziele ist festzustellen, dass das Verbot der Kündigung von Schwangeren, Wöchnerinnen und stillenden Frauen während der Schutzzeit nicht auf die Mitteilung der Kündigungsentscheidung beschränkt ist. Der Schutz, der den genannten Arbeitnehmerinnen durch diese Bestimmung gewährt wird, schließt sowohl aus, dass eine Kündigungsentscheidung getroffen wird, als auch, dass Vorbereitungen für eine Kündigung getroffen werden wie etwa die Suche und Planung eines endgültigen Ersatzes für die betroffene Angestellte aufgrund der Schwangerschaft und/oder der Geburt eines Kindes.“(72) Aus diesem Urteil ergibt sich, dass nur ein weit ausgelegtes Kündigungsverbot den Anforderungen von Art. 10 Nr. 1 genügt.

86.      Daher umfasst Art. 10 meiner Ansicht nach zwei unterschiedliche Anforderungen, eine präventive (Art. 10 Nr. 1) und eine auf Wiedergutmachung gerichtete (Art. 10 Nr. 3). Wenn die nationalen Bestimmungen nur das Wiedergutmachungselement aufgreifen, gleich wie effektiv sie dies tun mögen, so erfüllen sie nicht die Verpflichtung, als vorrangigen Schutz vorbehaltlich der in Art. 10 Nr. 1 erwähnten „Ausnahmefälle“ ein Verbot der Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen vorzusehen.

87.      Ich möchte lediglich hinzufügen, dass die einschlägigen spanischen Rechtsvorschriften offenbar vorsehen, dass eine rechtswidrige Kündigung „kraft Gesetzes unwirksam“ ist(73). Welche Auswirkungen sich daraus genau ergeben, ist eine Frage des nationalen Rechts und vom nationalen Gericht zu entscheiden. Allerdings scheint sich aus der Darstellung des vorlegenden Gerichts zur Funktionsweise des nationalen Rechts und aus der Art, wie die dritte Vorlagefrage formuliert worden ist, zu ergeben, dass es sich hierbei um einen Schutz durch Wiedergutmachung statt um einen präventiven Schutz handelt. Falls das zutrifft, genügt das nationale Recht möglicherweise den sich aus Art. 10 Nr. 3, aber wohl nicht den sich aus Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie ergebenden Anforderungen.

88.      Ich komme daher zu dem Schluss, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 10 der Mutterschaftsrichtlinie verpflichtet sind, sowohl einen Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen vor der Kündigung als solcher vorzusehen (um die Verpflichtung aus Art. 10 Nr. 1 zu erfüllen) als auch einen Schutz vor den Folgen einer gemäß Art. 10 Nr. 1 verbotenen, aber trotzdem ausgesprochenen Kündigung (um die Verpflichtung aus Art. 10 Nr. 3 zu erfüllen).

 Vierte Frage

89.      Mit der vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie von den Mitgliedstaaten verlangt, durch Rechtsvorschriften zu gewährleisten, dass schwangere Arbeitnehmerinnen im Fall einer Massenentlassung vorrangig in dem Unternehmen, in dem sie beschäftigt sind, weiterbeschäftigt werden.

90.      Bankia, Spanien und die Kommission verneinen diese Frage.

91.      Diese Frage betrifft die Möglichkeit der „Weiterbeschäftigung im Unternehmen“, während die zweite Frage die „Weiterbeschäftigung auf einer anderen Stelle“ betraf. Diese beiden Ausdrücke sind nicht synonym zu verstehen. Wird die Stelle, die die schwangere Arbeitnehmerin aktuell bekleidet, abgebaut, so kann sie nur dann auf einer anderen Stelle weiterbeschäftigt werden, wenn eine solche frei ist (oder durch die Versetzung eines anderen Arbeitnehmers auf eine weitere Stelle frei gemacht werden kann). „Weiterbeschäftigung im Unternehmen“ bedeutet, dass die schwangere Arbeitnehmerin wie auch immer weiterhin beschäftigt sein wird. Das lässt sich erreichen, indem sie auf einer anderen freien Stelle weiterbeschäftigt wird; sie kann auch auf einer anderen Stelle weiterbeschäftigt werden, deren bisheriger Inhaber dann entlassen wird; oder man kann sie auf derselben Stelle weiterbeschäftigen und stattdessen eine andere Stelle abbauen und den betreffenden Arbeitnehmer entlassen. Eine Pflicht zur „Weiterbeschäftigung im Unternehmen“ bietet der schwangeren Arbeitnehmerin daher einen besseren Schutz als eine Pflicht des Arbeitgebers, sich lediglich um eine „Weiterbeschäftigung auf einer anderen Stelle“ zu bemühen. Das vorlegende Gericht fragt, ob die Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften erlassen müssen, um schwangeren Arbeitnehmerinnen im Fall einer Massenentlassung „Vorrang“ vor anderen Gruppen von Arbeitnehmern einzuräumen. Es fragt nicht, ob es eine absolute Weiterbeschäftigungspflicht gibt, und angesichts der in Art. 10 Nr. 1 erwähnten „Ausnahmefälle“ sei sogleich gesagt, dass eine solche absolute Pflicht durch die Mutterschaftsrichtlinie eindeutig nicht begründet wird.

92.      Mein Ausgangspunkt bei der Beantwortung dieser Frage sind der Schutzzweck der Mutterschaftsrichtlinie, das Kündigungsverbot in Art. 10 Nr. 1 und die darin vorgesehene eingeschränkte Möglichkeit, hiervon abzuweichen, die die Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen nur in „Ausnahmefällen“ erlaubt. Geht man davon aus, dass diese Elemente richtig in das nationale Recht umgesetzt worden sind, so sollten die entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften in der Tat im Regelfall gewährleisten, dass eine schwangere Arbeitnehmerin im Fall einer Massenentlassung weiterbeschäftigt wird.

93.      Wenn das nationale Recht – in den Regelungen über Massenentlassungen – tatsächlich ausdrücklich eine vorrangige Weiterbeschäftigung bestimmter anderer Gruppen von Arbeitnehmern vorsieht (wie von Arbeitnehmern mit familiären Pflichten oder Behinderungen), besteht andernfalls die Gefahr, dass sowohl der Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmervertreter die Anforderungen des „gewöhnlichen“ nationalen Rechts, das schwangere Arbeitnehmerinnen außer in Ausnahmefällen vor einer Kündigung schützt, unabsichtlich übersehen könnten. Tun sie dies und wird eine schwangere Arbeitnehmerin deshalb unter Berücksichtigung der allgemeinen, für alle Arbeitnehmer des von der Massenentlassung betroffenen Unternehmens vereinbarten Kriterien entlassen, so ist die Kündigung dieser Arbeitnehmerin rechtswidrig.

94.      Dies vorausgeschickt gibt es keine einzelne Vorschrift in der Mutterschaftsrichtlinie, die eine Verpflichtung des Mitgliedstaats begründet, konkrete einzelne Bestimmungen vorzusehen, die schwangeren Arbeitnehmerinnen im Fall einer Massenentlassung „Vorrang für die Weiterbeschäftigung im Unternehmen“ einräumen. Eine derartige Verpflichtung findet sich (wenig überraschend) auch nicht in der Richtlinie über Massenentlassungen.

95.      An dieser Stelle weise ich darauf hin, dass sich der Gerichtshof in der Rechtssache Jiménez Melgar, in der es um die Nichterneuerung eines befristeten Arbeitsvertrags einer schwangeren Arbeitnehmerin ging, mit einer ähnlichen Frage zu befassen hatte(74). Eine der in diesem Fall aufgeworfenen Fragen war, ob „mit der Zulassung von Ausnahmen vom Verbot der Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen … in ‚nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle[n], die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind‘, Art. 10 Nr. 1 der [Mutterschaftsrichtlinie] die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Gründe für eine Kündigung dieser Arbeitnehmerinnen im Einzelnen aufzuführen“. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass Art. 10 Nr. 1 die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, die Gründe im Einzelnen aufzuführen, aus denen diese Arbeitnehmerinnen entlassen werden dürfen, dass aber die Richtlinie, die Mindestvorschriften enthält, keineswegs die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten ausschließt, den betreffenden Arbeitnehmerinnen einen weiter gehenden Schutz zu gewähren, indem sie die Gründe für ihre Kündigung besonders regeln, wenn sie das möchten(75).

96.      Wendet man diese Argumentation auf den vorliegenden Fall an, so verlangt Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie von den Mitgliedstaaten nicht, besondere Regelungen dafür vorzusehen, dass schwangere Arbeitnehmerinnen im Fall einer Massenentlassung vorrangig im Unternehmen weiterzubeschäftigen sind. Den Mitgliedstaaten steht es jedoch frei, im Interesse der Rechtssicherheit oder zur Gewährleistung eines weiter gehenden Schutzes solche Regelungen vorzusehen, wenn sie es wünschen.

 Fünfte Frage

97.      Mit der fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Kündigungsschreiben wie das im vorliegenden Fall, mit dem einer schwangeren Arbeitnehmerin im Zusammenhang mit einem Massenentlassungsverfahren gekündigt wird, den Anforderungen von Art. 10 Nr. 2 der Mutterschaftsrichtlinie genügt, obwohl über die Gründe für die Massenentlassung hinaus keine besonderen Gründe für die Kündigung angegeben werden.

98.      Spanien und die Kommission bejahen diese Frage. Bankia trägt vor, es sei ausreichend, der Arbeitnehmerin schriftlich die Gründe für ihre Kündigung mitzuteilen.

99.      Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie über Massenentlassungen sieht vor, dass der zuständigen Behörde angekündigte beabsichtigte Massenentlassungen frühestens 30 Tage nach Eingang der Ankündigung bei der Behörde wirksam werden und dass die im Fall der Einzelkündigung für die Kündigungsfrist geltenden Bestimmungen unberührt bleiben.

100. Art. 10 Nr. 2 der Mutterschaftsrichtlinie ist eine solche Bestimmung über eine Einzelkündigung bei schwangeren Arbeitnehmerinnen. Damit sie wirksam ist, muss die Kündigung einer solchen Arbeitnehmerin i) schriftlich erfolgen und ii) berechtigte Kündigungsgründe anführen. Die fünfte Vorlagefrage betrifft das zweite Element.

101. Meines Erachtens bedeutet der Ausdruck „berechtigte Gründe“ erstens, dass das Kündigungsschreiben die Gründe für die Kündigung nennen muss, und zweitens, dass diese Gründe den Anforderungen der Mutterschaftsrichtlinie entsprechen müssen.

102. Die fraglichen Anforderungen der Mutterschaftsrichtlinie ergeben sich aus der Ausnahme vom Kündigungsverbot in Art. 10 Nr. 1. Das Kündigungsschreiben muss daher die Tatsachen und Gründe angeben, aufgrund deren der Arbeitgeber die zu entlassende schwangere Arbeitnehmerin in die Kategorie „nicht mit [der Schwangerschaft] in Zusammenhang stehende Ausnahmefälle“, in denen die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin zulässig ist, einordnet.

103. Im Zusammenhang mit einer Massenentlassung reicht daher ein Kündigungsschreiben nicht aus, in dem lediglich die allgemeinen Gründe für die Entlassungen und die Auswahlkriterien angegeben werden, nicht aber dargelegt wird, warum die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin angesichts der besonderen Umstände der fraglichen Massenentlassung, die sie zu einem „Ausnahmefall“ machen, zulässig ist.

104. Was gilt, wenn der Arbeitgeber von der Schwangerschaft der fraglichen Arbeitnehmerin erst erfährt, nachdem er ihr bereits angekündigt hat, dass sie entlassen werden soll? Meiner Ansicht nach muss der Arbeitgeber, sobald er von diesem Umstand Kenntnis hat, die Kündigung nochmals im Licht des in Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie vorgesehenen Kündigungsverbots, wie es in das nationale Recht umgesetzt ist, überprüfen. Nur wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass die fragliche Massenentlassung in die Kategorie der in Art. 10 Nr. 1 genannten „Ausnahmefälle“ gehört, kann der Arbeitgeber die Kündigung aufrechterhalten. In diesem Fall ist erforderlich, dass er ein neues Kündigungsschreiben zustellt, dass den Vorgaben von Art. 10 Nr. 2 der Mutterschaftsrichtlinie entspricht.

105. Daraus folgt, dass ein Kündigungsschreiben die Anforderungen von Art. 10 Nr. 2 der Mutterschaftsrichtlinie erfüllt, wenn es schriftlich berechtigte Kündigungsgründe angibt, die sich auf die nicht mit der Schwangerschaft in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle beziehen, in denen die Kündigung zulässig ist. Dies zu klären, ist Sache des nationalen Gerichts.

 Ergebnis

106. Angesichts der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Tribunal Superior de Justicia de Cataluña (Oberstes Gericht von Katalonien, Spanien) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

–        Die Voraussetzungen, unter denen gemäß Art. 10 Nr. 1 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin möglich ist, entsprechen nicht genau dem Ausdruck „aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen“ in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen. Eine konkrete Situation, die zu einer Massenentlassung führt, kann aufgrund der Umstände als ein „Ausnahmefall“ im Sinne der erstgenannten Vorschrift anzusehen sein. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob solche Umstände vorliegen.

–        Art. 10 Nr. 1 der Richtlinie 92/85 ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme vom Kündigungsverbot nicht anwendbar ist, wenn eine plausible Möglichkeit besteht, eine schwangere Arbeitnehmerin im Zusammenhang mit einer Massenentlassung auf einer anderen geeigneten Stelle weiterzubeschäftigen. Dies zu klären, ist Sache des nationalen Gerichts.

–        Nach Art. 10 der Richtlinie 92/85 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, sowohl einen Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen vor der Kündigung als solcher vorzusehen (um die Verpflichtung in Art. 10 Nr. 1 zu erfüllen) als auch einen Schutz vor den Folgen einer gemäß Art. 10 Nr. 1 verbotenen, aber trotzdem ausgesprochenen Kündigung (um die Verpflichtung in Art. 10 Nr. 3 zu erfüllen).

–        Art. 10 Nr. 1 der Richtlinie 92/85 verlangt von den Mitgliedstaaten nicht, besondere Regelungen dafür vorzusehen, dass schwangere Arbeitnehmerinnen im Fall einer Massenentlassung vorrangig im Unternehmen weiterzubeschäftigen sind. Den Mitgliedstaaten steht es jedoch frei, im Interesse der Rechtssicherheit oder zur Gewährleistung eines weiter gehenden Schutzes solche Regelungen vorzusehen, wenn sie es wünschen.

–        Ein Kündigungsschreiben erfüllt die Anforderungen von Art. 10 Nr. 2 der Richtlinie 92/85, wenn es schriftlich berechtigte Kündigungsgründe angibt, die sich auf nicht mit der Schwangerschaft in Zusammenhang stehende Ausnahmefälle beziehen, in denen die Kündigung zulässig ist. Dies zu klären, ist Sache des nationalen Gerichts.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1998, L 225, S. 16) (im Folgenden: Richtlinie über Massenentlassungen).


3      Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. 1992, L 348, S. 1) (im Folgenden: Mutterschaftsrichtlinie). Zum relevanten Zeitpunkt galt diese Richtlinie in der durch die Richtlinie 2007/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 (ABl. 2007, L 165, S. 21) geänderten Fassung.


4      Richtlinie des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. 1989, L 183, S. 1). Mit dieser Richtlinie wurde ein allgemeiner Rahmen für Rechtsvorschriften über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer geschaffen. Andere Einzelrichtlinien betreffen Themen wie z. B. Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten, die Benutzung von Arbeitsmitteln, die Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen, die manuelle Handhabung von Lasten oder Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene, Asbest, ionisierende Strahlung, Lärm oder Vibrationen. Eine weitere geschützte Gruppe sind die jungen Arbeitnehmer (Richtlinie 94/33/EG des Rates vom 22. Juni 1994 über den Jugendarbeitsschutz, ABl. 1994, L 216, S. 12).


5      Vgl. Erwägungsgründe 1, 7 und 8 sowie Art. 1 Abs. 1 der Mutterschaftsrichtlinie.


6      Neunter Erwägungsgrund.


7      15. Erwägungsgrund.


8      Art. 3 Abs. 1. Wie in diesem Artikel vorgesehen, hat die Kommission die Mitteilung der Kommission über die Leitlinien für die Beurteilung der chemischen, physikalischen und biologischen Agenzien sowie der industriellen Verfahren, die als Gefahrenquelle für Gesundheit und Sicherheit von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz gelten (KOM[2000] 466 endg./2) erlassen.


9      Art. 4.


10      Art. 5.


11      Zweiter Erwägungsgrund.


12      Erwägungsgründe 3, 4 und 6.


13      Es ist unstreitig, dass Frau Porras Guisado unter die Richtlinie über Massenentlassungen fällt, da keine der in Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie aufgezählten Ausnahmen auf sie zutrifft.


14      Art. 2 Abs. 1 und 3.


15      Art. 3 Abs. 1.


16      Art. 3 Abs. 2.


17      Art. 4 Abs. 1.


18      Art. 4 Abs. 4.


19      Das vorlegende Gericht merkt in den Vorlagefragen (siehe unten, Nr. 21) an, dass die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung kraft Gesetzes im spanischen Recht als „tutela reparativa“ („Schutz durch Wiedergutmachung“) bezeichnet wird, dem die „tutela preventiva“ („präventiver Schutz“) gegenübersteht. Das Gericht setzt Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie mit der „tutela preventiva“ gleich und Art. 10 Nr. 3 mit der „tutela reparativa“.


20      Siehe ferner unten, Nr. 27 und Fn. 24.


21      Obwohl das vorlegende Gericht andeutet, dass nach nationalem Recht der Ausdruck „Personen mit familiären Pflichten“ auch schwangere Arbeitnehmerinnen erfassen könnte, wurde ihnen in der unten in Nr. 16 beschriebenen, im vorliegenden Fall geschlossenen Vereinbarung des Verhandlungsgremiums kein Vorrang eingeräumt.


22      In der Vereinbarung des Verhandlungsgremiums war dieses Datum als der Tag festgelegt worden, zu dem die Massenentlassung wirksam werden sollte.


23      Urteil vom 14. Januar 1982, Reina (65/81, EU:C:1982:6, Rn. 7). Vgl. auch Urteil vom 13. Juni 2013, Promociones y Construcciones BJ 200 (C‑125/12, EU:C:2013:392, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof ist daher an die von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Vorlageentscheidung gebunden, solange sie nicht aufgrund eines im nationalen Recht eventuell vorgesehenen Rechtsbehelfs aufgehoben worden ist: vgl. Urteil vom 1. Dezember 2005, Burtscher (C‑213/04, EU:C:2005:731, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).


24      Wenn zutrifft, dass Bankia zum fraglichen Zeitpunkt der Zustand von Frau Porras Guisado nicht bekannt war (und diese folglich auch nicht wegen der Schwangerschaft entlassen worden sein kann), scheinen die Bestimmungen der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) (ABl. 2006, L 204, S. 23) und die oben in Nr. 13 beschriebenen nationalen Rechtsvorschriften tatsächlich für den Fall vor dem nationalen Gericht nicht relevant zu sein.


25      Urteil vom 11. November 2010, Danosa (C‑232/09, EU:C:2010:674, Rn. 34).


26      Man könnte meinen, dass eine Begriffsbestimmung, die mit „schwangere Arbeitnehmerin ist eine schwangere Arbeitnehmerin“ beginnt, an eine Tautologie grenzt. Eine wohlwollendere Erklärung dafür ist, dass der Verfasser des Entwurfs auf die Verpflichtung der Arbeitnehmerin abgestellt hat, den Arbeitgeber „gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten“ von ihrem Zustand zu unterrichten.


27      Urteil vom 11. November 2010, Danosa (C‑232/09, EU:C:2010:674, Rn. 53).


28      Urteil vom 11. November 2010, Danosa (C‑232/09, EU:C:2010:674, Rn. 55).


29      Vgl. Urteil vom 11. November 2010, Danosa (C‑232/09, EU:C:2010:674, Rn. 53).


30      Urteil vom 11. November 2010, Danosa (C‑232/09, EU:C:2010:674, Rn. 60). Vgl. auch Urteile vom 11. Oktober 2007, Paquay (C‑460/06, EU:C:2007:601, Rn. 30), vom 8. September 2005, McKenna (C‑191/03, EU:C:2005:513, Rn. 48), vom 4. Oktober 2001, Tele Danmark (C‑109/00, EU:C:2001:513, Rn. 26), vom 30. Juni 1998, Brown (C‑394/96, EU:C:1998:331, Rn. 18), und vom 14. Juli 1994, Webb (C‑32/93, EU:C:1994:300, Rn. 21).


31      Urteil vom 11. November 2010, Danosa (C‑232/09, EU:C:2010:674, Rn. 61). Vgl. auch Urteile vom 11. Oktober 2007, Paquay (C‑460/06, EU:C:2007:601, Rn. 31), vom 4. Oktober 2001, Tele Danmark (C‑109/00, EU:C:2001:513, Rn. 27), vom 30. Juni 1998, Brown (C‑394/96, EU:C:1998:331, Rn. 18), und vom 14. Juli 1994, Webb (C‑32/93, EU:C:1994:300, Rn. 22).


32      Vgl. Urteil vom 14. Juli 1994, Webb (C‑32/93, EU:C:1994:300, Rn. 4), und vom 4. Oktober 2001, Tele Danmark (C‑109/00, EU:C:2001:513, Rn. 12).


33      Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. 1976, L 39, S. 40).


34      Vgl. Urteil vom 4. Oktober 2001, Tele Danmark (C‑109/00, EU:C:2001:513, Rn. 34).


35      Urteil vom 11. November 2010, Danosa (C‑232/09, EU:C:2010:674, Rn. 31 bis 37).


36      Urteil vom 29. Oktober 2009, Pontin (C‑63/08, EU:C:2009:666).


37      Urteil vom 29. Oktober 2009, Pontin (C‑63/08, EU:C:2009:666, Rn. 21 und 22).


38      In der Rechtssache Pontin (Urteil vom 29. Oktober 2009, C‑63/08, EU:C:2009:666) hatte die Arbeitnehmerin ihren Arbeitgeber bereits am Tag nach Erhalt des Kündigungsschreibens von ihrem Zustand unterrichtet (siehe oben, Nr. 40).


39      Falls sie sich zum Zeitpunkt der Entlassung in Mutterschaftsurlaub befindet, wird der Arbeitgeber wohl kaum glaubhaft bestreiten können, von ihrem Zustand gewusst zu haben.


40      Siehe oben, Nr.12.


41      Sozialpolitisches Aktionsprogramm, KOM(73) 1600 vom 24. Oktober 1973. Vgl. insbesondere S. 15, 19, 20 und 23.


42      Entschließung des Rates vom 21. Januar 1974 über ein sozialpolitisches Aktionsprogramm (ABl. 1974, C 13, S. 1).


43      Richtlinie 75/129/EWG des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1975, L 48, S. 29).


44      Richtlinie 75/117 des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. 1975, L 45, S. 19).


45      Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. 1976, L 39, S. 40). Sowohl die Richtlinie 75/117 als auch die Richtlinie 76/207 wurden durch die Richtlinie 2006/54 aufgehoben. Eine Übersicht über die einschlägige Rechtsprechung zum damaligen Zeitpunkt findet sich in den Schlussanträgen des Generalanwalts Ruiz‑Jarabo Colomer in der Rechtssache Boyle u. a. (C‑411/96, EU:C:1998:74, Nr. 26).


46      Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, angenommen im Europäischen Rat von Straßburg am 9. Dezember 1989 von den Staats- und Regierungschefs von elf Mitgliedstaaten. Vgl. fünfter Erwägungsgrund der Mutterschaftsrichtlinie und sechster Erwägungsgrund der Richtlinie über Massenentlassungen.


47      Vgl. Punkte 16, 17 und 18 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer.


48      Vgl. achter Erwägungsgrund und Art. 1 der Mutterschaftsrichtlinie.


49      Vgl. zweiter Erwägungsgrund der Richtlinie über Massenentlassungen.


50      Vgl. Art. 1 und Erwägungsründe 1, 7, 8 und 9 der Mutterschaftsrichtlinie.


51      Vgl. 15. Erwägungsgrund der Mutterschaftsrichtlinie sowie oben Nr. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung.


52      Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano in der Rechtssache Jiménez Melgar (C‑438/99, EU:C:2001:316, Nr. 38).


53      Urteile vom 10. November 2016, Baštová (C‑432/15, EU:C:2016:855, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 29. März 2012, Kommission/Polen (C‑185/10, EU:C:2012:181, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).


54      Zur zweiten Voraussetzung hat der Gerichtshof festgestellt, dass bei der Zulassung von Ausnahmen vom Verbot der Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen in „nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle[n], die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind“, die Mitgliedstaaten nach Art. 10 Nr. 1 der Mutterschaftsrichtlinie nicht verpflichtet sind, die Gründe für eine Kündigung dieser Arbeitnehmerinnen im Einzelnen aufzuführen. Vgl. Urteil vom 4. Oktober 2001, Jiménez Melgar (C‑438/99, EU:C:2001:509, Rn. 38).


55      Urteil vom 10. November 2016, Baštová (C‑432/15, EU:C:2016:855, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).


56      Urteil vom 12. Oktober 2004, Kommission/Portugal (C‑55/02, EU:C:2004:605, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).


57      Urteil vom 12. Oktober 2004, Kommission/Portugal (C‑55/02, EU:C:2004:605, Rn. 50). Ich möchte die Verwendung des Ausdrucks „jede vom Arbeitnehmer nicht gewollte … Beendigung des Arbeitsvertrags“ (Hervorhebung nur hier) betonen. So wie ich das Urteil verstehe, legt der Gerichtshof mit dieser Wortwahl den Begriff „Entlassung“ weit aus, wodurch der durch die Richtlinie über Massenentlassungen gewährleistete Schutz gestärkt wird.


58      Urteil vom 10. Dezember 2009, Rodríguez Mayor u. a. (C‑323/08, EU:C:2009:770, Rn. 34).


59      Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (von der Kommission dem Rat vorgelegt), KOM(72) 1400.


60      Vgl. zweiter Erwägungsgrund des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (von der Kommission dem Rat vorgelegt), KOM(72) 1400.


61      Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie über Massenentlassungen.


62      Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie über Massenentlassungen.


63      Hier stimme ich ausnahmsweise nicht mit der Auffassung meines geschätzten verschiedenen Kollegen, des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer, überein, die er in einem obiter dictum in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Tele Danmark (C‑109/00, EU:C:2001:267), einem Fall, in dem es nicht um eine Massenentlassung ging, zum Ausdruck gebracht hat. Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer vertrat dort (in Nr. 44) die Ansicht, „eine Massenentlassung aus wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder mit der Produktion des Unternehmens zusammenhängenden Gründen“ erfülle die Voraussetzung von „nicht [mit der Schwangerschaft] in Zusammenhang stehenden Ausnahmefällen“.


64      Siehe oben, Nrn. 58 und 64 bis 68.


65      Siehe oben, Nr. 69.


66      Vgl. u. a. Urteil vom 18. Mai 2017, Lahorgue (C‑99/16, EU:C:2017:391, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).


67      Urteil vom 10. Dezember 2009, Rodríguez Mayor u. a. (C‑323/08, EU:C:2009:770, Rn. 30).


68      Urteil vom 20. Oktober 2016, Danqua (C‑429/15, EU:C:2016:789, Rn. 36).


69      Urteil vom 11. Oktober 2007, Paquay (C‑460/06, EU:C:2007:601, Rn. 32).


70      Art. 1 und 15. Erwägungsgrund der Mutterschaftsrichtlinie.


71      Vgl. Urteil vom 11. November 2010, Danosa (C‑232/09, EU:C:2010:674, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof stellt dort ausführlich klar, dass diese Auswirkungen sich bereits aus der Gefahr der Kündigung als solcher ergeben können.


72      Urteil vom 11. Oktober 2007 (C‑460/06, EU:C:2007:601, Rn. 33).


73      Siehe oben, Nr. 12.


74      Urteil vom 4. Oktober 2001, Jiménez Melgar (C‑438/99, EU:C:2001:509). In diesem Fall hat der Gerichtshof (in Rn. 47) festgestellt, dass „zwar das Kündigungsverbot nach Artikel 10 der [Mutterschaftsrichtlinie] sowohl für unbefristete als auch für befristete Arbeitsverträge gilt, dass aber die Nichterneuerung eines solchen Vertrages zum Zeitpunkt seiner regulären Beendigung nicht als eine nach dieser Vorschrift verbotene Kündigung angesehen werden kann. Soweit jedoch die Nichterneuerung eines befristeten Arbeitsvertrags ihren Grund in der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin hat, stellt sie eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, die gegen die Artikel 2 Absatz 1 und 3 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 verstößt.“


75      Urteil vom 4. Oktober 2001, Jiménez Melgar (C‑438/99, EU:C:2001:509, Rn. 37 und 38).