Language of document : ECLI:EU:C:2017:566

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

19. Juli 2017(*)

„Vorabentscheidungsersuchen – Sozialpolitik – Richtlinie 2000/78/EG – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Art. 2 Abs. 1 – Art. 2 Abs. 2 Buchst. a – Art. 6 Abs. 1 – Diskriminierung wegen des Alters –Gelegenheitsarbeitsverträge, die mit Personen geschlossen werden können, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben – Automatische Beendigung des Arbeitsvertrags, sobald der Arbeitnehmer das 25. Lebensjahr vollendet“

In der Rechtssache C‑143/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Oberster Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 15. Dezember 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 9. März 2016, in dem Verfahren

Abercrombie & Fitch Italia Srl

gegen

Antonino Bordonaro

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev (Berichterstatter), C. G. Fernlund und S. Rodin,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Januar 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Abercrombie & Fitch Italia Srl, vertreten durch G. Di Garbo, G. Brocchieri, G. Iorio Fiorelli und E. Ceracchi, avvocati,

–        von Herrn Bordonaro, vertreten durch A. Guariso, avvocato,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. De Socio, avvocato dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und G. Gattinara als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. März 2017

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) sowie von Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Abercrombie & Fitch Italia Srl (im Folgenden: Abercrombie) und Herrn Antonino Bordonaro über die Beendigung seines Gelegenheitsarbeitsvertrags, die nur aus dem Grund erfolgte, weil er das das 25. Lebensjahr vollendet hatte.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Der Zweck der Richtlinie 2000/78 ist nach ihrem Art. 1 „die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“

4        In Art. 2 der Richtlinie heißt es:

„(1)      Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)      Im Sinne des Absatzes 1

a)      liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

…“

5        In Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„(1)      Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

a)      die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;

b)      die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile;

…“

 Italienisches Recht

6        In Art. 34 des Decreto legislativo n. 276/2003 – Attuazione delle deleghe in materia di occupazione e mercato del lavoro, di cui alla legge 14 febbraio 2003, n. 30 (gesetzesvertretende Verordnung Nr. 276 zur Durchführung der Ermächtigungen im Bereich Beschäftigung und Arbeitsmarkt gemäß Gesetz Nr. 30 vom 14. Februar 2003) vom 10. September 2003 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 235 vom 9. Oktober 2003, S. 5, im Folgenden: gesetzesvertretende Verordnung Nr. 276/2003) hieß es in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen Abercrombie und Herrn Bordonaro am 14. Dezember 2010 geltenden Fassung:

„1.      Der Gelegenheitsarbeitsvertrag kann für die Erbringung von unregelmäßigen oder gelegentlichen Leistungen nach Maßgabe der Erfordernisse, die in den von den im landesweiten oder regionalen Vergleich repräsentativsten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden geschlossenen Tarifverträgen genannt sind, oder für im Vorhinein festgelegte Zeiträume innerhalb der Woche, des Monats oder des Jahres im Sinne von Art. 37 geschlossen werden.

2.      Der Gelegenheitsarbeitsvertrag kann in jedem Fall über Leistungen geschlossen werden, die von Personen, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, oder von Arbeitnehmern, die das 45. Lebensjahr vollendet haben, einschließlich Rentnern bzw. Pensionären, erbracht werden.

…“

7        Art. 34 Abs. 2 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 276/2003 lautete in der zum Zeitpunkt der Entlassung von Herrn Bordonaro geltenden Fassung:

„Der Gelegenheitsarbeitsvertrag kann in jedem Fall mit Personen geschlossen werden, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, und mit Personen, die noch nicht das 24. Lebensjahr vollendet haben, wobei in diesem Fall die vertraglichen Leistungen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs erbracht sein müssen.“

8        Art. 34 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 276/2003 wurde durch das Decreto legislativo n. 81 (gesetzesvertretende Verordnung Nr. 81) vom 15. Juni 2015 (GURI Nr. 144 vom 24. Juni 2015 – Supplemento ordinario Nr. 34) aufgehoben. Seine Bestimmungen wurden jedoch im Wesentlichen in Art. 13 der letztgenannten Verordnung übernommen, der wie folgt lautet:

„1.      Der Gelegenheitsarbeitsvertrag ist der – auch befristete – Vertrag, durch den sich ein Arbeitnehmer zur Verfügung eines Arbeitgebers stellt, der die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers unregelmäßig oder gelegentlich nach Maßgabe der in den Tarifverträgen festgelegten Erfordernissen nutzen kann, wobei für die Erbringung der Arbeitsleistungen auch im Vorhinein bestimmte Zeiträume innerhalb der Woche, des Monats oder des Jahres festgelegt werden können. In Ermangelung eines Tarifvertrags werden die Fälle, in denen Gelegenheitsarbeit zulässig ist, durch Verordnung des Ministers für Arbeit und Sozialpolitik bestimmt.

2.      Der Gelegenheitsarbeitsvertrag kann in jedem Fall mit Personen geschlossen werden, die noch nicht das 24. Lebensjahr vollendet haben, sofern die Arbeitsleistungen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs erbracht werden, sowie mit Personen, die das 55. Lebensjahr vollendet haben.

3.      Mit Ausnahme der Sektoren Tourismus, öffentliche Lokale und Theater ist der Gelegenheitsarbeitsvertrag für jeden Arbeitnehmer mit ein und demselben Arbeitgeber jedenfalls für einen Zeitraum von insgesamt bis zu 400 effektiven Arbeitstagen innerhalb von drei Jahren zulässig. Wird dieser Zeitraum überschritten, wandelt sich das betreffende Arbeitsverhältnis in ein unbefristetes Vollzeit-Arbeitsverhältnis.

4.      In den Zeiträumen, in denen die Leistung nicht in Anspruch genommen wird, hat der Gelegenheitsarbeiter keinen Anspruch auf finanzielle Vergütung und andere Rechte aus dem Arbeitsverhältnis, es sei denn, er hat dem Arbeitgeber zugesichert, dass er ihm auf Anforderung zur Verfügung steht; in diesem Fall erhält er die Verfügbarkeitsentschädigung nach Art. 16.

5.      Die Bestimmungen dieses Abschnitts gelten nicht für die Arbeitsverhältnisse der im öffentlichen Dienst Beschäftigten.“

9        In Art. 38 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 276/2003 heißt es:

„1.      Unbeschadet der in den geltenden Rechtsvorschriften enthaltenen Verbote einer unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung darf dem Gelegenheitsarbeiter für die Zeiträume, in denen er arbeitet, keine in finanzieller und rechtlicher Hinsicht insgesamt weniger günstige Behandlung zuteilwerden als einem Arbeitnehmer gleicher Stellung bei gleicher Aufgabenerfüllung.

2.      Der Gelegenheitsarbeiter wird in finanzieller und rechtlicher Hinsicht sowie hinsichtlich sozialer Rechte proportional, im Verhältnis zur tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung behandelt, insbesondere was die Höhe der Gesamtvergütung und deren einzelnen Bestandteile sowie Urlaub und Vergütungen bei Erkrankung, Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten, Mutterschaft und Elternurlaub anbelangt.

…“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

10      Herr Bordonaro war vom 14. Dezember 2010 an bei Abercrombie aufgrund eines befristeten Arbeitsverhältnisses, das am 1. Januar 2012 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt wurde, zur Wahrnehmung der Aufgaben eines nächtlichen Lagerverwalters beschäftigt. Nach dem Vertrag hatte er gelegentlich auf entsprechendes Verlangen des Unternehmens „die Kundenbetreuung zu gewährleisten und als Kassierer zu arbeiten“.

11      Im Rahmen seiner Beschäftigung leistete Herr Bordonaro in den ersten Monaten zwischen vier und fünf Nachtschichten pro Woche, und ab dem Jahr 2011 wurde er drei- oder viermal pro Woche angefordert. Die Schichten wurden unter dem gesamten Personal nach einem zweimonatigen Terminplan aufgeteilt. Nachdem Herr Bordonaro festgestellt hatte, dass sein Name nicht mehr in dem Terminplan aufgeführt war, der auf den am 16. Juli 2012 endenden Terminplan folgte, und er keine erneute Aufforderung zur Arbeitsleistung erhalten hatte, wandte er sich an die Personalabteilung von Abercrombie. Mit E‑Mail vom 30. Juli 2012 teilte ihm deren Verantwortlicher mit, dass sein Arbeitsverhältnis mit Abercrombie am 26. Juli 2012, dem Tag seines 25. Geburtstags, geendet habe, da zu diesem Zeitpunkt „die Altersvoraussetzung nicht mehr erfüllt [gewesen sei]“.

12      Herr Bordonaro erhob beim Tribunale di Milano (Bezirksgericht Mailand, Italien) Klage auf Feststellung, dass sein befristeter Gelegenheitsarbeitsvertrag sowie seine Entlassung wegen Diskriminierung aufgrund des Alters rechtswidrig seien. Nachdem das Tribunale di Milano (Bezirksgericht Mailand) die Klage als unzulässig abgewiesen hatte, legte er Rechtsmittel bei der Corte dʼappello di Milano (Berufungsgericht Mailand, Italien) ein. Diese stellte mit Urteil vom 3. Juli 2014 das Bestehen eines unbefristeten unselbständigen Arbeitsverhältnisses fest und verurteilte Abercrombie, Herrn Bordonaro in seinen Arbeitsplatz wiedereinzugliedern und den ihm entstandenen Schaden zu ersetzen.

13      Abercrombie legte gegen dieses Urteil bei der Corte suprema di cassazione (Oberster Kassationsgerichtshof, Italien) Kassationsbeschwerde ein. Herr Bordonaro legte seinerseits Anschlusskassationsbeschwerde ein.

14      Beim vorlegenden Gericht bestehen Zweifel im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Art. 34 Abs. 2 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 276/2003 in den im Ausgangsverfahren anwendbaren Fassungen mit der Richtlinie 2000/78 sowie mit dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Insbesondere scheine diese Bestimmung keinen ausdrücklichen relevanten Grund im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zu enthalten.

15      Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verstößt die nationale Regelung in Art. 34 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 276/2003, wonach der Gelegenheitsarbeitsvertrag in jedem Fall über Leistungen geschlossen werden kann, die von Personen, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, erbracht werden, gegen das in der Richtlinie 2000/78 und in Art. 21 Abs. 1 der Charta verankerte Verbot der Diskriminierung wegen des Alters?

 Zur Vorlagefrage

16      Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 21 der Charta sowie Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass sie einer Bestimmung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer, der noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, unabhängig von der Art der zu erbringenden Leistungen einen Gelegenheitsarbeitsvertrag schließen und diesen Arbeitnehmer entlassen kann, sobald er das 25. Lebensjahr vollendet.

17      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner, wenn sie Maßnahmen treffen, die in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 fallen, mit der für den Bereich der Beschäftigung und des Berufs das nunmehr in Art. 21 der Charta verankerte Verbot der Diskriminierung wegen des Alters konkretisiert wird, unter Beachtung dieser Richtlinie vorgehen müssen (Urteile vom 13. September 2011, Prigge u. a., C‑447/09, EU:C:2011:573, Rn. 48, vom 11. November 2014, Schmitzer, C‑530/13, EU:C:2014:2359, Rn. 23, und vom 21. Dezember 2016, Bowman, C‑539/15, EU:C:2016:977, Rn. 19).

18      In einem ersten Schritt ist also zu prüfen, ob eine Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren fragliche eine Ungleichbehandlung wegen des Alters im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2000/78 begründet. Insoweit ist zu beachten, dass nach dem Wortlaut dieser Bestimmung „Gleichbehandlungsgrundsatz“ bedeutet, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe geben darf. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 stellt klar, dass im Sinne von Art. 2 Abs. 1 eine unmittelbare Diskriminierung vorliegt, wenn eine Person wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt.

19      Zunächst ist zu der von der Europäischen Kommission aufgeworfenen Frage, ob Herr Bordonaro als „Arbeitnehmer“ im Sinne von Art. 45 AEUV eingestuft werden kann, darauf hinzuweisen, dass dieser Begriff nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein autonomer Begriff ist und nicht eng ausgelegt werden darf. So ist als „Arbeitnehmer“ jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht nach dieser Rechtsprechung darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (Urteile vom 3. Juli 1986, Lawrie-Blum, 66/85, EU:C:1986:284, Rn. 16 und 17, vom 23. März 2004, Collins, C‑138/02, EU:C:2004:172, Rn. 26, und vom 3. Mai 2012, Neidel, C‑337/10, EU:C:2012:263, Rn. 23).

20      Bei der Gesamtbewertung des Arbeitsverhältnisses von Herrn Bordonaro sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie etwaige Ansprüche auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag, die Zahlung von Beiträgen und gegebenenfalls die Art dieser Beiträge (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2010, Genc, C‑14/09, EU:C:2010:57, Rn. 27).

21      Herr Bordonaro wurde am 14. Dezember 2010 auf der Grundlage eines befristeten Gelegenheitsarbeitsvertrags eingestellt, um auf Anforderung von Abercrombie Aufgaben eines nächtlichen Lagerverwalters wahrzunehmen. Wie aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervorgeht, hat er in den ersten Monaten seiner Beschäftigung zwischen vier und fünf Nachtschichten pro Woche geleistet und ab dem Jahr 2011 zwischen drei und vier Schichten pro Woche. Außerdem hat Herr Bordonaro in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof erklärt, dass er sich in derselben Situation wie 400 andere Angestellte von Abercrombie befinde, deren Arbeitsverträge Tarifverträgen unterlägen.

22      Es ist somit festzustellen, dass die Tätigkeit von Herrn Bordonaro angesichts der Umstände, unter denen sie ausgeübt wurde – deren Richtigkeit das vorlegende Gericht zu prüfen hat –, nicht als völlig untergeordnet und unwesentlich im Sinne der in Rn. 19 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Rechtsprechung angesehen werden kann.

23      Daher liegt es nahe, dass sich Herr Bordonaro aufgrund seines Arbeitsvertrags auf die Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ im Sinne von Art. 45 AEUV berufen kann. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, das als einziges über eine eingehende und unmittelbare Kenntnis des Ausgangsrechtsstreits verfügt, zu beurteilen, ob dies der Fall ist.

24      Sodann ist zu prüfen, ob die Ansicht von Herrn Bordonaro zutrifft, dass er aufgrund des Alters eine Ungleichbehandlung erfahren habe.

25      Was das Erfordernis der Vergleichbarkeit der Sachverhalte angeht, ist klarzustellen, dass zum einen die Situationen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein müssen, und zum anderen die Prüfung dieser Vergleichbarkeit nicht allgemein und abstrakt sein darf, sondern spezifisch und konkret für die betreffende Leistung erfolgen muss (Urteil vom 12. Dezember 2013, Hay, C‑267/12, EU:C:2013:823, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Vorliegend sind mit Art. 34 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 276/2003 nicht nur im Hinblick auf den Zugang und die Beschäftigungsbedingungen, sondern auch im Hinblick auf die Entlassung von Gelegenheitsbeschäftigten nach Maßgabe der Altersgruppe, der diese Beschäftigten angehören, zwei verschiedene Regelungen festgelegt worden. Bei Arbeitnehmern im Alter zwischen 25 und 45 Jahren kann nämlich ein Gelegenheitsarbeitsvertrag nur für die Erbringung von unregelmäßigen oder gelegentlichen Leistungen nach Maßgabe der Erfordernisse, die in den Tarifverträgen genannt sind, und für im Vorhinein festgelegte Zeiträume geschlossen werden, wohingegen der Abschluss eines solchen Gelegenheitsarbeitsvertrags bei Arbeitnehmern, die jünger als 25 Jahre sind oder das 45. Lebensjahr vollendet haben, keiner dieser Bedingungen unterliegt und „in jedem Fall“ erfolgen kann. Wie die italienische Regierung in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, enden die Verträge, die mit Arbeitnehmern, die jünger als 25 Jahre sind, geschlossen werden, automatisch, sobald diese das 25. Lebensjahr vollendet haben.

27      Somit ist im Hinblick auf die Anwendung von Bestimmungen, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, die Situation eines Arbeitnehmers, der nur aus dem Grund entlassen wird, weil er das 25. Lebensjahr vollendet hat, objektiv vergleichbar mit der Situation von Arbeitnehmern, die einer anderen Altersgruppe angehören.

28      Folglich ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Bestimmung dadurch, dass sie vorsieht, dass ein Gelegenheitsarbeitsvertrag „in jedem Fall“ mit einem Arbeitnehmer geschlossen werden kann, der jünger als 25 Jahre ist, und automatisch endet, wenn dieser Arbeitnehmer das 25. Lebensjahr vollendet, eine Ungleichbehandlung aufgrund des Alters gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 begründet.

29      In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden kann.

30      Insoweit bestimmt Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78, dass die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

31      Es ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nicht nur bei der Entscheidung darüber, welches konkrete Ziel von mehreren sie im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der zu seiner Erreichung geeigneten Maßnahmen über ein weites Ermessen verfügen (Urteil vom 11. November 2014, Schmitzer, C‑530/13, EU:C:2014:2359, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Bezüglich der Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bestimmung durch ein legitimes Ziel im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt ist, ergibt sich aus den Erklärungen der italienischen Regierung, dass sich die fragliche Bestimmung in einen Rechtsrahmen einfügt, mit dem der Arbeitsmarkt flexibler gestaltet werden soll, um die Beschäftigungsquote zu erhöhen.

33      Was insbesondere die Gruppe der Arbeitnehmer anbelangt, die jünger als 25 Jahre sind, geht nämlich aus den Erklärungen der italienischen Regierung hervor, dass mit der für die Arbeitgeber bestehenden Möglichkeit, einen Gelegenheitsarbeitsvertrag „in jedem Fall“ abzuschließen und diesen Vertrag zu beenden, sobald der betreffende Arbeitnehmer das 25. Lebensjahr vollendet, das Ziel verfolgt wird, den Eintritt jüngerer Menschen in den Arbeitsmarkt zu fördern. Die italienische Regierung hat hervorgehoben, dass fehlende Berufserfahrung auf einem Arbeitsmarkt wie dem italienischen, der sich in einer schwierigen Lage befinde, einen Faktor darstelle, der jüngere Menschen benachteilige. Außerdem könne die Möglichkeit, in die Arbeitswelt einzutreten und Berufserfahrung zu erlangen, auch wenn sie flexibel sei und zeitlich begrenzt, ein Sprungbrett zu neuen Beschäftigungsmöglichkeiten darstellen.

34      In der mündlichen Verhandlung hat die italienische Regierung erklärt, das wichtigste konkrete Ziel der im Ausgangsverfahren fraglichen Bestimmung sei es nicht, jüngeren Menschen einen Zugang zum Arbeitsmarkt auf stabiler Basis zu gewähren, sondern nur, ihnen eine erste Gelegenheit zum Eintritt in den Arbeitsmarkt zu verschaffen. Mit dieser Bestimmung gehe es darum, ihnen eine erste Erfahrung zu verschaffen, aufgrund deren sie später auf dem Arbeitsmarkt eine günstige Wettbewerbsposition einnehmen könnten. Die fragliche Bestimmung beziehe sich somit auf eine Vorstufe zum uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt.

35      Es ist festzustellen, dass diese mit dem Zugang zum Arbeitsmarkt und der Mobilität in Verbindung stehenden Erwägungen jüngeren Menschen gelten, die erstmals eine Beschäftigung suchen, d. h. einer der Bevölkerungsgruppen, die einem besonderen Risiko der sozialen Ausgrenzung ausgesetzt sind. Herr Bordonaro hat in der mündlichen Verhandlung selbst darauf hingewiesen, dass die Beschäftigungsquote jüngerer Menschen, womit die Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen gemeint ist, zwischen 2004 und 2016 von 51 % auf 39 % gesunken sei.

36      Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 können Ungleichbehandlungen bestehen in der „Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen“.

37      Zudem stellt die Förderung von Einstellungen unbestreitbar ein legitimes Ziel der Sozial- oder Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten dar, zumal, wenn es darum geht, den Zugang jüngerer Menschen zur Ausübung eines Berufs zu fördern (Urteil vom 21. Juli 2011, Fuchs und Köhler, C‑159/10 und C‑160/10, EU:C:2011:508, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Auch hat der Gerichtshof entschieden, dass das Ziel, die Situation jüngerer Menschen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, um ihre berufliche Eingliederung zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen, als legitimes Ziel im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 angesehen werden kann (Urteil vom 10. November 2016, de Lange, C‑548/15, EU:C:2016:850, Rn. 27). Außerdem ist entschieden worden, dass insbesondere die Erleichterung der Anstellung jüngerer Arbeitnehmer durch Erhöhung der personalwirtschaftlichen Flexibilität ein legitimes Ziel darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Januar 2010, Kücükdeveci, C‑555/07, EU:C:2010:21, Rn. 35 und 36).

39      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Bestimmung ein legitimes Ziel im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 verfolgt, da mit ihr der Eintritt jüngerer Menschen in den Arbeitsmarkt gefördert werden soll.

40      Es ist daher zu prüfen, ob die zur Erreichung dieses Ziels eingesetzten Mittel angemessen und erforderlich sind.

41      Zur Angemessenheit einer Bestimmung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen ist darauf hinzuweisen, dass eine Maßnahme, mit der Arbeitgebern der Abschluss weniger starrer Arbeitsverträge gestattet wird, in Anbetracht des weiten Ermessens der Mitgliedstaaten in diesem Bereich als angemessen angesehen werden kann, um einen Grad von Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen. Es kann nämlich davon ausgegangen werden, dass ein Instrument, das weniger belastend und weniger kostspielig als der gewöhnliche Arbeitsvertrag ist, für Unternehmen Anreize schaffen kann, so dass diese eher auf Bewerbungen jüngerer Arbeitnehmer eingehen.

42      Was die Erforderlichkeit der im Ausgangsverfahren fraglichen Bestimmung angeht, ist, wie von Abercrombie vorgetragen, darauf hinzuweisen, dass die Situation eines Arbeitnehmers, der jünger als 25 Jahre ist und der aufgrund eines flexiblen befristeten Arbeitsvertrags wie des Gelegenheitsarbeitsvertrags Zugang zum Arbeitsmarkt finden kann, im Kontext einer andauernden Wirtschaftskrise und schwachen Wachstums der Situation vorzuziehen ist, in der sich eine Person befindet, die nicht über diese Möglichkeit verfügt und deshalb beschäftigungslos ist.

43      Darüber hinaus hat die italienische Regierung in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass diese flexiblen Arbeitsformen erforderlich seien, um die Mobilität der Arbeitnehmer zu fördern und ihre Anpassungsfähigkeit an den Arbeitsmarkt zu erhöhen und um Personen, die von sozialer Ausgrenzung bedroht seien, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, bei gleichzeitiger Beseitigung illegaler Arbeitsformen.

44      Des Weiteren müsse dieser Vertragstyp einer möglichst großen Zahl jüngerer Menschen zur Verfügung stehen, damit das mit der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Bestimmung verfolgte Ziel erreicht werde. Wären die nach Art. 34 Abs. 2 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 276/2003 geschlossenen Arbeitsverträge aber dauerhaft, wären die Unternehmen nicht in der Lage, allen jüngeren Menschen Arbeit anzubieten, so dass eine große Zahl jüngerer Menschen keine Möglichkeit hätte, Zugang zu diesen Arbeitsformen zu bekommen.

45      Im Übrigen gehe die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme mit einer Reihe von Garantien einher. So bestimme Art. 38 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 276/2003, dass „dem Gelegenheitsarbeiter für die Zeiträume, in denen er arbeitet, keine in finanzieller und rechtlicher Hinsicht insgesamt weniger günstige Behandlung zuteilwerden [darf] als einem Arbeitnehmer gleicher Stellung bei gleicher Aufgabenerfüllung“.

46      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass der nationale Gesetzgeber in Anbetracht des weiten Wertungsspielraums, der den Mitgliedstaaten nicht nur bei der Entscheidung, welches konkrete Ziel sie im Bereich der Sozial- und Beschäftigungspolitik verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der Maßnahmen zu dessen Verwirklichung zugestanden wird, den Erlass einer Bestimmung wie Art. 34 Abs. 2 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 276/2003 vernünftigerweise für erforderlich halten durfte.

47      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 21 der Charta sowie Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass sie einer Bestimmung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, wonach ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer, der noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, unabhängig von der Art der zu erbringenden Leistungen einen Gelegenheitsarbeitsvertrag schließen und diesen Arbeitnehmer entlassen kann, sobald er das 25. Lebensjahr vollendet, nicht entgegenstehen, sofern mit dieser Bestimmung ein legitimes Ziel der Beschäftigungs- und der Arbeitsmarktpolitik verfolgt wird und die zur Erreichung diese Ziels vorgesehenen Mittel angemessen und erforderlich sind.

 Kosten

48      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer Bestimmung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, wonach ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer, der noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, unabhängig von der Art der zu erbringenden Leistungen einen Gelegenheitsarbeitsvertrag schließen und diesen Arbeitnehmer entlassen kann, sobald er das 25. Lebensjahr vollendet, nicht entgegenstehen, sofern mit dieser Bestimmung ein legitimes Ziel der Beschäftigungs- und der Arbeitsmarktpolitik verfolgt wird und die zur Erreichung diese Ziels vorgesehenen Mittel angemessen und erforderlich sind.

Unterschriften


*Verfahrenssprache: Italienisch.