Language of document : ECLI:EU:C:2020:240

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

26. März 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Aufträge – Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge – Richtlinie 89/665/EWG – Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor – Richtlinie 92/13/EWG – Vergabe öffentlicher Aufträge – Richtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU – Überwachung der Anwendung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge – Nationale Regelung, nach der bestimmte Stellen im Fall der rechtswidrigen Änderung eines Vertrags während dessen Ausführung ein Verfahren von Amts wegen veranlassen können – Ausschluss des Rechts, das Verfahren von Amts wegen zu veranlassen – Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit“

In den verbundenen Rechtssachen C‑496/18 und C‑497/18

betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) mit Entscheidungen vom 7. Juni 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juli 2018, in den Verfahren

Hungeod Közlekedésfejlesztési, Földmérési, Út- és Vasúttervezési Kft. (C‑496/18),

Sixense Soldata (C‑496/18),

Budapesti Közlekedési Zrt. (C‑496/18 und C‑497/18)

gegen

Közbeszerzési Hatóság Közbeszerzési Döntőbizottság,

Beteiligte:

Közbeszerzési Hatóság Elnöke,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras (Berichterstatter) sowie der Richter S. Rodin und D. Šváby, der Richterin K. Jürimäe und des Richters N. Piçarra,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: R. Șereș, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. September 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Budapesti Közlekedési Zrt., vertreten durch T. J. Misefay, ügyvéd,

–        der Közbeszerzési Hatóság Közbeszerzési Döntőbizottság, vertreten durch É. Horváth als Bevollmächtigte,

–        des Közbeszerzési Hatóság Elnöke, vertreten durch T. A. Cseh als Bevollmächtigten,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Haasbeek, P. Ondrůšek und A. Sipos als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. November 2019

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen im Wesentlichen die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. 1989, L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 (ABl. 2007, L 335, S. 31) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665), von Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. 1992, L 76, S. 14) in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 92/13), von Art. 83 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65), von Art. 99 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. 2014, L 94, S. 243), von Art. 41 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie der Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit.

2        Die Ersuchen ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zum einen zwischen der Hungeod Közlekedésfejlesztési, Földmérési, Út- és Vasúttervezési Kft. (im Folgenden: Hungeod), der Sixense Soldata (im Folgenden: Sixense) und der Budapesti Közlekedési Zrt. (Rechtssache C‑496/18) und zum anderen zwischen der Budapesti Közlekedési (Rechtssache C‑497/18) und der Közbeszerzési Hatóság Közbeszerzési Döntőbizottság (Schiedskommission bei der Behörde für das öffentliche Auftragswesen, Ungarn) (im Folgenden: Schiedskommission) wegen der Änderung von aufgrund von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge geschlossenen Verträgen während deren Ausführung.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 89/665

3        Art. 1 der Richtlinie 89/665 sieht vor:

„(1)      …

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114)] fallenden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge die Entscheidungen der Vergabebehörden wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f der vorliegenden Richtlinie auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.

(3)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jedem zur Verfügung steht, der ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen Liefer- oder Bauauftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.“

4        Art. 2d („Unwirksamkeit“) der Richtlinie 89/665 wurde durch die Richtlinie 2007/66 eingefügt und lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten tragen in folgenden Fällen dafür Sorge, dass ein Vertrag durch eine von dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle für unwirksam erklärt wird oder dass sich seine Unwirksamkeit aus der Entscheidung einer solchen Stelle ergibt,

a)      falls der öffentliche Auftraggeber einen Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies nach der Richtlinie 2004/18/EG zulässig ist,

(2)      Die Folgen der Unwirksamkeit eines Vertrags richten sich nach einzelstaatlichem Recht.“

 Richtlinie 92/13

5        Art. 1 der Richtlinie 92/13 bestimmt:

„(1)      …

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/17/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl. 2004, L 134, S. 1)] fallenden Aufträge die Entscheidungen der Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f der vorliegenden Richtlinie auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.

(3)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.“

6        Art. 2d („Unwirksamkeit“) der Richtlinie 92/13 wurde durch die Richtlinie 2007/66 eingefügt und sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten tragen in folgenden Fällen dafür Sorge, dass ein Vertrag durch eine von dem Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle für unwirksam erklärt wird oder dass sich seine Unwirksamkeit aus der Entscheidung einer solchen Stelle ergibt,

a)      falls der Auftraggeber einen Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies nach der Richtlinie 2004/17/EG zulässig ist,

(2)      Die Folgen der Unwirksamkeit eines Vertrags richten sich nach einzelstaatlichem Recht.“

 Richtlinie 2007/66

7        In den Erwägungsgründen 2, 25, 27 und 36 der Richtlinie 2007/66 heißt es:

„(2)      Die Richtlinien [89/665] und [92/13] gelten … nur für Aufträge, die in den Anwendungsbereich der Richtlinien [2004/18] und [2004/17] gemäß der Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften fallen, und zwar unabhängig von dem gewählten Vergabeverfahren oder der jeweiligen Art des Aufrufs zum Wettbewerb, einschließlich der Wettbewerbe, Prüfungssysteme oder dynamischen Beschaffungssysteme. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sollten die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber und der Auftraggeber darüber, ob ein Auftrag in den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinien [2004/18] und [2004/17] fällt, wirksam und rasch nachgeprüft werden können.

(25)      Die Notwendigkeit, für Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber und der Auftraggeber zu sorgen, erfordert ferner die Festlegung einer angemessenen Mindest-Verjährungsfrist für Nachprüfungen, in denen die Unwirksamkeit eines Vertrags festgestellt werden kann.

(27)      Da diese Richtlinie die einzelstaatlichen Nachprüfungsverfahren stärkt, insbesondere in Fällen der rechtswidrigen freihändigen Vergabe, sollten die Wirtschaftsteilnehmer ermutigt werden, diese neuen Mechanismen zu nutzen. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist die Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Vertrags auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt. Die Effektivität dieser Fristen sollte respektiert werden.

(36)      Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen die insbesondere mit der [Charta] anerkannt wurden. Sie soll namentlich die uneingeschränkte Achtung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren nach Artikel 47 Absätze 1 und 2 der Charta sicherstellen.“

 Richtlinie 2014/24

8        In den Erwägungsgründen 121 und 122 der Richtlinie 2014/24 heißt es:

„(121)      Wie die Bewertung gezeigt hat, gibt es noch erhebliche Verbesserungsmöglichkeiten bei der Anwendung der Vergabevorschriften der Union. Für eine effizientere und einheitlichere Anwendung der Vorschriften ist es unerlässlich, sich einen guten Überblick über mögliche strukturelle Probleme und allgemeine Muster des Auftragswesens in den einzelnen Mitgliedstaaten zu verschaffen, um gezielter auf mögliche Probleme eingehen zu können. …

(122)      Die Richtlinie [89/665] bestimmt, dass bestimmte Nachprüfungsverfahren zumindest jedem zur Verfügung stehen, der ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Verstoß gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieses Rechts ein Schaden entstanden ist beziehungsweise zu entstehen droht. Diese Nachprüfungsverfahren sollten von dieser Richtlinie unberührt bleiben. Jedoch haben Bürger, organisierte oder nicht organisierte Interessengruppen und andere Personen oder Stellen, die keinen Zugang zu Nachprüfungsverfahren gemäß der Richtlinie [89/665] haben, als Steuerzahler dennoch ein begründetes Interesse an soliden Vergabeverfahren. Ihnen sollte daher die Möglichkeit gegeben werden, auf anderem Wege als dem des Nachprüfungssystems gemäß der Richtlinie [89/665] und ohne dass sie zwingend vor Gericht klagen können müssten, mögliche Verstöße gegen diese Richtlinie gegenüber einer zuständigen Behörde oder Stelle anzuzeigen. …“

9        In Art. 83 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/24 heißt es:

„(1)      Um wirksam eine korrekte und effiziente Umsetzung zu gewährleisten, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass zumindest die in diesem Artikel genannten Aufgaben von einer oder mehreren Behörden, Stellen oder Strukturen erbracht werden. Sie nennen der Kommission alle Behörden, Stellen und Strukturen, die für diese Aufgaben zuständig sind.

(2)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Anwendung der Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe überwacht wird.

…“

 Richtlinie 2014/25

10      Die Erwägungsgründe 127 und 128 der Richtlinie 2014/25 stimmen im Wesentlichen mit den Erwägungsgründen 121 und 122 der Richtlinie 2014/24 überein.

11      Art. 99 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/25 sieht vor:

„(1)      Um wirksam eine korrekte und effiziente Umsetzung zu gewährleisten, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass zumindest die in diesem Artikel genannten Aufgaben von einer oder mehreren Behörden, Stellen oder Strukturen ausgeführt werden. Sie nennen der Kommission alle Behörden und Strukturen, die für diese Aufgaben zuständig sind.

(2)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Anwendung der Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe überwacht wird.

…“

 Ungarisches Recht

 Das Vergabegesetz von 2003

12      § 303 Abs. 1 des közbeszerzésekről szóló 2003. évi CXXIX. törvény (Gesetz Nr. CXXIX von 2003 über die öffentliche Auftragsvergabe; im Folgenden: Vergabegesetz von 2003) bestimmt:

„Die Parteien können den Teil des Auftrags, der auf der Grundlage der in der Ausschreibung festgelegten Bedingungen oder der sich darauf beziehenden Unterlagen bzw. auf der Grundlage des Inhalts des Angebots festgelegt wurde, nur ändern, wenn der Auftrag infolge eines Umstands, der nach Zuschlagserteilung – aus einem zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung unvorhersehbaren Grund – eingetreten ist, gegen das berechtigte materielle Interesse einer der Vertragsparteien verstößt.“

13      § 306/A Abs. 2 des Vergabegesetzes von 2003 lautet wie folgt:

„Jeder in den Geltungsbereich dieses Gesetzes fallende Vertrag ist nichtig, wenn

a) dieser rechtswidrig ohne öffentliches Vergabeverfahren geschlossen wurde

…“

14      § 307 des Vergabegesetzes von 2003 sieht vor:

„(1)      Der Auftraggeber ist verpflichtet, eine Mitteilung über die Änderung des Vertrags und die Ausführung des Vertrags nach dem in einer gesonderten Rechtsnorm festgelegten Muster anzufertigen und diese durch eine Bekanntmachung im Közbeszerzési Értesítő [(Mitteilungsblatt über die Vergabe öffentlicher Aufträge)] zu veröffentlichen. Die Bekanntmachung ist spätestens innerhalb von fünfzehn Arbeitstagen nach der Änderung des Vertrags bzw. der Ausführung des Vertrags durch beide Parteien vorzunehmen. Bei einem für mehr als ein Jahr oder unbefristet abgeschlossenen Vertrag ist vom Abschluss des Vertrags an jährlich über die Teilausführung des Vertrags eine Mitteilung anzufertigen. Im Rahmen der Mitteilungspflicht in Bezug auf die Ausführung des Vertrags sind – wenn die Ausführung zu einem abweichenden Zeitpunkt bzw. zu abweichenden Zeitpunkten erfolgt – der durch den Auftraggeber anerkannte Zeitpunkt der Ausführung des Vertrags sowie der Zeitpunkt der Erfüllung der Gegenleistung gesondert anzugeben. In der Mitteilung muss die Partei, die den Vertrag als Bieter abschließt, erklären, dass sie mit den Festlegungen des Vertrags einverstanden ist.

(3)      Der Präsident des Rates für die öffentliche Auftragsvergabe veranlasst von Amts wegen ein Verfahren der [Schiedskommission], wenn glaubhaft gemacht werden kann, dass ein Auftrag unter Verstoß gegen § 303 geändert wurde bzw. die Ausführung des Vertrags unter Verstoß gegen § 304 oder § 305 erfolgt ist.“

15      § 327 des Vergabegesetzes von 2003 bestimmt:

„(1)      Folgende Stellen oder Personen können ein Verfahren der [Schiedskommission] von Amts wegen veranlassen, wenn sie in Ausübung ihrer Befugnisse von einem gegen dieses Gesetz verstoßenden Verhalten oder Unterlassen Kenntnis erlangen:

a)      der Präsident des Rates für die öffentliche Auftragsvergabe;

(2)      Ein Verfahren der [Schiedskommission] kann von Amts wegen veranlasst werden:

a)      von einer der in Abs. 1 Buchst. a, b und d bis i genannten Stellen innerhalb von 30 Tagen ab ihrer Kenntniserlangung von der Rechtsverletzung oder, wird ein öffentliches Vergabeverfahren nicht durchgeführt, ab Zuschlagserteilung, oder, falls diese nicht feststellbar ist, ab Kenntniserlangung vom Beginn der Ausführung durch eine der Parteien, jedoch spätestens innerhalb eines Jahres ab der Rechtsverletzung bzw. innerhalb drei Jahren in den Fällen, in denen ein öffentliches Vergabeverfahren nicht durchgeführt wurde,

…“

16      § 328 des Vergabegesetzes von 2003 sieht vor:

„(1)      Der Präsident des Rates für die öffentliche Auftragsvergabe veranlasst von Amts wegen ein Verfahren der [Schiedskommission]:

c)      in den in § 307 Abs. 3 genannten Fällen.

(2)      Im Falle der Veranlassung gemäß Abs. 1 ist § 327 Abs. 2 bis 7 anzuwenden.“

17      § 379 Abs. 2 des Vergabegesetzes von 2003 sieht vor:

„Der Rat [für die öffentliche Auftragsvergabe]

l.      verfolgt aufmerksam die Änderung und die Ausführung von aufgrund von öffentlichen Vergabeverfahren geschlossenen Verträgen (§ 307 Abs. 4);

…“

 Das Vergabegesetz von 2015

18      § 2 Abs. 8 des közbeszerzésekről szóló 2015. évi CXLIII. törvény (Gesetz Nr. CXLIII von 2015 über die öffentliche Auftragsvergabe, im Folgenden: Vergabegesetz von 2015) bestimmt:

„Sofern in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, sind im Fall von aufgrund von öffentlichen Vergabeverfahren geschlossenen Verträgen die Bestimmungen des [Bürgerlichen Gesetzbuchs] anzuwenden.“

19      § 148 Abs. 1 des Vergabegesetzes von 2015 lautet wie folgt:

„Das Verfahren der [Schiedskommission] wird auf Antrag oder von Amts wegen eingeleitet.“

20      § 152 Abs. 1 und 2 des Vergabegesetzes von 2015 sieht vor:

„(1)      Folgende Stellen oder Personen können ein Verfahren der [Schiedskommission] von Amts wegen veranlassen, wenn sie in Ausübung ihrer Befugnisse von einem gegen dieses Gesetz verstoßenden Verhalten oder Unterlassen Kenntnis erlangen:

a)      der Közbeszerzési Hatóság Elnöke (Präsident der Behörde für das öffentliche Auftragswesen);

(2)      Eine der in Abs. 1 genannten Stellen oder Personen kann innerhalb von 60 Tagen ab dem Zeitpunkt, an dem sie von der Rechtsverletzung Kenntnis erlangt hat, ein Verfahren der [Schiedskommission] von Amts wegen veranlassen, jedoch

a)      spätestens innerhalb einer Frist von drei Jahren ab dem Eintritt der Rechtsverletzung,

b)      im Fall von Beschaffungen ohne Durchführung eines öffentlichen Vergabeverfahrens abweichend von Buchst. a innerhalb von höchstens fünf Jahren ab Zuschlagserteilung oder, falls diese nicht feststellbar ist, ab dem Beginn der Ausführung des Vertrags durch eine der Parteien, oder

c)      im Fall von Beschaffungen aus Fördermitteln abweichend von den Buchst. a und b während der in einer gesonderten Rechtsnorm für Belege in Bezug auf die Zahlung und Verwendung der betreffenden Fördermittel festgelegten Aufbewahrungsdauer, aber mindestens innerhalb von fünf Jahren ab dem Eintritt der Rechtsverletzung – im Fall von Beschaffungen ohne Durchführung eines öffentlichen Vergabeverfahrens ab Zuschlagserteilung oder, falls diese nicht feststellbar ist, ab dem Beginn der Ausführung des Vertrags durch eine der Parteien.“

21      § 153 des Vergabegesetzes von 2015 sieht vor:

„(1)      Der Präsident der Behörde für das öffentliche Auftragswesen veranlasst von Amts wegen ein Verfahren der [Schiedskommission]:

c)      wenn aufgrund des Ergebnisses einer von der Behörde für das öffentliche Auftragswesen gemäß § 187 Absatz 2 Buchstabe j durchgeführten amtlichen Kontrolle oder auch ohne Einleitung der amtlichen Kontrolle glaubhaft gemacht werden kann, dass die Änderung oder die Ausführung des Vertrags unter Verstoß gegen dieses Gesetz erfolgte, insbesondere wenn eine Rechtsverletzung im Sinne von § 142 Absatz 2 begangen wurde.

(3)      Im Falle der Veranlassung gemäß den Abs. 1 und 2 ist § 152 Abs. 2 bis 8 anzuwenden.“

22      § 187 Abs. 1 und 2 des Vergabegesetzes von 2015 sieht vor:

„(1)      Aufgabe der Behörde für das öffentliche Auftragswesen ist es, unter Berücksichtigung der öffentlichen Interessen, der Interessen der Auftraggeber und der Bieter effizient an der Gestaltung der Politik der öffentlichen Auftragsvergabe sowie der Ausgestaltung und Verbreitung rechtskonformer Verhaltensweisen bei der öffentlichen Auftragsvergabe mitzuwirken, um so eine öffentliche und transparente Verwendung öffentlicher Gelder zu fördern.

(2)      Die Behörde

j)      verfolgt aufmerksam die … Änderung aufgrund von öffentlichen Vergabeverfahren geschlossenen Verträgen und überwacht im Rahmen der amtlichen Kontrolle nach den in einer Rechtsnorm im Einzelnen festgelegten Bestimmungen auch deren Ausführung und ergreift insbesondere die in § 153 Abs. 1 Buchst. c und § 175 festgelegten Maßnahmen;

…“

23      § 197 Abs. 1 des Vergabegesetzes von 2015 sieht vor:

„Die Bestimmungen dieses Gesetzes sind auf Beschaffungen, aufgrund von öffentlichen Vergabeverfahren geschlossene Verträge und Wettbewerbsverfahren, die nach seinem Inkrafttreten begonnen wurden, sowie damit in Verbindung stehenden beantragten, veranlassten oder von Amts wegen eingeleiteten Nachprüfungsverfahren und Verfahren zur Streitbeilegung anzuwenden. Die Bestimmungen der § 139, § 141, § 142, § 153 Abs. 1 Buchst. c und des § 175 sind auf die Möglichkeit der Änderung der vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes begonnenen Beschaffungen oder der vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes am Ende öffentlicher Vergabeverfahren abgeschlossenen Verträge ohne Durchführung eines neuen öffentlichen Vergabeverfahrens sowie auf die Kontrolle der Änderung und der Ausführung anzuwenden; ferner sind die Bestimmungen von Abschnitt XXI auf hiermit zusammenhängende Nachprüfungsverfahren anzuwenden.“

 Regierungsverordnung 4/2011

24      § 1 Abs. 1 des 2007-2013 programozási időszakban az Európai Regionális Fejlesztési Alapból, az Európai Szociális Alapból és a Kohéziós Alapból származó támogatások felhasználásának rendjéről szóló 4/2011 (I. 28) Korm. Rendelet (Regierungsverordnung 4/2011 vom 28. Januar 2011 über die Verwendung der im Programmplanungszeitraum 2007-2013 aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, dem Europäischen Sozialfonds und dem Kohäsionsfonds bereitgestellten Fördermittel, im Folgenden: Regierungsverordnung 4/2011) sieht vor:

„Der Anwendungsbereich dieser Verordnung erstreckt sich auf die entgeltliche oder subventionierte Übernahme und Erfüllung von Verpflichtungen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, des Europäischen Sozialfonds und des Kohäsionsfonds … für den Programmplanungszeitraum 2007-2013 – mit Ausnahme der Unterstützung der Programme für die europäische territoriale Zusammenarbeit – auf die Kontrolle der Ausführung, auf natürliche und juristische Personen und Organisationen ohne Rechtspersönlichkeit, die an ihrer Verwendung, Abwicklung und Kontrolle beteiligt sind, sowie auf Antragsteller, Empfänger und Begünstigte von Zuschüssen.“

25      § 80 Abs. 3 der Regierungsverordnung 4/2011 sieht vor:

„Der Empfänger und die an der Förderungsabwicklung beteiligten Stellen unterhalten für jedes Projekt eine getrennte Buchführung, registrieren alle sich auf ein Projekt beziehenden Belege getrennt voneinander und bewahren diese mindestens bis zum 31. Dezember 2020 auf.“

 Bürgerliches Gesetzbuch

26      § 200 Abs. 2 des Polgári Törvénykönyvről szóló 1959. évi IV. törvény (Gesetz Nr. IV von 1959 über das Bürgerliche Gesetzbuch) bestimmt:

„Ein Vertrag, der gegen eine Rechtsvorschrift verstößt oder unter Umgehung einer Rechtsvorschrift geschlossen wurde, ist nichtig, es sei denn, die Rechtsvorschrift knüpft hieran eine andere Rechtsfolge.“

27      § 6:95 des Polgári Törvénykönyvről szóló 2013. évi V. törvény (Gesetz Nr. V von 2013 über das Bürgerliche Gesetzbuch) bestimmt:

„Ein Vertrag, der gegen eine Rechtsvorschrift verstößt oder unter Umgehung einer Rechtsvorschrift geschlossen wurde, ist nichtig, es sei denn, die Rechtsvorschrift knüpft hieran eine andere Rechtsfolge. Unbeschadet anderer Rechtsfolgen ist der Vertrag ferner nichtig, wenn die Rechtsvorschrift dies ausdrücklich bestimmt oder wenn die Rechtsvorschrift auf das Verbot der mit dem Vertrag beabsichtigten Rechtswirkung abzielt.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

 Rechtssache C496/18

28      Am 30. September 2005 veröffentlichte Budapesti Közlekedési als öffentlicher Auftraggeber im Amtsblatt der Europäischen Union eine Ausschreibung zur Vergabe des öffentlichen Auftrags, der die „Anschaffung eines Überwachungssystems für die Kontrolle der Bewegung der Bauten und die Lärm- und Schwingungskontrolle während der ersten Bauphase der Metro-Linie 4 in Budapest [(Ungarn)]“ zum Gegenstand hatte, dessen geschätzter Wert die gemeinschaftsrechtlichen Schwellenwerte überstieg und der Zuschüsse der Europäischen Union erhielt. Der Zuschlag wurde einer Bietergemeinschaft erteilt, die aus Hungeod und Sixense bestand.

29      Am 1. März 2006 wurde der Vertrag über den Auftrag unterzeichnet.

30      Am 5. Oktober 2009 beschlossen die Vertragsparteien, den Vertrag zu ändern, und führten hierfür unvorhersehbare Umstände an. Diese Änderung wurde am 18. November 2009 in einer Bekanntmachung im Közbeszerzési Értesítő (Blatt für öffentliche Auftragsvergabe) veröffentlicht.

31      Am 29. Mai 2017 rief der Präsident der Behörde für das öffentliche Auftragswesen die Schiedskommission an und beantragte, zum einen festzustellen, dass die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens eine Rechtsverletzung begangen hätten, als sie den Vertrag unter Verstoß gegen § 303 Abs. 1 des Vergabegesetzes von 2003 geändert hätten, und zum anderen gegen sie Geldbußen zu verhängen. Er gab an, am 30. März 2017 Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt zu haben, und verwies zur Begründung seines Antrags auf § 153 Abs. 3 und § 152 Abs. 2 Buchst. a des Vergabegesetzes von 2015.

32      In ihrer Entscheidung vom 3. August 2017 vertrat die Schiedskommission zunächst die Auffassung, dass die Verfahrensvorschriften des Vergabegesetzes von 2015 im vorliegenden Fall anwendbar seien, da dieses Gesetz zwar erst am 1. November 2015 in Kraft getreten sei und grundsätzlich nur nach diesem Zeitpunkt geschlossene Verträge betreffe, es jedoch nach den Übergangsbestimmungen in seinem § 197 Abs. 1 für die Kontrolle von vor seinem Inkrafttreten erfolgten Vertragsänderungen gelte. Das Vorhaben, das im Rahmen des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags durchgeführt worden sei, sei seitens der Union gefördert worden, so dass gemäß § 80 Abs. 3 der Regierungsverordnung 4/2011 die Frist für die Veranlassung eines Verfahrens von Amts wegen am 31. Dezember 2020 ablaufe.

33      In der Sache verhängte die Schiedskommission nach der Feststellung eines Verstoßes gegen § 303 des Vergabegesetzes von 2003 gegen Budapesti Közlekedési eine Geldbuße in Höhe von 25 000 000 ungarischen Forint (HUF) (etwa 81 275 Euro) und gegen Hungeod und Sixense gesamtschuldnerisch eine Geldbuße von 5 000 000 HUF (etwa 16 255 Euro).

34      Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens erhoben gegen die Entscheidung der Schiedskommission Klage beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn).

35      Das vorlegende Gericht fragt nach den Anforderungen, die sich aus dem Unionsrecht, genauer aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, in einem Fall ergeben, in dem die neue Regelung eines Mitgliedstaats, wie das Vergabegesetz von 2015, die Überwachungsbehörde ermächtigt, für einen vor ihrem Inkrafttreten geschlossenen Vertrag über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags, obwohl die in der früheren nationalen Regelung vorgesehenen Ausschlussfristen abgelaufen sind, von Amts wegen eine Untersuchung der vor Inkrafttreten dieser Regelung begangenen Rechtsverletzungen im Bereich des öffentlichen Auftragswesens einzuleiten, um durch die Schiedskommission die Rechtsverletzung feststellen und eine Sanktion festlegen zu lassen.

36      Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Rechtssache C‑496/18, anders als die Rechtssachen, in denen der Gerichtshof über Nachprüfungsfristen im Zusammenhang mit Verfahren über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu entscheiden gehabt habe, das Recht einer Überwachungsbehörde betreffe, im Interesse des objektiven Rechtsschutzes eine Nachprüfung einzuleiten. Es wirft die Frage nach der Anwendung der Grundsätze des Unionsrechts, wie der Grundsätze der Rechtssicherheit und der Effektivität, in einem solchen Kontext auf.

37      Das vorlegende Gericht nimmt auch auf den Inhalt von Art. 99 der Richtlinie 2014/25 Bezug und fragt sich, ob die Kompetenzen, die den Mitgliedstaaten im Bereich der Befugnisse der Überwachungsbehörden verliehen seien, begrenzt seien und ob die Anforderungen des Unionsrechts im Bereich des Schutzes der am Zuschlag für einen bestimmten Auftrag interessierten Personen in diesem Rahmen ebenfalls gälten.

38      Es hat Zweifel, ob die in § 197 Abs. 1 des Vergabegesetzes von 2015 als Übergangsmaßnahme vorgesehene Befugnis, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetretenen Vertragsänderungen zu kontrollieren, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

39      Das vorlegende Gericht fragt sich, ob die Regel angewandt werden könne, wonach bei einem aus Mitteln der Union finanzierten Vorhaben die Nachprüfungsfrist an die Frist für die Aufbewahrung der Unterlagen geknüpft sei, da diese Regel durch das Vergabegesetz von 2015 eingeführt worden sei.

40      Es fragt sich, ob es für die Beurteilung dieser Rechtsfragen von Bedeutung sei, welche rechtlichen, regulatorischen, technischen oder organisatorischen Mängel oder sonstigen Hindernisse der Grund dafür gewesen seien, dass die Untersuchung eines Verstoßes gegen das Vergaberecht zum Zeitpunkt seiner Begehung unterblieben sei.

41      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass in den Erwägungsgründen 25 und 27 der Richtlinie 2007/66 das Erfordernis der Rechtssicherheit nur in Bezug auf Nachprüfungen betont werde, in denen die Unwirksamkeit eines Vertrags festgestellt werden solle, und nicht auf solche, die auf die Feststellung und Ahndung einer Rechtsverletzung gerichtet seien.

42      Unter diesen Umständen hat das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind Art. 41 Abs. 1 und Art. 47 der Charta, die Erwägungsgründe 2, 25, 27 und 36 der Richtlinie 2007/66 sowie Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 92/13 und im Zusammenhang mit diesen der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit und das Erfordernis, dass gegen die Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber eine rasche und wirksame vergaberechtliche Nachprüfung in Anspruch genommen werden können muss, dahin auszulegen, dass sie einer mitgliedstaatlichen Regelung entgegenstehen, die die durch diese Regelung geschaffene, insoweit zuständige (Überwachungs‑)Behörde bei vor ihrem Inkrafttreten geschlossenen Verträgen über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags allgemein dazu ermächtigt, wegen eines vor Inkrafttreten dieser Regelung begangenen Verstoßes gegen das Vergaberecht innerhalb der in ihr vorgesehenen Frist, aber nach Ablauf der Ausschlussfristen, die in der früheren, für die Untersuchung dieses Verstoßes maßgeblichen mitgliedstaatlichen Regelung vorgesehen waren, eine Untersuchung zu veranlassen, diesen Verstoß inhaltlich zu prüfen und infolgedessen den Verstoß festzustellen und eine vergaberechtliche Sanktion zu verhängen sowie den Vertrag für nichtig erklären zu lassen und die sich aus dieser Nichtigkeit ergebenden Folgen anzuwenden?

2.      Ergibt sich aus den in Frage 1 genannten Rechtsvorschriften und Grundsätzen – außer dem Erfordernis der praktischen Wirksamkeit des subjektiven Rechts der an öffentlichen Aufträgen Interessierten auf eine Nachprüfung – auch für die (Überwachungs‑)Behörden, die durch das Recht des Mitgliedstaats geschaffen worden sind, die Aufgaben von öffentlichem Interesse wahrnehmen und zur Beobachtung von Verstößen gegen das Vergaberecht sowie zur Veranlassung von Untersuchungen von Amts wegen befugt sind, ein Recht zur Veranlassung und Durchführung von Nachprüfungsverfahren?

3.      Folgt aus Art. 99 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/25, dass das Recht eines Mitgliedstaats, obwohl die aufgrund der früheren Regelung geltenden Ausschlussfristen abgelaufen sind, (Überwachungs‑)Behörden, die nach dem Recht des Mitgliedstaats Aufgaben von öffentlichem Interesse wahrnehmen und zur Beobachtung von Verstößen gegen das Vergaberecht sowie zur Veranlassung von Untersuchungen von Amts wegen befugt sind, durch eine neue gesetzliche Regelung – zum Schutz der finanziellen Interessen der Union bei öffentlichen Aufträgen – allgemein ermächtigen darf, vor Inkrafttreten dieser Regelung begangene Verstöße gegen das Vergaberecht zu untersuchen sowie ein Verfahren zu veranlassen und durchzuführen?

4.      Ist es bei der Beurteilung, ob die in den Fragen 1 und 3 detailliert beschriebene, den (Überwachungs‑)Behörden eingeräumte Untersuchungsbefugnis – unter Berücksichtigung der in der ersten Frage genannten Rechtsvorschriften und Grundsätze – mit dem Unionsrecht vereinbar ist, von Bedeutung, welche rechtlichen, regulatorischen, technischen oder organisatorischen Mängel oder sonstigen Hindernisse der Grund dafür waren, dass die Untersuchung eines Verstoßes gegen das Vergaberecht zum Zeitpunkt seiner Begehung unterblieben ist?

5.      Sind Art. 41 Abs. 1 und Art. 47 der Charta, die Erwägungsgründe 2, 25, 27 und 36 der Richtlinie 2007/66 sowie Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 92/13 und im Zusammenhang mit diesen der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit und das Erfordernis, dass gegen Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber eine rasche und wirksame vergaberechtliche Nachprüfung in Anspruch genommen werden können muss, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen, dass das nationale Gericht – auch dann, wenn den (Überwachungs‑)Behörden, die nach dem Recht des Mitgliedstaats Aufgaben von öffentlichem Interesse wahrnehmen und zur Beobachtung von Verstößen gegen das Vergaberecht sowie zur Veranlassung von Untersuchungen von Amts wegen befugt sind, im Hinblick auf diese Grundsätze die in den Fragen 1 bis 4 genannten Zuständigkeiten eingeräumt werden dürfen – die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der Zeit, die zwischen der Begehung des Verstoßes, dem Ablauf der früheren Ausschlussfristen und dem zur Untersuchung der Rechtsverletzung eingeleiteten Verfahren vergangen ist, in die Abwägung einbeziehen und daraus die Rechtsfolgen, die sich aus der Unwirksamkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidung ergeben, oder andere im mitgliedstaatlichen Recht vorgesehenen Rechtsfolgen ableiten darf?

 Rechtssache C497/18

43      Am 3. Januar 2009 veröffentlichte Budapesti Közlekedési als öffentlicher Auftraggeber im Amtsblatt der Europäischen Union eine Ausschreibung zur Vergabe des öffentlichen Auftrags, der die „Wahrnehmung von Sachverständigenaufgaben im Zusammenhang mit dem Management des DBR Projekts während der ersten Phase des Baus der Metro-Linie 4, Teil 7: Sachverständiger für Risikomanagement“ zum Gegenstand hatte, dessen geschätzter Wert die gemeinschaftsrechtlichen Schwellenwerte überstieg und der Zuschüsse der Union erhielt. Der Auftrag wurde an die Matrics Consults Ltd mit Sitz im Vereinigten Königreich vergeben.

44      Am 14. Mai 2009 wurde der Vertrag über den Auftrag unterzeichnet. Budapesti Közlekedési kündigte den Vertrag am 16. November 2011 mit Wirkung zum 31. Dezember 2011.

45      Am 30. Mai 2017 rief der Präsident der Behörde für das öffentliche Auftragswesen die Schiedskommission an und beantragte, zum einen festzustellen, dass Budapesti Közlekedési und Matrics Consults Rechtsverletzungen begangen hätten, und zum anderen gegen sie Geldbußen zu verhängen. Er stellte fest, dass die Vertragsparteien den Vertrag zwar nicht schriftlich geändert hätten, aber durch ihr Verhalten bei der Bezahlung der Rechnungen und der Ausstellung der Erfüllungsbescheinigungen von den zum Zeitpunkt der Einreichung des Angebots festgelegten und in diesen Vertrag aufgenommenen Zahlungsbedingungen abgewichen seien, so dass diese Änderungen als Vertragsänderung anzusehen seien. Nach Ansicht des Präsidenten der Behörde für das öffentliche Auftragswesen hatten die Parteien somit gegen § 303 Abs. 1 des Vergabegesetzes von 2003 verstoßen. Er gab an, am 31. März 2017 Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt zu haben, wobei davon auszugehen sei, dass diese am 8. Februar 2010 eingetreten sei.

46      In ihrer Entscheidung vom 18. August 2017 vertrat die Schiedskommission zunächst die Auffassung, dass die Verfahrensvorschriften des Vergabegesetzes von 2015 im vorliegenden Fall anwendbar seien, da dieses Gesetz zwar erst am 1. November 2015 in Kraft getreten sei und grundsätzlich nur nach diesem Zeitpunkt geschlossene Verträge betreffe, es jedoch nach den Übergangsbestimmungen in seinem § 197 Abs. 1 für die Kontrolle von vor seinem Inkrafttreten erfolgten Vertragsänderungen gelte.

47      In der Sache verhängte die Schiedskommission nach der Feststellung eines Verstoßes gegen § 303 des Vergabegesetzes von 2003 gegen Budapesti Közlekedési eine Geldbuße in Höhe von 27 000 000 HUF (etwa 88 938 Euro) und gegen Matrics Consults eine Geldbuße von 13 000 000 HUF (etwa 42 822 Euro).

48      Budapesti Közlekedési und Matrics Consults erhoben gegen die Entscheidung der Schiedskommission Klage beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht).

49      Das vorlegende Gericht führt ähnliche Erwägungen wie in der Rechtssache C‑496/18 an, die in den Rn. 35 bis 41 des vorliegenden Urteils dargelegt worden sind.

50      Unter diesen Umständen hat das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind Art. 41 Abs. 1 und Art. 47 der Charta, die Erwägungsgründe 2, 25, 27 und 36 der Richtlinie 2007/66 sowie Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665 und im Zusammenhang mit diesen insbesondere der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit und das Erfordernis, dass gegen Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber eine rasche und wirksame vergaberechtliche Nachprüfung in Anspruch genommen werden können muss, dahin auszulegen, dass sie einer mitgliedstaatlichen Regelung entgegenstehen, die die durch sie geschaffene, insoweit zuständige (Überwachungs‑)Behörde bei vor ihrem Inkrafttreten geschlossenen Verträgen über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags allgemein dazu ermächtigt, wegen eines vor ihrem Inkrafttreten begangenen Verstoßes gegen das Vergaberecht innerhalb der in ihr vorgesehenen Frist, aber nach Ablauf der Ausschlussfristen, die in der früheren, für die Untersuchung dieses Verstoßes maßgeblichen mitgliedstaatlichen Regelung vorgesehen waren, eine Untersuchung zu veranlassen und infolgedessen den Verstoß festzustellen und eine vergaberechtliche Sanktion zu verhängen sowie den Vertrag über die Vergabe des öffentlichen Auftrags für nichtig erklären zu lassen und die Folgen aus dieser Nichtigkeit anzuwenden?

2.      Ergibt sich aus den in Frage 1 genannten Rechtsvorschriften und Grundsätzen – außer dem Erfordernis der praktischen Wirksamkeit des subjektiven Rechts der an öffentlichen Aufträgen Interessierten auf eine Nachprüfung – auch ein Recht zur Veranlassung und Durchführung von Nachprüfungsverfahren für die (Überwachungs‑)Behörden, die durch das Recht des Mitgliedstaats geschaffen worden sind, die Aufgaben von öffentlichem Interesse wahrnehmen und von Amts wegen zur Veranlassung der Nachprüfung von Verstößen gegen das Vergaberecht sowie zur Einleitung von Untersuchungen befugt sind?

3.      Folgt aus Art. 83 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/24, dass das Recht eines Mitgliedstaats, obwohl nach der früheren Regelung geltende Ausschlussfristen abgelaufen sind, (Überwachungs‑)Behörden, die nach dem Recht des Mitgliedstaats Aufgaben von öffentlichem Interesse wahrnehmen und von Amts wegen zur Beobachtung von Verstößen gegen das Vergaberecht sowie zur Veranlassung von Untersuchungen befugt sind, mit einer neuen gesetzlichen Regelung – zum Schutz der finanziellen Interessen der Union bei öffentlichen Aufträgen – allgemein ermächtigen darf, vor Inkrafttreten der neuen Regelung begangene Verstöße gegen das Vergaberecht zu untersuchen sowie ein Verfahren zu veranlassen und durchzuführen?

4.      Ist es bei der Beurteilung, ob die in den Fragen 1 und 3 detailliert beschriebene, den (Überwachungs‑)Behörden eingeräumte Untersuchungsbefugnis – unter Berücksichtigung der in der ersten Frage genannten Rechtsvorschriften und Grundsätze – mit dem Unionsrecht vereinbar ist, von Bedeutung, welche rechtlichen, regulatorischen, technischen oder organisatorischen Mängel oder sonstigen Hindernisse der Grund dafür waren, dass die Untersuchung eines Verstoßes gegen das Vergaberecht zum Zeitpunkt seiner Begehung unterblieben ist?

5.      Sind Art. 41 Abs. 1 und Art. 47 der Charta, die Erwägungsgründe 2, 25, 27 und 36 der Richtlinie 2007/66 sowie Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665 und im Zusammenhang mit diesen insbesondere der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit und das Erfordernis, dass gegen die Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber eine rasche und wirksame vergaberechtliche Nachprüfung in Anspruch genommen werden können muss, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen, dass das nationale Gericht – auch dann, wenn den (Überwachungs‑)Behörden, die nach dem Recht des Mitgliedstaats Aufgaben von öffentlichem Interesse wahrnehmen und von Amts wegen zur Beobachtung von Verstößen gegen das Vergaberecht sowie zur Veranlassung von Untersuchungen befugt sind, im Hinblick auf diese Grundsätze die in den Fragen 1 bis 4 genannten Zuständigkeiten eingeräumt werden dürfen – die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der Zeit, die zwischen der Begehung des Verstoßes, dem Ablauf der früheren Ausschlussfristen und dem zur Untersuchung der Rechtsverletzung eingeleiteten Verfahren vergangen ist, in die Abwägung einbeziehen und daraus die Rechtsfolgen, die sich aus der Unwirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsakts ergeben, oder andere im mitgliedstaatlichen Recht vorgesehenen Rechtsfolgen ableiten darf?

51      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 18. September 2018 sind die Rechtssachen C‑496/18 und C‑497/18 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

 Zur Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen

52      Der Präsident der Behörde für das öffentliche Auftragswesen und die ungarische Regierung halten die Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig, weil die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung, insbesondere § 303 des Vergabegesetzes von 2003 und § 197 des Vergabegesetzes von 2015, nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle.

53      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Wenn diese Fragen die Auslegung des Unionsrechts betreffen, ist der Gerichtshof nämlich grundsätzlich gehalten, über diese Fragen zu befinden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Oktober 2019, Comida paralela 12, C‑579/18, EU:C:2019:875, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54      Es ist somit allein Sache der mit einem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte, in deren Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die jeder Rechtssache eigenen Besonderheiten sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen (Urteil vom 17. Oktober 2019, Comida paralela 12, C‑579/18, EU:C:2019:875, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Wenn jedoch die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind, kann er das Vorabentscheidungsersuchen als unzulässig zurückweisen (Urteil vom 17. Oktober 2019, Comida paralela 12, C‑579/18, EU:C:2019:875, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56      Im vorliegenden Fall möchte das vorlegende Gericht mit seinen Vorlagefragen vom Gerichtshof wissen, ob verschiedene Bestimmungen des Unionsrechts, seien es die Charta, die Richtlinien 89/665 und 92/13 über Nachprüfungsverfahren im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge oder die Richtlinien 2014/24 und 2014/25 über die Vergabe öffentlicher Aufträge sowie bestimmte allgemeine Grundsätze dieses Rechts, insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit, der in der ungarischen Regelung vorgesehenen Möglichkeit entgegenstehen, einer nationalen Überwachungsbehörde unter der Geltung eines neuen Gesetzes die Befugnis einzuräumen, von Amts wegen ein Verfahren zur Kontrolle der Änderungen des Vertrags über einen öffentlichen Auftrag einzuleiten, so dass gegen die Parteien dieses Vertrags durch die Überwachungsbehörde Sanktionen verhängt werden können und gegebenenfalls die Nichtigkeit dieser Änderungen des Vertrags durch das nationale Gericht festgestellt werden kann.

57      Aus den Vorlageentscheidungen geht hervor, dass die Verträge, die Gegenstand der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Änderungen waren, zum Zeitpunkt ihres Abschlusses in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fielen, da die entsprechenden öffentlichen Aufträge die in der einschlägigen Unionsregelung vorgesehenen Schwellenwerte überschritten.

58      Im Übrigen erscheint es dem vorlegenden Gericht auf den ersten Blick insbesondere erforderlich, zu klären, ob die von ihm angeführten Richtlinien oder allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts einem Verfahren von Amts wegen wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen.

59      Schließlich enthalten die dem Gerichtshof vorliegenden Akten keinen Anhaltspunkt dafür, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand der Ausgangsrechtsstreitigkeiten steht oder dass der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.

60      Demnach sind die Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

 Zu den Vorlagefragen

 Vorbemerkungen

61      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts kommt es für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten darauf an, ob die in Rn. 56 des vorliegenden Urteils genannten Richtlinien und allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts einer nationalen Regelung entgegenstehen, auf deren Grundlage eine nationale Überwachungsbehörde von Amts wegen ein Nachprüfungsverfahren im Hinblick auf Änderungen von Verträgen über öffentliche Aufträge einleiten kann, obwohl diese Änderungen unter Geltung der früheren Regelung erfolgten und die in dieser Regelung vorgesehene Ausschlussfrist zu dem Zeitpunkt, zu dem das Verfahren von Amts wegen eingeleitet wurde, bereits abgelaufen war.

62      Erstens ist festzustellen, dass die vom vorlegenden Gericht angeführten Bestimmungen der Charta für dessen Entscheidung im Rahmen der Ausgangsrechtsstreitigkeiten ohne Bedeutung sind.

63      Zum einen ergibt sich nämlich eindeutig aus dem Wortlaut von Art. 41 der Charta, dass sich dieser nicht an die Mitgliedstaaten, sondern ausschließlich an die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union richtet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2011, Cicala, C‑482/10, EU:C:2011:868, Rn. 28, und vom 9. März 2017, Doux, C‑141/15, EU:C:2017:188, Rn. 60).

64      Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass bei der Festlegung der Modalitäten gerichtlicher Nachprüfungsverfahren zum Schutz der Rechte, die das Unionsrecht den durch Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber geschädigten Bewerbern und Bietern einräumt, die Mitgliedstaaten dafür sorgen müssen, dass die Rechte, die das Unionsrecht Einzelnen einräumt, insbesondere das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren, nicht beeinträchtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a., C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 43 bis 45, und Beschluss vom 14. Februar 2019, Cooperativa Animazione Valdocco, C‑54/18, EU:C:2019:118, Rn. 30).

65      Die dem Gerichtshof vorliegenden Akten enthalten jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Nachprüfungsverfahren von Amts wegen im Hinblick auf Verstöße gegen das Vergaberecht das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren beeinträchtigt.

66      Zweitens sind die einzelnen Vorlagefragen, da sie sich in verschiedener Hinsicht überschneiden, zusammenzufassen und neu zu formulieren, um dem vorlegenden Gericht möglichst genaue Antworten zu geben.

67      Es ist daher davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht im Wesentlichen erstens mit seinen zweiten Fragen wissen möchte, ob die Erwägungsgründe 25 und 27 der Richtlinie 2007/66, Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665, Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 92/13, Art. 83 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/24 und Art. 99 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/25 den Mitgliedstaaten vorschreiben oder verbieten, eine Regelung zu erlassen, auf deren Grundlage eine Überwachungsbehörde ein Nachprüfungsverfahren von Amts wegen aus Gründen des Schutzes der finanziellen Interessen der Union veranlassen kann, um Verstöße gegen das Vergaberecht zu kontrollieren, dass es zweitens mit seinen ersten, dritten und vierten Fragen wissen möchte, ob es im Rahmen eines von Amts wegen durch eine Überwachungsbehörde aus Gründen des Schutzes der finanziellen Interessen der Union veranlassten Nachprüfungsverfahrens der allgemeine Grundsatz der Rechtssicherheit nicht zulässt, dass eine nationale Regelung die Einleitung eines solchen Verfahrens zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit von vertraglichen Änderungen eines öffentlichen Auftrags innerhalb der in ihr festgelegten Ausschlussfrist vorsieht, obwohl die in der früheren Regelung vorgesehene Ausschlussfrist, die auf den Zeitpunkt dieser Änderungen anwendbar war, abgelaufen ist, und dass es drittens mit seinen fünften Fragen wissen möchte, ob, falls die ersten, die dritten und die vierten Fragen verneint werden sollten, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der Zeit, die zwischen der Rechtsverletzung, dem Ablauf der früheren Ausschlussfrist und dem zur Untersuchung der Rechtsverletzung eingeleiteten Verfahren vergangen ist, prüfen und daraus Folgen für die Wirksamkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidung oder andere im mitgliedstaatlichen Recht vorgesehenen Rechtsfolgen ableiten darf.

 Zu den zweiten Fragen

68      Mit seinen zweiten Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Erwägungsgründe 25 und 27 der Richtlinie 2007/66, Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665, Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 92/13, Art. 83 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/24 und Art. 99 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/25 den Mitgliedstaaten vorschreiben oder verbieten, eine Regelung zu erlassen, auf deren Grundlage eine Überwachungsbehörde ein Nachprüfungsverfahren von Amts wegen aus Gründen des Schutzes der finanziellen Interessen der Union veranlassen kann, um Verstöße gegen das Vergaberecht zu kontrollieren.

69      Soweit, erstens, die ungarische Regierung vorträgt, dass die Erwägungsgründe eines Unionsrechtsakts nicht verbindlich seien, ist darauf hinzuweisen, dass der verfügende Teil eines Rechtsakts nicht von seiner Begründung getrennt werden kann, so dass er erforderlichenfalls unter Berücksichtigung der Gründe auszulegen ist, die zu seinem Erlass geführt haben (Urteile vom 27. Juni 2000, Kommission/Portugal, C‑404/97, EU:C:2000:345, Rn. 41, und vom 4. Dezember 2019, Consorzio Tutela Aceto Balsamico di Modena, C‑432/18, EU:C:2019:1045, Rn. 29).

70      Daraus folgt, dass die Richtlinie 2007/66 im Licht ihrer Erwägungsgründe 25 und 27 auszulegen ist.

71      Zweitens ist festzustellen, dass die Richtlinien 89/665 und 92/13, insbesondere ihre Art. 1 Abs. 3, zwar lediglich vorsehen, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Nachprüfungsverfahren zumindest jedem zur Verfügung stehen, der ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen Auftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Oktober 2010, Symvoulio Apochetefseon Lefkosias, C‑570/08, EU:C:2010:621, Rn. 37).

72      Diese Vorschriften sollen nämlich die Wirtschaftsteilnehmer vor der Willkür des öffentlichen Auftraggebers schützen und somit sicherstellen, dass in allen Mitgliedstaaten wirksame Rechtsbehelfe bestehen, um die effektive Anwendung der Unionsvorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu gewährleisten, vor allem dann, wenn Verstöße noch beseitigt werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a., C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 41).

73      Wenn jedoch die Richtlinien 89/665 und 92/13 für Unternehmen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag haben oder hatten und denen durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht, das Bestehen von Rechtsbehelfen verlangen, so kann, wie der Generalanwalt in Nr. 63 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht davon ausgegangen werden, dass Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 und Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 92/13 eine vollständige Harmonisierung vornehmen und somit alle möglichen Rechtsbehelfe auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge erfassen.

74      Folglich sind diese Bestimmungen dahin auszulegen, dass sie den Mitgliedstaaten weder vorschreiben noch verbieten, Rechtsbehelfe zugunsten nationaler Überwachungsbehörden vorzusehen, damit diese aus Gründen des Schutzes der finanziellen Interessen der Union Verstöße gegen das Vergaberecht feststellen lassen können.

75      Diese Auslegung wird weder durch die Erwägungsgründe 25 und 27 noch durch die Art. 1 und 2 der Richtlinie 2007/66, mit denen in die Richtlinie 89/665 bzw. die Richtlinie 92/13 ein Art. 2d eingefügt wurde, entkräftet.

76      Wenn Art. 2d der Richtlinien 89/665 und 92/13 nämlich im Wesentlichen vorsieht, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass ein Vertrag durch eine von dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle für unwirksam erklärt wird, verstärkt dieser Art. 2d nur die Wirkungen der Rechtsbehelfe, zu deren Bereitstellung diese Richtlinien die Mitgliedstaaten verpflichten, d. h. Rechtsbehelfe für Unternehmen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag haben oder hatten und denen durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.

77      Drittens ist davon auszugehen, dass Art. 83 der Richtlinie 2014/24 und Art. 99 der Richtlinie 2014/25, die übereinstimmend formuliert sind, nicht dahin ausgelegt werden können, dass sie den Mitgliedstaaten vorschreiben oder verbieten, einen Nachprüfungsmechanismus von Amts wegen im öffentlichen Interesse, wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, vorzusehen.

78      Hierzu ist festzustellen, dass Art. 83 der Richtlinie 2014/24 und Art. 99 der Richtlinie 2014/25, wie sie in den Erwägungsgründen 121 und 122 der Richtlinie 2014/24 und den Erwägungsgründen 127 und 128 der Richtlinie 2014/25 erläutert werden, jeweils in Titel IV („Governance“) dieser Richtlinien enthalten sind.

79      So heißt es im 121. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 und im 127. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/25 lediglich, dass diese Bestimmungen darauf abzielen, „sich einen guten Überblick über mögliche strukturelle Probleme und allgemeine Muster des Auftragswesens in den einzelnen Mitgliedstaaten zu verschaffen, um gezielter auf mögliche Probleme eingehen zu können“.

80      Der 122. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 und der 128. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/25 stellen fest, dass die jeweils von den Richtlinien 89/665 und 92/13 vorgesehenen Nachprüfungsverfahren von den Richtlinien 2014/24 und 2014/25 unberührt bleiben sollten. Sie fügen hinzu, dass die Bürger, Interessengruppen und andere Personen oder Stellen, die keinen Zugang zu diesen Nachprüfungsverfahren haben, als Steuerzahler ein begründetes Interesse an soliden Vergabeverfahren haben, so dass ihnen die Möglichkeit gegeben werden sollte, auf anderem Wege als dem des Nachprüfungssystems gemäß der Richtlinien 89/665 und 92/13 und ohne dass sie zwingend vor Gericht klagen können müssten, mögliche Verstöße gegen die Richtlinien 2014/24 und 2014/25 gegenüber einer zuständigen Behörde oder Stelle anzuzeigen.

81      In diesem Zusammenhang bestimmen Art. 83 der Richtlinie 2014/24 und Art. 99 der Richtlinie 2014/25 jeweils in ihren Abs. 1, dass die Mitgliedstaaten, um wirksam eine korrekte und effiziente Umsetzung dieser Richtlinien zu gewährleisten, sicherstellen, dass zumindest die in diesen Artikeln genannten Aufgaben von einer oder mehreren Behörden, Stellen oder Strukturen erbracht werden, und in ihren Abs. 2, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Anwendung der Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe überwacht wird.

82      Damit enthalten diese Bestimmungen Mindestanforderungen, die die Mitgliedstaaten verpflichten, Mechanismen vorzusehen, die die Kontrolle der Anwendung der Vorschriften über die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge ermöglichen.

83      In diesem Rahmen ist festzustellen, dass diese Bestimmungen es den Mitgliedstaaten nicht verbieten, zugunsten nationaler Überwachungsbehörden Nachprüfungsverfahren von Amts wegen vorzusehen, die es diesen ermöglichen, zum Schutz der finanziellen Interessen der Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens Verstöße gegen das Vergaberecht feststellen zu lassen. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 72 und 73 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, stellt ein solches Verfahren vielmehr eine der möglichen Ausprägungen der neuen Rolle dar, die den Überwachungsbehörden durch Art. 83 der Richtlinie 2014/24 und Art. 99 der Richtlinie 2014/25 zugewiesen wurde.

84      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die verschiedenen in den Rn. 69 bis 83 des vorliegenden Urteils geprüften Bestimmungen und Erwägungsgründe den Mitgliedstaaten weder vorschreiben noch verbieten, es einer Überwachungsbehörde zu gestatten, aus Gründen des Schutzes der finanziellen Interessen der Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens ein Nachprüfungsverfahren von Amts wegen zu veranlassen, um Verstöße gegen das Vergaberecht zu kontrollieren.

85      Ist dieses Nachprüfungsverfahren von Amts wegen vorgesehen, ist jedoch festzustellen, dass es in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, da öffentliche Aufträge, die Gegenstand eines solchen Nachprüfungsverfahrens sind, in den sachlichen Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallen.

86      Ein solches Nachprüfungsverfahren von Amts wegen muss daher das Unionsrecht einschließlich seiner allgemeinen Rechtsgrundsätze, zu denen der allgemeine Grundsatz der Rechtssicherheit gehört, beachten.

87      Somit ist auf die zweiten Fragen zu antworten, dass die Erwägungsgründe 25 und 27 der Richtlinie 2007/66, Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665, Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 92/13, Art. 83 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/24 und Art. 99 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/25 dahin auszulegen sind, dass sie den Mitgliedstaaten weder vorschreiben noch verbieten, eine Regelung zu erlassen, auf deren Grundlage eine Überwachungsbehörde ein Nachprüfungsverfahren von Amts wegen aus Gründen des Schutzes der finanziellen Interessen der Union veranlassen kann, um Verstöße gegen das Vergaberecht zu kontrollieren. Ist dieses Nachprüfungsverfahren von Amts wegen vorgesehen, fällt es jedoch in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, da öffentliche Aufträge, die Gegenstand eines solchen Nachprüfungsverfahrens sind, in den sachlichen Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallen, so dass es das Unionsrecht einschließlich seiner allgemeinen Rechtsgrundsätze, zu denen der allgemeine Grundsatz der Rechtssicherheit gehört, beachten muss.

 Zu den ersten, den dritten und den vierten Fragen

88      Mit seinen ersten, dritten und vierten Vorlagefragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es im Rahmen eines von Amts wegen durch eine Überwachungsbehörde aus Gründen des Schutzes der finanziellen Interessen der Union veranlassten Nachprüfungsverfahrens der allgemeine Grundsatz der Rechtssicherheit nicht zulässt, dass eine neue nationale Regelung die Einleitung eines solchen Verfahrens zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Vertragsänderungen eines öffentlichen Auftrags innerhalb der in ihr festgelegten Ausschlussfrist vorsieht, obwohl die in der früheren Regelung vorgesehene Ausschlussfrist, die auf den Zeitpunkt dieser Änderungen anwendbar war, abgelaufen ist.

89      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht nur wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags verbietet, was Änderungen der Bedingungen eines öffentlichen Auftrags während seiner Geltungsdauer entspricht, die eine Neuvergabe des Auftrags im Sinne der Richtlinie 2014/24 darstellen, da sie wesentlich andere Merkmale aufweisen als der ursprüngliche Auftrag und damit den Willen der Parteien zur Neuverhandlung wesentlicher Bestimmungen dieses Auftrags erkennen lassen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Juni 2008, pressetext Nachrichtenagentur, C‑454/06, EU:C:2008:351, Rn. 34, und vom 29. April 2010, Kommission/Deutschland, C‑160/08, EU:C:2010:230, Rn. 99).

90      Es ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit nach dem Unionsrecht zwar von jeder innerstaatlichen Stelle zu beachten ist; dies gilt indes nur dann, wenn diese mit der Anwendung des Unionsrechts betraut ist (Urteile vom 17. Juli 2008, ASM Brescia, C‑347/06, EU:C:2008:416, Rn. 65, und vom 21. März 2019, Unareti, C‑702/17, EU:C:2019:233, Rn. 34).

91      Veranlasst eine nationale Überwachungsbehörde von Amts wegen ein Nachprüfungsverfahren gegen die während seiner Durchführung vorgenommenen Änderungen eines öffentlichen Auftrags im Sinne des Vergaberechts der Union, fällt, wie sich aus Rn. 85 des vorliegenden Urteils ergibt, ein solcher Rechtsbehelf ebenfalls unter das Unionsrecht.

92      Daher ist zu prüfen, ob eine solche Nachprüfung, die von Amts wegen veranlasst wird, um gegen die Vertragspartner, die den zwischen ihnen bestehenden Vertrag rechtswidrig geändert haben, eine Sanktion verhängen zu lassen, oder aus diesem Grund sogar die Feststellung der Unwirksamkeit dieses Vertrags feststellen zu lassen, den Grundsatz der Rechtssicherheit beachtet, wenn die Ausschlussfristen im Hinblick auf die vorgenommenen Änderungen nach der neuen nationalen Regelung wieder in Gang gesetzt werden können, obwohl diese unter einem älteren Gesetz galten und die in diesem vorgesehene Ausschlussfrist zu dem Zeitpunkt, zu dem das Verfahren von Amts wegen veranlasst wurde, bereits abgelaufen war.

93      Insofern gebietet es der Grundsatz der Rechtssicherheit insbesondere, dass Rechtsvorschriften, vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben können, klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen voraussehbar sein müssen (Urteile vom 17. Juli 2008, ASM Brescia, C‑347/06, EU:C:2008:416, Rn. 69, und vom 17. Dezember 2015, X-Steuerberatungsgesellschaft, C‑342/14, EU:C:2015:827, Rn. 59).

94      Insofern ist auch darauf hinzuweisen, dass, auch wenn der Grundsatz der Rechtssicherheit einer rückwirkenden Anwendung einer Regelung, also einer Anwendung auf einen vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossenen Sachverhalt, unabhängig davon, ob sie sich für den Betroffenen günstig oder ungünstig auswirkt, entgegensteht und verlangt, dass jeder Sachverhalt normalerweise, soweit nichts Gegenteiliges bestimmt ist, anhand der seinerzeit geltenden Rechtsvorschriften beurteilt wird, die neue Regelung somit nur für die Zukunft und, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch für die künftigen Wirkungen der unter dem alten Recht entstandenen Sachverhalte gilt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. September 2015, A2A, C‑89/14, EU:C:2015:537, Rn. 37, und vom 26. Mai 2016, Județul Neamț und Județul Bacău, C‑260/14 und C‑261/14, EU:C:2016:360, Rn. 55).

95      Was speziell die Frage der Ausschlussfristen anbelangt, geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ferner hervor, dass diese zur Erfüllung ihres Zwecks, die Rechtssicherheit zu gewährleisten, im Voraus festgelegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Juli 1970, ACF Chemiefarma/Kommission, 41/69, EU:C:1970:71, Rn. 19, und vom 5. Mai 2011, Ze Fu Fleischhandel und Vion Trading, C‑201/10 und C‑202/10, EU:C:2011:282, Rn. 52) und hinreichend vorhersehbar (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Mai 2011, Ze Fu Fleischhandel und Vion Trading, C‑201/10 und C‑202/10, EU:C:2011:282, Rn. 34, und vom 17. September 2014, Cruz & Companhia, C‑341/13, EU:C:2014:2230, Rn. 58) sein müssen.

96      Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass im Hinblick auf den Zeitpunkt, zu dem die Änderungen der Verträge über einen öffentlichen Auftrag im Ausgangsverfahren erfolgten, § 327 Abs. 2 Buchst. a des Vergabegesetzes von 2003 anwendbar war. Die darin dem Präsidenten des Rates für die öffentliche Auftragsvergabe eingeräumte Frist für die Veranlassung eines Verfahrens der Schiedskommission von Amts wegen gegen diese Änderungen war jedoch bereits seit mehreren Jahren abgelaufen, als das Vergabegesetz von 2015 in Kraft trat, was allerdings vom vorlegenden Gericht zu überprüfen sein wird.

97      Somit zielt § 197 Abs. 1 des Vergabegesetzes von 2015 dadurch, dass er die Einleitung von Verfahren von Amts wegen in Bezug auf Änderungen von Verträgen über einen öffentlichen Auftrag ermöglicht, die angesichts der für diese Änderungen geltenden einschlägigen Bestimmungen des Vergabegesetzes von 2003 nicht mehr möglich waren, nicht darauf ab, bestehende Rechtsverhältnisse zu erfassen, sondern stellt eine rückwirkende Bestimmung dar.

98      Wie Budapesti Közlekedési und die Kommission ausgeführt haben, erlaubt diese Regelung der zuständigen Behörde nämlich, ein solches Verfahren zu veranlassen, das die Ausschlussfristen erneut in Gang setzt, obwohl unter der Geltung der früheren Regelung Verjährung eingetreten war.

99      Zwar lässt es das Unionsrecht ausnahmsweise zu, dass einem Rechtsakt Rückwirkung verliehen werden kann, wenn das zu erreichende Ziel diese erfordert und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Juli 2004, Gerekens und Procola, C‑459/02, EU:C:2004:454, Rn. 24).

100    Der Grundsatz des Vertrauensschutzes lässt es jedoch nicht zu, dass Änderungen einer nationalen Regelung es einer nationalen Überwachungsbehörde erlauben, ein Nachprüfungsverfahren zu veranlassen, auch wenn die in der früheren Regelung, die zum Zeitpunkt dieser Änderungen galt, vorgesehene Ausschlussfrist abgelaufen ist.

101    Schließlich können die Erwägungen in den Rn. 90 bis 100 des vorliegenden Urteils nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass das Vergabegesetz von 2015 den Schutz der finanziellen Interessen der Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens gewährleisten und die rechtlichen, technischen und organisatorischen Mängel beheben soll, die sich aus der Anwendung der früheren Regelung ergeben hatten.

102    Folglich ist auf die ersten, die dritten und die vierten Vorlagefragen zu antworten, dass es im Rahmen eines von Amts wegen durch eine Überwachungsbehörde aus Gründen des Schutzes der finanziellen Interessen der Union veranlassten Nachprüfungsverfahrens der allgemeine Grundsatz der Rechtssicherheit nicht zulässt, dass eine neue nationale Regelung die Einleitung eines solchen Verfahrens zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Vertragsänderungen eines öffentlichen Auftrags innerhalb der in ihr festgelegten Ausschlussfrist vorsieht, obwohl die in der früheren Regelung vorgesehene Ausschlussfrist, die auf den Zeitpunkt dieser Änderungen anwendbar war, abgelaufen ist.

 Zu den fünften Fragen

103    Mit seinen fünften Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob, falls die ersten, die dritten und die vierten Fragen verneint werden sollten, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der Zeit, die zwischen der Rechtsverletzung, dem Ablauf der früheren Ausschlussfrist und dem zur Untersuchung der Rechtsverletzung eingeleiteten Verfahren vergangen ist, prüfen und daraus Folgen für die Wirksamkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidung oder andere im mitgliedstaatlichen Recht vorgesehenen Rechtsfolgen ableiten darf.

104    In Anbetracht der Antwort auf die ersten, die dritten und die vierten Fragen sind die fünften Fragen nicht zu beantworten.

 Kosten

105    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Erwägungsgründe 25 und 27 der Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge, Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung, Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung, Art. 83 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG und Art. 99 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG sind dahin auszulegen, dass sie den Mitgliedstaaten weder vorschreiben noch verbieten, eine Regelung zu erlassen, auf deren Grundlage eine Überwachungsbehörde ein Nachprüfungsverfahren von Amts wegen aus Gründen des Schutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Union veranlassen kann, um Verstöße gegen das Vergaberecht zu kontrollieren. Ist dieses Nachprüfungsverfahren von Amts wegen vorgesehen, fällt es jedoch in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, da öffentliche Aufträge, die Gegenstand eines solchen Nachprüfungsverfahrens sind, in den sachlichen Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallen, so dass es das Unionsrecht einschließlich seiner allgemeinen Rechtsgrundsätze, zu denen der allgemeine Grundsatz der Rechtssicherheit gehört, beachten muss.

2.      Im Rahmen eines von Amts wegen durch eine Überwachungsbehörde aus Gründen des Schutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Union veranlassten Nachprüfungsverfahrens lässt es der allgemeine Grundsatz der Rechtssicherheit nicht zu, dass eine neue nationale Regelung die Einleitung eines solchen Verfahrens zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Vertragsänderungen eines öffentlichen Auftrags innerhalb der in ihr festgelegten Ausschlussfrist vorsieht, obwohl die in der früheren Regelung vorgesehene Ausschlussfrist, die auf den Zeitpunkt dieser Änderungen anwendbar war, abgelaufen ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Ungarisch.