Language of document : ECLI:EU:C:2012:472

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

19. Juli 2012(*)

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Verordnung (EG) Nr. 881/2002 – Verordnung (EU) Nr. 1286/2009 – Restriktive Maßnahmen gegen Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen – Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen – Wahl der Rechtsgrundlage – Art. 75 AEUV und 215 AEUV – Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon – Übergangsbestimmungen – Gemeinsame Standpunkte und Beschlüsse im Rahmen der GASP – Gemeinsamer Vorschlag des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und der Kommission“

In der Rechtssache C‑130/10

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 9. März 2010,

Europäisches Parlament, zunächst vertreten durch E. Perillo und K. Bradley, dann durch A. Auersperger Matić und U. Rösslein als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Bishop und R. Szostak als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek, E. Ruffer und K. Najmanová als Bevollmächtigte,

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues und A. Adam als Bevollmächtigte,

Königreich Schweden, vertreten durch A. Falk und C. Meyer-Seitz als Bevollmächtigte,

Europäische Kommission, vertreten durch S. Boelaert und M. Konstantinidis als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts und J.‑C. Bonichot, der Kammerpräsidentin A. Prechal, des Richters A. Rosas (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter K. Schiemann und E. Juhász, der Richterin M. Berger sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2011,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 31. Januar 2012

folgendes

Urteil

1        Mit seiner Klage begehrt das Europäische Parlament die Nichtigerklärung der Verordnung (EU) Nr. 1286/2009 des Rates vom 22. Dezember 2009 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen (ABl. L 346, S. 42, im Folgenden: angefochtene Verordnung).

 Rechtlicher Rahmen

2        Am 16. Januar 2002 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (im Folgenden: Sicherheitsrat) die Resolution 1390 (2002), mit der die Maßnahmen festgelegt werden, die alle Staaten gegen Osama bin Laden, Mitglieder der Al-Qaida-Organisation und der Taliban sowie andere mit ihnen verbündete Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen ergreifen werden. Diese Resolution sieht u. a. in ihren Ziff. 1 und 2 im Wesentlichen vor, dass das in Ziff. 4 Buchst. b der Resolution 1267 (1999) des Sicherheitsrats und in Ziff. 8 Buchst. c der Resolution 1333 (2000) des Sicherheitsrats angeordnete Einfrieren von Geldern fortgesetzt wird. Nach Ziff. 3 der Resolution 1390 (2002) überprüft der Sicherheitsrat diese Maßnahmen zwölf Monate nach ihrem Erlass und genehmigt dann entweder ihre Fortsetzung oder beschließt ihre Verbesserung.

3        In der Erwägung, dass die Europäische Gemeinschaft tätig werden musste, um diese Resolution umzusetzen, nahm der Rat der Europäischen Union am 27. Mai 2002 auf der Grundlage von Art. 15 EU den Gemeinsamen Standpunkt 2002/402/GASP betreffend restriktive Maßnahmen gegen Osama bin Laden, Mitglieder der Al-Qaida-Organisation und die Taliban sowie andere mit ihnen verbündete Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen und zur Aufhebung der Gemeinsamen Standpunkte 96/746/GASP, 1999/727/GASP, 2001/154/GASP und 2001/771/GASP (ABl. L 139, S. 4) an. Art. 3 des Gemeinsamen Standpunkts 2002/402 schreibt u. a. das weitere Einfrieren der Gelder und sonstigen Vermögenswerte oder wirtschaftlichen Ressourcen der Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen vor, die in der aufgrund der Resolutionen 1267 (1999) und 1333 (2000) erstellten Liste aufgeführt sind.

4        Am selben Tag wurde, gestützt auf die Art. 60 EG, 301 EG und 308 EG, die Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 des Rates über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan (ABl. L 139, S. 9) erlassen. Anhang I dieser Verordnung enthält die Liste der Personen, Gruppen und Organisationen, die vom Einfrieren der Gelder nach Art. 2 dieser Verordnung betroffen sind (im Folgenden: Liste).

5        Die angefochtene Verordnung wurde vom Rat am 22. Dezember 2009 erlassen. Sie ist auf Art. 215 Abs. 2 AEUV gestützt und nimmt Bezug auf einen gemeinsamen Vorschlag der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (im Folgenden: Hohe Vertreterin) und der Europäischen Kommission. Mit ihr wird die Verordnung Nr. 881/2002 im Anschluss an das Urteil vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, Slg. 2008, I‑6351), geändert, indem für die Aufnahme in die Liste ein Verfahren eingeführt wird, das die Wahrung der grundlegenden Verteidigungsrechte, insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sicherstellt. Das geänderte Verfahren sieht vor, dass eine in die Liste aufgenommene Person, Organisation, Einrichtung oder Vereinigung von den Gründen für ihre Aufnahme in die Liste, die von dem durch die Resolution 1267 (1999) eingesetzten Ausschuss des Sicherheitsrats (im Folgenden: Sanktionsausschuss) mitgeteilt wurden, unterrichtet wird, um ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesen Gründen zu geben.

 Anträge der Verfahrensbeteiligten

6        Das Parlament beantragt,

–        die angefochtene Verordnung für nichtig zu erklären,

–        anzuordnen, dass die angefochtene Verordnung bis zum Erlass einer neuen Verordnung fortgilt, und

–        dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

7        Der Rat beantragt,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen und

–        dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

 Verfahren vor dem Gerichtshof

8        Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. August 2010 sind die Tschechische Republik, das Königreich Dänemark, die Französische Republik, das Königreich Schweden und die Kommission als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden.

9        Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 2. Dezember 2010 ist das Königreich Dänemark auf seinen dahin gehenden Antrag als Streithelfer gestrichen worden.

 Zur Klage

10      Zur Stützung seiner Nichtigkeitsklage beruft sich das Parlament auf zwei Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund macht das Parlament geltend, die angefochtene Verordnung sei zu Unrecht auf Art. 215 AEUV gestützt worden, während die richtige Rechtsgrundlage Art. 75 AEUV sei. Mit dem zweiten, hilfsweise geltend gemachten Klagegrund rügt das Parlament, die Voraussetzungen für einen Rückgriff auf Art. 215 AEUV seien nicht eingehalten worden.

 Zum ersten Klagegrund: Fehlerhafte Wahl der Rechtsgrundlage

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

11      Mit seinem ersten Klagegrund macht das Parlament geltend, die angefochtene Verordnung habe nicht wirksam auf Art. 215 AEUV gestützt werden können. Dieser Klagegrund gliedert sich in zwei Teile, von denen der erste das Ziel und den Inhalt der Verordnung betrifft und der zweite die allgemeine Systematik der Verträge.

–       Zu Ziel und Inhalt der angefochtenen Verordnung

12      Das Parlament weist darauf hin, dass die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt der Europäischen Union auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen müsse, zu denen insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehörten. Die angefochtene Verordnung müsse nach ihrem Inhalt und ihrem Ziel dieselbe Rechtsgrundlage haben wie die auf die Art. 60 EG, 301 EG und 308 EG gestützte Verordnung Nr. 881/2002. Da diese Artikel jedoch im Zuge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 aufgehoben worden oder unanwendbar geworden seien, sei die geeignete Rechtsgrundlage Art. 75 AEUV, in dem die Verhütung und Bekämpfung von Terrorismus geregelt sei.

13      Zum Inhalt der angefochtenen Verordnung sei festzustellen, dass sie sich zum großen Teil darauf beschränke, die Bestimmungen der Verordnung Nr. 881/2002 umzuformulieren, klarer zu fassen oder ihre Anwendung zu erleichtern – ohne die Natur ihres Inhalts in irgendeiner Weise zu ändern. Wirklich neue materielle Bestimmungen stellten allein die Bestimmungen über das Verfahren zur Aufnahme in die Liste dar. Die angefochtene Verordnung habe den Charakter eines „Rahmens für Verwaltungsmaßnahmen“ im Sinne von Art. 75 AEUV; sie ändere oder ergänze nämlich den Rechtsrahmen für den Erlass und die Anwendung von Verwaltungsmaßnahmen zum Einfrieren der Gelder der betreffenden Personen.

14      Ziel der angefochtenen Verordnung sei wie bei der Verordnung Nr. 881/2002 die Bekämpfung des Terrorismus und seiner Finanzierung, was den Zielen von Art. 75 AEUV entspreche. Dies werde bestätigt durch Randnr. 169 des Urteils Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, in der es heiße, dass das grundlegende Ziel und der Gegenstand der streitigen Verordnung darin bestünden, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, insbesondere, ihn von seinen Finanzmitteln abzuschneiden, indem die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der Personen oder Organisationen eingefroren würden, die im Verdacht stünden, in damit verbundene Tätigkeiten verwickelt zu sein. In Randnr. 199 dieses Urteils habe der Gerichtshof ferner festgestellt, dass die Auffassung des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, mit dieser Verordnung werde eines der Ziele des EU‑Vertrags, in seiner Fassung vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, im Bereich der auswärtigen Beziehungen verfolgt, zu denen auch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (im Folgenden: GASP) zähle, schon gegen den Wortlaut des Art. 308 EG verstoße.

15      Da mit der Verordnung Nr. 881/2002 nicht die Ziele der GASP verwirklicht werden sollten, sei kaum denkbar, wie dies bei der angefochtenen Verordnung der Fall sein könnte, die erlassen worden sei, um die Anwendung der erstgenannten Verordnung zu erleichtern. Auf Art. 215 AEUV könne der Rat nur bei Maßnahmen zurückgreifen, mit denen Ziele der GASP verwirklicht würden, und zwar nur dann, wenn ein Beschluss, mit dem solche Ziele erreicht werden sollten, dies vorsehe.

16      Soweit die Auffassung des Rates auf einer Unterscheidung zwischen dem internationalen oder „externen“ und dem „internen“ Terrorismus beruhe, entspreche sie nicht den Tatsachen und sei realitätsfremd. Terrorismus könne nur international wirksam bekämpft werden. Unterscheiden ließen sich in diesem Zusammenhang lediglich nationale und internationale Maßnahmen gegen ihn. Hingegen sei nicht immer sicher feststellbar, ob terroristische oder damit verbundene Tätigkeiten, die in der Union ausgeübt würden, eine Gefahr innerhalb oder außerhalb der Union begründeten.

17      Der Rat vertritt dagegen die Auffassung, nach ihren Zielen und ihrem Inhalt falle die angefochtene Verordnung in den Anwendungsbereich der Bestimmungen der Verträge über das auswärtige Handeln der Union, speziell der GASP. Art. 215 AEUV stelle die geeignete Rechtsgrundlage für diese Maßnahme dar.

18      Ziel der angefochtenen Verordnung sei wie bei der Verordnung Nr. 881/2002 die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und seiner Finanzierung, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. Der Rat beruft sich insoweit auf den Wortlaut der Resolution 1390 (2002) und der angefochtenen Verordnung sowie auf das Urteil Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission.

19      Der Inhalt der angefochtenen Verordnung entspreche diesem Ziel. Die mit der streitigen Verordnung in die Verordnung Nr. 881/2002 eingefügten Art. 7a und 7c bestätigten, dass mit diesen Verordnungen unmittelbar die Beschlüsse des Sanktionsausschusses über die Aufnahme in die Liste umgesetzt würden und ein System der Interaktion zwischen diesem Ausschuss, der Union und den in diese Liste aufgenommenen Personen und Einrichtungen hergestellt werde.

20      Die Verordnung Nr. 881/2002 und die angefochtene Verordnung fielen nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Union. Mit ihnen würden weder Fragen der Grenzkontrollen noch Fragen der inneren Sicherheit oder der Anerkennung gerichtlicher oder außergerichtlicher Entscheidungen geregelt.

21      Der Rat macht geltend, in den Verträgen in ihrer Fassung vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sei keine spezielle Rechtsgrundlage für den Erlass von Maßnahmen des Einfrierens von Geldern vorgesehen gewesen, die sich gegen Terroristen richteten, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in den Mitgliedstaaten darstellten, also gegen die „internen“ Terroristen. Rechtsgrundlagen für den Erlass solcher restriktiver Maßnahmen seien allein die Art. 60 EG, 301 EG und 308 EG gewesen; diese Bestimmungen hätten aber nur auf Maßnahmen gegen „externe“ Terroristen im Rahmen des auswärtigen Handelns der Union Anwendung gefunden.

22      Nach der Struktur und dem Wortlaut der Verträge in der durch den Vertrag von Lissabon geänderten Fassung seien bei der Wahl der Rechtsgrundlage für eine restriktive Maßnahme die Lokalisation der vermuteten Bedrohung und die politischen Ziele einer in die Liste aufgenommenen Person oder Gruppierung zu berücksichtigen. Art. 75 AEUV biete nun eine Rechtsgrundlage für den Erlass von Maßnahmen des Einfrierens der Gelder von „internen“ Terroristen, wie der in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. L 344, S. 93) mit einem Sternchen aufgeführten Personen und Gruppierungen. Richte sich die Bedrohung hingegen hauptsächlich gegen ein oder mehrere Drittländer oder allgemein gegen die internationale Gemeinschaft, sei Art. 215 AEUV die geeignete Rechtsgrundlage. Ein Einfrieren von Geldern, mit dem ein Beitrag zur Sicherheit eines Drittlands geleistet und nicht die innere Sicherheit gewahrt werden solle, dürfe die Union nicht auf der Grundlage der Bestimmungen des Titels V des Dritten Teils des AEU-Vertrags anordnen, die den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts regelten.

23      Ferner macht der Rat, im Wesentlichen unterstützt durch das Königreich Schweden, geltend, das Parlament lasse die Fälle außer Acht, in denen die Union im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus gegen Personen oder Organisationen, die mit dem „externen“ Terrorismus in Verbindung stünden, andere restriktive Maßnahmen erlassen oder verhängen wolle als das Einfrieren von Geldern, z. B. ein Reiseverbot.

24      Das Königreich Schweden führt hierzu weiter aus, die Auffassung des Parlaments liefe darauf hinaus, dass die Durchführung der im Rahmen der Vereinten Nationen gegen Terroristen verhängten Sanktionen bei verschiedenen Maßnahmen im Rahmen ein und derselben Sanktionsregelung jeweils auf verschiedene Rechtsgrundlagen gestützt würde. Das habe nicht die Absicht des Unionsgesetzgebers gewesen sein können, zumal eine solche Regelung bedeuten würde, dass je nachdem, ob die Maßnahme im Rahmen der GASP oder der Innenpolitik der Union erfolge, verschiedene Gesetzgebungsverfahren zur Anwendung kämen.

25      Die Kommission erläutert, dass sie sich, wenn sie einen Rechtsakt zur Änderung eines anderen Rechtsakts vorschlage, auf die Bestimmung oder Bestimmungen stütze, auf deren Grundlage der ursprüngliche Rechtsakt erlassen worden sei. So seien in dem von ihr am 22. April 2009 vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 881/2002 (KOM[2009] 187 endg.) die Art. 60 EG, 301 EG und 308 EG als Rechtsgrundlagen angegeben gewesen. Da dieser Vorschlag am 1. Dezember 2009 beim Rat anhängig gewesen sei, habe sie die rein rechtlichen und technischen Auswirkungen des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon auf ihn prüfen müssen. Sie sei mit Zustimmung der Hohen Vertreterin zu dem Schluss gekommen, dass Art. 215 Abs. 2 AEUV alle betreffenden Aspekte der Art. 60 EG, 301 EG und 308 EG abdecke. Dies stehe im Einklang mit den Ausführungen des Gerichtshofs in seinem Urteil Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission.

26      Was die Auswirkungen dieses Urteils auf die Frage der Rechtsgrundlage angeht, wendet sich die Kommission gegen das Vorbringen des Parlaments, mit einem auf Art. 308 EG gestützten Rechtsakt könne kein Ziel der GASP verfolgt werden. In diesem Urteil habe der Gerichtshof nicht in Frage gestellt, dass auf der Rechtsgrundlage der Art. 60 EG und 301 EG Maßnahmen der Gemeinschaft erlassen werden könnten, mit denen ein Ziel der GASP verfolgt werde. In Bezug auf die Verordnung Nr. 881/2002 habe er, um die Einbeziehung von Art. 308 EG als dritte Rechtsgrundlage zu rechtfertigen, ein zweites Ziel der Gemeinschaft ausgemacht, das der Verordnung implizit zugrunde liege und mit dem Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zusammenhänge. Der Gerichtshof habe außerdem bestätigt, dass der EG-Vertrag die Heranziehung dieser Bestimmung erfordere, um restriktive Maßnahmen gegen natürliche oder juristische Personen erlassen zu können, wenn eine Verbindung mit dem Regime eines Drittstaats fehle.

27      Die Kommission vertritt die Auffassung, Art. 215 AEUV könne nicht in Verbindung mit Art. 75 AEUV Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung sein. Ein Rechtsakt könne nicht zugleich auf diese beiden Bestimmungen gestützt werden, denn sie sähen verschiedene Verfahrens- und Entscheidungsbedingungen vor, einschließlich der Anwendung des Protokolls (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Anhang des EU- und des AEU-Vertrags sowie des Protokolls (Nr. 22) über die Position Dänemarks im Anhang dieser Verträge. Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen den Art. 215 AEUV und 75 AEUV bestehe in dem Erfordernis eines Zusammenhangs mit Beschlüssen im Rahmen der GASP, die unabhängig vom genauen Ort und der Tragweite der in Rede stehenden terroristischen Bedrohung im Interesse des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erlassen worden seien. Wenn restriktive Maßnahmen, die den Terrorismus beträfen, nach dem AEU-Vertrag auf einen Beschluss im Rahmen der GASP hin zu erlassen seien, der seinerseits auf eine Resolution des Sicherheitsrats zurückgehe, komme als Rechtsgrundlage allein Art. 215 AEUV in Betracht.

–       Zur allgemeinen Systematik der Verträge

28      Das Parlament vertritt die Auffassung, bei der Auslegung der Verträge könnten ihre allgemeine Systematik und ihr Geist berücksichtigt werden. Im vorliegenden Fall sei die Wahl von Art. 75 AEUV als Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung unter diesen Gesichtspunkten gerechtfertigt.

29      Erstens betreffe die angefochtene Verordnung den Schutz von Personen und Gruppierungen. Maßnahmen, die die Grundrechte berührten, dürfe die Union seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon jedoch nur noch im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens oder mit Zustimmung des Parlaments erlassen. Art. 215 Abs. 2 AEUV finde nur auf Maßnahmen Anwendung, die weniger grundrechtsrelevant seien.

30      Zweitens ermächtige Art. 75 AEUV die Union, Maßnahmen in Bezug auf Kapitalbewegungen und Zahlungen zu erlassen, wodurch anerkannt werde, dass sich solche Maßnahmen möglicherweise auf das gute Funktionieren des Kapitalbinnenmarkts und die Erbringung von Dienstleistungen auswirken könnten. Der Gerichtshof habe in Randnr. 229 des Urteils Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission festgestellt, dass wirtschaftliche Sanktionen ihrer Natur nach einen Bezug zum Gemeinsamen Markt aufwiesen. Im Übrigen sei im vierten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 881/2002 selbst von der Notwendigkeit die Rede, insbesondere Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.

31      Drittens weise die angefochtene Verordnung Bezüge zur Bildung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auf. Sie trage zur Bekämpfung der Kriminalität, insbesondere des Terrorismus und seiner Finanzierung, bei; dies sei eines der Ziele dieses Raums, wie insbesondere aus Art. 3 Abs. 2 EUV hervorgehe.

32      Schließlich macht das Parlament geltend, zwischen der angefochtenen Verordnung und der GASP bestehe kein Zusammenhang. Nach Art. 24 Abs. 1 EUV gälten für die GASP besondere Bestimmungen und Verfahren. Diese über ihren Anwendungsbereich hinaus heranzuziehen, ließe sich nicht mit den in Art. 1 Abs. 2 EUV genannten Zielen vereinbaren und würde für die nationalen Parlamente bedeuten, dass die Protokolle über ihre Rolle und über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit unberücksichtigt blieben, sowie für das Parlament, dass das ordentliche Gesetzgebungsverfahren nicht zur Anwendung käme.

33      Das Parlament beruft sich zur Stützung seines Standpunkts auch auf Randnr. 235 des Urteils Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, in der der Gerichtshof festgestellt habe, dass die Hinzufügung von Art. 308 EG zur Rechtsgrundlage der Verordnung Nr. 881/2002 gerechtfertigt gewesen sei, da sie dem Europäischen Parlament die Teilnahme am Entscheidungsprozess in Bezug auf die fraglichen, speziell Einzelpersonen betreffenden Maßnahmen ermöglicht habe, während im Rahmen der Art. 60 EG und 301 EG keine Rolle für dieses Organ vorgesehen gewesen sei.

34      Das Parlament vertritt daher die Auffassung, dass es nicht mit dem Unionsrecht vereinbar wäre, wenn Maßnahmen, die unmittelbar die Grundrechte von Einzelnen und Gruppen, den Binnenmarkt und die Bekämpfung der Kriminalität berührten, in einem Verfahren erlassen werden könnten, bei dem die Mitwirkung des Parlaments ausgeschlossen sei, obwohl für den Erlass von Maßnahmen in diesen Bereichen das ordentliche Gesetzgebungsverfahren vorgeschrieben sei. Im Vertrag von Lissabon komme der Wille der Mitgliedstaaten zum Ausdruck, den demokratischen Charakter der Union zu stärken. Mit diesem Vertrag werde dem dringenden Bedürfnis Rechnung getragen, für die Praktiken der Aufnahme in die Liste eine parlamentarische Kontrolle vorzusehen. Art. 215 Abs. 2 AEUV als geeignete Rechtsgrundlage für Maßnahmen wie die streitige Verordnung anzuerkennen, liefe de facto darauf hinaus, Art. 75 AEUV einen großen Teil seiner praktischen Wirksamkeit zu nehmen. Diese Bestimmung sei im Übrigen gegenüber Art. 215 AEUV die speziellere Rechtsgrundlage.

35      Nach Auffassung des Rates ist das Vorbringen des Parlaments zur allgemeinen Systematik der Verträge für die Bestimmung der geeigneten Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung unerheblich.

36      Die Befugnisse der Organe seien in den Verträgen festgelegt und variierten je nach den verschiedenen Bereichen des Handelns der Union. Die Auffassung des Parlaments würde bedeuten, dass sich die Wahl der Rechtsgrundlage nach dem Verfahren richte und nicht umgekehrt. Auf die veränderliche Größe der verfahrensmäßigen Rolle des Parlaments komme es nur in Ausnahmefällen an. Das sei der Fall bei einer Maßnahme, mit der gleichzeitig mehrere Ziele verfolgt würden, die untrennbar miteinander verbunden seien, ohne dass eines dem anderen untergeordnet wäre. In solchen Fällen sei es möglich, sich auf die verschiedenen einschlägigen Rechtsgrundlagen zu stützen, vorausgesetzt, diese seien miteinander vereinbar. Um Letzteres festzustellen, sei zu prüfen, ob die Rechte des Parlaments durch die Kombination dieser Rechtsgrundlagen verletzt werden könnten. Insoweit sei insbesondere auf das Urteil vom 6. November 2008, Parlament/Rat (C‑155/07, Slg. 2008, I‑8103), zu verweisen.

37      Die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts der Union müsse sich auf objektive Umstände gründen, insbesondere auf das Ziel und den Inhalt des in Rede stehenden Rechtsakts. Dieser Grundsatz sei durch das Urteil Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission bestätigt worden. Zwar habe der Gerichtshof in Randnr. 235 dieses Urteils ausgeführt, dass die Heranziehung von Art. 308 EG dem Parlament die Teilnahme am Entscheidungsprozess ermöglicht habe, doch habe es sich dabei lediglich um eine ergänzende Feststellung gehandelt; in erster Linie habe der Gerichtshof in diesem Urteil auf die Ziele des EG-Vertrags abgestellt.

38      Außerdem werde das Vorbringen des Parlaments, die Union dürfe Maßnahmen, die die Beachtung der Grundrechte beträfen, nur erlassen, wenn es dabei einbezogen werde, durch Art. 215 Abs. 3 AEUV entkräftet, der laute: „In den Rechtsakten nach diesem Artikel müssen die erforderlichen Bestimmungen über den Rechtsschutz vorgesehen sein.“ Daraus gehe eindeutig hervor, dass ein auf der Grundlage dieses Artikels erlassener Rechtsakt die Grundrechte berühren könne.

39      Außerdem solle dem Rat durch Art. 215 AEUV ermöglicht werden, unmittelbar auf die Wirtschaftsteilnehmer anwendbare Maßnahmen zu erlassen. Diese Bestimmung trage zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Gemeinsamen Marktes bei.

40      Zum Verhältnis zwischen der angefochtenen Verordnung und der GASP verweist der Rat auf die besondere Bedrohung, die von Al-Qaida ausgehe. Die Verordnung stelle den Rahmen dar, in dem die Union ihren Verpflichtungen aus der Charta der Vereinten Nationen nachkomme. Es sei nicht abwegig, bei der Bestimmung der geeigneten Rechtsgrundlage das Ziel der Resolutionen des Sicherheitsrats zu berücksichtigen.

41      Schließlich macht der Rat geltend, der Vertrag von Lissabon habe nichts an der Unterscheidung zwischen der GASP und dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geändert. Vielmehr sei in Art. 40 Abs. 2 EUV die Wichtigkeit einer klaren Abgrenzung dieser beiden Bereiche herausgestellt worden. Wenn der Gerichtshof also zu der Auffassung gelangen sollte, dass mit der angefochtenen Verordnung ein Ziel der GASP verfolgt werde, komme als Rechtsgrundlage für ihren Erlass allein Art. 215 Abs. 2 AEUV in Betracht.

 Würdigung durch den Gerichtshof

–       Vorbemerkungen

42      Nach ständiger Rechtsprechung muss die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt der Union auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen, zu denen das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören (vgl. u. a. Urteil Parlament/Rat, Randnr. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Ergibt die Prüfung einer Maßnahme, dass sie zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und lässt sich eine dieser Zielsetzungen oder Komponenten als die hauptsächliche ausmachen, während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, so ist die Maßnahme auf nur eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf diejenige, die die hauptsächliche oder vorherrschende Zielsetzung oder Komponente erfordert (vgl. u. a. Urteil Parlament/Rat, Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Zu einer Maßnahme, die mehrere Zielsetzungen zugleich hat oder mehrere Komponenten umfasst, die untrennbar miteinander verbunden sind, ohne dass die eine gegenüber der anderen nebensächlich ist, hat der Gerichtshof entschieden, dass sie, wenn somit verschiedene Vertragsbestimmungen anwendbar sind, ausnahmsweise auf diese verschiedenen Rechtsgrundlagen gestützt werden muss (vgl. u. a. Urteil Parlament/Rat, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Jedoch ist, wie der Gerichtshof u. a. in den Randnrn. 17 bis 21 des Urteils vom 11. Juni 1991, Kommission/Rat („Titandioxid“, C‑300/89, Slg. 1991, I‑2867), ausgeführt hat, der Rückgriff auf eine doppelte Rechtsgrundlage ausgeschlossen, wenn sich die für die beiden Rechtsgrundlagen jeweils vorgesehenen Verfahren nicht miteinander vereinbaren lassen (vgl. u. a. Urteil Parlament/Rat, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46       Zwar hat der Gerichtshof im Urteil Titandioxid im Zusammenhang mit dem Verfahren der Zusammenarbeit die Unvereinbarkeit zwischen diesem Verfahren, das eine der beiden Rechtsgrundlagen vorsah, um die es in diesem Urteil ging, und der von der anderen Rechtsgrundlage vorgesehenen Einstimmigkeit nach einfacher Anhörung des Parlaments festgestellt; in seiner späteren Rechtsprechung hat der Gerichtshof jedoch einen ähnlichen Ansatz im Zusammenhang mit dem Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG vertreten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Januar 2006, Kommission/Parlament und Rat, C‑178/03, Slg. 2006, I‑107, Randnrn. 58 und 59, sowie Parlament/Rat, Randnrn. 76 bis 79). Ein solcher Ansatz bleibt nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens weiterhin gültig.

47      Im vorliegenden Fall sieht Art. 75 AEUV die Anwendung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens vor, das die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit im Rat und die volle Beteiligung des Parlaments am Verfahren verlangt, während nach Art. 215 Abs. 2 AEUV nur die Unterrichtung des Parlaments erforderlich ist. Außerdem setzt der Rückgriff auf Art. 215 Abs. 2 AEUV im Gegensatz zum Rückgriff auf Art. 75 AEUV voraus, dass zuvor ein Beschluss im Rahmen der GASP, nämlich ein Beschluss nach Titel V Kapitel 2 des EU-Vertrags, ergangen ist, der den Erlass restriktiver Maßnahmen im Sinne dieser Bestimmung vorsieht. Der Erlass eines solchen Beschlusses verlangt im Allgemeinen Einstimmigkeit innerhalb des Rates, der darüber alleine entscheidet.

48      Solche Unterschiede führen dazu, dass die genannten Verfahren miteinander unvereinbar sind.

49      Selbst wenn man unterstellt, dass mit der angefochtenen Verordnung mehrere Zielsetzungen zugleich verfolgt werden oder dass sie mehrere Komponenten umfasst, die untrennbar miteinander verbunden sind, ohne dass die eine gegenüber der anderen nebensächlich ist, verhindern infolgedessen die Unterschiede der nach den Art. 75 AEUV und 215 Abs. 2 AEUV anwendbaren Verfahren, dass diese beiden Bestimmungen kumuliert werden können, um als doppelte Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt wie die angefochtene Verordnung zu dienen.

–       Zum Verhältnis zwischen den Art. 60 EG, 301 EG und 308 EG und den Art. 75 AEUV und 215 AEUV

50      Die Verfahrensbeteiligten sind sich darüber einig, dass die Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung grundsätzlich mit der der Verordnung Nr. 881/2002, die auf der Grundlage der Art. 60 EG, 301 EG und 308 EG erlassen wurde, übereinstimmen muss.

51      Hierzu ist festzustellen, dass infolge der nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 eingetretenen Änderungen im Primärrecht der Inhalt von Art. 60 EG, der restriktive Maßnahmen in Bezug auf den Kapital- und Zahlungsverkehr betraf, und von Art. 301 EG, der die Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren Drittstaaten betraf, nun in Art. 215 AEUV wiedergegeben wird.

52      Der letztgenannte Artikel, der zu dem das auswärtige Handeln der Union betreffenden Teil des AEU-Vertrags gehört, bezieht sich wie Art. 301 EG auf die Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren Drittstaaten. Hierzu ist festzustellen, dass die Art. 301 EG und 215 Abs. 1 AEUV einen ähnlichen Wortlaut haben. Was Art. 60 EG betrifft, der in den in Art. 301 EG vorgesehenen Fällen anwendbar war und die Anwendung des dort geregelten Verfahrens vorsah, enthält Art. 215 Abs. 1 AEUV eine Bezugnahme auf die Finanzbeziehungen, um die zuvor von Art. 60 EG erfassten Bereiche abzudecken.

53      Außerdem kann der Rat gemäß Art. 215 Abs. 2 AEUV restriktive Maßnahmen gegen natürliche oder juristische Personen sowie Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten erlassen, d. h. Maßnahmen, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die Einbeziehung von Art. 308 EG in ihre Rechtsgrundlage erforderten, wenn eine Verbindung zwischen ihren Adressaten und dem Regime eines Drittstaats fehlte (vgl. in diesem Sinne Urteil Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, Randnr. 216).

54      Was Art. 75 AEUV betrifft, so weichen dessen Kontext und Inhalt von denen der Art. 60 EG und 301 EG ab. Art. 75 AEUV bezieht sich nämlich nicht auf die Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu einem oder mehreren Drittstaaten. Dieser Artikel, der zu dem die internen Politiken und Maßnahmen betreffenden dritten Teil des AEU-Vertrags gehört, genauer gesagt zu Titel V („Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“) dieses Teils, bezieht sich nur auf die Definition eines Rahmens für Verwaltungsmaßnahmen in Bezug auf Kapitalbewegungen und Zahlungen zur Verhütung und Bekämpfung von Terrorismus und damit verbundener Aktivitäten, sofern dies notwendig ist, um die Ziele des Art. 67 AEUV zu verwirklichen.

–       Zum Anwendungsbereich des Art. 215 AEUV

55      Bevor anhand von Ziel und Inhalt der angefochtenen Verordnung ermittelt wird, ob Art. 215 Abs. 2 AEUV die zutreffende Rechtsgrundlage dieser Verordnung darstellt, sind der Wortlaut des Art. 215 AEUV, der Zusammenhang, in den sich diese Bestimmung einfügt, sowie die mit ihr, verglichen mit Art. 75 AEUV, verfolgten Ziele zu untersuchen.

56      Art. 215 AEUV steht in Titel IV („Restriktive Maßnahmen“) des Fünften Teils („Das auswärtige Handeln der Union“) des AEU-Vertrags.

57      Abs. 1 dieses Artikels betrifft den Erlass der für die Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern erforderlichen Maßnahmen. In diesem Zusammenhang bezieht sich sein Abs. 2 auf den Erlass „restriktive[r] Maßnahmen gegen natürliche oder juristische Personen sowie Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten“ durch den Rat, ohne spezielle Bezugnahme auf die Bekämpfung des Terrorismus und ohne Beschränkung allein auf Maßnahmen in Bezug auf Kapitalbewegungen und Zahlungen.

58      Außerdem bestimmt Art. 215 Abs. 2 AEUV, wie in Randnr. 47 des vorliegenden Urteils erwähnt, im Unterschied zu Art. 75 AEUV, dass er nur herangezogen werden kann, wenn ein Beschluss im Rahmen der GASP den Erlass restriktiver Maßnahmen gegen natürliche oder juristische Personen, Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten vorsieht. In Art. 75 AEUV heißt es dagegen, dass er herangezogen werden kann, wenn die in Art. 67 AEUV genannten Ziele dies erfordern, d. h. im Rahmen der Verwirklichung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.

59      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Randnr. 197 des Urteils Kadi und Al Barakaat International/Rat und Kommission ausgeführt hat, dass ein Bindeglied zwischen dem mit wirtschaftlichen Sanktionen verbundenen Handeln der Gemeinschaft gemäß den Art. 60 EG und 301 EG und den Zielen des EU‑Vertrags in seiner Fassung vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, im Bereich der auswärtigen Beziehungen, darunter der GASP, geschaffen worden ist. Art. 215 AEUV sieht ausdrücklich ein solches Bindeglied vor, während dies bei Art. 75 AEUV, der keine Verbindung zu Beschlüssen im Rahmen der GASP herstellt, nicht der Fall ist.

60      Zur Bekämpfung des Terrorismus und seiner Finanzierung ist festzustellen, dass Art. 215 AEUV keinen Hinweis darauf enthält, dass zu ihrer Bekämpfung dienende Maßnahmen, die gegen natürliche oder juristische Personen, Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten erlassen werden, nicht die in Abs. 2 dieses Artikels vorgesehenen restriktiven Maßnahmen darstellen könnten. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass weder Art. 60 EG noch Art. 301 EG ausdrücklich auf die Bekämpfung des Terrorismus Bezug nahm; gleichwohl stellten diese beiden Bestimmungen vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die Rechtsgrundlage für den Erlass restriktiver Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Phänomens dar (vgl. hierzu u. a. die Maßnahmen, die Gegenstand des Urteils Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission waren).

61      Zwar kann die Bekämpfung des Terrorismus und seiner Finanzierung zu den mit dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts verfolgten Zielen zählen, wie sie sich u. a. aus Art. 3 Abs. 2 EUV ergeben; doch entspricht das Ziel, den internationalen Terrorismus und seine Finanzierung zu bekämpfen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, den Zielen der Bestimmungen der Verträge über das auswärtige Handeln der Union.

62      In Art. 21 Abs. 2 Buchst. c EUV, der zu dem die allgemeinen Bestimmungen über das auswärtige Handeln der Union betreffenden Kapitel 1 von Titel V des EU‑Vertrags gehört, heißt es nämlich: „Die Union legt die gemeinsame Politik sowie Maßnahmen fest, führt diese durch und setzt sich für ein hohes Maß an Zusammenarbeit auf allen Gebieten der internationalen Beziehungen ein, um ... nach Maßgabe der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen … den Frieden zu erhalten, Konflikte zu verhüten und die internationale Sicherheit zu stärken.“ Speziell zur GASP bestimmt Art. 24 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV: „Die Zuständigkeit der Union in der [GASP] erstreckt sich auf alle Bereiche der Außenpolitik sowie auf sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der Sicherheit der Union, einschließlich der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen kann.“

63      Da der Terrorismus eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt, können die von der Union im Rahmen der GASP durchgeführten Maßnahmen sowie die für die Anwendung dieser Politik im Rahmen des auswärtigen Handelns der Union getroffenen Maßnahmen und vor allem die restriktiven Maßnahmen im Sinne des Art. 215 Abs. 2 AEUV seine Bekämpfung zum Gegenstand haben.

64      Dies wird vor allem durch den Inhalt des Art. 43 Abs. 1 EUV bestätigt, aus dem hervorgeht, dass mit allen Missionen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik „zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden [kann], unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet“.

65      Aus dem Vorstehenden folgt, dass Art. 215 Abs. 2 AEUV die Rechtsgrundlage für restriktive Maßnahmen, einschließlich Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, darstellen kann, die die Union gegen natürliche oder juristische Personen sowie Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten ergreift, wenn der Beschluss, diese Maßnahmen zu erlassen, zum Handeln der Union im Rahmen der GASP gehört.

66      Da im Übrigen, wie der Generalanwalt in Nr. 69 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Art. 75 AEUV und 215 Abs. 2 AEUV zu verschiedenen Politiken der Union gehören, mit denen zwar komplementäre Ziele verfolgt werden, die aber nicht denselben Anwendungsbereich haben, erscheint es nicht möglich, Art. 75 AEUV als eine gegenüber Art. 215 Abs. 2 AEUV speziellere Rechtsgrundlage anzusehen.

–       Zu Ziel und Inhalt der angefochtenen Verordnung

67      Die Verordnung Nr. 881/2002, die durch die angefochtene Verordnung geändert wird, gehört, wie aus den Randnrn. 3 bis 5 des vorliegenden Urteils hervorgeht, zu den Instrumenten, mit denen die Union ein vom Sicherheitsrat beschlossenes Vorgehen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit umgesetzt hat (vgl. in diesem Sinne den vorletzten Satz der Präambel der Resolution 1390 [2002]), und zwar durch den Erlass von Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen gegenüber Personen und Organisationen, die vom Sanktionsausschuss bestimmt werden, dessen Liste die Union lediglich übernimmt. Insoweit ist unstreitig, dass der Terrorismus, an dem Personen und Organisationen beteiligt sind, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, ein Phänomen von internationaler Dimension ist.

68      Wie der Gerichtshof in den Randnrn. 169 und 184 seines Urteils Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission festgestellt hat, bestehen das grundlegende Ziel und der Gegenstand der Verordnung Nr. 881/2002 darin, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Auf dieses Ziel wird im elften Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung hingewiesen, in dem es heißt: „Zweck der Verordnung … Nr. 881/2002 ist es, terroristische Straftaten, einschließlich der Finanzierung des Terrorismus, zu verhindern, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren.“

69      Wie das Parlament selbst betont hat, beschränkt sich die angefochtene Verordnung zum großen Teil darauf, die Bestimmungen der Verordnung Nr. 881/2002 umzuformulieren, klarer zu fassen oder ihre Anwendung zu erleichtern, ohne die Natur ihres Inhalts in irgendeiner Weise zu ändern.

70      Aus den Erwägungsgründen 4 bis 9 der angefochtenen Verordnung ergibt sich, dass sie sich in denselben Rahmen wie die Verordnung Nr. 881/2002 einfügt und diese vervollständigt, wobei sie speziell dazu dient, im Einklang mit dem Urteil Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission die Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit der Beachtung der Grundrechte zu vereinbaren.

71      Zu diesem Zweck wird mit der angefochtenen Verordnung ein Verfahren zur Aufnahme in die Liste geschaffen, das die Wahrung der grundlegenden Verteidigungsrechte, insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör, gewährleistet. Zusammen mit dem Gemeinsamen Standpunkt 2002/402 stellen die Verordnung Nr. 881/2002 und die angefochtene Verordnung so ein System der Interaktion zwischen dem Sanktionsausschuss und der Union her.

72      Aus dem Vorstehenden folgt, dass die angefochtene Verordnung nach ihren Zielen und ihrem Inhalt an einen von der Union im Rahmen der GASP gefassten Beschluss anknüpft.

73      Entgegen dem Vorbringen des Parlaments kann die Einbeziehung des Art. 308 EG in die Rechtsgrundlage der Verordnung Nr. 881/2002 an dieser Schlussfolgerung nichts ändern. Zwar hätte ein unter die GASP fallender Rechtsakt nicht allein auf Art. 308 EG gestützt werden können, doch konnte dieser Artikel, wie in Randnr. 53 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, die Rechtsgrundlage eines auf die Art. 60 EG und 301 EG gestützten Rechtsakts ergänzen, um den Erlass restriktiver Maßnahmen abzudecken, deren Adressaten natürliche oder juristische Personen, Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten ohne Verbindung zum Regime eines Drittstaats sind. Eine solche ergänzende Rechtsgrundlage ist aber nicht mehr erforderlich, seit Art. 215 Abs. 2 AEUV ausdrücklich die Möglichkeit vorsieht, auf seiner Grundlage Maßnahmen gegenüber solchen Adressaten zu erlassen.

74      Im Übrigen erscheint das Argument des Parlaments, es sei nicht möglich, zwischen der Bekämpfung des „internen“ und des „externen“ Terrorismus zu unterscheiden, nicht geeignet, die Wahl des Art. 215 Abs. 2 AEUV als Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung in Frage zu stellen.

75      Art. 215 Abs. 2 AEUV stellt nämlich, wie sich aus Randnr. 65 des vorliegenden Urteils ergibt, die angemessene Rechtsgrundlage für den Erlass restriktiver Maßnahmen dar, die im Anschluss an einen im Rahmen der GASP gefassten Beschluss zur Anwendung dieser Politik gegenüber natürlichen oder juristischen Personen sowie Gruppierungen oder nichtstaatlichen Einheiten getroffen werden, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind.

76      Im vorliegenden Fall ist hervorzuheben, dass mit der angefochtenen Verordnung die Verordnung Nr. 881/2002 geändert wird, die, wie in Randnr. 67 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, zu den Instrumenten gehört, mit denen die Union ein vom Sicherheitsrat beschlossenes Vorgehen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit umgesetzt hat. Außerdem knüpft die angefochtene Verordnung, wie in Randnr. 72 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, nach ihren Zielen und ihrem Inhalt an einen von der Union im Rahmen der GASP gefassten Beschluss an.

77      Überdies bestreitet das Parlament zwar im Rahmen des zweiten Klagegrundes, dass der Gemeinsame Standpunkt 2002/402 einem Beschluss im Rahmen der GASP im Sinne des Art. 215 Abs. 2 AEUV entsprechen könne, doch hat es nicht in Frage gestellt, dass dieser Gemeinsame Standpunkt, der den Erlass der Verordnung Nr. 881/2002 im Einklang mit den Art. 60 EG und 301 EG erlaubte, wirksam auf Titel V des EU-Vertrags in seiner Fassung vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, d. h. auf den der GASP gewidmeten Titel dieses Vertrags, gestützt werden konnte.

78      Angesichts dessen genügt es, festzustellen, dass Art. 215 Abs. 2 AEUV die geeignete Rechtsgrundlage für Maßnahmen wie die im vorliegenden Fall in Rede stehenden darstellt, deren Adressaten an terroristischen Handlungen beteiligt sind, die angesichts ihrer weltweiten Aktivitäten und der internationalen Dimension der durch sie dargestellten Bedrohung hauptsächlich das auswärtige Handeln der Union berühren.

–       Zur Auswirkung der Wahl zwischen den Art. 75 AEUV und 215 AEUV auf die Rechte des Parlaments

79      Es trifft zwar zu, dass sich die Wahl zwischen den Art. 75 AEUV und 215 AEUV als Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung insofern auf die Rechte des Parlaments auswirkt, als Ersterer den Rückgriff auf das ordentliche Gesetzgebungsverfahren vorsieht, Letzterer dagegen nur die Unterrichtung des Parlaments, doch kann dieser Umstand für die Wahl der Rechtsgrundlage nicht maßgebend sein.

80      Wie der Rat hervorhebt, sind nämlich nicht die Verfahren für die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts maßgebend, sondern die Rechtsgrundlage ist maßgebend für die beim Erlass des Rechtsakts anzuwendenden Verfahren.

81      Zwar spiegelt die Beteiligung des Parlaments am Gesetzgebungsverfahren auf Unionsebene ein grundlegendes demokratisches Prinzip wider, wonach die Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung hoheitlicher Gewalt beteiligt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Oktober 1980, Roquette Frères/Rat, 138/79, Slg. 1980, 3333, Randnr. 33, und Urteil Titandioxid, Randnr. 20).

82      Der Unterschied zwischen den Art. 75 AEUV und 215 AEUV hinsichtlich der Beteiligung des Parlaments resultiert jedoch aus einer Entscheidung der Verfasser des Vertrags von Lissabon, dem Parlament in Bezug auf das Handeln der Union im Rahmen der GASP eine begrenztere Rolle zu übertragen.

83      Zum Argument des Parlaments, es wäre nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn Maßnahmen, die unmittelbar die Grundrechte von Einzelnen und Gruppen berührten, in einem Verfahren erlassen werden könnten, bei dem die Mitwirkung des Parlaments ausgeschlossen sei, ist festzustellen, dass sich die Verpflichtung, die Grundrechte zu beachten, gemäß Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union an alle Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union richtet. Zudem müssen nach dem Wortlaut sowohl von Art. 75 AEUV als auch von Art. 215 Abs. 3 AEUV in den Rechtsakten nach diesen beiden Artikeln die erforderlichen Bestimmungen über den Rechtsschutz vorgesehen sein.

84      Folglich kann ein Rechtsakt wie die angefochtene Verordnung, der Garantien hinsichtlich der Beachtung der Grundrechte der in der Liste aufgeführten Personen enthält, auf der Grundlage von Art. 215 Abs. 2 AEUV erlassen werden. Die Gegenansicht, wonach ein solcher Rechtsakt nur auf der Grundlage von Art. 75 AEUV erlassen werden könnte, würde im Übrigen darauf hinauslaufen, Art. 215 AEUV einen großen Teil seiner praktischen Wirksamkeit zu nehmen, obwohl die Pflicht zur Vereinbarkeit mit den Grundrechten auch auf Rechtsakten der Union lastet, mit denen Resolutionen des Sicherheitsrats umgesetzt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, Randnrn. 285, 299 und 326).

85      Somit ist unter Berücksichtigung aller vorstehenden Erwägungen festzustellen, dass die angefochtene Verordnung zu Recht auf Art. 215 Abs. 2 AEUV gestützt worden ist.

86      Folglich ist der erste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Nichteinhaltung der Voraussetzungen für einen Rückgriff auf Art. 215 AEUV

87      Da die angefochtene Verordnung wirksam auf Art. 215 AEUV gestützt werden konnte, sind die Argumente des Parlaments im Rahmen seines zweiten, die Nichteinhaltung der Voraussetzungen für einen Rückgriff auf Art. 215 AEUV betreffenden Klagegrundes zu würdigen.

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

88      Der zweite Klagegrund gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil betrifft die Nichteinhaltung der Voraussetzung eines gemeinsamen Vorschlags der Hohen Vertreterin und der Kommission und der zweite Teil das Fehlen eines vor der angefochtenen Verordnung erlassenen Beschlusses im Rahmen der GASP.

–       Zum Nichtvorliegen eines mit den Verträgen im Einklang stehenden Vorschlags

89      Das Parlament macht geltend, am 22. Dezember 2009, dem Tag des Erlasses der angefochtenen Verordnung, habe es keine Kommission gegeben, die befugt gewesen wäre, mit der Hohen Vertreterin einen gemeinsamen Vorschlag zu unterbreiten, da das Mandat der im November 2004 ernannten Kommission am 31. Oktober 2009 ausgelaufen sei und die neue Kommission ihre Arbeit erst am 10. Februar 2010 aufgenommen habe. Zwar sei es im Interesse der Kontinuität der Arbeit dieses Organs akzeptabel gewesen, dass die am 22. November 2004 ernannte Kommission weiter bestimmte Aufgaben wahrgenommen habe; ihre Befugnisse seien aber auf die Weiterführung der laufenden Geschäfte beschränkt gewesen. Sie sei nicht befugt gewesen, eine wesentliche politische Initiative zu ergreifen, mit der die Rechtsgrundlage eines Rechtsakts geändert worden sei, so dass dieser seinen Charakter als Gesetzgebungsakt verloren habe und damit jegliche Einflussnahme durch das Parlament und die nationalen Parlamente ausgeschlossen gewesen sei.

90      Es könne nicht geltend gemacht werden, dass es sich beim Vorschlag der Kommission und der Hohen Vertreterin um eine bloße Fortsetzung des von der Kommission am 22. April 2009 allein unterbreiteten Vorschlags handele. Außerdem stehe die Art und Weise der Unterbreitung des Vorschlags nicht im Einklang mit der Rolle und den Zuständigkeiten der Hohen Vertreterin gemäß dem Vertrag von Lissabon. Der nach Art. 215 Abs. 2 AEUV erforderliche gemeinsame Vorschlag könne nicht dadurch ersetzt werden, dass ein bereits bestehender, vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon verabschiedeter Vorschlag der Kommission durch die Hohe Vertreterin lediglich gebilligt werde. Im Übrigen sei die Hohe Vertreterin als Verantwortliche für die GASP verpflichtet, den unterbreiteten gemeinsamen Vorschlag angemessen zu begründen.

91      Der Rat macht geltend, da das Mandat der im November 2004 ernannten Kommission am 31. Oktober 2009 ausgelaufen sei, sei diese bis zur Ernennung einer neuen Kommission im Amt geblieben, um die erforderliche Kontinuität der Arbeit des Organs zu gewährleisten, wie es der erste Erwägungsgrund des Beschlusses 2010/80/EU des Europäischen Rates vom 9. Februar 2010 zur Ernennung der Europäischen Kommission (ABl. L 38, S. 7) vorsehe. Das Parlament habe in der Übergangszeit vom 1. November 2009 bis 10. Februar 2010 weiter mit der Kommission zusammengearbeitet, als hätte diese weiter wirksam existiert.

92      Die angefochtene Verordnung sei auf der Grundlage des Vorschlags der Kommission vom 22. April 2009 erlassen worden, der von der Hohen Vertreterin am 14. Dezember 2009 gebilligt worden sei. Dieser Vorschlag sei auch nach dem Auslaufen des Mandats der Kommission am 31. Oktober 2009 gültig geblieben. Das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon habe lediglich eine Änderung des Verfahrens für den Erlass der angefochtenen Verordnung mit sich gebracht.

93      Die Kommission habe dem Parlament und dem Rat am 2. Dezember 2009 eine Mitteilung (KOM[2009] 665 endg.) über die Auswirkungen des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon auf die laufenden interinstitutionellen Beschlussfassungsverfahren vorgelegt, mit einem Verzeichnis der anhängigen Vorschläge, die die Kommission vor Inkrafttreten dieses Vertrags unterbreitet habe; in diesem Verzeichnis seien für jeden dieser Vorschläge die Auswirkungen des Inkrafttretens angegeben worden. Der dem Rat von der Kommission am 22. April 2009 unterbreitete Vorschlag sei in diesem Verzeichnis mit dem Hinweis aufgeführt, dass sich seine Rechtsgrundlage ändere, wobei Art. 215 AEUV an die Stelle der Art. 60 EG, 301 EG und 308 EG trete.

94      Auch wenn man anerkenne, dass die Situation, in der sich die Kommission befunden habe, dem in Art. 246 Abs. 6 AEUV vorgesehenen Fall (Rücktritt aller Mitglieder der Kommission) entspreche, lasse die Rechtsprechung der Unionsgerichte nicht den Schluss zu, dass die Kommission die Grenzen der Weiterführung der laufenden Geschäfte überschritten habe. Das Gericht habe in Randnr. 96 seines Urteils vom 6. März 2003, Westdeutsche Landesbank Girozentrale und Land Nordrhein-Westfalen/Kommission (T‑228/99 und T‑233/99, Slg. 2003, II‑435), festgestellt, dass ein Beschluss über staatliche Beihilfen, den die Kommission nach dem Rücktritt aller ihrer Mitglieder im März 1999 erlassen hatte, keine neue politische Initiative dargestellt habe, mit der die Befugnisse einer auf die Führung laufender Amtsgeschäfte beschränkten Kommission überschritten worden wären. Wenn dies für eine Entscheidung gelte, die von der Kommission in dem betreffenden Zeitraum neu erlassen worden sei, müsse es erst recht für den Fall gelten, dass ein bereits bestehender Vorschlag anhängig bleibe. Im Übrigen sei fraglich, ob die Beschränkung auf die Weiterführung der laufenden Geschäfte gemäß Art. 201 Abs. 2 EG überhaupt gegolten habe, da das Parlament keinen Misstrauensantrag wegen der Tätigkeit der Kommission eingebracht habe.

95      Der gemeinsame Vorschlag der Hohen Vertreterin und der Kommission sei ordnungsgemäß vorgelegt worden. Erstere habe den Vorschlag der Kommission vom 22. April 2009 am 14. Dezember 2009 gebilligt. Sie habe eine gesonderte Begründung weder vorlegen können noch müssen. Sie habe die in den Erwägungsgründen enthaltene Begründung dieses Vorschlags auch nicht einseitig ergänzen können.

–       Zum Fehlen eines Beschlusses im Rahmen der GASP

96      Das Parlament macht geltend, die angefochtene Verordnung enthalte keinerlei Verweis auf einen nach Titel V Kapitel 2 des EU-Vertrags erlassenen Beschluss, obwohl Art. 215 AEUV dies vorsehe. In der Präambel der Verordnung werde zwar auf den Gemeinsamen Standpunkt 2002/402 verwiesen; dieser stelle aber keinen Beschluss im Sinne der genannten Bestimmung dar. Ein vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon festgelegter Gemeinsamer Standpunkt könne einem solchen Beschluss nicht gleichgesetzt werden.

97      Das Vorbringen des Rates zum Fortbestand der Rechtswirkungen dieses Gemeinsamen Standpunkts gemäß dem Protokoll (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen im Anhang des AEU-, des EU- und des Euratom-Vertrags und zu dem von ihm so genannten „Grundsatz der Kontinuität der Rechtsakte“ sei nicht stichhaltig. In diesem Protokoll gebe es keinen Anhaltspunkt dafür, dass ein Gemeinsamer Standpunkt einen gemäß Titel V Kapitel 2 des EU-Vertrags erlassenen Beschluss ersetzen könne, und es existiere auch kein entsprechender Grundsatz des Unionsrechts. Der Rat verkenne ferner, dass ein solcher Beschluss von einer klagebefugten Partei einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden könne und dass der Gerichtshof dem Rat sogar verbieten könnte, Maßnahmen gemäß Art. 215 AEUV zu erlassen.

98      Der Rat macht geltend, die Verordnung Nr. 881/2002, der die Annahme des Gemeinsamen Standpunkts 2002/402 vorausgegangen sei, lege die besonderen Bestimmungen und Verfahren fest, die für die Gewährleistung der Durchführung des Einfrierens von Geldern erforderlich seien. Zwar sei entschieden worden, diese Verordnung im Anschluss an das Urteil Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission durch die Hinzufügung von Bestimmungen über die Verfahrensgarantien zu ändern; es sei aber nicht erforderlich gewesen, hierfür den Gemeinsamen Standpunkt 2002/402 zu ändern oder einen neuen Beschluss im Rahmen der GASP zu erlassen. Wenn ein unter die GASP fallender Rechtsakt, der den Erlass restriktiver Maßnahmen erforderlich mache, nämlich bereits existiere und nicht aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert worden sei, könne nicht verlangt werden, dass ein neuer Beschluss im Rahmen der GASP gemäß Titel V Kapitel 2 des EU-Vertrags erlassen werden müsse. Ein solcher Ansatz würde dem in Art. 9 des Protokolls (Nr. 36) niedergelegten Grundsatz der Kontinuität der Rechtsakte zuwiderlaufen.

99      Nur weil in die Liste aufgenommene Personen und Organisationen nun eine Nichtigkeitsklage gegen Beschlüsse im Rahmen der GASP, die restriktive Maßnahmen in Bezug auf sie vorsähen, erheben könnten, müsse noch lange nicht jeder Änderung einer existierenden Verordnung zwingend der Erlass eines neuen Beschlusses im Rahmen der GASP vorausgehen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

100    Was erstens das Fehlen eines mit den Verträgen im Einklang stehenden Vorschlags betrifft, trifft es zu, dass das Mandat der Kommission am 31. Oktober 2009 auslief und dass sie im Amt blieb, bis am 10. Februar 2010 das Verfahren zur Ernennung der neuen Kommission im Einklang mit den Bestimmungen des Vertrags von Lissabon abgeschlossen war. Die angefochtene Verordnung ist zwischen diesen beiden Daten erlassen worden, nämlich am 22. Dezember 2009.

101    Selbst wenn man unterstellt, dass die Befugnisse der Kommission nach Ablauf ihres Mandats am 31. Oktober 2009 auf die Weiterführung der laufenden Geschäfte beschränkt waren, konnte sie gleichwohl die formale Änderung ihres Verordnungsvorschlags vom 22. April 2009 bezüglich dessen Rechtsgrundlage vornehmen.

102    Wie die Kommission hervorhebt, war ein solches Vorgehen erforderlich, damit der Unionsgesetzgeber nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon das anhängige Verfahren fortführen konnte.

103    Hierzu ist festzustellen, dass die Rechtsetzungsvorschläge der Kommission, bei denen wegen des Wesens und der Tragweite der Rechtsakte die Rechtsgrundlage nicht einfach durch eine neue ersetzt werden konnte, gemäß der in Randnr. 93 des vorliegenden Urteils erwähnten Mitteilung zurückgenommen wurden und durch neue Vorschläge ersetzt werden sollten.

104    Zum Vorbringen des Parlaments bezüglich des Erfordernisses eines gemeinsamen Vorschlags der Hohen Vertreterin und der Kommission ist festzustellen, dass sich die Hohe Vertreterin dem Verordnungsvorschlag der Kommission vom 22. April 2009 am 14. Dezember 2009 förmlich anschloss.

105    Art. 215 AEUV verlangt jedoch nur das Vorliegen eines gemeinsamen Vorschlags der Kommission und des Hohen Vertreters, nicht aber, dass dieser eine gesonderte Begründung vorlegt oder die Begründung des Vorschlags der Kommission ergänzt.

106    Was zweitens das Fehlen eines Beschlusses im Rahmen der GASP angeht, ist zu prüfen, ob angesichts des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon die angefochtene Verordnung auf der Grundlage des Gemeinsamen Standpunkts 2002/402 erlassen werden konnte, der als Grundlage für die Verordnung Nr. 881/2002 gedient hatte.

107    Hierzu ist festzustellen, dass nach Art. 9 des Protokolls (Nr. 36) die Rechtsakte der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon auf der Grundlage des EU-Vertrags angenommen wurden, so lange Rechtswirkung behalten, bis sie in Anwendung der Verträge aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert werden.

108    Der Gemeinsame Standpunkt 2002/402 behielt daher nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon so lange Rechtswirkung, bis er aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert wurde.

109    Dass der EU-Vertrag im Bereich der GASP nicht mehr den Erlass Gemeinsamer Standpunkte, sondern von Beschlüssen vorsieht, führt, wie der Generalanwalt in Nr. 102 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht dazu, dass Gemeinsame Standpunkte, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon angenommen worden sind, inexistent würden, denn sonst würde Art. 9 des Protokolls (Nr. 36) ein großer Teil seiner praktischen Wirksamkeit genommen.

110    Unter diesen Umständen können, obwohl der rechtliche Kontext dieser beiden Kategorien von Rechtsakten nicht identisch ist, die Gemeinsamen Standpunkte, die nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nicht aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert wurden, für die Zwecke der Durchführung von Art. 215 AEUV den gemäß Titel V Kapitel 2 des EU‑Vertrags ergangenen Beschlüssen, auf die dieser Artikel Bezug nimmt, gleichgestellt werden.

111    Der zweite Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

112    Da keiner der vom Parlament zur Stützung seiner Klage angeführten Gründe durchgreift, ist die Klage abzuweisen.

 Kosten

113    Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat beantragt hat, die Kosten dem Parlament aufzuerlegen, und dieses mit seinem Vorbringen unterlegen ist, hat es die Kosten zu tragen. Nach Art. 69 § 4 Abs. 1 tragen die dem vorliegenden Rechtsstreit beigetretenen Streithelfer ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Das Europäische Parlament trägt die Kosten.

3.      Die Tschechische Republik, die Französische Republik, das Königreich Schweden und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.