Language of document : ECLI:EU:C:2012:194

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

29. März 2012(*)

„Umwelt – Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 – Art. 18 Abs. 1 und 4 – Verbringung bestimmter Abfälle – Art. 3 Abs. 2 – Zwingende Informationen – Identität des Abfallerzeugers – Nichtangabe durch den Streckenhändler – Schutz von Geschäftsgeheimnissen“

In der Rechtssache C‑1/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Mainz (Deutschland) mit Entscheidung vom 26. November 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Januar 2011, in dem Verfahren

Interseroh Scrap and Metals Trading GmbH

gegen

Sonderabfall-Management-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH (SAM)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Richterin A. Prechal, der Richter K. Schiemann (Berichterstatter) und L. Bay Larsen sowie der Richterin C. Toader,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Interseroh Scrap and Metals Trading GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt A. Oexle,

–        der Sonderabfall-Management-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH (SAM), vertreten durch Rechtsanwalt C. v. der Lühe,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und T. Materne als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und M. João Lois als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Wilms und A. Marghelis als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Dezember 2011

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen (ABl. L 190, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 308/2009 der Kommission vom 15. April 2009 (ABl. L 97, S. 8) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1013/2006).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Klage, die die auf den Handel mit Stahl- und Metallschrott spezialisierte Interseroh Scrap and Metals Trading GmbH (im Folgenden: Interseroh) gegen die vom Land Rheinland-Pfalz insbesondere mit der Überwachung der Sonderabfallströme in diesem Land beauftragte Sonderabfall-Management-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH (SAM) (im Folgenden: SAM) wegen der Angaben erhoben hat, die in dem Dokument nach Anhang VII der Verordnung Nr. 1013/2006 (im Folgenden: Verbringungsdokument) zu machen sind.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Im siebten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1013/2006 wird darauf hingewiesen, dass die Überwachung und die Kontrolle der Verbringung von Abfällen so organisiert und geregelt werden müssen, dass der Notwendigkeit, die Qualität der Umwelt und der menschlichen Gesundheit zu erhalten, zu schützen und zu verbessern, Rechnung getragen und eine unionsweit einheitlichere Anwendung der Verordnung gefördert wird.

4        Nach dem 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1013/2006 ist es im Fall von Verbringungen von zur Verwertung bestimmten Abfällen, die in den Anhängen III, IIIA oder IIIB der Verordnung aufgeführt sind, zweckmäßig, ein Mindestmaß an Überwachung und Kontrolle sicherzustellen, indem vorgeschrieben wird, dass bei solchen Verbringungen bestimmte Informationen mitzuführen sind.

5        Nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 werden in dieser Verordnung Verfahren und Kontrollregelungen für die Verbringung von Abfällen festgelegt, die von dem Ursprung, der Bestimmung, dem Transportweg, der Art der verbrachten Abfälle und der Behandlung der verbrachten Abfälle am Bestimmungsort abhängen.

6        Aus Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1013/2006 ergibt sich, dass die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen, die in Anhang III oder IIIB der Verordnung aufgeführt sind, den allgemeinen Informationspflichten gemäß Art. 18 der Verordnung unterliegt, sofern die verbrachte Abfallmenge mehr als 20 kg beträgt.

7        Anhang III der Verordnung Nr. 1013/2006 umfasst unter der Zwischenüberschrift „‚Grüne‘ Abfallliste“ u. a. die Abfälle, die in Anlage IX des Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von gefährlichen Abfällen und ihrer Entsorgung aufgeführt sind, das am 22. März 1989 in Basel unterzeichnet und durch den Beschluss 93/98/EWG des Rates vom 1. Februar 1993 (ABl. L 39, S. 1) im Namen der Gemeinschaft genehmigt wurde (im Folgenden: Basler Übereinkommen).

8        Nach Anlage IX des Basler Übereinkommens werden die in dieser Anlage aufgeführten Abfälle grundsätzlich nicht von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a dieses Übereinkommens erfasst; damit gelten sie grundsätzlich nicht als „gefährliche Abfälle“ im Sinne des Übereinkommens.

9        Unter Code B 1010 sind in Anlage IX die „Abfälle aus Metallen und Metalllegierungen in metallischer nichtdisperser Form“ aufgeführt, u. a. Eisen- und Stahlschrott, Chromschrott, Kupferschrott, Nickelschrott, Aluminiumschrott, Zinkschrott und Zinnschrott.

10      Art. 18 („Abfälle, für die bestimmte Informationen mitzuführen sind“) der Verordnung Nr. 1013/2006 bestimmt:

„(1) Die beabsichtigte Verbringung von Abfällen im Sinne des Artikels 3 Absätze 2 und 4 unterliegt folgenden Verfahrensvorschriften:

a)      Damit die Verbringung solcher Abfälle besser verfolgt werden kann, hat die der Gerichtsbarkeit des Versandstaats unterliegende Person, die die Verbringung veranlasst, sicherzustellen, dass das in Anhang VII enthaltene Dokument mitgeführt wird.

b)      Das in Anhang VII enthaltene Dokument ist von der Person, die die Verbringung veranlasst, vor Durchführung derselben und von der Verwertungsanlage oder dem Labor und dem Empfänger bei der Übergabe der betreffenden Abfälle zu unterzeichnen.

(2)      Der in Anhang VII genannte Vertrag über die Verwertung der Abfälle zwischen der Person, die die Verbringung veranlasst, und dem Empfänger muss bei Beginn der Verbringung wirksam sein und für den Fall, dass die Verbringung oder Verwertung der Abfälle nicht in der vorgesehenen Weise abgeschlossen werden kann oder dass sie als illegale Verbringung durchgeführt wurde, für die Person, die die Verbringung veranlasst, oder, falls diese zur Durchführung der Verbringung oder der Verwertung der Abfälle nicht in der Lage ist (z. B. bei Insolvenz), für den Empfänger die Verpflichtung enthalten,

a)      die Abfälle zurückzunehmen oder deren Verwertung auf andere Weise sicherzustellen und

b)      erforderlichenfalls in der Zwischenzeit für deren Lagerung zu sorgen.

Der betreffenden zuständigen Behörde ist auf Ersuchen von der Person, die die Verbringung veranlasst, oder vom Empfänger eine Kopie dieses Vertrages zu übermitteln.

(3)      Die Mitgliedstaaten können zum Zwecke der Kontrolle, Durchsetzung, Planung und statistischen Erhebung nach nationalem Recht die in Absatz 1 genannten Informationen über Verbringungen anfordern, die von diesem Artikel erfasst werden.

(4)      Die in Absatz 1 genannten Informationen sind vertraulich zu behandeln, sofern dies nach Gemeinschafts- und nationalem Recht erforderlich ist.“

11      Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1013/2006 schreibt u. a. der Person, die die Verbringung veranlasst, und dem Empfänger der Lieferung vor, die in Art. 18 Abs. 1 der Verordnung genannten Informationen mindestens drei Jahre lang ab dem Zeitpunkt des Beginns der Verbringung aufzubewahren.

12      Anhang VII der Verordnung Nr. 1013/2006 enthält das folgende Verbringungsdokument:Image not found

 Nationales Recht

13      Nach den Informationen, die das Verwaltungsgericht Mainz dem Gerichtshof übermittelt hat, gewährleistet das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden: Grundgesetz) den Schutz von Geschäftsgeheimnissen durch Art. 12 (Berufsfreiheit) in Verbindung mit Art. 14 (Eigentumsrecht). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich bei den Bezugsquellen eines Unternehmens um Geschäftsgeheimnisse, die dem Schutz dieser Grundrechte unterfallen.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14      Interseroh ist eine Tochtergesellschaft der Gesellschaft Interseroh SE, eines der größten Unternehmen Europas, die auf die Sammlung, die Aufbereitung und den Handel mit Sekundärrohstoffen, namentlich mit Metallschrotten, Altpapier, Altkunststoffen und Altholz, spezialisiert sind. Interseroh SE beschäftigt ungefähr 2 000 Mitarbeiter an rund 100 Standorten in 13 Ländern.

15      Interseroh garantiert als Händlerin die Lieferung jeder gewünschten Menge Metallschrotts unterschiedlicher Qualität an ihre Kunden, bei denen es sich um Stahlwerke, Gießereien und Metallhütten handelt.

16      Dabei ist Interseroh ausschließlich als „Streckenhändlerin“ tätig. Kennzeichnend für diese besondere Handelsform ist, dass der Händler die Ware von dem Erzeuger oder Einsammler erwirbt und sie weiterverkauft, ohne selbst physisch im Besitz der Ware zu sein. Vertragliche Beziehungen bestehen nur zwischen Händler und Erzeuger einerseits und Händler und Empfänger andererseits.

17      Die von Interseroh gehandelten Metallsorten wurden als „Abfall“ angesehen, der von Code B 1010 in Anlage IX des Basler Übereinkommens und somit von der „Grünen“ Abfallliste in Anhang III der Verordnung Nr. 1013/2006 erfasst wurde. Ihr grenzüberschreitender Transport unterlag daher den Informationserfordernissen nach Art. 18 der Verordnung Nr. 1013/2006.

18      Die Person, die die Verbringung veranlasst – im vorliegenden Fall Interseroh –, hat nach Auffassung von SAM gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1013/2006 sicherzustellen, dass das Verbringungsdokument beim Transport der Abfälle mitgeführt wird. Nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b und Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1013/2006 muss der Empfänger der Lieferung dieses Dokument unterzeichnen und mindestens drei Jahre lang aufbewahren.

19      Eine praktische Folge dieser Auslegung besteht darin, dass ein Händler in der Situation von Interseroh aufgrund der in Feld 6 des Verbringungsdokuments zu machenden Angaben seinen Kunden seine Bezugsquellen offenbaren muss, wodurch die Kunden die Möglichkeit erhalten, direkt mit dem Erzeuger oder Einsammler der Abfälle in Kontakt zu treten und die nächsten Verträge unter Verzicht auf die Dienste des Streckenhändlers abzuschließen.

20      Nach Ansicht von Interseroh wird durch die Verpflichtung, ihren Kunden ihre Bezugsquellen zu offenbaren, ihr Recht auf Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse verletzt und ihre wirtschaftliche Betätigung als Streckenhändler massiv behindert. Zudem werde durch diese Verpflichtung ihr Eigentum verletzt, weil es sich bei den Informationen über ihre Bezugsquellen um einen wesentlichen Teil ihres geschäftsspezifischen Know-hows sowie des Goodwills ihres Unternehmens handle. Sie habe aufgrund der Verpflichtung, ihre Bezugsquellen zu offenbaren, auch bereits zahlreiche Kunden verloren.

21      Interseroh beschloss daher, bei mehreren Abfalltransporten statt des Erzeugers oder Einsammlers sich selbst in Feld 6 des Verbringungsdokuments einzutragen bzw. dieses Feld nicht mehr auszufüllen. Weil sich aus den ebenfalls beim Abfalltransport mitzuführenden und bei Kontrollen vorzulegenden Liefer- und Wiegescheinen aber der wahre Erzeuger oder Einsammler ergab, wurden wegen des offensichtlichen Widerspruchs zwischen den Lieferscheinen und Wiegescheinen einerseits und Feld 6 des Verbringungsdokuments andererseits Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Geschäftsführer von Interseroh eingeleitet.

22      So verhielt es sich insbesondere anlässlich einer Fahrzeugkontrolle auf der Autobahn A3 bei Montabaur am 7. Mai 2009. Mit Bescheid vom 5. August 2009 setzte deshalb SAM gegen den Geschäftsführer von Interseroh ein Bußgeld in Höhe von 150 Euro fest. Nach Einspruch gegen diesen Bescheid ist das Verfahren derzeit bei der Staatsanwaltschaft Mainz anhängig.

23      Interseroh erhob daher am 18. Dezember 2009 Klage beim vorlegenden Gericht, mit der sie die Feststellung begehrt, dass sie als Streckenhändlerin nicht verpflichtet ist, in Feld 6 des Verbringungsdokuments den Abfallerzeuger anzugeben.

24      Das nationale Gericht ist der Auffassung, dass die vertrauliche Behandlung von Informationen über den Abfallerzeuger grundsätzlich durch Art. 12 in Verbindung mit Art. 14 des Grundgesetzes vorgeschrieben sei, da allgemein anerkannt sei, dass es sich bei den Bezugsquellen eines Unternehmens um Geschäftsgeheimnisse handle, die dem Grundrechtsschutz unterfielen.

25      Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht Mainz das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Gilt Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1013/2006 auch für am Verbringungsvorgang Beteiligte?

2.      Falls nein: Wird Art. 18 Abs. 1 der genannten Verordnung durch Primärrecht der Gemeinschaft zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen eingeschränkt?

3.      Falls Frage 1 bejaht wird: Wird durch Art. 18 Abs. 4 der genannten Verordnung die Verpflichtung der die Verbringung veranlassenden Personen nach Art. 18 Abs. 1, durch das in Anhang VII enthaltene Dokument auch dem Empfänger der Abfälle gegenüber den Abfallerzeuger oder -einsammler anzugeben, zum Schutze von Geschäftsgeheimnissen eingeschränkt?

4.      Falls Frage 3 bejaht wird: Hängt der Grad der Einschränkung von einer Güterabwägung im Einzelfall (betroffene Geschäftsinteressen einerseits, Umweltschutz andererseits) ab?

 Zu den Vorlagefragen

26      Das vorlegende Gericht geht von der Feststellung aus, dass Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 die Person, die die Verbringung von dieser Bestimmung unterliegenden Abfällen veranlasst, grundsätzlich verpflichtet, das Verbringungsdokument vollständig auszufüllen und dem Empfänger der Lieferung zur Unterzeichnung und Aufbewahrung zu übermitteln. Diese Verpflichtung bedeute, dass dem Empfänger der Lieferung die Identität des Abfallerzeugers zu offenbaren sei, was für einen Streckenhändler in der Situation von Interseroh die potenziell schädigenden Folgen haben könne, die in den Randnrn. 20 und 21 des vorliegenden Urteils beschrieben werden.

27      Das vorlegende Gericht überlegt unter diesen Umständen, ob eine Streckenhändlerin wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die die Verbringung von Abfällen veranlasst, sich auf Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1013/2006, der unter bestimmten Umständen eine vertrauliche Behandlung von Angaben zulässt, oder andernfalls auf einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts wie den Grundsatz des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen berufen kann, um zu vermeiden, dass die Identität des Abfallerzeugers dem Empfänger der Lieferung mittels des Verbringungsdokuments offengelegt wird.

28      Aus dem Vorabentscheidungsersuchen und den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen geht hervor, dass alle im Ausgangsverfahren fraglichen Verbringungen Rohstoffe wie Metalle unterschiedlicher Qualität betreffen, die von der Streckenhändlerin gekauft und verkauft werden und Abfälle im Sinne der „Grünen“ Abfallliste für ungefährliche Abfälle sind.

 Zu den Fragen 1, 3 und 4

29      Mit seinen Fragen 1, 3 und 4, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1013/2006 dahin auszulegen ist, dass er einem Streckenhändler, der eine Verbringung von Abfällen veranlasst, erlaubt, dem Empfänger der Lieferung nicht die Identität des Abfallerzeugers offenzulegen, wenn die Nichtoffenlegung zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse des Streckenhändlers erforderlich ist.

30      Nach Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1013/2006 sind die in Abs. 1 dieses Artikels genannten Informationen, also die im Verbringungsdokument enthaltenen Informationen, vertraulich zu behandeln, sofern dies nach Gemeinschafts- und nationalem Recht erforderlich ist.

31      Was die Identität der Personen angeht, die den in Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1013/2006 in Bezug genommenen Vertraulichkeitspflichten unterliegen können, ergibt eine grammatikalische und systematische Auslegung dieser Bestimmung, dass die Vertraulichkeitspflichten, auf die dort Bezug genommen wird, jeder Person, die über die betreffenden Informationen verfügt, auferlegt sein können, was sowohl die Behörden am Versand- und am Bestimmungsort als auch sämtliche an der Abfallverbringung beteiligte natürliche und juristische Personen einschließt.

32      Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1013/2006 unterscheidet nämlich nach seinem Wortlaut nicht zwischen den Personen, die über die betreffenden Informationen verfügen können, und verweist insbesondere nicht auf Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1013/2006, der speziell die staatlichen Stellen betrifft.

33      Art. 18 der Verordnung Nr. 1013/2006 ist jedoch ebenfalls zu entnehmen, dass die Vertraulichkeitspflichten, auf die in seinem Abs. 4 Bezug genommen wird, der Übermittlung der in Anhang VII der Verordnung genannten Informationen zwischen den an der Verbringung beteiligten Unternehmen nicht entgegenstehen kann.

34      Zum einen sieht Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1013/2006 die Erstellung eines Verbringungsdokuments vor, das zwingend bei jeder Abfallverbringung, auf die diese Bestimmung Anwendung findet, mitzuführen ist. Die Person, die eine solche Verbringung veranlasst, ist somit verpflichtet, insbesondere Feld 6 des in Anhang VII der Verordnung vorgesehenen Verbringungsdokuments auszufüllen, in dem sie den Namen des Abfallerzeugers angeben muss.

35      Zum anderen bestimmt Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1013/2006, dass das Verbringungsdokument von der Person, die die Abfallverbringung veranlasst, und vom Empfänger der Lieferung zu unterzeichnen ist, während Art. 20 Abs. 2 der Verordnung der Person, die die Verbringung veranlasst, und dem Empfänger vorschreibt, die in Art. 18 Abs. 1 der Verordnung genannten Informationen mindestens drei Jahre lang ab dem Zeitpunkt des Beginns der Verbringung aufzubewahren.

36      Diese Bestimmungen haben zwangsläufig zur Folge, dass der Empfänger der Lieferung sämtliche im Verbringungsdokument enthaltenen Informationen erhält und damit insbesondere Kenntnis von der Identität des Abfallerzeugers erlangt, der, wie in Anhang VII der Verordnung verlangt, in Feld 6 des Dokuments angegeben wird.

37      Eine etwaige Pflicht zur vertraulichen Behandlung nach Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1013/2006 ist dabei unerheblich, da, wie der Generalanwalt sinngemäß in Nr. 50 seiner Schlussanträge ausführt, sich die Frage einer vertraulichen Behandlung der im Verbringungsdokument enthaltenen Angaben erst nach der Erstellung und Übermittlung dieses Dokuments stellen kann. Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1013/2006 ist nur anwendbar, wenn zuvor gemäß Abs. 1 dieses Artikels in Verbindung mit Anhang VII der Verordnung die Angaben in dem Verbringungsdokument gemacht wurden.

38      Wie der Generalanwalt in Nr. 64 seiner Schlussanträge feststellt, gelten derartige Vertraulichkeitspflichten daher zwangsläufig nur für die Beziehungen, die die Personen, die Zugang zum Verbringungsdokument haben, d. h. die zuständigen Verwaltungsstellen und die an der Verbringung Beteiligten, zu daran nicht beteiligten Dritten unterhalten.

39      Diese Auslegung wird durch den Wortlaut von Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1013/2006 gestützt, in dem es ausdrücklich heißt, dass die im Verbringungsdokument genannten Informationen „vertraulich zu behandeln“ sind, nicht aber von einer hypothetischen Ausnahme von der Pflicht zur Eintragung aller erforderlichen Angaben in das Verbringungsdokument die Rede ist. Außerdem wird diese Auslegung durch Fn. 3 des Anhangs VII dieser Verordnung gestützt, in der betont wird, dass Informationen zum Erzeuger oder Einsammler anzugeben sind, wenn es sich bei der Person, die die Verbringung veranlasst, nicht um den Erzeuger oder Einsammler handelt.

40      Nach alledem ist auf die Fragen 1, 3 und 4 zu antworten, dass Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1013/2006 dahin auszulegen ist, dass er einem Streckenhändler, der eine Verbringung von Abfällen veranlasst, nicht erlaubt, dem Empfänger der Lieferung nicht – wie in Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang VII der Verordnung vorgesehen – die Identität des Abfallerzeugers offenzulegen, auch wenn die Nichtoffenlegung zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse des Streckenhändlers erforderlich wäre.

 Zu Frage 2

41      Die zweite Frage wird nur für den Fall gestellt, dass Art. 18 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1013/2006 einem Streckenhändler, der eine Abfallverbringung veranlasst, nicht erlaubt, die Offenlegung der Identität des Abfallerzeugers gegenüber dem Empfänger der Lieferung zu vermeiden. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass das Grundgesetz, wie in Randnr. 13 des vorliegenden Urteils dargestellt, den Schutz von Geschäftsgeheimnissen gewährleistet, der u. a. die Bezugsquellen eines Unternehmens erfasst. Eine hier einschlägige nationale Regelung, die eine Einschränkung der in Rede stehenden Grundrechte zulasse, existiere nicht. Das Gericht überlegt unter diesen Umständen, ob Geschäftsgeheimnisse einen Schutz nach dem Primärrecht der Union genießen, durch den Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 eingeschränkt wird.

42      Folglich ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage wissen möchte, ob Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 dahin auszulegen ist, dass er einen Streckenhändler im Kontext einer unter diese Bestimmung fallenden Abfallverbringung verpflichtet, Feld 6 des Verbringungsdokuments auszufüllen und dieses dem Empfänger zu übermitteln, ohne dass der Umfang dieser Verpflichtung durch ein Recht auf Schutz von Geschäftsgeheimnissen eingeschränkt werden kann.

43      Hierzu ist festzustellen, dass in den Art. 15 Abs. 1, 16 und 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union das Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben, die unternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht verankert sind. Außerdem gehören nach ständiger Rechtsprechung sowohl die freie Berufsausübung als auch das Eigentumsrecht zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts (vgl. Urteile vom 5. Oktober 1994, Deutschland/Rat, C‑280/93, Slg. 1994, I‑4973, Randnr. 78, vom 10. Juli 2003, Booker Aquaculture und Hydro Seafood, C‑20/00 und C‑64/00, Slg. 2003, I‑7411, Randnr. 68, vom 12. Juli 2005, Alliance for Natural Health u. a., C‑154/04 und C‑155/04, Slg. 2005, I‑6451, Randnr. 126, sowie vom 6. Dezember 2005, ABNA u. a., C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04, Slg. 2005, I‑10423, Randnr. 87). Auch der Schutz von Geschäftsgeheimnissen ist nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts (vgl. Urteil vom 14. Februar 2008, Varec, C‑450/06, Slg. 2008, I‑581, Randnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Selbst wenn jedoch die Pflicht zur Offenbarung der Identität des Abfallerzeugers gegenüber dem Empfänger einer Abfalllieferung den Schutz der Geschäftsgeheimnisse von Streckenhändlern beeinträchtigen sollte, könnte eine solche Feststellung nicht dazu führen, dass der Anwendungsbereich einer eindeutigen und unbedingten Vorschrift des abgeleiteten Rechts eingeschränkt wird.

45      Wie in den Randnrn. 33 bis 40 des vorliegenden Urteils dargelegt, hat der in Art. 18 der Verordnung Nr. 1013/2006 vorgesehene Mechanismus der Verwaltungskontrolle zwangsläufig zur Folge, dass der Empfänger der Lieferung Kenntnis von der Identität des Abfallerzeugers erlangt, und lässt sich aus dem Text dieser Verordnung keine Abweichung herleiten.

46      Unter diesen Umständen würde eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen, unterstellt man sie als erwiesen, nicht den Anwendungsbereich von Art. 18 der Verordnung Nr. 1013/2006 einschränken, sondern die Gültigkeit dieser Vorschrift in Frage stellen. Das nationale Gericht hat aber weder den Gerichtshof nach der Gültigkeit von Art. 18 der Verordnung Nr. 1013/2006 gefragt noch entsprechende Zweifel geäußert, und der Gerichtshof verfügt nicht über ausreichende Tatsachenangaben, um die Gültigkeit dieser Vorschrift beurteilen zu können.

47      Demnach ist auf Frage 2 zu antworten, dass Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 dahin auszulegen ist, dass er einen Streckenhändler im Kontext einer unter diese Bestimmung fallenden Abfallverbringung verpflichtet, Feld 6 des Verbringungsdokuments auszufüllen und dieses dem Empfänger zu übermitteln, ohne dass der Umfang dieser Verpflichtung durch ein Recht auf Schutz von Geschäftsgeheimnissen eingeschränkt werden kann.

 Kosten

48      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 18 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen in der durch die Verordnung (EG) Nr. 308/2009 der Kommission vom 15. April 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einem Streckenhändler, der eine Verbringung von Abfällen veranlasst, nicht erlaubt, dem Empfänger der Lieferung nicht – wie in Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang VII der Verordnung Nr. 1013/2006 in der durch die Verordnung Nr. 308/2009 geänderten Fassung vorgesehen – die Identität des Abfallerzeugers offenzulegen, auch wenn die Nichtoffenlegung zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse des Streckenhändlers erforderlich wäre.

2.      Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 in der durch die Verordnung Nr. 308/2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einen Streckenhändler im Kontext einer unter diese Bestimmung fallenden Abfallverbringung verpflichtet, Feld 6 des Dokuments nach Anhang VII der Verordnung Nr. 1013/2006 in der durch die Verordnung Nr. 308/2009 geänderten Fassung auszufüllen und das Dokument dem Empfänger zu übermitteln, ohne dass der Umfang dieser Verpflichtung durch ein Recht auf Schutz von Geschäftsgeheimnissen eingeschränkt werden kann.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.