Language of document : ECLI:EU:C:2011:135

Verbundene Rechtssachen C‑497/09, C‑499/09, C‑501/09 und C‑502/09

Finanzamt Burgdorf u. a.

gegen

Manfred Bog u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs)

„Steuer – Mehrwertsteuer – Sechste Richtlinie 77/388/EWG – Art. 5 und 6 – Qualifizierung einer bestimmten Geschäftstätigkeit als ‚Lieferung von Gegenständen‘ oder als ‚Dienstleistung‘ – Abgabe von Mahlzeiten oder Speisen zum sofortigen Verzehr in Imbissständen oder ‑wagen – Abgabe von Popcorn und ‚Tortilla‘-Chips (‚Nachos‘) in einem Kino zum sofortigen Verzehr – Partyservice – Anhang H Kategorie 1 – Auslegung des Begriffs ‚Nahrungsmittel‘“

Leitsätze des Urteils

1.        Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Lieferung von Gegenständen

(Richtlinie 77/388 des Rates, Art. 5)

2.        Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Dienstleistungen

(Richtlinie 77/388 des Rates, Art. 6)

3.        Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Befugnis der Mitgliedstaaten, auf bestimmte Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden

(Richtlinie 77/388 des Rates, Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und Anhang H)

1.        Art. 5 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern in der durch die Richtlinie 92/111 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr an Imbissständen oder -wagen oder in Kino-Foyers eine Lieferung von Gegenständen im Sinne dieses Artikels ist, wenn eine qualitative Prüfung des gesamten Umsatzes ergibt, dass die Dienstleistungselemente, die der Lieferung der Nahrungsmittel voraus‑ und mit ihr einhergehen, nicht überwiegen.

Da sich insoweit die Zubereitung des warmen Endprodukts in Imbissständen oder -wagen im Wesentlichen auf einfache, standardisierte Handlungen beschränkt, die in den meisten Fällen nicht auf Bestellung eines bestimmten Kunden, sondern entsprechend der allgemein vorhersehbaren Nachfrage ständig oder in Abständen vorgenommen werden, stellt diese Zubereitung nicht den überwiegenden Bestandteil des fraglichen Umsatzes dar und kann allein diesem nicht den Charakter einer Dienstleistung verleihen.

Das bloße Vorhandensein von Mobiliar in Kino-Foyers, das nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr solcher Lebensmittel möglicherweise zu erleichtern, kann nicht als Dienstleistungselement angesehen werden, das geeignet wäre, dem Umsatz insgesamt die Eigenschaft einer Dienstleistung zu verleihen.

(vgl. Randnrn. 68, 73, 81, Tenor 1)

2.        Art. 6 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern in der durch die Richtlinie 92/111 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Tätigkeiten eines Partyservice außer in den Fällen, in denen dieser lediglich Standardspeisen ohne zusätzliches Dienstleistungselement liefert oder in denen weitere, besondere Umstände belegen, dass die Lieferung der Speisen der dominierende Bestandteil des Umsatzes ist, Dienstleistungen im Sinne dieses Artikels darstellen.

Die von einem Partyservice nach Hause gelieferten Speisen sind im Gegensatz zu denjenigen, die in Imbissständen, Imbisswagen und Kinos abgegeben werden, im Allgemeinen nicht das Ergebnis einer bloßen Standardzubereitung, sondern weisen einen deutlich größeren Dienstleistungsanteil auf und erfordern mehr Arbeit und Sachverstand

(vgl. Randnrn. 77, 81, Tenor 1)

3.        Nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern in der durch die Richtlinie 92/111 geänderten Fassung können die ermäßigten Mehrwertsteuersätze nur auf die Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen angewandt werden, die in Anhang H der Richtlinie aufgeführt sind.

Bei Lieferung von Gegenständen ist der Begriff „Nahrungsmittel“ in Anhang H Kategorie 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 dahin auszulegen, dass er auch Speisen oder Mahlzeiten umfasst, die durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind. Diese Bestimmung bezieht sich nämlich auf Nahrungsmittel im Allgemeinen und trifft keine Unterscheidung oder Beschränkung nach der Art des Geschäfts, der Verkaufsmodalität, der Verpackung, der Zubereitung oder der Temperatur.

(vgl. Randnrn. 84-85, 88, Tenor 2)