Language of document : ECLI:EU:C:2012:480

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 19. Juli 2012 (1)

Rechtssache C‑26/11

Belgische Petroleum Unie VZW u. a.

gegen

Belgische Staat

(Vorabentscheidungsersuchen des Verfassungsgerichtshofs [Belgien])

„Kraftstoffe – Verpflichtung zum Absatz von Bioethanol – Richtlinie 98/70/EG – Qualität von Otto- und Dieselkraftstoffen – Richtlinie 2003/30/EG –Biokraftstoffe – Nachhaltigkeitskriterien – Richtlinie 98/34/EG – Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft“





I –    Einleitung

1.        Kraftstoffe, die aus landwirtschaftlich erzeugten Rohstoffen hergestellt werden, sogenannte Biokraftstoffe, können das Klima schützen, da bei ihrer Verbrennung nur Kohlendioxid freigesetzt wird, das die zu ihrer Herstellung verwendeten Pflanzen zuvor der Atmosphäre entzogen haben. Da die Rohstoffe auf europäischen Feldern erzeugt werden können, verschafft ihre Verwendung der europäischen Landwirtschaft eine zusätzliche Einkommensquelle und die Abhängigkeit vom Mineralöl wird reduziert. Die Richtlinie 2003/30/EG(2) (im Folgenden: Biokraftstoffrichtlinie) zielte folgerichtig darauf ab, die verstärkte Nutzung von Biokraftstoffen zu fördern.

2.        Mittlerweile hat der europäische Gesetzgeber jedoch erkannt, dass mit der Verwendung von Biokraftstoffen auch Nachteile verbunden sind. Daher hat er mit der Richtlinie 2009/28/EG(3) (im Folgenden: Förderungsrichtlinie) und der Richtlinie 2009/30/EG(4) zwar das Ziel der Nutzung von Biokraftstoffen gestärkt, es aber zugleich mit sogenannten Nachhaltigkeitskriterien verknüpft. Diese sollen verhindern, dass bei der Herstellung von Biokraftstoffen bestimmte Umweltschäden eintreten, insbesondere, dass Flächen mit hoher Biodiversität oder großen Mengen gespeicherten Kohlenstoffs beeinträchtigt werden.

3.        Kurz nach dem Erlass der beiden letztgenannten Richtlinien führte Belgien eine sogenannte Biokraftstoffquote ein. Sie verpflichtet Kraftstoffunternehmen, eine bestimmte Menge Biokraftstoffe zu vermarkten, die 4 % der insgesamt abgesetzten Menge herkömmlicher Kraftstoffe entspricht. Nunmehr ist zu klären, ob diese Regelung mit der Richtlinie 98/70/EG(5) über die Qualität von Kraftstoffen (im Folgenden: Kraftstoffrichtlinie) vereinbar ist. Diese Frage ist nicht nur für den betroffenen Mitgliedstaat Belgien von Interesse, sondern auch für die meisten anderen Mitgliedstaaten, in denen ähnliche Regeln existieren.(6)

4.        Darüber hinaus stellen sich aufgrund des Zeitpunktes der Einführung der Biokraftstoffquote in Belgien Fragen zur zeitlichen Wirkung von Richtlinien. Auch ist zu klären, ob Belgien die Kommission ausreichend gemäß der Richtlinie 98/34/EG(7) zu den streitgegenständlichen belgischen Bestimmungen konsultiert hat.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

1.      Zur Kraftstoffrichtlinie

5.        Die erste Frage betrifft u. a. die Kraftstoffrichtlinie, die durch die Richtlinie 2009/30 geändert wurde. Die letztgenannte Richtlinie trat nach ihrem Art. 5 am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft, d. h. am 25. Juni 2009, und war nach ihrem Art. 4 bis zum 31. Dezember 2010 umzusetzen.

6.        Art. 3 der neu gefassten Kraftstoffrichtlinie regelt die Qualität von Ottokraftstoff. Der zulässige Ethanolgehalt ist Gegenstand von Abs. 3:

„Die Mitgliedstaaten verpflichten die Anbieter sicherzustellen, dass bis 2013 Ottokraftstoff mit … einem maximalen Ethanolgehalt von 5 % in Verkehr gebracht wird, ... Sie stellen sicher, dass die Verbraucher über den Biokraftstoffanteil des Ottokraftstoffs, und insbesondere über den geeigneten Einsatz der verschiedenen Ottokraftstoffmischungen, angemessen unterrichtet werden.“

7.        Gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. b und Anhang I der alten Fassung der Kraftstoffrichtlinie(8) war ebenfalls ein Ethanolgehalt von bis zu 5 % zulässig.

8.        Die Qualität von Dieselkraftstoff ist in Art. 4 der neu gefassten Kraftstoffrichtlinie geregelt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Dieselkraftstoff in ihrem Hoheitsgebiet nur in Verkehr gebracht werden darf, wenn er den Spezifikationen des Anhangs II entspricht.

Unbeschadet der Anforderungen des Anhangs II können die Mitgliedstaaten zulassen, dass Dieselkraftstoff mit einem Gehalt an Fettsäuremethylester (FAME) von mehr als 7 % in Verkehr gebracht wird.

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Verbraucher über den Biokraftstoffanteil im Dieselkraftstoff, insbesondere dessen FAME-Gehalt, angemessen unterrichtet werden.

(2)       …“

9.        In der bis zum 25. Juni 2009 geltenden Fassung der Kraftstoffrichtlinie gab es keine Regelung über den Gehalt an Fettsäuremethylester in Dieselkraftstoff.

10.      Der von der Richtlinie 2009/30 nicht geänderte Art. 5 der Kraftstoffrichtlinie sieht den freien Verkehr von Kraftstoffen vor:

„Die Mitgliedstaaten dürfen […] das Inverkehrbringen von Kraftstoffen, die den Vorschriften dieser Richtlinie entsprechen, weder untersagen noch beschränken noch verhindern.“

11.      Der ebenfalls unveränderte Art. 6 der Kraftstoffrichtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten, unter bestimmten Bedingungen strengere Anforderungen für bestimmte Gebiete ihres Hoheitsgebiets zu erlassen, wenn die Luftverschmutzung oder die Grundwasserverschmutzung ein schwerwiegendes und wiederkehrendes Problem für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt oder nach vernünftigem Ermessen darstellen kann. Solche Maßnahmen bedürfen der Genehmigung durch die Kommission. Nach dem 20. Erwägungsgrund der Kraftstoffrichtlinie weicht dieses Verfahren von dem Informationsverfahren der Richtlinie 98/34 ab.

12.      Bei den Änderungen der Kraftstoffrichtlinie durch die Richtlinie 2009/30 wurden zusätzliche Bestimmungen im Hinblick auf die Verwendung von Biokraftstoffen eingeführt. Art. 7a Abs. 2 der Kraftstoffrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Emissionen von Treibhausgasen durch Kraftstoff zu reduzieren:

„Die Mitgliedstaaten verpflichten die Anbieter, die Lebenszyklustreibhausgasemissionen pro Energieeinheit des gelieferten Kraftstoffs oder des Energieträgers bis zum 31. Dezember 2020 so stetig wie möglich um bis zu 10 % gegenüber dem in Abs. 5 Buchst. b genannten Basiswert für Kraftstoffe zu mindern. Diese Minderung ist folgendermaßen aufgeschlüsselt:

a)      6 % bis zum 31. Dezember 2020. Die Mitgliedstaaten können die Anbieter im Hinblick darauf zu folgenden Zwischenzielen verpflichten: 2 % bis 31. Dezember 2014 und 4 % bis 31. Dezember 2017;

b)      weitere 2 % (Richtwert) bis zum 31. Dezember 2020, vorbehaltlich des Art. 9 Abs. 1 Buchst. h; dies ist durch eine oder beide der folgenden Methoden zu erreichen:

i)      Bereitstellung von Energie für den Verkehr, die zur Verwendung in allen Arten von Straßenfahrzeugen, mobilen Maschinen und Geräten (einschließlich Binnenschiffen), land- und forstwirtschaftlichen Zugmaschinen sowie Sportbooten bestimmt ist;

ii)      Einsatz von Verfahren jeglicher Art (einschließlich der Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid), die eine Minderung der Lebenszyklustreibhausgasemissionen pro Energieeinheit des Kraftstoffs oder des Energieträgers ermöglichen;

c)      weitere 2 % (Richtwert) bis zum 31. Dezember 2020, vorbehaltlich des Art. 9 Abs. 1 Buchst. i. Diese Minderung ist durch die Verwendung von Gutschriften zu erreichen, die im Rahmen des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung des Kyoto-Protokolls unter den Bedingungen erworben werden, die in der Richtlinie 2003/87/EG … für Minderungen im Bereich der Treibstoffversorgung festgelegt sind.“

13.      Art. 7b der Kraftstoffrichtlinie regelt die Verwendung von Biokraftstoffen bei der Erreichung dieser Ziele:

„(1)      Ungeachtet der Frage, ob Rohstoffe innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft angebaut wurden, wird Energie in Form von Biokraftstoffen für die Zwecke des Art. 7a nur dann berücksichtigt, wenn sie die in den Abs. 2 bis 6 des vorliegenden Artikels festgelegten Nachhaltigkeitskriterien erfüllen.

(2)      Die durch die Verwendung von Biokraftstoffen erzielte Minderung der Treibhausgasemissionen, die für die in Abs. 1 genannten Zwecke berücksichtigt werden, muss wenigstens 35 % betragen.

…“

14.      Art. 7b Abs. 3 bis 5 der Kraftstoffrichtlinie schließt es aus, Biokraftstoffe zu berücksichtigen, die aus Rohstoffen hergestellt werden, die auf bestimmten Flächen mit hohem Wert hinsichtlich der biologischen Vielfalt oder mit hohem Kohlenstoffbestand oder auf zu diesem Zweck entwässerten Torfmooren gewonnen werden. Nach Art. 7b Abs. 6 sind bestimmte landwirtschaftsrechtliche Regelungen der Union zu beachten.

2.      Zur Biokraftstoffrichtlinie

15.      Die Biokraftstoffrichtlinie aus dem Jahr 2003 war die erste Regelung zur Förderung der Verwendung von Biokraftstoffen. Art. 3 enthält Zielvorgaben zur Verwendung von Biokraftstoffen im Verkehrsbereich:

„(1)      a)     Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass ein Mindestanteil an Biokraftstoffen und anderen erneuerbaren Kraftstoffen auf ihren Märkten in Verkehr gebracht wird, und legen hierfür nationale Richtwerte fest.

b)      i)      Als Bezugswert für diese Richtwerte gilt, gemessen am Energieinhalt, ein Anteil von 2 % aller Otto- und Dieselkraftstoffe für den Verkehrssektor, die auf ihren Märkten bis zum 31. Dezember 2005 in Verkehr gebracht werden.

ii)      Als Bezugswert für diese Richtwerte gilt, gemessen am Energieinhalt, ein Anteil von 5,75 % aller Otto- und Dieselkraftstoffe für den Verkehrssektor, die auf ihren Märkten bis zum 31. Dezember 2010 in Verkehr gebracht werden.“

3.      Zur Förderungsrichtlinie

16.      Die Biokraftstoffrichtlinie wurde durch die Förderungsrichtlinie(9) aus dem Jahr 2009 ersetzt. Sie enthält umfassende Regeln zur Förderung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Berücksichtigung dieser Energie im Rahmen des Klimaschutzes. Teilweise entsprechen diese Regeln den gleichzeitig erlassenen Änderungen der Kraftstoffrichtlinie.

17.      Art. 3 Abs. 4 Satz 1 der Förderungsrichtlinie enthält eine verbindliche Quote für die Nutzung erneuerbarer Energien im Verkehrssektor:

„Jeder Mitgliedstaat gewährleistet, dass sein Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen bei allen Verkehrsträgern im Jahr 2020 mindestens 10 % seines Endenergieverbrauchs im Verkehrssektor entspricht.“

18.      Art. 17 der Förderungsrichtlinie enthält die gleichen Nachhaltigkeitskriterien wie Art. 7b der Kraftstoffrichtlinie.

19.      Im Übrigen hebt Art. 26 Abs. 2 und 3 der Förderungsrichtlinie in zwei Schritten die Biokraftstoffrichtlinie auf:

„(2)      In der Richtlinie 2003/30/EG werden Artikel 2, Artikel 3 Absätze 2, 3 und 5 und die Artikel 5 und 6 mit Wirkung vom 1. April 2010 aufgehoben.

(3)      Die Richtlinie 2001/77/EG und die Richtlinie 2003/30/EG werden mit Wirkung vom 1. Januar 2012 aufgehoben.“

20.      Die Förderungsrichtlinie trat nach Art. 28 wie die Richtlinie 2009/30 am 25. Juni 2009 in Kraft und war gemäß Art. 27 Abs. 1 im Wesentlichen bis zum 5. Dezember 2010 umzusetzen.

4.      Zur Richtlinie 98/34

21.      Nach der Richtlinie 98/34 müssen die Mitgliedstaaten die Kommission konsultieren, bevor sie bestimmte Regelungen erlassen, die den Binnenmarkt beeinträchtigen können.

22.      Art. 1 der Richtlinie 98/34 enthält die wesentlichen Begriffsbestimmungen:

„Für diese Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

1.      ‚Erzeugnis‘: Erzeugnisse, die gewerblich hergestellt werden, und landwirtschaftliche Erzeugnisse, einschließlich Fischprodukte;

3.       ‚technische Spezifikation‘: Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren.

      …

4.      ‚sonstige Vorschrift‘: eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können;

11.      ‚Technische Vorschrift‘: Technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften … sowie – vorbehaltlich der in Art. 10 genannten Bestimmungen – die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses … verboten werden.

      …

…“

23.      Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/34 enthält die Informationspflicht:

„Vorbehaltlich des Art. 10 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.“

24.      Art. 10 der Richtlinie 98/34 enthält Ausnahmen zur Informationspflicht. Hervorzuheben ist die Ausnahme nach Abs. 1 erster Spiegelstrich:

„(1)      Die Artikel 8 und 9 gelten nicht für Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten oder für freiwillige Vereinbarungen, durch die die Mitgliedstaaten

–        den verbindlichen Gemeinschaftsrechtsakten, mit denen technische Spezifikationen oder Vorschriften betreffend Dienste in Kraft gesetzt werden, nachkommen“.

B –    Belgisches Recht

25.      Die im Ausgangsverfahren streitgegenständliche Biokraftstoffquote ist im Gesetz vom 22. Juli 2009 über die Verpflichtung zur Beimischung von Biokraftstoff in die in den steuerrechtlich freien Verkehr überführten fossilen Kraftstoffe(10) niedergelegt.

26.      Art. 2 Nrn. 5 bis 8 dieses Gesetzes definiert die verschiedenen Biokraftstoffe:

„5.       ‚FAME’: Fettsäuremethylester des KN-Codes 3824 90 99, das den Spezifikationen der Norm NBN-EN 14214 genügt,

6.       ‚Bioethanol’: Ethanol, das aus Biomasse und/oder dem biologisch abbaubaren Teil von Abfällen des KN-Codes 2207 10 00 mit einem Alkoholgehalt in Volumenprozenten von mindestens 99 Vol% hergestellt wird und den Spezifikationen der Norm NBN-EN 15376 genügt,

7.       ‚Bio-ETBE’: Ethyl-Tertiär-Butylether des KN-Codes 2909 19 00, der nicht-synthetischen Ursprungs ist und 47 Volumenprozent Bioethanol enthält,

8.      ‚nachhaltige Biokraftstoffe’: Biokraftstoffe, die in der Europäischen Gemeinschaft (EG) hergestellt werden und folgenden Nachhaltigkeitskriterien genügen:

–        Rohstoffe müssen aus der Landwirtschaft stammen und sie müssen unter Verwendung von so wenig wie möglich Düngemittel und Pestizide angebaut werden; die Erzeugung muss mindestens den Grundanforderungen an die Betriebsführung genügen, wie sie im Titel ‚Umwelt’ unter Buchstabe A und unter Nr. 9 des Anhangs II der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1290/2005, (EG) Nr. 247/2006, (EG) Nr. 378/2007 sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 bestimmt werden, und den Grundanforderungen, die aus der Erhaltung in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand des Anhangs III derselben Verordnung hervorgehen;

–        Rohstoffe dürfen nicht von einer Landwirtschaftsfläche außerhalb der EG stammen, die kürzlich Gegenstand einer Entwaldung gewesen ist;

–        Erzeugte Biokraftstoffe müssen eine wesentliche Verringerung der CO2-Emission bewirken;

–        Die Erzeugung von Biokraftstoffen muss den von der EU auferlegten technischen Spezifikationen im Hinblick auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Vorschriften genügen;

Der König legt durch einen im Ministerrat beratenen Königlichen Erlass die Beweismittel und gegebenenfalls den Zeitplan und das Berechnungsverfahren für die vorerwähnten Kriterien fest.“

27.      Art. 4 und 5 enthalten die Biokraftstoffquote, die durch Beimischung zu herkömmlichen Kraftstoffen zu verwirklichen ist:

„Art. 4. § 1. Registrierte Erdölgesellschaften, die Benzin- und/oder Dieselerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr überführen, sind verpflichtet, in demselben Kalenderjahr ebenfalls eine wie folgt bestimmte Menge nachhaltiger Biokraftstoffe in den steuerrechtlich freien Verkehr zu überführen:

–        FAME von mindestens 4 v/v % der Menge in den steuerrechtlich freien Verkehr überführter Dieselerzeugnisse,

–        Bioethanol, pur oder in der Form von Bio-ETBE, von mindestens 4 v/v % der Menge in den steuerrechtlich freien Verkehr überführter Benzinerzeugnisse.

§ 2.  …

Art. 5. Die Überführung von nachhaltigen Biokraftstoffen in den steuerrechtlich freien Verkehr, wie in Art. 4 erwähnt, erfolgt über Mischungen mit den in den steuerrechtlich freien Verkehr überführten Benzin- und/oder Dieselerzeugnissen, unter Einhaltung der Produktnormen NBN EN 590 für Dieselerzeugnisse und NBN EN 228 für Benzinerzeugnisse.“

28.      Nach Art. 13 des Gesetzes galt es zunächst vom 1. Juli 2009 bis zum 30. Juni 2011, doch seine Geltung wurde durch einen Königlichen Erlass vom 23. Juni 2011(11) bis zum 30. Juni 2013 verlängert.

III – Vorabentscheidungsersuchen

29.      Verschiedene belgische Unternehmen des Kraftstoffsektors (im Folgenden: Belgische Petroleum Unie u. a.) wenden sich vor dem belgischen Verfassungsgerichtshof gegen die Biokraftstoffquote. In diesem Verfahren richtet der Verfassungsgerichtshof die folgenden Fragen an den Gerichtshof:

1.      Sind die Art. 3, 4 und 5 der Kraftstoffrichtlinie sowie gegebenenfalls Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union und die Art. 26 Abs. 2, 28 und 34 bis 36 AEUV in dem Sinne auszulegen, dass sie eine Gesetzesbestimmung verbieten, aufgrund deren registrierte Erdölgesellschaften, die Benzin- und/oder Dieselerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr überführen, verpflichtet sind, in demselben Kalenderjahr ebenfalls eine bestimmte Menge nachhaltiger Biokraftstoffe in den steuerrechtlich freien Verkehr zu überführen, und zwar Bioethanol, pur oder in der Form von Bio-ETBE, in Höhe von mindestens 4 Volumenprozent der Menge in den steuerrechtlich freien Verkehr überführter Benzinerzeugnisse, und FAME in Höhe von mindestens 4 Volumenprozent der Menge in den steuerrechtlich freien Verkehr überführter Dieselerzeugnisse?

2.      Ist, falls die erste Vorabentscheidungsfrage verneinend beantwortet wird, Art. 8 der Richtlinie 98/34 in dem Sinne auszulegen, dass er ungeachtet des Art. 10 Abs. 1 erster Gedankenstrich derselben Richtlinie vorschreibt, dass der Kommission der Entwurf einer Norm übermittelt wird, aufgrund deren registrierte Erdölgesellschaften, die Benzin- und/oder Dieselerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr überführen, verpflichtet sind, in demselben Kalenderjahr ebenfalls eine bestimmte Menge nachhaltiger Biokraftstoffe in den steuerrechtlich freien Verkehr zu überführen, und zwar Bioethanol, pur oder in der Form von Bio-ETBE, in Höhe von mindestens 4 Volumenprozent der Menge in den steuerrechtlich freien Verkehr überführter Benzinerzeugnisse, und FAME in Höhe von mindestens 4 Volumenprozent der Menge in den steuerrechtlich freien Verkehr überführter Dieselerzeugnisse?

30.      Die Belgische Petroleum Unie u. a., die Belgian Bioethanol Association VZW u. a. (im Folgenden: Belgian Bioethanol u. a.), das Königreich Belgien, das Königreich der Niederlande und die Europäische Kommission reichten Schriftsätze ein. Bis auf die Niederlande äußerten sich diese Beteiligten auch in der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2012.

IV – Rechtliche Würdigung

A –    Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

31.      Belgian Bioethanol u. a. zweifeln an der Zulässigkeit des Ersuchens, da es keinen Bezug zu dem Rechtsstreit vor dem belgischen Verfassungsgerichtshof habe. Im Ausgangsverfahren gehe es um die Rüge einer Verletzung der nach belgischem Recht gewährleisteten Handels- und Gewerbefreiheit. Eine Verletzung der angeführten Bestimmungen des Unionsrechts sei nicht vorgetragen worden.

32.      Es spricht jedoch eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts nur verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.(12)

33.      Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass die Handels- und Gewerbefreiheit verletzt würde, wenn die belgische Biokraftstoffquote die angeführten Bestimmungen des Unionsrechts verletzen würde. Daher kann nicht festgestellt werden, dass das Vorabentscheidungsersuchen offensichtlich in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht. Es ist somit zulässig.

B –    Zur Kraftstoffrichtlinie

34.      Mit der ersten Frage möchte der Verfassungsgerichtshof insbesondere erfahren, ob die Biokraftstoffquote mit den Art. 3, 4 und 5 der Kraftstoffrichtlinie vereinbar ist. Die Frage erwähnt zwar nur die in Art. 4 des streitgegenständlichen belgischen Gesetzes niedergelegte Verpflichtung, eine bestimmte Quote Biokraftstoffe in Verkehr zu bringen, doch muss zugleich berücksichtigt werden, dass dies nach Art. 5 des Gesetzes durch Beimischung zu herkömmlichen Kraftstoffen geschieht.

1.      Zu Art. 3 und 4 der Kraftstoffrichtlinie

35.      Die belgische Biokraftstoffquote wäre in jedem Fall unzulässig, wenn die resultierenden Kraftstoffgemische mit den Spezifikationen für Ottokraftstoff und Diesel nach den Art. 3 und 4 der Kraftstoffrichtlinie unvereinbar wären.

36.      Für die neue Fassung der Kraftstoffrichtlinie ist dies unproblematisch. Art. 3 Abs. 3 und 4 Abs. 1 Unterabs. 2 sprechen jeweils den Maximalgehalt von Ethanol in Ottokraftstoff (5 %) und von Fettsäuremethylester in Diesel (7 %) an. Die belgische Regelung, jeweils 4 % Biokraftstoff durch Beimischung zu herkömmlichem Kraftstoff in Verkehr zu bringen, zwingt nicht zur Überschreitung dieser Schwelle. Folglich besteht kein Widerspruch.

37.      Auf Basis der alten Fassung der Kraftstoffrichtlinie wäre die Lage anders. Zwar ließen Art. 3 Abs. 2 Buchst. b und Anhang I bei Ottokraftstoff ebenfalls einen Ethanolgehalt von bis zu 5 % zu, doch eine Beimischung von Fettsäuremethylester zu Diesel war nicht vorgesehen.

38.      Als die belgische Biokraftstoffquote zum 1. Juli 2009 in Kraft trat, hatte die Richtlinie 2009/30 zur Änderung der Kraftstoffrichtlinie allerdings bereits die Kraftstoffrichtlinie und insbesondere die hier einschlägigen Art. 3 und 4 geändert. Diese Änderungen traten unabhängig von der Umsetzungsfrist sofort mit der neuen Richtlinie in Kraft.(13) Besondere Übergangsvorschriften, die eine Fortgeltung der alten Bestimmungen für bestimmte Sachverhalte vorsehen würden, existieren nicht. Daher können die Art. 3 und 4 der alten Fassung nicht mehr als Maßstab der belgischen Biokraftstoffquote herangezogen werden.

39.      Folglich ist auf Basis der neuen Fassung der Kraftstoffrichtlinie festzustellen, dass die Biokraftstoffquote mit deren Art. 3 und 4 vereinbar ist.

2.      Zu Art. 5 der Kraftstoffrichtlinie

40.      Die Beteiligten diskutieren aber vor allem Art. 5 der Kraftstoffrichtlinie, der von den Änderungen der Kraftstoffrichtlinie im Jahr 2009 nicht betroffen ist. Danach dürfen die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen von Kraftstoffen, die den Vorschriften dieser Richtlinie entsprechen, weder untersagen noch beschränken noch verhindern. Belgische Petroleum Unie u. a. vertreten die Auffassung, die Verpflichtung, Biokraftstoffe beizumischen, beschränke das Inverkehrbringen von Kraftstoffen. Darin liege nämlich eine zusätzliche Bedingung des Inverkehrbringens von Kraftstoffen, die bereits den Anforderungen der Richtlinie genügten.

a)      Zur Auslegung von Art. 5 der Kraftstoffrichtlinie

41.      Diese Position orientiert sich an den Beschränkungsverboten der Grundfreiheiten, die bereits eingreifen, wenn die Maßnahme geeignet ist, den Handel in der Union unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern(14) bzw. die Ausübung der Grundfreiheit zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.(15) Tatsächlich liegt es auf den ersten Blick nicht fern, anzunehmen, dass der Gesetzgeber sich bei der Einführung des Beschränkungsverbots in Art. 5 der Kraftstoffrichtlinie an diesen bekannten Beschränkungsverboten orientieren wollte. Auch ist klar, dass diese Bestimmung – genau wie das übrige Sekundärrecht – im Zweifel im Einklang mit den Grundfreiheiten auszulegen ist.

42.      Daraus folgt jedoch nicht, dass Art. 5 der Kraftstoffrichtlinie wie eine Grundfreiheit zu verstehen wäre und er dementsprechend jedweder Beschränkung der Vermarktung von normgerechten Kraftstoffen entgegenstünde, was nach dem Wortlaut der Regelung auch für rein innerstaatliche Sachverhalte gelten würde. Die grundlegenden Freiheiten des Unionsrechts(16) haben nämlich eine ganz andere Zielrichtung als das Beschränkungsverbot des Art. 5. Letztere erschließt sich insbesondere aus dem Regelungszusammenhang und den Zielen der Kraftstoffrichtlinie.

43.      Die Kraftstoffrichtlinie strebt keine umfassende Harmonisierung der Kraftstoffwirtschaft an. Nach ihrem ersten Erwägungsgrund geht es vielmehr darum, die Spezifikationen für Kraftstoffe anzugleichen, d. h. die Regelungen über die Zusammensetzung und die Eigenschaften von Kraftstoffen, um Handelsschranken aufgrund unterschiedlicher Standards zu vermeiden. Daher liegt es nahe, das Beschränkungsverbot nur auf Regelungen zu beziehen, die die Kraftstoffspezifikationen betreffen.

44.      Dafür spricht zudem die einzige ausdrücklich vorgesehene Ausnahme, Art. 6 der Kraftstoffrichtlinie, der ausschließlich den Erlass strengerer umweltbezogener Spezifikationen betrifft. Wenn der Gesetzgeber mit Art. 5 ein umfassendes Beschränkungsverbot hätte erlassen wollen, dann hätte er entsprechend eine umfassende Ausnahmeregelung getroffen. Diese hätte auch potenzielle Beschränkungen erfasst, die nicht unter Art. 6 fallen, z. B. Preisreglementierungen, Regelungen zur Sicherheit des Kraftstoffvertriebs oder Bestimmung über die Werbung für Kraftstoffe.

45.      Andere Regelungen des abgeleiteten Rechts, etwa zur Besteuerung von Mineralölprodukten,(17) bestätigen die begrenzte Reichweite des Beschränkungsverbots der Kraftstoffrichtlinie. Auch eine solche Steuer bedürfte bei einem weit verstandenen Beschränkungsverbot der Rechtfertigung, doch das Verhältnis zwischen Steuer und Beschränkungsverbot wird nirgends angesprochen.

46.      Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Art. 5 der Kraftstoffrichtlinie ausschließlich Regelungen entgegensteht, die unmittelbar an die Spezifikationen von Kraftstoffen anknüpfen.

b)      Zur Anwendung des Beschränkungsverbots nach Art. 5 der Kraftstoffrichtlinie

47.      Die streitgegenständliche belgische Biokraftstoffquote enthält formal betrachtet keine zusätzlichen Kraftstoffspezifikationen. Belgien, Belgian Bioethanol Association und die Kommission betonen zutreffend, dass die Verpflichtung zum Absatz von Biokraftstoffen durch Beimischung sich nicht auf jeden einzelnen Liter Kraftstoff bezieht. Die Hersteller können selbst entscheiden, ob sie jedem Liter 4 % Biokraftstoffe beimischen oder bestimmte Partien ohne Beimischung verkaufen und anderen Partien entsprechend größere Anteile Biokraftstoff zusetzen.

48.      Im Ergebnis entspricht die belgische Regelung dennoch einer zusätzlichen Kraftstoffspezifikation, denn die Kraftstoffunternehmen müssen in jedem Fall erhebliche Anteile der von ihnen in Verkehr gebrachten Kraftstoffmengen mit Biokraftstoffen mischen. Dass sie bestimmten Kraftstoffmengen unterschiedliche Anteile Biokraftstoff beimischen können, solange sie nur insgesamt ausreichende Mengen Biokraftstoffe absetzen, ohne die Höchstanteile nach der Kraftstoffrichtlinie zu überschreiten, ändert nichts an der Natur der Verpflichtung: Erhebliche Mengen der abgesetzten Kraftstoffe müssen mit Biokraftstoffen vermischt werden.

49.      Zwar nennen die Niederlande einige andere Wege, entsprechende Mengen Biokraftstoffe in Verkehr zu bringen, doch kommt es auf diese Wege im Ausgangsfall nicht an. Nach Art. 5 des belgischen Gesetzes werden die Biokraftstoffe nämlich durch Mischungen mit Ottokraftstoffen oder Diesel in Verkehr gebracht.

50.      Zu einem ähnlichen Ergebnis ist im Übrigen auch der belgische Verfassungsgerichtshof gekommen, als er – genau wie zuvor im Gesetzgebungsverfahren bereits der belgische Staatsrat(18) – feststellte, dass die belgische Regelung eine „Produktnorm“ im Sinne der Bestimmungen über die innerstaatliche Kompetenzverteilung sei.(19)

51.      Diese zusätzliche Kraftstoffspezifikation beschränkt das Inverkehrbringen von Kraftstoffen, die der Kraftstoffrichtlinie entsprechen. Es ist weniger attraktiv, diese Kraftstoffe in Verkehr zu bringen, wenn das Kraftstoffunternehmen verpflichtet wird, 4 % Biokraftstoffe abzusetzen. Diese Verpflichtung zu erfüllen, könnte mit höheren Kosten oder zusätzlichen Risiken verbunden sein.

52.      Daher beschränkt die Biokraftstoffquote im Prinzip im Sinne von Art. 5 der Kraftstoffrichtlinie das Inverkehrbringen von Kraftstoffen.

c)      Zu möglichen Ausnahmen vom Beschränkungsverbot nach Art. 5 der Kraftstoffrichtlinie

53.      Zu prüfen bleibt jedoch, ob die Biokraftstoffquote unter eine Ausnahme vom Beschränkungsverbot nach Art. 5 der Kraftstoffrichtlinie fällt. Ausnahmen können sich aus Bestimmungen dieser Richtlinie oder aus anderen Richtlinien ergeben.

i)      Zu Art. 3 und 4 der Kraftstoffrichtlinie

54.      Art. 3 Abs. 3 und Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Kraftstoffrichtlinie kommen als Ausnahme zu Art. 5 nicht in Frage. Die Mitgliedstaaten müssen danach zwar entsprechende Beimischungen zulassen, doch ist nicht ersichtlich, dass sie ermächtigt würden, eine Beimischung von Biokraftstoffen zu verlangen.

ii)    Zu Art. 6 der Kraftstoffrichtlinie

55.      Dass die Ausnahmebestimmung des Art. 6 der Kraftstoffrichtlinie für strengere umweltbezogene Kraftstoffspezifikationen anwendbar wäre, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die danach nötige Genehmigung der Kommission liegt nämlich nicht vor. Die im Verfahren mehrfach angesprochene Stellungnahme der Kommission vom 15. August 2007 zu einem früheren belgischen Gesetzgebungsvorhaben(20) erging nicht nach Art. 6, sondern im Verfahren der Richtlinie 98/34. Sie enthielt auch keine Zustimmung der Kommission zu der belgischen Biokraftstoffquote.

iii) Zu Art. 7a und 7b der Kraftstoffrichtlinie

56.      Die Biokraftstoffquote könnte sich allerdings auf Art. 7a Abs. 2 der Kraftstoffrichtlinie stützen. Danach verpflichten die Mitgliedstaaten Energieanbieter, die Treibhausgasemissionen pro Energieeinheit des gelieferten Kraftstoffs um bestimmte Prozentsätze zu mindern. Der 9. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/30, die dieses Ziel in die Kraftstoffrichtlinie einführte, hält fest, dass es zumindest teilweise durch die Verwendung von Biokraftstoffen erreicht werden soll. Dementsprechend verlangt Art. 7b Abs. 2 der Kraftstoffrichtlinie, dass die durch die Verwendung von Biokraftstoffen erzielte Minderung der Treibhausgasemissionen zunächst wenigstens 35 % beträgt, später 50 % und schließlich 60 %. Somit kann es nicht der Kraftstoffrichtlinie und insbesondere ihrem Art. 5 widersprechen, die Kraftstoffunternehmen zur Verwendung von Biokraftstoffen zu verpflichten.

57.      Die Umsetzungsfrist für diese Bestimmungen war zwar bei Erlass der belgischen Biokraftstoffquote noch nicht abgelaufen. Doch die Richtlinie entfaltet ab ihrem Inkrafttreten Rechtswirkung gegenüber den Mitgliedstaaten(21) und kann natürlich auch schon vorzeitig umgesetzt werden.(22) Daher kann sich Belgien schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist auf Art. 7a Abs. 2 berufen.

58.      Wie allerdings Belgische Petroleum Unie u. a. zutreffend hervorheben, dürfen Biokraftstoffe bei der Erfüllung dieser Verpflichtung gemäß Art. 7b Abs. 1 der Kraftstoffrichtlinie nur berücksichtigt werden, soweit sie unter Beachtung der in Art. 7b Abs. 3 bis 6 niedergelegten Nachhaltigkeitskriterien hergestellt wurden. Diese Kriterien verbieten insbesondere, bestimmte Flächen von hohem Wert für die Umwelt in Anspruch zu nehmen, und verlangen – bei der Herstellung von Biokraftstoffen oder entsprechenden Rohstoffen innerhalb der Union – die Beachtung des Agrarumweltrechts der Union.

59.      Die belgische Biokraftstoffquote fällt daher nur unter Art. 7a Abs. 2 der Kraftstoffrichtlinie, wenn sichergestellt ist, dass die Biokraftstoffe bzw. die verwendeten Rohstoffe unter Beachtung der Nachhaltigkeitskriterien des Art. 7b Abs. 3 bis 6 hergestellt wurden.

60.      Ob die belgischen Bestimmungen dies gewährleisten, ist nicht Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens und kann aufgrund der Angaben im Ersuchen auch nicht geprüft werden. Diese Frage muss daher noch vom Verfassungsgerichtshof untersucht werden. Es ist aber nicht offensichtlich, dass die Definition nachhaltiger Biokraftstoffe in Art. 2 Nr. 8 des belgischen Gesetzes vom 22. Juli 2009 dafür ausreicht.

iv)    Zur Förderungsrichtlinie

61.      Für die Förderungsrichtlinie gilt im Prinzip das Gleiche wie für Art. 7a und 7b der Kraftstoffrichtlinie. Die Biokraftstoffquote ist ein Mittel, das zur Erfüllung der Quote für die Verwendung von erneuerbaren Energien im Verkehrssektor nach Art. 3 Abs. 4 der Förderungsrichtlinie beiträgt. Allerdings kommt dafür nur Biokraftstoff in Betracht, der unter Beachtung der Nachhaltigkeitskriterien hergestellt wurde. Daher könnte eine Anwendung dieser Richtlinie am Ergebnis der Prüfung der Kraftstoffrichtlinie nichts ändern.

v)      Zu Art. 3 der Biokraftstoffrichtlinie

62.      Sollte die Beachtung der Nachhaltigkeitskriterien nicht gewährleistet sein, so käme immer noch in Betracht, die Biokraftstoffquote auf Art. 3 Abs. 1 der Biokraftstoffrichtlinie aus dem Jahr 2003 zu stützen. Danach sollten die Mitgliedstaaten für den Verkehrssektor durch die Festlegung von nationalen Richtwerten sicherstellen, dass bis zum 31. Dezember 2010 ein Mindestanteil an Biokraftstoffen von 5,75 % aller Otto- und Dieselkraftstoffe für den Verkehrssektor, die auf den nationalen Märkten in den Verkehr gebracht werden, erreicht wird.

63.      Wie der Gerichtshof festgestellt hat, schreibt die Biokraftstoffrichtlinie den Mitgliedstaaten nicht die Mittel zur Erreichung dieser Richtwerte vor, sondern überlässt ihnen insoweit die freie Wahl der zu ergreifenden Maßnahmen, so dass die Mitgliedstaaten über einen weiten Wertungsspielraum verfügen. Insbesondere ist danach die Festlegung einer obligatorischen Biokraftstoffquote für Mineralölunternehmen ein geeignetes Mittel.(23) Daher kann das Beschränkungsverbot des Art. 5 der Kraftstoffrichtlinie einer solchen Quote im Prinzip nicht entgegenstehen.

64.      Der 21. Erwägungsgrund der Biokraftstoffrichtlinie erinnert jedoch daran, dass die Politik der Mitgliedstaaten zur Förderung der Verwendung von Biokraftstoffen nicht dazu führen sollte, dass der freie Warenverkehr mit Kraftstoffen, die den harmonisierten Umweltvorschriften der Gemeinschaft genügen, untersagt wird. Die Biokraftstoffrichtlinie muss so ausgelegt werden, dass die Maßnahmen zu ihrer Durchführung den freien Warenverkehr nach Art. 34 AEUV respektieren.(24) Sie dürfen daher keine unzulässigen Beschränkungen des Handels mit Kraftstoffen einführen.

65.      Die Biokraftstoffquote macht, wie dargelegt, den Handel mit herkömmlichen Kraftstoffen, die den Spezifikationen der Kraftstoffrichtlinie genügen, weniger attraktiv.(25) Das Vorabentscheidungsersuchen geht dementsprechend anscheinend davon aus, dass die streitgegenständlichen belgischen Bestimmungen den freien Warenverkehr beschränken,(26) d. h., dass die Quote eingeführte Kraftstoffe genauso erfasst wie im Inland in den Verkehr gebrachte. Aber auch wenn nur die inländische Kraftstoffproduktion erfasst würde, könnte die Biokraftstoffquote zumindest mittelbar die Einfuhr von Rohöl oder anderen Vorprodukten für die Kraftstoffproduktion beschränken. Denn es wäre weniger attraktiv, aus diesen Stoffen Kraftstoffe für den inländischen Verbrauch herzustellen.

66.      Nationale Maßnahmen, die geeignet sind, den Handel in der Gemeinschaft zu behindern, können jedoch durch zwingende Erfordernisse des Umweltschutzes gerechtfertigt sein, sofern die fraglichen Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen.(27)

67.      Wenn der Gesetzgeber der Union bereits einschlägige Regelungen erlassen hat, so stützen sie eine solche Rechtfertigung, müssen aber auch beachtet werden.(28)

68.      Wie das Urteil Plantanol(29) zur Biokraftstoffrichtlinie zeigt, durften die Mitgliedstaaten zunächst annehmen, dass eine Biokraftstoffquote im Rahmen der vorgesehenen Schwellenwerte ohne weitere Einschränkungen durch zwingende Erfordernisse des Umweltschutzes gerechtfertigt war.

69.      Der zwischenzeitlich eingeführte Art. 7b Abs. 3 bis 6 der Kraftstoffrichtlinie und Art. 17 der die Biokraftstoffrichtlinie ersetzenden Förderungsrichtlinie zeigen allerdings, dass die Union mittlerweile die Verwendung von Biokraftstoffen nicht mehr ohne Weiteres als zwingendes Erfordernis des Umweltschutzes anerkennt. Nach dem 11. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/30 und dem 69. Erwägungsgrund der Förderungsrichtlinie müssen durch biologische Vielfalt geprägte Flächen vor einer Zerstörung durch die Erzeugung von Rohstoffen für die Herstellung von Biokraftstoffen geschützt werden. Gleiches gilt nach dem 12. und 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/30 und dem 70. und 72. Erwägungsgrund der Förderungsrichtlinie für Flächen mit hohem Kohlenstoffbestand im Boden oder in der Vegetation, da die nachteiligen Folgen der Freisetzung dieses Kohlenstoffs gegenüber den Vorteilen der Verwendung von Biokraftstoffen überwiegen könnten.

70.      Diese neu hervorgehobenen Erkenntnisse zu den Risiken der Förderung von Biokraftstoffen hatten zwar schon vor Erlass der beiden Richtlinien aus dem Jahr 2009 Gewicht, doch spätestens seit diesem Zeitpunkt mussten sie den Mitgliedstaaten bekannt sein. Daher müssen sie bei der Beurteilung der Rechtfertigung von Beschränkungen der Freiheit des Warenverkehrs aus Gründen des Umweltschutzes berücksichtigt werden.

71.      Allerdings erkennen die Umsetzungsfristen der Richtlinien an, dass für die Anpassung innerstaatlichen Rechts Zeit erforderlich ist. Für die Beurteilung bestehender Regelungen sind die Nachhaltigkeitskriterien daher erst ab dem Ablauf der Umsetzungsfrist für diese Richtlinien, d. h. ab dem 30. Dezember 2010, bedeutsam, dem Ende der Umsetzungsfrist für die Änderungen der Kraftstoffrichtlinie.

72.      Dies gilt jedoch nicht für neue Beschränkungen wie die belgische Biokraftstoffquote, die erst nach Inkrafttreten der Förderungsrichtlinie und der Richtlinie 2009/30 erlassen wurde.

73.      Zu diesem Zeitpunkt waren die Mitgliedstaaten zwar nicht verpflichtet, die Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinien vor Ablauf der dafür vorgesehenen Frist zu erlassen. Doch ergab sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV in Verbindung mit Art. 288 Abs. 3 AEUV und aus den Richtlinien selbst, dass sie während dieser Frist den Erlass von Vorschriften unterlassen mussten, die geeignet waren, die Erreichung des in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Zieles ernstlich in Frage zu stellen.(30)

74.      Es ist nicht auszuschließen, dass dieses „Frustrationsverbot“(31) der Neueinführung einer Biokraftstoffquote ohne Beachtung der Nachhaltigkeitskriterien entgegenstand. Möglicherweise führte die erhöhte Nachfrage nach Biokraftstoffen nämlich dazu, dass bei der Herstellung der Rohstoffe bereits die nicht wieder gutzumachenden Schäden entstanden, die durch die Nachhaltigkeitskriterien verhindert werden sollten.

75.      Ob das Frustrationsverbot eingreift, muss allerdings nicht abschließend entschieden werden. Hier wird nämlich nicht geprüft, ob die Förderungsrichtlinie und die Richtlinie 2009/30 der belgischen Biokraftstoffquote entgegenstehen, sondern, ob die Beschränkung des freien Warenverkehrs durch die belgische Biokraftstoffquote durch zwingende Erfordernisse des Umweltschutzes gerechtfertigt sein kann und daher die Biokraftstoffrichtlinie eine Abweichung vom Beschränkungsverbot des Art. 5 der Kraftstoffrichtlinie erlaubt. Bei der Auslegung dieses Rechtfertigungsgrundes sind die in gültigen Rechtsakten enthaltenen Wertungen des Unionsgesetzgebers ohne Weiteres zu beachten. Dabei bedarf es weder eines Rückgriffs auf das Frustrationsverbot, noch muss der Ablauf der Umsetzungsfrist abgewartet werden.(32)

76.      Daraus folgt, dass Belgien die Rechtfertigung durch die Biokraftstoffrichtlinie nur dann in Anspruch nehmen kann, wenn die Biokraftstoffquote die Nachhaltigkeitskriterien respektiert.

77.      Für den Fall, dass der Gerichtshof meiner Auffassung nicht folgen sollte, dass bei der Anwendung von Art. 3 Abs. 1 der Biokraftstoffrichtlinie die Nachhaltigkeitskriterien zu berücksichtigen sind, ist darauf hinzuweisen, dass jede Rechtfertigung durch diese Richtlinie zum 1. Januar 2012 enden musste, da sie zu diesem Zeitpunkt durch Art. 26 Abs. 3 der Förderungsrichtlinie aufgehoben wurde.

vi)    Zu Art. 193 AEUV

78.      Belgien führt zwar auch Art. 193 AEUV an, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, verstärkte Maßnahmen zum Schutz der Umwelt zu ergreifen. Eine Biokraftstoffquote, die die Nachhaltigkeitskriterien nicht respektiert, ist jedoch keine stärkere Schutzmaßnahme, sondern sie schwächt den Schutz der Umwelt gegenüber dem in der Union gebotenen Schutzniveau ab.

79.      Ohnehin gilt Art. 193 AEUV nur im Verhältnis zu Umweltschutzmaßnahmen der Union, die auf Art. 192 AEUV beruhen. Die Nachhaltigkeitskriterien wurden aber nach dem 95. Erwägungsgrund der Förderungsrichtlinie und dem 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/30 auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV gestützt. In diesem Fall sind strengere Schutzmaßnahmen nur nach Maßgabe von Art. 114 Abs. 5 bis 7 AEUV zulässig. Die Voraussetzungen dieser Regelungen liegen jedoch vorliegend schon deshalb nicht vor, weil Belgien keinen entsprechenden Antrag bei der Kommission gestellt hat.

vii) Zwischenergebnis

80.      Die belgische Biokraftstoffquote ist also nur dann mit der Kraftstoffrichtlinie vereinbar, wenn sie die Nachhaltigkeitskriterien des Art. 7b Abs. 3 bis 6 beachtet.

3.      Zu den angeführten Bestimmungen des Primärrechts

81.      Es ist nicht notwendig, die vom Verfassungsgerichtshof hilfsweise angeführten Bestimmungen des Primärrechts, d. h. Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 26 Abs. 2, 28 sowie 34 bis 36 AEUV, gesondert zu untersuchen. Wenn die belgische Biokraftstoffquote die Nachhaltigkeitskriterien respektiert, ist sie auch mit dem Binnenmarkt vereinbar, da sie auf die Umsetzung einer nicht infrage gestellten Verpflichtung des Sekundärrechts abzielt. Respektiert sie dagegen die Nachhaltigkeitskriterien nicht, ist sie bereits nach Maßgabe des Sekundärrechts unzulässig.

4.      Zur Beantwortung der ersten Frage

82.      Auf die erste Frage ist somit zu antworten, dass die Art. 3, 4, 5, 7a und 7b der Kraftstoffrichtlinie in dem Sinne auszulegen sind, dass sie einer nach dem 25. Juni 2009 erlassenen Gesetzesbestimmung nicht entgegenstehen, aufgrund deren registrierte Erdölgesellschaften, die Benzin- und/oder Dieselerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr überführen, verpflichtet sind, in demselben Kalenderjahr ebenfalls eine bestimmte Menge nachhaltiger Biokraftstoffe in den steuerrechtlich freien Verkehr zu überführen, und zwar Bioethanol, pur oder in der Form von Bio-ETBE, in Höhe von mindestens 4 Volumenprozent der Menge in den steuerrechtlich freien Verkehr überführter Benzinerzeugnisse, und Fettsäuremethylester in Höhe von mindestens 4 Volumenprozent der Menge durch Mischung mit Benzin oder Diesel in den steuerrechtlich freien Verkehr überführter Dieselerzeugnisse, sofern bei der Herstellung dieser Biokraftstoffe die Nachhaltigkeitskriterien des Art. 7b jener Richtlinie respektiert werden müssen.

C –    Zur Konsultation der Kommission

83.      Mit der zweiten Frage möchte der Verfassungsgerichtshof aufklären, ob Belgien die Kommission gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 zu den streitgegenständlichen Regelungen zur Einführung der Biokraftstoffquote konsultieren musste, bevor diese Regelungen in Kraft traten.

84.      Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift.

85.      Nach ständiger Rechtsprechung soll die Richtlinie 98/34 durch eine vorbeugende Kontrolle den freien Warenverkehr schützen, der zu den Grundlagen der Union gehört. Diese Kontrolle ist insofern sinnvoll, als unter die Richtlinie fallende technische Vorschriften möglicherweise Beschränkungen des Warenaustauschs zwischen Mitgliedstaaten darstellen, die nur zugelassen werden können, wenn sie notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen zu genügen, mit denen ein im allgemeinen Interesse liegendes Ziel verfolgt wird.(33)

86.      Da die in Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/34 vorgesehene Mitteilungspflicht ein wesentliches Mittel zur Verwirklichung dieser gemeinschaftlichen Kontrolle darstellt, wird die Wirksamkeit dieser Kontrolle durch eine Auslegung dieser Richtlinie dahin erhöht, dass der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt, der zur Unanwendbarkeit der fraglichen technischen Vorschriften führen kann, so dass diese dem Einzelnen nicht entgegengehalten werden können.(34)

87.      Daher fragt der Verfassungsgerichtshof, ob die belgische Biokraftstoffquote eine mitzuteilende technische Vorschrift im Sinne der Richtlinie 98/34 ist.

88.      Nach der Rechtsprechung ergibt sich in diesem Zusammenhang aus Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34, dass der Begriff der „technischen Vorschrift“ dreierlei bezeichnet, nämlich erstens die „technische Spezifikation“ im Sinne von Art. 1 Nr. 3 dieser Richtlinie, zweitens die „sonstige Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Nr. 4 dieser Richtlinie und drittens das Verbot von Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses im Sinne von Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie.(35)

89.      Die Biokraftstoffquote enthält kein Verbot und es kann vorliegend dahin stehen, ob der Umstand, dass nicht jeder Liter Kraftstoff mit Biokraftstoff versetzt werden muss, das Vorliegen einer technischen Spezifikation ausschließt. Denn es handelt sich jedenfalls um „sonstige Vorschrift[en]“ im Sinne von Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie 98/34.

90.      Nach der Rechtsprechung ist dies der Fall, wenn die fraglichen Bestimmungen die Zusammensetzung, die Art oder die Vermarktung des betreffenden Erzeugnisses wesentlich beeinflussen können.(36) Da die Biokraftstoffquote durch die Mischung von Biokraftstoffen mit Ottokraftstoff und Diesel erfüllt wird, beeinflusst sie die Zusammensetzung und die Vermarktung dieser Erzeugnisse.

91.      Der vom belgischen Verfassungsgericht angeführte Art. 10 Abs. 1 erster Spiegelstrich der Richtlinie 98/34 lässt die Verpflichtung zur Konsultation nicht entfallen. Diese Ausnahme gilt nämlich nur für Maßnahmen, durch die Mitgliedstaaten verbindlichen Unionsrechtsakten nachkommen, mit denen technische Spezifikationen oder Vorschriften betreffend Dienste in Kraft gesetzt werden.

92.      Die Biokraftstoffquote entspricht jedoch keiner Spezifikation der Union, sondern setzt eine unionsrechtliche Verpflichtung um, die den Mitgliedstaaten einen erheblichen Gestaltungsspielraum belässt. Um Fehler bei der Ausübung dieses Spielraums zu vermeiden, ist die Konsultation der Kommission im Prinzip notwendig.

93.      Die Kommission weist allerdings zutreffend darauf hin, dass im Ausgangsfall trotzdem keine Konsultation nötig war.

94.      Der Gerichtshof hat nämlich festgestellt, dass Änderungen des Entwurfs einer der Kommission bereits gemäß Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/34 mitgeteilten technischen Vorschrift, die im Verhältnis zu dem mitgeteilten Entwurf nur eine Lockerung der Bedingungen für die Benutzung des in Rede stehenden Erzeugnisses enthalten und daher die mögliche Auswirkung der technischen Vorschrift auf den Warenaustausch verringern, im Hinblick auf das vorstehend in Nr. 85 festgestellte Ziel der Richtlinie 98/34 keine wesentliche Änderung darstellen. Solche Änderungen unterliegen danach nicht der Verpflichtung zur vorherigen Mitteilung.(37)

95.      Nach dem Vorabentscheidungsersuchen hat Belgien die Kommission zu einem früheren Regelungsvorhaben konsultiert, aufgrund dessen Ottokraftstoff 7 % Ethanol und Diesel 5 % Fettsäuremethylester enthalten sollten.(38) Die Kommission hatte dazu die Auffassung vertreten, dass Art. 3 der Kraftstoffrichtlinie bei Ottokraftstoff nur maximal 5 % Ethanol zulasse, Art. 4 für Diesel keinen Anteil von Fettsäuremethylester vorsehe und Art. 5 Regelungen entgegenstünde, die eine bestimmte Biokraftstoffquote für jeden Liter Kraftstoff vorsehen.

96.      Die streitgegenständliche belgische Biokraftstoffquote wurde im Hinblick auf diese Bemerkungen und die zwischenzeitliche Änderung von Art. 3 und 4 der Kraftstoffrichtlinie ausgestaltet. Die Quoten bleiben unterhalb der Maximalanteile für Ottokraftstoff und Diesel. Sie sind auch nicht zwingend auf jeden Liter Kraftstoff bezogen.

97.      Folglich handelt es sich nur um Lockerungen der früheren Regelung, die keine erneute Konsultation der Kommission erforderten.

98.      Auf die zweite Frage ist somit zu antworten, dass der Entwurf einer Norm, aufgrund deren registrierte Erdölgesellschaften, die Benzin- und/oder Dieselerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr überführen, verpflichtet sind, in demselben Kalenderjahr ebenfalls eine bestimmte Menge nachhaltiger Biokraftstoffe durch Mischung mit Benzin oder Diesel in den steuerrechtlich freien Verkehr zu überführen, im Prinzip der Kommission gemäß Art. 8 der Richtlinie 98/34 als sonstige Vorschrift mitzuteilen ist. Diese Mitteilungspflicht entfällt jedoch, wenn dieser Entwurf nur die Lockerung eines bereits mitgeteilten Entwurfs darstellt.

V –    Ergebnis

99.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, das Vorabentscheidungsersuchen wie folgt zu beantworten:

1.      Die Art. 3, 4, 5, 7a und 7b der Richtlinie 98/70/EG in der Fassung der Richtlinie 2009/30/EG sind in dem Sinne auszulegen, dass sie einer nach dem 25. Juni 2009 erlassenen Gesetzesbestimmung nicht entgegenstehen, aufgrund deren registrierte Erdölgesellschaften, die Benzin- und/oder Dieselerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr überführen, verpflichtet sind, in demselben Kalenderjahr ebenfalls eine bestimmte Menge nachhaltiger Biokraftstoffe durch Mischung mit Benzin oder Diesel in den steuerrechtlich freien Verkehr zu überführen, und zwar Bioethanol, pur oder in der Form von Bio-ETBE, in Höhe von mindestens 4 Volumenprozent der Menge in den steuerrechtlich freien Verkehr überführter Benzinerzeugnisse, und Fettsäuremethylester in Höhe von mindestens 4 Volumenprozent der Menge in den steuerrechtlich freien Verkehr überführter Dieselerzeugnisse, sofern bei der Herstellung dieser Biokraftstoffe die Nachhaltigkeitskriterien des Art. 7b respektiert werden müssen.

2.      Der Entwurf einer Norm, aufgrund deren registrierte Erdölgesellschaften, die Benzin- und/oder Dieselerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr überführen, verpflichtet sind, in demselben Kalenderjahr ebenfalls eine bestimmte Menge nachhaltiger Biokraftstoffe durch Mischung mit Benzin oder Diesel in den steuerrechtlich freien Verkehr zu überführen, ist im Prinzip der Kommission gemäß Art. 8 der Richtlinie 98/34/EG als sonstige Vorschrift mitzuteilen. Diese Mitteilungspflicht entfällt jedoch, wenn dieser Entwurf nur die Lockerung eines bereits mitgeteilten Entwurfs darstellt.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Mai 2003 zur Förderung der Verwendung von Biokraftstoffen oder anderen erneuerbaren Kraftstoffen im Verkehrssektor (ABl. L 123, S. 42).


3 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG (ABl. L 140, S. 16).


4 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Änderung der Richtlinie 98/70/EG im Hinblick auf die Spezifikationen für Otto-, Diesel- und Gasölkraftstoffe und die Einführung eines Systems zur Überwachung und Verringerung der Treibhausgasemissionen sowie zur Änderung der Richtlinie 1999/32/EG des Rates im Hinblick auf die Spezifikationen für von Binnenschiffen gebrauchte Kraftstoffe und zur Aufhebung der Richtlinie 93/12/EWG (ABl. L 140, S. 88).


5 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über die Qualität von Otto- und Dieselkraftstoffen und zur Änderung der Richtlinie 93/12/EWG des Rates (ABl. L 350, S. 58).


6 – Nach der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat „Erneuerbare Energien: Fortschritte auf dem Weg zum Ziel für 2020“ vom 31. Januar 2011 (KOM[2011] 31 endg., S. 12) hatten zum damaligen Zeitpunkt 20 Mitgliedstaaten ähnliche Verpflichtungen eingeführt.


7 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. L 204, S. 37), in der Fassung der Richtlinie 2006/96/EG des Rates vom 20. November 2006 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich freier Warenverkehr anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens (ABl. L 363, S. 81).


8 – Richtlinie 98/70 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 zur Anpassung der Bestimmungen über die Ausschüsse zur Unterstützung der Kommission bei der Ausübung von deren Durchführungsbefugnissen, die in Rechtsakten vorgesehen sind, für die das Verfahren des Artikels 251 des EG-Vertrags gilt, an den Beschluss 1999/468/EG des Rates (ABl. L 284, S. 1), wie sie bis zum 25. Juni 2009 galt.


9 – Zitiert in Fn. 3.


10 – Belgisch Staatsblad/Moniteur belge vom 3. August 2009, S. 51920.


11 – Belgisch Staatsblad/Moniteur belge vom 30. Juni 2011, S. 37981.


12 – Urteile vom 7. September 1999, Beck und Bergdorf (C‑355/97, Slg. 1999, I‑4977, Randnr. 22), vom 5. Dezember 2006, Cipolla u. a. (C‑94/04 und C‑202/04, Slg. 2006, I‑11421, Randnr. 25), vom 8. September 2009, Budĕjovický Budvar (C‑478/07, Slg. 2009, I‑7721, Randnr. 63), und vom 1. Dezember 2011, Painer (C‑145/10, Slg. 2011, I‑12533, Randnr. 59).


13 – Vgl. zur Berufung auf die neuen Bestimmungen vor Ablauf der Umsetzungsfrist nachfolgend Nr.  57.


14 – Urteil vom 10. Februar 2009, Kommission/Italien (C‑110/05, Slg. 2009, I‑519, Randnr. 33).


15 – Siehe zur Arbeitnehmerfreizügigkeit das Urteil vom 10. März 2011, Casteels (C‑379/09, Slg. 2011, I‑1379, Randnr. 22), zur Niederlassungsfreiheit das Urteil vom 11. März 2010, Attanasio Group (C‑384/08, Slg. 2010, I‑2055, Randnr. 43); zur Dienstleistungsfreiheit das Urteile vom 28. März 1996, Guiot (C‑272/94, Slg. 1996, I‑1905, Randnr. 10), und vom 4. Oktober 2011, Football Association Premier League u. a. (C‑403/08 und C‑429/08, Slg. 2011, I‑9083, Randnr. 85), sowie zur Kapitalverkehrsfreiheit das Urteil vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation (C‑446/04, Slg. 2006, I‑11753, Randnr. 184).


16 – Vgl. etwa die Urteile vom 7. Februar 1979, Knoors (115/78, Slg. 1979, 399, Randnr. 17), vom 30. November 1995, Gebhard (C‑55/94, Slg. 1995, I‑4165, Randnr. 37), und vom 15. April 2010, CIBA (C‑96/08, Slg. 2010, I‑2911, Randnr. 45).


17 – Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABl. L 283, S. 51).


18 – DOC 52 2037/001 der Belgischen Abgeordnetenkammer vom 9. Juni 2009, S. 17, 20 f. (Nr. 5.2.).


19 – Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 22. Dezember 2010, Belgische Petroleum Unie u. a. (149/2010, Punkt B.5.2.).


20 – Anhang 4 zum Schriftsatz der Kommission.


21 – Urteil vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a. (C‑212/04, Slg. 2006, I‑6057, Randnr. 119).


22 – Vgl. Urteile vom 15. November 2005, Kommission/Österreich (C‑320/03, Slg. 2005, I‑9871, Randnr. 80), und vom 14. Juni 2007, Kommission/Belgien (C‑422/05, Slg. 2007, I‑4749, Randnr. 52).


23 – Urteil vom 10. September 2009, Plantanol (C‑201/08, Slg. 2009, I‑8343, Randnrn. 35 f.).


24 – Vgl. das Urteil vom 14. Dezember 2004, Radlberger Getränkegesellschaft und S. Spitz (C‑309/02, Slg. 2004, I‑11763, Randnr 36).


25 – Siehe oben, Nr. 51.


26 – Zitiert in Fn. 19, Punkt B.11.


27 – Vgl. nur Urteile vom 20. September 1988 in der Rechtssache 302/86 (Kommission/Dänemark, Slg. 1988, 4607, Randnr. 8), vom 9. Juli 1992 in der Rechtssache C-2/90 (Kommission/Belgien, Slg. 1992, I-4431, Randnr. 22), sowie Radlberger Getränkegesellschaft und S. Spitz (zitiert in Fn. 24, Randnr. 75).


28 – Urteil Kommission/Österreich (zitiert in Fn. 22, Randnrn. 74 ff.). Siehe auch das Urteil vom 13. März 2001, PreussenElektra (C‑379/98, Slg. 2001, I‑2099, Randnrn. 77 ff.).


29 – Zitiert in Fn. 23.


30 – Urteile vom 18. Dezember 1997, Inter-Environnement Wallonie (C‑129/96, Slg. 1997, I‑7411, Randnr. 45), vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a. (zitiert in Fn. 21, Randnr. 121), Kommission/Belgien (zitiert in Fn. 22, Randnr. 62), und vom 26. Mai 2011, Stichting Natuur en Milieu u. a. (C‑165/09 bis C‑167/09, Slg. 2011, I‑4599, Randnr. 78).


31 – Siehe etwa meine Schlussanträge vom 18. Mai 2004, Wippel (C‑313/02, Slg. 2004, I‑9483, Nr. 60), vom 27. Oktober 2005, Adeneler u. a. (C‑212/04, Slg. 2006, I‑6057, Nr. 48), und vom 16. Dezember 2010, Stichting Natuur en Milieu u. a. (C‑165/09 bis C‑167/09, Nrn. 83 f.).


32 – Vgl. auch die Überlegungen zur richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist in meinen in Fn. 31 zitierten Schlussanträgen Wippel, Nrn. 58 bis 63, und Adeneler, Nrn. 45 bis 53.


33 – Urteile vom 15. April 2010, Sandström (C‑433/05, Slg. 2010, I‑2885, Randnr. 42), und vom 9. Juni 2011, Intercommunale Intermosane und Fédération de l'industrie et du gaz (C‑361/10, Slg. 2011, I‑5079, Randnr. 10), sowie die dort angeführte Rechtsprechung.


34 – Urteil Sandström (zitiert in Fn. 33, Randnr. 43).


35 – Urteil Intercommunale Intermosane und Fédération de l'industrie et du gaz (zitiert in Fn. 33, Randnr. 11), sowie die dort angeführte Rechtsprechung.


36 – Urteil Intercommunale Intermosane und Fédération de l'industrie et du gaz (zitiert in Fn. 33, Randnr. 20) sowie die dort angeführte Rechtsprechung.


37 – Urteil Sandström (zitiert in Fn. 33, Randnr. 47).


38 – Zitiert in Fn. 19, Punkt B.5.1.