Language of document : ECLI:EU:C:2014:2324

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NIILO JÄÄSKINEN

vom 23. Oktober 2014(1)

Rechtssache C‑461/13

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V.

gegen

Bundesrepublik Deutschland

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts [Deutschland])

„Umwelt – Art. 4 der Richtlinie 2000/60/EG – Maßnahmen der Europäischen Union im Bereich der Wasserpolitik – Oberflächengewässer betreffende Umweltziele – Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers – Vorhaben des Ausbaus einer Wasserstraße – Etwaige Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Untersagung jedes Vorhabens, das nachteilige Auswirkungen auf den Zustand der Oberflächenwasserkörper hat oder haben kann“





I –    Einleitung

1.        Die Vorlagefragen des Bundesverwaltungsgerichts (Deutschland) haben ihren Ursprung in einem Rechtsstreit betreffend den Ausbau der Weser, eines der großen Flüsse Deutschlands. Der Rechtsstreit vor dem vorlegenden Gericht besteht zwischen dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (im Folgenden: BUND), einer nicht auf Gewinnerzielung ausgerichteten Organisation, und der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Eigenschaft als Träger eines Vorhabens zur Vertiefung der Weser, um die Durchfahrt größerer Containerschiffe zu den deutschen Häfen Bremerhaven, Brake und Bremen zu ermöglichen. Im Rahmen dieses Rechtsstreits wurden die Frage der wesentlichen physikalischen Änderungen und die der durch diese Vorhaben verursachten schädlichen hydrologischen und morphologischen Folgen für das Ökosystem der Weser aufgeworfen.

2.        In diesem Zusammenhang wird der Gerichtshof ersucht, die Tragweite der Begriffe „Umweltziele“ und „Verschlechterung“ des Zustands von Wasserkörpern nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik(2) (im Folgenden: WRRL) zu bestimmen.

3.        Für die Auslegung dieser Begriffe hat der Gerichtshof jedoch eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen, deren wichtigste die Folgenden sind.

4.        Erstens ist die WRRL, obwohl sie eine wesentliche gemeinsame Grundlage zur Koordinierung des Mosaiks der geltenden gemeinschaftlichen und nationalen Rechtsvorschriften hätte schaffen sollen, ein komplexer und besonders hochentwickelter Rechtsakt, dessen Verständnis außergewöhnlich schwierig ist(3). Insbesondere wirft die legistische Technik, die in zahlreichen Verweisen von einer Bestimmung auf die andere und auf sonstige Rechtsakte sowie in der Schaffung mehrerer Ausnahmen besteht, deren Tragweite nicht klar bestimmbar ist, zahlreiche Schwierigkeiten auf(4). Insoweit ist es symptomatisch, dass das auf der WRRL beruhende System der Wasserbewirtschaftung zum Erlass einer beeindruckenden Zahl erläuternder Maßnahmen(5), zur Schaffung spezialisierter Datenbanken(6) sowie zu Wasserforschungsarbeiten im Rahmen des Siebten Forschungsrahmenprogramms der Europäischen Union(7) geführt hat.

5.        Zweitens zeigt die vorliegende Rechtssache im Zusammenhang mit den angeführten Schwierigkeiten ein Aufeinandertreffen von zwei völlig gegenläufigen Visionen zur WRRL auf. Der erste Ansatz könnte als minimalistisch eingestuft werden, da die WRRL auf ein Instrument der großräumigen Planung der Bewirtschaftung von Gewässern reduziert würde. Nach einem zweiten Ansatz, den ich teile, entspräche die WRRL hingegen einer neuen Methodik der Gewässerbewirtschaftung, die nicht nur die Planungsebene abdeckt, sondern auch die Ebene der Umsetzung der zwingenden Umweltziele, die den Erlass konkreter Maßnahmen zur Sicherstellung eines guten Gewässerzustands und zur Verhinderung einer Verschlechterung des Gewässerzustands bedeutet. Daher erfordert die Antwort auf die Vorlagefragen eine eingehende Analyse rein technischer oder wissenschaftlicher Begriffe, Methoden und Parameter, die die Grundlage des Systems zur Bestimmung des Gewässerzustands bilden.

6.        Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die WRRL den Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung wahrt, nach dem „den Bedürfnissen der heutigen Generation dergestalt Rechnung getragen werden sollte, dass die Fähigkeit künftiger Generationen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, nicht gefährdet wird“. Nachhaltige Entwicklung ist ein im Vertrag festgelegtes übergeordnetes Ziel der Europäischen Union, das für alle Politikbereiche und Maßnahmen der Union verpflichtend ist(8). Die Auslegung der WRRL, die das in Art. 37 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Grundrecht auf Umweltschutz wahren muss, erfordert daher eine Untersuchung auf mehreren Ebenen unter Berücksichtigung ihres Endziels des Schutzes des Wassers als Gemeinschaftsgut, das die Erhaltung, die Verbesserung und das Verbot der Verschlechterung der aquatischen Umwelt der Union bedeutet(9).

II – Rechtlicher Rahmen

7.        In Anbetracht der Komplexität des von der WRRL geschaffenen Systems ist es wichtig, ihre Schlüsselbegriffe darzustellen.

8.        Art. 1 der WRRL bestimmt:

„Ziel dieser Richtlinie ist die Schaffung eines Ordnungsrahmens für den Schutz der Binnenoberflächengewässer, der Übergangsgewässer, der Küstengewässer und des Grundwassers zwecks

a)      Vermeidung einer weiteren Verschlechterung sowie Schutz und Verbesserung des Zustands der aquatischen Ökosysteme und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf deren Wasserhaushalt,

…“

9.        Zu diesem Zweck gehören alle vom Anwendungsbereich der WRRL umfassten Gewässer(10) zu einer der von der WRRL vorgesehenen Einheiten, nämlich zu einem Einzugsgebiet, einer Flussgebietseinheit oder einem Wasserkörper. Der Begriff des Einzugsgebiets wird in Art. 2 Nr. 13 der WRRL definiert; darunter ist ein Gebiet zu verstehen, aus dem der gesamte Oberflächenabfluss ins Meer gelangt. Der Begriff der Flussgebietseinheit nach Art. 2 Nr. 15 der WRRL entspricht einem als Haupteinheit für die Bewirtschaftung von Einzugsgebieten festgelegten Gebiet, das aus mehreren Einzugsgebieten besteht.

10.      Dagegen hat der Begriff des Wasserkörpers die Bestimmung aller Gewässermerkmale und die Feststellung des gegenwärtigen Gewässerzustands zum Zweck. So entspricht nach Art. 2 Nr. 10 der WRRL ein Oberflächenwasserkörper(11) einem einheitlichen und bedeutenden Abschnitt eines Oberflächengewässers, z. B. einem See, einem Speicherbecken, einem Strom, einem Fluss, einem Kanal, einem Teil eines Stroms, Flusses oder Kanals, einem Übergangsgewässer oder einem Küstengewässerstreifen. Die WRRL bezieht sich auch auf den Begriff des erheblich veränderten Wasserkörpers, unter dem nach ihrem Art. 2 Nr. 9 jeder Wasserkörper zu verstehen ist, der durch physikalische Veränderungen durch den Menschen in seinem Wesen erheblich verändert wurde.

11.      Die Oberflächenwasserkörper innerhalb einer Flussgebietseinheit müssen daher zunächst in eine der Kategorien (Flüsse, Seen, Übergangsgewässer, Küstengewässer und Grundwasser) fallen(12). Sodann werden in jeder Kategorie von Oberflächengewässern die Wasserkörper innerhalb der betreffenden Flussgebietseinheit nach Typen unterschieden, die nach System A oder System B gemäß Anhang II Abschnitt 1.2 der WRRL definiert werden. System A ist starr und beruht auf „Ökoregionen“ und vorgeschriebenen Parametern, während System B mit mehreren optionalen Parametern flexibel ist.

12.      Der Begriff „Zustand des Oberflächengewässers“ ist in Art. 2 Nr. 17 der WRRL als Bezeichnung für den Zustand eines Wasserkörpers auf der Grundlage des jeweils schlechteren Wertes für den ökologischen und den chemischen Zustand definiert. Die WRRL definiert in Art. 2 Nr. 18 den Zustand eines Oberflächenwasserkörpers als gut, wenn er sich in einem zumindest guten ökologischen und chemischen Zustand befindet. Die Begriffe „ökologischer Zustand“, „guter ökologischer Zustand“ sowie „guter chemischer Zustand“ sind jeweils in Art. 2 Nrn. 21, 22 und 24 der WRRL definiert(13).

13.      Art. 4 („Umweltziele“) Abs. 1 Buchst. a der WRRL bestimmt:

„In Bezug auf die Umsetzung der in den Bewirtschaftungsplänen für die Einzugsgebiete festgelegten Maßnahmenprogramme gilt Folgendes:

a)      bei Oberflächengewässern:

i)      die Mitgliedstaaten führen, vorbehaltlich der Anwendung der Absätze 6 und 7 und unbeschadet des Absatzes 8, die notwendigen Maßnahmen durch, um eine Verschlechterung des Zustands aller Oberflächenwasserkörper zu verhindern;

ii)      die Mitgliedstaaten schützen, verbessern und sanieren alle Oberflächenwasserkörper, vorbehaltlich der Anwendung der Ziffer iii betreffend künstliche und erheblich veränderte Wasserkörper, mit dem Ziel, spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie gemäß den Bestimmungen des Anhangs V, vorbehaltlich etwaiger Verlängerungen gemäß Absatz 4 sowie der Anwendung der Absätze 5, 6 und 7 und unbeschadet des Absatzes 8 einen guten Zustand der Oberflächengewässer zu erreichen;

iii)      die Mitgliedstaaten schützen und verbessern alle künstlichen und erheblich veränderten Wasserkörper mit dem Ziel, spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie gemäß den Bestimmungen des Anhang V, vorbehaltlich etwaiger Verlängerungen gemäß Absatz 4 sowie der Anwendung der Absätze 5, 6 und 7 und unbeschadet des Absatzes 8 ein gutes ökologisches Potential und einen guten chemischen Zustand der Oberflächengewässer zu erreichen;

…“

14.      Art. 4 der WRRL bestimmt in seinen Abs. 4, 5, 6 und 7 eine Reihe von Ausnahmen von den so definierten Zielen. Insbesondere enthält sein Abs. 7 die Bedingungen einer Ausnahme im Fall von neuen Änderungen der physischen Eigenschaften eines Oberflächenwasserkörpers oder von Änderungen des Pegels von Grundwasserkörpern oder einer neuen nachhaltigen Entwicklungstätigkeit des Menschen.

15.      Art. 11 Abs. 1 der WRRL betrifft die Schaffung von Maßnahmenprogrammen, die ein grundlegendes Planungsinstrument für jede Flussgebietseinheit oder für den in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats fallenden Teil einer internationalen Flussgebietseinheit darstellen. Die Programme haben die Ergebnisse der Analysen gemäß Art. 5 der WRRL zu berücksichtigen, um die Ziele von deren Art. 4 zu verwirklichen.

16.      Art. 13 der WRRL betrifft die Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete, die gemäß ihrem Anhang VII erstellt werden. Aus ihm ergibt sich u. a., dass ein solcher Bewirtschaftungsplan eine Liste der Umweltziele gemäß Art. 4 der WRRL sowie die Ermittlung der Fälle, in denen die Abs. 4 bis 7 dieses Artikels in Anspruch genommen wurden, enthält. Der Bewirtschaftungsplan beinhaltet eine Zusammenfassung des Maßnahmenprogramms oder der Maßnahmenprogramme gemäß Art. 11 der WRRL, einschließlich Angaben dazu, wie die Ziele gemäß Art. 4 dadurch zu erreichen sind.

III – Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

17.      Mit Planfeststellungsbeschluss vom 15. Juli 2011 (im Folgenden: Planfeststellungsbeschluss) genehmigte die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nordwest, eine Bundesverwaltungsbehörde, drei Vorhaben für den Ausbau der Bundeswasserstraße Weser.

18.      Das erste Vorhaben hat den Ausbau der Außenweser vom offenen Meer bis Bremerhaven zum Gegenstand. Deren Fahrrinne soll dafür um bis zu 1,16 m vertieft werden, damit Großcontainerschiffe mit einem Abladetiefgang von bis zu 13,5 m den Hafen Bremerhaven tideunabhängig erreichen können.

19.      Das zweite Vorhaben betrifft den Ausbau der Unterweser von Bremerhaven flussaufwärts bis Brake, wobei die Fahrrinne bis zu 1 m vertieft werden soll, damit Schiffe mit einem Abladetiefgang von maximal 12,8 m den dortigen Hafen tideabhängig anfahren können.

20.      Mit dem dritten Vorhaben soll der Ausbau der Unterweser von Brake flussaufwärts bis Bremen erfolgen. Die Fahrrinne in diesem Flussabschnitt soll vertieft werden, damit der Hafen in Bremen tideabhängig von Schiffen mit einem Abladetiefgang von bis zu 11,1 m erreicht werden kann. Gegenwärtig kann der Hafen Bremen tideabhängig mit einem Abladetiefgang bis zu 10,7 m erreicht werden.

21.      Zur Verwirklichung der Vorhaben soll die Flusssohle in den Fahrrinnen ausgebaggert werden. Nach der erstmaligen Herstellung der Ausbautiefe sind regelmäßige Unterhaltungsbaggerungen erforderlich. Das Baggergut aus dem Ausbau und der Unterhaltung soll im Wesentlichen an schon früher dafür genutzten Stellen in der Außenweser und in der Unterweser verklappt werden.

22.      Neben den unmittelbaren Auswirkungen des Baggerns und Verklappens haben die Vorhaben laut dem vorlegenden Gericht weitere hydrologische und morphologische Folgen für die betroffenen Flussabschnitte. So nähmen insbesondere die Strömungsgeschwindigkeiten sowohl bei Ebbe als auch bei Flut zu, Tidehochwasserstände würden höher, Tideniedrigwasserstände niedriger, der Salzgehalt in Teilen der Unterweser nähme zu und die Brackwassergrenze in der Unterweser werde stromaufwärts verschoben werden sowie schließlich außerhalb der Fahrrinne die Verschlickung des Flussbetts zunehmen.

23.      Von den betroffenen Wasserkörpern sind die Wasserkörper „Übergangsgewässer der Weser“ und „Tidebereich oberhalb von Brake“ als „erheblich verändert“ im Sinne von Art. 2 Nr. 9 der WRRL eingestuft. Der Bereich der Außenweser, soweit er zu den Küstengewässern zu zählen ist, ist als natürlicher Wasserkörper eingestuft. Betroffen sind darüber hinaus eine Reihe von Wasserkörpern im Bereich der Nebenflüsse, die zum Teil als natürlich, zum Teil als „erheblich verändert“ eingestuft sind.

24.      Im Rahmen der Prüfung dieser Vorhaben kam die zuständige Behörde zu dem Ergebnis, dass für die Küstengewässer keine Verschlechterung im Sinne der WRRL zu erwarten sei. Dagegen werde der aktuelle Zustand der Wasserkörper „Weser/Tidebereich oberhalb Brake Typ 22.3“ und „Übergangsgewässer Typ T1“ durch die Wirkungen der Ausbauvorhaben tendenziell negativ verändert, ohne dass eine Veränderung der Zustandsklasse nach Anhang V der WRRL eintreten werde. Eine solche Verschlechterung innerhalb einer Zustandsklasse sei nicht als Verschlechterung des ökologischen Potenzials bzw. Zustands anzusehen. Hilfsweise war die zuständige Behörde der Auffassung, dass die Voraussetzungen einer Ausnahme vom Verschlechterungsverbot nach § 31 Abs. 2 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz, im Folgenden: WHG(14)) und Art. 4 Abs. 7 der WRRL erfüllt seien.

25.      Der BUND wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss und rügt mehrere Verletzungen des Planfeststellungsrechts, des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes, des Naturschutzrechts sowie Verstöße gegen Vorschriften zum Schutz des Wassers, die ihren Ursprung in der WRRL haben.

26.      Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten − vorbehaltlich der Erteilung einer Ausnahme − verpflichtet sind, die Zulassung eines Projekts zu versagen, wenn dieses eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers verursachen kann, oder handelt es sich bei dieser Regelung um eine bloße Zielvorgabe für die Bewirtschaftungsplanung?

2.      Ist der Begriff „Verschlechterung des Zustands“ in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL dahin auszulegen, dass er nur nachteilige Veränderungen erfasst, die zu einer Einstufung in eine niedrigere Klasse gemäß Anhang V der WRRL führen?

3.      Falls die Frage 2 zu verneinen ist: Unter welchen Voraussetzungen liegt eine „Verschlechterung des Zustands“ im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL vor?

4.      Ist Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii sowie iii der WRRL dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten − vorbehaltlich der Erteilung einer Ausnahme − verpflichtet sind, die Zulassung eines Projekts zu versagen, wenn dieses die Erreichung eines guten Zustands eines Oberflächengewässers bzw. eines guten ökologischen Potenzials und eines guten chemischen Zustands eines Oberflächengewässers zu dem nach der WRRL maßgeblichen Zeitpunkt gefährdet, oder handelt es sich bei dieser Regelung um eine bloße Zielvorgabe für die Bewirtschaftungsplanung?

27.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 22. August 2013 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen. Der BUND, die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich der Niederlande, die Republik Polen, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Der BUND, die Bundesrepublik Deutschland, die Freie Hansestadt Bremen, die Tschechische Republik, die Französische Republik und die Kommission sind in der mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2014 gehört worden.

IV – Würdigung

A –    Zur Behandlung der Vorlagefragen

28.      Obwohl das vorlegende Gericht dem Gerichtshof vier Fragen gestellt hat, scheinen mir sich diese im Wesentlichen klar um zwei Themen zu bewegen, die die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der WRRL betreffen.

29.      So betrifft das erste Thema, das von der ersten und der vierten Vorlagefrage aufgeworfen wird, zunächst die Frage, ob Art. 4 der WRRL ein bloßes allgemeines Ziel für die Wasserbewirtschaftungsplanung vorsieht oder ob diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass sie jede Verschlechterung des Zustands der Wasserkörper im Zusammenhang mit der Verwirklichung der verschiedenen Vorhaben verbietet, abgesehen von den Fällen, die unter die von der WRRL vorgesehenen Ausnahmen fallen können. Dieses Thema umfasst auch die Frage der Tragweite des sich aus der WRRL ergebenden Verbesserungsgebots.

30.      Das zweite vom vorlegenden Gericht in seiner zweiten und seiner dritten Vorlagefrage(15) angesprochene Thema ist die Auslegung des Begriffs „Verschlechterung des Zustands“ nach Art. 4 Buchst. a Ziff. i der WRRL.

31.      Folglich schlage ich vor, die vorgelegten Fragen den in diesem Sinne dargelegten Themen entsprechend zusammenzufassen.

B –    Zum von der WRRL genannten Ziel der Vermeidung einer weiteren Verschlechterung (erste und vierte Vorlagefrage)

1.      Erklärungen der Beteiligten

32.      Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die WRRL eine Grundregel aufstellt, mit der ein Verbot der Verschlechterung des Zustands aller Oberflächenwasserkörper, vorbehaltlich der Ausnahmen nach der WRRL, geschaffen wird.

33.      Die Verfahrensbeteiligten vertreten dazu diametral entgegengesetzte Standpunkte. Der BUND, die polnische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission teilen die Beurteilung des vorlegenden Gerichts, nach der Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i bis iii der WRRL dahin auszulegen ist, dass die Mitgliedstaaten − vorbehaltlich der Gewährung einer Ausnahme − verpflichtet sind, einem Vorhaben die Genehmigung zu versagen, wenn dieses eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers verursachen kann oder die Erreichung eines guten Zustands eines Oberflächengewässers oder eines guten ökologischen Potenzials und eines guten chemischen Zustands eines Oberflächengewässers gefährdet. Sowohl der Wortlaut als auch die Systematik und der Zweck der WRRL sprächen somit für die Auslegung, nach der das vorgesehene Verschlechterungsverbot gegenüber den Mitgliedstaaten eine eigenständige Verpflichtung im Rahmen der Genehmigung von Vorhaben schaffe, die nicht unter die Bewirtschaftungsplanung falle. In diesem Sinne hat auch die französische Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass Art. 4 der WRRL nicht nur einem Ziel entspreche, sondern es sich um eine Verpflichtung zum Erlass konkreter Maßnahmen handle.

34.      Hingegen sind die deutsche und die niederländische Regierung der Auffassung, dass die Umweltziele in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i bis iii der WRRL die Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete und die Maßnahmenprogramme der Mitgliedstaaten für die Oberflächengewässer beträfen. Es handle sich daher nicht um Kriterien für die Genehmigung einzelner Vorhaben. Außerdem vertritt die niederländische Regierung die Auffassung, die WRRL schreibe einen „programmatischen“ Ansatz in dem Sinne vor, dass sie den Mitgliedstaaten einen weiten Handlungsspielraum bei ihrer Umsetzung lasse(16).

35.      Die deutsche Regierung trägt überdies vor, Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL verbiete nach seinem Wortlaut nicht Verschlechterungen, sondern schreibe den Erlass von Maßnahmen vor, um eine Verschlechterung zu verhindern. Diese Bestimmung sei nämlich nach ihrem Wortlaut nicht als Verbot abgefasst, sondern verlange eine positive Handlung. Folglich seien nur die positiven Planungsmaßnahmen von einer Verpflichtung betroffen, Verschlechterungen zu verhindern.

2.      Zur Natur der WRRL und zur Stellung von Art. 4 im System der WRRL

36.      In Anbetracht der Komplexität der dargelegten Frage schlage ich vor, schrittweise vorzugehen, zunächst die Schlüsselbegriffe der WRRL zu untersuchen und sodann die Schritte der Bestimmung der Umweltziele nach Art. 4 der WRRL darzustellen, wobei gleichzeitig auf die Merkmale der in Rede stehenden Richtlinie eingegangen wird. Diese Prüfung wird zu einem Ergebnis hinsichtlich der Natur des Verschlechterungsverbots führen, das durch eine Reihe von Gründen weiter zu untermauern sein wird.

a)      Zum System der Schlüsselbegriffe der WRRL 

37.      Einleitend weise ich darauf hin, dass die WRRL eine auf der Grundlage von Art. 175 Abs. 1 EG (jetzt Art. 192 AEUV) erlassene Rahmenrichtlinie ist. Sie legt gemeinsame Grundsätze und einen allgemeinen Handlungsrahmen für den Gewässerschutz fest und stellt die Koordinierung, die Integration und die langfristige Weiterentwicklung der grundlegenden Prinzipien und Strukturen für den Schutz und einen ökologisch nachhaltigen Gebrauch von Wasser in der Union sicher. Die gemeinsamen Grundsätze und der allgemeine Handlungsrahmen, die von ihr vorgegeben werden, sollen später von den Mitgliedstaaten weiterentwickelt werden, die eine Reihe besonderer Maßnahmen innerhalb der in der Richtlinie vorgesehenen Fristen erlassen müssen. Die Richtlinie zielt jedoch nicht auf eine vollständige Harmonisierung der wasserrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten ab(17).

38.      Nach Art. 1 Buchst. a der WRRL ist das Ziel dieser Richtlinie die Schaffung eines Ordnungsrahmens für den Schutz der Gewässer zwecks Vermeidung einer weiteren Verschlechterung sowie zum Schutz und zur Verbesserung des Zustands der aquatischen Ökosysteme. Der Gesetzgeber definiert daher den Hauptzweck der WRRL unter dem Blickwinkel eines solchen koordinierten Vorgehens für Binnenoberflächengewässer, Übergangsgewässer, Küstengewässer und Grundwasser.

39.      Es steht nämlich fest, dass das Endziel der WRRL die Erfüllung des Kriteriums des „guten Zustands“ aller Oberflächengewässer und des Grundwassers der Union bis zum Jahr 2015 ist(18).

40.      Insoweit ergibt sich aus dem 25. Erwägungsgrund der WRRL, dass „Umweltziele … sicherstellen [sollen], dass sich die Oberflächengewässer und das Grundwasser in der gesamten Gemeinschaft in einem guten Zustand befinden und eine Verschlechterung des Zustands der Gewässer auf Gemeinschaftsebene verhindert wird“.

41.      Art. 4 Abs. 1 der WRRL ist die grundlegende Bestimmung, da er die Umweltziele festlegt, die die Mitgliedstaaten erreichen müssen. Hierfür schreibt er zwei verschiedene, wenn auch miteinander verbundene, Ziele vor. Zum einen führen die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i die notwendigen Maßnahmen durch, um eine Verschlechterung des Zustands aller Wasserkörper zu verhindern. Zum anderen schützen, verbessern und sanieren die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii und iii alle Wasserkörper mit dem Ziel, spätestens Ende des Jahres 2015 einen guten Zustand zu erreichen. Nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a gilt in Bezug auf die Umsetzung der in den Bewirtschaftungsplänen festgelegten Maßnahmenprogramme, dass die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen erlassen, um die Ziele der Nichtverschlechterung, der Erhaltung und der Verbesserung des Zustands der Wasserkörper zu verwirklichen. Gleichzeitig gestaltet Art. 4 die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele, wie einen guten Zustand des Oberflächengewässers, ein gutes ökologisches Potenzial oder einen guten chemischen Zustand der Oberflächengewässer, als Umweltziele aus.

42.      Die mit dem System der WRRL verbundene begriffliche Schwierigkeit liegt daher in dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Ineinandergreifen eines statischen Begriffs (wie der bis zum Jahr 2015 zu erreichende gute Zustand der Oberflächengewässer) und eines dynamischen Begriffs (wie die Verfolgung der Umweltziele nach Art. 4 der WRRL, die einem andauernden Prozess entspricht).

b)      Zu den Schritten zur Bestimmung der Umweltziele nach Art. 4 der WRRL

43.      Um die Umweltziele erreichen zu können, müssen die Mitgliedstaaten über einen umfassenden Überblick über die Merkmale der betreffenden Wasserkörper verfügen.

44.      Gemäß Art. 3 der WRRL bestimmen daher die Mitgliedstaaten die einzelnen Einzugsgebiete, ordnen sie jeweils einer Flussgebietseinheit zu und bestimmen die zuständigen Behörden.

45.      Sodann beschreiben sie die Wasserkörper im Sinne von Art. 5 der WRRL in Verbindung mit ihrem Anhang II. Dazu führen sie für jede Flussgebietseinheit eine Analyse ihrer Besonderheiten durch, die eine Überprüfung der Auswirkungen menschlicher Tätigkeiten umfasst(19). Ein wichtiger Schritt aus der Sicht einer zukünftigen Bestimmung der Umweltziele betrifft die Ermittlung der anthropogenen Belastungen, denen die Wasserkörper unterliegen können(20), sowie die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit, dass die Wasserkörper die gemäß Art. 4 der WRRL aufgestellten Umweltqualitätsziele nicht erreichen(21).

46.      Parallel dazu sind die Mitgliedstaaten nach Art. 8 der WRRL verpflichtet, das erforderliche Überwachungssystem zu errichten(22), das als andauernde Verpflichtung das Hauptinstrument zur Bestimmung des Zustands jedes Wasserkörpers darstellt(23). Dieses System muss so ausgelegt sein, dass sich daraus ein kohärenter und umfassender Überblick über den ökologischen und chemischen Zustand in jedem Einzugsgebiet gewinnen lässt(24). Ich teile daher in diesem Punkt die Beurteilung der deutschen Regierung, die darauf hinweist, dass die Verpflichtung zur Beurteilung des Trends und zum Erreichen einer Trendumkehr anwendbar ist, bevor das Verschlechterungsverbot wirkt.

47.      Der ökologische Zustand eines Oberflächenwasserkörpers ergibt sich aus der Beurteilung der Struktur und der Funktionsfähigkeit der mit diesem Wasserkörper in Verbindung stehenden aquatischen Ökosysteme. Er wird mittels eines wissenschaftlichen Mechanismus bestimmt, der sich auf folgende Qualitätskomponenten gründet: biologische (Pflanzenarten und Tiere), hydromorphologische und physikalisch-chemische, wobei diese Komponenten anhand von Indikatoren beurteilt werden (z. B. das Vorkommen von Wirbellosen oder Fischen in einem Wasserlauf). Der ökologische Zustand kommt für jeden Wasserkörpertyp im Stufen‑ oder Klassensystem nach Anhang V der WRRL zum Ausdruck, auf das ich ausführlich im Rahmen der Prüfung der zweiten und der dritten Frage zurückkommen werde.

48.      Nachdem die Mitgliedstaaten die Klassen gemäß Anhang V der WRRL geschaffen haben, haben sie festzulegen, wie für die betreffenden Wasserkörper ein guter Zustand oder zumindest ein gutes ökologisches Potenzial zu erreichen und die Verschlechterung gemäß Art. 4 der WRRL zu verhindern ist.

49.      Dazu schaffen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 11 der WRRL Maßnahmenprogramme, die für jede Flussgebietseinheit oder einen Teil einer Flussgebietseinheit festgelegt werden. Mit dem Programm wird auf die ermittelten Belastungsfaktoren reagiert, damit das Flusseinzugsgebiet oder der Wasserkörper in einen guten Zustand versetzt werden kann(25). Diese Maßnahmenprogramme können auf Maßnahmen verweisen, die sich auf Rechtsvorschriften stützen, die auf nationaler Ebene erlassen wurden, und sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken(26). Diese Programme umfassen „grundlegende Maßnahmen“ als zu erfüllende Mindestanforderungen und gegebenenfalls „ergänzende Maßnahmen“(27). Zu den grundlegenden Maßnahmen gehören u. a. die aufgrund der Einzelrichtlinien im Sinne von Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der WRRL erlassenen Maßnahmen(28) sowie die in ihrem Art. 11 Abs. 3 Buchst. i genannten Maßnahmen im Fall von signifikanten nachteiligen Auswirkungen auf den Wasserzustand, die sicherstellen, dass die hydromorphologischen Bedingungen der Wasserkörper so beschaffen sind, dass der erforderliche ökologische Zustand erreicht werden kann.

50.      Bei allen nachteiligen Auswirkungen können nämlich Begrenzungen in Form einer Vorschrift erfolgen, wonach eine vorherige Genehmigung oder eine Registrierung erforderlich ist, was mir aus der Sicht der Tragweite von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL entscheidend erscheint. Wie sich aus ihrem Art. 11 Abs. 3 Buchst. c ergibt, gehören Maßnahmen, die eine Wassernutzung fördern, die die Verwirklichung der in Art. 4 genannten Ziele nicht gefährdet, zu den grundlegenden Maßnahmen. Zu den ergänzenden Maßnahmen gehören nach Art. 11 Abs. 4 der WRRL auch diejenigen, die geplant werden, um die Umweltziele zu erreichen.

51.      Die Erstellung der Maßnahmenprogramme durch die Mitgliedstaaten erfolgt in mehreren Schritten. Die Mitgliedstaaten haben die Belastungen und die Auswirkungen zu ermitteln(29), so dass die Hauptprobleme der betroffenen Flussgebietseinheit definiert werden. Nach Art. 11 Abs. 5 der WRRL müssen die Mitgliedstaaten auch die Fälle genau bestimmen, in denen das Risiko besteht, dass sie die Umweltqualitätsziele nicht erreichen. In diesem Rahmen berücksichtigen sie auch die erheblich veränderten Wasserkörper und die Notwendigkeit oder Wahrscheinlichkeit der Anwendung von Ausnahmen nach Art. 4 der WRRL. Die erste Fassung eines Maßnahmenprogramms unterliegt einer wirtschaftlichen Analyse nach den in Anhang III der WRRL aufgestellten Voraussetzungen, nach der die Mitgliedstaaten die Kosten und die Fristen für die Verwirklichung der Maßnahmen bestimmen. Für die nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten angepassten Maßnahmenpläne gilt sodann die Verpflichtung zur Information und Anhörung der Öffentlichkeit nach Art. 14 der WRRL.

52.      Sodann werden die Maßnahmenprogramme in die Bewirtschaftungspläne im Sinne von Art. 13 der WRRL eingebunden. Die Bewirtschaftungspläne enthalten die in Anhang VII dieser Richtlinie vorgesehenen Elemente. Die WRRL sieht eine regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung der Maßnahmenprogramme und der Bewirtschaftungspläne vor(30). Der Bewirtschaftungsplan ist gleichzeitig eine Beschreibung des Zustands der Flussgebietseinheit und ein Aktionsplan, da er neue Maßnahmen zur Erreichung der Ziele der WRRL enthält. Auf der Grundlage der Einschätzung aller bestehenden Einwirkungen und der Entwicklungsperspektiven bestimmt ein Mitgliedstaat die notwendigen Maßnahmen zur Erreichung der Umweltziele gemäß Art. 4 der WRRL. Das ergibt sich klar aus deren Anhang VII Nrn. 5 und 7, der bestimmt, dass ein Bewirtschaftungsplan eine Liste der Umweltziele sowie eine Zusammenfassung der Maßnahmenprogramme umfasst, einschließlich Angaben dazu, wie diese Ziele dadurch zu erreichen sind. Am Ende dieses langwierigen Prozesses haben die Mitgliedstaaten die vorgesehenen Maßnahmen umzusetzen.

53.      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Akte des Ausgangsverfahrens, dass für die Flussgebietseinheit Weser ein Bewirtschaftungsplan, der ein Maßnahmenprogramm umfasst, erlassen wurde(31). Folglich hat der Gerichtshof nicht die Wirkungen von Art. 4 Abs. 1 der WRRL hinsichtlich eines Wasserkörpers zu bestimmen, für den die von Art. 4 der WRRL verlangten Bewertungs- und Planungsmaßnahmen nicht erlassen worden wären.

3.      Ergebnis in Bezug auf den zwingenden Charakter des Verschlechterungsverbots nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL

54.      Nach alledem ist festzustellen, dass die WRRL zwar keine vollständige Harmonisierung vornimmt, sich jedoch auch nicht auf einen bloß „programmatischen“ Ansatz beschränkt, was den Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum hinsichtlich der Wahl der einzuführenden oder zu planenden Politiken und Maßnahmen ließe(32).

55.      Die Mitgliedstaaten erlassen zwar die notwendigen Maßnahmen zur Erreichung der Umweltziele entsprechend den für ihr Gebiet festgestellten Besonderheiten und Merkmalen der Wasserkörper. Jede Stufe der Wasserbewirtschaftung ist jedoch ausführlich, bis hin zur Festlegung wissenschaftlicher Kriterien im Wege der sogenannten Interkalibrierung(33), geregelt.

56.      Das schließt meines Erachtens die Auffassung aus, nach der die Tragweite eines so komplexen und ehrgeizigen Rechtsakts auf eine bloße Berufung auf Grundsätze ohne zwingenden Charakter reduziert werden könnte. Es ergibt sich nämlich klar aus dem Wortlaut von Art. 4 der WRRL, dass Letzterer bezweckt, dass die Umweltziele bei der Durchführung von Bewirtschaftungsplänen, die für jeden Wasserkörper vorliegen müssen, ihre Wirkungen entfalten. Außerdem scheint mir die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens nach den allgemeinen Rechtsvorschriften ein Beispiel für die Umsetzung eines Maßnahmenprogramms nach Art. 11 Abs. 1 der WRRL darzustellen.

57.      Überdies erfolgt, wie ich bereits dargetan habe, die Bestimmung der Umweltziele im Sinne von Art. 4 der WRRL in Wirklichkeit in einer sehr fortgeschrittenen Phase eines Prozesses zur Feststellung des Zustands der Wasserkörper, den die Mitgliedstaaten durchzuführen haben. Ihre zwingende Wirkung ist jedoch nicht auf diese Phase beschränkt. Die Verfolgung der Umweltziele ist nämlich nur in Bezug auf einen bestimmten Zustand der Wasserkörper anzuwenden, was die Annahme ausschließt, Art. 4 drücke bloß ein unverbindliches Ziel aus. Die Bestimmung der Umweltziele muss daher der Gewährleistung eines guten Gewässerzustands und der Vermeidung jeder Verschlechterung dienen.

58.      Obwohl die Analyse von Art. 4 der WRRL aufgrund seiner Struktur nicht einfach ist(34), ist folglich die einzige Auslegung, die sowohl seinem Wortlaut als auch seinem Zweck entspricht, die, dass dieser Artikel eine zwingende Verpflichtung der Mitgliedstaaten schafft, alle Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Verschlechterung der Wasserkörper zu erlassen, für die – wie im Fall der Weser – ein Bewirtschaftungsplan mit einem Maßnahmenprogramm aufgestellt wurde, und sich zu bemühen, alle Mittel zu nutzen, um die Wasserkörper zu schützen, zu sanieren und zu verbessern, um schließlich ihren guten Zustand zu erreichen.

59.      Das Verschlechterungsverbot stellt nämlich sowohl ein Verbot als auch eine Vorschrift dar, die die Erreichung der von der WRRL insgesamt vorgeschriebenen Ergebnisse fördern soll. Daher sind die Mitgliedstaaten nicht nur verpflichtet, jede Verschlechterung zu verbieten, sondern auch, dieses Verbot wirksam umzusetzen. Die wirksame Umsetzung des Ziels der „Vermeidung jeder Verschlechterung“, das der konkrete Ausdruck der allgemeinen Schutzverpflichtung nach Art. 1 der WRRL ist, ist nur durch den Erlass konkreter Maßnahmen zur Vermeidung von Verschlechterungen und Störungen, die erhebliche Auswirkungen im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie haben können, möglich(35).

4.      Rechtfertigungen des zwingenden Charakters des in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der WRRL genannten Ziels der Verhinderung jeder weiteren Verschlechterung

a)      Zu den Erkenntnissen aus den Materialien zur WRRL

60.      Die vorgeschlagene Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte der WRRL bestärkt, deren Ziel es nach dem Wortlaut der Begründung ihres ursprünglichen Entwurfs ist, „eine weitere Verschlechterung aquatischer Ökosysteme zu verhindern und deren mengen- und gütemäßigen Zustand zu schützen und zu verbessern; die gleichen Ziele werden hinsichtlich des Wasserbedarfs von Landökosystemen verfolgt“. Durch die WRRL wird außerdem „[b]ei der Bekämpfung der Verschmutzung … das sogenannte ‚kombinierte Konzept‘ der Verschmutzungskontrolle an der Quelle und der Festlegung von Umweltzielen bestätigt und formalisiert“(36). Die Bedeutung der Bestimmung der Umweltziele wird von der Anzahl und der Tragweite der gesetzgeberischen Änderungen bestätigt, die Art. 4 der WRRL in allen Stadien der Vorarbeiten erheblich bereichert haben(37).

61.      Insbesondere zeigen die Materialien klar, dass nach der ursprünglichen Fassung der WRRL keine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten bestand, die festgelegten Ziele in Bezug auf den Gewässerzustand tatsächlich zu erreichen. Es wurde darauf hingewiesen, dass den Mitgliedstaaten vielmehr die Verpflichtung auferlegt werde, dafür zu sorgen, dass sich mit den ausgearbeiteten Plänen die Zustandsziele erreichen ließen. Die Verpflichtung bestand somit in der Ausarbeitung eines Planes und nicht im Erreichen der Zustandsziele. Deshalb schlug das Europäische Parlament Änderungen vor, um „den Planungsprozess robust zu gestalten und dafür zu sorgen, dass die Bewirtschaftungsbehörde für die Flussgebietseinheit zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn sie keine angemessenen Pläne ausarbeitet“(38).

62.      Was insbesondere die Verpflichtung anbelangt, eine Verschlechterung der Oberflächengewässer zu verhindern, zeigen die Materialien, dass die in Rede stehenden Bestimmungen in ihrer ersten Fassung dahin ausgelegt werden konnten, dass es zulässig war, dass sich der Zustand von Wasserkörpern, deren Zustand besser als „gut“ war, nach Erlass der WRRL auf einen „guten Zustand“ verschlechtern durften. Das Parlament schlug daher eine Änderung vor, nach der zwischen der Verpflichtung, einen guten Zustand zu erreichen, und der Verpflichtung, eine Verschlechterung zu vermeiden, unterschieden werden konnte, indem in Art. 4 Abs. 1 der WRRL ein neuer Teil eingefügt wurde, der die letztgenannte Verpflichtung vorsah(39).

63.      Außerdem ergibt sich der Wille zur Verwirklichung der Umweltziele auf der Ebene der von den Mitgliedstaaten zu erlassenden Maßnahmen insbesondere aus einem Vergleich der aufeinanderfolgenden Fassungen von Art. 4 der WRRL: ursprünglicher Vorschlag(40) („Die Mitgliedstaaten erstellen … Maßnahmenprogramme … zur Erfüllung folgender Ziele … und setzen diese in die Praxis um: Vermeidung einer Verschlechterung ...“), gemeinsamer Standpunkt („Die Mitgliedstaaten wirken … auf die Verwirklichung folgender Ziele hin ...“)(41), darauffolgende Stellungnahme der Kommission („Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die in den Bewirtschaftungsplänen für die Einzugsgebiete festgesetzten Maßnahmenprogramme umgesetzt werden ...“)(42) und der schließlich angenommene Wortlaut („In Bezug auf die Umsetzung der in den Bewirtschaftungsplänen für die Einzugsgebiete festgelegten Maßnahmenprogramme gilt Folgendes ...“).

64.      Schließlich ist von Interesse, dass das Parlament im Stadium der Billigung des gemeinsamen Entwurfs die Untermauerung des Textes des Gemeinsamen Standpunkts im Hinblick auf die Festlegung klarer und verbindlicherer Umweltziele begrüßte(43).

b)      Querschnittscharakter und Wirksamkeit des Verschlechterungsverbots, insbesondere im Verhältnis zur Tragweite des Verbesserungsgebots

65.      Wie das vorlegende Gericht, unterstützt durch den BUND, bin ich der Auffassung, dass das Verschlechterungsverbot nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL in Verbindung mit Art. 1 Buchst. a der WRRL als allgemein geltende Regel anzusehen ist. Wie der Gerichtshof festgestellt hat(44), hängt seine Anwendbarkeit vom Erlass eines Bewirtschaftungsplans für einen bestimmten Wasserkörper ab.

66.      So zeigt erstens der Inhalt der angeführten Materialien, dass das Verschlechterungsverbot selbständig ausgestaltet wurde, um den Zustand der Wasserkörper zu erhalten, wenn dieser zumindest „gut“ ist.

67.      Zweitens ergibt sich der Querschnittscharakter des Verschlechterungsverbots aus einem Vergleich mit dem Verbesserungsgebot nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii der WRRL. Ich weise darauf hin, dass nach ihrem 19. Erwägungsgrund die Erhaltung und die Verbesserung der aquatischen Umwelt in der Union Ziele der WRRL sind. Meines Erachtens wurde dem Verbesserungsgebot jedoch durch den Gesetzgeber eine besondere Stellung eingeräumt, die sich entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht auf ein Abhängigkeitsverhältnis beschränkt, nach dem das Verschlechterungsverbot ein Instrument der Verbesserungspflicht wäre.

68.      So tritt die Verbesserung bereits in Art. 1 der WRRL, der deren Ziel darlegt, gegenüber der grundlegenden Verantwortung der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Vermeidung jeder Verschlechterung in den Hintergrund. Ebenso zielt Art. 4 der WRRL in seinem Abs. 1 Buchst. a Ziff. i zunächst auf die Durchführung der notwendigen Maßnahmen, um eine Verschlechterung zu verhindern, und danach in Ziff. ii auf den Schutz und die Verbesserung der Oberflächenwasserkörper ab. Außerdem gelten nach Art. 4 Abs. 5 und 6 der WRRL für das Verbesserungsgebot sowohl ein Zeitplan für die Durchführung als auch Möglichkeiten der Verlängerung. Dagegen unterliegt das in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL enthaltene Gebot keiner Frist, was den Schluss erlaubt, dass der Erlass der Maßnahmen, die eine Verschlechterung verbieten sollen, mit sofortiger und allgemeiner Wirkung erfolgt.

69.      Im Hinblick auf das allgemeine Ziel der WRRL, bis zum Jahr 2015 einen guten Gewässerzustand zu erreichen, ist die Tragweite des Verbesserungsgebots in Bezug auf einen individuellen Wasserkörper und über die Wirkungen der zu erlassenden Maßnahmen auszulegen. Folglich müsste der aktuelle Zustand des betreffenden Wasserkörpers der Ausgangspunkt sein. Wenn ein einzelnes Vorhaben oder die Planungsmaßnahmen insofern „neutral“ sind, als sie weder zu einer Verbesserung noch zu einer Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers führen, scheint mir ein solcher Ansatz nur dann vom Gesetzgeber zugelassen zu sein, wenn der aktuelle Zustand des in Rede stehenden Wasserkörpers zumindest „gut“ ist. Hingegen entfaltet das Verbesserungsgebot seine vollen Wirkungen, wenn der aktuelle Zustand eines betroffenen Wasserkörpers schlechter als „gut“ ist.

70.      Das Verschlechterungsverbot bleibt dagegen in jedem Stadium der Durchführung der WRRL zwingend und gilt für jeden Typ und jeden Zustand eines Oberflächenwasserkörpers.

71.      Ebenso geht aus dem Ausdruck „in Bezug auf die Umsetzung“ der Maßnahmenprogramme in Art. 4 Abs. 1 der WRRL klar hervor, dass der Gesetzgeber sich nicht darauf beschränkt hat, eine Verpflichtung zum Erlass großräumiger Pläne vorzusehen, sondern eine Verpflichtung auferlegen wollte, im Einklang mit dem aus Art. 1 der WRRL hervorgehenden Ziel dieser Richtlinie eine Verbindung zwischen der Situation der einzelnen Wasserkörper, die zu einem Einzugsgebiet und einer Flussgebietseinheit gehören, und der Verwirklichung der in Art. 4 der WRRL definierten Ziele zu schaffen.

72.      Das Urteil Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a. (EU:C:2012:560) scheint mir insoweit sehr aufschlussreich. In dieser Rechtssache ging es um die Beurteilung eines Vorhabens zur Umleitung von Wasser aus einem Einzugsgebiet in ein anderes bzw. aus einer Flussgebietseinheit in eine andere, obwohl die Bewirtschaftungspläne noch nicht erstellt worden waren. Der Gerichtshof hat in einem solchen Fall die Anwendung von Art. 4 der WRRL und daher einer Ausnahme nach Abs. 7 dieses Artikels klar ausgeschlossen(45). Dagegen hat er auf die Unterlassenspflicht Bezug genommen, die jede Maßnahme betrifft, die geeignet ist, die Erreichung der in der WRRL vorgeschriebenen Ziele zu gefährden, und die sowohl während der Umsetzungsfrist als auch während eines Übergangszeitraums gilt(46). Dies beweist meines Erachtens, welche Bedeutung der Gerichtshof der Erreichung der Ziele von Art. 4 der WRRL und der Wahrung ihrer Verbindlichkeit beimisst. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist strengere Anforderungen gelten sollten als danach.

73.      Schließlich hat der Gerichtshof zwar nicht unmittelbar über die Natur von Art. 4 der WRRL entschieden, jedoch festgestellt, dass die WRRL „verschiedenartige Bestimmungen enthält, die den Mitgliedstaaten Pflichten auferlegen (vgl. z. B. Artikel 4, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Maßnahmen zu erlassen, die erforderlich sind, um eine Verschlechterung des Zustands aller Oberflächen- und Grundwasserkörper zu verhindern)“. Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass „Artikel 2 der Richtlinie in Verbindung z. B. mit ihrem Artikel 4 … den Mitgliedstaaten klare Verpflichtungen auf[erlegt], die in bestimmten Fristen erfüllt werden müssen, um die Verschlechterung des Zustands aller Oberflächen- und Grundwasserkörper zu verhindern“(47).

74.      Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der WRRL ist daher als Bestimmung ausgelegt worden, die die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die Maßnahmen durchzuführen, die zur Erreichung der dort festgelegten Ziele(48), nämlich eine Verschlechterung des Zustands aller Oberflächenwasserkörper zu verhindern und spätestens Ende des Jahres 2015 einen guten Zustand dieser Gewässer zu erreichen, notwendig sind(49).

75.      All dies widerlegt klar die Auffassung der deutschen Regierung, nach der die Vermeidung der Verschlechterung kein Ausdruck des Verschlechterungsverbots und eine solche Vermeidung nur ein entferntes und unverbindliches Ziel der WRRL ist.

c)      Zur Bedeutung der von Art. 4 Abs. 7 der WRRL vorgesehenen Ausnahme

76.      Nach dem 32. Erwägungsgrund der WRRL „kann [es] Gründe für eine Befreiung von der Auflage geben, einer weiteren Verschlechterung des Gewässerzustands vorzubeugen“. Das System der von Art. 4 der WRRL vorgesehenen Ausnahmen umfasst in diesem Sinne mehrere Kategorien(50). Insbesondere wird nach Abs. 7 dieses Artikels das Nichtverhindern einer Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers, wenn diese Verschlechterung die Folge von neuen Änderungen der physischen Eigenschaften eines solchen Wasserkörpers ist(51), nicht als Verstoß gegen die WRRL angesehen. Diese Ausnahme gilt jedoch nur unter der Bedingung, dass alle machbaren Vorkehrungen getroffen wurden, um die negativen Auswirkungen auf den Zustand des Wasserkörpers zu mindern, und die Maßnahmenprogramme und die Bewirtschaftungspläne in der Folge angepasst wurden. Jedenfalls ist festzustellen, dass nach dem 51. Erwägungsgrund der WRRL mit ihrer Umsetzung ein Wasser-Schutzniveau erreicht werden soll, das demjenigen bestimmter früherer Unionsrechtsakte zumindest gleichwertig ist.

77.      Art. 4 Abs. 7 der WRRL ist hauptsächlich aus zwei Gründen für die Auslegung der Tragweite der Umweltziele nach Abs. 1 dieses Artikels entscheidend. Zum einen bestätigt diese Ausnahme, dass die Auflage, einer Verschlechterung vorzubeugen, auf die Genehmigung von Einzelvorhaben anwendbar ist, die zu einer Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers führen können. Zum anderen bestätigt sein Wortlaut zweifellos den zwingenden Charakter des Ziels, eine Verschlechterung zu verhindern. Der Mitgliedstaat ist daher verpflichtet, die Genehmigung eines Vorhabens zu versagen, wenn Letzteres die Erreichung eines guten Zustands eines Oberflächengewässers gefährdet, außer wenn davon auszugehen ist, dass dieses Vorhaben einer Ausnahme unterliegt.

78.      Wie nämlich Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a. (EU:C:2011:651) ausführt, enthält Art. 4 der WRRL nicht nur programmatische Verpflichtungen, sondern er betrifft auch einzelne Vorhaben, jedenfalls wenn diese den Zustand eines Gewässers spürbar beeinträchtigen(52). Art. 4 Abs. 7 lässt nämlich die Beeinträchtigung des Zustands von Gewässern durch neue Änderungen zu. Diese können sich aus einzelnen Vorhaben ergeben. Es ist effektiv unmöglich, ein Vorhaben und die Umsetzung von Bewirtschaftungsplänen getrennt zu betrachten, ebenso wie jede Baugenehmigung in einem Gebiet, für das ein Bebauungsplan besteht, im Einklang mit diesem Plan erlassen werden muss.

79.      Sofern es sich nicht um Vorhaben handelt, die so gut wie keine Auswirkung auf den Zustand der Wasserkörper und daher auf die Bewirtschaftung einer Flussgebietseinheit haben, fallen diese folglich unter das allgemeine Verbot der Verschlechterung des Zustands von Wasserkörpern, wobei sie jedoch gemäß dem in Art. 4 der WRRL vorgesehenen Ausnahmensystem genehmigt werden können.

80.      Dagegen würde die von der deutschen Regierung vorgeschlagene Auslegung dazu führen, der WRRL jede Wirksamkeit zu nehmen, da es möglich wäre, rein theoretische Bewirtschaftungspläne zu erlassen, die keinerlei Zusammenhang mit den einzelnen Maßnahmen oder Auswirkung auf diese hätten.

81.      Wie sich jedoch aus der Akte ergibt, wird der ökologische Zustand der Weser bereits als kritisch angesehen. Der BUND hat, in diesem Punkt unwidersprochen, dargelegt, dass die Weser seit Jahren Gegenstand zahlreicher Ausbauvorhaben sei. Unter Berücksichtigung der Schwere und der Anzahl der Probleme im Zusammenhang mit der Versalzung durch Kalibergbau und anthropogenen Nährstoffeinträgen sei es unwahrscheinlich, dass die Weser in naher Zukunft wieder einen guten ökologischen Zustand oder ein gutes ökologisches Potenzial erreiche(53). Dies ist auch die Schlussfolgerung, die klar aus dem derzeitigen Bewirtschaftungsplan der Weser aus dem Jahr 2009 hervorgeht, nach dem die Ziele der WRRL nicht vor dem Jahr 2015 erreicht werden können, was bedeutet, dass Ausnahmen und Fristverlängerungen in Anspruch genommen werden(54). Die deutsche Regierung räumt in ihren schriftlichen Erklärungen selbst ein, dass das in Rede stehende Ausbauvorhaben im Maßnahmenprogramm planerisch berücksichtigt werde, wodurch es meines Erachtens an die Verpflichtungen geknüpft ist, die den Mitgliedstaaten aufgrund der WRRL obliegen.

82.      Ein Vorhaben wie den Ausbau der Weser dem Verschlechterungsverbot nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL zu unterwerfen, stellt folglich nicht nur eine bloße Durchführung der WRRL dar, sondern auch die angemessenste Maßnahme, um die praktische Wirksamkeit der WRRL, wie sie in ihrem Art. 1 dargelegt ist, zu wahren.

83.      Zwar ist bei einer solchen Auslegung festzustellen, dass die Mehrzahl der Vorhaben, die einer Genehmigung unterliegen und zu einer Verschlechterung führen können, unter eine Ausnahme nach Art. 4 Abs.7 der WRRL fallen wird, obwohl sie grundsätzlich unter das Verschlechterungsverbot fielen. Ein solcher Ansatz scheint mir jedoch angemessen, da er die Umsetzung von Vorhaben erlaubt, die anderen Erfordernissen (insbesondere wirtschaftlichen) entsprechen, und gleichzeitig den Gegenstand und die wesentlichen Ziele der WRRL beachtet, indem er erlaubt, die Genehmigung an geeignete Bedingungen und Beschränkungen zu knüpfen.

5.      Vorgeschlagene Antwort auf die erste und die vierte Vorlagefrage

84.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass das Verschlechterungsverbot und das Verbesserungsgebot nach Art. 4 der WRRL auf Verfahren zur Genehmigung einzelner Vorhaben anwendbar sind. Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten in diesem Stadium verpflichtet sind, die Genehmigung eines einzelnen Vorhabens, welches das Ziel dieser Richtlinie gefährden kann, zu verweigern, außer wenn nach den anwendbaren Bestimmungen des Unionsrechts eine Ausnahme gewährt wird(55).

C –    Zum Begriff der „Verschlechterung“ nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL (zweite und dritte Frage)

1.      Erklärungen der Beteiligten

85.      Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, unter welchen Voraussetzungen eine „Verschlechterung“ des Zustands der Wasserkörper im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL vorliegt. Ich weise darauf hin, dass mir die Reihung der Vorlagefragen durch das vorlegende Gericht nicht sachgerecht erscheint, da es unmöglich ist, auf die Frage zum Einstufungssystem zu antworten, ohne zuvor den Begriff der „Verschlechterung“ als solchen untersucht zu haben.

86.      Das vorlegende Gericht führt Erwägungen der Behörde an, die den Planfeststellungsbeschluss erlassen hat. Aus diesen ergibt sich, dass trotz der Feststellung, dass ein Ausbau der Weser zu negativen Veränderungen des derzeitigen Zustands der Wasserkörper führen würde, eine solche Verschlechterung innerhalb einer Zustandsklasse dennoch nicht als Verschlechterung des ökologischen Potenzials bzw. des ökologischen Zustands eines Wasserkörpers anzusehen sei. Diese Behörde hat daher entschieden, dass keine „Verschlechterung“ im Sinne von § 27 WHG, der Art. 4 Abs. 1 der WRRL umsetzt, vorliege(56). Das vorlegende Gericht stützt sich hingegen insbesondere auf den Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL und ist der Ansicht, der Begriff „Verschlechterung“ könne nicht dahin ausgelegt werden, dass er nur nachteilige Veränderungen erfasse, die zu einer Einstufung in eine niedrigere Klasse gemäß Anhang V der WRRL führten.

87.      Was die zweite Frage anbelangt, hängt laut dem BUND und der Kommission die „Verschlechterung“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL nicht nur von den Veränderungen der Zustandsklassen ab, da die WRRL jede erhebliche Verschlechterung innerhalb einer Klasse verbiete. Dazu tragen sie vor, diese Bestimmung verbiete eine Verschlechterung des Zustands von Oberflächenwasserkörpern allgemein (vgl. Ziff. i) und nehme nur für das Verbesserungsgebot auf Anhang V der Richtlinie (vgl. Ziff. ii und iii) und damit auf die dort vorgesehene Einstufung Bezug.

88.      Zur dritten Frage macht der BUND geltend, die „Verschlechterung“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL entspreche jeder Einwirkung, die sich nachteilig im Gewässerzustand niederschlage oder die oberhalb einer aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgeleiteten Bagatellschwelle liege, und erfasse grundsätzlich auch lokale sowie kurzfristige negative Auswirkungen. Die Kommission ist ihrerseits der Auffassung, dass eine „Verschlechterung“ vorliege, wenn sich der Zustand zumindest einer der Qualitätskomponenten zur Beurteilung des ökologischen Zustands der Oberflächengewässer im Sinne von Anhang V der WRRL um eine Klasse verschlechtere.

89.      Dagegen sind die deutsche, die niederländische und die polnische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs der Auffassung, dass unter „Verschlechterung“ nur die nachteiligen Veränderungen zu verstehen seien, die zu einer Einstufung in eine niedrigere Klasse gemäß Anhang V der WRRL führten. Die deutsche Regierung und im Wesentlichen auch die polnische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sind der Meinung, trotz der Tatsache, dass Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL nicht auf Anhang V der WRRL verweise, sei die vorgesehene Einstufung mittelbar anwendbar. Außerdem schlägt die niederländische Regierung ungeachtet ihres Antwortvorschlags betreffend die dritte Vorlagefrage vor, die „Verschlechterung“ eher im Hinblick auf verschiedene Qualitätskomponenten oder Stoffe als auf das Niveau des gesamten ökologischen Zustands auszulegen. Schließlich hat die französische Regierung in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, der Begriff der Verschlechterung entspreche ausschließlich einer allgemeinen Zurückstufung des ökologischen Zustands nach den Kriterien des Anhangs V der WRRL.

2.      Zum von der WRRL geschaffenen Mechanismus der Einstufung des ökologischen Zustands der Wasserkörper(57)

90.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sowohl die Zweifel des vorlegenden Gerichts als auch die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten ihren Ursprung in einer Diskussion in der Lehre haben, in der sich die Vertreter der Theorie, nach der der Begriff der Verschlechterung einer niedrigeren Einstufung im Sinne von Anhang V der WRRL entspricht („Zustandsklassen‑ oder Stufentheorie“), und die Vertreter der Theorie, nach welcher der Begriff der Verschlechterung jeder Veränderung des Zustands der Wasserkörper entspricht („Status-quo-Theorie“), gegenüberstehen. Diese Theorien stellen daher zwei extreme Standpunkte bei der Auslegung des Begriffs der Verschlechterung nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL dar. Um auf diesen Begriff eingehen zu können, scheint es mir jedoch unerlässlich, diesen Rahmen um eine eingehendere Prüfung der sich aus der WRRL ergebenden technischen Aspekte zu ergänzen(58).

91.      Wie ich bereits ausgeführt habe, beruht die Beurteilung des Oberflächengewässerzustands auf einer Untersuchung des ökologischen Zustands, der fünf Klassen umfasst(59).

92.      Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass jede Klasse, einschließlich eines sehr guten ökologischen Zustands, nach Maßgabe der Abweichung von den Bezugsbedingungen im Sinne von Rn. 1.2 des Anhangs V der WRRL, nämlich den Werten, die normalerweise bei Fehlen störender Einflüsse mit einem Wasserkörpertyp einhergehen, bestimmt wird. Es handelt sich daher um die natürlichen Gegebenheiten der Oberflächengewässer, die jedem Wasserkörpertyp eigen sind(60), ohne jedoch in der WRRL definiert zu werden.

93.      Als ein guter ökologischer Zustand im Sinne von Anhang V der WRRL wird daher ein Zustand angesehen, der einer geringen Beeinträchtigung durch menschliche Tätigkeiten gegenüber einem Zustand, der normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem Oberflächengewässertyp einhergeht, entspricht. Mit anderen Worten wird der ökologische Zustand eines Wasserkörpers umso mehr als verschlechtert angesehen werden, je größer die Abweichung im Verhältnis zum unberührten oder historischen Zustand der Wasserkörper ist.

94.      Zur Beurteilung des ökologischen Zustands müssen sich die Mitgliedstaaten auf die seine Grundlage bildenden biologischen Qualitätskomponenten, ergänzt durch die physikalisch-chemischen Komponenten und die hydromorphologischen Komponenten, stützen(61). Jede dieser Qualitätskomponenten umfasst eine lange Liste von Parametern(62). Für Flüsse, Seen, Übergangsgewässer und Küstengewässer sind getrennte Listen vorgesehen.

95.      Um die Abweichung zwischen den normalen Bedingungen und dem derzeitigen Status eines Wasserkörpers zu quantifizieren, haben die Mitgliedstaaten sodann ökologische Qualitätsquotienten (im Folgenden: EQR) auszuarbeiten. Der EQR ist eine Darstellung des Verhältnisses zwischen den Werten der bei einem bestimmten Oberflächenwasserkörper beobachteten Parameter und den Werten für diese Parameter in den für den betreffenden Wasserkörper geltenden Bezugsbedingungen(63). Der Quotient wird als numerischer Wert zwischen 0 und 1 ausgedrückt. Ein sehr guter ökologischer Zustand wird mit Werten nahe dem Wert 1 und ein schlechter ökologischer Zustand mit Werten nahe dem Wert 0 ausgedrückt.

96.      Die Mitgliedstaaten teilen daher erst in diesem fortgeschrittenen Stadium die EQR jeder Oberflächengewässerkategorie mittels eines Grenzwerts der biologischen Qualitätskomponenten in fünf Klassen ein, der die Grenze zwischen diesen verschiedenen Klassen angibt (sehr gut, gut, mäßig, unbefriedigend und schlecht)(64). Die Grenzwerte sind im Wege der Interkalibrierung zu bestimmen(65), die durchgeführt wird, indem die Einstufungsergebnisse der nationalen Überwachungssysteme für jede biologische Komponente und jeden gemeinsamen Oberflächenwasserkörpertyp unter den Mitgliedstaaten in derselben geografischen Interkalibrierungsgruppe verglichen und die Übereinstimmung der Ergebnisse mit den normativen Begriffsbestimmungen in Anhang V Rn. 1.2 der WRRL bewertet wird(66). Die Interkalibrierung dient jedoch nur der Abgrenzung der Zustandsklassen „sehr gut“, „gut“ und „mäßig“(67). Die Grenzwerte der Mitgliedstaaten finden sich in dem von der Kommission erlassenen „Interkalibrierungsbeschluss“(68).

97.      Die entscheidende Regel, auf die sich die Kommission beruft, ist schließlich die, die mit der Formel „one out all out“ beschrieben wird(69). Nach diesem Grundsatz wird ein Wasserkörper schon dann in die nächstniedrigere Zustandsklasse abgestuft, wenn der Quotient einer einzelnen Qualitätskomponente unter den für die gegenwärtige Zustandsklasse fällt. Diese Technik steht im Zusammenhang mit der Definition des „Zustands des Oberflächengewässers“ in Art. 2 Nr. 17 der WRRL, der auf der Grundlage des jeweils schlechteren Wertes für den ökologischen und den chemischen Zustand zu bestimmen ist.

3.      Folgen für die Auslegung des Begriffs „Verschlechterung“ nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL

98.      Nach alledem ist klar, dass das Einstufungssystem ein übergreifendes Instrument ist, auf das sich das von der WRRL geschaffene Bewirtschaftungssystem gründet. Dies wird durch Art. 2 Nr. 21 der WRRL bestätigt, der auf die Einstufung nach deren Anhang V verweist. Dieser Anhang qualifiziert diese Einstufungen des ökologischen Zustands als „normative Begriffsbestimmungen“.

99.      Es ist jedoch auch unbestreitbar, dass äußerst weite Bandbreiten zur Bestimmung der Grenzwerte zwischen den Klassen erlassen wurden. Die Klassen sind daher nur ein Instrument, das die sehr detaillierte Bestimmung der Qualitätskomponenten, die einen tatsächlichen Zustand eines bestimmten Wasserkörpers widerspiegeln, durch die Mitgliedstaaten begrenzt oder beschränkt. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der WRRL scheint mir daher gerade aus diesem Grund nicht auf deren Anhang V zu verweisen, da der Begriff der Verschlechterung, ein klassisches Konzept des Wasserrechts, in diesem Bereich ein Begriff von allgemeiner Tragweite ist, der über die technische Ebene der WRRL hinausgeht.

100. Folglich bin ich der Auffassung, dass zwischen den beiden oben dargelegten gegensätzlichen Theorien die ausgewogenste und kohärenteste Auslegung hinsichtlich der sich aus den Art. 1 und 4 der WRRL ergebenden Zielen die ist, nach der der Begriff der „Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers“ im Hinblick auf alle Stoffe oder Qualitätskomponenten zu beurteilen ist, die in die Bewertung des ökologischen Zustands im Sinne der WRRL einfließen, ohne dass dies immer eine Veränderung der Einstufung bedeutete.

101. Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber mit dem Erlass der WRRL die Bedeutung des ökologischen Ansatzes in der Wasserbewirtschaftung betonen wollte. Das ist auch der Ansatz, welcher der Einstufung der Oberflächengewässer zugrunde liegt, die verschiedene Anforderungen im Hinblick auf ihren ökologischen Zustand und ihren chemischen Zustand verlangt. Dieser Ansatz wird durch die Anwendung des Grundsatzes „one out all out“ bestätigt, bei dem es sich um eine besondere Ausprägung des Vorsorgegrundsatzes handelt(70). Ich weise jedoch darauf hin, dass die Anwendung dieses Grundsatzes das Einstufungssystem als mögliches operationelles Entscheidungsinstrument wenig nützlich macht, da es ihm seine Funktion als (mathematischer) Mittelwert der Indikatoren für den Zustand eines betroffenen Wasserkörpers nimmt.

102. Die Anwendung der Regel „one out all out“ in Verbindung mit der Stufentheorie führt nämlich meines Erachtens zu kontraproduktiven Ergebnissen. Daher bin ich wie die Kommission der Ansicht, dass die Stufentheorie Gefahr läuft, zum Ausschluss der untersten Stufe aus dem Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots zu führen sowie den Gewässerschutz in den höheren Klassen zu schwächen. Unter Berücksichtigung des Zwecks der WRRL verdient dieser Wasserkörpertyp jedoch im Rahmen der Wasserbewirtschaftung besondere Aufmerksamkeit. Nach dem Grundsatz „one out all out“ genügt zwar die Verschlechterung eines einzigen Parameters, um den gesamten Wasserkörper zurückzustufen. Nach einer solchen Zurückstufung könnten sich jedoch alle anderen Parameter verschlechtern, ohne dass dies zu irgendeiner Verschlechterung nach der Stufentheorie führte(71).

103. Wenn man den Begriff der Verschlechterung unter dem Gesichtspunkt der Stufen beurteilte, so führte dies daher dazu, zahllose Änderungen des Zustands der Qualitätskomponenten aus dem Anwendungsbereich der WRRL herauszunehmen, was die Verwirklichung des Ziels dieser Richtlinie gefährdet.

104. Außerdem weise ich, ohne mich an einer wissenschaftlichen Diskussion über die WRRL beteiligen zu wollen, auf das Bestehen mehrerer kritischer Anmerkungen zum Einstufungsmodell hin(72). Es scheint daher, dass dieses System in Wahrheit zumeist insofern zu approximativen oder unbefriedigenden Ergebnissen führt, als es einen aktuellen Zustand des Ökosystems nicht wiedergibt.

105. Wenn hingegen der Begriff „Verschlechterung“ im Hinblick auf eine Qualitätskomponente oder einen Stoff ausgelegt wird, so bewahrt das Verschlechterungsverbot seine gesamte praktische Wirksamkeit, da es jede Veränderung umfasst, die geeignet ist, die Verwirklichung des Hauptziels der WRRL zu beeinträchtigen.

106. Schließlich weise ich darauf hin, dass sich mehrere Beteiligte auf ein und denselben Leitfaden der Kommission beziehen(73), daraus jedoch gegenteilige Schlüsse ziehen. Nach diesem „[beziehen sich] im Rahmen von Art. 4 Abs. 7 … die Ziele der Vermeidung der Verschlechterung des ökologischen Zustands eher auf Änderungen der Klasse als innerhalb einer Klasse. Die Mitgliedstaaten müssen daher für nachteilige Veränderungen innerhalb einer Klasse Art. 4 Abs. 7 nicht in Anspruch nehmen“.

107. In dieser Hinsicht stelle ich eine gewisse Verwechslung zwischen dem Begriff der Verschlechterung und einer Verletzung der Bestimmungen der WRRL als solcher fest. Dieser Leitfaden scheint mir nämlich die Auffassung zu bestätigen, dass der Mitgliedstaat verpflichtet ist, alle Maßnahmen zu erlassen, die erlauben, einen guten Zustand der Wasserkörper zu erreichen, insbesondere indem er die Umweltziele nach Art. 4 der WRRL umsetzt. Hingegen unterliegt der Mitgliedstaat keiner Sanktion, wenn dieser Zustand trotz all seiner Bemühungen nicht erreicht wird. Jedenfalls ist, wie die deutsche Regierung vorträgt, dieser Leitfaden, so nützlich er auch sein mag, nicht zwingend. Er stellt auch keine Mitteilung der Kommission im Sinne der Rechtsprechung auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts oder der finanziellen Sanktionen dar(74).

108. Jedenfalls möchte ich darauf hinweisen, dass weder der Wortlaut noch der Zweck der WRRL für die Zwecke einer Theorie der erheblichen Verschlechterung, wie sie das vorlegende Gericht darlegt, das Bestehen einer Bagatellschwelle bestätigen können. Die einzige Mindestschwelle für die Pflichten zum Schutz des Gewässerzustands ist nämlich die, die sich nach dem bereits geltenden Unionsrecht aus dem 51. Erwägungsgrund in Verbindung mit Art. 4 Abs. 8 und 9 sowie Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der WRRL ergibt.

109. Nach alledem schlage ich vor, auf die zweite und die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass der Begriff der Verschlechterung im Hinblick auf einen Stoff oder eine Qualitätskomponente auszulegen ist, der bzw. die in die Bewertung des ökologischen Zustands im Sinne von Anhang V der WRRL einfließt, ohne dass die nachteilige Veränderung zwingend zu einer Veränderung der Einstufung führen muss. Eine solche Veränderung der Einstufung kann sich daraus jedoch in dem Fall ergeben, dass der Wert eines Stoffes oder einer Qualitätskomponente unter das der derzeitigen Einstufung entsprechende Niveau sinkt.

V –    Ergebnis

110. Ich schlage dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

1.         Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik in der durch die Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten, vorbehaltlich der Erteilung einer Ausnahme nach den anwendbaren unionsrechtlichen Vorschriften, verpflichtet sind, die Zulassung eines Projekts zu versagen, wenn dieses entweder eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers verursachen kann oder die Erreichung eines guten Zustands eines Oberflächengewässers bzw. eines guten ökologischen Potenzials oder eines guten chemischen Zustands eines Oberflächengewässers zu dem nach der Richtlinie maßgeblichen Zeitpunkt gefährdet.

2.         Der Begriff „Verschlechterung des Zustands“ in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/60 in der durch die Richtlinie 2009/31 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nachteilige Veränderungen im Hinblick auf einen Stoff oder eine Qualitätskomponente betrifft, der bzw. die in die Bewertung des ökologischen Zustands im Sinne von Anhang V dieser Richtlinie einfließt, ohne dass die nachteilige Veränderung zwingend zu einer Veränderung der Einstufung im Sinne dieses Anhangs führen muss. Eine solche Veränderung der Einstufung kann sich daraus jedoch in dem Fall ergeben, dass der Wert des Stoffes oder der Qualitätskomponente unter das der derzeitigen Einstufung entsprechende Niveau sinkt.



1 – Originalsprache: Französisch.


2 – ABl. L 327, S. 1. Diese Richtlinie wurde durch die Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 (ABl. L 140, S. 114) geändert. Ferner wurde sie durch die Richtlinie 2006/118/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung und Verschlechterung (ABl. L 372, S. 19) ergänzt.


3 – Vgl. für eine eingehende Darstellung: Josefsson, H., und Baaner, L., „The Water Framework Directive: A Directive for the Twenty‑First Century?“, Journal of Environmental Law, Bd. 23 (2011), Nr. 3, S. 463; Irvine, K., „Classifying ecological status under the European Water Framework Directive: the need for monitoring to account for natural variability“, Aquatic Conservation: Marine and Freshwater Ecosystems, Bd. 14, Nr. 2 (2004), S. 107; Thieffry, P., „Le nouveau cadre de la politique communautaire de l’eau“, Europe, Nr. 2 (2001), S. 4, und Leprince, S., „La directive cadre 2000/60/CE ‚eau‘: exposé général et premières considérations relatives à sa mise en œuvre“, in: Neuray, J. F., (Hrsg.), La directive 2000/60/CE du 23 octobre 2000 établissant un cadre pour une politique communautaire dans le domaine de l’eau, Bruylant, 2005.


4 – Zur Veranschaulichung sei darauf hingewiesen, dass Art. 2 der WRRL 41 verschiedene Definitionen enthält, die sowohl geografische als auch technische Begriffe betreffend den Wasserzustand umfassen. Das Ziel der WRRL wird anhand eines halben Dutzends von Merkmalen beschrieben, die in ihrem Art. 1 aufgezählt sind. Außerdem erfolgt die Bestimmung der Umweltziele in Art. 4 der WRRL anhand einer Regelung, die Ausnahmen auf mehreren Ebenen enthält.


5 – Vgl. die unter der folgenden Adresse aufgelisteten Leitfäden der Kommission: http://www.waterframeworkdirective.wdd.moa.gov.cy/guidance.html.


6 – Wie etwa Water information system for Europe (WISE), Infrastructure for spatial information in the European Community (INSPIRE), Shared environmental information system (SEIS), Europäisches Erdbeobachtungsprogramm (GMES).


7 – Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, „Ein Blueprint für den Schutz der europäischen Wasserressourcen“, KOM(2012) 673 endg., S. 18.


8 – Dokument 10917/06 des Rates vom 26. Juni 2006, „Überprüfung der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung – Die erneuerte Strategie“.


9 – Vgl. 19. Erwägungsgrund der WRRL.


10 – Die WRRL ist im Licht ihres Art. 1 auf alle Gewässer anwendbar: Binnenoberflächen-, Übergangs- und Küstengewässer sowie Grundwasser.


11 – Eine andere Definition ist für einen Grundwasserkörper vorgesehen.


12 – Vgl. Anhang II Rn. 1.1 der WRRL.


13 – Art. 2 Nr. 21 betreffend den ökologischen Zustand verweist auf Anhang V der WRRL, der die Einstufung des Zustands der Wasserkörper und folglich die Bestimmung der zu erreichenden Ergebnisse hinsichtlich der Wasserqualität erlaubt. Art. 2 Nr. 24 der WRRL betreffend den guten chemischen Zustand verweist auf Anhang IX der WRRL. Der chemische Zustand eines Oberflächenwasserkörpers wird in Bezug auf die Einhaltung von Umweltqualitätsnormen mittels Schwellenwerten bestimmt. Es werden zwei Klassen definiert: gut (Einhaltung) und nicht gut (Nichteinhaltung), und 41 Stoffe werden überwacht, darunter acht sogenannte gefährliche Stoffe (Anhang IX der WRRL) und 33 prioritäre Stoffe (Anhang X der WRRL).


14 – § 31 Abs. 2 Satz 1 WHG lautet: „Wird bei einem oberirdischen Gewässer der gute ökologische Zustand nicht erreicht oder verschlechtert sich sein Zustand, verstößt dies nicht gegen die Bewirtschaftungsziele nach den §§ 27 und 30, wenn 1. dies auf einer neuen Veränderung der physischen Gewässereigenschaften oder des Grundwasserstands beruht, 2. die Gründe für die Veränderung von übergeordnetem öffentlichen Interesse sind oder wenn der Nutzen der neuen Veränderung für die Gesundheit oder Sicherheit des Menschen oder für die nachhaltige Entwicklung größer ist als der Nutzen, den die Erreichung der Bewirtschaftungsziele für die Umwelt und die Allgemeinheit hat, 3. die Ziele, die mit der Veränderung des Gewässers verfolgt werden, nicht mit anderen geeigneten Maßnahmen erreicht werden können, die wesentlich geringere nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt haben, technisch durchführbar und nicht mit unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden sind und 4. alle praktisch geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um die nachteiligen Auswirkungen auf den Gewässerzustand zu verringern.“


15 – Zur Prüfung des Verhältnisses zwischen diesen beiden Fragen vgl. Nr. 85 der vorliegenden Schlussanträge.


16 – Urteil Stichting Natuur en Milieu u. a. (C‑165/09 bis C‑167/09, EU:C:2011:348, Rn. 75).


17 – Urteile Kommission/Luxemburg (C‑32/05, EU:C:2006:749, Rn. 41) und Kommission/Deutschland (C‑525/12, EU:C:2014:2202, Rn. 50).


18 – Bei künstlichen und erheblich veränderten Wasserkörpern muss zumindest auf ein gutes ökologisches Potenzial und einen guten chemischen Zustand abgezielt werden.


19 –      Die Spezifikationen in Anhang II der WRRL erlauben eine erste Einstufung aller betroffenen Wasserkörper, ihre Unterscheidung nach Kategorien (Flüsse, Seen, Übergangsgewässer, Küstengewässer, künstliche oder erheblich veränderte Oberflächenwasserkörper) und sodann nach Typen (A oder B). Außerdem wird nach Anhang III der WRRL auch eine wirtschaftliche Analyse verlangt.


20 – Vgl. Anhang II der WRRL.


21 – Für diese Arten von Wasserkörpern schreibt die WRRL eine zusätzliche Analyse vor, um die Ausgestaltung der Überwachungsprogramme nach ihrem Art. 8 und der Maßnahmenprogramme nach ihrem Art. 11 zu optimieren. Vgl. Anhang II Rn. 1.5 am Ende der WRRL.


22 – Vgl. Art. 8 in Verbindung mit den Nrn. 1.3 und 1.4 des Anhangs V der WRRL.


23 – Für eine ausführliche Beschreibung der Arten der Überwachung vgl. WISE Guidance Document, Informationsvermerk Nr. 6, http://ec.europa.eu/environment/water/participation/pdf/waternotes/WATER%20INFO%20NOTES%206%20‑%20FR.pdf.


24 – Die Ergebnisse der Überwachung dienen im Hinblick auf Rn. 1.3.1. des Anhangs V der WRRL insbesondere dazu, die Programme im laufenden Bewirtschaftungsplan für das Einzugsgebiet und in den Nachfolgeplänen zu überwachen.


25 – Vgl. Bericht der Kommission über die Umsetzung der WRRL (KOM[2012] 670 endg., S. 4).


26 – So wurde in der Lehre darauf hingewiesen, dass, obwohl die Maßnahmenprogramme für eine bestimmte Flussgebietseinheit erstellt werden, ihr Inhalt im Allgemeinen durch gesetzgeberische Maßnahmen umgesetzt wird, die auf das gesamte Gebiet des in Rede stehenden Mitgliedstaats anwendbar sind, und nicht durch die allein auf der Ebene der betroffenen Flussgebietseinheit erlassenen Entscheidungen. Vgl. Hollo, E., Vertaileva Vesioikeus (Vergleichendes Wasserrecht), S. 119, Suomen Ympäristöoikeustieteen Seura ry, Helsinki 2003.


27 – Definiert in Anhang VI Teil B der WRRL.


28 – Vgl. die Liste in Anhang VI Teil A der WRRL.


29 – In Sinne von Anhang II Rn. 1.4 und 1.5 der WRRL.


30 – Die Bewirtschaftungspläne (Art. 13 Abs. 6 und 7) und die Maßnahmenprogramme (Art. 11 Abs. 7) folgen demselben Zeitplan, d. h. sie müssen spätestens am 22. Dezember 2009 aufgestellt sein und werden vor dem 22. Dezember 2015 und dann alle sechs Jahre überprüft. Die Maßnahmen selbst müssen am 22. Dezember 2012 umgesetzt sein.


31 – Vgl. Bewirtschaftungsplan 2009, zugänglich unter der Adresse http://www.fgg‑weser.de/Download‑Dateien/bwp2009_weser_091222.pdf.


32 – Vgl. im Umkehrschluss Urteil Stichting Natuur en Milieu u. a. (EU:C:2011:348) zur Richtlinie 2001/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe (ABl. L 309, S. 22).


33 – Vorgeschrieben in Rn. 1.4.1 Ziff. iv bis ix des Anhangs V der WRRL. Zur Prüfung dieses Begriffs vgl. Nr. 96 der vorliegenden Schlussanträge.


34 – Vgl. erläuterndes Dokument der Kommission zur Common Implementation Strategy for the Water Framework Directive, Guidance Document Nr. 20 („Exemptions to the Environmental Objectives“).


35 – Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4 der WRRL ein System der Abstufung der zu erreichenden Ziele einführt, da es laut dem Gesetzgeber in Betracht kommt, dass derselbe Wasserkörper verschiedenen Zielen und folglich verschiedenen Maßnahmen unterliegt. Es ergibt sich nämlich aus Art. 4 Abs. 2 der WRRL, dass in dem Fall, in dem für einen bestimmten Wasserkörper mehrere Ziele der WRRL gelten, das weiter reichende Ziel maßgeblich ist.


36 – Vorschlag für eine Richtlinie des Rates (KOM[97] 49 endg., Begründung, Nr. 1).


37 – Vgl. z. B. ursprünglicher Vorschlag der Kommission (KOM[97] 49 endg.); Vorschlag zur Abänderung (KOM[1999] 271 endg., S. 16 bis 22); Gemeinsamer Standpunkt des Rates Nr. 41/1999 sowie vom Vermittlungsausschuss gebilligter gemeinsamer Entwurf gemäß Art. 251 Abs. 4 des EG-Vertrags, PE‑CONS 3639/00, ENV 221, CODEC 513.


38 – Vgl. Änderungsantrag Nr. 42 und Nr. 3.1 des Berichts des Europäischen Parlaments vom 8. Juli 1998 über den Vorschlag und die geänderten Vorschläge für eine Richtlinie des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (KOM[97]0049 ‑ C4‑0192/97, KOM[97]0614 ‑ C4‑0120/98 und KOM[98]0076 ‑ C4‑0121/98 ‑ 97/0067[SYN]), Dokument A4‑0261/98.


39 – Vgl. Nr. 3.2.1 des Berichts des Europäischen Parlaments (siehe oben, Fn. 38).


40 – KOM(97) 49 endg.


41 – Art. 4 der sich aus dem Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 41/1999 vom 22. Oktober 1999, vom Rat festgelegt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ergebenden Fassung (ABl. C 343, S. 1).


42 – Art. 4 der WRRL in der Fassung der Stellungnahme der Kommission gemäß Artikel 251 Absatz 2 Buchstabe c) des EG-Vertrags, zu den Abänderungen des Europäischen Parlaments des gemeinsamen Standpunkts des Rates betreffend den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (KOM[97] 49 endg., KOM[97] 614 endg., KOM[98] 76 endg. und KOM[99] 271 endg.), zur Änderung des Vorschlags der Kommission gemäß Artikel 250 Absatz 2 des EG-Vertrags (KOM/2000/0219 endg. – COD 97/0067).


43 – Bericht über den vom Vermittlungsausschuss gebilligten gemeinsamen Entwurf einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (C5‑0347/2000 – 1997/0067[COD]), Dokument Nr. A5‑0214/2000, in dem es heißt: „In Bezug auf die Ziele und deren Verbindlichkeit entspricht der erzielte Kompromiss fast gänzlich den Grundsätzen, die das Parlament in den in zweiter Lesung angenommenen Abänderungen festgelegt hat. Der für die verschiedenen Verpflichtungen gewählte Wortlaut lautet nun ‚die Mitgliedstaaten (+Verb)‘. Die Delegation des Parlaments hat sich dem Versuch des Rates, die Verpflichtungen durch die Einfügung des Passus ‚sofern durchführbar‘ in verschiedenen Punkten abzuschwächen, widersetzt.“


44 – Jedoch gilt im Einklang mit dem Urteil Inter‑Environnement Wallonie (C‑129/96, EU:C:1997:628, Rn. 45) das Verschlechterungsverbot selbst während der Umsetzungsfrist vor dem Erlass der Bewirtschaftungspläne. Vgl. Urteil Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a. (C‑43/10, EU:C:2012:560, Rn. 57 und 58).


45 – Der Gerichtshof hat jedoch darauf hingewiesen, dass eine Verbindung zwischen den geeigneten Erhaltungsmaßnahmen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 der WRRL treffen müssen, und dem vorherigen Vorliegen eines Bewirtschaftungsplans für das betreffende Einzugsgebiet besteht, vgl. Urteil Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a. (EU:C:2012:560, Rn. 49 bis 62).


46 – Urteil Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a. (EU:C:2012:560, Rn. 57 und 58).


47 – Urteil Kommission/Luxemburg (EU:C:2006:749, Rn. 42 und 63).


48 – Vgl. Nr. 53 der Schlussanträge von Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Kommission/Luxemburg (C‑32/05, EU:C:2006:334).


49 – Vgl. Nr. 59 der Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a. (C‑43/10, EU:C:2011:651).


50 – Mit Ausnahme der Schutzgebiete nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. c der WRRL können die Mitgliedstaaten sich nach Art. 4 Abs. 5 der WRRL für bestimmte Wasserkörper die Verwirklichung weniger strenger Umweltziele vornehmen, wenn die Wasserkörper „durch menschliche Tätigkeiten … so beeinträchtigt sind“ oder „ihre natürlichen Gegebenheiten so beschaffen sind, dass das Erreichen dieser Ziele in der Praxis nicht möglich oder unverhältnismäßig teuer wäre“. Nach Art. 4 Abs. 6 der WRRL verstößt eine vorübergehende Verschlechterung des Zustands von Wasserkörpern nicht gegen die Anforderungen der WRRL, wenn sie die Folge von durch natürliche oder durch höhere Gewalt bedingten Umständen sind. Während nach der WRRL grundsätzlich ein guter Zustand der Wasserkörper bis zum Jahr 2015 erreicht werden muss, sind schließlich, ausgenommen bei den Schutzgebieten, auch Verlängerungen nach Art. 4 Abs. 4 der WRRL zulässig.


51 – Diese Ausnahme ist auch im Fall von Änderungen des Pegels von Grundwasserkörpern anwendbar.


52 –      Vgl. Nr. 62 der Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a. (EU:C:2011:651).


53 – Der BUND verweist auf den Bewirtschaftungsplan der Weser (http://www.fgg‑weser.de/Download‑Dateien/bwp2009_weser_091222.pdf), aus dem sich ergibt, dass in den betroffenen Bereichen der Unterweser die in Rede stehenden Oberflächenwasserkörper überwiegend ein nur unbefriedigendes ökologisches Potenzial und einige vom geplanten Ausbauvorhaben ebenfalls betroffene Nebenflüsse der Weser sogar ein schlechtes ökologisches Potenzial aufweisen.


54 – Vgl. den oben angeführten Bewirtschaftungsplan, Kapitel 5, S. 6 ff. Außerdem führt der BUND aus, die Kommission habe hierzu ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland mit dem Aktenzeichen Nr. 2012/4081 eingeleitet (das Aufforderungsschreiben der Kommission trägt das Datum 21. Juni 2012), da der Bewirtschaftungsplan insoweit unzureichend sei.


55 – Dazu bin ich der Auffassung, dass nicht nur die in Art. 4 der WRRL vorgesehenen Ausnahmen zu berücksichtigen sind, sondern auch die gesamten im Bereich der Wasserpolitik anwendbaren Rechtsvorschriften, die mit der Rahmenrichtlinie kollidieren können. Für eine Darstellung sämtlicher insoweit einschlägiger Richtlinien vgl. Nr. 43 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Deutschland (C‑525/12, EU:C:2014:449).


56 – § 27 („Bewirtschaftungsziele für oberirdische Gewässer“) WHG lautet: „(1) Oberirdische Gewässer sind, soweit sie nicht nach § 28 als künstlich oder erheblich verändert eingestuft werden, so zu bewirtschaften, dass 1. eine Verschlechterung ihres ökologischen und ihres chemischen Zustands vermieden wird und 2. ein guter ökologischer und ein guter chemischer Zustand erhalten oder erreicht werden. (2) Oberirdische Gewässer, die nach § 28 als künstlich oder erheblich verändert eingestuft werden, sind so zu bewirtschaften, dass 1. eine Verschlechterung ihres ökologischen Potenzials und ihres chemischen Zustands vermieden wird und 2. ein gutes ökologisches Potenzial und ein guter chemischer Zustand erhalten oder erreicht werden.“


57 – Die vorliegende Untersuchung betrifft weder das Grundwasser noch erheblich veränderte oder künstliche Wasserkörper.


58 – Für eine eingehende Darstellung des Einstufungssystems vgl. Common Implementation Strategy, Guidance Document Nr. 13 („Overall approach to the classification of ecological status and ecological potential“).


59 – Für den chemischen Zustand sieht die WRRL zwei Klassen vor.


60 – Für eine Darstellung der Typen A und B und der Kategorien der Wasserkörper vgl. Anhang II und V der WRRL.


61 – Für jeden Wasserkörpertyp prüfen die Mitgliedstaaten daher die hydromorphologischen und physikalisch-chemischen Bedingungen, die die Werte der Qualitätskomponenten nach Rn. 1.1 des Anhangs V der WRRL darstellen. Die Mitgliedstaaten haben auch die biologischen Referenzbedingungen festzustellen, die die Werte der Qualitätskomponenten nach Rn. 1.2 des Anhangs V der WRRL darstellen.


62 – Vgl. Rn. 1.2.1 des Anhangs V der WRRL. Bei den biologischen Qualitätskomponenten handelt es sich insbesondere um die Schätzung des Phytoplanktons, der Makrophyten und der Phytobenthos, der benthischen wirbellosen Fauna und der Fischfauna. Bei den hydromorphologischen Komponenten handelt es sich um die Schätzung der Menge und der Dynamik der Strömung, die Verbindung zum Grundwasser, die Durchgängigkeit des Flusses, die Laufentwicklung, Variationen von Breite und Tiefe, die Struktur und die Bedingungen des Uferbereichs. Bei den physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten handelt es sich um die Schätzung des Salzgehalts, des Sauerstoffgehalts, der Temperaturbedingungen, des pH-Wertes und der spezifischen Schadstoffe.


63 – Gemäß Rn. 1.4.1 Ziff. ii des Anhangs V der WRRL.


64 – Gemäß Rn. 1.2 des Anhangs V der WRRL.


65 – In Rn. 1.4.1 Ziff. iv bis ix des Anhangs V der WRRL vorgeschrieben.


66 – Vgl. den fünften Erwägungsgrund des Beschlusses der Kommission vom 20. September 2013 zur Festlegung der Werte für die Einstufungen des Überwachungssystems des jeweiligen Mitgliedstaats als Ergebnis der Interkalibrierung gemäß der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Entscheidung 2008/915/EG (ABl. L 266, S. 1).


67 – Vgl. Anhang V Rn. 1.4.1 Ziff. iii der WRRL.


68 – Vgl. Beschluss der Kommission vom 20. September 2013 (siehe oben, Fn. 66).


69 – In Rn. 1.4.2 Ziff. i des Anhangs V der WRRL.


70 – Nach der Lehre führt er jedoch zumeist zu einer zu niedrigen Einstufung, vgl. Josefsson, H., und Baaner, L., „The Water Framework Directive: A Directive for the Twenty‑First Century?“, Journal of Environmental Law, Bd. 23 (2011), Nr. 3, S. 471.


71 – Insoweit genügt der Hinweis auf den Fall, dass aufgrund eines einzigen Parameters der Zustand eines Wasserkörpers insgesamt als „schlecht“ einzustufen ist. In einem solchen Fall wäre formal keine Verschlechterung möglich, hinsichtlich der übrigen Parameter jedoch in Wahrheit jede Verschlechterung erlaubt.


72 – So wird insbesondere darauf hingewiesen, dass es angemessener sei, davon auszugehen, dass ein sehr guter Zustand Bezugsbedingungen entspreche. Außerdem wurde hervorgehoben, dass man sich, um die Klassengrenzwerte festlegen zu können, auf eine rein wissenschaftliche Analyse stützen müsste, deren Methode in Wahrheit noch nicht bestimmt sei. Vgl. dazu eine Studie von Van de Bund, W., und Solimini, A., Ecological Quality Ratios for Ecological Quality Assessment in Inland and Marine Waters, Rebecca Deliverable 10, Joint Research Centre, Institute for Environment and Sustainability 2007, S. 10, abrufbar unter http://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/bitstream/111111111/10875/2/6757%20‑%20Deliverable_10_1%200recc.pdf. Vgl. auch Moss, B., The determination of ecological status in shallow lakes – a tested system (Ecoframe) for implementation of the European Water Framework Directive, KOPS 2003.


73 – Vgl. das angeführte Guidance Document Nr. 20 („Exemptions to the Environmental Objectives“) (siehe oben, Fn. 34).


74 – Vgl. Urteile Dansk Rørindustri u. a./Kommission (C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, EU:C:2005:408, Rn. 211 bis 213) und Kommission/Portugal (C‑70/06, EU:C:2008:3, Rn. 34).