Language of document : ECLI:EU:C:2015:66

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NILS WAHL

vom 5. Februar 2015(1)

Rechtssache C‑182/13

Valerie Lyttle,

Sarah Louise Halliday,

Clara Lyttle,

Tanya McGerty

gegen

Bluebird UK Bidco 2 Ltd

(Vorabentscheidungsersuchen der Industrial Tribunals [Nordirland] [Vereinigtes Königreich])

Rechtssache C‑392/13

Andrés Rabal Cañas

gegen

Nexea Gestión Documental SA,

Fondo de Garantía Salarial

(Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de lo Social No 33 de Barcelona [Spanien])

Rechtssache C‑80/14

Union of Shop, Distributive and Allied Workers (USDAW),

B. Wilson

gegen

WW Realisation 1 Ltd, in liquidation,

Ethel Austin Ltd,

Secretary of State for Business, Innovation and Skills

(Vorabentscheidungsersuchen des Court of Appeal [England & Wales] [Vereinigtes Königreich])

„Richtlinie 98/59/EG – Art. 1 – Massenentlassungen – Begriff des ‚Betriebs‘ – Methode zur Berechnung der Zahl der Entlassungen“





1.        Die drei vorliegenden Rechtssachen werfen im Wesentlichen die gleiche Frage auf; dementsprechend werde ich sie in diesen Schlussanträgen zusammen prüfen, obgleich sie formell nicht miteinander verbunden worden sind. Die Frage, die sich in jeder dieser Rechtssachen stellt, ist: Was ist die genaue Bedeutung des in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a(2) der Richtlinie 98/59/EG(3) genannten Begriffs des „Betriebs“, wenn festzustellen ist, ob eine Massenentlassung stattgefunden hat oder nicht?

2.        Tatsächlich hat der Gerichtshof den streitigen Begriff bereits ausgelegt; diese Auslegung hatte jedoch die spezielle Fallgestaltung in Ziff. i von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 zum Gegenstand. Er verstand unter diesem Begriff die „Einheit …, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgabe angehören“(4). In den bisher entschiedenen Rechtssachen kam diese Auslegung den betroffenen Arbeitnehmern zugute. In den nunmehr vorliegenden Rechtssachen hingegen scheint die gleiche Auslegung auf den ersten Blick nachteilige Auswirkungen für die betroffenen Arbeitnehmer mit sich zu bringen. Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage, ob diese Rechtsprechung auch für die Regelung in Ziff. ii von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 gelten soll.

3.        Meines Erachtens ist es unerlässlich, dass der Gerichtshof den streitigen Begriff kohärent auslegt – wodurch auch die einheitliche Anwendung des Unionsrechts erleichtert würde.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Richtlinie 98/59

4.        Die Bestimmungen der Richtlinie 75/129/EWG(5) sowie der Richtlinie 92/56/EWG(6), mit der die erstgenannte Richtlinie geändert worden war, wurden mit der Richtlinie 98/59 kodifiziert, die diese beiden älteren Richtlinien gleichzeitig aufgehoben hat.

5.        Art. 1 in Teil I („Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereich“) der Richtlinie 98/59 sieht vor:

„(1)  Für die Durchführung dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a)      ‚Massenentlassungen‘ sind Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt und bei denen – nach Wahl der Mitgliedstaaten – die Zahl der Entlassungen

i)      entweder innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen:

–        mindestens 10 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern,

–        mindestens 10 v. H. der Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern,

–        mindestens 30 in Betrieben mit in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmern,

ii)      oder innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens 20, und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind, beträgt;

Für die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß Absatz 1 Buchstabe a) werden diesen Entlassungen Beendigungen des Arbeitsvertrags gleichgestellt, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erfolgen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt.

(2)      Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf

a)      Massenentlassungen im Rahmen von Arbeitsverträgen, die für eine bestimmte Zeit oder Tätigkeit geschlossen werden, es sei denn, dass diese Entlassungen vor Ablauf oder Erfüllung dieser Verträge erfolgen;

…“

B –    Nationaler Regelungsrahmen

1.      Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs

6.        Chapter II des Part IV des Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 (Konsolidierungsgesetz von 1992 über Gewerkschaften und kollektive Arbeitsbeziehungen; im Folgenden: TULRCA) setzt die dem Vereinigten Königreich aufgrund der Richtlinie 98/59 obliegenden Verpflichtungen für England und Wales sowie Schottland um.

7.        Nach Section 188(1) des TULRCA hat ein Arbeitgeber, der beabsichtigt, in einem Betrieb innerhalb eines Zeitraums von höchstens 90 Tagen mindestens 20 Arbeitnehmer wegen Personalüberhangs zu entlassen, hinsichtlich der Entlassungen alle Personen zu konsultieren, die geeignete Vertreter derjenigen Arbeitnehmer sind, die von den geplanten Entlassungen oder von Maßnahmen, die im Zusammenhang mit den Entlassungen getroffen werden, betroffen sein können.

8.        Erfüllt ein Arbeitgeber die Anforderungen von Section 188 des TULRCA nicht, kann ein Arbeitsgericht eine Anordnung über Entlassungsentschädigungen nach Section 189(2) (protective award, im Folgenden: Entlassungsentschädigung) treffen, die gemäß Section 189(3) den Arbeitgeber zur Zahlung des Arbeitsentgelts für den in Section 189(4) definierten Schutzzeitraum verpflichtet.

9.        In Nordirland ist die Richtlinie mit Part XIII der Employment Rights (Northern Ireland) Order 1996 (Verordnung von 1996 über Beschäftigungsrechte [Nordirland], im Folgenden: ERO) umgesetzt worden. Art. 216 der ERO entspricht im Wesentlichen Section 188(1) des TULRCA.

2.      Spanische Rechtsvorschriften

10.      Die Richtlinie 98/59 ist mit der Ley del Estatuto de los Trabajadores(7) (Gesetz über das Arbeitnehmerstatut; im Folgenden: ET) in das spanische Recht umgesetzt worden. Art. 51 Abs. 1 der ET („Massenentlassung“) lautet:

„Als Massenentlassung im Sinne dieses Gesetzes gilt die Beendigung von Arbeitsverträgen aus wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder produktionsbedingten Gründen, wenn sich die Beendigung innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens auswirkt auf:

a)      10 Arbeitnehmer in Unternehmen, die weniger als 100 Arbeitnehmer beschäftigen;

b)      10 % der Arbeitnehmer in Unternehmen, die zwischen 100 und 300 Arbeitnehmer beschäftigen;

c)      30 Arbeitnehmer in Unternehmen, die mehr als 100 Arbeitnehmer beschäftigen.

Wirtschaftliche Gründe liegen vor, wenn das Unternehmensergebnis eine negative wirtschaftliche Lage widerspiegelt, etwa im Fall von bereits eingetretenen oder erwarteten Verlusten oder bei einem anhaltenden Rückgang der gewöhnlichen Einnahmen oder der Umsätze. Von einem anhaltenden Rückgang ist jedenfalls dann auszugehen, wenn während drei aufeinanderfolgender Quartale das Niveau der gewöhnlichen Einnahmen oder der Umsätze eines jeden Quartals niedriger ausfällt, als das im gleichen Quartal des Vorjahres verzeichnete Niveau.

Für die Berechnung der Zahl der Vertragsbeendigungen im Sinne von Abs. 1 Unterabs. 1 werden auch alle sonstigen Beendigungen berücksichtigt, die im Referenzzeitraum auf Veranlassung des Arbeitgebers aus Gründen erfolgen, die nicht in der Person des Arbeitnehmers liegen und die sich von den in Art. 49 Abs. 1 Buchst. c dieses Gesetzes [(8)] aufgeführten Gründen unterscheiden, sofern deren Zahl wenigstens fünf beträgt.

…“

II – Sachverhalte, Verfahren und Vorlagefragen

A –    Vorlagefragen und den Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegende Sachverhalte

1.      Rechtssache C‑182/13, Lyttle u. a.

11.      Bluebird UK Bidco 2 Ltd (im Folgenden: Bluebird) ist die derzeitige Eigentümerin der unter der Firma „Bonmarché“ geführten Geschäfte. Im Januar 2012 betrieb Bonmarché 394 Bekleidungsläden im ganzen Vereinigten Königreich und auf der Isle of Man, in denen rund 4 000 Arbeitnehmer beschäftigt waren. In Nordirland und auf der Isle of Man (die als eine einzige Verwaltungseinheit betrachtet wurden) betrieb Bonmarché seinerzeit 20 Geschäfte mit 180 Arbeitnehmern.

12.      Nachdem die vorherige Eigentümerin von Bonmarché insolvent geworden und unter Insolvenzverwaltung gestellt worden war, ging deren Geschäftsbetrieb am 20. Januar 2012 auf Bluebird über. Im Frühjahr 2012 führte Bluebird ein Personalabbauprogramm im gesamten Vereinigten Königreich und auf der Isle of Man durch. Infolgedessen gibt es nunmehr nur noch 265 Bonmarché-Läden und ungefähr 2 900 Beschäftigte im Vereinigten Königreich, davon acht Läden und 75 Arbeitnehmer in Nordirland. Der Personalabbauprozess, der zu den Entlassungen führte, begann nicht vor Januar 2012 und war nicht mit einem kollektiven Konsultationsverfahren verbunden, das den Anforderungen der Richtlinie 98/59 genügt hätte. Alle relevanten Entlassungen wurden am 12. März 2012 wirksam.

13.      Die vier Klägerinnen in der Rechtssache C‑182/13 gehören zu einer Gruppe von 19 in Nordirland beschäftigten Bonmarché-Arbeitnehmern, die im Frühjahr 2012 entlassen worden waren und vor den Northern Ireland Industrial Tribunals geklagt hatten. Die vier Klägerinnen hatten in vier verschiedenen Bonmarché-Läden gearbeitet, die sich an unterschiedlichen Orten in Nordirland befanden und in denen jeweils weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen waren.

14.      Da die Industrial Tribunals Zweifel hinsichtlich der richtigen Auslegung der Richtlinie 98/59 hegten, haben sie beschlossen, das Verfahren auszusetzen und die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.       Hat „Betrieb“ im Kontext von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii der Richtlinie 98/59 die gleiche Bedeutung wie im Kontext von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie?

2.      Wenn nicht, kann dann „ein Betrieb” im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii eine organisatorische Untereinheit eines Unternehmens sein, das aus mehr als einer örtlichen Beschäftigungseinheit besteht oder mehr als eine örtliche Beschäftigungseinheit umfasst?

3.      Bezieht sich die Formulierung „mindestens 20“ in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii der Richtlinie auf die Gesamtzahl der Entlassungen in allen Betrieben des Arbeitgebers, oder bezieht sie sich auf die Zahl der Entlassungen pro Betrieb? (Mit anderen Worten: Heißt „20“ 20 in einem konkreten Betrieb oder 20 insgesamt?)

2.      Rechtssache C‑392/13, Rabal Cañas

15.      Nexea Gestión Documental SA (im Folgenden: Nexea) ist ein Unternehmen, das zu einer Unternehmensgruppe gehört, die vollständig im Eigentum einer im Geschäftsbereich des Ministeriums für Finanzen und öffentliche Verwaltung angesiedelten öffentlichen Körperschaft steht.

16.      Herr Rabal Cañas arbeitete seit dem 14. Januar 2008 für Nexea.

17.      Zum 20. Juli 2012 hatte Nexea zwei Betriebe: einen Betrieb in Madrid (Verwaltung und Produktionszentrum) mit 164 Beschäftigten sowie einen Betrieb in Barcelona (Operationszentrum) mit 20 Beschäftigten. Am vorgenannten Datum beendete Nexea in 14 Einzelfällen Arbeitsverträge im Madrider Betrieb. Zur Begründung wurde angegeben, dass der Umsatz in drei aufeinanderfolgenden Quartalen beginnend mit dem letzten Quartal 2011 zurückgegangen sei, weshalb im Jahr 2011 Verluste eingetreten seien und für das Jahr 2012 erwartet würden. Klagen gegen diese Beendigungen wurden mit verschiedenen Urteilen der Madrider Arbeitsgerichte abgewiesen.

18.      Danach kam es im August 2012 zu zwei Beendigungen im Betrieb in Barcelona. Im September 2012 fand eine Beendigung in Madrid statt. Im Oktober 2012 kam es zu einer weiteren Beendigung in Barcelona. Im November 2012 wurden drei Arbeitsverträge im Madrider Betrieb und ein Arbeitsvertrag im Betrieb in Barcelona beendet. Das vorlegende Gericht hat ausgeführt, dass die fünf Beendigungen im Oktober und November 2012 durch das Auslaufen befristeter Verträge zustande gekommen seien.

19.      Am 20. Dezember 2012 wurden Herr Rabal Cañas und zwölf weitere Beschäftigte des Betriebs in Barcelona schriftlich von der individuellen Beendigung ihrer Arbeitsverträge mit Wirkung vom Zugang der Mitteilung in Kenntnis gesetzt. Zur Begründung wurden wirtschaftliche, organisatorische und produktionsbedingte Gründe genannt, die im Wesentlichen die gleichen waren wie die, die für die 14 Beendigungen angeführt wurden, die zum 20. Juli 2012 im Madrider Betrieb vorgenommen worden waren. Nexea zufolge war es deshalb notwendig, das Operationszentrum in Barcelona zu schließen. Die drei verbliebenen Beschäftigten des Betriebs in Barcelona (der Leiter und zwei Vertriebsmitarbeiter) wurden dem Madrider Betrieb zugeordnet.

20.      Mit einer vor dem Juzgado de lo Social No 33 de Barcelona gegen Nexea und den Fondo de Garantía Salarial (Arbeitsentgeltgarantiefonds) erhobenen Klage hat Herr Rabal Cañas die Beendigung seines Arbeitsvertrags angefochten. Da das genannte Gericht Zweifel hinsichtlich der richtigen Auslegung der Richtlinie 98/59 hegt, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist der Begriff der „Massenentlassung“ in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59, in dessen Anwendungsbereich sämtliche „Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt“, fallen, wenn der festgelegte numerische Schwellenwert erreicht ist, in Anbetracht seiner [unions]rechtlichen Bedeutung dahin auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Umsetzungs- oder Durchführungsvorschrift entgegensteht, die – wie Art. 51 Abs. 1 der ET – seinen Anwendungsbereich auf eine bestimmte Art von Beendigungen, und zwar solche, die aus „wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder produktionsbedingten“ Gründen erfolgen, beschränkt?

2.      Sind für die Berechnung der Zahl der zur Feststellung einer etwaigen „Massenentlassung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 zu berücksichtigenden Entlassungen, sei es in Form von „Entlassung[en], die ein Arbeitgeber … vornimmt“ (nach Buchst. a) oder von „Beendigung[en] des Arbeitsvertrags …, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erfolgen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt“ (nach Buchst. b), individuelle Beendigungen im Sinne von Art. 49 Abs. 1 Buchst. c der ET zu berücksichtigen, die wegen Ablaufs eines befristeten (auf Zeit oder für eine Werk- oder Dienstleistung geschlossenen) Vertrags erfolgen?

3.      Wird der Begriff „Massenentlassungen im Rahmen von Arbeitsverträgen, die für eine bestimmte Zeit oder Tätigkeit geschlossen werden“ im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/59 im Hinblick auf die Nichtanwendbarkeit dieser Richtlinie ausschließlich durch das rein quantitative Kriterium von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a bestimmt oder verlangt er darüber hinaus, dass sich der Grund für die kollektive Beendigung aus demselben kollektiven Rahmen ergibt, in dem die Verträge für dieselbe Dauer oder dieselbe Werk- oder Dienstleistung geschlossen worden sind?

4.      Kann der Begriff „Betrieb“ als für die Definition der „Massenentlassung“ im Kontext von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 wesentlicher „Begriff des [Unions]rechts“ unter Berücksichtigung der sich aus ihrem Art. 5 ergebenden Natur der Richtlinie als einer Mindestregelung dahin gehend ausgelegt werden, dass er erlaubt, dass die innerstaatliche Umsetzungs- und Durchführungsvorschrift des Mitgliedstaats – im Fall Spaniens der Art. 51 Abs. 1 der ET – als Bezugsrahmen für die Berechnung des numerischen Schwellenwerts ausschließlich das „Unternehmen“ als Ganzes bestimmt und damit die Fälle ausschließt, in denen – wäre der „Betrieb“ als Referenzeinheit gewählt worden – der in der betreffenden Vorschrift festgelegte numerische Schwellenwert überschritten worden wäre?

3.      Rechtssache C‑80/14, USDAW und Wilson

21.      WW Realisation 1 Limited (in Liquidation) und Ethel Austin Limited, die unter „Woolworths“ bzw. „Ethel Austin“ firmierten, betrieben im ganzen Land Einzelhandelsgeschäfte in Innenstadtlagen. Sie wurden insolvent und unter Insolvenzverwaltung gestellt; infolgedessen wurden im ganzen Vereinigten Königreich tausende Beschäftigte entlassen.

22.      USDAW ist eine Gewerkschaft mit mehr als 430 000 Mitgliedern im ganzen Vereinigten Königreich. Die Mitglieder der USDAW arbeiten in unterschiedlichen Berufs- und Wirtschaftszweigen; zu ihnen gehören Einzelhandelsbeschäftigte, Fabrik- und Lagerarbeiter, Fahrer und Beschäftigte in Callcentern. Frau Wilson war in dem Ladengeschäft von Woolworths in St Ives, Cornwall, beschäftigt und Vertreterin der USDAW in Woolworths’ nationalem Arbeitnehmerforum.

23.      Nach der Insolvenz von Woolworths und Ethel Austin wurden im Namen von mehreren tausend USDAW-Mitgliedern, die bei Woolworths und Ethel Austin beschäftigt gewesen und wegen Personalüberhangs entlassen worden waren, Klagen gegen diese beiden Unternehmen beim Liverpool Employment Tribunal und beim London Central Employment Tribunal eingereicht. Die Arbeitgeber wurden auf Entlassungsentschädigungen verklagt, weil sie es unterlassen hatten, die Arbeitnehmer über den beabsichtigen Personalabbau zu konsultieren, was nach den einschlägigen Vorschriften des TULRCA möglicherweise erforderlich gewesen wäre.

24.      Dem Secretary of State wurde in dem Verfahren vor dem London Central Employment Tribunal gegen Woolworths der Streit verkündet, weil er unter Umständen nach den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2008/94/EG(9) für alle zugesprochenen Entlassungsentschädigungen haftet. Dem Court of Appeal zufolge muss der Secretary of State, falls Ethel Austins oder Woolworths im Hauptsacheverfahren zu Entlassungsentschädigungen verurteilt werden, der Arbeitgeber keine entsprechende Zahlung leistet und ein Beschäftigter beim Secretary of State einen schriftlichen Antrag stellt, den Betrag, den der Beschäftigte aus diesem Grund beanspruchen kann, bis zu einer gesetzlichen Obergrenze zahlen. Zahlt der Secretary of State den Betrag ganz oder teilweise nicht, kann der Beschäftigte Klage vor einem Arbeitsgericht erheben, das befugt ist, den Betrag festzustellen, den der Secretary of State zahlen muss.

25.      Am 2. November 2011 und 18. Januar 2012 sprachen die oben genannten Arbeitsgerichte ehemaligen Beschäftigten von Woolworths und Ethel Austin Entlassungsentschädigungen zu; etwa 4 500 Arbeitnehmern jedoch wurden Entlassungsentschädigungen mit der Begründung verweigert, dass sie in Läden mit weniger als 20 Arbeitnehmern gearbeitet hätten und jeder Laden als eigenständiger Betrieb anzusehen sei. Auf das dagegen eingelegte Rechtsmittel hin entschied das Employment Appeal Tribunal (im Folgenden: EAT) am 30. Mai 2013, dass in Section 188(1) des TULRCA, wenn diese in einer mit der Richtlinie 98/59 zu vereinbarenden Art und Weise ausgelegt werden solle, die Wörter „in einem Betrieb“ gestrichen werden müssten. Das EAT war außerdem der Auffassung, dass sich die entlassenen Arbeitnehmer unmittelbar auf die Richtlinie berufen könnten und der Secretary of State für die Entlassungsentschädigungen an alle Arbeitnehmer hafte.

26.      Dem Secretary of State wurde erlaubt, gegen die Entscheidung des EAT ein Rechtsmittel beim Court of Appeal einzulegen. Da das letztgenannte Gericht Zweifel hinsichtlich der richtigen Auslegung der Richtlinie 98/59 hegt, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. a) Bezieht sich die Formulierung „mindestens 20“ in Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a Ziff. ii der Richtlinie 98/59 auf die Zahl der Entlassungen in allen Betrieben des Arbeitgebers, in denen innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen Entlassungen vorgenommen werden, oder bezieht sie sich auf die Zahl der Entlassungen in jedem einzelnen Betrieb?

b)      Falls sich Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a Ziff. ii der Richtlinie auf die Zahl der Entlassungen in jedem einzelnen Betrieb bezieht, was ist dann unter „Betrieb“ zu verstehen? Ist der Begriff „Betrieb“ insbesondere dahin zu verstehen, dass er das gesamte betroffene Einzelhandelsunternehmen als eine einzige wirtschaftliche Geschäftseinheit oder den Teil dieses Unternehmens, in dem Entlassungen vorgenommen werden sollen, erfasst und nicht die Einheit, der ein Arbeitnehmer zur Erfüllung seiner Aufgaben zugewiesen ist, wie das jeweilige Ladengeschäft?

2.      Kann sich ein Mitgliedstaat, wenn ein Arbeitnehmer von einem privaten Arbeitgeber eine Schutzentschädigung verlangt, darauf stützen oder geltend machen, dass die Richtlinie 98/59 keine unmittelbar wirksamen Rechte gegen den Arbeitgeber gewährt, sofern

i)       der private Arbeitgeber, hätte es der Mitgliedstaat nicht versäumt, die Richtlinie ordnungsgemäß umzusetzen, dem Arbeitnehmer eine Schutzentschädigung schulden würde, weil er seiner Konsultationspflicht gemäß der Richtlinie nicht nachgekommen ist, und

ii)      der Mitgliedstaat selbst, wenn der zahlungsunfähige private Arbeitgeber eine Schutzentschädigung schuldet, aber nicht geleistet hat, auf Antrag dem Arbeitnehmer diese Schutzentschädigung nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2008/94 zahlen müsste, vorbehaltlich einer nach Art. 4 dieser Richtlinie für die Garantieeinrichtung des Mitgliedstaats geltenden Haftungsgrenze?

B –    Verfahren vor dem Gerichtshof

27.      Bluebird hat in der Rechtssache C‑182/13 schriftliche Erklärungen eingereicht; das Gleiche haben die USDAW und Frau Wilson in der Rechtssache C‑80/14 getan. Auch die Regierung des Vereinigten Königreichs hat in diesen beiden Rechtssachen Erklärungen eingereicht. Die spanische Regierung hat in den Rechtssachen C‑392/13 und C‑80/14 Erklärungen abgegeben; die ungarische Regierung sowie die Kommission haben dies in allen drei Rechtssachen getan.

28.      Am 20. November 2014 hat eine gemeinsame mündliche Verhandlung stattgefunden, in der die USDAW, Frau Wilson, Bluebird, die spanische Regierung und die des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission mündlich Stellung genommen haben.

III – Analyse

A –    Einleitende Bemerkungen

29.      In den vorliegenden Rechtssachen ist die Hauptaufgabe des Gerichtshofs, die für die Berechnung, ob die Schwellenwerte nach Art. 1 der Richtlinie 98/59 erreicht werden, – aus Arbeitgebersicht – maßgebliche Einheit zu bestimmen. Speziell Frage 3 in der Rechtssache C‑182/13 und Frage 1 a in der Rechtssache C‑80/14 scheinen im Wesentlichen identisch zu sein, da sich beide auf den Ausdruck „mindestens 20“ in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii dieser Richtlinie fokussieren. Ebenso geht es sowohl in den Fragen 1 und 2 in der Rechtssache C‑182/13 als auch in Frage 4 in der Rechtssache C‑392/13 sowie in Frage 1 b in der Rechtssache C‑80/14 um die zutreffende Auslegung des streitigen Begriffs.

30.      Allerdings scheinen mir diese beiden Aspekte (die Frage, welche Folgerungen sich aus der Formulierung „mindestens 20“ ergeben, und die Frage nach der Bedeutung des Begriffs „Betrieb“) miteinander verbunden zu sein – was sich darin zeigt, wie der Court of Appeal Frage 1 b abgefasst hat. Denn wenn es um die in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii der Richtlinie 98/59 festgelegten Schwellenwerte geht, die das Konsultationsverfahren auslösen, wird mit der Frage, ob die Entlassungen in allen Betrieben des Arbeitgebers zusammengezählt werden müssen, meines Erachtens nach nichts anderem gefragt als nach einer Klarstellung, worauf sich der Begriff des „Betriebs“ richtigerweise erstreckt. Daher bin ich der Auffassung, dass sowohl die Fragen 1, 2 und 3 in der Rechtssache C‑182/13 als auch Frage 4 in der Rechtssache C‑392/13 sowie die Fragen 1 a und b in der Rechtssache C‑80/14 gemeinsam geprüft werden können, was ich in den nachfolgenden Nrn. 36 bis 63 tun werde.

31.      Neben diesem Hauptproblem stellen sich in zwei der Rechtssachen (Rechtssache C‑392/13 und Rechtssache C‑80/14) anders gelagerte, nachrangige Probleme.

32.      Erstens betreffen die meisten Fragen des spanischen Gerichts in Wirklichkeit andere Aspekte des Begriffs „Massenentlassungen“ im Sinne der Richtlinie 98/59. Denn in den ersten drei Fragen geht es um die Auslegung dieses Begriffs aus Arbeitnehmersicht. Meines Erachtens ergibt sich die Antwort auf diese Fragen entweder eindeutig aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs oder sie ist offensichtlich.

33.      Zweitens hat Frage 2 in der Rechtssache C‑80/14 einen anderen Gegenstand, nämlich die unionsrechtlichen Folgen einer nicht ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie 98/59. Auch wenn dies nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Frage hervorgeht, steht sie, gleich wie die Antwort ausfällt, unter der Prämisse, dass das Vereinigte Königreich den streitigen Begriff nicht richtig verstanden und deshalb diese Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt hat.

34.      Außerdem wendet Bluebird, bevor sie sich zur Hauptsache einlässt, ein, die Rechtssache C‑182/13 sei unzulässig, da die Bedeutung von „Betrieb“ eindeutig sei. Die spanische Regierung macht ferner geltend, dass unter den Umständen der Rechtssache C‑392/13 keine Massenentlassung im Sinne der Richtlinie vorliege, da die Schwellenwerte nicht erreicht würden. Dementsprechend wertet die spanische Regierung Frage 4 als hypothetisch.

35.      Insoweit ist erneut daran zu erinnern, dass für Fragen zur Auslegung des Unionsrechts, die ein nationales Gericht vorlegt, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit spricht(10). Die Ersuchen um Auslegung der Richtlinie 98/59 scheinen in beiden Rechtssachen nicht ohne Zusammenhang mit dem jeweiligen Sachverhalt zu sein, über den die vorlegenden Gerichte zu entscheiden haben; die Ersuchen scheinen auch nicht hypothetisch zu sein; ebenso wenig fehlen in den Vorlagebeschlüssen die Angaben zum Sachverhalt oder zur Rechtslage, die erforderlich sind, um dem Gerichtshof eine zweckdienliche Antwort zu ermöglichen. Speziell der Einwand von Bluebird geht fehl, da es den nationalen Gerichten frei steht, den Gerichtshof mit Fragen zu befassen, wenn sie es für angebracht halten, und der Umstand, dass die Vorschriften, um deren Auslegung ersucht wird, vom Gerichtshof bereits ausgelegt worden sind, das Vorabentscheidungsersuchen nicht unzulässig macht(11). Außerdem meine ich im Gegensatz zu der von der spanischen Regierung vertretenen Ansicht, dass der Juzgado de lo Social No 33 wissen möchte, wie der streitige Begriff und die in der Richtlinie 98/59 angegebenen Schwellenwerte für die Zwecke der bei ihm anhängigen Verfahren zutreffend auszulegen sind. Als sich der Gerichtshof bei anderer Gelegenheit mit einer ähnlichen Situation konfrontiert sah, hat er die ihm vorgelegten Fragen nicht für unzulässig erklärt(12). Für mich ist nicht ersichtlich, weshalb für die vorliegenden Rechtssachen etwas anderes gelten sollte.

B –    Der streitige Begriff

1.      Das Paradigma: die Urteile Rockfon(13) und Athinaïki Chartopoiïa(14)

36.      Vorab möchte ich darauf hinweisen, dass Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 zunächst und in erster Linie den Schlüsselbegriff der „Massenentlassung“ definiert. Dieser Begriff ist seit Mitte der 70er Jahre, als die erste Richtlinie über Massenentlassungen angenommen wurde, im Großen und Ganzen unverändert geblieben(15).

37.      In der Richtlinie 98/59 werden „Massenentlassungen“ in zwei Schritten definiert. Im ersten Schritt geht es um die Arten individueller Entlassungen(16), die, wenn sie in hinreichender Zahl vorgenommen werden, eine Massenentlassung darstellen (im Folgenden: richtlinienrelevante Entlassungen). Im zweiten Schritt geht es um die numerischen Schwellenwerte, die, wenn sie über einen bestimmten Zeitraum überschritten werden, die Pflicht des Arbeitgebers auslösen, die Arbeitnehmer nach Art. 2 der Richtlinie 98/59 zu informieren und zu konsultieren, und die Anwendung des in den Art. 3 und 4 dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahrens (im Folgenden: Schutzverfahren) nach sich ziehen. Der streitige Begriff wird bei der Festlegung dieser Schwellenwerte verwendet. An dieser Stelle erlaubt die Richtlinie 98/59 den Mitgliedstaaten, zwischen zwei unterschiedlichen Methoden zu wählen, die in Ziff. i bzw. Ziff. ii von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 dargestellt sind(17).

38.      Wie schon erwähnt, hat der Gerichtshof den streitigen Begriff im Zusammenhang mit Ziff. i von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie bereits dahin ausgelegt, dass er die „Einheit bezeichnet, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgabe angehören“(18). Es liegt auf der Hand, dass ein Begriff durchgehend dieselbe Bedeutung haben sollte, da dies die Rechtssicherheit erhöht(19). Da der Gerichtshof diese Entscheidungen unter keinen Vorbehalt gestellt hat, muss die Rechtsauslegung, die der Gerichtshof in dem Vorabentscheidungsverfahren in der Rechtssache Rockfon vorgenommen und mit dem Urteil Athinaïki Chartopoiïa bestätigt hat, allgemeine Anwendung finden. Es wäre offensichtlich unsinnig, bei einem Begriff, der in einer Vorschrift enthalten ist, die in dem mit „Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereich“ überschriebenen Teil der Richtlinie steht, eine wechselnde Auslegung in Betracht zu ziehen. Eine derartige Auslegung nähme dieser Vorschrift jeglichen Sinn und ließe sich schwerlich mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbaren.

39.      Daher ist ganz klar davon auszugehen, dass die Auslegung des streitigen Begriffs erga omnes Anwendung findet, auch im Zusammenhang mit Ziff. ii von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59. Da allerdings die vorhandene Rechtsprechung den streitigen Begriff nur in Bezug auf die Ziffer-i-Methode auslegt und diese Auslegung in den vorliegenden Rechtssachen im Endergebnis für die Arbeitnehmer nachteilig sein könnte, stellt sich nunmehr die Frage, ob es einen guten Grund gibt, sie in Anbetracht der Umstände der vorgelegten Rechtssachen zu ändern.

2.      Es besteht keine Notwendigkeit, eine Änderung des Paradigmas zu empfehlen

40.      Speziell in den Rechtssachen C‑182/13 und C‑80/14 schlagen die Klägerinnen eine Nuancierung des Verständnisses des streitigen Begriffs hinsichtlich der Ziffer-ii-Methode vor, was im Wesentlichen auf der Grundlage einer zweckorientierten Auslegung der Richtlinie 98/59 geschehen soll.

a)      Überlegungen zum Zweck der Richtlinie

41.      Erklärter Zweck der Richtlinie 98/59 ist es, auf die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen hinzuwirken(20). In diesem Prozess treten zwei Zielsetzungen zutage. Es ist die erste dieser beiden Zielsetzungen, die möglicherweise Kritik oder Zweifel am derzeitigen Verständnis des streitigen Begriffs aufkommen lässt. (Auf das zweite Ziel werde ich unten in Nr. 51 zurückkommen.)

42.      Die Richtlinie 98/59 soll einerseits ein Mindestmaß an Schutz in Bezug auf die Information und die Konsultation von Arbeitnehmern im Fall von Massenentlassungen schaffen, wobei die Mitgliedstaaten die Möglichkeit behalten, für die Arbeitnehmer günstigere einzelstaatliche Maßnahmen zu erlassen (Ziel sozialen Schutzes)(21). Der Gerichtshof hat deshalb den Begriff des Betriebs sehr weit – oder anders ausgedrückt sehr zweckorientiert – ausgelegt, um Fälle von Massenentlassungen, die aufgrund der rechtlichen Qualifizierung dieses Begriffs auf nationaler Ebene womöglich nicht der Richtlinie 98/59 unterlägen, nach Möglichkeit zu begrenzen(22).

43.      Für die Rechtssachen C‑182/13 und C‑80/14 ist der Umstand von Bedeutung, dass sich das Vereinigte Königreich bei der Umsetzung der Richtlinie 98/59 für die Ziffer-ii-Methode entschieden hat. In Anbetracht dessen ließe sich argumentieren, dass die Entscheidungen des Gerichtshofs in den Rechtssachen Rockfon und Athinaïki Chartopoiïa nur die Ziffer-i-Methode betrafen, oder zumindest, dass es in ihnen nur um Entlassungen ging, die in einem einzigen Betrieb vorgenommen wurden(23). Um den Arbeitnehmerschutz zu stärken, könnte sich der Gerichtshof für eine Auslegung entscheiden, bei der alle richtlinienrelevanten Entlassungen in einer ganzen Unternehmensgruppe, die im Rahmen einer einheitlichen Restrukturierungsmaßnahme vorgenommen werden, zusammengefasst werden. Eine solche Auslegung hätte noch nicht einmal zur Folge, dass Ziff. i und Ziff. ii von Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 unterschiedlich ausgelegt würden – sofern man annimmt, dass die die genannten Entscheidungen des Gerichtshofs tragenden Erwägungen nur für Fälle gelten sollten, in denen es um einen einzigen Betrieb geht.

44.      Trotzdem fürchte ich, dass eine solche Sichtweise in die falsche Richtung geht.

45.      In der Rechtssache Rockfon war sich der Gerichtshof durchaus bewusst, dass es für den streitigen Begriff mehrere Auslegungsmöglichkeiten gab(24). Unbeschadet der Unterschiede zwischen den verschiedenen Sprachfassungen der Richtlinien 75/129 und 98/59 lässt sich aus den Urteilen Rockfon und Athinaïki Chartopoiïa eines herauslesen. Mit der Feststellung, dass ein Betrieb die örtliche Beschäftigungseinheit ist, hat der Gerichtshof die Auslegung verworfen, die die gleichnamigen Arbeitgeberunternehmen dort vorgeschlagen hatten. Insbesondere hielt er es nicht für angezeigt, den streitigen Begriff mit einem Unternehmen im Sinne von Kapitel 1 des Titels VII des AEU-Vertrags oder einer rechtsfähigen Körperschaft, wie einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, gleichzusetzen. Der Gerichtshof hielt es auch nicht für angezeigt, dem Begriff des Betriebs dieselbe Bedeutung zu geben wie dem der Niederlassung im Sinne des in Art. 49 AEUV verankerten Niederlassungsrechts.

46.      Eine der Lehren, die aus den Urteilen Rockfon und Athinaïki Chartopoiïa zu ziehen sind, ist, dass der Gerichtshof der Art und Weise, wie die den Arbeitgeber bildende Einheit intern strukturiert ist, keine Bedeutung beimisst, sondern stattdessen auf die örtliche Beschäftigungseinheit abstellt(25). Wiche man von diesem Standpunkt nunmehr deshalb ab, weil ein Arbeitgeber mehrere örtliche Beschäftigungseinheiten mit weniger als 20 Arbeitnehmern hat, würde man damit im Gegensatz zu früher den Weg frei machen für ein formbares Verständnis dieses Begriffs, das von der internen Struktur des Arbeitgebers abhinge, und dies wiederum stünde im Widerspruch zum elften Erwägungsgrund der Richtlinie 98/59(26).

47.      Die Lösung, für die sich die Klägerinnen in den Rechtssachen C‑182/13 und C‑80/14 aussprechen, besteht darin, das Schutzverfahren auf alle Arbeitnehmer zu erstrecken, die im Verlauf derselben Restrukturierungsmaßnahme entlassen worden sind, ohne dass es auf die Größe des Betriebs, in dem sie gearbeitet haben, ankommt. Größtmöglichen Schutz unter Vernachlässigung der Umsetzungsmethode zu gewähren, wäre offensichtlich von Vorteil für diejenigen Arbeitnehmer, die auf der Grundlage des derzeitigen Verständnisses des streitigen Begriffs keinen Anspruch auf irgendeine Entlassungsentschädigung haben. Eine solche Lösung stünde jedoch nicht mit dem von der Richtlinie 98/59 verfolgten Ziel einer Mindestangleichung im Einklang, das – wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt hat – als Ausgangspunkt keinen vollständigen Schutz für alle vorsieht – selbst wenn die Zahl der Entlassungen die Schwellenwerte übersteigt –, da auch das zeitliche Erfordernis erfüllt sein muss(27).

48.      Außerdem kann ich jedenfalls den Gedanken nicht akzeptieren, der in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde, wonach es möglich sein soll, dieselbe Referenzeinheit, nämlich den Betrieb und nicht das Unternehmen, im Zusammenhang mit sowohl der Ziffer-i- als auch der Ziffer-ii-Methode zu verwenden und trotzdem bei der Ziffer-ii-Methode alle richtlinienrelevanten Entlassungen in der gesamten Unternehmensgruppe einzubeziehen, denen dieselbe Restrukturierungsmaßnahme zugrunde liegt. Dies liefe de facto auf die Schaffung einer rechtlichen Fiktion mit unabsehbaren Folgen für die Ziffer-i-Methode hinaus. Es wäre wesentlich ehrlicher, vorzuschlagen, die mit den Urteilen Rockfon und Athinaïki Chartopoiïa entwickelte Rechtsprechung aufzugeben.

49.      Überdies ist mir – und auch der Regierung des Vereinigten Königreichs – nicht entgangen, dass sich der Gerichtshof große Mühe gegeben hat, auf die sozioökonomischen Auswirkungen hinzuweisen, die Massenentlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten sozialen Umgebung hervorrufen können(28). Der Gerichtshof hat daher den streitigen Begriff dahin ausgelegt, dass er sich auf „die Einheit …, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgabe angehören“(29) – mit anderen Worten: die örtliche Beschäftigungseinheit – bezieht. Denn es ist gerade die örtliche Gemeinschaft, die ohne Schutz vor Massenentlassungen möglicherweise zerfällt und verschwindet. Umgekehrt bedrohen unterhalb der Schwellenwerte liegende richtlinienrelevante Entlassungen, die an einem Ort stattfinden, den Fortbestand örtlicher Gemeinschaften nicht in gleicher Weise. Auch wenn die Gesamtzahl der im Rahmen eines Restrukturierungsprozesses vorgenommenen Entlassungen landesweit hoch sein mag, sagt dies nichts darüber aus, wie diese Auswirkungen vor Ort spürbar werden. Diejenigen, die vor Ort nach Arbeit suchen, werden, wenn sie nur wenige sind, möglicherweise leichter wieder in den Arbeitsmarkt integriert.

50.      Deshalb bin ich auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen nicht davon überzeugt, dass das Ziel sozialen Schutzes zweifelsfrei zu der Auslegung führt, die die Klägerinnen in den Rechtssachen C‑182/13 und C‑80/14 vorgeschlagen haben.

51.      Noch wichtiger erscheint mir, dass die Richtlinie 98/59, obschon sie ein Mindestschutzniveau für Arbeitnehmerrechte in den verschiedenen Mitgliedstaaten gewährleistet, andererseits die für die Unternehmen in der Europäischen Union mit diesen Schutzvorschriften verbundenen Belastungen einander angleichen soll (Binnenmarktziel)(30). Denn trotz einer konvergierenden Entwicklung bestehen immer noch Unterschiede, die sich unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken können. Einigen Erwägungsgründen der Richtlinie zufolge war sich der Unionsgesetzgeber in der Tat bewusst, dass sich das Ziel sozialen Schutzes nicht vom Binnenmarktziel trennen lässt(31). Das Binnenmarktziel spricht folglich – worauf die ungarische Regierung hinweist – für die Auffassung, dass der streitige Begriff einheitlich ausgelegt werden muss, um die Transparenz und die Vorhersehbarkeit für Arbeitgeber zu erhöhen, die sich zu einer Restrukturierung ihres Unternehmens entschließen.

b)      Weitere Erwägungen

52.      Überdies ist der Vorschlag, dass die Auslegung des streitigen Begriffs im Kontext von Ziff. ii des Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 nuanciert werden müsse, aus mehreren anderen Gründen abzulehnen.

53.      Erstens ist die Tatsache, dass in einigen Sprachfassungen(32) von „Betrieben“ in der Mehrzahl die Rede ist, ohne Bedeutung. Es handelt sich schlicht um einen Verweis auf eine Gattung. Umgekehrt scheinen eine Reihe anderer Sprachfassungen mit Absicht genauer zu sein(33). In diesen Sprachfassungen ist in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 98/59 von „Betrieben“ in der Mehrzahl die Rede, in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii aber verwenden sie die Einzahl. Diese genauere Formulierung schließt es aus, dass mit dem Ausdruck „mindestens 20“ – auf den sich Frage 3 in der Rechtssache C‑182/13 und Frage 1 in der Rechtssache C‑80/14 beziehen – die Zahl der Entlassungen in allen Betrieben des Arbeitgebers gemeint ist.

54.      Was zweitens den Kontext der Richtlinie 98/59 betrifft, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Verfahrenspflichten nach den Art. 2 und 3 der Richtlinie 98/59 – selbst wenn die Entscheidung, Massenentlassungen vorzunehmen, von einer Muttergesellschaft getroffen wird – nur die Tochtergesellschaft, die die Arbeitnehmer beschäftigt, und nicht die Muttergesellschaft treffen, weil Letztere nicht die Arbeitgebereigenschaft besitzt(34). Da die Pflichten nur der Tochtergesellschaft als Arbeitgeberin auferlegt sind, wäre es unausgewogen, zu verlangen, dass die Schwellenwerte mit Blick auf die gesamte Unternehmensgruppe berechnet werden müssen.

55.      Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, wie der streitige Begriff üblicherweise im EU-Arbeitsrecht verwendet wird. So sieht die Richtlinie 2002/14/EG(35) in ihrem Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) zwei unterschiedliche Definitionen für „Unternehmen“ und „Betrieb“ vor. In ähnlicher Weise ist in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b (unter der Überschrift „Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen“ von Kapitel I) der Richtlinie 2008/94 von „dem Unternehmen oder dem Betrieb des Arbeitgebers“ (Hervorhebung nur hier) die Rede sowie in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a (unter der Überschrift „Anwendungsbereich und Definitionen“ von Kapitel I) der Richtlinie 2001/23/EG(36) vom „Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen“. Das stützt die Ansicht, dass im EU-Arbeitsrecht ein Unternehmen nicht das Gleiche ist wie ein Betrieb.

56.      Berücksichtigt man drittens die Gesetzgebungsgeschichte der Richtlinie 98/59, ergibt sich aus den Vorarbeiten zur Richtlinie 75/129, dass der Wirtschafts- und Sozialausschuss anlässlich seiner Anhörung vorgeschlagen hatte, den Begriff „Unternehmen“, der im ursprünglichen Vorschlag der Kommission(37) enthalten war, als „örtliche Beschäftigungseinheit“ zu definieren(38). In der endgültigen Fassung wurde der Begriff „Unternehmen“ allerdings durch den Begriff „Betrieb“ ersetzt – vielleicht um diese Unterscheidung deutlich zu machen(39). In Anbetracht dessen scheint folgende Feststellung von Generalanwalt Cosmas heute immer noch genauso zutreffend zu sein, wie sie es seinerzeit war: „Hätte der Gemeinschaftsgesetzgeber … gewollt, dass alle Arbeitnehmer eines Unternehmens, gleichgültig an welchem Ort sie beschäftigt sind, bei der Ermittlung der Gesamtzahl der Arbeitnehmer berücksichtigt werden, auf deren Grundlage die Rechtmäßigkeit der Entlassung zu beurteilen ist, so hätte er einen geeigneteren Begriff benutzen müssen.“(40)

57.      Zudem hat die Richtlinie 98/59 im Vergleich zu den vorher geltenden Rechtsvorschriften keine wirklichen Änderungen gebracht. Sie hat die Richtlinien 75/129 und 92/56 lediglich zusammengeführt und kodifiziert. In Bezug auf den streitigen Begriff wurden keine relevanten Änderungen vorgenommen. Speziell die Vorarbeiten lassen erkennen, dass der Unionsgesetzgeber in der Tat keine wesentlichen Änderungen vornehmen wollte(41) und sich mit der Aufrechterhaltung des status quo begnügt hat. Hätte er hingegen die vom Gerichtshof im Jahr 1995 vorgenommene Auslegung des streitigen Begriffs für falsch gehalten, hätte ihm der Erlass der Richtlinie 98/59 die perfekte Gelegenheit zur Änderung dieses Begriffs geboten, wie Bluebird in der mündlichen Verhandlung zutreffend angemerkt hat. Dies ist nicht geschehen; ebenso wenig wurde irgendeine Änderung im Anschluss an das Urteil Athinaïki Chartopoiïa oder zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen. Das verdient Beachtung; denn in einigen Kommentierungen war öffentlich erörtert worden, was die vom Gerichtshof im Urteil Rockfon vorgenommene Auslegung für das Vereinigte Königreich möglicherweise bedeuten würde(42) – auch bereits vor dem Erlass der Richtlinie 98/59(43).

58.      Viertens ist es den Schwellenwerten, die für die Ziffer-i- bzw. die Ziffer-ii-Methode vorgesehen sind, aufgrund ihrer Ausgestaltung eigen, dass sie sich unterschiedlich auswirken. Beide Methoden gewähren Arbeitnehmern bei bestimmten Fallgestaltungen Schutz und bei anderen nicht. Werden die Methoden einander gegenübergestellt, so lautet das vor dem Gerichtshof insoweit vorgebrachte Argument, dieser Anwendungsunterschied sei willkürlich. Diese Modulation war jedoch beabsichtigt, da die betreffende Methodenwahl, die im ursprünglichen Vorschlag der Kommission nicht vorgesehen war, vom Rat eigens eingefügt wurde. Wirklich willkürlich wäre es, die Ziffer-ii-Methode in der von der USDAW und Frau Wilson vorgeschlagenen Art und Weise auszulegen, weil dies eine echte Kluft zwischen den jeweils gewährten Schutzniveaus verursachen würde.

59.      Insoweit möchte ich daran erinnern, dass das Vereinigte Königreich – wie in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde – die gewählte Methode zur Umsetzung der Richtlinie seit den 70er Jahren nicht geändert hat, in denen es eine zulässige Entscheidung traf, als es der Ziffer-ii-Methode gegenüber der Ziffer-i-Methode zu einer Zeit den Vorzug gab, zu der der streitige Begriff noch nicht die eindeutige Bedeutung hatte.

60.      Fünftens würde Art. 5 der Richtlinie 98/59 jeder Sinn und Zweck genommen, würde man die Unterschiede zwischen der Ziffer-i- und der Ziffer-ii-Methode, die diesen innewohnen, ignorieren(44). Die Richtlinie hat nur eine Mindestangleichung zur Folge, was bedeutet, dass die Mitgliedstaaten für Arbeitnehmer günstigere Regeln erlassen dürfen. Dementsprechend können die Mitgliedstaaten z. B. Schwellenwerte festlegen, bei der beide Methoden, sowohl die Ziffer-i- als auch die Ziffer-ii-Methode, umgesetzt werden, beispielsweise durch eine geringere Anzahl richtlinienrelevanter Entlassungen über einen längeren Zeitraum.

61.      Aus all diesen Gründen teile ich die von Bluebird, der spanischen und der ungarischen Regierung sowie der Kommission vertretene Ansicht, dass der streitige Begriff sowohl im Kontext von Ziff. i als auch in dem von Ziff. ii des Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 in gleicher Weise ausgelegt werden muss, d. h. dahin, dass er die Einheit bezeichnet, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgabe angehören. Dementsprechend erfordert die Richtlinie nicht – schließt aber auch nicht aus –, dass für die Feststellung, ob die in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a genannten Schwellenwerte erreicht sind, die Zahl der Entlassungen in allen Betrieben des Arbeitgebers addiert wird. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, ob sie sich, wo es angezeigt ist, in Übereinstimmung mit Art. 5 der Richtlinie 98/59 für eine Erhöhung des Schutzniveaus entscheiden, sofern dies in jeder Situation (und nicht bloß im Durchschnitt, wie die spanische Regierung meint) für die entlassenen Arbeitnehmer günstiger wäre. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob dies tatsächlich der Fall ist.

62.      Schließlich sollte klargestellt werden, dass es in allen drei Rechtssachen Sache der vorlegenden Gerichte ist, zu bestimmen, was im jeweiligen Fall genau die örtliche Beschäftigungseinheit darstellt, da es sich dabei um eine Tatsachenfrage handelt. Wenn z. B. ein Arbeitgeber mehrere Läden in einem Einkaufszentrum betreibt, ist es nicht undenkbar, dass all diese Läden als eine einzige örtliche Beschäftigungseinheit anzusehen sind. Dies hängt, wie die spanische Regierung bemerkt hat, von einer Reihe von Faktoren ab: davon, i) ob bei der zusammengesetzten Einheit von einer gewissen Stabilität und Dauerhaftigkeit die Rede sein kann, ii) ob sie zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und iii) ob sie über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt. Die Einheit muss weder rechtliche noch wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie besitzen, um als „Betrieb“ gewertet werden zu können(45).

63.      In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist es nicht erforderlich, über den Antrag von Bluebird zu entscheiden, die zeitlichen Wirkungen des Urteils zu beschränken. Sollte der Gerichtshof meine Auffassung nicht teilen, wäre dieser Antrag jedenfalls unbegründet, weil die Voraussetzungen insoweit sehr streng sind(46).

C –    Nachrangige Fragen

64.      Wie bereits bemerkt, stellen sich in den Rechtssachen C‑392/13 und C‑80/14 – neben dem vorstehend erörterten Hauptproblem – mehrere andere Probleme.

1.      Frage 1 in der Rechtssache C‑392/13: der Begriff der „Massenentlassung“

65.      Mit seiner ersten Frage ersucht der Juzgado de lo Social No 33 den Gerichtshof im Wesentlichen um eine Klarstellung, ob der Begriff „Massenentlassung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die den Anwendungsbereich dieses Begriffs auf Beendigungen beschränkt, die aus wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder produktionsbedingten Gründen erfolgen. Zur Erinnerung: Art. 1 Abs. 1 Buchst. a besagt, dass richtlinienrelevante Entlassungen Entlassungen sind, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt.

66.      Obgleich die spanische Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, sich für die Ziffer-i-Methode entschieden zu haben, habe ich doch den Eindruck, dass Spanien eine Mischung aus der Ziffer-i- und der Ziffer-ii-Methode angewandt hat: Art. 51 Abs. 1 der ET sieht eine variable „Drei-Szenarien“-Lösung vor, die unter die Ziffer-i-Methode fällt, aber in Verbindung mit einem (längeren) Zeitraum von 90 Tagen, was für die Ziffer-ii-Methode spricht(47). Unbeschadet dessen geht es im vorliegenden Verfahren jedoch um die Frage, ob Art. 51 Abs. 1 der ET ein zu enges Verständnis des Begriffs der „Entlassung“ zugrunde liegt. Dieser Begriff, der im Unionsrecht eine einheitliche Bedeutung hat, umfasst jede vom Arbeitnehmer nicht gewollte, also ohne seine Zustimmung erfolgte Beendigung des Arbeitsvertrags(48). Der Rechtsprechung lässt sich zudem entnehmen, dass der Ausdruck „Gründe, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen“, weit zu verstehen ist(49).

67.      Somit können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 5 der Richtlinie 98/59 zwar mehr Schutz gewähren, indem sie z. B. den Zeitraum verlängern, in dem die richtlinienrelevanten Entlassungen zusammengezählt werden dürfen. Die Richtlinie ist jedoch kein „Wunschkonzert“, sie ermöglicht also kein Rosinenpicken! Die Mitgliedstaaten können einen erhöhten Schutz nicht dadurch ausgleichen, dass sie ihn in anderer Hinsicht vermindern, etwa indem sie den Begriff „Entlassung“ enger definieren(50). Dieser Begriff steht ebenso wenig wie die Methoden zur Berechnung der Schwellenwerte – und damit die Schwellenwerte selbst – zu ihrer Disposition(51).

68.      Der erste Unterabsatz von Art. 51 Abs. 1 der ET, der der Umsetzung der Richtlinie 98/59 dienen soll, bezieht sich nur auf die „Beendigung von Arbeitsverträgen aus wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder produktionsbedingten Gründen“. Ein solcher Vorbehalt schränkt – so hat es jedenfalls den Anschein – den unbegrenzten Anwendungsbereich des Begriffs der „Entlassung“ ein. Die in Rede stehenden Rechtsvorschriften erinnern in der Tat an die Rechtssache Kommission/Portugal, in der Portugal diesen Begriff rechtswidrig auf Entlassungen aus strukturellen, technischen oder konjunkturellen Gründen beschränkt hatte(52). Obgleich der Gerichtshof später im Urteil Rodríguez Mayor u. a.(53) den Anwendungsbereich dieses Begriffs ein wenig nuanciert hat, was die Beendigung von Arbeitsverträgen durch den Tod des Arbeitgebers betrifft, hat er doch große Sorgfalt darauf verwendet, diesen Sonderfall von dem früheren Urteil abzugrenzen(54). Da es in der Rechtssache C‑392/13 nicht um einen solchen Sonderfall geht, sehe ich keinen Grund dafür, dass der Gerichtshof hier anders entscheiden sollte als in der Rechtssache Kommission/Portugal. Daher steht – wie das vorlegende Gericht und die ungarische Regierung bemerken – Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 einer Regelung des nationalen Rechts wie Art. 51 Abs. 1 der ET entgegen.

69.      Die spanische Regierung beruft sich allerdings auf die Auffangvorschrift in Art. 51 Abs. 1 Unterabs. 5 der ET. Danach müssen – mit Ausnahme des Auslaufens von Arbeitsverträgen, die für eine bestimmte Zeit oder Tätigkeit geschlossen worden sind (befristete Verträge) – auch alle sonstigen Beendigungen berücksichtigt werden, die auf Veranlassung des Arbeitgebers aus Gründen erfolgen, die nicht in der Person des Arbeitnehmers liegen, sofern die Zahl der Beendigungen mindestens fünf beträgt.

70.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 51 Abs. 1 Unterabs. 5 der ET eine große Ähnlichkeit mit Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 aufweist und diesem offenbar Wirksamkeit verleiht. Diese Vorschrift regelt „Entlassungen durch Gleichstellung“, die „Entlassungen im eigentlichen Sinne“ gleichgesetzt werden („Entlassungen im eigentlichen Sinne“ zeichnen sich durch die fehlende Zustimmung des Arbeitnehmers aus)(55). Vorausgesetzt, die Zahl der Entlassungen durch Gleichstellungen beträgt mindestens fünf, werden sie richtlinienrelevant für die Berechnung der Schwellenwerte.

71.      Dessen ungeachtet verlangt die Richtlinie 98/59 jedoch bei „Entlassungen im eigentlichen Sinne“ nicht, dass mindestens fünf derartige Entlassungen vorliegen müssen, damit sie als richtlinienrelevant zählen, was auch die spanische Regierung in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat. Demzufolge schränkt Art. 51 Abs. 1 der ET dadurch, dass er mindestens fünf Entlassungen aus anderen als wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder produktionsbedingten Gründen verlangt, den Anwendungsbereich des Begriffs der „Entlassung“ unberechtigt ein. Demzufolge schlage ich dem Gerichtshof vor, auf Frage 1 in der Rechtssache C‑392/13 zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie einer solchen Vorschrift entgegensteht.

2.      Fragen 2 und 3 in der Rechtssache C‑392/13: Anwendbarkeit der Richtlinie 98/59 auf befristete Verträge

72.      Mit diesen beiden Fragen möchte der Juzgado de lo Social No 33 wissen, ob die Richtlinie 98/59 auf befristete Verträge Anwendung findet, die, sei es wegen Zeitablaufs, sei es wegen der Erbringung einer vorher festgelegten Werk- oder Dienstleistung, abgelaufen sind.

73.      In Frage 2 geht es im Wesentlichen darum, ob befristete Verträge, die ablaufen, als richtlinienrelevante Entlassungen für die Berechnung der Schwellenwerte nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 berücksichtigt werden müssen. Der Vorlagebeschluss deutet allerdings darauf hin, dass das vorlegende Gericht lediglich wissen möchte, ob die Richtlinie von ihm verlangt, diese Beendigungen in die Berechnung der Schwellenwerte zugunsten der „Entlassungen im eigentlichen Sinne“ einzubeziehen – ohne zwangsläufig das Schutzverfahren auf sie anzuwenden.

74.      Mit Frage 3 soll, obwohl sie sehr unklar formuliert ist, offenbar in Erfahrung gebracht werden, ob Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/59 auf die Massenentlassung von Arbeitnehmern mit befristeten Verträgen beschränkt ist, bei denen die Entlassungsgründe gleich sind (z. B. wenn mehrere befristete Verträge zum Ende einer Urlaubssaison oder nach der Vollendung eines Bauvorhabens auslaufen).

75.      Die Antwort auf beide Fragen ergibt sich – wie die ungarische Regierung und die Kommission bemerkt haben – unmittelbar aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/59. Diese Vorschrift schließt befristete Verträge vom Anwendungsbereich der Richtlinie aus, es sei denn, dass die Entlassungen vor Ablauf oder Erfüllung dieser Verträge erfolgen. In Anbetracht der Natur solcher Verträge, die – wie die Kommission zutreffend ausführt – zwangsläufig enden, wenn die vereinbarte Dauer abgelaufen ist, scheint diese Regel vollkommen überzeugend. Denn ein befristeter Vertrag, der von sich aus endet, ist nicht das Gleiche wie die Entlassung eines unbefristet beschäftigten Arbeitnehmers aus Gründen, die nichts mit seiner Person zu tun haben.

76.      Diese Auslegung wird nicht durch Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59 in Frage gestellt. Wie oben ausgeführt, regelt diese Vorschrift Entlassungen durch Gleichstellung. Sie regelt hingegen nicht befristete Verträge, die ausschließlich unter Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie fallen. Zwar sind Ausnahmen im Allgemeinen eng auszulegen; es ist aber nicht möglich, im Wege der Auslegung dem Text von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 98/59 einen zusätzlichen Vorbehalt anzufügen, der dort ursprünglich nicht stand. Dies gilt umso mehr, als der Unionsgesetzgeber bereits eine ausdrückliche Einschränkung in den Text dieser Ausnahmevorschrift aufgenommen hat, die Aufnahme einer weiteren aber nicht für erforderlich gehalten hat. Im gleichen Sinne hat es der Gerichtshof bereits abgelehnt, eine ähnliche Einschränkung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 98/59 restriktiv auszulegen(56). Erst recht sehe ich mich nicht in der Lage, den Ausschluss von befristeten Verträgen nur auf Fälle anzuwenden, in denen die Gründe für die Beendigung dieser Verträge gleich sind.

77.      Jedenfalls ist der Juzgado de lo Social No 33 nicht daran gehindert, sämtliche Beendigungen befristeter Verträge, die auslaufen, in die Berechnung der Schwellenwerte einzubeziehen, falls dies nach spanischem Recht möglich ist. Wie die ungarische Regierung bemerkt hat, sind die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, gemäß Art. 5 der Richtlinie 98/59 Regeln zu erlassen, die für die Arbeitnehmer günstiger sind.

78.      Aus diesen Gründen schlage ich vor, die Fragen 2 und 3 in der Rechtssache C‑392/13 zusammen dahin zu beantworten, dass bei richtiger Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/59 alle Massenentlassungen im Rahmen befristeter Verträge vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind, es sei denn, dass diese Entlassungen vor Ablauf oder Erfüllung dieser Verträge erfolgen. Es ist unerheblich, ob die Gründe für die Beendigung solcher Verträge gleich sind. Dadurch ist der Erlass nationaler Regeln, die für die Arbeitnehmer günstiger sind, nicht ausgeschlossen.

3.      Frage 2 in der Rechtssache C‑80/14: jenseits der vertikalen unmittelbaren Wirkung

79.      Mit seiner zweiten Frage möchte der Court of Appeal wissen, ob ein Mitgliedstaat unter den besonderen Umständen dieser Rechtssache daran gehindert ist, geltend zu machen, dass eine Richtlinie Privatpersonen keine Verpflichtungen auferlegen kann, wenn sie unrichtig umgesetzt worden ist. Grund für die Vorlage dieser Frage ist hauptsächlich die von der USDAW und Frau Wilson vertretene Ansicht, wonach sich ein Mitgliedstaat in Verfahren gegen insolvente Arbeitgeber des Privatsektors nicht auf seine eigene unvollständige Umsetzung der Richtlinie 98/59 berufen könne, wenn er selbst gewärtigen müsse, dass Folgeansprüche nach den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2008/94 gegen ihn geltend gemacht würden. Mit anderen Worten: Das Vorbringen ist also offenbar so zu verstehen, dass die Richtlinie 2008/94 auf irgendeine Art und Weise die horizontale Natur der Verfahren nach der Richtlinie 98/59 in eine vertikale verwandeln soll.

80.      Aus diesem Blickwinkel ist die Vorlagefrage interessant. Um jedoch die Verpflichtungen aus der Richtlinie 2008/94 auszulösen, muss eine in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Geldforderung (wie z. B. eine Entlassungsentschädigung) wegen der Insolvenz des Arbeitgebers unbezahlt geblieben sein. Sollte der Gerichtshof entscheiden, dass das Vereinigte Königreich die Ziffer-ii-Methode nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat (sofern die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts außer Betracht bleibt, die – worauf das vorlegende Gericht ausdrücklich hinweist – nicht Gegenstand der Vorlagefrage ist), würde der Anspruch auf eine Entlassungsentschädigung voraussetzen, dass diese Richtlinie unmittelbare horizontale Wirkung gegenüber Arbeitgebern des Privatsektors – solventen wie insolventen – entfaltet. Mangels einer solchen horizontalen Wirkung hätte die von der USDAW und Frau Wilson vertretene Auffassung die absurde Folge, dass Arbeitnehmer, die von einer Massenentlassung betroffen sind, die ein insolventer Arbeitgeber vorgenommen hat, mehr Rechte hätten als Arbeitnehmer, die von einer Massenentlassung betroffen sind, die ein solventer Arbeitgeber vorgenommen hat – eine Vorstellung, der nicht gefolgt werden kann. Jedenfalls ist nicht geltend gemacht worden, dass die Richtlinie 98/59 horizontale Wirkung entfaltet, und ich kann auch nicht erkennen, auf welche Weise dies möglich wäre. Unter diesen Umständen geht die von der USDAW und Frau Wilson vorgebrachte Argumentation ins Leere.

81.      Wie dem auch sei, da ich nicht der Ansicht bin, dass das Vereinigte Königreich die Richtlinie 98/59 nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, schlage ich dem Gerichtshof vor, diese Frage nicht zu beantworten.

IV – Ergebnis

82.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen der Industrial Tribunals (Nordirland) (Vereinigtes Königreich) in der Rechtssache C‑182/13, die Vorlagefrage 4 des Juzgado de lo Social No 33 de Barcelona (Spanien) in der Rechtssache C‑392/13 und die Vorlagefragen des Court of Appeal (England & Wales) (Vereinigtes Königreich) in der Rechtssache C‑80/14 wie folgt zu beantworten:

–        Der Begriff des „Betriebs“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen hat die gleiche Bedeutung wie in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i dieser Richtlinie. Er bezeichnet die Einheit, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgabe angehören; diese Einheit zu bestimmen, ist Sache des vorlegenden Gerichts. Die Mitgliedstaaten sind deswegen nicht daran gehindert, auf der Grundlage dieses Begriffs Umsetzungsvorschriften zu erlassen, die, ohne das Mindestschutzniveau zu senken, für Arbeitnehmer günstiger sind. Es ist Sache des nationalen Gerichts, sich zu vergewissern, dass dies der Fall ist.

In der Rechtssache C‑392/13 schlage ich dem Gerichtshof folgende Antworten auf die Fragen 1, 2 und 3 vor:

–        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 steht einer Vorschrift des nationalen Rechts wie Art. 51 Abs. 1 der Ley del Estatuto de los Trabajadores vom 29. März 1995 entgegen, wonach mindestens fünf Entlassungen aus anderen als wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder produktionsbedingten Gründen ohne Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer erfolgen müssen, damit solche Entlassungen für die Feststellung, ob Massenentlassungen vorgenommen wurden, berücksichtigt werden können.

–        Bei richtiger Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/59 sind alle Massenentlassungen im Rahmen von Verträgen, die für eine bestimmte Zeit oder Tätigkeit geschlossen worden sind, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen, es sei denn, dass diese Entlassungen vor Ablauf oder Erfüllung dieser Verträge erfolgen. Es ist unerheblich, ob die Gründe für die Beendigung solcher Verträge gleich sind. Die Mitgliedstaaten sind deswegen nicht daran gehindert, Vorschriften zu erlassen, die, ohne das Mindestschutzniveau zu senken, für Arbeitnehmer günstiger sind.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Das Ganze verkompliziert sich noch dadurch, dass dieser Begriff sowohl in Ziff. i als auch in Ziff. ii dieser Vorschrift verwendet wird. In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich daher diesen Begriff durchgehend als den „streitigen Begriff“ bezeichnen, jedoch, wo es angezeigt ist, angeben, wenn sich meine Erwägungen speziell auf eine dieser Ziffern beziehen.


3 – Richtlinie des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. L 225, S. 16).


4 – Siehe Urteile Rockfon (C‑449/93, EU:C:1995:420, Rn. 32) und Athinaïki Chartopoiïa (C‑270/05, EU:C:2007:101, Rn. 25).


5 – Richtlinie des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. L 48, S. 29).


6 – Richtlinie des Rates vom 24. Juni 1992 zur Änderung der Richtlinie 75/129/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. L 245, S. 3).


7 – BOE Nr. 75 vom 29. März 1995, S. 9654, mit späteren Änderungen.


8 –      In Art. 49 Abs. 1 Buchst. c der ET („Vertragsbeendigung“) heißt es: „Der Arbeitsvertrag endet … mit Ablauf der vereinbarten Dauer oder Erbringung der vertraglich vereinbarten Werk- oder Dienstleistung …“


9 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (kodifizierte Fassung) (ABl. L 283, S. 36).


10 – Vgl. u. a. Urteil Gruslin (C‑88/13, EU:C:2014:2205, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).


11 – Siehe hierzu Urteil Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:2088, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).


12 – Vgl. Urteil Rodríguez Mayor u. a. (C‑323/08, EU:C:2009:770, Rn. 21 bis 28).


13 – EU:C:1995:420.


14 – EU:C:2007:101.


15 – Vgl. Art. 1 der Richtlinie 75/129.


16 –      [Betrifft nicht die deutsche Fassung der Schlussanträge.]


17 – Genauer gesagt umfasst die erste Methode, die in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 98/59 vorgesehen ist (im Folgenden: Ziffer-i-Methode), drei Alternativen, die jeweils in Abhängigkeit von der Gesamtzahl der Arbeitnehmer in dem betreffenden Betrieb einschlägig sind. Bei ihr kommt es auf die Zahl der richtlinienrelevanten Entlassungen über einen kürzeren Zeitraum (30 Tage) – ausgedrückt als ein Bruchteil oder eine absolute Zahl – im Vergleich zur Gesamtzahl der Arbeitnehmer an. Im Gegensatz dazu ist die zweite Methode, die in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii (im Folgenden: Ziffer-ii-Methode) – zumindest auf den ersten Blick – erheblich einfacher. Sie erfordert die auf einen längeren Zeitraum (90 Tage) bezogene Feststellung, dass die richtlinienrelevanten Entlassungen in einem bestimmten Betrieb eine absolute Zahl (19) übersteigen, ohne dass es auf die Gesamtzahl der dortigen Arbeitnehmer ankäme.


18 – Siehe oben, Fn. 4.


19 – Vgl. die Interinstitutionelle Vereinbarung vom 22. Dezember 1998 über Gemeinsame Leitlinien für die redaktionelle Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften (ABl. 1999, C 73, S. 1), Nr. 6.


20 – Urteil Kommission/Portugal (C‑55/02, EU:C:2004:605, Rn. 47).


21 – Vgl. Urteil Confédération générale du travail u. a. (C‑385/05, EU:C:2007:37, Rn. 44). Vgl. auch in Bezug auf die Richtlinie 75/129 Urteil Rockfon (EU:C:1995:420, Rn. 29).


22 – Vgl. u. a. Urteil Athinaïki Chartopoïïa (EU:C:2007:101, Rn. 26).


23 – In der Rechtssache Rockfon (EU:C:1995:420) gehörte das gleichnamige Unternehmen zur Rockwell-Gruppe mit mehr als 300 Arbeitnehmern und einer gemeinsamen Personalabteilung. Die Rockfon A/S hatte 162 Beschäftigte, von denen 24 oder 25 entlassen wurden. In der Rechtssache Athinaïki Chartopoiïa (EU:C:2007:101) beschloss der Verwaltungsrat der Athinaïki Chartopoiïa AE eine von drei Produktionseinheiten mit 420 Arbeitnehmern zu schließen.


24 – Vgl. hierzu Urteil Rockfon (EU:C:1995:420, Rn. 30).


25 – Vgl. insbesondere Urteile Rockfon (EU:C:1995:420, Rn. 30) und Athinaïki Chartopoiïa (EU:C:2007:101, Rn. 28).


26 – In diesem Erwägungsgrund heißt es: „Es sollte sichergestellt werden, dass die Informations-, Konsultations- und Meldepflichten des Arbeitgebers unabhängig davon gelten, ob die Entscheidung über die Massenentlassungen von dem Arbeitgeber oder von einem den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen getroffen wird.“


27 – Im Fall von Ethel Austin erhielten von 1 700 Arbeitnehmern 490 eine Entlassungsentschädigung (was heißt, dass etwas mehr als 71 % sie nicht bekamen). Im Fall von Woolworths hingegen hatten, wie in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde, von mindestens 27 000 entlassenen Arbeitnehmern 3 233 keinen Anspruch auf eine Entlassungsentschädigung (weniger als 12 %; vgl. Abschnitte 30 und 31 des Urteils des EAT, Aktenzeichen No UKEAT/0547/12/KN and No UKEAT/0548/12/KN). Was Bluebird betrifft, haben ausweislich des Vorlagebeschlusses von 105 in Nordirland entlassenen Arbeitnehmern offenbar 19 keine Entlassungsentschädigung erhalten (knapp über 18 %).


28 – Vgl. Urteil Athinaïki Chartopoiïa (EU:C:2007:101, Rn. 28).


29 – Urteile Rockfon (EU:C:1995:420, Rn. 32) und Athinaïki Chartopoiïa (EU:C:2007:101, Rn. 25).


30 – Vgl. Urteil Confédération générale du travail u. a. (EU:C:2007:37, Rn. 43) und in diesem Sinne Urteil Kommission/Portugal (EU:C:2004:605, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung). Blanpain, R., bemerkt in Labour Law and Industrial Relations of the European Community, Kluwer, Deventer: 1991, S. 153 bis 154 – unter Bezugnahme auf einen speziellen Beispielfall – die Richtlinie 75/129 sei erlassen worden, um europaweit tätige Unternehmen daran zu hindern, Überlegungen dahin anzustellen, wo (d. h. in welchem Mitgliedstaat) die Kosten im Zusammenhang mit der Entlassung von Arbeitnehmern am niedrigsten wären.


31 – Ich beziehe mich insbesondere auf die Erwägungsgründe 2 bis 4 und 6 der Richtlinie 98/59: „… Unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Gemeinschaft ist es wichtig, den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu verstärken … Trotz einer konvergierenden Entwicklung bestehen weiterhin Unterschiede zwischen den in den Mitgliedstaaten geltenden Bestimmungen hinsichtlich der Voraussetzungen und des Verfahrens für Massenentlassungen sowie hinsichtlich der Maßnahmen, die die Folgen dieser Entlassungen für die Arbeitnehmer mildern könnten … Diese Unterschiede können sich auf das Funktionieren des Binnenmarktes unmittelbar auswirken … Die Verwirklichung des Binnenmarktes muss zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft führen …“ Vgl. auch Urteil Nolan (C‑583/10, EU:C:2012:638, Rn. 37 bis 40).


32 – So die Fassungen in Englisch, Französisch, Italienisch, Niederländisch und Spanisch.


33 – So die Fassungen in Dänisch, Deutsch, Finnisch, Kroatisch, Schwedisch und Ungarisch.


34 – Urteil Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a. (C‑44/08, EU:C:2009:533, Rn. 57 und 58).


35 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft (ABl. L 80, S. 29).


36 – Richtlinie des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. L 82, S. 16).


37 – KOM(72) 1400; vgl. z. B. den Entwurf von Art. 4.


38 – ABl. 1973, C 100, S. 11, S. 14.


39 – Vgl. Urteil Rockfon (EU:C:1995:420, Rn. 33). Diese Änderung, die nicht in allen Fassungen in den damaligen Amtssprachen erfolgte, fand offenbar zwischen der Anhörung des Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses statt.


40 – Schlussanträge des Generalanwalts Cosmas in der Rechtssache Rockfon (C‑449/93, EU:C:1995:242, Nr. 32). Hervorhebung nur hier.


41 – Vgl. hierzu das Protokoll der 2115. Tagung des Rates (AGRI) am 20. Juli 1998 in Brüssel (Nrn. C/98/254 und 10395/98), Abschnitt IX, in dem es heißt: „Ziel ist eine einfache Kodifizierung (bzw. ‚amtliche Kodifizierung‘ im Sinne der [Nr. 1 der] Interinstitutionellen Vereinbarung vom 20. Dezember 1994 [über ein beschleunigtes Arbeitsverfahren für die amtliche Kodifizierung von Rechtstexten; ABl. 1996, C 102, S. 2]) ohne inhaltliche Änderungen.“


42 – Vgl. Rubinstein, M., „Highlights: April 2007“, 2007 Industrial Relations Law Reports, S. 225 ff., und Barnard, C., EU Employment Law, Oxford University Press, Oxford, 4. Aufl., 2012, S. 632 und 633.


43 – Vgl. insbesondere Rubinstein, M., „Highlights: March 1996“, 1996 Industrial Relations Law Reports, S. 113 ff.


44 – Art. 5 der Richtlinie 98/59 lautet: „Diese Richtlinie lässt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder für die Arbeitnehmer günstigere tarifvertragliche Vereinbarungen zuzulassen oder zu fördern.“


45 – Vgl. Urteil Athinaïki Chartopoiïa (EU:C:2007:101, Rn. 27 und 28).


46 – Vgl. Urteil Schulz und Egbringhoff (C‑359/11 und C‑400/11, EU:C:2014:2317, Rn. 57 ff).


47 – Vgl. Urteil Rodríguez Mayor u. a. (EU:C:2009:770, Rn. 22 bis 24). Spanien hat es in Art. 51 Abs. 1 Unterabs. 4 auch als Massenentlassung gewertet, wenn die Beendigung der Arbeitsverträge aus wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder produktionsbedingten Gründen infolge einer völligen Aufgabe der Geschäftstätigkeit die gesamte Belegschaft eines Unternehmens erfasst, auch wenn die Schwellenwerte nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 nicht erreicht werden, sofern mehr als fünf Arbeitnehmer betroffen sind.


48 – Urteil Agorastoudis u. a. (C‑187/05 bis C‑190/05, EU:C:2006:535, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).


49 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Rodríguez Mayor u. a. (EU:C:2009:770, Rn. 34).


50 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Italien (91/81, EU:C:1982:212, Rn. 8 bis 10).


51 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Confédération générale du travail u. a. (EU:C:2007:37, Rn. 47).


52 – Vgl. Urteil Kommission/Portugal (EU:C:2004:605, Rn. 66 und Tenor). Vgl. auch Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑383/92, EU:C:1994:234, Rn. 29 bis 32).


53 – EU:C:2009:770. In dieser Rechtssache ging es u. a. um eine Vorlagefrage, die der hier zu prüfenden erstaunlich ähnlich war.


54 – Ebd., Rn. 52.


55 – Vgl. Urteil Kommission/Portugal (EU:C:2004:605, Rn. 56). Zu Entlassungen durch Gleichstellungen kommt es u. a., wenn dem Arbeitnehmer ein Anreiz zur Zustimmung, z. B. durch eine finanzielle Vergünstigung als Gegenleistung, geboten wird; vgl. Nrn. 46 und 47 der Schlussanträge des damaligen Generalanwalts Tizzano in der gleichen Rechtssache (EU:C:2004:139). So können sich Arbeitnehmer z. B. auf Veranlassung des Arbeitgebers bereit erklären, freiwillig in den Vorruhestand zu gehen, ohne dass ihnen dies als eigene Entscheidung zuzurechnen ist; vgl. Barnard, C., a. a. O., S. 631.


56 – Vgl. Urteil Nolan (EU:C:2012:638, Rn. 42 und 43).