Language of document : ECLI:EU:C:2017:833

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

9. November 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 97/81/EG – Rahmenvereinbarung von UNICE, CEEP und EGB über Teilzeitarbeit – Paragraf 4 – Männliche und weibliche Arbeitnehmer – Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit – Richtlinie 79/7/EWG – Art. 4 – Teilzeitbeschäftigter mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung – Leistung bei Arbeitslosigkeit – Nationale Regelung, nach der zur Festlegung der Bezugsdauer der Leistung die Tage, an denen nicht gearbeitet wurde, von den Beitragszeiten ausgeschlossen werden“

In der Rechtssache C‑98/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Social n° 33 de Barcelona (Arbeitsgericht Nr. 33 Barcelona, Spanien) mit Entscheidung vom 6. Februar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Februar 2015, in dem Verfahren

María Begoña Espadas Recio

gegen

Servicio Público de Empleo Estatal (SPEE)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters F. Biltgen (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano sowie der Richter E. Levits und A. Borg Barthet und der Richterin M. Berger,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juni 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau Espadas Recio, vertreten durch A. Calvo Calmache, abogado,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch A. Gavela Llopis, V. Ester Casas, L. Banciella Rodríguez-Miñón und A. Rubio González als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Pardo Quintillán, A. Szmytkowska und M. van Beek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. März 2017

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft zum einen die Auslegung von Paragraf 4 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (im Folgenden: Rahmenvereinbarung) im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinigung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9) und zum anderen die Auslegung von Art. 4 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24).

2        Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau María Begoña Espadas Recio und dem Servicio Público de Empleo Estatal (SPEE) (Staatlicher Beschäftigungsdienst) über die Bestimmung der Grundlage für die Berechnung der Bezugsdauer von Leistungen bei Arbeitslosigkeit für Teilzeitbeschäftigte mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Der vierte Erwägungsgrund der Rahmenvereinbarung lautet wie folgt:

„Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Essen betonen nachdrücklich die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung und Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern und fordern Maßnahmen zur ‚Steigerung der Beschäftigungsintensität des Wachstums, insbesondere durch eine flexiblere Organisation der Arbeit, die sowohl den Wünschen der Arbeitnehmer als auch den Erfordernissen des Wettbewerbs gerecht wird‘.“

4        Gemäß Paragraf 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung soll diese „die Beseitigung von Diskriminierungen von Teilzeitbeschäftigten sicherstellen und die Qualität der Teilzeitarbeit verbessern“.

5        Nach Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung gilt diese „für Teilzeitbeschäftigte, die nach den Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Arbeitsverhältnis stehen“.

6        Nach Paragraf 3 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung ist ein „Teilzeitbeschäftigter“ ein Arbeitnehmer, dessen normale, auf Wochenbasis oder als Durchschnitt eines bis zu einem Jahr reichenden Beschäftigungszeitraums berechnete Arbeitszeit unter der eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten liegt.

7        Paragraf 4 Nrn. 1 und 2 der Rahmenvereinbarung lautet wie folgt:

„1.      Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt.

2.      Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz.“

8        Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung sieht vor:

„Im Rahmen des Paragrafen 1 dieser Vereinbarung und im Einklang mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten …

a)      sollten die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten Hindernisse rechtlicher oder verwaltungstechnischer Natur, die die Teilzeitarbeitsmöglichkeiten beschränken können, identifizieren und prüfen und sie gegebenenfalls beseitigen“.

9        Nach Art. 2 der Richtlinie 79/7 findet diese u. a. auf Arbeitnehmer Anwendung, deren Erwerbstätigkeit durch unverschuldete Arbeitslosigkeit unterbrochen ist.

10      Gemäß Art. 3 der Richtlinie findet diese Anwendung auf die gesetzlichen Systeme, die Schutz gegen Arbeitslosigkeit bieten.

11      Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im Besonderen betreffend:

–        den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,

–        die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge,

–        die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen.“

 Spanisches Recht

12      Die Art. 203 bis 234 der Ley General de la Seguridad Social (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) in ihrer durch das Real Decreto Legislativo 1/1994 (Königliche Gesetzesverordnung Nr. 1/1994) vom 20. Juni 1994 gebilligten Fassung (BOE Nr. 154 vom 29. Juni 1994, S. 20658) (im Folgenden: LGSS) regeln den Arbeitslosenschutz.

13      Gemäß Art. 204 Abs. 1 LGSS umfasst der Schutz bei Arbeitslosigkeit eine beitragsbezogene Ebene und eine Unterstützungsebene, die beide öffentlichen und verpflichtenden Charakter haben. Das Ausgangsverfahren bezieht sich auf die beitragsbezogene Ebene.

14      Nach Art. 204 Abs. 2 LGSS soll die beitragsbezogene Ebene „Ersatzleistungen für Einkünfte aus Erwerbstätigkeit gewähren, die infolge des Verlusts einer früheren Arbeitsstelle oder infolge einer Herabsetzung der Arbeitszeit nicht mehr bezogen werden“.

15      Bezüglich der Bezugsdauer von Leistungen bei Arbeitslosigkeit in ihrer beitragsbezogenen Ausprägung sieht Art. 210 Abs. 1 LGSS vor:

„Die Bezugsdauer der Leistung bei Arbeitslosigkeit richtet sich nach den Zeiten beitragspflichtiger Beschäftigung in den letzten sechs Jahren vor Eintritt der Arbeitslosigkeit im Sinne des Gesetzes oder vor dem Zeitpunkt des Endes der Beitragspflicht, gemäß folgender Abstufung:

Beitragszeit (in Tagen)/Bezugsdauer der Leistung (in Tagen)

Von 360 bis 539: 120

Von 540 bis 719: 180

Von 720 bis 899: 240

Von 900 bis 1 079: 300

Von 1 080 bis 1 259: 360

Von 1 260 bis 1 439: 420

Von 1 440 bis 1 619: 480

Von 1 620 bis 1 799: 540

Von 1 800 bis 1 979: 600

Von 1 980 bis 2 159: 660

Ab 2 160: 720“.

16      In Bezug auf Teilzeitbeschäftigte wurden durch das Real Decreto 625/1985 por el que se desarrolla la Ley 31/1984, de 2 de agosto, de Protección por Desempleo (Königlicher Erlass 625/1985 zur Anwendung des Gesetzes Nr. 31/1984 vom 2. August über den Schutz bei Arbeitslosigkeit) vom 2. April 1985 (BOE Nr. 109 vom 7. Mai 1985, S. 12699, im Folgenden: RD 625/1985) Vorschriften mit Verordnungscharakter erlassen.

17      Art. 3 Abs. 4 RD 625/1985 bestimmt: „Entsprechen die nachgewiesenen Beitragsleistungen einer Teilzeitbeschäftigung oder im Falle einer Verringerung der Arbeitszeit einer tatsächlichen Arbeitsleistung, wird jeder Arbeitstag als ein Beitragstag berücksichtigt, unabhängig von der Dauer des Arbeitstags.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

18      Frau Espadas Recio arbeitete vom 23. Dezember 1999 bis zum 29. Juli 2013 ununterbrochen als Reinigungskraft in Teilzeit. Ihre Arbeitszeit war folgendermaßen eingeteilt: jede Woche montags, mittwochs und donnerstags jeweils zweieinhalb Stunden und am ersten Freitag jedes Monats vier Stunden.

19      Nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses beantragte Frau Espadas Recio Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Mit Entscheidung des SPEE vom 30. September 2013 wurden ihr diese Leistungen für einen Zeitraum von 120 Tagen zuerkannt.

20      Da sie ihrer Ansicht nach Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit für einen Zeitraum von 720 Tagen und nicht nur von 120 Tagen hatte, legte Frau Espadas Recio gegen diese Entscheidung Widerspruch ein.

21      Mit Entscheidung vom 9. Dezember 2013 erkannte der SPEE Frau Espadas Recio Leistungen bei Arbeitslosigkeit für 420 Bezugstage zu. Bei der Entscheidung für diesen Zeitraum von 420 Tagen ging der SPEE unter Anwendung von Art. 210 LGSS in Verbindung mit Art. 3 Abs. 4 RD 625/1985 davon aus, dass, wenn sich bei Teilzeitarbeit die Bezugsdauer von Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach der Anzahl der Beitragstage in den vorangegangenen sechs Jahren richte, nur die Tage zu berücksichtigen seien, an denen tatsächlich gearbeitet worden sei, hier 1 387, und nicht die sechs Beitragsjahre insgesamt.

22      Da sie ihrer Ansicht nach Beiträge für die gesamten vorangegangenen sechs Jahre gezahlt hatte, erhob Frau Espadas Recio zur Anfechtung der einzelnen vom SPEE ausgestellten Abrechnungen Klage beim Juzgado de lo Social n° 33 de Barcelona (Arbeitsgericht Nr. 33 Barcelona, Spanien).

23      Die Klage von Frau Espadas Recio betrifft die ihr vom SPEE zuerkannte Bezugsdauer von Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Ihrer Ansicht nach hat sie, da sie während eines Zeitraums von sechs aufeinanderfolgenden Jahren gearbeitet habe und für 30 bzw. 31 Tage pro Monat (d. h. für insgesamt 2 160 Tage) Beiträge geleistet habe, Anspruch auf eine Leistung bei Arbeitslosigkeit für eine Dauer von 720 Tagen anstatt der ihr zuerkannten 420 Tage, d. h. drei Fünftel der Höchstdauer. Die Tage, an denen sie nicht gearbeitet habe, bei der Berechnung ihrer Leistung bei Arbeitslosigkeit außer Acht zu lassen, führe zu einer Ungleichbehandlung zum Nachteil von Teilzeitbeschäftigten mit „vertikaler“ Arbeitszeitvereinbarung. Die Teilzeitarbeit wird als „vertikal“ bezeichnet, wenn die betreffende Person ihre Arbeitsstunden auf einige Werktage konzentriert, und als „horizontal“, wenn die betreffende Person an allen Werktagen arbeitet. Vorliegend konzentrierte Frau Espadas Recio ihre Arbeitszeit im Wesentlichen auf drei Tage pro Woche.

24      Das vorlegende Gericht hebt hervor, dass die Betroffene nachgewiesen habe, dass sie während der gesamten sechs Jahre vor Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses Beiträge geleistet habe, und dass diese monatlichen Beiträge auf der Grundlage des insgesamt im Laufe eines Monats bezogenen Gehalts berechnet worden seien (entweder 30 oder 31 Tage) und nicht auf der Grundlage der gearbeiteten Stunden oder Tage. Das vorlegende Gericht stellt gleichwohl fest, dass nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschrift im Fall eines Teilzeitbeschäftigten mit „vertikaler“ Arbeitszeitvereinbarung wie der Klägerin nur die Tage berücksichtigt werden dürften, an denen gearbeitet worden sei, und nicht der gesamte Beitragszeitraum von sechs Jahren. Daher würden die Pflichtbeitragstage bei der Bestimmung der Bezugsdauer von Leistungen bei Arbeitslosigkeit nicht in ihrer Gesamtheit berücksichtigt.

25      Dem vorlegenden Gericht zufolge wird diese Gruppe von Arbeitnehmern in Wirklichkeit doppelt bestraft, da der Pro-rata-temporis-Grundsatz im Fall der vertikalen Teilzeitarbeit zweimal zur Anwendung komme. Zum einen führe das aufgrund der Teilzeitarbeit geringere Monatsgehalt zu einer proportional niedrigeren Leistung bei Arbeitslosigkeit, und zum anderen sei die Bezugsdauer verkürzt, weil nur die Tage mit tatsächlicher Arbeitsleistung in die Berechnung einbezogen würden, obwohl die Beitragsdauer länger sei.

26      Umgekehrt würde den anderen Arbeitnehmern, unabhängig davon, ob sie eine Teilzeitbeschäftigung in horizontaler Ausprägung (d. h. Arbeit an allen Werktagen) oder eine Vollzeitbeschäftigung (unabhängig von der Aufteilung der Arbeitsstunden im Laufe einer Woche) ausübten, eine Leistung bei Arbeitslosigkeit für eine auf der Grundlage der gesamten Beitragstage berechnete Bezugsdauer zuerkannt.

27      Es sei zudem erwiesen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung einen weitaus größeren Anteil von Frauen als von Männern betrifft.

28      Unter diesen Umständen hat der Juzgado de lo Social n° 33 de Barcelona (Arbeitsgericht Barcelona Nr. 33) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist nach der auf das Urteil des Gerichtshofs vom 10. Juni 2010, Bruno u. a. (C‑395/08 und C‑396/08, EU:C:2010:329), zurückgehenden Rechtsprechung Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen, dass er auf eine beitragsbezogene Leistung bei Arbeitslosigkeit wie die ausschließlich durch Beiträge des Arbeitnehmers und der Unternehmen, bei denen er beschäftigt war, finanzierte Leistung anzuwenden ist, die nach Art. 210 LGSS nach Maßgabe der Zeiten beitragspflichtiger Beschäftigung in den letzten sechs Jahren vor dem Eintritt der Arbeitslosigkeit im Sinne des Gesetzes gewährt wird?

2.      Falls dies bejaht wird, ist dann nach der auf das Urteil vom 10. Juni 2010, Bruno u. a. (C‑395/08 und C‑396/08, EU:C:2010:329), zurückgehenden Rechtsprechung Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung in dem Sinne auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die wie Art. 3 Abs. 4 RD 625/1985, auf den Regel 4 des Abs. 1 der Siebten Zusatzbestimmung des LGSS verweist, in den Fällen „vertikaler“ Teilzeitarbeit (Arbeitsleistung an nur drei Tagen pro Woche) bei der Berechnung der Bezugsdauer der Leistung bei Arbeitslosigkeit die Tage nicht einbezieht, an denen nicht gearbeitet wurde, obwohl für diese Tage Beiträge entrichtet wurden, mit der Folge einer entsprechenden Verringerung der Bezugsdauer der zuerkannten Leistung?

3.      Ist das in Art. 4 der Richtlinie 79/7 enthaltene Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in dem Sinne auszulegen, dass es einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die wie Art. 3 Abs. 4 RD 625/1985 in den Fällen „vertikaler“ Teilzeitarbeit (Arbeitsleistung an nur drei Tagen pro Woche) bei der Berechnung der Beitragszeiten Tage, an denen nicht gearbeitet wurde, nicht einbezieht, mit der Folge einer entsprechenden Verringerung der Bezugsdauer der zuerkannten Leistung?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

29      Mit der ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung auf eine beitragsbezogene Leistung bei Arbeitslosigkeit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende anzuwenden ist.

30      In dieser Hinsicht verbietet Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, Teilzeitbeschäftigte hinsichtlich ihrer Beschäftigungsbedingungen gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nur deswegen schlechter zu behandeln, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt (Urteil vom 13. Juli 2017, Kleinsteuber, C‑354/16, EU:C:2017:539, Rn. 25).

31      Im Übrigen hat der Gerichtshof zum einen entschieden, dass sich aus der Präambel der Rahmenvereinbarung ergibt, dass diese „sich auf die Beschäftigungsbedingungen von Teilzeitbeschäftigten [erstreckt] und [an]erkennt …, dass Fragen der gesetzlichen Regelung der sozialen Sicherheit der Entscheidung der Mitgliedstaaten unterliegen“ (Urteil vom 14. April 2015, Cachaldora Fernández, C‑527/13, EU:C:2015:215, Rn. 36).

32      Zum anderen hat er festgestellt, dass Versorgungsbezüge unter den Begriff der „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne der Rahmenvereinbarung fallen, wenn sie von einem Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber abhängen, ausgenommen Versorgungsbezüge aus einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit, die weniger von einem Beschäftigungsverhältnis abhängen, sondern vielmehr durch sozialpolitische Erwägungen bestimmt werden (Urteile vom 22. November 2012, Elbal Moreno, C‑385/11, EU:C:2012:746, Rn. 21, und vom 14. April 2015, Cachaldora Fernández, C‑527/13, EU:C:2015:215, Rn. 37).

33      Vorliegend geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Leistung zwar ausschließlich aus den von Arbeitnehmer und Arbeitgeber gezahlten Beiträgen finanziert wird, dass diese Beiträge jedoch aufgrund nationaler Rechtsvorschriften entrichtet werden und daher keinem Arbeitsvertrag zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber unterliegen. Wie die Generalanwältin in Nr. 38 ihrer Schlussanträge hervorgehoben hat, entspricht eine solche Regelung eher einem öffentlichen Sozialversicherungssystem im Sinne der in Rn. 32 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung. Diese Beiträge können mithin nicht unter den Begriff „Beschäftigungsbedingungen“ fallen.

34      Somit ist auf die erste Frage zu antworten, dass Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung nicht auf eine beitragsbezogene Leistung bei Arbeitslosigkeit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende anzuwenden ist.

 Zur zweiten Frage

35      Angesichts der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

 Zur dritten Frage

36      Mit seiner dritten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die in Fällen von Teilzeitarbeit mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung bei der Berechnung der Tage, für die Beiträge geleistet wurden, die Tage, an denen nicht gearbeitet wurde, nicht einbezieht und so die Bezugsdauer der Leistung bei Arbeitslosigkeit verkürzt, wenn festgestellt wird, dass die Mehrheit der Beschäftigten mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung weiblich ist und von diesen nationalen Maßnahmen nachteilig betroffen ist.

37      Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass zwar feststeht, dass das Unionsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt und dass in Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene das Recht jedes Mitgliedstaats bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Leistungen der sozialen Sicherheit gewährt werden; gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht beachten (Urteile vom 16. Mai 2006, Watts, C‑372/04, EU:C:2006:325, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 5. November 2014, Somova, C‑103/13, EU:C:2014:2334, Rn. 33 bis 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Was die Frage betrifft, ob eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine mittelbare Diskriminierung von Frauen enthält, wie das vorlegende Gericht nahelegt, so liegt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn eine nationale Maßnahme zwar neutral formuliert ist, in ihrer Anwendung aber wesentlich mehr Frauen als Männer benachteiligt (Urteile vom 20. Oktober 2011, Brachner, C‑123/10, EU:C:2011:675, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 22. November 2012, Elbal Moreno, C‑385/11, EU:C:2012:746, Rn. 29).

39      Im vorliegenden Fall betrifft die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten, die sich den Feststellungen des vorlegenden Gerichts zufolge ganz überwiegend aus Arbeitnehmerinnen zusammensetzt. Auf die Vorlagefrage ist daher auf der Grundlage dieser Feststellungen zu antworten.

40      Insoweit ist klarzustellen, dass sich das Ausgangsverfahren von der Rechtssache unterscheidet, in der das Urteil vom 14. April 2015, Cachaldora Fernández (C‑527/13, EU:C:2015:215), ergangen ist, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass die in Rede stehende Regelung zur Bestimmung der Berechnungsgrundlage einer Rente wegen dauerhafter vollständiger Berufsunfähigkeit keine Diskriminierung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 enthält. In diesem Urteil hat der Gerichtshof nämlich zum einen festgestellt, dass er nicht über unwiderlegbare statistische Informationen hinsichtlich der Anzahl der Teilzeitbeschäftigten mit Bezugslücke oder in Bezug auf den Nachweis, dass sich diese Gruppe von Arbeitnehmern hauptsächlich aus Frauen zusammensetzte, verfügte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. April 2015, Cachaldora Fernández, C‑527/13, EU:C:2015:215, Rn. 30), und zum anderen, dass die in Rede stehende Regelung zufällige Auswirkungen hatte, weil bestimmte Teilzeitbeschäftigte, die also zu der von der Maßnahme angeblich benachteiligten Gruppe gehörten, durch die Anwendung dieser gleichen Maßnahme sogar bevorzugt werden konnten.

41      Abgesehen davon, dass die von dem vorlegenden Gericht beigebrachten statistischen Daten unstreitig sind, geht aber im vorliegenden Fall aus den dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Akten eindeutig hervor, dass die unter die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung fallenden Teilzeitbeschäftigten mit „vertikaler“ Arbeitszeitvereinbarung allesamt nachteilig von dieser Regelung betroffen sind, weil diese Regelung dazu führt, dass die ihnen zustehende Bezugsdauer einer Leistung für Arbeitslosigkeit kürzer ist als die Bezugsdauer, die Teilzeitbeschäftigten mit horizontaler Arbeitszeitvereinbarung zuerkannt wird. Im Übrigen ist erwiesen, dass kein zu dieser Gruppe gehörender Arbeitnehmer einen Vorteil aus der Anwendung einer solchen Maßnahme ziehen kann.

42      Darüber hinaus hat das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die statistischen Daten zur Teilzeitarbeit alle Teilzeitbeschäftigten gleichermaßen umfassen, unabhängig davon, ob ihre Arbeitszeit horizontal oder vertikal eingeteilt ist. So sind dem vorlegenden Gericht zufolge zwar 70 % bis 80 % der Teilzeitbeschäftigten mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung weiblich. Dasselbe Verhältnis findet sich aber auch bei den Teilzeitbeschäftigten mit horizontaler Arbeitszeitvereinbarung. Aus diesen Informationen lässt sich folgern, dass von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung eine viel größere Anzahl Frauen als Männer nachteilig betroffen ist.

43      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine Ungleichbehandlung zum Nachteil von Frauen im Sinne der in Rn. 38 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung darstellt.

44      Eine solche Regelung verstößt gegen Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7, es sei denn, dass sie durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Dies ist der Fall, wenn die gewählten Mittel einem legitimen Ziel der Sozialpolitik dienen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. November 2012, Elbal Moreno, C‑385/11, EU:C:2012:746, Rn. 32).

45      Zwar enthält das Vorabentscheidungsersuchen im vorliegenden Fall keine Hinweise auf das von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung verfolgte Ziel, doch hat das Königreich Spanien in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass der Grundsatz des „Beitrags zum Sozialversicherungssystem“ das Vorliegen der festgestellten Ungleichbehandlung rechtfertige. Da das Recht auf eine Leistung bei Arbeitslosigkeit und die Bezugsdauer dieser Leistung ausschließlich von dem Zeitraum abhängig seien, während dessen ein Arbeitnehmer gearbeitet habe oder im Sozialversicherungssystem eingeschrieben gewesen sei, sei zwecks Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur den Tagen Rechnung zu tragen, an denen der Betreffende tatsächlich gearbeitet habe.

46      Auch wenn die Prüfung, ob dieses Ziel tatsächlich das vom nationalen Gesetzgeber verfolgte ist, letztlich dem nationalen Gericht obliegt, genügt in dieser Hinsicht die Feststellung, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung nicht geeignet scheint, die Wechselbeziehung zu gewährleisten, die der spanischen Regierung zufolge zwischen den vom Arbeitnehmer geleisteten Beiträgen und den Bezügen, auf die er im Rahmen einer Leistung bei Arbeitslosigkeit Anspruch hat, bestehen muss.

47      Wie die Generalanwältin nämlich in Nr. 59 ihrer Schlussanträge bemerkt hat, erhält ein Teilzeitbeschäftigter mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung, der für jeden Tag eines jeden Monats des Jahres Beiträge gezahlt hat, eine Leistung bei Arbeitslosigkeit für einen kürzeren Zeitraum als ein Vollzeitbeschäftigter, der dieselben Beiträge entrichtet hat. Für den ersten der beiden Arbeitnehmer ist die von der spanischen Regierung geltend gemachte Wechselwirkung somit offensichtlich nicht gewährleistet.

48      Wie die Generalanwältin in Nr. 58 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, könnte diese Wechselwirkung gewährleistet sein, wenn die nationalen Behörden hinsichtlich der Teilzeitbeschäftigten mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung anderen Gesichtspunkten Rechnung tragen würden, wie beispielsweise dem Zeitraum, während dessen diese Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber Beträge entrichtet haben, dem Gesamtbetrag der entrichteten Beträge oder der Summe der gearbeiteten Stunden. Den Angaben des vorlegenden Gerichts zufolge werden diese Gesichtspunkte nämlich in Bezug auf alle Arbeitnehmer berücksichtigt, deren Arbeitszeit horizontal gegliedert ist, unabhängig davon, ob sie Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigte sind.

49      Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die in Fällen von Teilzeitarbeit mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung bei der Berechnung der Tage, für die Beiträge geleistet wurden, die Tage, an denen nicht gearbeitet wurde, nicht einbezieht und so die Bezugsdauer der Leistung bei Arbeitslosigkeit verkürzt, wenn festgestellt wird, dass die Mehrheit der Beschäftigten mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung weiblich ist und von diesen nationalen Maßnahmen nachteilig betroffen ist.

 Kosten

50      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Paragraf 4 Nr. 1 der am 6. Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinigung über Teilzeitarbeit ist nicht auf eine beitragsbezogene Leistung bei Arbeitslosigkeit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende anzuwenden.

2.      Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die in Fällen von Teilzeitarbeit mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung bei der Berechnung der Tage, für die Beiträge geleistet wurden, die Tage, an denen nicht gearbeitet wurde, nicht einbezieht und so die Bezugsdauer der Leistung bei Arbeitslosigkeit verkürzt, wenn festgestellt wird, dass die Mehrheit der Beschäftigten mit vertikaler Arbeitszeitvereinbarung weiblich ist und von diesen nationalen Maßnahmen nachteilig betroffen ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Spanisch.