Language of document : ECLI:EU:C:2018:127

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

28. Februar 2018(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Europäischen Union – Richtlinie 2003/87/EG – Geltungsbereich – Art. 2 Abs. 1 – Anhang I – Emissionshandelspflichtige Tätigkeiten – Herstellung von Polymeren – Nutzung der von einer Drittanlage gelieferten Wärme – Antrag auf Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate – Handelszeitraum 2013–2020“

In der Rechtssache C‑577/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Berlin (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. November 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 16. November 2016, in dem Verfahren

Trinseo Deutschland Anlagengesellschaft mbH

gegen

Bundesrepublik Deutschland


erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter C. G. Fernlund, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev und E. Regan (Berichterstatter),

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Trinseo Deutschland Anlagengesellschaft mbH, vertreten durch die Rechtsanwälte S. Altenschmidt und P.‑A. Schütter,

–        der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch H. Barth und L. Langefeld als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, A. M. de Ree und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. C. Becker, C. Zadra und J.‑F. Brakeland als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Dezember 2017

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 und Anhang I der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. 2003, L 275, S. 32) in der durch die Richtlinie 2009/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 (ABl. 2009, L 140, S. 63) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2003/87) und des Beschlusses 2011/278/EU der Kommission vom 27. April 2011 zur Festlegung EU-weiter Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten gemäß Artikel 10a der Richtlinie 2003/87 (ABl. 2011, L 130, S. 1).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Trinseo Deutschland Anlagengesellschaft mbH (im Folgenden: Trinseo) und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Umweltbundesamt (Deutschland), wegen der Weigerung, einer Anlage zur Herstellung von Polycarbonat kostenlose Treibhausgasemissionszertifikate (im Folgenden: Emissionszertifikate) zuzuteilen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2003/87

3        In Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2003/87 heißt es:

„Mit dieser Richtlinie wird ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft (nachstehend ‚Gemeinschaftssystem‘ genannt) geschaffen, um auf kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Weise auf eine Verringerung von Treibhausgasemissionen hinzuwirken.

…“

4        Art. 2 („Geltungsbereich“) der Richtlinie bestimmt in Abs. 1:

„Diese Richtlinie gilt für die Emissionen aus den in Anhang I aufgeführten Tätigkeiten und die Emissionen der in Anhang II aufgeführten Treibhausgase.“

5        Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

b)      ‚Emissionen‘ die Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre aus Quellen in einer Anlage …;

…“


6        Unter der Überschrift „Gemeinschaftsweite Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung“ heißt es in Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie:

„Die Kommission erlässt bis zum 31. Dezember 2010 gemeinschaftsweite und vollständig harmonisierte Durchführungsmaßnahmen für die Zuteilung der … Zertifikate …“

7        Art. 11 („Nationale Umsetzungsmaßnahmen“) der Richtlinie 2003/87 sieht in Abs. 1 vor:

„Jeder Mitgliedstaat veröffentlicht und unterbreitet der Kommission bis 30. September 2011 das Verzeichnis der in seinem Hoheitsgebiet unter diese Richtlinie fallenden Anlagen und alle den einzelnen Anlagen in seinem Hoheitsgebiet kostenlos zugeteilten Zertifikate, die im Einklang mit den Vorschriften gemäß Artikel 10a Absatz 1 und Artikel 10c berechnet wurden.“

8        In Anhang I („Kategorien von Tätigkeiten, die in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen“) der Richtlinie sind u. a. hinsichtlich der Kohlendioxid(CO2)-Emissionen folgende Tätigkeiten aufgeführt:

„Verbrennung von Brennstoffen in Anlagen mit einer Gesamtfeuerungswärmeleistung von über 20 MW [(Megawatt)]

Herstellung von organischen Grundchemikalien durch Cracken, Reformieren, partielle oder vollständige Oxidation oder ähnliche Verfahren, mit einer Produktionskapazität von über 100 t [(Tonnen)] pro Tag“.

 Beschluss 2011/278

9        Im sechsten Erwägungsgrund des Beschlusses 2011/278 heißt es:

„Die Benchmarkwerte sollten alle direkten Emissionen aus der Produktion, einschließlich Emissionen aus der Erzeugung der für die Produktion genutzten messbaren Wärme, abdecken, und zwar ungeachtet, ob die messbare Wärme in der betreffenden Anlage selbst oder von einer anderen Anlage erzeugt wird. …“

10      Der 21. Erwägungsgrund des Beschlusses lautet:

„Wird messbare Wärme zwischen zwei oder mehr Anlagen ausgetauscht, so sollte die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten auf Basis des Wärmeverbrauchs einer Anlage erfolgen und dem Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen Rechnung tragen. Um sicherzustellen, dass die Anzahl kostenlos zuzuteilender Zertifikate von der Struktur der Wärmabgabe unabhängig ist, sollten die Emissionszertifikate dem Wärmeverbraucher zugeteilt werden.“

11      Art. 3 des Beschlusses sieht vor:

„Für die Zwecke dieses Beschlusses gelten die folgenden Begriffsbestimmungen:

c)      ‚Anlagenteil mit Wärme-Benchmark‘: nicht unter einen Anlagenteil mit Produkt-Benchmark fallende Inputs, Outputs und diesbezügliche Emissionen im Zusammenhang mit der Erzeugung und/oder dem Import messbarer Wärme aus einer unter das [Emissionshandelssystem (EHS)] fallenden Anlage oder anderen Einrichtung, soweit diese Wärme

–        innerhalb der Grenzen der Anlage zur Herstellung von Produkten, zur Erzeugung anderer als zur Stromerzeugung verwendeter mechanischer Energie, zur Heizung oder zur Kühlung, jedoch nicht zur Stromerzeugung, verbraucht

–        oder an eine nicht unter das EHS fallende Anlage oder andere Einrichtung exportiert wird, ausgenommen Exporte für die Stromerzeugung;

…“

 Beschluss 2013/448/EU

12      Die Erwägungsgründe 16 und 17 des Beschlusses 2013/448/EU der Kommission vom 5. September 2013 über nationale Umsetzungsmaßnahmen für die übergangsweise kostenlose Zuteilung von Treibhausgasemissionszertifikaten gemäß Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 2003/87 (ABl. 2013, L 240, S. 27) lauten wie folgt:

„(16)      Die Kommission stellt ferner fest, dass das Anlagenverzeichnis in den deutschen Umsetzungsmaßnahmen unvollständig ist und somit gegen Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 2003/87/EG verstößt. Nicht enthalten in dem Verzeichnis sind Anlagen zur Herstellung von Polymeren, namentlich S-PVC [(Suspensions-Polyvinylchlorid)] und E-PVC [(Emulsions-Polyvinylchlorid)], und Vinylchloridmonomer (VCM) mit Angabe der Anzahl Zertifikate, die jeder im Hoheitsgebiet Deutschlands gelegenen Anlage zugeteilt werden sollen, auf die die Richtlinie anwendbar ist und die in Abschnitt 5.1 des Leitfadens der Kommission zur Auslegung von Anhang I der Richtlinie [2003/87], den der Ausschuss für Klimaänderungen am 18. März 2010 genehmigt hat, genannt werden. Der Kommission ist der Standpunkt Deutschlands zu diesem Thema bekannt, demzufolge die Herstellung von Polymeren, namentlich S-PVC und E-PVC, und VCM, nicht unter Anhang I der Richtlinie [2003/87] fällt. Nach Auffassung der Kommission entsprechen Polymere, einschließlich S-PVC und E-PVC, und VCM der Definition der maßgeblichen Tätigkeit (Herstellung von organischen Grundchemikalien) in Anhang I der Richtlinie [2003/87]. Deswegen wurden in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und den betreffenden Branchen entsprechende Produkt-Benchmarks für S-PVC, E-PVC und VCM abgeleitet, die in Anhang I des Beschlusses [2011/278] enthalten sind.

(17)      Die Kommission stellt fest, dass sich die Tatsache, dass das deutsche Anlagenverzeichnis unvollständig ist, unzulässig auf die Zuteilung auf der Grundlage des Anlagenteils mit Wärme-Benchmark an die in Anhang I Buchstabe E aufgeführten Anlagen auswirkt, die Wärme an Anlagen exportieren, die organische Grundchemikalien herstellen. Während lediglich Wärmeexporte an Anlagen oder andere Einrichtungen, die nicht unter die Richtlinie [2003/87] fallen, Anspruch auf eine kostenlose Zuteilung auf der Grundlage des Anlagenteils mit Wärme-Benchmark eröffnen, werden in den deutschen Umsetzungsmaßnahmen Wärmeexporte an Anlagen, die unter Anhang I der Richtlinie [2003/87] fallende Tätigkeiten ausüben, für die Zuteilung an die in Anhang I Buchstabe E aufgeführten Anlagen berücksichtigt. Infolgedessen entsprechen die vorgeschlagenen Zuteilungen an die in Anhang I Buchstabe E aufgeführten Anlagen nicht den Zuteilungsvorschriften. Die Kommission erhebt daher Einwände gegen die Zuteilung an die in Anhang I Buchstabe E aufgeführten Anlagen.“

13      Art. 1 des Beschlusses 2013/448 bestimmt:

„(1)      Die Aufnahme der in Anhang I dieses Beschlusses aufgeführten Anlagen in die der Kommission gemäß Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie [2003/87] unterbreiteten Verzeichnisse von unter die Richtlinie [2003/87] fallenden Anlagen und die entsprechenden vorläufigen Jahresgesamtmengen der Emissionszertifikate, die diesen Anlagen kostenlos zugeteilt werden sollen, wird abgelehnt.

(2)      …

Es werden keine Einwände erhoben, wenn ein Mitgliedstaat – bevor er die endgültige Jahresgesamtmenge für jedes Jahr von 2013 bis 2020 in Einklang mit [dem Beschluss 2011/278] bestimmt – die vorläufige Jahresgesamtmenge der Emissionszertifikate, die den in den Verzeichnissen gemäß Absatz 1 enthaltenen und in Anhang I Buchstabe [E] des vorliegenden Beschlusses aufgeführten Anlagen in seinem Hoheitsgebiet kostenlos zugeteilt werden sollen, dahingehend ändert, dass jede Zuteilung für Wärme ausgeschlossen wird, die in Anlagen exportiert wird, die Polymere wie S-PVC und E-PVC und VCM herstellen.

…“


14      Buchstabe E des Anhangs I dieses Beschlusses erfasst fünf in den deutschen Umsetzungsmaßnahmen angegebene emissionshandelspflichtige Anlagen, die Wärme ausschließlich an Polymerisationsanlagen liefern, darunter die Anlage der Dow Deutschland Anlagengesellschaft mbH.

 Verordnung (EU) Nr. 601/2012

15      Art. 5 („Vollständigkeit“) der Verordnung (EU) Nr. 601/2012 der Kommission vom 21. Juni 2012 über die Überwachung von und die Berichterstattung über Treibhausgasemissionen gemäß der Richtlinie 2003/87 (ABl. 2012, L 181, S. 30) bestimmt:

„Die Überwachung und Berichterstattung ist vollständig und berücksichtigt alle Prozessemissionen und Emissionen aus der Verbrennung aus sämtlichen Emissionsquellen und Stoffströmen im Zusammenhang mit Tätigkeiten gemäß Anhang I der Richtlinie [2003/87] … sowie alle Treibhausgasemissionen, die für diese Tätigkeiten aufgelistet sind, wobei Doppelerfassungen zu vermeiden sind.

…“

16      Art. 49 („Weitergeleitetes CO2“) dieser Verordnung enthält in Abs. 1 folgende Bestimmungen:

„Der Anlagenbetreiber zieht von den Emissionen der Anlage alle aus fossilem Kohlenstoff im Rahmen von Tätigkeiten gemäß Anhang I der Richtlinie [2003/87] stammenden Mengen CO2 ab, die nicht aus der Anlage emittiert, sondern aus der Anlage weitergeleitet werden in

a)      eine Abscheidungsanlage zwecks Transport und langfristiger geologischer Speicherung in einer gemäß der Richtlinie 2009/31/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über die geologische Speicherung von Kohlendioxid und zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG des Rates sowie der Richtlinien 2000/60/EG, 2001/80/EG, 2004/35/EG, 2006/12/EG und 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 (ABl. 2009, L 140, S. 114)] zugelassenen Speicherstätte;

b)      ein Transportnetz zwecks langfristiger geologischer Speicherung in einer gemäß der Richtlinie [2009/31] zugelassenen Speicherstätte;

c)      eine gemäß der Richtlinie [2009/31] zugelassene Speicherstätte zwecks langfristiger geologischer Speicherung.

Bei anderen Weiterleitungen von CO2 aus der Anlage darf das CO2 nicht von den Emissionen der Anlage abgezogen werden.“


17      Anhang IV („Aktivitätsspezifische Überwachungsmethodiken für Anlagen [Artikel 20 Absatz 2])“ der Verordnung enthält u. a. folgende Bestimmungen:

„1.      Spezifische Überwachungsvorschriften für Emissionen aus Verbrennungsprozessen

A.      Geltungsbereich

…      Alle Emissionen einer Anlage aus der Verbrennung von Brennstoffen sind dieser Anlage zuzuordnen, und zwar unabhängig davon, ob Wärme oder Strom an andere Anlagen abgegeben werden. Emissionen aus der Erzeugung von Wärme oder Strom, die bzw. der von einer anderen Anlage bezogen wird, werden der annehmenden Anlage nicht zugerechnet.

…“

 Deutsches Recht

18      § 2 („Anwendungsbereich“) des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes vom 21. Juli 2011 (BGBl. I S. 1475, im Folgenden: TEHG) bestimmt:

„(1)      Dieses Gesetz gilt für die Emission der in Anhang 1 Teil 2 genannten Treibhausgase durch die dort genannten Tätigkeiten. Für die in Anhang 1 Teil 2 genannten Anlagen gilt dieses Gesetz auch dann, wenn sie Teile oder Nebeneinrichtungen einer Anlage sind, die nicht in Anhang 1 Teil 2 aufgeführt ist.

…“

19      § 9 („Zuteilung von kostenlosen Berechtigungen an Anlagenbetreiber“) TEHG sieht vor:

„(1)      Anlagenbetreiber erhalten eine Zuteilung von kostenlosen Berechtigungen nach Maßgabe der Grundsätze des Artikels 10a … der Richtlinie [2003/87] in der jeweils geltenden Fassung und des Beschlusses [2011/278].

…“

20      Anhang I Teil 2 Nr. 27 TEHG erfasst „Anlagen zur Herstellung organischer Grundchemikalien (Alkene und chlorierte Alkene; Alkine; Aromaten und alkylierte Aromaten; Phenole, Alkohole; Aldehyde, Ketone; Carbonsäuren, Dicarbonsäuren, Carbonsäureanhydride und Dimethylterephthalat; Epoxide; Vinylacetat, Acrylnitril; Caprolactam und Melamin) mit einer Produktionsleistung von über 100 Tonnen je Tag“.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

21      Trinseo betreibt eine Anlage zur Herstellung von Polycarbonat mit einer genehmigten Produktionskapazität von über 100 t pro Tag. Diese Anlage bezieht den für die Produktion notwendigen Dampf von einem Kraftwerk, das von einer anderen am selben Standort ansässigen Gesellschaft, der Dow Deutschland Anlagengesellschaft, die der durch die Richtlinie 2003/87 eingeführten Emissionshandelspflicht unterliegt, betrieben wird.

22      Am 23. Januar 2012 beantragte Trinseo bei der Deutschen Emissionshandelsstelle (im Folgenden: DEHSt) für die genannte Anlage die Zuteilung kostenloser Emissionsberechtigungen für den Handelszeitraum 2013–2020.

23      Mit Bescheid vom 17. Februar 2014 lehnte die DEHSt diesen Antrag mit der Begründung ab, dass Polycarbonat in der Auflistung von Stoffen und Stoffgruppen nach Nr. 27 des Anhangs 1 Teil 2 TEHG nicht enthalten sei und diese Anlage folglich nicht dem Anwendungsbereich des TEHG unterliege.

24      Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch von Trinseo wies die DEHSt aus dem gleichen Grund zurück.

25      Am 2. Oktober 2015 befasste Trinseo das Verwaltungsgericht Berlin (Deutschland) mit einer Klage gegen den Bescheid.

26      Zur Begründung ihrer Klage macht Trinseo geltend, nach Art. 2 der Richtlinie 2003/87 in Verbindung mit deren Anhang I falle jede Tätigkeit zur Herstellung von organischen Grundchemikalien durch Cracken, Reformieren, partielle oder vollständige Oxidation oder ähnliche Verfahren ohne Beschränkung auf bestimmte Stoffe in den Geltungsbereich dieser Richtlinie.

27      In diesem Zusammenhang hebt Trinseo hervor, sowohl aus dem Dokument der Kommission mit dem Titel „Guidance on Interpretation of Annex I of the [Directive 2003/87] (excl. aviation activities)“ (Leitfaden für die Auslegung von Anhang I der Richtlinie [2003/87] [ausgenommen Luftverkehrstätigkeiten]) vom 18. März 2010 als auch aus dem 16. Erwägungsgrund des Beschlusses 2013/448 gehe hervor, dass die Polymerherstellung in den Geltungsbereich der Richtlinie 2003/87 falle. Nach dem Beschluss 2011/278 müsse die Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate, wenn eine emissionshandelspflichtige Anlage Wärme an eine andere emissionshandelspflichtige Anlage liefere, jedoch an die letztgenannte Anlage erfolgen, zumal der Beschluss 2013/448 ihre Zuteilung an die erstgenannte Anlage untersage. Da die Richtlinie 2003/87 durch Nr. 27 des Anhangs 1 Teil 2 TEHG nicht ordnungsgemäß umgesetzt werde, erwachse Trinseo unmittelbar aus der Richtlinie ein Anspruch auf Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate.


28      Die DEHSt trägt demgegenüber vor, die Richtlinie 2003/87 verpflichte nicht zu einer Einbeziehung von Polymerisationsanlagen in das System für den Handel mit Emissionszertifikaten. Darüber hinaus spreche gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie, dass sie für die Anlagenbetreiber insgesamt grundsätzlich belastend wirke.

29      Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Berlin beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 1 in Verbindung mit Anhang I der Richtlinie 2003/87 so auszulegen, dass die Herstellung von Polymeren und insbesondere des Polymers Polycarbonat in Anlagen mit einer Produktionskapazität von über 100 t pro Tag unter die dort genannte Tätigkeit der Herstellung von organischen Grundchemikalien durch Cracken, Reformieren, partielle oder vollständige Oxidation oder ähnliche Verfahren fällt?

2.      Falls die erste Frage bejaht wird: Hat der Betreiber einer solchen Anlage einen Anspruch auf kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten aus einer unmittelbaren Anwendung der Regelungen der Richtlinie 2003/87 und des Beschlusses 2011/278, wenn eine kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten nach nationalem Recht allein deshalb nicht in Betracht kommt, weil der betreffende Mitgliedstaat Anlagen zur Herstellung von Polymeren nicht in den Anwendungsbereich des nationalen Umsetzungsgesetzes zur Richtlinie 2003/87 aufgenommen hat und diese Anlagen allein deshalb nicht am Emissionshandel teilnehmen?

 Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

30      Im Anschluss an die Verlesung der Schlussanträge des Generalanwalts hat Trinseo mit Schriftsatz, der am 29. Dezember 2017 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt. Zur Begründung dieses Antrags macht Trinseo geltend, dass der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen bestimmte Aspekte des nationalen Rechts über die Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate für Anlagen, die keine CO2‑Emissionen erzeugten, außer Acht gelassen habe, deren Erörterung in einem kontradiktorischen Verfahren geboten erscheine.

31      Die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung des Gerichtshofs sehen keine Möglichkeit für die Beteiligten vor, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen (Urteil Vnuk, C‑162/13, EU:C:2014:2146, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).


32      Nach Art. 252 Abs. 2 AEUV hat der Generalanwalt die Aufgabe, öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen zu stellen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Weder die Schlussanträge des Generalanwalts noch ihre Begründung binden den Gerichtshof (Urteil vom 17. September 2015, Mory u. a./Kommission, C‑33/14 P, EU:C:2015:609, Rn. 25).

33      Dass eine Partei nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung rechtfertigt (Urteil vom 17. September 2015, Mory u. a./Kommission, C‑33/14 P, EU:C:2015:609, Rn. 26).

34      Allerdings kann der Gerichtshof nach Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist (Urteil vom 29. April 2015, Nordzucker, C‑148/14, EU:C:2015:287, Rn. 24).

35      Das ist hier nicht der Fall. Wie die übrigen am vorliegenden Verfahren Beteiligten hat Trinseo nämlich sowohl im schriftlichen wie im mündlichen Verfahren alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte dargelegt, die sie für erheblich hält, um die vom vorlegenden Gericht zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu beantworten, insbesondere hinsichtlich des Geltungsbereichs der Richtlinie 2003/87, wie er sich aus deren Art. 2 ergibt, und zur Bedeutung der Bestimmungen für die Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate in den Beschlüssen 2011/278 und 2013/448. Der Gerichtshof ist daher nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er über alle für die Entscheidung erforderlichen Informationen verfügt und dass diese Informationen Gegenstand der Erörterungen vor ihm waren.

36      Aufgrund dieser Erwägungen sieht der Gerichtshof keine Veranlassung, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens anzuordnen.

 Zu den Vorlagefragen

37      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 dahin auszulegen ist, dass eine Anlage zur Herstellung von Polymeren und insbesondere des Polymers Polycarbonat wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die die dafür erforderliche Wärme von einer Drittanlage bezieht, unter die Tätigkeit der „Herstellung von organischen Grundchemikalien durch Cracken, Reformieren, partielle oder vollständige Oxidation oder ähnliche Verfahren“ im Sinne von Anhang I dieser Richtlinie fällt, so dass davon auszugehen ist, dass sie in den Geltungsbereich des mit der Richtlinie eingeführten Systems für den Handel mit Emissionszertifikaten fällt.

38      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass diese Frage im Rahmen eines Rechtsstreits gestellt wird, in dem es um die Weigerung der zuständigen nationalen Behörden geht, einer solchen Anlage kostenlose Emissionszertifikate für den Handelszeitraum 2013–2020 zuzuteilen.

39      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand der Richtlinie 2003/87 die Schaffung eines Gemeinschaftssystems für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten ist, das auf die Verringerung der Treibhausgasemissionen in die Atmosphäre auf ein Niveau abzielt, das eine gefährliche anthropogene Beeinträchtigung des Klimas verhindert und dessen Endziel der Schutz der Umwelt ist (vgl. u. a. Urteil vom 8. März 2017, ArcelorMittal Rodange und Schifflange, C‑321/15, EU:C:2017:179, Rn. 24).

40      Dieses System beruht auf einer wirtschaftlichen Logik, die jeden Teilnehmer dazu veranlasst, eine Treibhausgasmenge zu emittieren, die unter der Menge der ihm ursprünglich zugeteilten Zertifikate liegt, um die überschüssigen Zertifikate an einen anderen Teilnehmer abzugeben, der eine Emissionsmenge erzeugt hat, die die ihm zugeteilten Zertifikate übersteigt (vgl. u. a. Urteil vom 8. März 2017, ArcelorMittal Rodange und Schifflange, C‑321/15, EU:C:2017:179, Rn. 22).

41      So sollen mit der Richtlinie 2003/87 die Treibhausgasemissionen der Union bis 2020 gegenüber 1990 um insgesamt mindestens 20 % in wirtschaftlich effizienter Weise reduziert werden (Urteil vom 8. September 2016, E.ON Kraftwerke, C‑461/15, EU:C:2016:648, Rn. 23).

42      Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/87, in dem ihr Geltungsbereich festgelegt wird, gilt sie für die „Emissionen aus den in Anhang I aufgeführten Tätigkeiten“, wobei dieser Anhang u. a. CO2-Emissionen aus der „Herstellung von organischen Grundchemikalien durch Cracken, Reformieren, partielle oder vollständige Oxidation oder ähnliche Verfahren, mit einer Produktionskapazität von über 100 t pro Tag“ erfasst.

43      Im vorliegenden Fall ist nach dem Wortlaut der Vorlagefrage davon auszugehen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Anlage zur Polymerherstellung den in diesem Anhang vorgesehenen Schwellenwert für die Produktionskapazität überschreitet.

44      Während aber Trinseo und die Kommission geltend machen, dass Polymere als „organische Grundchemikalien“ angesehen werden könnten, die durch „ähnliche Verfahren“ wie Cracken, Reformieren oder Oxidation im Sinne dieses Anhangs hergestellt würden, tragen das Umweltbundesamt sowie die deutsche und die niederländische Regierung vor, dass dieser Anlagentyp die genannten Voraussetzungen nicht erfülle, weil Polymere Enderzeugnisse und keine zur Herstellung anderer chemischer Erzeugnisse verwendeten Zwischenerzeugnisse seien und weil das Verfahren der Polymerisation keine dem Cracken, dem Reformieren oder der Oxidation ähnliche Merkmale aufweise.

45      Als Erstes ist allerdings darauf hinzuweisen, dass schon nach dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 die von ihrem Anhang I erfassten Tätigkeiten nur dann in ihren Geltungsbereich fallen und somit dem mit der Richtlinie eingeführten System für den Handel mit Emissionszertifikaten unterliegen, wenn sie „Emissionen“ der in Anhang II der Richtlinie aufgeführten Treibhausgase erzeugen.

46      Daher ist für die Feststellung, ob eine Anlage zur Herstellung von Polymeren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende in den Geltungsbereich der Richtlinie 2003/87 fällt, zunächst im Einklang mit ihrem Art. 2 Abs. 1 zu prüfen, ob durch die Tätigkeiten dieser Anlage solche „Emissionen“ erzeugt werden.

47      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 3 Buchst. b der Richtlinie 2003/87 für die Zwecke dieser Richtlinie unter „Emissionen“ die Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre aus Quellen in einer Anlage zu verstehen ist.

48      Schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich somit, dass eine „Emission“ in ihrem Sinne die Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre durch eine Anlage voraussetzt (Urteil vom 19. Januar 2017, Schaefer Kalk, C‑460/15, EU:C:2017:29, Rn. 32).

49      Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof unterbreiteten Angaben hervor und ist zwischen allen Beteiligten des vorliegenden Verfahrens unstreitig, dass eine Anlage zur Herstellung von Polymeren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die die zur Polymerisation erforderliche Wärme von einer Drittanlage bezieht, nicht selbst CO2 in die Atmosphäre freisetzt, da nur die Wärmeerzeugung durch die Drittanlage zu einer derartigen Freisetzung führt. Das Verfahren der Polymerisation setzt kein CO2 frei, da Kohlendioxid, wie die niederländische Regierung erläutert hat, gerade zur Herstellung von Polymeren wie Polycarbonat erforderlich ist.

50      Daraus folgt, dass durch die Polymerherstellung in einer Anlage wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in die die Erzeugung der für die Polymerisation erforderlichen Wärme nicht integriert ist, auch keine direkten CO2-Emissionen verursacht werden.

51      In Ermangelung solcher Emissionen kann eine Tätigkeit, auch wenn sie von Anhang I der Richtlinie 2003/87 erfasst wird, nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen und unterliegt somit nicht dem mit ihr eingeführten System für den Handel mit Emissionszertifikaten.

52      Diese Schlussfolgerung wird durch das mit der Richtlinie 2003/87 verfolgte, in den Rn. 39 bis 41 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Ziel bestätigt, das darin besteht, die emissionshandelspflichtigen Anlagen zur Verringerung ihrer Treibhausgasemissionen zu veranlassen, damit sie überschüssige Emissionszertifikate an eine andere emissionshandelspflichtige Anlage abgeben können. Da durch Anlagen zur Herstellung von Polymeren als solche keine direkte CO2-Emission erzeugt wird, können ihre Betreiber durch die Zuteilung von Emissionszertifikaten nämlich nicht dazu veranlasst werden, ihre Treibhausgasemissionen zu verringern.

53      Trinseo und die Kommission machen jedoch geltend, zu den Emissionen aus der Polymerherstellung müssten „indirekte“ Emissionen aus der Wärmeerzeugung durch die Drittanlage gehören, die diese Wärme für die Zwecke der Polymerisation liefere. Dieser Ansatz entspreche dem mit der Richtlinie 2003/87 verfolgten Ziel, da er es ermögliche, Investitionen zur Verringerung des Energieverbrauchs zu fördern. Er werde außerdem durch Art. 10a dieser Richtlinie sowie durch Art. 3 Buchst. c und die Erwägungsgründe 6 und 21 des Beschlusses 2011/278 bestätigt, wonach die kostenlosen Emissionszertifikate der wärmeverbrauchenden Anlage und nicht der wärmeerzeugenden Anlage zugeteilt würden. Wie sich aus Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2013/448 in Verbindung mit Buchstabe E seines Anhangs I bei einer Auslegung im Licht seiner Erwägungsgründe 16 und 17 ergebe, seien den Polymerisationsanlagen – und nicht dem Wärmelieferanten – kostenlose Emissionszertifikate zuzuteilen. In Anhang I des Beschlusses 2011/278 würden im Übrigen Benchmarkwerte für ausschließlich in diesem Anlagentyp hergestellte Erzeugnisse festgelegt.

54      Dieser Auslegung kann indessen nicht gefolgt werden.

55      Wie nämlich bereits aus den Rn. 47 und 48 des vorliegenden Urteils hervorgeht, sind die „Emissionen“, für die die Richtlinie 2003/87 nach dem Wortlaut ihres Art. 3 Buchst. b gilt, nur solche, bei denen es zu einer Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre aus Quellen in einer Anlage kommt.

56      Für CO2-Emissionen aus der Erzeugung von Wärme sieht Anhang I der Richtlinie 2003/87 vor, dass sie als Tätigkeit der Verbrennung von Brennstoffen „in Anlagen mit einer Gesamtfeuerungswärmeleistung von über 20 MW“ erfasst werden.

57      Aus dieser Bestimmung geht somit eindeutig hervor, dass nur Emissionen, die unmittelbar aus der Tätigkeit der selbst die Wärme erzeugenden Anlage resultieren, bei der Klärung der Frage berücksichtigt werden können, ob diese Tätigkeit unter das System für den Handel mit Emissionszertifikaten fällt.

58      Daraus folgt, dass die aus der Tätigkeit der Wärmeerzeugung resultierenden CO2‑Emissionen nur die Einbeziehung von Anlagen in dieses System rechtfertigen, die Quelle dieser Emissionen sind, wie im vorliegenden Fall die Drittanlage, die die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Anlage mit Wärme versorgt.


59      Diese Auslegung wird durch Anhang IV der Verordnung Nr. 601/2012 bestätigt, dessen Nr. 1 Teil A Unterabs. 2 ausdrücklich vorsieht, dass „[a]lle Emissionen einer Anlage aus der Verbrennung von Brennstoffen … dieser Anlage zuzuordnen [sind], und zwar unabhängig davon, ob Wärme oder Strom an andere Anlagen abgegeben werden. Emissionen aus der Erzeugung von Wärme oder Strom, die bzw. der von einer anderen Anlage bezogen wird, werden der annehmenden Anlage nicht zugerechnet.“

60      Daraus geht klar hervor, dass eine Anlage, die von einer Drittanlage Wärme bezieht, nicht die Emissionen der Drittanlage für sich in Anspruch nehmen kann.

61      Jede andere Auslegung würde, wie der Generalanwalt in den Nrn. 50 und 51 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, unweigerlich zur Gefahr einer Doppelerfassung der Emissionen führen, da über sie sowohl der Wärmeerzeuger – als direkte Emissionen – als auch der Nutzer dieser Wärme – als indirekte Emissionen – Bericht erstatten müsste.

62      Diese Doppelerfassung wäre jedoch nicht nur ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 601/2012, sondern würde, da über die Emissionen aus der Erzeugung von Wärme durch eine Anlage, die ihre eigene Wärme selbst erzeugt, nur einmal Bericht zu erstatten wäre, die Wahrung der Wettbewerbsbedingungen beeinträchtigen, die eines der Unterziele des durch die Richtlinie 2003/87 eingeführten Systems ist (vgl. u. a. Urteil vom 22. Juni 2016, DK Recycling und Roheisen/Kommission, C‑540/14 P, EU:C:2016:469, Rn. 50).

63      Darüber hinaus ist den Feststellungen des Generalanwalts in den Nrn. 52 und 53 seiner Schlussanträge beizupflichten, dass Art. 49 Abs. 1 der Verordnung Nr. 601/2012 in den drei dort aufgezählten Fallkonstellationen zwar einen Mechanismus der Weiterleitung von CO2 einführt, die mit der Richtlinie 2003/87 eingeführte Regelung hingegen keinen allgemeinen Mechanismus vorsieht, der es einem Wärmeerzeuger ermöglicht, CO2-Emissionen auf den Wärmenutzer zu transferieren, und dass er auch keine Bestimmungen zur Regelung der Frage enthält, wie eine etwaige Aufteilung dieser Emissionen unter ihren verschiedenen, unter Umständen aufeinanderfolgenden Nutzern vorgenommen werden soll.

64      Zwar kann, wie Trinseo und die Kommission geltend machen, nicht ausgeschlossen werden, dass die Zuteilung von Emissionszertifikaten an den Betreiber einer Anlage zur Polymerherstellung, die die hierfür erforderliche Wärme von einer Drittanlage bezieht, diesen Betreiber dazu veranlassen kann, Techniken mit größerer Energieeffizienz zu nutzen, insbesondere durch Reduzierung seines Bedarfs an Brennstoffen. Deshalb sieht die Kommission im 21. Erwägungsgrund des Beschlusses 2011/278 vor, dass die kostenlos zuzuteilenden Emissionszertifikate dem Wärmeverbraucher zugeteilt werden sollten.


65      Wie die niederländische Regierung zutreffend hervorgehoben hat, kann ein solcher Energieeffizienzgewinn jedoch nicht die Einbeziehung von Tätigkeiten in das System für den Handel mit Emissionszertifikaten rechtfertigen, die nicht in den in Art. 2 Abs. 1 definierten Geltungsbereich der Richtlinie 2003/87 fallen.

66      Diese Erwägungen können auch nicht durch die vom Unionsgesetzgeber vorgesehenen Regeln für die Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate in Frage gestellt werden.

67      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Zuteilung dieser kostenlosen Emissionszertifikate gemäß Art. 10a der Richtlinie 2003/87 eine Übergangsregelung darstellt, die nur für die Anlagen bestimmter Wirtschaftszweige gilt, und dass die zuzuteilende Menge dieser Zertifikate zudem im Handelszeitraum 2013–2020 schrittweise mit dem Ziel reduziert wird, die kostenlose Zuteilung bis 2027 zu beenden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. September 2016, E.ON Kraftwerke, C‑461/15, EU:C:2016:648, Rn. 24, und vom 26. Oktober 2016, Yara Suomi u. a., C‑506/14, EU:C:2016:799, Rn. 46).

68      Nur Anlagen, deren Tätigkeiten nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 in das System für den Handel mit Emissionszertifikaten einbezogen sind, können aber in den Genuss einer Zuteilung kostenloser Zertifikate kommen. Weder Art. 10a dieser Richtlinie noch die Beschlüsse 2011/278 und 2013/448 können nämlich den Geltungsbereich der Richtlinie ändern (vgl. entsprechend Urteil vom 19. Januar 2017, Schaefer Kalk, C‑460/15, EU:C:2017:29, Rn. 40 bis 42).

69      Im Übrigen ergibt sich schon aus dem Wortlaut von Art. 3 Buchst. c des Beschlusses 2011/278, dass einer Anlage, die von ihr produzierte Wärme exportiert, kostenlose Emissionszertifikate für die produzierte Wärme nur zugeteilt werden können, wenn sie diese „an eine nicht unter das Emissionshandelssystem der Union fallende Anlage oder andere Einrichtung“ exportiert (Urteil vom 8. September 2016, Borealis u. a., C‑180/15, EU:C:2016:647, Rn. 117).

70      Genau dies ist der Fall, wenn eine wärmenutzende Anlage, durch deren eigene Tätigkeiten keine Emissionen im Sinne von Art. 3 Buchst. b der Richtlinie 2003/87 erzeugt werden, nicht unter deren Art. 2 Abs. 1 fällt.

71      Insoweit ist hinzuzufügen, dass die Ungleichbehandlung, die sich daraus ergibt, dass eine Anlage zur Herstellung von Polymeren, die die hierfür erforderliche Wärme selbst erzeugt, im Gegensatz zu einer Anlage wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die diese Wärme von einer Drittanlage bezieht, wegen der „Verbrennung von Brennstoffen“ im Sinne von Anhang I der Richtlinie 2003/87 in das System für den Handel mit Emissionszertifikaten einbezogen ist, keineswegs diskriminierend ist. Denn angesichts des mit der Richtlinie 2003/87 verfolgten, in den Rn. 39 bis 41 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Ziels besteht ein objektiver Unterschied zwischen einer Anlage, mit deren Tätigkeiten Treibhausgasemissionen in die Atmosphäre verbunden sind, und einer Anlage, die keine derartigen Emissionen erzeugt (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 19. Januar 2017, Schaefer Kalk, C‑460/15, EU:C:2017:29, Rn. 47).

72      Aus dem Vorstehenden folgt, dass eine Anlage zur Herstellung von Polymeren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, durch deren Tätigkeiten unstreitig keine direkten CO2-Emissionen erzeugt werden, nicht in den in Art. 2 Abs. 1 definierten Geltungsbereich der Richtlinie 2003/87 fällt.

73      Mithin fällt eine solche Anlage, ohne dass es der Prüfung bedarf, ob sie mit der „Herstellung von organischen Grundchemikalien durch Cracken, Reformieren, partielle oder vollständige Oxidation oder ähnliche Verfahren“ im Sinne von Anhang I der Richtlinie 2003/87 befasst ist, nicht unter das durch diese Richtlinie eingeführte System für den Handel mit Emissionszertifikaten.

74      Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/87 dahin auszulegen ist, dass eine Anlage zur Herstellung von Polymeren und insbesondere des Polymers Polycarbonat wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die die dafür erforderliche Wärme von einer Drittanlage bezieht, nicht unter das mit dieser Richtlinie eingeführte System für den Handel mit Emissionszertifikaten fällt, da durch sie keine direkten CO2-Emissionen erzeugt werden.

75      Angesichts dieser Antwort ist die zweite Vorlagefrage nicht zu beantworten.

 Zur zeitlichen Beschränkung der Wirkungen des Urteils

76      In der mündlichen Verhandlung hat die deutsche Regierung beantragt, die Wirkungen des vorliegenden Urteils sowohl für den Fall einer Bejahung der ersten Frage als auch für den Fall ihrer Verneinung zeitlich zu beschränken.

77      Festzustellen ist jedoch, dass die deutsche Regierung nichts vorgetragen hat, was diesen Antrag untermauern könnte.

78      Daher sind die Wirkungen des vorliegenden Urteils nicht zeitlich zu beschränken.

 Kosten

79      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates in der durch die Richtlinie 2009/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine Anlage zur Herstellung von Polymeren und insbesondere des Polymers Polycarbonat wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die die dafür erforderliche Wärme von einer Drittanlage bezieht, nicht unter das mit dieser Richtlinie eingeführte System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten fällt, da durch sie keine direkten CO2-Emissionen erzeugt werden.

Silva de Lapuerta

Fernlund

Bonichot

Arabadjiev

 

Regan

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. Februar 2018.

Der Kanzler

 

Die Präsidentin der Ersten Kammer

A. Calot Escobar

 

R. Silva de Lapuerta


*      Verfahrenssprache: Deutsch.