Language of document : ECLI:EU:C:2019:702

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

11. September 2019(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Verbraucherkreditverträge – Richtlinie 2008/48/EG – Art. 16 Abs. 1 – Vorzeitige Rückzahlung – Recht des Verbrauchers auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet“

In der Rechtssache C‑383/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy Lublin-Wschód w Lublinie z siedzibą w Świdniku (Rayongericht Lublin-Ost in Lublin mit Sitz in Świdnik, Polen) mit Entscheidung vom 28. Mai 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juni 2018, in dem Verfahren

Lexitor sp. z o.o.

gegen

Spółdzielcza Kasa Oszczędnościowo – Kredytowa im. Franciszka Stefczyka,

Santander Consumer Bank S.A.,

mBank S.A.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Rosas, L. Bay Larsen und M. Safjan,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Spółdzielcza Kasa Oszczędnościowo – Kredytowa im. Franciszka Stefczyka, vertreten durch P. Chojecki und P. Skurzyński, radcowie prawni, sowie M. Kowara, adwokat,

–        der Santander Consumer Bank S.A., vertreten durch P. Kończal und P. Muciek sowie J. Wojnarowska, radca prawny,

–        der mBank S.A., vertreten durch A. Opalski, radca prawny,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Szmytkowska, G. Goddin und C. Valero als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. Mai 2019

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66).

2        Das Ersuchen ergeht im Rahmen dreier Rechtsstreitigkeiten zwischen der Lexitor sp. z o.o. (im Folgenden: Lexitor) auf der einen Seite und der Spółdzielcza Kasa Oszczędnościowo – Kredytowa im. Franciszka Stefczyka (im Folgenden: SKOK), der Santander Consumer Bank S.A. (im Folgenden: Santander Consumer Bank) bzw. der mBank S.A. (im Folgenden: mBank) auf der anderen Seite über die Ermäßigung der Gesamtkosten von Verbraucherkrediten aufgrund ihrer vorzeitigen Rückzahlung.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 87/102/EWG

3        Art. 8 der Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (ABl. 1987, L 42, S. 48), die mit Wirkung vom 11. Juni 2010 durch die Richtlinie 2008/48 aufgehoben und ersetzt wurde, bestimmte:

„Der Verbraucher ist berechtigt, seine Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag vorzeitig zu erfüllen. In diesem Fall kann der Verbraucher gemäß den von den Mitgliedstaaten festgelegten Regelungen eine angemessene Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits verlangen.“

 Richtlinie 2008/48

4        In den Erwägungsgründen 7, 9 und 39 der Richtlinie 2008/48 heißt es:

„(7)      Um die Entwicklung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts bei Verbraucherkrediten zu erleichtern, muss in einigen Schlüsselbereichen ein harmonisierter gemeinschaftsrechtlicher Rahmen geschaffen werden. Im Hinblick auf die permanente Weiterentwicklung des Marktes für Verbraucherkredite und die zunehmende Mobilität der europäischen Bürger kann ein zukunftsweisendes Gemeinschaftsrecht, das sich künftigen Kreditformen anpassen kann und das den Mitgliedstaaten einen angemessenen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung lässt, zu einem modernen Verbraucherkreditrecht beitragen.

(9)      Eine vollständige Harmonisierung ist notwendig, um allen Verbrauchern in der Gemeinschaft ein hohes und vergleichbares Maß an Schutz ihrer Interessen zu gewährleisten und um einen echten Binnenmarkt zu schaffen. …

(39)      Dem Verbraucher sollte gestattet werden, seine Verbindlichkeiten vor Ablauf der im Kreditvertrag vereinbarten Frist zu erfüllen. Im Falle einer vorzeitigen Rückzahlung eines Teils oder der gesamten Kreditsumme sollte der Kreditgeber eine Entschädigung für die unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten verlangen können, wobei auch mögliche Einsparungen des Kreditgebers zu berücksichtigen sind. Bei der Festlegung der Berechnungsmethode für die Entschädigung müssen allerdings mehrere Grundsätze eingehalten werden. Die Berechnung der dem [Kreditgeber] geschuldeten Entschädigung sollte transparent sein und schon im vorvertraglichen Stadium und in jedem Fall während der Ausführung des Kreditvertrags für den Verbraucher verständlich sein. Darüber hinaus sollte die Berechnungsmethode für den Kreditgeber leicht anzuwenden sein und die Überprüfung der Entschädigung durch die zuständigen Aufsichtsbehörden erleichtert werden. …“

5        Art. 3 der Richtlinie 2008/48 sieht vor:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚Verbraucher‘ eine natürliche Person, die bei den von dieser Richtlinie erfassten Geschäften zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann;

g)      ‚Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher‘ sämtliche Kosten, einschließlich der Zinsen, Provisionen, Steuern und Kosten jeder Art – ausgenommen Notargebühren –, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu zahlen hat und die dem Kreditgeber bekannt sind; Kosten für Nebenleistungen im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag, insbesondere Versicherungsprämien, sind ebenfalls enthalten, wenn der Abschluss des Vertrags über diese Nebenleistung eine zusätzliche zwingende Voraussetzung dafür ist, dass der Kredit überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird;

…“

6        Art. 16 („Vorzeitige Rückzahlung“) der Richtlinie 2008/48 bestimmt:

„(1)      Der Verbraucher ist berechtigt, seine Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag jederzeit ganz oder teilweise zu erfüllen. In solchen Fällen hat der Verbraucher das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet.

(2)      Der Kreditgeber kann im Falle der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits eine angemessene und objektiv gerechtfertigte Entschädigung für die möglicherweise entstandenen, unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten verlangen, wenn die vorzeitige Rückzahlung in einen Zeitraum fällt, für den ein fester Sollzinssatz vereinbart wurde.

Die Entschädigung darf 1 % des vorzeitig zurückgezahlten Kreditbetrags nicht überschreiten, wenn der Zeitraum zwischen der vorzeitigen Rückzahlung und dem Zeitpunkt des vereinbarten Ablaufs des Kreditvertrags ein Jahr überschreitet. Überschreitet der Zeitraum nicht ein Jahr, darf die Entschädigung 0,5 % des vorzeitig zurückgezahlten Kreditbetrags nicht überschreiten.

(3)      Eine Entschädigung für vorzeitige Rückzahlung darf nicht verlangt werden,

a)      wenn die Rückzahlung aufgrund eines Versicherungsvertrags erfolgt, der vereinbarungsgemäß die Rückzahlung des Kredits gewährleisten soll,

b)      im Falle von Überziehungsmöglichkeiten oder

c)      wenn die Rückzahlung in einen Zeitraum fällt, für den kein fester Sollzinssatz vereinbart wurde.

(4)      Die Mitgliedstaaten können vorsehen,

a)      dass der Kreditgeber diese Entschädigung nur dann verlangen darf, wenn der Betrag der vorzeitigen Rückzahlung den im jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehenen Schwellenwert überschreitet. Der Schwellenwert darf nicht höher sein als 10 000 EUR innerhalb eines Zwölfmonatszeitraums;

b)      dass der Kreditgeber ausnahmsweise eine höhere Entschädigung verlangen kann, wenn er nachweist, dass der aus der vorzeitigen Rückzahlung entstandene Verlust den nach Absatz 2 bestimmten Betrag übersteigt.

Übersteigt die vom Kreditgeber beanspruchte Entschädigung den tatsächlich erlittenen Verlust, so kann der Verbraucher eine entsprechende Verminderung fordern.

In diesem Fall besteht der Verlust in der Differenz zwischen dem ursprünglich vereinbarten Zinssatz und dem Zinssatz, zu dem der Kreditgeber den vorzeitig zurückgezahlten Betrag auf dem Markt zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung als Kredit ausreichen kann[,] und zwar unter Berücksichtigung der Auswirkung der vorzeitigen Rückzahlung auf die Verwaltungskosten.

(5)      Keinesfalls darf die Entschädigung den Zinsbetrag übersteigen, den der Verbraucher in der Zeit zwischen der vorzeitigen Rückzahlung und dem vereinbarten Ende der Laufzeit des Kreditvertrags bezahlt hätte.“

7        In Art. 22 („Harmonisierung und Unabdingbarkeit dieser Richtlinie“) der Richtlinie 2008/48 heißt es:

„(1)      Soweit diese Richtlinie harmonisierte Vorschriften enthält, dürfen die Mitgliedstaaten keine Bestimmungen in ihrem innerstaatlichen Recht aufrechterhalten oder einführen, die von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichen.

(3)      Die Mitgliedstaaten stellen ferner sicher, dass die Vorschriften, die sie gemäß dieser Richtlinie verabschieden, nicht durch eine besondere Gestaltung der Verträge umgangen werden können, insbesondere durch die Einbeziehung der Inanspruchnahme von Kreditbeträgen oder von Kreditverträgen, die in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, in Kreditverträge, deren Eigenart oder Zweck es erlauben würde, sie ihrer Anwendung zu entziehen.“

 Nationales Recht

8        Mit der Ustawa o kredycie konsumenckim (Verbraucherkreditgesetz) vom 12. Mai 2011 (Dz. U. Nr. 126, Pos. 715) in ihrer für die Ausgangsrechtsstreitigkeiten maßgeblichen Fassung (im Folgenden: Verbraucherkreditgesetz) wird die Richtlinie 2008/48 in polnisches Recht umgesetzt.

9        Gemäß Art. 5 Nr. 6 dieses Gesetzes wird der Begriff „Gesamtkosten des Kredits“ als sämtliche Kosten definiert, die der Verbraucher im Rahmen des Kreditvertrags zu tragen hat, insbesondere die Zinsen, Gebühren, Provisionen, Steuern und Margen, wenn sie dem Kreditgeber bekannt sind, sowie die Kosten für Nebenleistungen, insbesondere Versicherungen, wenn deren Tragung dafür erforderlich ist, dass der Kredit gewährt oder zu den vorgesehenen Bedingungen gewährt wird, ausgenommen vom Verbraucher getragene Notargebühren.

10      Nach Art. 49 Abs. 1 des Verbraucherkreditgesetzes werden bei einer Rückzahlung des gesamten Kredits vor dem vertraglich bestimmten Zeitpunkt die Gesamtkosten des Kredits um die Kosten ermäßigt, die den Zeitraum betreffen, um den die Laufzeit des Vertrags verkürzt wurde, auch wenn der Verbraucher sie vor der Rückzahlung getragen hat.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

11      Den drei von dem vorlegenden Gericht verbundenen Ausgangsrechtsstreitigkeiten liegt der Abschluss von Verbraucherkreditverträgen zwischen einem Verbraucher im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2008/48 auf der einen Seite und SKOK, der Santander Consumer Bank bzw. der mBank auf der anderen Seite zugrunde. Jeder der Kreditverträge sah die Zahlung einer Provision, deren Höhe nicht von der Laufzeit des Vertrags abhängig war, an das betreffende Kreditinstitut vor, und zwar 1 591,35 polnische Zloty (PLN) (ungefähr 380 Euro), 4 845 PLN (ungefähr 1 150 Euro) bzw. 3 070,40 PLN (ungefähr 730 Euro).

12      Nachdem die Verbraucher ihre Kredite vorzeitig zurückgezahlt hatten, traten sie die sich aus der vorzeitigen Rückzahlung ergebenden Forderungen gegen die Kreditinstitute an Lexitor, eine Gesellschaft polnischen Rechts, die Verbrauchern Rechtsdienstleistungen anbietet, ab.

13      Daraufhin forderte Lexitor als Zessionarin der Forderungen von SKOK, der Santander Consumer Bank und der mBank die Rückzahlung eines Teilbetrags der von den Verbrauchern gezahlten Provisionen nebst Verzugszinsen.

14      Da die Kreditinstitute den entsprechenden Aufforderungen nicht nachkamen, erhob Lexitor am 8. Januar 2018, am 29. Dezember 2017 und am 26. Februar 2018 bei dem vorlegenden Gericht drei Klagen, mit denen sie beantragte, die Santander Consumer Bank, SKOK bzw. die mBank zur Zahlung eines der verbleibenden Laufzeit der Kreditverträge entsprechenden Teils der Provisionen sowie von Verzugszinsen zu verurteilen.

15      Die Beklagten des Ausgangsverfahrens legten gegen die von dem vorlegenden Gericht erlassenen Zahlungsbefehle Widerspruch ein.

16      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob sich in einer Situation wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden das in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 vorgesehene Recht des Verbrauchers auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits bei dessen vorzeitiger Rückzahlung auch auf die Kosten bezieht, die nicht von der Laufzeit des Vertrags abhängig sind. Zwar hätten einige polnische Gerichte diese Frage auf der Grundlage des Verbraucherkreditgesetzes verneint, ein anderes Gericht habe sie jedoch bejaht und sich dabei auf eine Auslegung dieses Gesetzes im Licht von Art. 16 der Richtlinie 2008/48 gestützt.

17      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist dieser Artikel dahin auszulegen, dass die Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits die Kosten umfasst, die nicht von der Laufzeit des Vertrags abhängig sind. Mit dieser Auslegung könnten die Interessen des Verbrauchers geschützt werden und werde das Gleichgewicht zwischen den Parteien gewährleistet. Der Kreditgeber könne im Fall einer vorzeitigen Rückzahlung des Kredits den zurückgezahlten Betrag zur Gewährung eines neuen Kredits weiterverwenden und somit eine neue Provision erhalten. Die gegenteilige Lösung könnte zudem zu einer Praxis führen, nach der die Kreditgeber nur von der Laufzeit des Kreditvertrags formal unabhängige Kosten erhöben, um zu verhindern, dass diese von der Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits betroffen seien.

18      Unter diesen Umständen hat der Sąd Rejonowy Lublin-Wschód w Lublinie z siedzibą w Świdniku (Rayongericht Lublin-Ost in Lublin mit Sitz in Świdnik, Polen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 16 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Buchst. g der Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen, dass ein Verbraucher bei vorzeitiger Erfüllung seiner Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag das Recht auf eine Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits hat, darunter auch der Kosten, deren Höhe nicht von der Laufzeit des betreffenden Kreditvertrags abhängig ist?

19      Das vorlegende Gericht hat darüber hinaus die Behandlung der Rechtssache im beschleunigten Verfahren gemäß Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17. September 2018, Lexitor (C‑383/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:769), zurückgewiesen.

 Zur Vorlagefrage

20      Zunächst ist klarzustellen, dass der Umstand, dass sich in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten nur Gewerbetreibende gegenüberstehen, der Anwendung der Richtlinie 2008/48 nicht entgegensteht. Wie der Generalanwalt in Nr. 24 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hängt der Anwendungsbereich dieser Richtlinie nämlich nicht von der Identität der Parteien des in Rede stehenden Rechtsstreits, sondern von der Eigenschaft der Parteien des Kreditvertrags ab. Im vorliegenden Fall stammen die Forderungen, die Gegenstand der Ausgangsrechtsstreitigkeiten sind, aus drei zwischen drei Verbrauchern und den drei Beklagten des Ausgangsverfahrens geschlossenen Verbraucherkreditverträgen und wurden nach der vorzeitigen Rückzahlung der Kredite an die Klägerin des Ausgangsverfahrens abgetreten.

21      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen ist, dass das Recht auf eine Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits im Fall seiner vorzeitigen Rückzahlung auch die Kosten umfasst, die nicht von der Laufzeit des Vertrags abhängig sind.

22      Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 in Verbindung mit ihrem 39. Erwägungsgrund sieht für den Verbraucher das Recht vor, den Kredit vorzeitig zurückzuzahlen und eine Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits zu erhalten, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet.

23      Art. 3 Buchst. g der Richtlinie 2008/48 definiert den Begriff „Gesamtkosten des Kredits“ als sämtliche Kosten, einschließlich der Zinsen, Provisionen, Steuern und Kosten jeder Art – ausgenommen Notargebühren –, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu zahlen hat und die dem Kreditgeber bekannt sind. Diese Definition enthält demnach keine Beschränkung hinsichtlich der Laufzeit des in Rede stehenden Kreditvertrags.

24      Wie sich insbesondere aus dem Vorabentscheidungsersuchen und den Erklärungen, die von den Beklagten des Ausgangsverfahrens sowie von den anderen Beteiligten in dieser Rechtssache abgegeben wurden, ergibt, könnte die Bezugnahme auf die „verbleibende Laufzeit des Vertrags“ in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 sowohl dahin ausgelegt werden, dass die von der Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits betroffenen Kosten auf diejenigen beschränkt sind, die objektiv von der Laufzeit des Vertrags abhängig sind, oder auf diejenigen, die vom Kreditgeber als ein bestimmtes Stadium des Abschlusses oder der Ausführung des Vertrags betreffend ausgewiesen wurden, als auch als Hinweis darauf, dass die für die Ermäßigung anzuwendende Berechnungsmethode darin besteht, sämtliche vom Verbraucher getragenen Kosten zu berücksichtigen und deren Betrag dann entsprechend der verbleibenden Laufzeit des Vertrags zu kürzen.

25      Anhand einer vergleichenden Prüfung der verschiedenen Sprachfassungen von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 lässt sich der genaue Umfang der darin vorgesehenen Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits nicht bestimmen. Zum einen deuten nämlich die Fassungen dieser Bestimmung in niederländischer, polnischer und rumänischer Sprache auf eine Ermäßigung der mit der verbleibenden Laufzeit des Vertrags zusammenhängenden Kosten hin („een verlaging van de totale kredietkosten, bestaande uit de interesten en de kosten gedurende de resterende duur van de overeenkomst“, „obniżki całkowitego kosztu kredytu, na którą składają się odsetki i koszty przypadające na pozostały okres obowiązywania umowy“ und „o reducere a costului total al creditului, care constă în dobânda și în costurile aferente duratei restante a contractului“). Zum anderen sind die Fassungen der Bestimmung in deutscher und englischer Sprache durch eine gewisse Zweideutigkeit gekennzeichnet und lassen die Annahme zu, dass die mit der verbleibenden Laufzeit des Vertrags zusammenhängenden Kosten als Anhaltspunkt für die Berechnung der Ermäßigung dienen („das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet“ und „reduction consisting of the interest and the costs for the remaining duration of the contract“). In der Fassung der Bestimmung in italienischer Sprache ist wie in der Fassung in französischer Sprache die Rede von den für die verbleibende Laufzeit des Vertrags „geschuldeten“ („dovuti“ und „dus“) Zinsen und Kosten. Schließlich verlangt die Fassung von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 in spanischer Sprache eine Ermäßigung, die die der verbleibenden Laufzeit des Vertrags entsprechenden Kosten umfasst („una reducción del coste total del crédito, que comprende los intereses y costes correspondientes a la duración del contrato que quede por transcurrir“).

26      Gleichwohl ist diese Bestimmung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrem Kontext und den Zielen auszulegen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juli 2019, Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände, C‑649/17, EU:C:2019:576, Rn. 37).

27      Was den Kontext anbelangt, sah Art. 8 der Richtlinie 87/102, die durch die Richtlinie 2008/48 aufgehoben und ersetzt wurde, vor, dass der Verbraucher „gemäß den von den Mitgliedstaaten festgelegten Regelungen eine angemessene Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits verlangen [kann]“.

28      In Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 wurde demnach das Recht des Verbrauchers auf Ermäßigung der Kosten des Kredits bei vorzeitiger Rückzahlung dadurch konkretisiert, dass der allgemeine Begriff „angemessene Ermäßigung“ durch den präziseren Begriff „Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits“ ersetzt und ergänzt wurde, dass sich diese Ermäßigung auf die „Zinsen und Kosten“ zu beziehen hat.

29      Was das Ziel der Richtlinie 2008/48 angeht, soll sie nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs einen hohen Schutz des Verbrauchers gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Juni 2019, Schyns, C‑58/18, EU:C:2019:467, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dieses Schutzsystem beruht auf der Vorstellung, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. April 2016, Radlinger und Radlingerová, C‑377/14, EU:C:2016:283, Rn. 63).

30      Um diesen Schutz zu gewährleisten, haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 2008/48 sicherzustellen, dass die Vorschriften, die sie gemäß dieser Richtlinie verabschieden, nicht durch eine besondere Gestaltung der Verträge umgangen werden können.

31      Die Wirksamkeit des Rechts des Verbrauchers auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits wäre indessen beeinträchtigt, wenn sich die Ermäßigung des Kredits auf die Berücksichtigung nur der Kosten beschränken könnte, die vom Kreditgeber als von der Vertragslaufzeit abhängig ausgewiesen wurden, da, wie der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Kosten und ihre Aufschlüsselung einseitig von der Bank bestimmt werden und die Kostenabrechnung eine gewisse Gewinnspanne enthalten kann.

32      Wenn man die Möglichkeit einer Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits nur auf ausdrücklich mit der Vertragslaufzeit zusammenhängende Kosten beschränkte, würde dies darüber hinaus, wie das vorlegende Gericht hervorhebt, die Gefahr mit sich bringen, dass dem Verbraucher zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags höhere einmalige Zahlungen auferlegt werden, da der Kreditgeber versucht sein könnte, die Kosten, die von der Vertragslaufzeit abhängig sind, auf ein Minimum zu reduzieren.

33      Außerdem macht, wie der Generalanwalt in den Nrn. 53 und 55 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, der Handlungsspielraum, über den die Kreditinstitute bei ihrer Abrechnung und ihrer internen Organisation verfügen, die Bestimmung der objektiv mit der Vertragslaufzeit zusammenhängenden Kosten durch einen Verbraucher oder ein Gericht in der Praxis sehr schwierig.

34      Ferner kann die Einbeziehung der Kosten, die nicht von der Vertragslaufzeit abhängig sind, in die Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits den Kreditgeber nicht in unangemessener Weise benachteiligen. Seinen Interessen wird nämlich zum einen durch Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2008/48 Rechnung getragen, der zugunsten des Kreditgebers das Recht auf Entschädigung für die gegebenenfalls unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten vorsieht, und zum anderen durch Art. 16 Abs. 4 dieser Richtlinie, der den Mitgliedstaaten eine zusätzliche Möglichkeit eröffnet, sicherzustellen, dass die Entschädigung den Kredit- und Marktbedingungen angemessen ist, um die Interessen des Kreditgebers zu schützen.

35      Schließlich erhält der Kreditgeber im Fall einer vorzeitigen Rückzahlung des Kredits den Kreditbetrag früher zurück, so dass dieser gegebenenfalls für den Abschluss eines neuen Kreditvertrags zur Verfügung steht.

36      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen ist, dass das Recht des Verbrauchers auf die Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits bei vorzeitiger Kreditrückzahlung sämtliche dem Verbraucher auferlegten Kosten umfasst.

 Kosten

37      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates ist dahin auszulegen, dass das Recht des Verbrauchers auf die Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits bei vorzeitiger Kreditrückzahlung sämtliche dem Verbraucher auferlegten Kosten umfasst.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Polnisch.